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Full text of "Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 103.1914"

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Brinretan Universiti. 


The Cigkty Fight Fibrarn 
of 
Eronomirs. 


WEE 


JAHRBÜCHER 
FÜR NATIONALÖKONOMIE 
UND STATISTIK 


GEGRÜNDET VON 
BRUNO HILDEBRAND 


HERAUSGEGEBEN VON 


Dr. J. CONRAD 


PROF. IN HALLE A. 8. 


IN VERBINDUNG MIT 
Dr. EDG. LOENING Dr. W. LEXIS t Dr. H. WAENTIG 


PROF, IN HALLE A. S. PROF. IN GÖTTINGEN PROF. IN HALLE A. 8. 
103. BAND 
II. FOLGE 48. BAND 
1914. Il 


JENA 
VERLAG VON GUSTAV FISCHER 
1914 


Alle Rechte vorbehalten. 


Inhalt des 48. Bandes, dritte Folge. (103. Bd.) 


I. Abhandlungen. 


Blank, Die Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerver- 
bänden. 8. 305. 

Friedmann, Arthur, Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 8. 433, 

Derselbe, Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 8. 1. 

Schönheyder, K., Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirt- 
schaft. S. 577. 

Stolzmann, Rudolf, Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorga- 
nischen Methode. S. 145. 

Tiburtius, Joachim, Der Begriff des Bedürfnisses. Seine psychologische Grund- 
lage und seine Bedeutung für die Wirtschaftswissenschaft. S. 721. 


II. Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Bendix, L. u. Jastrow, J., Die amerikanische Bankreform. S. 599. 

Gesetzgebung, Die wirtschaftliche, Preußens im Jahre 1913. S. 52. 

Stöwesand, Walther, Die wirtschaftliche Gesetzgebung der kleineren deutschen 
Bundesstaaten im Jahre 1913. 8. 324. 

— —, Die wirtschaftliche Gesetzgebung Oesterreichs. S. 464. 


III. Miszellen. 


Berger, Karl, Die Muttersprache der ausländischen weißen Bevölkerung der Ver- 
einigten Staaten von Nordamerika. S. 483. 

Dietrich, Rud., Zur Ordnung unserer Wissenschaft. S. 390. 

Földes, Béla, Nachtrag zu der Abhandlung: Bemerkungen zu dem Problem Lorenz 
Stein—Karl Marx (3. Folge Bd. 47 S. 289). S. 820. 

Hoffmann, Walter, Die geschichtliche Entwicklung des Depositenkassenwesens in 
Deutschland. S. 802. 

Jaeckel, Reinhold, Die Geburten-, Heirats-, Sterbe- und Geburtenüberschußziffern 
in den hauptsächlichsten Kulturstaaten der Welt 1801—1911. 8. 86. 

Kesten-Conrad, Else, Jahresbericht des Kgl. Württembergischen Landeswohnungs- 
inspektors für die Jahre 1911 und 1912. 8. 817. 

Kobatsch, Rud., Der Streit um die Weltwirtschaftsiehre. S. 486. 

Koch, P., Zur Gewinnbeteiligung der Arbeiter. S. 469. 

Köppe, H., Die Tarifverträge im Deutschen Reiche am Ende des Jahres 1912. 8. 382, 

Lehmann, Artur, Die Hauptwerte und ihre Verwendung in der Preisstatistik. S. 495. 

Müller, Ernst, Ueber die Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich Bayern. 8. 791. 


— —, Einige wesentliche Ergebnisse der ersten Veranlagung zur bayerischen all- 

‚gemeinen Einkommensteuer. S. 506. 

‚Müller, Johannes, Der Personenverkehr in Berlin und Paris. S. 397. 

Plitzner, Bemerkungen zu der Streitfrage: Ist die Statistik eine Methode oder eine 
Wissenschaft? S. 640. 

Schwarzwald, H., Das chinesische Geldwesen und seine Neugestaltung. 8. 60. 

Tan, A., Die statistische Beobachtung des Wohnungsbedarfs der Eheschließenden. 

Strehlow, Die Grundsteuer nach dem gemeinen Wert. S. 501. 

— —, Die Industriebezirke und Industriegemeinden. $S. 809. 

Syru P, Friedrich, Die Arbeitszeit in der Großeisenindustrie. Bearbeitet nach den 
Jahresberichten der Königl. Preuß. Regierungs- und Gewerberäte für 1913. S. 193. 

Uhl, K., Die Bedeutung und bisherigen Erfolge der deutschen Ueberlandzentralen. 8. 652. 

Viehstandes, Die Entwicklung des — während der letzten Dezennien in den hauptsäch- 
Debaten Staaten Europas. S. 649. 


IV Inhalt, 


Waentig, Heinr., Die japanische Statistik als wissenschaftliches Quellenmaterial. S. 244. 

Derselbe, Erklärung. 8. 261. 

v. Wiese, L., Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologentages (vom 20.—22. Ok- 
tober 1912 in Berlin). 8. 373. 

Winkelmann, Käte, Wohnungsfürsorge in England. 8. 344. 

Zusammenfassende Uebersicht der (5) Zweimonatsbilanzen und der Jahresschlußbilanzen 
inländischer Kreditbanken nebst Deckungsziffern für das Jahr 1913. 8. 225. 


IV. Literatur. 
a) Berichte und Sammelreferate. 

Bächtold, H., Der norddeutsche Handel im 12. und beginnenden 13. Jahrhundert. 
(Karl Heldmann.) 8. 667. 

Elster, Alexander, Kinoliteratur (Sammelreferat). 8. 821. 

Helander, Sven, Von der Diskontpolitik zur Herrschaft über den Geldmarkt $S. 673. 

Hoetzsch, Otto, Rußland. Eine Einführung auf Grund seiner Geschichte von 1904 
—1913. (Th. H. Pantenius.) S. 511. 

Klein, Franz, Justizminister a. D., Die wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen des 
Rechtes der Erwerbsgesellschaften. (Paul Rehme.) S. 91. 

Verhandlungen des ständigen Arbeitsbeirates über den Entwurf eines Gesetzes betr. die 
Regelung der Arbeitsverhältnisse in der Heimarbeit. (P. Arndt.) 8. 262. 


b) Rezensierte Schriften. 


Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert. 
Hrsg. von der Kgl. Akademie der Wissenschaften. (K. Heldmann.) 8. 686. 

1) Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preußens im 18. Jahr- 
hundert. V. Bd. 2. Hälfte: Akten vom 4. Januar 1736 bis 31. Mai 1740, bearb. 
von G. Schmoller und W. Stolze. 

2) Die einzelnen Gebiete der Verwaltung. Getreidehandelspolitik. III. Bd. Die Ge- 
treidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung Preußens 1740—1756. Darstellung 
und Getreidepreisstatistik von W. Naudé und A. Skalweit. Akten bearb. von 
G. Schmoller, W. Naud& und A. Skalweit. 

3) — — — Münzwesen. IL.—IV. Bd. Das Preußische Münzwesen im 18. Jahrhundert. 
Münzgeschichtlicher Teil. Darstellung von Fr. Frhr. v. Schrötter. Akten bearb. 
von G. Schmoller und Fr. Frhr. v. Schrötter. 

4) — — — Handels-, Zoll- und Akzisepolitik. I. Bd. Die Handels-, Zoll- und Ak- 
zisepolitik Brandenburg-Preußens bis 1713. Darstellung von H. Rachel. Mit einer 
Karte des mittleren Staatsgebiets. 

Ansiedlung, die, von Europäern in den Tropen. 2. Bd. Mit Beiträgen von Prof. Dr. 
Karl Sapper, Prof. Dr. van Blom und Dr. J. A. Nederburgh: Mittelamerika, Kleine 
Antillen, Niederländisch-West- und Ostindien. (Golf.) 8. 101. 

Arnold, Ernst Günther, Untersuchungen über die Diskontierung von Buchforde- 
rungen und ihre volkswirtschaftl. Bedeutung in Deutschland. (Hans Crüger.) S. 699. 

Bauer, Friedrich, Das Wollgewerbe von Eßlingen bis zum Ende des 17. Jahrhun- 
derts. (Abhandl. zur mittleren und neueren Geschichte) (Gustav Aubin.) 8. 530. 

Bernhard, E., Die Vergebung der öffentlichen Arbeiten in Deutschland im Kampf 
gegen die Arbeitslosigkeit. (Schriften der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung 
der Arbeitslosigkeit, Heft 1.) (E. Schwiedland.) S. 123. 

Boerner, A., Kölner Tabakhandel und Tabakgewerbe. 1628—1910. (Veröffentlichungen 
des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs in Köln, Bd. 2.) (Kuske.) S. 692. 

Borchard, Kurt, Die Wirkung der Getreidezölle auf die Getreidepreise; mit einem 
Anhang: Die Gregory-Kingsche Regel. (Leonhard.) 8. 407. 

Bücher, Karl, Die Berufe der Stadt Frankfurt a. M. im Mittelalter. (Abhandlungen 
der philologisch-historischen Klasse der Königl. Sächsischen Gesellschaft der Wissen- 
schaften. 30. Bd.) (Gustav Aubin.) BR 689. 

Buchforderungseskomptes, DieKosten des—. Hrsg. von der Evidenzzentrale 
für den Eskompte offener Buchforderungen in Wien. (Hans Crüger.) 8. 701. 

Buchforderungseskomptes, Zur Kritik des —. Ein Vortrag, gehalten im 
Wiener Kaufmännischen Verein am 21. April 1914 von Dr. Max Sokal, Sekretär der 
Evidenzzentrale für den Eskompte offener Buchforderungen in Wien. (Hans Crüger.) 
8. 701. 


Inhalt, v 


Cahn, Julius, Münz- und Geldgeschichte der im Großherzogtum Baden vereinigten 
Gebiete. Herausgeg. von der Badischen Historischen Kommission. I. Teil: Münz- 
und Geldgeschichte von Konstanz und des Bodenseegebietes im Mittelalter bis zum 
Reichsmünzgesetz von 1559. Mit 10 Tafeln und 1 Karte. (Karl Bräuer.) 8.115. 

Carver, Thomas-Nixon, La répartition des richesses. Traduit par Roger Picard. 
Bibliothèque internationale d’&conomie politique. (R. Liefmann.) 8. 682. 

Conrad, J., Grundriß zum Studium der politischen Oekonomie. Forts. des 4. Teils: 
Gewerbestatistik. Von A. Hesse. 2. Aufl. (A. Hesse.) 8. 525. 

Corn&lissen, Christian, Théorie de la valeur avec une röfutation des théories de 
Rodbertus, Karl Marx, Stanley Jevons et Böhm-Bawerk. (Otto Conrad.) 8. 95. 


Denkschrift zu dem technischen Entwurf einer Main-Donau-Wasserstraße mit Anschluß 
der Städte München und Augsburg, bearbeitet von Theodor Gebhardt, verlegt von 
dem Verein f. Hebung d. Fluß- u. Kanalschiffahrt in Bayern. (Paul Ritter.) S. 412. 

Dewavrin und Lecarpentier, La Protection légale des travailleurs aux Etats-Unis 
avec exposé comparatif de la Législation française. (H. Köppe.) S. 286. 

Dittmer, Hans, Depositenbanken eines Agrarlandes. Eine vergleichende Untersuchung 
der Banken Mecklenburgs. (Archiv für exakte Wirtschaftsforschung, 10. Heft.) 
(H. Hilbert.) S. 415. 

Dorno, Friedrich, Der Fläming und die Herrschaft Wiesenburg. Agrar-historische 
Studien aus den nördlichen Aemtern des sächsischen Kurkreises. (Schmollers For- 
schungen) (Gustav Aubin.) 8. 531. 

Eickemeyer, W., Zur Frage der zweiten Hypothek beim privaten großstädtischen 
Wohnhausbau und -besitz in Deutschland. Tübinger Staatswissenschaftliche Abhand- 
lungen. (H. Meltzer.) 8. 702. 

Elewyck, Ernest van, La Banque Nationale de Belgique. Les Théories et les 
Faits. 2 Teile. (Sven Helander.) S. 111. 


Ewald, Walther, Soziale Medizin. Ein Lehrbuch für Aerzte, Studierende, Medizinal- 
und Verwaltungsbeamte, Sozialpolitiker, Behörden und Kommunen. (Alexander 
Elster.) S. 295. 

Festgabe zum 60. Geburtstage des Herrn Geheimen Justizrats Prof. Dr. Rießer. (J.C.) S. 95. 

Fischer, Alfons, Ein sozialhygienischer Gesetzentwurf aus dem Jahre 1800, ein 
Vorbild für die Gegenwart. (Alexander Elster.) S. 849. 

Forberger (Pastor), Joh., Moralstatistik Süddeutschlands. (Ernst Müller.) S. 572. 


Frankfurter Amts- und Zunfturkunden bis zum Jahre 1612. Hrsg. von Karl Bücher 
und Benno Schmidt. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Stadt 
Frankfurt a. M.). (Gustav Aubin.) S. 689. 

gek Dr. Käte, Die Heimarbeit, das jüngste Problem des Arbeitsschutzes. (H. Kö ppe.) 

. 557. 

Gini, G., Variabilità e MutabilitA. Contributo allo studio delle distribuzioni e delle 
relazioni statistiche. Fasc.-I. (W. Lexis ł) S. 403. 

YET Theodore W., The government of american trade unions. (H. Köppe.) 

. 419. 

Grass], Der Geburtenrückgang in Deutschland, seine Ursachen und seine Bekäm- 
pfung. (Sammlung Kösel, Bändchen 71.) (Ernst Müller.) 8. 535. 

Groß, Lothar, Beiträge zur städtischen Vermögensstatistik des 14. und 15. Jahr- 
hunderts in Oesterreich (Forschungen zur inneren Geschichte Oesterreichs, hrsg. von 
A. Dopsch, Heft 10). (Gustav Aubin.) 8. 99. 

Haaß, Friedrich, Weltpostverein und Einheitsporto (Welt-Pennyporto). (Erwin 
Günther.) S. 109. 

Halbwachs, La classe ouvrière et les niveaux de vie. Recherches sur la hiérarchie 
des besoins dans les sociétés industrielles contemporaines. (H. Köppe.) S. 562. 

Haney, L. H., Business Organization and Combination. (R. Liefmann.) S. 521. 

Haret, Sp. C., Mécanique sociale. (W. Lexis +) S. 267. 

Heber, E. A., Japanische Industriearbeit. Eine wirtschafts-wissenschaftliche und kul- 
turhistorische Studie. (Ernst Grünfeld.) S. 409. 

Helfferich, Karl, Deutschlands Wohlstand 1888—1913. (J. Conrad.) S. 532. 

Hemmerle, E., Die Rheinländer und die preußische Verfassungsfrage auf dem ersten 
Vereinigten Landtag (1847). (Studien zur rheinischen Geschichte, herausg. von Dr. 
A. Ahn, 2. Heft.) (F. Hartung.) S. 130. 

Hennig, Richard, Die Hauptwege des Weltverkehrs. (Friedr. Hoffmann.) S. 694. 


NI Inhalt, 


Hersch, L., Le Juif errant d’aujourd’hui. Études sur l’&migration des Isra&lites de 
l’Europe orientale aux États-Unis de l’Am&rique du Nord. (Mombert.) S. 104. 
Hirsch, Julius, Die Filialbetriebe im Detailhandel unter hauptsächlicher Berück- 
sichtigung der kapitalistischen Massenfilialbetriebe in Deutschland und Belgien. 
(Kölner Studien zum Staats- und Wirtschaftsleben, Heft 1.) (Marcard.) S. 276. 

Hirsch, Max, Fruchtabtreibung und Präventivverkehr im Zusammenhang mit dem 
Geburtenrückgang. (Henr. Fürth.) S. 533. 

Jacob, Eduard, Volkswirtschaftliche Theorie der Genossenschaften. (Tübinger Staats- 
wissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von Carl Johannes Fuchs in Verbindung mit 
Ludwig Stephinger, Neue Folge Heft 1.) (Hans Schönitz.) S. 125. 

Jacobs, Paul, Die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel. (Walter 
Pinner.) 8. 844. 

Jahrbuch für Verkehrswissenschaften. Hrsg. von F. Peitgen. Schriftleitung Adolf Goetz, 
Hamburg. Schleswig, J. Ibbeken. (Paul Ritter.) S. 548. 

Jenny, J., Der Teilbau, nebst der Monographie eines Teilbaugroßbetriebes in Rußland 
aus der Zeit von 1891—1910. (Leonhard.) S. 538. 

Industrie, Die deutsche —. Festgabe zum 25-jährigen Regierungsjubiläum S. Majestät 
des Kaisers und Königs Wilhelm II. Dargebracht von Industriellen Deutschlands 
1913. (M. Rusch.) S. 545. 

Käding, Emil, Beiträge zur preußischen Finanzpolitik in den Rheinlanden während 
der Jahre 1815—40. (Studien zur rheinischen Geschichte. 8. Heft.) (Gustav 
Aubin.) S. 282. 

Kaiser, Carl, Die Wirkungen des Handwerkergesetzes in Württemberg und Baden. 
(Tübinger Staatswissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von Carl Johannes Fuchs, 
4. Heft) (Erhard Schmidt.) S. 543. 

Kleemann, Kurt, Die Sozialpolitik der Reichs- Post- und Telegraphenverwaltung 
gegenüber ihren Beamten, Unterbeamten und Arbeitern. (Abhandlungen des Staats- 
wissenschaftlichen Seminars zu Jena, hrsg. von Prof. Dr. Pierstorff, Bd. 14, Heft 1.) 
(Erwin Günther.) S. 844. 

Knauth, Oswald Whitman, The policy of the United States towards Industrial 
Monopoly. Studies in history, economies and public law edited by the faculty of 
political science of Columbia University. (Robert Liefmann.) S. 539. 

Köhler, Walter, Die deutsche Nähmaschinenindustrie. (Zitzlaff.) S. 174. 

Krakauer, V., Ueber den gerechten Preis für Eisenbahnleistungen. (Ernst Müller.) 
8. 279. 

Kuczynski, R., Arbeitslohn und Arbeitszeit in Europa und Amerika 1870—1901. 
(H. Herkner.) S. 708. 

Lachmann, Karl, Die Unfallverhütung in der Baumwollspinnerei, ihre Entwicklung, 
Wirtschaftlichkeit und Erfolge. (Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen 
Hochschulen. Neue Folge Heft 23.) (Schultze.) 8. 123. 

Lederle, K., Die Lebensversicherung, unter besonderer Berücksichtigung ihrer recht- 
lichen Beziehungen zum ehelichen Güterrecht, Erb- und Konkursrecht, sowie ihrer 
Besteuerung. (H. Meltzer.) S. 284. 

de Leener, G., La politique des transports en Belgique. (A. e, der Leyen.) 8.549. 

Madelung, Ernst, Die Entwicklung der deutschen Portland-Zement-Industrie von 
ihren Anfängen bis zur Gegenwart, mit besonderer Berücksichtigung der Kartelle. 
(Richard Passow.) S. 546. 

Mamroth, Karl, Gewerblicher Konstitutionalismus. Die Arbeitstarifverträge in ihrer 
volkswirtschaftlichen und sozialen Bedeutung. (H. Köppe.) S. 704. 

Mann, Fritz Karl, Der Marschall Vauban und die Volkswirtschaftslehre des Ab- 
solutismus. Eine Kritik des Merkantilsystems. (Axel Nielsen.) S. 684. 

Marschall von Bieberstein, Freih., Landrat des Unterwesterwaldkreises, Die Spar- 
pflicht für Minderjährige und die Wohnungsfrage. (Dr. Else Kesten-Conrad.) S. 565. 

Meyer, Paul, Die Notstandsarbeiten und ihre Probleme. (J. Conrad.) 8. 289. 

Michels, Robert, Probleme der Sozialphilosophie. („Wissenschaft und Hypothese“, 
Bd. 18.) (Karl Pribram.) 8. 268. 

Misselwitz, Alfred, Die Entwicklung des Gewerbes in Halle a. S. während des 
19. Jahrhunderts. (68. Bd. der „Sammlung nationalökonomischer und statistischer 
Abhandlungen des Staatswissenschaftlichen Seminars zu Halle a. S., hrsg. von Prof. 
Dr. Joh. Conrad.) (Kurt Krüger.) S. 106. 


Inhalt. VU 


Mitteilungen des Statistischen Landesamtes des Königreiches Böhmen, Bd. XVIII, 
Heft 2: Anbau- und Erntestatistik, sowie Statistik der wichtigsten Zweige der land- 
wirtschaftlichen Industrie im Königreiche Böhmen für die Betriebsperiode 1911/12. 
Erster Teil: Text. Deutsche Ausgabe, (Thieme.) S. 293. 

Moheau, Recherches et Considerations sur la Population de la France 1778. Col- 
lection des Economistes et des R&formateurs sociaux de la France. Publié avec in- 
troduction et table analytique par René Gonnard, Professeur d’histoire des doctrines 
économiques et d’économie politique à la Faculté de Droit de PUniversité de Lyon. 
(A. Günther.) S. 516. 

Moses, Robert, The Civil Service of Great Britain. Studies in History, Economics 
and Public Law, edited by the Faculty of Political Science of Columbia University. 
(Köllreuter.) S. 567. 

Norton, Thomas H., Die chemische Industrie in Belgien, Holland, Norwegen und 
Schweden. Ins Deutsche übertragen und ergänzt von H. Großmann. (Richard 
Passow.) 8. 107. 

Oftergeld, Wilhelm, Dr. iur. et phil., Grundlagen und Ursachen der industriellen 
Entwicklung Ungarns.. Nebst einem Anhange über die wirtschaftswissenschaftliche 
Literatur Ungarns. Probleme des Instituts für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der 
Univ. Kiel, hrsg. von Prof. Dr. Bernh. Harms. Bd. 17. (B. F.) S. 838. 

Oesterreichische Weistümer, 10. Bd., Steirische Taidinge (Nachträge), Im Auftrage der 
Kaiser), Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Anton Mell und Eugen Frei- 
herrn v. Müller. (Hermann Aubin.) S. 100. 

Osborne, Algernon Ashburner, Speculation on the New York Stoek Exchange, 
September 1904—March 1907. (v. Reibnitz.) S. 557. 

Perlick, A., Die Luftstickstoffindustrie in ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung. 
(P. Holdefleiß.) 8. 542. d 

Perlmann, Louis, Die Bewegung der Weizenpreise und ihre Ursachen. (J.C.) S. 274. 

Pöller, Richard, Die Gefahren des Bergbaues und die Grubenkontrolle im Ruhr- 
revier., (Schrader.) S. 271. 

Praxis, Die der kommunalen und sozialen Verwaltung. II. Kursus: Die neuen Auf- 
gaben der Sozialversicherung in der Praxis. (J. Conrad.) S. 846. 

Rechtsfragen des Arbeitstarifvertrags: 1. Haftung. — Abdingbarkeit, von Prof. Dr. W. 
Zimmermann. 2. Brauchen wir ein Arbeitstarifgesetz? von Rechtsanwalt Dr. Hugo 
Sinzheimer. (Heft 42/43 und Heft 44 der Schriften der Gesellschaft für soziale Re- 
form.) (H. Köppe.) S. 120. 

Reinhardt, E., Die Kupferversorgung Deutschlands und die Entwicklung der deut- 
schen Kupferbörsen. .(Schrader.) S. 537. 

Both, Paul, Die Neuen Zeitungen in Deutschland im 15. und 16. Jahrhundert. 
(Preisschriften der Fürstlich Jablonowskischen Gesellschaft zu Leipzig, Bd. 43.) 
(Alexander Elster.) S. 405. 

Salin, Edgar, Die wirtschaftliche Entwicklung von Alaska (und Yukon Territory); 
ein Beitrag zur Geschichte und Theorie der Konzentrationsbewegung. Erg.-Heft XII 
zum Arch. f. Sozialwissenschaft u. Sozialpolitik. (Robert Liefmann.) S. 832. 

an Hermann, Das Eisenbahnwesen in der asiatischen Türkei. (Paul Ritter.) 
. 546. 

Schmidt, O., Die Reichseinnahmen Ruprechts von der Pfalz. (Leipziger Historische 
Abhandlungen, hrsg. von E. Brandenburg, G. Seeliger, U. Wilcken, Heft 30.) 
(F. Hartung.) S. 533. 

Schneider, Oswald, Bismarcks Finanz- und Wirtschaftspolitik. (Staats- und sozial- 
wissenschaftliche Forschungen, hrsg. von Schmoller und Sering, Heft 166.) (Georg 
Brodnitz.) S. 269. 

Schrameier, W., Aus Kiautschous Verwaltung. Die Land-, Steuer- und Zollpolitik 
des Kiautschougebietes. (Ernst Grünfeld.) S. 537. 

Simkhovitch, Vladimir G., Marxism versus socialism. (Ernst Grünfeld.) S. 681. 

— —, Marxismus gegen Sozialismus. Uebers. von Th. Jappe. (Ernst Grün- 
feld.) 8. 681. 

Sowers, Don C., Professor of Municipalities, The financial history of New York State 
from 1789 to 1912. (W. D. Preyer.) S. 551. 

Statistisches Handbuch des Königreiches Böhmen; II. Ausgabe (Deutsche Ausgabe). Zu- 
sammengest. vom Statist. Landesbureau des Königreiches Böhmen S. 293. 


VIII Inhalt, 


Statistisches Jahrbuch für das Königreich Bayern. 1913, Jahrg. 12. (J. Conrad.) 
8. 572. 

Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Jahrg. 34, 1913. (J. Conrad.) 
S. 848. 

Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat. 1913, Bd. 11. (J. Conrad.) 
8. 425. 

Statistische Rückblicke aus Oesterreich. (Ernst Grünfeld.) S. 134. 

Straus, Walter, Die deutschen Ueberlandzentralen und ihre wirtschaftliche Bedeutung 
als Kraftquelle für den Kleinbetrieb in Landwirtschaft und Gewerbe. (K. Uhl.) S. 544. 

Timpe, Die Organisation des Magdeburger Zuckerhandels. S. 842. 

Trautwein, Carl, Ueber Ferdinand Lassalle und sein Verhältnis zur Fichteschen 
Sozialphilosophie. (Karl Pribram.) S. 524. 

Uhlich, Theodor, Die Vorgeschichte des Sächsischen Eisenbahnwesens. (Abhandl, 
aus dem volkswirtschaftlichen Seminar der Technischen Hochschule zu Dresden. 
6. Heft.) (Paul Ritter.) S. 280. 

Ungarische Statistische Mitteilungen, Bd. 31: Entwicklung des Volksunterrichtswesens 
der Länder der ungarischen heiligen Krone. — Bd. 41: Viehbestand in den Ländern 
der ungarischen heiligen Krone. Nach dem Stand vom 28. Februar 1911. — Bd. 45: 
Die Schiffahrt und Warenbewegung im Hafen von Fiume. (J. Conrad.) 8. 714. 

Vandervelde, Emil, Neutrale und sozialistische Genossenschaftsbewegung. Uebersetzt 

: von H. Gernsheimer-Hertz. (Ernst Grünfeld.) 8. 711. 

Versicherungsbibliothek, hrsg. von Prof. Dr. Alfred Manes, Berlin. 1. Band: Versiche- 
rungsbuchführung, von Mathematiker Joseph Koburger; 2. Band: Die Feuerversiche- 
rung, von Justizrat Dr. Karl Domizlaff, Direktor der Concordia, Hannoverschen 
Feuerversicherungsgesellschaft A.-G. in Hannover. (Leuckfeld.) S. 553. 

Wagemann, Arnold, Wesen und Technik der heutigen Wirtschaftskämpfe. 
(K. Marcard t) S. 828. 

Wassermann, L. u. R., Das Branntweinsteuergesetz vom 15. Juli 1909, in der Fas- 
sung des Gesetzes vom 14. Juni 1912. (C. Briefs.) S. 712. 

Weber, M. gegen Sander, P., Erklärung der rechts- und staatsw. Fakultät der 
deutschen Universität Prag. S. 144. 

Weissbarth, Alfr., Das Dekaturgewerbe und seine Kartellierungsbestrebungen. Zur 
Frage der Monopolfähigkeit von Industrien. (Rob. Liefmann.) S. 836. 

Wohlgemut, Marta, Die Bäuerin in zwei badischen Gemeinden. (Volkswirtschaftl. 
Abhandl. d. badischen Hochschulen, Neue Folge Heft 20.) (Auguste Lange.) 8. 103. 

Wölfel, F., Der Handlungsreisende. Eine wirtschaftsgeschichtliche Studie. (Ernst 
Müller.) S. 550. 

Wright, Chester Whitney Ph. D., Wool growing and the Tariff, a study in the 
economic history of the United States. (A. Golf.) S. 527. 

Zürn, Walther, Die deutsche Zündholzindustrie. (Zeitschr. f. d. ges. Staatswissen- 
schaft, Erg.-Heft 47.) (Richard Passow.) S. 411. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des 
Auslandes. Ss. 95. 267. 403. 516. 681. 828. 


Die periodische Presse des Auslandes. 8S. 135. 296. 427. 573. 716. 852. 
Die periodische Presse Deutschlands. Ss. 138. 299. 429. 574. 717. 853. 


Volkswirtschaftliche Chronik. 1814. Mai: S. 325. Juni: 8. 397. Juli: 8. 477. 
August: S. 545. September: S. 609. Oktober: S. 687. 


ArthurFriedmann, Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 1 


I 


Die Wohlstandsentwicklung in Preussen 
von 1891—1911. 


Von 
Dr. Arthur Friedmann. 


Die Höhe des Volkseinkommens läßt sich einigermaßen nach den 
Ergebnissen der Einkommensteuerveranlagung beurteilen. Um je- 
doch eiu zutreffendes Bild von dem Wohlstande der Bevölkerung 
zu gewinnen, ist neben der Ermittlung des nominellen Einkommens 
die Berücksichtigung der jeweiligen Kaufkraft des Geldes erforder- 
lich. Wir werden daher bei der Untersuchung der Wohlstandsent- 
wicklung in Preußen von 1891—1911 zuerst die Zunahme 
des durchschnittlichen Nominaleinkommens feststellen, um dann 
auf Grund einer Betrachtung über die Aenderung des Geldwertes 
die Steigerung des Realeinkommens zu ermitteln. Es wird we- 
niger Gewicht darauf gelegt werden, die absolute Höhe des Durch- 
schnittseinkommens in den einzelnen Jahren zu bestimmen, als die 
relative Steigerung desselben festzustellen. ` Die Darstellung wird 
sich vorerst auf die Betrachtung des Durchschnittseinkommens be- 
schränken; erst am Schlusse werden wir untersuchen, welchen An- 
teil die höheren und niederen Einkommen an der allgemeinen 
Wohlstandssteigerung hatten. Neben dem privaten Einkommen sollen 
auch die staatlichen Leistungen in den beiden Vergleichsjahren ihrem 
Umfange nach betrachtet werden. 


1. Die Steigerung des Nominaleinkommens. 


Wir beginnen mit der Angabe des in den Jahren 1892 und 1912 
veranlagten Einkommens. (Die Veranlagungsergebnisse dieser beiden 
Jahre haben im wesentlichen das Einkommen der Jahre 1891 und 
1911 zur Grundlage.) Im Anschluß daran bringen wir eine Berech- 
nung des steuerfreien, sowie des nicht veranlagten steuerpflichtigen 
(hinterzogenen) Einkommens. 

Das Einkommen der nichtsteuerpflichtigen Personen, besonders also der 
regierenden und vormals regierenden Fürsten, wird nicht berücksichtigt ; ebenso 
verzichten wir auf eine Darstellung der verhältnismäßig geringen Einkommens- 
teile, die der Besteuerung nicht unterliegen. (An Stelle der vom veranlagten 
Einkommen in Abzug gebrachten Beiträge für die Arbeiter- und Lebensver- 
sicherung werden später im Anschluß an die Aufwendungen der öffentlichen 
Körperschaften die Leistungen der Krankenkassen, Lebensversicherungsgesell- 
schaften ete. besonders behandelt.) t 

Nach der Veranlagung des Jahres 1892 betrug das Ge- 
samteinkommen der Zensiten mit einem Einkommen zwischen 
900 und 3000 M. 2912,0 Mill. M., das Gesamteinkommen der Zen- 
siten mit einem Einkommen von mehr als 3000 M. 2812,3 Mill. M. 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CIIN). 1 


2 Arthur Friedmann, 


Die entsprechenden Zahlen für das Jahr 1912 waren 8583,6 Mill. M. 
und 6656,2 Mill. M., zusammen 1892 5724,3 Mill. M., 1912 15 239,8 
Mill. M. 

Diesem Einkommen haben wir das Einkommen der steuer- 
befreiten Personen hinzuzurechnen und außerdem dasjenige Ein- 
kommen, um das die steuerermäßigten Personen zu niedrig ver- 
anlagt wurden. 

1892 waren insgesamt 8411000 Personen!), 1912 8159000 
Personen mit einem Einkommen von weniger als 900 M. steuerfrei. 

In Sachsen, wo 1892 noch die Einkommen bis herunter zu 
300 M., 1912 bis herunter zu 400 M. besteuert wurden, läßt sich 
eine ungefähre Berechnung des Durchschnittseinkommens der 
Personen mit weniger als 900 M. Einkommen durchführen. Das- 
selbe läßt sich 1892 auf 524 M., 1908 auf 568 M. schätzen 
(siehe besondere Berechnung Tabelle I und II). In Sachsen 


Tabelle I. 


Durchschnittseinkommen der Haushaltungsvorstände und Einzelsteuernden mit einem 
Einkommen von weniger als 900 M. in Sachsen 1892. 


D b | d | e(eXa) 


Zahl der Haushaltungs- N 
Einkommens- | vorstände bzw. Einzel- | Durchschnitts- Gesamt- 


gruppe steuernden in Tausend | einkommen | einkommen in 
(geschätzt) in Mark 1000 M. 
bis 300 M. 235 19 764 
300— 350 „ } 330 23 100 
350— 400 „ 378 42412 
400— 450 „, } 425 59 925 
450— 500 „ 475 66 785 
500— 550 „ } 520 46 800 
550— 600 „ 575 42 608 
600— 650 ,„ } 625 41 125 
650— 700 „ 675 40 500 
700— 750 „ } 725 42 050 
750— 800 „ 775 44.640 
800— 850 „ 825 40012 
850— 900 „ 875 37 188 
„900— 950 ,„ Summe 546 909 
950— 1000 HI ) 
1000—1050 ,, 
1050—1100 , 
1100—1150 , ) 
1150—1200 , 
1200—1250 , 


Zahl der Zensiten mit einem Einkommen unter 900 M. 1044 400. 
Durchschnittseinkommen 524 M. 


1) Für das Jahr 1892 wurde nur die Summe der Einkommensteuerfreien 
einschließlich der Angehörigen gezählt. Die Zahl der einkommensteuerfreien 
Einzelsteuernden und Haushaltungsvorstände wurde hier nach dem Verhältnis der 
Zahl dieser Personen zur Gesamtzahl der einkommensteuerfreien Bevölkerung im 
Jahre 1895 errechnet. 

2) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen auf das Jahr 1894. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 3 


Tabelle II. 


Durchschnittseinkommen der Haushaltungsvorstände und Einzelsteuernden mit einem 
Einkommen von weniger als 900 M. in Sachsen 1908. 


a. b. | c. d. e. 


Zahl der Haushaltungs- e 
Einkommens- | vorstände bzw. Einzel- | Durchschnitts-) Gesamt- 


gruppe steuernden in Tausend | einkommen | einkommen in 
| (geschätzt) in Mark 1000 M. 
i . 61,8 255 15 759 
e => mm 191,8®) > SCH 14 u 
erg » 0 3 32 300 
400— 450 „ 250,9 130,0 425 55 250 
450— 500 „ 120,9 475 57 428 
500— 550 „, 118,2 525 62 055 
550— 600 2 } 232,2 114,0 575 65 550 
600— 650 „, iia 81,1 625 50 687 
650— 700 , ’ 80,0 675 54 000 
700— 750 „ } 156,8 79,0 725 57 275 
750— 800 „ ? 77,2 775 59 830 
800— 850 „ 79,0 825 57 750 
850— 900 „, 202,2 68,0 875 59 500 
Soe 950 „ SC Summe 642 234 
950—1000 , ‚9 
1000— 1050 A 186,9 62,5 
1050—1100 ,„ 60,5 
1I00—I150 , 55,0 
1150—1200 , 147,6 49,6 
1200—1250 » 43,0 


Zahl der Zensiten mit einem Einkommen unter 900 M. 1 130 200. 
Durchschnittseinkommen 568,25 M. 


werden aber mehr erwerbstätige Familienmitglieder als in Preußen 
gesondert gezählt, mitverdienende Ehefrauen werden einzeln ver- 
anlagt. Bei einer gleichen Berechnung des Einkommens wie in 
Preußen würde sich das Durchschnittseinkommen etwas höher stellen. 
Berücksichtigt man in Sachsen allein die Haushaltungsvorstände 
und rechnet ihrem Einkommen das Einkommen der Familienange- 
hörigen hinzu, so ergibt sich für die Einkommen unter 900 M. 
1308 ein Durchschnittseinkommen von 617 M. (siehe Tabelle III). 
Hierbei ist nun wiederum das Einkommen sämtlicher erwerbs- 
tätiger Familienmitglieder, auch derjenigen, die in Preußen gesondert 

teuert würden, dem Einkommen des Haushaltungsvorstandes hin- 
Zugezählt, außerdem ist das Einkommen der Haushaltungsvorstände 
auch ohne Hinzurechnung des Einkommens miterwerbender Familien- 
angehöriger sicher höher als das Einkommen alleinstehender Per- 
sonen, so daß das Durchschnittseinkommen der Zensiten mit weniger 
als 900 M. Einkommen in Sachsen 1908, bei einer gleichen Berech- 
nungsart wie in Preußen, 568 M. wahrscheinlich näher als 617 M. 


eessen 
3) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen, 38. Jahrg., 1910, 8.198. 
1* 


4 Arthur Friedmann, 


Tabelle III. 
Berechnung des Durchschnittseinkommens der Haushaltungsvorstände mit einem Ein- 
kommen von weniger als 900 M. in Sachsen 1908 bei Hinzurechnung des Einkommens 
der Familienangehörigen zu dem Einkommen des Haushaltungsvorstandes. 


d. e. 


Zahl der Haushaltungs- | Durchschnitts-| Gesamt- 
vorstände in Tausend | einkommen | einkommen in 


| geschätzt) in Mark 1000 M. 


Einkommens- 
gruppe 


bis 300 M. 
300— 350 » 
350— 400 , 
400— 450 „ \ 
450— 500 n 
500— 550 „ } 
550— 600 „ 
600— 650 , 
650— 700 nm 
700— 750 nm } 
750— 800 » 
800— 850 ,„ 
850— 900 „ 
900— 950 „ Summe 184 792 
950—1000 „, 34,4 
1000—1050 „ 103,5 34,5 
1050—1100 , 34,6 
1100—II5O „, 33,0 
1150—1200 ,, 94,8 31,6 
1200—1250 , 30,2 


Zahl der Hanshaltungsvorstände mit einem Einkommen unter 900 M. 299 400. 
Durchschnittseinkommen 617 M. 


kommt. Wir schätzen danach für die sächsischen Einkommen unter 
900 M. 1908 ein Durchschnittseinkommen von 583 M., für das Jahr 
1892 bei einer entsprechenden Korrektur der oben angegebenen Zahl 
538 M. 

In Preußen ist das Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölke- 
rung geringer als in Sachsen, 1892 26%, 1911 (gegen Preußen 1912) 
230) (siehe weiter unten). Da das preußische Durchschnittsein- 
kommen des Jahres 1912 dem sächsischen Durchschnittseinkommen 
des Jahres 1892 etwas näher als dem Durchschnittseinkommen des 
Jahres 1911 kommt (S. 11), kann man annehmen, daß der Durch- 
schnittsbetrag der preußischen Einkommen unter 900 M. 1912 etwa 
die Mitte zwischen dem Durchschnittsbetrag der sächsischen Ein- 
kommen unter 900 M. in den Jahren 1892 (538 M.) und 1908 
(583 M.) hält, also 561 M. beträgt. Wenn wir vom Jahre 1892 
bis zum Jahre 1912 für Preußen eine entsprechende Steigerung 
dieses Durchschnittseinkommens wie in Sachsen von 1892—1908 


4) Zeitschrift des Königlich Sächsischen Statistischen Landesamtes, 56. Jahr- 
gang, 2. Heft, S. 208, 1910. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 5 


vermuten, so erhalten wir als Durchschnittsbetrag der Einkommen 
unter 900 M. in Preußen 1892 504 M. 

Weiter ließe sich auf Grund der sächsischen Ergebnisse eine 
Schätzung der Durchschnittseinkommen unter 900 M. in Preußen 
noch auf folgende Weise durchführen: Das Verhältnis der Zensiten- 
zahl mit weniger als 900 M. Einkommen zu der Zensitenzahl mit 
einem Einkommen von 900—1050, 1050—1200 und 1200—1350 M. 
ist in Preußen 1892 etwas größer als in Sachsen (wobei in Sachsen 
eine größere Zahl Familienangehöriger als in Preußen gesondert ge- 
gezähit ist) und für Preußen 1912 nicht sehr viel geringer als für 
Sachsen 1908, so daß sich die Durchschnittshöhe der preußischen 
Einkommen unter 900 M. in den Jahren 1892 und 1912 nach einem 
Vergleich mit den entsprechenden sächsischen Ziffern für 1892 und 
1908 ungefähr abschätzen läßt. Wir erhalten so für das Jahr 1892 
520 M., für das Jahr 1912 585 M. (siehe die Berechnung Ta- 
belle IV). Da die frühere Schätzung die Werte 504 und 561 ergab, 
wollen wir den Durchschnittsbetrag der Einkommen unter 900 M. 
In Preußen für das Jahr 1892 zu 512 M., für das Jahr 1912 zu 
373 M. veranschlagen. Unter dieser Voraussetzung erhalten wir als 

samteinkommen der Personen mit einem Einkommen von weniger 
als 900 M. 

1892 8381000 Personen mit einem durchschn. Eink. von 512 M. = 4291,1 Mill. M. 
1912 8 159 000 D D nm nm nm » 5733M. = 4675,1 Mill. M. 

Wir haben nun weiter das Einkommen derjenigen Personen zu 

berücksichtigen, die bei einem Einkommen über 900 M. wegen 
ener größeren Zahl versorgungsberechtigter Angehöriger oder aus 
anderen Gründen steuerbefreit waren. 

~ Die Zahl derer, die auf Grund einer größeren Kinderzahl nach 
x18 der damaligen Fassung des Gesetzes freigestellt waren, be- 
' trug 1892 nur 154600. Es wurde damals nur um eine Stufe ermäßigt 
das Einkommen der steuerbefreiten Personen läßt sich also auf 
95 M. pro Kopf veranschlagen, das Gesamteinkommen mithin auf 
151 Mil.M.— Dagegen wurden 1912 auf Grund der veränderten Ge- 
sttzgebung von 1909 (nach § 19 des neuen Gesetzes) sehr viel mehr 

trsonen freigestellt und zwar 608000. Da nach der Gesetzgebung 
von 1909 Steuerpflichtige mit mehr als 3000 M. Einkommen bei 
2 versorgungsberechtigten Familienangehörigen um 1 Stufe, bei 3 
ud 4 Angehörigen um 2 Stufen, bei 5 und 6 um 3 Stufen etc. 
tmäßigt wurden, so läßt sich auf Grund der Angaben, wie oft Per- 
‘onen wegen 2, wegen 3 und 4 etc. Kinder ermäßigt oder frei- 
gestellt wurden (siehe Tabelle V) unter Berücksichtigung der Stärke 
der einzelnen Einkommensgruppen berechnen, daß von den 608000 
freigestellten Personen 362500 um 1 Stufe, 195000 um 2 Stufen, 
4200 um 3 Stufen und 6200 um 4 Stufen ermäßigt sind. Wenn 
Hr für die um 1 Stufe Ermäßigten ein Durchschnittseinkommen von 
75 M., für die um 2 Stufen Ermäßigten ein Durchschnittsein- 
Ommen von 1125 M. usf. annehmen, so erhalten wir als Gesamt- 
tinkommen der Freigestellten 638 Mill. M. (und ein Durchschnitts- 
inkommen von 1049 M.). 


6 Arthur Friedmann, 


Tabelle 


Berechnung des Durchschnittseinkommens der Personen mit 


Verhältnis der Zensitenzahl mit einem Einkommen von 1200—1350 M., 1050—1200 
in Preußen und Sachsen. 


Sachsen 18925) Peußen 1892’) 


Verbält- Zahl der Zensiten Verbält- 
niszahlen niszahlen 
u. EICHE 
SS An FR SEIFE 
Einkommens- Zahl der 5 ZP S Einkommens- | > s E 3 SR gE Ké S 
Zensiten |M © S PRADES 
gruppe u ES gj gruppe sẹ |a apon Ea g 
Stog os ä3823°%303 
SEL 33 EREES es: 
JanS Sg IB ee B 
(geschätzt) | S 34 * f BEBSISaE“ 
unter 800 M. 19531953 
800— 850 „, | 9 | oss 100 unter 900 M. | 8381 8381 100 
850— 900 „ (Iran 43 
900— 950 „ | 35 | 
950—1000 „ 31 94 8,99 | 900—1050 „ | 659 709 8,46 
1000—1050 „ 84| 28 
1050—1100 „, 25 
I100--I150 „ | | 65| 621 | 1050—ı1200 „| 437 470 5,61 
1150—1200 „, 57| 19 
1200—1250 „ | 17 
1250—1300 „ | d 42| 4,02 |1200—ı350 „| 235 253 3,02 
1300—1350 „ 35| r1 
1350—1400 „, J 10 
Durchschnittseinkommen der Zensiten mit | Durchschnittseinkommen der Zensiten mit 
einem Einkommen unter 900 M: 523 M. einem Einkommen unter 900 M. (nach 
(siehe Tabelle I). den sächsischen Zahlen geschätzt): 520 M. 


Die Zahl der nach § 18 resp. 19 des Einkommensteuergesetzes 
ermäßigten Personen war 1912 ebenfalls erheblich höher als 1892 
und zugleich wurde 1912 durchschnittlich um einen höheren Betrag 
als 1892 ermäßigt. 1892 kamen nur 543000 Personen in Frage, die 
allesamt nur um 1 Stufe, durchschnittlich vielleicht um 170 M. er- 
mäßigt wurden, zusammen also um einen Einkommensbetrag von ca. 
90 Mill. M. Hingegen wurde 1912 diese Vergünstigung 2018000 Per- 
sonen mit einem Einkommen zwischen 1050 und 6500 M. und 18000 
Personen mit einem Einkommen zwischen 6500 und 9500 M. zuteil. 
Das nicht veranlagte Einkommen der ermäßigten Zensiten mit einem 
Einkommen unter 3000 M. läßt sich auf 407,6 Mill. M., das nicht 
veranlagte Einkommen der Zensiten mit einem Einkommen von 
3000—6500 M. auf 120,5 Mill. M. schätzen (siehe die Berechnung 
Tabelle VI und VII). 


5 5) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen auf das Jabr 1904, 
. 106. 

6) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen, 1910, S. 128. 

7) Statistik der Preußischen Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 
1892 und 1912. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 7 


IV. 


weniger als 900 M. Einkommen in Preußen 1892 und 1912. 
und 900—1050 M. zur Zahl der Zensiten mit einem geringeren Einkommen als 900 M. 


(Zahl der Zensiten in Tausend.) 


Sachsen 1908°) 


Preußen 1912’) 


Verhält- F | Verhält- 
Iniszahlen Zahl der Zensiten \niszahlen 
ER ; 83282 8835 
d EES Ee E | „0:7 
Einkommens- éiren ZS m © | Einkommens- | > ze 3g 15 SiS e e S 
gruppe kv ES e gruppe „S 58a, Bi, 
CPR ga |=2=5 S Soe. ` 
ek ER am wWEEEISKER 
C bel gd Faek- Pid: 
| (geschätzt) S 2.3 * Ei 1885335834“ 
unter 800 M. Joao ago | 
800— 85o „ | 69 $ 1126| 100 unter 900 M.| 8159 8159 100 
850— 900 2 202| 67 
900— 950 „ 66 
950—1000 „, | 65% 193) 17,14 | 900—1050 „ | 1366 1507 18,48 
1000—1050 „, | 7 62| 
1050—1100 „, 60 
1100—1150 „ | 55% 165| 14,65 | 1050—ı200 „ | 1185 1307 16,02 
1150—1200 „, Í 148| 50 
1200—1250 „ 43 
1250—1300 „ l 36 + 113| 10,04 | 1200—1350 „, 904 997 12,22 
1300—1350 „ | 103| 34 
1350—1400 „ J 33 


Durchschnittseinkommen der Zensiten mit 
einem Einkommen unter 900 M.: 576 M. 
(siehe Tabelle II). 


Durchschnittseinkommen der Zensiten mit 
einem Einkommen unter 900 M. (nach 
den sächsischen Zahlen geschätzt): 585 M. 


Die Zensiten mit einem Einkommen von 6500—9500 M. werden 


nach dem Gesetze von 1909 bei 3 versorgungsberechtigten Ange- 
hörigen um 1 Stufe, bei je 2 weiteren Angehörigen um 1 Stufe 
mehr ermäßigt. Der Gesamtsteuerausfall betrug 1912 für 18000 
Personen 539000 M., also pro Kopf 30 M., was einem nicht ver- 
anlagten Einkommen von ca. 800 M. entspricht. Insgesamt wären so 
die ermäßigten Zensiten mit einem Einkommen von 6500—9500 M. 
um 14 Mill. M. zu niedrig veranlagt worden. 


Es betrug demgemäß 1912 das nach § 19 des Einkommensteuer- 
gesetzes nicht veranlagte Einkommen der Zensiten mit einem 


` Einkommen von 1050—3000 M. 
3000—6500 nm 
6500—9500 nm 


nm nm 
HI HI 


nt 


407,6 Mill. M. 
120,5 » n 
14,0 A ul 
zusammen 542,0 Mill. M. 


s 8) Die Zahl der Zensiten mit einem Einkommen von weniger als 3000 M. 
t sich insgesamt infolge von Ermäßigungen und Freistellungen um die Zahl der 


freigestellten Zensiten vermindert. 


Wir nehmen an, daß sich alle Einkommens- 


gruppen von 900—3000 M. um einen ihrer Besetzung entsprechenden Teil ver- 
min und erhöhen darum die Zahl der veranlagten Zensiten entsprechend. 


Arthur Friedmann, 


Tabelle V. 


Die Freistellung oder Ermäßigung nach $ 19 des Einkommensteuergesetzes erfolgte im Jahre 1911 bei einem Einkommen von 
900—3000 M. wegen des Vorhandenseins von 


| 2 |3 |4 | 5 |6 |7 |8 | 9|10|11 |12 |13|14| Summe 


Kindern resp. Angehörigen 


in Fällen (absolute Zahlen) ?) 887 502 | 625 662 | 392 863 | 237 684 | 121 130 | 49,204 | 16 387 | 4363| 1072| 222 | 46 | 2 | ı | 2 336 138 
in Prozent der Ermäßigungen 38,0 26,79 16,81 10,17 5,20 2,09 | 0,70 |0,18 | 0,05 | 0,01 
um Kei 
KK 
1 5 6 
in Prozent der Ermäßigungen 38,0 Sé D 1 s 37 2,72 0,23 0,01 


Durchschnittliche Ermäßigung um 1,84 Stufen. 


Die Ermäßigung nach $ 19 des Einkommensteuergesetzes erfolgte im Jahre 1911 bei einem Einkommen von 3000—6500 M. 
wegen des Vorhandenseins von 


|2 |8 | |5 | e | | 8 |9 | 10| ar] 12ļ13|14| Summe 


Kindern resp. Angehörigen von 


in Fällen (absolute Zahlen) 8 87 834| 57777 | 27766| 15860| 6753 | 3669 | 1492 | 653 | 230 Së 3 202 156 
in Prozent der Ermäßigungen 43,45 28,58 13,74 7,85 3,34 1,82 0,74 |0,32 |0,11| 0, 27 Er 
um Stufen 
— ee er Tas en Sn u —— ee 
1 2 | 5 6 | 7 
in Prozent der Ermäßigungen 43,45 42,32 11,19 2 sé | 0,43 0,05 | | 


Durchschnittliche Ermäßigung um 1,74 Stufen. 


9) Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern, No. 55, S. 154 und 156. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 9 


Tabelle VI. 


Betrag des nicht veranlagten Einkommens der nach $ 19 des Ein- 
kommensteuergesetzes ermäßigten aber nicht freigestellten Zensiten 
mit einem Einkommen von 1050—3000 M. im Jahre 1912. 


Die Zahl der veranlagten Zensiten mit einem Einkommen von 900—3000 M. beträgt 
6123000, die Zahl der nach § 19 Freigestellten 608 000, zusammen 6 731 000. Es 
wurden nach $ 19 insgesamt ermäßigt oder freigestellt 2414000, das sind 35,9 %,. 
Die Ermäßigung erfolgten (siehe Tabelle V) in 38 °/, der Fälle wegen des Vorhanden- 
seins zweier Angehöriger, also um eine Stufe, in 43,6 °/, der Fälle wegen 3 oder 4 
Angehöriger — um 2 Stufen —, in 15,4, 2,8, 0,2 °/, der Fälle um 3, resp. 4 und 5 
Stufen. Im Durchschnitt wurde um 1,84 Stufen ermäßigt (Tabelle V). — Bei der 
Gruppierung der Zensiten in die einzelnen Einkommensgruppen wurden die stattgehabten 
Ermäßigungen bereits in Betracht gezogen, so daß alle Einkommensgruppen schwächer als 
in Wirklichkeit besetzt sind. Von den insgesamt 18 000 Ermäßigten wurden nur 17 000 
berücksichtigt. Da sich die nicht berücksichtigten Ermäßigten auf die einzelnen Ein- 
kommensgruppen ungefähr entsprechend der angegebenen Stärke derselben verteilen, 
ist dem ermittelten, nicht veranlagten Einkommen 5,9 °/, hinzuzurechnen. 


e d | e f g h 
| l A 
We geg Betrag des nicht 
Zonaiton oin: Zahl der ermäßigten Zensiten aus- ss Fe veranlagten 
der frei- schließlich der freigestellten mañigungen UM Tinkommens 
| „gezielten Ein- (eX g) 
(38,9 von b) kommens- 

Tausend Dh von e Tausend stufen (Mark 1000 M. 
425,42 um I Stufe ermäßigt . 38,0|161,66 I 150 | 24 249 
324,54 um 2 Stufen ermäßigt 43,6|141,50 2 300 42 450 

4 „ 1 Stufe ñ 38,0|123,33 I 150 18 500 
um 3 Stufen ermäßigt 15,4| 43,56 3 450 19 602 
282,89 »2 y n 43,6|123,34 2 300 37 002 
„ I Stufe be 38,0|107,50 I 150 16 125 
190,638 um 1-4 Stufenermäßigt 99,0 188,72 
155,81 100,0 SCD 1,84 276 132 842 
136,78 100,0 136,78 
94,78 100,0| 94,78 1,84 426 40 376 
57,80 100,0| 57,80 
39,49 100,0 san 97,29| 1,84 | 552 53 704 


Summe 384 850 
zuzüglich 5,9 °/ 22706 
Gesamtbetrag des nicht veranlagten Einkommens der er- 
mäßigten Zensiten mit 1050—3000 M. Einkommen 407,6 Mill. M. 


Nun hat aber die offizielle Statistik bereits diejenigen Zensiten, 
le bei einem Einkommen über 3000 M. zu einem niederen Ein- 
kommen als 3000 M. veranlagt wurden, nicht wie sonst derjenigen 
Inkommensgruppe, zu der sie veranlagt wurden, sondern der Ein- 
Ommensgruppe, 3000—3300 M. hinzugezählt10). Eine spezielle Be- 
rechnung zeigt, daß sich hierdurch eine Differenz von 36 Mill. M. 
ergibt. Wir hätten also dem von der offiziellen Statistik verzeich- 
Tr 


191 D uni der Preußischen Einkommensteuerveranlagung für das Jahr 
» 8. 5/6. 


10 Arthur Friedmann, 


Tabelle VII. 

Berechnung des nicht veranlagten Einkommens der nach § 19 des 
Einkommensteuergesetzes ermäßigten Zensiten mit einem Einkommen 
von 3000—6500 M. im Jahre 1912. 

Von 565 000 Zensiten wurden 212000, das sind 37,5 °/,, ermäßigt. Die Ermäßigung 
erfolgte (vgl. Tabelle V) in 43,5 °/, der Fälle wegen Vorhandenseins von 2 An- 
gehörigen, also um eine Stufe, in 42,3 °/, der Fälle wegen 3 oder 4 Angehöriger 
— um 2 Stufen —, in 11,2, 2,6 und 0,4°/, um 3 resp. 4 und 5 Stufen. Im Durch- 
schnitt wurde um 1,74 Stufen ermäßigt (Tabelle V). 


a b c d e 
Zahl der |durchschnitt- Betrag d. nicht 
Einkommensgruppe Zahl der Zensiten ermaßi Bien CRT We ranlāgten 
Zensiten gung um | Einkommens 
|(37'/,°/, von b)! (1°/, Stufen) (e X d) 
M. Tausend Tausend Mark 1000 M. 
über 3000, aber zu weniger) 
als 3000 veranlagt 75,0 | 
3000—3300 98,9 
3300—3600 79,9 
3600—3900 64,17 477,4 179,0 525 93 975 
3900—4200 57,6 
4200—4500 49,2 
4500—5000 52,7 
5000—5500 39,6 14,9 725 10 803 
abzüglich 5 Tsd. zu 
i ls 6500 M. 
men bal Ten gaan j 
gte Zensiten %48,0 18,0 875 15750 
S 6500 22,7 mit mehr als 6500 M. 
Einkommen 


Gesamtbetrag des nicht veranlagten Einkommens 
der Zensiten mit 3000—6500 M. Einkommen 120,5 Mill.M. 


neten Einkommen nicht 542 Mill. M., sondern 36 Mill. M. weniger, 
das sind 506 Mill. M., hinzuzurechnen. 

Die Freistellungen und Ermäßigungen auf Grund des 819 
resp. 20 des Gesetzes wegen ungünstiger Lebensverhältnisse sind 
nicht erheblich. 1892 wurden 4430 Personen befreit mit einem 
Einkommen von ca. 5 Mill. M., ermäßigt wurden 49000 Personen. 
Der Gesamtsteuerausfall infolge der Freistellungen und Ermäßi- 
gungen betrug 543000 M., infolge der Ermäßigungen allein also 
ca. 500000 M., das wären pro Kopf 10 M. Das nicht veranlagte Ein- 
kommen der Ermäßigten läßt sich danach auf 400 M. pro Kopf, 
insgesamt auf 20 Mill. M. schätzen. 

1912 wurden 23000 Personen nach $ 20 des Gesetzes frei- 
gestellt mit einem Gesamteinkommen von ca. 23 Mill. M. Die Zahl 
der Ermäßigten betrug 185000, der Steuerausfall infolge der Er- 
mäßigungen einschließlich der Freistellungen 1569000 M., aus- 
schließlich der Freistellungen schätzungsweise 1380000 M., das sind 
pro Kopf ca. 7,4 M. Steuerausfall, was einem nicht veranlagten Ein- 
kommen von ca. 320 M. entspricht. Das nicht veranlagte Ein- 
kommen der Ermäßigten stellt sich somit auf etwa 58 Mill. M. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 11 


Zusammenfassend erhalten wir folgende Summen: 
1892 1912 
Mill. M. 


Gesamtes veranlagtes Einkommen über 3000 M. 2812 6 656 
unter 3000 „, 2912 6 584 

Einkommen der Haushaltungsvorstände und Einzelsteuernden mit 
weniger als 900 M. Einkommen 4 291 467 
Einkommen der nach $ 18 resp. 19 freigestellten Zensiten 151 638 

Nicht veranlagtes Einkommen der nach $ 18 resp. 19 ermäßigten 
Zensiten 90 506 
Einkommen der nach § 19 resp. 20 freigestellten Zensiten 5 25 

Nicht veranlagtes Einkommen der nach $ 19 resp. 20 ermäßigten 
Zensiten 20 58 


10281 21140 


Die Bevölkerungszahl betrug Ende 1891 30337000, Ende 1911 
40740000. Das Durchschnittseinkommen stellte sich danach 1892 
auf 338,9 und 1912 auf 518,9 M., die Steigerung des Einkommens 
betrug 53,1%. 

Bei der hier gegebenen Schätzung des Einkommens auf Grund 
der Veranlagungsergebnisse ist nur die Schätzung der Ein- 
Kommen unter 900 M. unzuverlässig (auf die Ungenauigkeit der Ver- 
anlagung selbst nehmen wir erst später Rücksicht). Aber auch et- 
waige fehlerhafte Schätzungen der Einkommen unter 900 M. würden 
nicht allzu sehr’ ins Gewicht fallen: Wäre beispielsweise in den 
beiden Vergleichsjahren (was schon recht unwahrscheinlich ist) das 
Einkommen der steuerfreien Personen durchschnittlich 60 M. höher 
oder niedriger, als wir annahmen, so würde das Durchschnittsein- 
kommen des Jahres 1892 355,5 resp. 322,3 M., das Durchschnitts 
einkommen des Jahres 1912 530,9 resp. 506,9 M. betragen und die 
Steigerung statt 53,1% 49,1% resp. 57,30/o ausmachen. Und wenn 
wir fälschlicherweise eine um 30 M. zu geringe Steigerung des Durch- 
schnittsbetrages der Einkommen unter 900 M. (von 512 auf 573 
statt auf 603 M.) angenommen hätten, so würde doch die ermittelte 
Einkommenssteigerung noch nicht um 2% von der wirklich er- 
folgten Steigerung, die sich auf 54,8% beliefe, abweichen. 


Unter den außerpreußischen Bundesstaaten will ich allein für 
Sachsen eine Berechnung des Durchschnittseinkommens ver- 
zeichnen. Hier gibt die offizielle Steuerstatistik selbst die erforder- 
lichen Zahlen. Das Gesamteinkommen aller physischen Zensiten, 
einschließlich der steuerfreien Personen mit einem Einkommen von 
weniger als 300 resp. 400 M. betrug nach Abzug der Schuldzinsen 
1892 1525 Mill. Mu, 1911 etwa 3070 Mill. M.12). Die Er- 
mäßigungen wegen Kinderprivilegs sind für das Jahr 1892 unerheb- 
lich, für das Jahr 1911 wurde das Einkommen ohne vorherige Er- 
mäßigung gezählt. Das Durchschnittseinkommen stellte sich 1892 
auf 427,6 M., 1911 auf 638,7 M.; es war somit 1892 26,200 

11) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen auf das Jahr 1894, 


8.103 und 8 109. 
12) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen, 1912, S. 185. 


12 Arthur Friedmann, 


höher als in Preußen, 1911 23,1% höher als in Preußen 1912. 
Die Einkommensteigerung betrug während dieser 19 Jahre 49,3% 
während sie in Preußen in den 20 Jahren 53,1% ausmachte. 
Bei einem Vergleich der preußischen und sächsischen Einkom- 
men ist zu beachten, daß die ländliche Bevölkerung in Sach- 
sen relativ geringer als in Preußen ist (1910 wohnten in Sach- 
sen nur 27,0% der Bevölkerung in ländlichen Gemeinden, in 
Preußen dagegen 38,5%013). Da der Realwert eines bestimmten Ein- 
kommens auf dem Lande größer als in der Stadt ist, so sind die 
Einkommensunterschiede von Preußen und Sachsen weniger be- 
deutend, als dies nach den obigen Zahlen der Fall zu sein scheint. 

In den übrigen Bundesstaaten wird das Nominaleinkommen kaum 
höher als in Preußen, jedenfalls nicht so hoch wie in Sachsen sein; 
die ländliche Bevölkerung ist in den nicht-preußischen Bundesstaaten 
(außer Sachsen) stärker vertreten als in Preußen, die Bevölkerung 
in ländlichen Gemeinden macht hier 46% der Gesamtbevölkerung 
aus gegen 38,5% in Preußens). Das Durchschnittseinkommen für 
das Reich wird jedenfalls nicht wesentlich von dem preußischen 
Durchschnittseinkommen abweichen. 


Da nun das steuerpflichtige Einkommen durch die Steuer nicht 
vollständig erfaßt wird, wäre es weiter nötig, die Höhe des hinter- 
zogenen resp. zu wenig veranlagten Einkommens zu 
schätzen. Uns interessiert es vor allem, ob sich in dieser Hinsicht 
für die beiden Vergleichsjahre 1892 und 1912 verschiedene Verhält- 
nisse ergeben. Aber auch die absolute Höhe der Hinterziehungen 
ist deshalb von Bedeutung, weil bei absolut höheren Hinterziehungen 
eine etwaige Verminderung derselben im Laufe der Jahre mehr ins 
Gewicht fallen würde. Man nimmt an, daß die präzisere Ausbildung 
der Steuertechnik mit den Jahren eine vollständigere Erfassung des 
Einkommens ermöglichte. 

Für die Einkommen über 3000 M. läßt sich ein ge- 
wisser Anhalt für die Höhe der Hinterziehungen aus der Zahl 
und den: Erfolge der Steuerbeanstandungen gewinnen. Im Jahre 1911 
wurden in Preußen 35,30%% aller Steuererklärungen beanstandet und 
von diesen 72,8% (25,7% aller Steuerklärungen) berichtigt. Die 
betreffenden Zensiten wurden zu einem durchschnittlich 300 höhe- 
ren Einkommen veranlagt‘). Ein nicht unerheblicher Teil dieser 
Berichtigungen wurde allerdings wieder auf Grund eingelegter Be- 
rufungen korrigiert. Während nach den Beanstandungen des Jahres 
191035) insgesamt 13454000 M. mehr Einkommensteuern aufzu- 
bringen waren — meist von Zensiten mit einem Einkommen von 
mehr als 3000 M. — wurden auf Grund der Berufungen und Be- 
schwerden der Zensiten mit mehr als 3000 M. Einkommen, die ver- 


13) Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1913, S. 4. 
14) Mitteilungen aus der Verwaltung der direkten Steuern in Preußen, 1912, 
No. 55, S. 132 und 134. 


15) Für 1911 liegen die erforderlichen Zahlen zurzeit nicht vor. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 13 


mutlich meist beanstandete Steuererklärungen abgegeben hatten, 
2882000 M. Steuern ermäßigt!‘). Danach wären die berichtigten 
Einkommen nicht um 30%, sondern um reichlich ein Fünftel weniger, 
also um etwa 23,5%, zu niedrig deklariert worden. Sicher wird nun 
aber auch bei der Beanstandung das tatsächliche Einkommen nicht 
vollständig ermittelt. Betrugen die festgestellten Hinterziehungen 
23,50%, so mochten die wirklichen Hinterziehungen vielleicht 33,5% 
ausmachen; wir hätten dann zu dem nach den Beanstandungen und 
Berufungen berichtigten Einkommen noch Soa hinzuzurechnen. — Er- 
wägen wir nun, daß 25,7% aller Zensiten nachweislich ihr Ein- 
kommen um 23,5%, wahrscheinlich erheblich mehr, vielleicht um 
33,5%o zu niedrig angaben, und berücksichtigen wir weiter, daß von 
den beanstandeten Zensiten immerhin nur 27% kein Fehler in den 
Angaben nachgewiesen wurde, so werden wir vermuten dürfen, daß 
auch bei den nicht beanstandeten Zensiten unrichtige Deklarationen 
von erheblichem Umfange vorkamen. Wir schätzen, daß die 6500 
nicht beanstandeter Zensiten ihr Einkommen um durchschnittlich 
10—15% zu niedrig angaben. Da wir für die beanstandeten Zen- 
siten noch nach der Berichtigung eine Hinterziehung von 80/ ver- 
muten, so hätten wir für die deklarierten Einkommen im Durch- 
schnitt eine Hinterziehung von 10% zu rechnen. 

Es ist nun weiter zu bestimmen, in welchem Maße die Hinter- 
ziehungen im Laufe der Jahre abgenommen haben. Auch in dieser 
Hinsicht sind die Erfolge der Beanstandungen von einigem Wert. 
Ein Vergleich der Jahre 1898 und 1911 zeigt, daß im Jahre 1898 
nicht erheblich mehr Hinterziehungen als 1911 nachgewiesen wurden. 
Während im Jahre 1898 merklich weniger Deklarationen beanstandet 
wurden als 1911, 32,5% gegen 35,3%, wurden doch fast ebensoviel 
Erklärungen berichtigt, 24,5 gegen 25,7%, und man könnte daraus 
allerdings auf etwas häufigere Hinterziehungen schließen. Anderer- 
seits wurden im Jahre 1898 verhältnismäßig geringere Summen 
berichtigt, 27,1 gegen 300% des deklarierten Einkommens. Immerhin 
darf man aus der Tatsache, daß die Steuerbehörden trotz ihrer noch 
geringeren Erfahrungen und ihrer weniger weitreichenden Befug- 
nisse vor 14 Jahren ebensoviel Hinterziehungen als heute nachwiesen, 
schließen, daß die tatsächlichen Hinterziehungen damals wesentlich 
größer waren. Wir schätzen, daß die Steuerhinterziehungen im Jahre 
1892, soweit sie nicht durch die Beanstandungen berichtigt wurden, 
15%0 betrugen gegen 10% im Jahre 1912. Ueber die eventuellen 
durch die Unzuverlässigkeit dieser Schätzung bewirkten Fehler 
sprechen wir später. 

Die Einkommen unter 3000 M., bei denen die Veranlagung 
vielfach ohne genügenden Anhaltspunkt erfolgen muß, sind wahr- 
scheinlich noch häufiger als die Einkommen über 3000 M. zu niedrig 


16) 1. c., S. 148. 

17) Kurt Nitsche, Einkommen und Vermögen in Preußen und ihre Ent- 
wicklung seit Einführung der neuen Steuern mit Nutzanwendung auf die Theorie 
der Einkommensentwicklung, 1902. 


14 Arthur Friedmann, 


eingeschätzt. Insbesondere werden vielfach etwaige Nebeneinnahmen 
der einzuschätzenden Personen nicht berücksichtigt: der Arbeits- 
verdienst; von Frau und Kindern, der Nebenerwerb des Mannes, die 
Einnahmen aus Naturalien, bei Untervermietung derjenige Betrag, 
der über den eigenen Mietbetrag hinausgeht. Bei etwas höheren Ein- 
kommen, die schon nahe an 3000 M. herankommen, spielen, wie 
Nitsche'?) hervorhebt, bereits Einnahmen aus Kapitalien eine er- 
hebliche Rolle, die bei der Einschätzung sicher nur ganz ungenügend 
erfaßt werden. Die Reichserhebung von Wirtschaftsberechnungen 
minderbemittelter Familien!s) gibt auf 100 Teile des Arbeitsver- 
dienstes des Mannes 21,4 Teile anderweitiger Einnahmen an, dar- 
unter etwa, 15—20 Teile eigentliches Einkommen. Hierbei scheinen 
aber die Nebenverdienste, beispielsweise das Arbeitseinkommen der 
Frau, noch nicht vollständig erfaßt zu sein. 

Auch hier, bei den nicht deklarierten Einkommen ist es von be- 
sonderem Interesse, ob die Einschätzungen im Laufe der letzten 
2 Jahrzehnte richtiger geworden sind. In dieser Hinsicht ist die 
gesetzliche Bestimmung des Jahres 1906 von Bedeutung (§ 23 des 
Einkommensteuergesetzes), die die Arbeitgeber zur Auskunft über 
das Einkommen der Arbeitnehmer verpflichtet. Ein Vergleich des in 
den Jahren 1906 und 1908 veranlagten Einkommens zeigt aber, daß 
die Erfolge des neuen Gesetzes nicht allzu weitreichend waren. Das 
veranlagte Durchschnittseinkommen der städtischen Zensiten mit 
einem Einkommen von 950—1050 M. nahm allerdings, wie sich aus 
der Abnahme der Zensitenzahl mit einem Einkommen von weniger 
als 1050 M. berechnen läßt, um ca. 11 % zu), in der gleichen Zeit 
stieg aber auch das wirkliche Einkommen um mindestens 5%. Nach 
den Lohnnachweisungen der Berufsgenossenschaften stieg der Durch- 
schnittslohn eines Vollarbeiters von 1905—1906 um 5%, von 1906 


18) 2. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatt, 1909. 

19) Vom Jahre 1906 bis zum Jahre 1908 verminderte sich in den Stadt- 
kreisen die Zahl der Zensiten mit weniger als 1050 M. Einkommen von 3 105 000 
auf 2917000, wenn die Freigestellten und Ermäßigten ihrer eigentlichen Ein- 
kommensgruppe zugewiesen werden, von ca. 3032000 auf 2837000. Dies be- 
deutet bei einer Bevölkerungszunahme von 8,26 % eine relative Verminderung um 
13,400. Es müssen also 13,4% aller Personen mit einem Einkommen von weniger 
als 1050 M. von 1906 bis 1908 eine so starke Einkommensteigerung erfahren haben, 
daß ihr Einkommen 1908 1050 M. oder mehr betrug. Da 1906 die Zensiten mit 
einem Einkommen zwischen 900 und 1050 M. 20,600 aller Zensiten mit einem 
Einkommen unter 1050 M. ausmachten, so läßt sich schätzen, daß die Einkommen 
zwischen 945 und 1050 M. 13,4% aller Einkommen unter 1050 M. darstellten. 
Wenn nun sämtliche Einkommen um 11,1% gestiegen wären, so würden 
alle Einkommen zwischen 945 und 1050 M. die Grenze von 1050 M. 
überschritten haben, also die Zahl der Einkommen unter 1050 M. um 
11,1% vermindert sein. Tatsächlich haben nun nicht alle Einkommen gleichmäßig, 
sondern die einen mehr als 11%, die anderen weniger als 11 % zugenommen, die 
anderen gar abgenommen. Es läßt sich aber zeigen, daß, wenn nur die durch- 
schnittliche Steigerung 11% betragen hätte, etwa ebensoviel Einkommen 
wie zwischen 945 und 1050 M. liegen, die Höhe von 1050 M. erreicht hätten. 
Auch die Tatsache, daß die Einkommen zwischen 945 und 1050 M. nicht gleich- 
mäßig verteilt sind, sondern mehr Einkommen 945 als 1050 M. nahekommen, ist 
für das Resultat von keiner wesentlichen Bedeutung. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 15 


bis 1907 um 4% und von 1907—1908 um 0,4% 2). Da der Steuer- 
veranlagung vorwiegend das Einkommen des vorangegangenen Jahres 
zugrunde liegt, so hätte wenigstens das Einkommen der Arbeiter von 
1906—1908 um ca. 8% zugenommen, und da in den größeren 
Städten, um die es sich hier handelt, die meisten Zensiten mit einem 
Einkommen von 950—1050 M. industrielle Arbeiter sind, könnte 
auch für den Durchschnitt der Zensiten dieser Einkommensgruppe 
mit einer Einkommensteigerung von mindestens 50% gerechnet 
werden. Die gesetzliche Regelung, die den Steuerbehörden die Er- 
kundigung beim Arbeitgeber des Einzuschätzenden gestattet, hätte 
danach, selbst für die großstädtische Bevölkerung der niedersten 
Einkommensgruppen, eine kaum mehr als 6%0 höhere Einschätzung 
zur Folge gehabt). 

Die Veranlagung der niederen Einkommen mag allerdings in der 
Zeit von 1892—1912 auch unabhängig von der gesetzlichen Neu- 
regelung des Jahres 1906 nur auf Grund der besseren Erfahrungen 
der Steuerbehörden vollständiger geworden sein. Wir veranschlagen 
die heutigen Mindereinschätzungen der nicht deklarierten Einkommen 
zu 1500, im Jahre 1892 zu 220%). — Da die Einkommen unter 900M. 
nach der Höhe der veranlagten Einkommen geschätzt wurden, 
erheben wir auch zu diesem Einkommen den gleichen Zuschlag wie 
zu den Einkommen zwischen 900 und 3000 M. 

Berechnen wir, gemäß den hier veranschlagten Hinterziehungen 
und Mindereinschätzungen für die Einkommen über 3000 M. im 
Jahre 1892 einen Zuschlag von 15%, im Jahre 1912 einen Zuschlag 
von 10%, für die Einkommen unter 3000 M. im Jahre 1892 einen 
Zuschlag von 22%, im Jahre 1912 von 15%, so würde sich das 
Durchschnittseinkommen im Jahre 1892 statt auf 338,9 auf 407,0 M., 
1912 statt auf 518,9 auf 588,4 M. stellen, und die Steigerung des 
Durchschnittseinkommens von 1892—1912 betrüge nicht 53,1 son- 
dern 44,6%. 

Gewiß sind diese Schätzungen über den Umfang der Steuer- 
hinterziehungen nur unzuverlässig, doch würde auch hier — ähn- 
lich wie wir dies früher für die Berechnung der Einkommen unter 
900 M. gezeigt haben — ein etwaiger Fehler nicht allzu schwer 
wiegen: Wäre die wirkliche Hinterziehung in den beiden 
Jahren um einen gleichen Prozentsatz höher oder niedriger, als wir 
voraussetzen, so wäre dies für das Resultat gleichgültig. Aber 
auch wenn beispielsweise die Hinterziehungen im Jahre 1892 statt 
5—7% nur 3 oder 40% größer gewesen wären als im Jahre 1912, 
wäre die Steigerung des Durchschnittseinkommens nur um wenige 
Prozent stärker gewesen, als wir angaben. 


20) Richard Calwer, Das Wirtschaftsjahr 1907, I, S. 303 und Das Wirtschafts- 
jahr 1908, I, 8. 323. 

21) Auch ein Vergleich der Veranlagungsergebnisse der preußischen Stadt- 
kreise mit den Veranlagungsergebnissen für das Königreich Sachsen in den Jahren 
1906—1908 macht es wahrscheinlich, daß ein erheblicher Teil der Zunahme des ver- 
anlagten Einkommens der Zensiten mit weniger als 1050 M. Einkommen auf eine 
wirkliche Einkommenssteigerung zurückzuführen ist. 


16 Arthur Friedmann, 


Da wir beabsichtigen, späterhin die staatlichen Leistungen in 
den beiden Vergleichsjahren besonders zu behandeln, müssen wir, 
um eine Doppelzählung zu vermeiden, von dem bisher ermittelten 
Durchschnittseinkommen noch die in diesem Einkommen mitein- 
begriffenen Steuern in Abzug bringen. Die in den Jahren 1891 
und 1911 gezahlten direkten Staats- und Kommunalsteuern, soweit 
sie bei der Besteuerung der Jahre 1892 und 1912 nicht in Abzug 
gebracht wurden, berechnen sich, wie nachfolgende Aufstellung er- 
gibt, auf zirka 354 resp. 930 Mill. M.; das wären 11,4 resp. 22,8 M. 
pro Kopf der Bevölkerung:?). Das Durchschnittseinkommen abzüg- 
lich aller Steuerleistungen betrug danach 1891 395,6 M., 1911 
565,6 M., die Steigerung 43,0 ou. 

Berechnung der direkten Staats- und Kommunalsteuern physischer 


Personen im Jahre 1891, soweit sie bei Feststellung des steuerpflich- 
tigen Einkommens nicht in Abzug gebracht wurden. 


1. Staatseinkommensteuer . » . s 2 2 20000. äng éi ner Ser 3 77 Mill. M. 
2. Direkte Steuern der Kommunen. 
a) Städte. 
Direkte Steuern der Städte mit mehr als 10000 Ein- 


Wohnen. WEE E EEN . . , 122 Mill. M. 

abzüglich der von nicht physischen Personen ge- 
leisteten Realsteuern (Summe der Realsteuern 
17 MM) a ern 


In 421 (für den betreffenden Kreis typischen) Städten 
mit weniger als 10 000 Einwohnern betrugen die 
direkten Steuern 13 Mill. M20. in sämtlichen 
1058 Städten mit weniger als 10 000 Einwohnern 
also schätzungsweise < a s 2: 1 2 2 2 02er. ER Y! 

b) Landgemeinden. 

Die Steuern in den Landgemeinden der sieben öst- 

lichen Provinzen (einschließlich Provinzial-, Kreis- 
und Schulabgaben) betrugen 1888 43 Mill. M.°*). 
Wir schätzen die direkten Steuern der Landge- 
meinden in den genannten Provinzen auf 40 Mill. M. 
Die Landgemeinden der fünf westlichen Provinzen 
zahlten 1883 92°/, mehr direkte Steuern als die 
östlichen Provinzen). Wenn wir für das Jahr 
1888 ein noch etwas günstigeres Verhältnis für die 
westlichen Provinzen annehmen, erhalten wir für 
dieselben direkte Steuern in der Höhe von etwa 
78 Mill. M. 

Die direkten Steuern sämtlicher preußischer Land- 
gemeinden betrugen danach 1888 ca. 118 Mill. M.; 
von 1888—1891 nahmen die direkten Staatssteuern 
in Preußen um 8°/, zu; wir rechnen für die 
gleiche Spanne Zeit eine Vermehrung der Kom- 
munalsteuern der Landgemeinden um 5°/,. 

Gesamtsumme der direkten Steuern der Landge- 


meinden ca... De E, E Br ee en TA mu (CT 5, 5 
Gesamtsumme der von den veranlagten Einkommen nicht 
in Abzug gebrachten direkten Steuern im Jahre 1891 ...... 354 Mill. M 


22) Die indirekten Steuern wären hier außer acht zu lassen; die Ver- 
teuerung der Waren durch Verbrauchsabgaben und Zölle wird später bei Ermitt- 
lung des Realeinkommens berücksichtigt werden. 

23) Drucksachen des Preuß. Abgeordnetenhauses, Sess. 1892/93, No. 7. 

24) Statistisches Handbuch für den Preuß. Staat, Bd. 2, S. 623. 

25) Ebenda, 8. 619. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 17 


Berechnung der direkten Staats- und Kommunalsteuern physischer 
Personen im Jahre 1911, soweit sie bei Feststellung des steuerptlich- 
tigen Einkommens nicht in Abzug gebracht wurden. 


Staatseinkommensteuer physischer Personen . » » » 2 22.200. e 306 Mill, M. 
Ergänzungssteuer . e 2 2 0 2 0 ee een ooo DÉI 4 
Direkte Gemeindesteuern der Städte . . 2» 222... 582 Mill. "=. 
Direkte Steuern der Landgemeinden mit mehr als 10 000 

Einwohnen . » < s 2222000. S AË, vn ` eg 


Die direkten Steuern der Landgemeinden mit weniger als 

10000 Einwohnern lassen sich schätzungsweise ermitteln. 

1907 betrugen die direkten Steuern in Gemeinden unter 

10000 Einwohnern (Stadtgemeinden mitgerechnet) 171 

Mill. M. (zuzüglich der Abgaben besonderer Schulver- 

bände)”®), pro Kopf 7,6 M. Danach lassen sich die Steuern 

in den Gemeinden unter 10000 Einwohnern (ausschließ- 

lich der Stadtgemeinden) 1911 (Einwohnerzahl 19 Mil- 

lionen) bei Annahme einer Steuer von 9,1 M. pro Kopf 

schätzen auf . .». . 2 2 220% d at NEE GE: NIE 
Gesamtsumme der direkten Steuern der Kommunen 813 Mill. M. 
Von dieser Summe sind 100 °/, der staatlich veranlagten 

Realsteuern, die nach dem Gesetze von 1906 als Werbungs- 

kosten von dem besteuerten Einkommen abgezogen werden 

dürfen, in Abrechnung zu bringen. Die Gemeinden ver- 

anlagen fast ausnahmslos 100 °/, der Realsteuern. 
100°,, der staatlich veranlagten Realsteuern . ..... 190 „ „ 
Es bleiben ..: ora saoe oo 0%» . 623 Mill. M. 
Hiervon wären weiter die von nicht physischen Personen 

geleisteten Steuern in Abzug zu bringen, die nach An- 

gaben für das Jahr 1899?’) auf 10°/, der Summe ge- 

schätzt werden können. 
10°/, von 623 Mill. M. . » co 220er 000. sah DÉI. Aé 0 
Gesamtsumme der von dem steuerpflichtigen Einkommen 

nieht in Abzug gebrachten direkten Kommunalsteuern 


physischer Personen . . » 2 sss en een er rnen ne z 13 yp "up 
Gesamtsumme der von dem veranlagten Einkommen nicht in 
Abzug gebrachten direkten Steuern physischer Personen . . .. . » 930 Mill. M. 


2. Die Verteuerung der Lebenshaltung und die 
Steigerung des Realeinkommens. 


Nachdem wir bisher zu einer ungefähren Ermittlung des durch- 
schnittlichen Nominaleinkommens gelangt sind, gehen wir nunmehr 
dazu über, durch einen Vergleich der Lebenshaltung, die in den 
beiden Jahren auf Grund des jeweiligen Einkommens ermöglicht 
wurde, die Steigerung des Realeinkommens zu bestimmen. Da, wie 
wir bereits früher betonten, das veranlagte Einkommen eines be- 
stimmten Steuerjahres mehr dem tatsächlichen Einkommen des vor- 
angegangenen ‚Jahres entspricht, legen wir die Preise der Jahre 
1891 und 1911 zugrunde. — Wir werden zuerst feststellen, ein wie 
großer Teil des Einkommens des Jahres 1911 dazu erforderlich 
war, um diegleiche Lebenshaltung wie im Jahre 1891 zu er- 


26) Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 1, S. 636. 
27) Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Bd. 4, S. 643. 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 2 


18 Arthur Friedmann, 


zielen und wieviel Einkommensteile darüber hinaus im 
Jahre 1911 zur Verfügung standen. Die so bestimmte prozentuelle 
Steigerung bedeutet zwar noch kein entsprechendes Wachstum des 
Realeinkommens. Wir werden aber später zeigen, daß die tatsäch- 
liche Zunahme desselben nur um ein weniges größer ist. 

Um zu bestimmen, ein wie großer Aufwand für einen gleichen 
Gesamtkonsum wie im Jahre 1891 nach den Preisen des Jahres. 
1911 benötigt wurde, werden wir der Reihe nach die wichtigsten 
Bedarfsartikel unter Angabe des für dieselben im Jahre 1891 
erforderten Aufwandes anführen und zugleich die bis zum Jahre 
1911 erfolgten Preissteigerungen verzeichnen; aus diesen Daten 
wird sich ohne weiteres die durchschnittliche Verteuerung 
berechnen lassen. — Es bleibt vorläufig unberücksichtigt, daß im 
Jahre 1911 relativ mehr Waren in der Stadt, wo die Lebenshaltung 
teurer als auf dem Lande ist, konsumiert wurden und die Ver- 
teuerung der Lebenshaltung mithin größer war, als dies der durch- 
schnittlichen Preissteigerung an den einzelnen Orten entspricht. Wir 
werden auf diesen Gegenstand erst am Schlusse dieser Zusammen- 
stellung zurückkommen. 

Bei den Verbrauchsberechnungen werden im allgemeinen die 
auf das Reich bezüglichen Daten benützt, die sich ohne erhebliche 
Fehler auf Preußen übertragen lassen. Eine Reihe von Angaben über 
Verbrauchsberechnungen basiert auf den Ergebnissen der vom Kais. 
Stat. Amte veranstalteten Erhebung von Wirtschaftsrechnungen minder- 
bemittelter Familien im Deutschen Reiche), die wir im folgenden 
kurz als Reichserhebung bezeichnen. Diese im Jahre 1907 
angestellten Untersuchungen, die sich auf insgesamt 852 Familien 
erstrecken, passen insofern einigermaßen auf die Verhältnisse des 
Jahres 1891, als das Durchschnittseinkommen der Gesamtbevölkerung 
im Jahre 1891/92 (von 396 M.) nur 12 % geringer war als das 
Durchschnittseinkommen der bei der Reichserhebung berücksichtig- 
ten Personen (das abzüglich Schuldzinsen, Steuern, Versicherungs- 
beiträge, Erwerbskosten ca. 451 M. betrug). Die Zahlen der Reichs- 
erhebung sind im folgenden um 12% reduziert, die tatsächlich von 
der Reichserhebung gegebenen Ziffern sind in Klammern beigefügt. 
Aus mancherlei Gründen sind aber die von der Reichserhebung ge- 
gebenen Zahlen nur mit Vorsicht zu verwerten, insbesondere nimmt. 
die Erhebung auf die Verhältnisse des Landes, wo der relative Auf- 
wand für die verschiedenen Bedarfsartikel erheblich von dem in der 
Stadt abweicht, kaum Rücksicht. — Zur Bestimmung der Groß- 
handelspreise werden häufig die Angaben in den Vierteljahrsheften 
zur Statistik des Deutschen Reiches herangezogen ; den Kleinhandels- 
preisen liegen meist die von der Statistik des Preußischen Statisti- 
schen Landesamtes gegebenen Zahlen zugrunde. Die Angaben dieser 
Statistik, im folgenden kurz Preußische Statistik genannt, 
sind darum nicht einwandfrei verwendbar, weil die Erhebungs- 
methode seit dem Jahre 1909 geändert wurde, insbesondere wurden 


28) Reichsarbeitsblatt, 2. Sonderheft, 1909. 


Die Wobhlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 19 


früher Mittelpreise, nach dem Jahre 1909 häufigste Preise 
verzeichnet, auch beziehen sich die Angaben wesentlich nur auf 
städtische Verhältnisse. 


Wir beginnen mit den Ausgaben für Nahrungsmittel und 
verzeichnen zuerst die für Fleisch gemachten Aufwendungen. 

In der Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform wurde der 
Fleischverbrauch in Deutschland auf Grund der Statistik der Vieh- 
schlachtungen für das Jahr 1906 auf 46 kg pro Kopf geschätzt. 
Ballod® glaubt, daß die wirklichen Werte etwas niedriger sind. 
Die sächsische Statistik, die sich auf Aufzeichnungen der Steuer- 
behörden stützt, gibt 1885 32,4 kg Fleischverbrauch pro Kopf, 
1903 43,1kg an. Danach läßt sich der durchschnittliche Fleischver- 
brauch in Preußen für das Jahr 1891 auf ungefähr 37 kg schätzen, 
wovon nach den von der Reichsstatistik für das Jahr 1906 gegebenen 
Verhältniszahlen®) ca. 19,7 kg auf Schweinefleisch, ca. 10,9 kg 
auf Rindfleisch, 2,4 kg auf Kalbfleisch, 0,9 kg auf Hammelfleisch 
und 3,1 kg auf anderes Fleisch kämen). Der Detailverkaufswert 
dieser Mengen betrug für Schweinefleisch ca. 20 M., für Rindfleisch 
ca. 12 M., für Kalbfleisch 2,4 M., für Hammelfleisch 1 M., für 
anderes Fleisch ca. 3 M., insgesamt 38,60 M. Diese Zahlen sind 
nach den Preisangaben der Preußischen Statistik berechnet, doch 
wurde speziell bei Schweinefleisch berücksichtigt, daß ein erheblicher 
Teil desselben in der eigenen Wirtschaft konsumiert wird und der 
Preis entsprechend niedriger angesetzt. (Nach der Reichserhe- 
bung bezifferte sich der Gesamtverbrauch an Fleisch, Wurst, Schin- 
ken, Speck, Fetten [allerdings einschließlich Pflanzenfette] auf 55 M. 
[62 M.]). — Die Preissteigerung des Schweinefleischs betrug nach 
der Preußischen Statistik von 1891—1911 14,60%. Für den Schweine- 
konsum auf dem Lande ist, besonders bei Deckung des Bedarfs 
aus der eigenen Wirtschaft, eher die Steigerung der Großhandels- 
preise maßgebend, die sich (in Berlin) auf 11,9 oa belief®). Wir 
können danach eine durchschnittliche Steigerung von 130% an- 
nehmen. Die Verteuerung des Rindfleisches betrug für die gleiche 
Zeit nach der Preußischen Statistik 29,7 oa (die Großhandelspreise 
stiegen um 27,80%0)32). Die Kalbfleischpreise erhöhten sich um 
54,2 %, die Hammelfleischpreise um 40 %. Dabei können die Preise 


29) Festschrift für G. v. Mayr, Bd. 2, S. 614. 

30) Denkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 3, S. 76. 

31) In der Tat war der Konsum an Rindfleisch 1891 größer, der Konsum 
an Schweinefleisch geringer, als diese nach den Verhältniszahlen für das Jahr 
1906 berechneten Ziffern besagen, da die Zahl der Schweine von 1891—1906 
sehr viel stärker als die Zahl der Rinder zunahm und die Schweinefleisch- 
preise entsprechend weniger stiegen. Trotzdem legen wir diese für das Jahr 
1906 geltenden Verhältniszahlen zugrunde und berechnen so für das Fleisch ins- 
gesamt eine etwas geringere Preissteigerung, weil die früheren Konsumenten des 
Rindfleisches, die bei der geringeren Steigerung des Schweinefleisches Schweine- 
fleisch statt Rindfleisch verzehren, durch dessen Preissteigerung verhältnismäßig 
weniger betroffen werden (vgl. später 8. 38). 

32) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. 

KA 


20: Arthur Friedmann, 


von 1911 nicht als abnorm hoch bezeichnet werden, die Fleischpreise 
des Jahres 1912 stellten sich noch erheblich höher. Für das hier 
nicht im einzelnen berücksichtigte Fleisch (Wild, Geflügel, Roß- 
fleisch) fehlen umfassende statistische Angaben. Wahrscheinlich 
ist auch dies Fleisch erheblich teurer geworden. Nach Angaben 
eines Hamburger Wild- und Geflügelhändlers ist der Preis der wich- 
tigsten Wild- und Geflügelarten heute 20—25 ou höher als vor 20 
Jahren. Ein städtischer Verkaufsvermittler für Wild und Geflügel 
in Berlin schätzt die Preissteigerung für Geflügel auf 20 oe, für 
Wild auf 20—30 %, für geringere Qualitäten wäre eine geringere 
Verteuerung eingetreten. Nach den Aufzeichnungen in den statisti- 
schen Jahrbüchern der Stadt Berlin war der Preis für Wild im 
Jahre 1910 im allgemeinen merklich höher als im Jahre 1896, da- 
gegen der Preis des Geflügels ziemlich unverändert. Wir rechnen 
für dieses hier nicht im einzelnen berücksichtigte Fleisch von 1891 
bis 1911 eine Preissteigerung von 15 %. 

Der Brot- und Mehlverbrauch des Jahres 1891 läßt sich 
unter Zugrundelegung der von der Reichsstatistik für den Weizen- 
und Roggenkonsum gegebenen Zahlen unter Umrechnung auf Mehl 
und Brot auf ungefähr 22,50 M. für Weizenmehl und Weizenbrot 
und. auf 23 M. für Roggenmehl und Roggenbrot schätzen ®). Diese 
Schätzung ist besonders deshalb unzuverlässig, weil die im Jahre 
1891 gezahlten Brotpreise nur schwer zu ermitteln sind. Für die 
Mehlpreise wurden die Zahlen der Preußischen Statistik berück- 
sichtigt, für Roggenbrot die Angaben im statistischen Jahrbuch 
deutscher Städte. Es wurden aber, in Anbetracht der niedrigeren 
Brotpreise auf dem Lande, besonders bei Befriedigung des Bedarfs 
aus der eigenen Wirtschaft, etwas geringere Werte in Anschlag ge- 
bracht. Da die Reichserhebung für Brot und Backwaren einen Ver- 
brauch von nur 31,30 (35,60) M. angibt, während wir hier einen 
Brotkonsum von 40 M. schätzten, und da bei der obigen Berechnung 
die als Viehfutter verwandten Getreidemengen nicht in Abzug ge- 
bracht wurden, wollen wir etwas niedrigere als die genannten Werte 
in Rechnung setzen, und zwar 21 M. für Weizenmehl und Weizen- 
brot und ebenso 21 M. für Roggenmehl und Roggenbrot. — Eine 
Gegenüberstellung der Preise in den Jahren 1891 und 1911 hätte 
darum nur wenig Wert, weil die Preise des Jahres 1891 wegen einer 
Mißernte ungewöhnlich hoch waren, wie dies ohne weiteres aus einem 
Vergleich der in den letzten Jahrzehnten verzeichneten Getreide- 


33) Der Weizenkonsum betrug 1891 etwa 80 kg pro Kopf. (Die in der 
Statistik angegebenen 69,5 kg müssen nach den Angaben im Denkschriften- 
band III zur Finanzreform S. 62 um etwa 1500 erhöht werden.) 80 kg Weizen 
entsprechen ungefähr 60 kg Weizenmehl oder: 62 kg Brot (19 M.) + 10 kg Mehl 
(3,50 Mi Der Roggenkonsum betrug 108 kg (93,8 kg zuzüglich 15%), ent- 
sprechend 81 kg Mehl oder: 100 kg Brot (21 M.) + 6kg Mehl (2 M.). Die 
Roggenmengen, die als Viehfutter dienen, sind schwer zu schätzen; dieselben 
wurden hier nicht in Abzug gebracht. Die für die Branntweingewinnung und 
die Stärkefabrikation verwandten Getreidemengen sind relativ unbedeutend. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 21 


und Mehlpreise ersichtlich ist). Wir rechnen statt der Preise 
des Jahres 1891 den Durchschnitt der Preise der Jahre 1890 und 
1892, die ihrerseits im Vergleich zu den Vor- und Nachjahren eher 
hoch als niedrig waren. Unter dieser Annahme beträgt die Preis- 
steigerung bis zum Jahre 1911 für Weizen (Großhandelspreise 
nach der Preußischen Statistik) Di: ou, für Weizenmehl (Klein- 
handelspreise) 9%; die Großhandelspreise des Roggens nahmen 
hingegen um 5,7%, die Roggenmehlpreise um 5% ab. Die 
Weizenbrotpreise stiegen in Berlin von 1891—1910 um 15,4 oan 
die Roggenbrotpreise nahmen nach den Aufzeichnungen im sta- 
tistischen Jahrbuch deutscher Städte von 1891—1910 in 11 großen 
Städten im Durchschnitt um 5,8 %, in verschiedenen Städten aller- 
dings in sehr verschiedenem Umfange, zu. Die Brotpreise des Jahres 
1911 waren bei den wenig veränderten Mehlpreisen von denen des 
Jahres 1910 wahrscheinlich wenig verschieden. Gegenüber dem 
Durchschnitt der Jahre 1890 und 1892 erhöhten sich die Roggen- 
brotpreise im Jahre 1910 um 14,8%. Nach einer von Brutzer°®) 
wiedergegebenen Berechnung macht der Preis des verwandten Mehles 
beim Roggenbrot nur etwa Zi, beim Weizenbrot nicht einmal die 
Hälfte des Brotpreises aus. Da die allgemeinen Unkosten, speziell 
die Löhne, höher geworden sind, ist ein stärkeres Anziehen der 
Brotpreise im Vergleich zu den Mehlpreisen verständlich. Brutzer 
weist diese Verhältnisse speziell für Berlin nach. — Nach den im 
vorangegangenen gegebenen Zahlen schätzen wir die Preissteige- 
rung für Weizenbrot und Weizenmehl von 1891 —1911 auf 11% 
und für Roggenbrot und Roggenmehl auf 8 %o (wobei statt der Preise 
des Jahres 1891 der Durchschnittspreis der Jahre 1890 und 1892 
berücksichtigt wurde); es ist ersichtlich, daß diese Schätzung nur 
sehr bedingten Wert hat. 

Wenn wir hier statt der Brotpreise des Jahres 1891 solche 
Preise in Anschlag brachten, wie sie in einem normalen Erntejahr 
zu erwarten gewesen wären, so war solches nur unter der Voraus- 
setzung zulässig, daß die Landwirte in einem normalen Jahre trotz 
niedrigerer Preise kein geringeres Einkommen erzielt hätten; haben 
wir doch in dem Gesamteinkommen des Jahres 1891 auch das wirk- 
lich erzielte Einkommen der Landwirte in Rechnung gestellt. Aus 
einem Vergleich der Getreideproduktion und der Getreidepreise des 
Jahres 1891 mit den vorangegangenen und folgenden Jahren ergibt 
sich in der Tat, daß die Landwirte im Jahre 1891 aus dem Getreide- 
verkauf jedenfalls keine merklich höheren Einnahmen als in normalen 
Jahren hatten. 

Wir kommen nunmehr zur Berechnung des Verbrauchs von 
Milch, Butter und Käse im Jahre 1891. Die Reichserhebung 


34) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, Bd. 10, S. 304. 
35) Statistische Jahrbücher der Stadt Berlin. 
36) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 139 A 2, 8. 28. 


22 Arthur Friedmann, 


gibt einen Verbrauch von 115 Litern Milch, 8 kg Butter und 3,5 kg 
Käse an (unreduzierte Werte) ). Fleischmann) schätzt nach 
den Angaben über die Höhe des Milchkonsums in mehr als 100 
Städten einen durchschnittlichen Verbrauch von 140 Liter Milch, 
7,7 kg Butter und 1,4 kg Käse (1910). Für das Jahr 1891 mögen 
125 Liter Milch (16 M.) 8 kg Butter (16 M.) und 3 kg Käse (3 M.) 
nicht zu hoch gegriffen sein. Wenn 'wir diese Werte in Milch um- 
rechneu (1 kg Butter = 27 Liter Milch), so erhalten wir für das 
Reich unter Hinzurechnung der für die Kälberaufzucht verwandten 
Milch eine Gesamtmilchproduktion von höchstens 19 Milliarden 
Liter). Da die Viehzählung von 1892 fast 10 Mill. Kühe nachwies, 
kämen auf die Kuh 1900 Liter pro Jahr, ein Wert, der für 1891 un- 
gefähr zutreffen mag. — Von 1891—1911 stieg der Butterpreis nach 
der Preußischen Statistik um 25,9 %. Da der Butterpreis im Jahre 
1911 wegen der Dürre relativ hoch war, rechnen wir statt dessen 
den Durchschnittspreis der Jahre 1909—1911 und erhalten dann 
eine Preissteigerung von 21,8%. Für Milchpreise fehlt eine um- 
fassende Statistik; man könnte aber eine ähnliche Preissteigerung 
wie für Butter vermuten. Nach den wenigen Angaben, die mir über 
Milchpreise bekannt sind, ist die Verteuerung der Milch eher etwas 
geringer gewesen. In Berlin#) stieg der Preis um ca. 15%, in 
Dresden 9 3 um 10%, in Frankfurt a. M. um ca. 20 0/42), in Bres- 
lau) (bis 1910) um 13 %. In den größeren badischen Städten er- 
höhte sich der Milchpreis von 1897—1910 im Durchschnitt um 
22,7 0/04); von 1891—1907 mögen die Milchpreise kaum gestiegen 
sein, die Butterpreise gingen während dieser Zeit etwas zurück. In 
Hamburg hatten die Händler 1911 11% (1912/13 20 %) mehr für 
die Milch zu zahlen als 189145). Wir rechnen für Milch, Butter 
und Käse im Durchschnitt eine Steigerung von 19 %. 

Für die Berechnung des Kartoffelkonsums stützen wir uns 
wiederum auf die Ergebnisse der Reichserhebung, die für das Jahr 
1907 einen durchschnittlichen Verbrauch von 6 M. (7 M.) ver- 
zeichnet. Auf dem Lande ist der Kartoffelkonsum größer, anderer- 


37) 1. c. S. 69. 

38) Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 6, 3. Auflage, Milchwirt- 
schaft und Molkereiwesen, 8. 703. 

39) Die Differenz der Einfuhr und Ausfuhr von Molkereiprodukten war 
1891 nur gering und kann gegenüber der einheimischen Milchproduktion ver- 
nachlässigt werden. 

40) Nach Brutzer (Meierei Bolle) 1891 20 Pf., 1907 22 Pf., nach der 
Preußischen Statistik 1910 22 Pf., 1911 23 Pf. 

41) Statistische Jahrbücher der Stadt Dresden. 

42) Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M., N. F., Heft 10. 

43) Breslauer Statistik, Bd. 15 und 31. 

44) Statistische Mitteilungen über das Großherzogtum Baden, 1910, N. F., 
Bd. 3, S. 142, bzw. 1911, S.4, zitiert aus Berg: Die Milchversorgung der 
Stadt Karlsruhe, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 140 I, S. 135. 

45) Nach Mitteilung des Zentralvereins der Milchproduzenten für Ham- 
burg, die sich allerdings zum Teil nur auf die Aufzeichnungen eines Händ- 
lers stützen. S 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 23 


seits ist aber bei Deckung des Bedarfs aus der eigenen Wirtschaft 
der in Ansatz zu bringende Preis erheblich niedriger. Auch für das 
Jahr 1891 mag ungefähr ein Durchschnittsaufwand von 6 M. zu- 
treffen. (In diesem Jahre war der Kartoffelkonsum außerordentlich 
gering, der Kartoffelpreis aber entsprechend hoch.) — Wegen der 
ungewöhnlich hohen Kartoffelpreise in den beiden Vergleichsjahren 
lassen sich die in diesen Jahren gezahlten Preise zur Ermittlung der 
Preissteigerung nicht ohne weiteres verwenden. Die Großhandels- 
preise waren 1911 6,4% niedriger als 1891), die Kleinhandels- 
preise nach der Preußischen Statistik 40% höher (10 Pf. statt 
7 Pf. pro Kilogramm). Im Durchschnitt der Jahre 1901—1910 
waren die Großhandelspreise ca. D oe, die Kleinhandelspreise 13 Ou 
höher als im Durchschnitt der Jahre 1891—1900. Wir wollen die 
Preissteigerung der Kartoffeln für die 20 Jahre auf 15% veran- 
schlagen. 

Der Eierverbrauch stellte sich nach der Reichserhebung 1907 
auf 6 M. (6,75 M.) pro Kopf. Im Jahre 1891 waren die Eierpreise 
erheblich niedriger als 1907, so daß wir einen Aufwand von 5 M. 
in Rechnung setzen. Die Preissteigerung von 1891—1911 betrug 
nach der Preußischen Statistik 33 oa. 

Für den Zuckerkonsum gibt die Reichserhebung 5 M. (5,7 M.) 
pro Kopf an. Der Zucker ist in den letzten 20 Jahren sehr viel 
billiger geworden. Die Reichsstatistik verzeichnet 1911 einen 25 %o 
geringeren Preis als 1891, betont aber, daß die Zahlen nicht ver- 
gleichbar sind. Nach den Angaben der statistischen Jahrbücher der 
Stadt Berlin war der Zucker 1910 20—30 % billiger als 1891. 

Der Kaffeekonsum betrug nach der Statistik des Reiches 
1891 2,4 kg pro Kopf, also ca. 7,2 M. Trotz der inzwischen statt- 
gehabten Zollerhöhung ist der Kaffeepreis 1911 eher billiger als 
1891 gewesen. Die Großhandelspreise dreier verschiedener Kaffee- 
sorten waren nach den Angaben in den Vierteljahrsheften zur Sta- 
tistik des Deutschen Reichs 1911 8% billiger als 1891. 

Der Bierkonsum im Brausteuergebiet bezifferte sich im Jahre 
1891 auf ca. 80 Liter pro Kopf. Bei einem Bierpreise von 26 Pf. 
das Liter (es sind die Kleinverkaufs- und die Ausschankpreise zu 
berücksichtigen), wäre dies ein Gesamtaufwand von 21 M. Das 
Bier ist infolge der Steuererhöhungen sicher merklich teuerer ge- 
worden. Die Steuer allein betrug 1911 2,2 Pf. mehr pro Liter als 
1891, das sind ca. Bi % des früheren Preises. Aus den Angaben 
der Reichsstatistik4) ist zwar eine gewisse Steigerung der Bier- 
preise zu entnehmen, die absolute Höhe der Steigerung läßt sich aber 
nach den gegebenen Daten nicht abschätzen. In Leipzig stiegen die 
Ausschankpreise infolge der Steuererhöhungen der Jahre 1906 und 


46) Berechnet nach den Preisangaben über fünf verschiedene Kartoffel- 
sorten in den Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reichs. 

47) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, 1892, IV, S. 105, 
und 1912 IV, 8. 189. 


24 Arthur Friedmann, 


1909 um 20—25 0/48), auch sonst scheint in Norddeutschland eine 
Preissteigerung von ähnlichem Umfange stattgefunden zu haben, 
während die Verteuerung des Bieres in Süddeutschland etwas ge- 
ringer war“). Wir rechnen eine Verteuerung des Bieres von 17 oo, 

Der Branntweinkonsum betrug im Jahre 1891 im Brannt- 
weinsteuergebiet 4,4 Liter oder bei einem durchschnittlichen Aus- 
schankpreis von 1,50 M. pro Liter 6,50 M. pro Kopf. Die Preis- 
steigerung läßt sich aus einem Vergleich der von der Reichsstatistik 
gegebenen Branntweinpreise in verschiedenen Orten auf 20—50 Oe 
veranschlagen 5°), 

Den Aufwand an Zigarren, Zigaretten und sonstigen Tabak- 
fabrikaten schätzen wir nach der Menge des konsumierten Roh- 
tabaks. Im Jahre 1891 kamen 1,5 kg Rohtabak auf den Kopf der 
Bevölkerung; der Wert der hieraus hergestellten Tabakfabrikate 
dürfte 1891 im Kleinverkauf ca. 12 M. betragen haben’!). Der 
Tabak ist in den letzten 20 Jahren merklich teuerer geworden, 
nach einem Vergleich der von der Reichsstatistik angeführten Preise 
verschiedener Tabaksorten um 25—45 %. Hinzu kommt die Steige- 
rung der Steuern und Zölle, die sich für 1,5 kg Rohtabak auf 1 M. 
bis 1,50 M. belief und allein eine Verteuerung der Tabakfabrikate 
um 7—10%o ihres früheren Wertes bewirkte. Nach Angaben eines 
Hamburger Zigarrenfabrikanten sind gleichwertige Zigarren heute 
durchweg 25% teuerer als vor 20 Jahren. 

In der bisherigen Zusammenstellung sind die wichtigsten Nah- 
rungs- und Genußmittel enthalten. Es fehlen insbesondere noch 
Gemüse, Hülsenfrüchte und Obst (zusammen ca. 9 M. 1891), 
Pflanzenfette, Fische, Salz (1 M. und Wein (ca. 3 MA 
Wir wollen den Gesamtwert dieser und der sonst noch fehlenden 
Nahrungsmittel auf Grund der Angaben der Reichserhebung auf 
22 M. pro Kopf veranschlagen. — Hülsenfrüchte sind in den letzten 
20 Jahren eher teuerer geworden. Nach der Preußischen Statistik 
waren Kocherbsen 1911 41% teurer als 1891, weiße Bohnen 28 oe 
teurer und Linsen 12% billiger. — Die Gemüsepreise waren in 
Berlin nach den Angaben in den statistischen Jahrbüchern 1910 
niedriger als 1891. Im Durchschnitt der Jahre 1901—1910 stellten 
sich die Preise der Kohlrüben ungefähr gleich hoch wie im Durch- 
schnitt der Jahre 1891—1900, der Preis des Kohlrabis etwas niedri- 
ger und des Savoyenkohls etwas höher. Im Jahre 1911 mochte der 


48) Nach einer Mitteilung des Vereins der Brauereien des Leipziger Bezirks. 

49) Nach Angaben des offiziellen Organs des Deutschen Brauerbundes. 

50) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, 1892 II, S. 87, 
und 1912 LS 304. 

51) Nach einer im Denkschriftenband 3 zur Finanzreform wiedergegebenen 
Statistik kommt der größte Teil des Tabakkonsums auf Zigarren (121 Stück) und 
Rauchtabak (0,45 kg). Zigaretten spielen nur eine untergeordnete Rolle. — 
Man rechnet auf 1 kg Rohtabak 125 Zigarren und den Durchschnittspreis der 
Zigarren heute auf 7 Pf. Unter alleiniger Umrechnung auf Zigarren würden 
1,5 kg Rohtabak einen Detailverkaufswert von 13 M. haben. Der Wert der 
aus der gleichen Menge Rohtabak hergestellten Zigaretten ist erheblich höher. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 25 


Gemüsepreis infolge der herrschenden Trockenheit ausnahmsweise 
etwas höher gewesen sein. — Reis war 1911 nach der Preußischen 
Statistik ein wenig billiger als 1891. — Wein ist erheblich im Preise 
gestiegen. Nach der Mitteilung eines Fachblattes ist billiger Wein 
1911 fast 80 %0 teurer als 1891 gewesen. Allerdings sind die Preise 
je nach der Weinernte starken Schwankungen unterworfen. — Salz 
war 1911 etwa 10 0o teurer als 1891 (Statistische Jahrbücher der 
Stadt Berlin). — Der Preis der Heringe schwankte im Laufe der 
Jahre stark und war 1911 4 % niedriger als 1891 5°). — Wir schätzen 
für diese hier nicht näher besprochenen Nahrungsmittel eine durch- 
schnittliche Preissteigerung von 10 0%. 

Die Ausgaben in Gastwirtschaften berechnen wir nicht 
gesondert. Bei den alkoholischen Getränken wurden bereits die Aus- 
schankpreise mitberücksichtigt. Der Preisaufschlag für den Speise- 
konsum in den Gastwirtschaften ist bei dem relativ geringen Auf- 
wand nicht von Belang. Die Familien, auf die die Reichserhebung 
Bezug nimmt, verspeisten in Gastwirtschaften nur 4 M. pro Kopf. 
Der durchschnittliche Aufwand wird allerdings etwas größer 
E da alleinstehende Personen mehr in Speisewirtschaften ver- 
zehren. 

Nach den hier gegebenen Schätzungen würden sich die Aus- 
gaben für Nahrungsmittel im Jahre 1891 auf 203,7 M. pro Kopf 
gestellt haben. Dies wären, wie die folgenden Berechnungen ergeben, 
50,6% des Gesamtaufwandes.. Nach der Reichserhebung betrug 
der Aufwand für Nahrungsmittel 48,6% des Einkommens, wenn 
dort ebenso wie bei der vorliegenden Berechnung Steuern, Versiche- 
rungsbeiträge etc. vom Einkommen in Abzug gebracht werden. 


Wir kommen nunmehr zu dem nächst der Nahrung wichtigsten 
Ausgabeposten, der Wohnungsmiete. Die durchschnittliche Miet- 
höhe läßt sich nach den Angaben einzelner Städte über das Ver- 
hältnis von Wohnungsmiete und Einkommen bestimmen. In einer 
größeren Anzahl deutscher Großstädte betrug dies Verhältnis nach 
den diesbezüglichen Ermittlungen 17—22%, im Durchschnitt ca. 
18—19 ua za, Diese Verhältniszahl ist aber darum eher zu hoch ge- 
griffen, weil das Einkommen häufig zu niedrig angegeben wird, da- 
gegen die Miete nicht. Speziell ist nicht überall das Einkommen der 
mitverdienenden Familienmitglieder berücksichtigt, auch bezieht sich 

festgestellte Verhältnis von Miete und Einkommen nur auf Haus- 

tungsvorstände. Bei alleinstehenden Personen, die in Untermiete 
wohnen, ist das Verhältnis günstiger. In Berlin geben beispielsweise 
m Aftermiete wohnende Personen nur ca. 10% ihres Einkommens 
für Wohnungsmiete aus. — In kleineren Städten wird relativ weniger 
die Wohnung aufgewandt. In einer Anzahl sächsischer Klein- 


52) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. 


53) Vierteljahrsberichte des Statistischen Amtes der Stadt Schöneberg, 
1910 I, 8. 45. 


26 Arthur Friedmann, 


und Mittelstädte wurde das Verhältnis von Einkommen zu Miete nur 
zu ca. 12% angegeben 5). Auf dem Lande, wo bei eigenem Besitz 
des Hauses an Stelle der Miete ein dem Werte und den Unterhal- 
tungskosten des Hauses entsprechender Betrag in Rechnung zu 
setzen ist, mag die Miete kaum höher als zu 10% des Einkommens zu 
veranschlagen sein. Im Jahre 1890 wohnten 13 % der Bevölkerung 
in Großstädten, 26 % in Mittel- und Kleinstädten und 61 % auf dem 
Lande. Wir schätzen danach den durchschnittlichen Aufwand für 
Wohnungsmiete auf 11—12 % des Durchschnittseinkommens oder auf 
46 M. 

Was nun die Wandlung der Mietpreise in den letzten beiden 
Jahrzehnten anbetrifft, so wäre eine Steigerung derselben schon mit 
Rücksicht auf die Erhöhung der Baukosten anzunehmen. Wenn 
auch die Materialpreise anscheinend 1911 nicht wesentlich höher 
als 1891 gewesen sind, so sind doch die Arbeitslöhne, die ungefähr 
ein Drittel der Baukosten ausmachen, sehr stark gestiegen. Die 
Steigerung der Löhne hat durch die verbesserte Bautechnik und die 
weitergehenden Arbeitsteilungen nicht ausgeglichen werden können. 
Bei Beurteilung des Einflusses der Baukosten ist allerdings zu be- 
rücksichtigen, daß die neuerstellten Wohnungen nur immer einen 
kleinen Teil aller Wohnungen ausmachen. — Einen wesentlichen 
Einfluß auf den Stand der Mietpreise hat weiterhin die Höhe des 
allgemeinen Zinsfußes, speziell des Hypothekenzinsfußes. Der teuere 
Geldstand der letzten Jahre hat mit zu der Steigerung der Mieten 
beigetragen. Endlich hat speziell in den großen Städten die Er- 
höhung der Bodenwerte auf eine Steigerung der Mieten hingewirkt. 

Es sollen hier die vorliegenden Angaben über die in der Zeit 
von 1891—1911 erfolgten Mietssteigerungen in den Städten zu- 
sammengestellt werden und bei dem relativ geringen vorhandenen 
Material auch die Daten für nicht-preußische Städte genannt werden. 


Ich beginne mit denjenigen Städten, für die die Mietpreise für die vollen 
20 Jahre verzeichnet wurden. 

In Hamburg werden E die Mietsteigerungen und Mietermäßi- 
gungen ermittelt. Aus den diesbezüglichen Angaben 55) läßt sich berechnen, daß 
er Mietpreis der gleichen Wohnungen von 1892 bis 1912 um 4°/, zuge- 
nommen hat (bis zum Jahre 1897 hatte der Mietpreis um 1°/, abgenommen). 
Da dieselbe Wohnung in 20 Jahren im Durchschnitt erheblich minderwertiger 
geworden ist, ist die tatsächliche Mietsteigerung gleichwertiger Wohnungen sehr 
viel höher und auf mindestens 10°/, zu veranschlagen. In Altona stieg 
der Mietpreis für 1-, 2- und 3-Zimmerwohnungen, die insgesamt über fünf 
Sechstel aller Wohnungen ausmachten, von 1890—1910 um 21, 9 und 8°/,5°). 
Diese, sowie die meisten nachfolgenden Angaben beziehen sich, im Gegensatz 
zur Hamburger Statistik, auf die Mietpreise aller, also auch der (inzwischen 
neu hinzugekommenen Wohnungen. In diesen Fällen kommt also bei der er- 
mittelten Mietsteigerung auch die K eegene zum Ausdruck, welche 
die Wohnungen in dem 20 jährigen Zeitraum erfahren haben. In Berlin blieb 


54) Ebenda. 

65) Statistik des Hamburgischen Staates, Bd. 22, 1904, S. 90, und Oeffentl. 
Anzeiger, 1906—1913. 

56) Verwaltungsbericht der Stadt Altona, 1863—1900, und direkte Mit- 
teilung des Statistischen Amtes. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 27 


der Mietpreis von 1890—1900 ziemlich unverändert; bis 1910 stieg er in 
1—3 Zimmerwohnungen, die weitaus den größten Teil aller Wohnungen 
ausmachten, um etwas mehr als 109057). In Breslau®) hat vom Jahre 
1890—1910 die Durchschnittsmiete pm L- Bh 3 4- und 5-Zimmer- 
wohnungen um 22, 18, 10, 7 und 9% zugenommen ; 590% aller Woh- 
nungen waren 1-Zimmer-, über 80%% l- oder 2-Zimmerwohnungen. In 
Münchent’) ist der Durchschnittspreis aller Wohnungen von 1890—1895 
um 0,9°/ọ von 1895—1900 um 10,8°/,, von 1900—1905 um 0,7 und von 1905 
bis 1910 um 17,90/, gestiegen, im ganzen also um 28,5°/o Die durchschnitt- 
liche Zimmerzahl hat sich von 189 —1910 nicht derart verändert 6%), daß der 
durchschnittliche ei e gleichzimmeriger Wohnungen wesentlich mehr 
oder weniger als der urchschnitt aller Wohnungen SE hätte, dagegen 
mag auch hier die Beschaffenheit gleichzimmeriger Wohnungen etwas besser 
als 1890 gewesen sein, über 40°%/o der im Jahre 1910 vorhandenen Wohnungen 
waren in den letzten 20 Jahren neu errichtet. In Cöln wurde die Miete nur 
für die größere Hälfte aller Wohnungen fest estellt 61). Die Steigerung von 1890 
bis 1910 betrug für 1-Zimmerwohnungen 1,40/,, für 2-, 3- und 4-Zimmer- 
wohnungen 25,0, 25,4 und 32,2, für BE Wohnungen 41,3°/o. 49°/, aller 


schnittliche Steigerung kann also auf über 2500 geschätzt werden. In Magde- 
burg?) nahm von 1890—1910 der Mietpreis der Wohnungen mit einem 
heizbaren Zimmer um 270/,, der Wohnungen mit 2 heizbaren Zimmern um 
SC zu. Die 1-Zimmerwohnungen machten 1905 mehr als zwei Fünftel aller 
Wohnungen, die 1- und 2-Zimmerwohnungen zusammen mehr als zwei Drittel 
aller Wohnungen aus. Die 3-Zimmerwohnungen nahmen nur unbedeutend im 
Preise zu, während der Mietpreis der 4- un 5-Zimmerwohnungen im Preise 
zurückging. In Leipzig) stieg der Mietpreis für 1-, 2-, 3-, 4-, 5- und 
6-Zimmerwohnungen in der gleichen Zeitspanne um 42, 25, 10,8, 11 und 16°/o- 
Da (1905) 60°/, aller Wohnungen 3-, 4- und 5-Zimmerwohnungen waren, 
können wir die durchschnittliche Mietsteigerung auf nicht viel mehr als 100%/ 
veranschlagen. In Dresden®) erfolgte in der Zeit von 1890—1910 nur eine 
relativ unbedeutende Erhöhung der Mieten. Die 1-, 2-, 3-, 4-, 5- und 6-Zimmer- 
wohnungen kosteten 1910 nur 27, 8, 5, 3, 11 und 170/, mehr als 1890. Dabei 
ist zu berücksichtigen, daß die 3- und 4-Zimmerwohnungen, die die geringste 
Steigerung erfahren haben, fast zwei Drittel aller Wohnungen ausmachten. In 
Freiburg i. B. stieg nach Angaben des statistischen Amtes der Mietpreis der 
städtischen Kleinwohnungen von 1891—1913 um 10—17 ia im übrigen 
sind aber die Mietpreise für alle Wohnungsklassen im gleichen Zeitraum, um 
etwa 30°/,_ gestiegen. In Lübeck war der Mietpreis einer Wohnung mit 1, 
2, 3, 4 und heizbaren Zimmern 1910 um 48, 31, 22, 29 und 22°/, höher als 
1890 (der durchschnittliche Mietpreis aller Wohnungen um 590/)65). In 
Herne i. W. stieg der Mietpreis nach Angaben des el Leg Haus- und Grund- 
besitzervereins für 2- und 3-Zimmerwohnungen (die Küche wird als Wohn- 
raum gerechnet) von 1891—1913 um gut 15 d 

ür Frankfurt a. M. er Angaben über die Zeit von 1895—1910, für 
Königsberg i. Pr. über die Jahre 1895—1912 vor. In Frankfurt a. M. gibt 


en 


59) Veröffentlichungen des Statistischen Amtes der Stadt München. Der 
Wobnungsmarkt in München, S. 13. 

60) 1. c. 8. 4 

61) Statistisches Jahrbuch der Stadt Cöln für 1912, S. 161. 

62) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes. 

63) Die Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dezember 1905 in der Stadt 
Leipzig, 3. Teil, S. 49 (1910 nach direkter Mitteilung des Statistischen Amtes). 

64) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes. 

65) Grundstücks-, Gebäude- und Wohnungsstatistik der Stadt Lübeck nach 
der Volkszählung vom 1. Dezember 1910, bearbeitet vom Statistischen Amte. 


28 Arthur Friedmann, 


die Statistik eine sehr erhebliche Preissteigerung der Mieten an66), für 4- 
Zimmerwohnungen von über 20°/,, für 3-Zimmerwohnungen von fast 25°/,, 
für 2-Zimmerwohnungen von über 30°/, und für 1-Zimmerwohnungen eine ge- 
ringe Steigerung. Der Bericht des statistischen Amtes hebt aber hervor, daß an 
dieser Preissteigerung auch die Qualitätsverbesserungen der Wohnungen schuld 
seien. In Königsberg i. Pr. nahmen nach einer direkten Mitteilung des 
statistischen Amtes die Mietpreise leerstehender Wohnungen von 1895 bis 
1912, besonders in den letzten beiden Jahren, sehr stark zu, für Wohnungen 
mit 1—3 heizbaren Zimmern um ca. 60°/,.. Da aber die durchschnittliche 

ualität leerstehender Wohnungen erheblich von der Zahl der SCH neu er- 
richteten Wohnungen abhängt, gestattet diese Zahl keinen zuverlässigen Schluß 
auf die Mietpreissteigerungen gleichwertiger Wohnungen. 

Eine Reihe von Städten macht Mitteilungen über die Entwicklung der 
Mieten während eines kürzeren Zeitraums: In Neukölln) stieg der Mietwert 
für 1- und 2-Zimmerwohnungen, die hier allein in Betracht kommen, von 1900 
bis 1910 um 27 bzw. 31°/,. Die Mietsteigerung ist aber zum guten Teile auf 
den vermehrten Komfort der Wohnungen zurückzuführen ; der größere Teil 
aller Wohnungen war in den letzten 10 Jahren neu errichtet. Aehnliches mag 
für Charlottenburg®®) gelten, wo der Mietzins der l- und 2-Zimmer- 
wohnungen von 1900—1910 um ca. 30, für größere Wohnungen um ca. 20°/, 
stieg. Auch von 1895—1900 hatte eine erhebliche Mietsteigerung stattgefunden. 
Die Angaben sind allerdings nur durch die Beobachtung einer beschränkten An- 
zahl von Wohnungen gewonnen. Sehr stark war wiederum die Mietsteigerung 
in Straßburg i. E., wo sich der Durchschnittsmietwert der leerstehenden 
Wohnungen mit 1, 2 und 3 Zimmern von 1900—1912 um 40, 28 und 22 fo 
der Mietwert der 4-, 5- und 6-Zimmerwohnungen um ca. 50°/, erhöhte ®). 
Dagegen betrug in Hannover die Miete eines heizbaren Zimmers 1910 nur 
ebensoviel wie im Jahre 1900 ech 5°/, mehr als 1905). Vor dem Jahre 1900 
waren die Mieten anscheinend billiger’). In Essen!) stieg der durchschnitt- 
liche Mietwert eines Wohnraums von 1900—1910 um 15,6°/,, während in 
Mannheim in der gleichen Zeit die Mietpreise für 1- bis 3-Zimmerwoh- 
nungen um ca. 15°/, zunahmen. In größeren Wohnungen wurde hier der Miet- 
preis allein von 1905—1910 um ca. 10°/, erhöht??). In Stuttgart‘3) war 
der eer En der leerstehenden Wohnungen mit 1—4 Zimmern 
im Jahre 1912 12—17°/, höher als 1903. Es ist aber hier wiederum aus den 
vorliegenden Angaben nicht zu ersehen, ob der relative Anteil der neu errich- 
teten Wohnungen in beiden Jahren gleich war. — In Kiel stieg der durch- 
schnittliche Mietpreis für 1—3-Zimmerwohnungen von 1903—1910 um ca. 10°/,, 
während der Mietpreis größerer Wohnungen nur weniger zunahm. Allein von 
1905—1910 erhöhte sich der Mietpreis für 1 heizbares Zimmer um 7,2°%/, 4). 
Für die Stadt Düsseldorf?5) stellte sich der durchschnittliche Mietpreis eines 
Wohnraumes im Jahre 1910 um 5°/, höher als im Jahre 1905, unter Außer- 
achtlassung der seit 1905 eingemeindeten Vororte um 17%. In Barmen'®) 
stieg der Mietpreis leerstehender Wohnungen von 1900—1912 um 10—20°/,. 
In Görlitz erhöhte sich der Mietpreis der 1—3-Zimmerwohnungen von 1908 


66) Beiträge zur Statistik der Stadt Frankfurt a. M., N. F., Heft 10. 

67) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes. 

68) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes. 

69) Beitrag zur Statistik der Stadt Straßburg, hrsg. von dem Sta- 
tistischen Amte der Stadt, Heft 12. 

70) Statitistische Monatsberichte der Stadt Hannover, 1911 III, S. 22. 

71) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes. 
d 72) Ergebnisse der Mannheimer Volkszählung vom 1. Dezember 1910, 
. 39. 

73) Jährliche Veröffentlichungen im Amts- und Anzeigeblatt der Stadt 
Stuttgart. 

74) Mitteilungen des statistischen Amtes der Stadt Kiel, No. 18. 

75) Mitteilungen zur Statistik der Stadt Düsseldorf, No. 8. 

76) Beiträge zur Statistik der Stadt Barmen, Heft 6. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 29 


bis 1910 um 10% ??), hingegen bleiben in Wiesbaden die Wohnungsmieten 
für 1—4-Zimmerwohnungen von 1907—1912 fast unverändert”®). In Chem- 
nitz kostete die leerstehende Wohnung mit 1, 2, 3, 4 und 5 Zimmern 1911 
Wi 13, 21, 18 und 23% mehr als 190679). Für Cassel lassen sich auf 
Grund der bisherigen Zählungen keine sicheren Schlüsse auf die Höhe der Miet- 
steigerung ziehen. Nach den Angaben des statistischen Amtes ist aber in den 
letzten Jahren eine Erhöhung der Mieten in weitem Umfange erfolgt. 


Gestattet das vorliegende Material auch keine sichere Ab- 
schätzung der durchschnittlichen Mietsteigerung gleichwertiger Woh- 
nungen, so werden wir doch wenigstens für die großen Städte eine 
durchschnittliche Steigerung um annähernd 20 % in den letzten 20 
Jahren vermuten dürfen. Auch für kleinere Ortschaften kann man, 
vor allem wegen Erhöhung der Baukosten, mit einer Vermehrung 
der Wohnkosten rechnen. Indessen dürfte diese Steigerung hinter 
derjenigen der großen Städte zurückbleiben, so daß wir für das 
ganze Land nur eine durchschnittliche Mietsteigerung von 16 % ver- 
anschlagen. Da wir uns nur für diegroßen Städte auf statistische Unter- 
lagen stützen können, und nur der kleinere Teil der Bevölkerung in 
diesen Städten wohnt, ist die genannte Ziffer wenig zuverlässig. 


Im Anschluß an die Wohnungsmiete besprechen wir die Auf- 
wendungen für Heizung und Beleuchtung. 

Die Ausgaben fürHeizung und Feuerung sind unter Zugrunde- 
legung der Daten der Reichserhebung (13,80 M.) auf etwa 13 M. 
zu schätzen. An Steinkohlen wurden im Jahre 1891 pro Kopf 1,39 t 
verbraucht. Wenn 25 % dieser Menge oder 0,35 t dem Hausbedarf 
dienten, so bedeutet dies bei einem Kleinverkaufspreis der Kohle von 
3 M. pro Doppelzentner einen Aufwand von 10 M. Die Steinkohlen- 
preise zeigen nach den Angaben in den Vierteljahrsheften zur Sta- 
tistik des Deutschen Reichs vom Jahre 1891 bis zum Jahre 1911 
eine ziemlich regelmäßige Steigerung. Eine Berechnung von etwa 
10 verschiedenen Kohlensorten ergibt eine durchschnittliche Preis- 
erhöhung um 181/2 ois, — Auch das Brennholz ist nach fachmänni- 
schem Urteil erheblich teurer geworden. Die staatlichen Forsten er- 
zielten allerdings im Jahre 1910 für Brennholz keine höheren Preise 
als im Jahre 189180). 

Für die Beleuchtung wurde nach der Reichserhebung pro 
Kopf 5 M. (5,76 M.) verausgabt. Der Verbrauch an Petroleum be- 
trug im Jahre 1891 pro Kopf der Bevölkerung ca. 13 kg, von denen 
wahrscheinlich der größte Teil dem Hausgebrauche diente. Der 
Aufwand belief sich also auf etwa 3 M. Die Petroleumpreise waren 
im Jahre 1911 ungefähr ebenso hoch wie im Jahre 1891. 5 ver- 
schiedene Sorten zeigen nach der Reichsstatistik eine durchschnitt- 
liche Steigerung um 1,8%. Im übrigen läßt sich bei der Verschieden- 


77) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes. 

78) Direkte Mitteilung des Statistischen Amtes. 

79) Beilage zu den monatlichen Mitteilungen des Statistischen Amtes der 
Stadt Chemnitz, Jahrgang 9, No. 11. 

80) Statistische Jahrbücher für Preußen. 


30 Arthur Friedmann, 


heit der im Jahre 1891 und heute üblichen Beleuchtungsmittel nur 
schwer bestimmen, ob eine gleichwertige Beleuchtung jetzt billiger 
als früher ist. 


Nächst den Ausgaben für Nahrung und Wohnung sind die Aus- 
gaben für Kleidung am größten. Bei der Reichserhebung wurde 
ein durchschnittlicher Aufwand von 35 M. (40 M.) festgestellt, 
außerdem für Wäsche und Bettzeug ein Aufwand von 4,70 M. 
(5,30 M.). In der Tat sind die Ausgaben für Wäsche etwas bedeuten- 
der, weil ein großer Teil besonders der Hauswäsche, bei Gründung 
des Haushalts beschafft wird. Wir werden danach den Gesamtauf- 
wand für Kleidung und Wäsche 1891 auf 43 M. schätzen dürfen. 

Die Kosten der Kleidung haben während der beiden letzten 
Jahrzehnte erheblich zugenommen. Teils lag dies an der Ver- 
teuerung der Rohstoffe: die Wollpreise schwankten zwar in den 20 
Jahren stark, zeigten aber im ganzen eine steigende Tendenz; noch 
beträchlicher war die Steigerung für Baumwolle, die im Durchschnitt 
der Jahre 1900—1910 um 38 % teurer war als im Durchschnitt der 
Jahre 1891—190081). Infolge der Veryollkommnung der Weberei- 
betriebe haben sich die Preise der Kleidungsstoffe wenigstens nicht 
entsprechend der Steigerung der Rohstoffe erhöht8?). Hingegen ist 
die Verteuerung für fertige Kleider wieder erheblicher. Auch 
in der Konfektion konnten die gestiegenen Arbeitslöhne und die ver- 
mehrten Geschäftsspesen durchaus nicht durch die technischen Vor- 
züge der Teilarbeit ausgeglichen werden. Die Preissteigerung für 
gleichwertige Konfektion wird von den befragten Inhabern der Kon- 
fektionsgeschäfte und von sonstigen Fachleuten ziemlich überein- 
stimmend auf 20—25 % geschätzt. Es ist im besonderen noch zu 
berücksichtigen, daß sich vor 20 Jahren ein größerer Teil des Publi- 
kums die Kleider selbst anfertigte und so weniger Geld für die Be- 
schaffung von Stoffen und Zutaten als heute für die Beschaffung der 
Kleider verausgabte. 

Die Haus- und Leibwäsche ist in ähnlichem Umfange wie die 
Kleidung teurer geworden. Die Steigerung wird von der Mehrzahl 
der Interessenten auf 25—30 % angegeben. Die detaillierte Auf- 
stellung einer großen Berliner Wäschefirma gibt für Stoffe eine 
Steigerung von gut 25 %, für fertige Gegenstände von durch- 
schnittlich 30 ou an. — Auch für Baumwollwaren ist ein ähnlicher 
Preisaufschlag wie für Leinenwäsche zu verzeichnen. 

Für die Schuhbekleidung ist in Anbetracht der verschiedenen 
Qualität der vor 20 Jahren und heute hergestellten Waren nur 


81) Nach den Preisangaben über drei verschiedene Baumwollsorten in den 
Vierteljahrsheften zur Statistik des Deutschen Reiches. 

82) In betreff der Preisänderungen von Kleidern (Stoffen, Wäsche, Stiefel) 
und Wohnungseinrichtungen während der letzten beiden Jahrzehnte wurden 
jeweils eine größere Anzahl von Interessenten (insbesondere Fabrikanten, De- 
taillisten, Verbände und Fachzeitschriften) befragt, deren Angaben im folgenden 
verwertet wurden. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 31 


schwer ein Vergleich angängig. Die Lederpreise sind sehr stark 
gestiegen, ebenfalls die Arbeitslöhne. Auf der anderen Seite haben 
die technischen Fortschritte eine weitgehende Ersparung von Ar- 
beitskräften möglich gemacht. Die Preissteigerung gleichwertiger 
Schuhwaren wird zu 15—40 % angegeben, auch die Verkaufspreise 
der minderwertigsten Sorten sollen sich erhöht haben. Nach 
Maß gefertigte Schuhe sind heute sehr viel teurer als vor 20 Jahren; 
auch die Reparaturkosten haben zugenommen, nach Ansicht eines 
Fachmannes um 20 %. 


Ein relativ hoher Aufwand ist für die Beschaffung von Woh- 
nungseinrichtungen, insbesondere für Möbel erforderlich. Die 
Reichserhebung gibt allerdings den Aufwand für Wohnungseinrich- 
tung, are? einschließlich Reinigung und Instandhaltung der Woh- 
nung auf nur 13,70 M. (15,60 M.) an. Hier ist aber wiederum, wie 
bei den Aufwendungen für Wäsche, zu berücksichtigen, daß 
es sich bei der Reichserhebung um Familien handelt, die schon 
einen Haushalt gegründet hatten, während weitaus der größte Teil 
aller Aufwendungen für Wohnungseinrichtungen bei der Begrün- 
dung des Haushalts erfolgt. Einigen Anhalt über den Wert der 
Wohnungseinrichtungen geben die Ergebnisse der Mobiliarversiche- 
rungen. In Bayern gab es 1910 bei insgesamt 1432000 Haus- 
haltungen 1228000 Policen der Mobiliarbrandversicherung in der 
durchschnittlichen Höhe von 7130 M.83). Wenn wir annehmen, 
daß die versicherten Personen durchschnittlich zu dem vollen Werte 
ihrer Mobilien versichert waren und die nicht versicherten Per- 
sonen durchschnittlich Mobilien im Werte von 800 M. besaßen, so 
würde sich für den Durchschnitt der Haushaltungen ein Mobiliar- 
wert von 6229 M. ergeben und pro Kopf ein solcher von 1300 M. 
Vor 20 Jahren war nach einer Schätzung von Rasp®*) der Mobiliar- 
wert eines Haushaltes durchschnittlich um 200% geringer. Wir 
rechnen so für das Jahr 1891 (auch für Preußen) einen durch- 
schnittlichen Mobilienwert von 1040 Mani Da wir die Ausgaben 
für Kleidung und Hauswäsche bereits berücksichtigt haben, bringen 
wir eine entsprechende Summe in Abzug; nach der privaten Mit- 
teilung zweier Feuerversicherungsgesellschaften beträgt der Ver- 
sicherungswert von Wäsche und Kleidung etwa 25 % der gesamten 
Mobilien (von den restlichen 75% kämen 40% oder etwas mehr 
auf Möbel). Die eigentlichen Wohnungseinrichtungen würden hier- 
nach einen Wert von ungefähr 780 M. repräsentieren. Veranschlagen 
wir die durchschnittliche Gebrauchsdauer dieser Mobilien auf 20 
Jahre, und berücksichtigen wir, daß im Jahre 1891 etwas mehr An- 
schaffungen als im Durchschnitt der vorangegangenen Jahre ge- 


83) Statistisches Jahrbuch für das Königreich Bayern, 1911, S. 242. 

84) Das Deutsche Volk (Zeitschrift für nationale Politik), Jahrgang 1909. 

85) Eine direkte Berechnung des Mobiliarwertes auf Grund der Versiche- 
rungsdaten des Jahres 1891 wäre unzuverlässig, weil damals in Bayern nur 
gut die Hälfte aller Familien versichert war. 


32 Arthur Friedmann, 


macht wurden, so können wir den Aufwand für Wohnungseinrich- 
tungen für 1891 auf ungefähr 40 M. schätzen. 

Den wichtigsten Bestandteil der Wohnungseinrichtungen bilden 
die Möbel. Der Wert der Möbel wird nach den erwähnten Ver- 
hältniszahlen im Jahre 1891 pro Kopf reichlich 400 M. betragen 
haben, die Kosten für Neuaufwendungen ca. 20 M. — Die befragten 
Fachleute gaben über die Wandlung der Möbelpreise ziemlich ab- 
weichende Auskünfte. Es wurde zwar im allgemeinen ein Steigen 
der Preise angegeben, während aber einige Interessenten nur eine 
geringe Preissteigerung, wenigstens für billige Möbel, verzeichneten, 
nannten andere eine Steigerung bis zu 35 %. Nur ausnahmsweise 
wurde ein Gleichbleiben der Preise oder gar eine Verbilligung fest- 
gestellt. Nach dem Durchschnitt der vorliegenden Angaben zu ur- 
teilen, betrug die Preissteigerung für billige Möbel 8—10 %, während 
sie für teuere Möbel erheblicher war. Als Ursache der Preissteige- 
rung wird wiederum das Anziehen der Materialpreise, die Erhöhung 
der Arbeitslöhne und der Spesen genannt. Die Teilarbeit soll auch 
hier keinen Ausgleich für die Steigerung der Arbeitslöhne geschaffen 
haben. 

Auch die Preise der übrigen Wohnungseinrichtung sind 
gestiegen. Für Gardinen, Portieren, Teppiche, Decken etc. 
wurde ein Preisaufschlag von etwa 20 % angegeben. Die Verteue- 
rung sei vor allem durch die Steigerung der Rohstoffpreise ver- 
ursacht. — Die Preise für Geschirr (Glas, Porzellan, Steingut) 
sollen sich ebenfalls um 15—25% erhöht haben ; höchstens die ganz 
geringen Qualitäten haben eine geringere Steigerung erfahren. Auch 
hier sind die teueren Rohstoffpreise, außerdem die vermehrten Kosten 
für Feuerung und die höheren Arbeitslöhne an dem Preisaufschlage 
schuld; endlich hat die Kartellierung der Industrie ein Hinaufgehen 
der Preise begünstigt. — Auch die Preise der Kunstgegenstände 
hatten im allgemeinen eine steigende Tendenz. — Nur bei wenigen 
Waren, die auf Grund der vervollkommneten Technik als Massen- 
artikel hergestellt werden, hat eine Verbilligung Platz gegriffen, so 
bei billigen Lampen, Kunstdrucken. — Wir schätzen die Preis- 
steigerung aller Wohnungseinrichtungen außer Möbel auf 15%. 


Von den bisher noch nicht berücksichtigten Ausgaben wollen wir 
noch diejenigen zusammenfassen, die im wesentlichen ein Entgelt 
für persönliche Dienstleistung darstellen. Neben den von 
der Reichserhebung unter dem Titel „Persönliche Bedienung“ ver- 
zeichneten Ausgaben in der Höhe von 2,60 M. (2,95 M.) wären 
hierher die in der Erhebung besonders angeführten Aufwendungen 
für Reinigung der Wohnung und Reinigung der Kleidung und 
Wäsche, sowie die Umzugskosten zu rechnen. Für die Reinigung 
von Kleidern und Wäsche gibt die Erhebung 5,70 M. (6,50 M.) an, 
während die Ausgaben für Wohnungsreinigung nicht gesondert ge- 
zählt sind. Die Bezahlung für persönliche Dienstleistungen ist heute 
sehr viel höher als vor 20 Jahren. Wir gaben die Steigerung des 
durchschnittlichen Nominaleinkommens von 1891—1911 auf unge- 


Die Woblstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 33 


fähr 45% an; wahrscheinlich ist die Bezahlung der Dienstleistungen 
in ähnlichem Umfange gestiegen. 

Auch die Kosten der ärztlichen Behandlung, sowie die Ausgaben 
für Rasieren und Haarschneiden können im wesentlichen als ein 
Entgelt für persönliche Dienstleistungen angesprochen werden. Die 
Aufwendungen zu diesen Zwecken sind sicher, wenn vielleicht auch 
nicht entsprechend der durchschnittlichen Einkommensteigerung, 
höher geworden. Die Bezahlung der Aerzte wäre hier nur soweit in 
Betracht zu ziehen, als sie von den Kranken selbst, nicht von den 
Krankenkassen oder von der Armenverwaltung geleistet wird. Die 
Tatsache, daß heute sehr viel mehr Patienten kassenärztlich be- 
handelt werden, kann unberücksichtigt bleiben, da wir später die 
Leistungen der öffentlichen Versicherungseinrichtungen gesondert 
behandeln. Für Gesundheitspflege sind in der Reichserhebung 
7,80 M. (8,90 M.), für Körperpflege 1,80 M. (2,10 M.) verzeichnet. 
Diese Summen werden zum großen Teile auf ärztliche Behandlung, 
sowie auf Haar- und Bartpflege kommen. 

Endlich sind noch die Trinkgelder in Gastwirtschaften als eine 
Bezahlung persönlicher Dienstleistungen zu rechnen. Wir schätzen 
hierfür 1 M. pro Kopf. (Die Ausgaben in Gastwirtschaften stellten 
sich nach der Reichserhebung auf 13 M.) Die Aufwendungen für 
Trinkgelder nahmen wahrscheinlich mit der allgemeinen Hebung des 
Wohlstandes erheblich zu. 

Die gesamten Kosten für persönliche Dienstleistungen mochten 
sich 1891 auf 20—25 M. belaufen ; die durchschnittliche Verteuerung 
dieser Ausgaben während der letzten 20 Jahre soll auf 35% ge- 
schätzt werden. 


Wir haben jetzt die wichtigsten Bedarfsposten angeführt. In 
der Reichserhebung sind im wesentlichen nur noch Ausgaben für 
Vergnügen, Vereine, Unterricht, Lernmittel, Zeitungen, Bücher und 
Verkehrsmittel mit zusammen 28 M. (32 M.) angegeben. Wir rech- 
nen für die hier nicht besprochenen Ausgaben insgesamt 30 M. 
und nehmen an, daß dieselben in den 20 Jahren im Durchschnitt 
keine Steigerung erfahren haben. 

Es ist nicht nötig, neben der Bestimmung des Aufwandes auch 
die Höhe der im Jahre 1891 gemachten Ersparnisse zu bestimmen, 
da sich der Wert gleichhoher Ersparnisse entsprechend der durch- 
schnittlichen Verteurung aller Waren verminderte. 


In der folgenden Zusammenstellung ist auf Grund der bisher ge- 
machten Schätzungen der durchschnittliche Aufwand für die ein- 
zelnen Bedarfsartikel im Jahre 1891 in absoluten Zahlen, sowie in 
Prozenten des Gesamtaufwandes wiedergegeben (b und c) An 
zweiter Stelle ist die geschätzte Preissteigerung der betreffenden 
Waren oder Leistungen von 1891—1911 angeführt. Die Ziffern 
(d) bedeuten die relativen Preise des Jahres 1911, wobei die Preise 
des Jahres 1891 gleich 1 gesetzt wurden. Multipliziert man die 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 3 


34 Arthur Friedmann, 


Ziffernreihen c und d, so erhält man Verhältniszahlen (e), welche 
zeigen, ein wie großer Teil des Einkommens des Jahres 1891 bei 
Zugrundelegung der Preise des Jahres 1911 für den betreffenden Be- 
darf erforderlich war; der Ueberschuß der Summe dieser Verhältnis- 
zahlen über 100 gibt an, wieviel Prozent mehr der Gesamtkonsum 
des Jahres 1891 nach den Preisen des Jahres 1911 kostete (wobei 
gemäß unseren früheren Ausführungen vorausgesetzt wurde, daß 
die einzelnen Waren in den Jahren 1891 und 1911 an den gleichen 
Orten konsumiert wurden). 


Die Kosten des Durchschnittskonsums des Jahres 1891 nach den 
Preisen der Jahre 1891 und 1911. 


a | b | c | d | e 

durchschnittlicher (e X d) 

Aufwand im Preis des relative Höhe 

Jahre 1891 Jahres 1911 | des Aufwandes 

Art des Aufwandes Im Prozent (Preis des | im Jahre 1911 

in | des Ge- | Jahres 1891 | (Gesamtaufwand 
Mark | samtauf- | = 1) des Jahres 

wandes 1891 = 100) 
Schweinefleisch 1,18 5,66 
Rindfleisch 1,29 3,88 
Kalbfleisch 1,54 0,92 
Hammelfleisch 1,40 0,34 
anderes Fleisch 1,15 0,86 
Weizenbrot und Weizenmehl 1,11 5,84 
Roggenbrot und Roggenmehl 1,08 5,68 
Milch, Butter, Käse 1,19 10,44 
Kartoffeln 1,15 sé Lie 
Eier 1,38 1,66 
Zucker 0,75 0,94 
Kaffee 0,92 1,66 
Bier 1,17 6,15 
Branntwein 1,30 2,15 
Tabak 1,25 3,76 
Uebrige Nahrungs- und Genußmittel 1,10 6,06 
Wohnungsmiete 1,16 13,37 
Heizung 1,18 3,85 
Beleuchtung 1,00 1,25 
Kleidung 1,23 13,25 
Möbel 1,10 5,24 
Andere Wohnungseinrichtungen 1,15 6,05 
Persönliche Dienstleistungen 1,35 7,44 
Sonstiges 1,00 7,52 


~ [92| 100| TI 50 ` 


Nach dieser Berechnung betrugen also die Kosten des durch- 
schnittlichen Konsums im Jahre 1891 399,2 M. Ein gleich großer 
Verbrauch hätte im Jahre 1911 (unter der oben gemachten Vor- 
aussetzung, daß die Waren 1911 an den gleichen Orton wie 1891 
E worden wären) einen 15,7% größeren Aufwand ver- 
ursacht. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 35 


Es mag auffallen, daß wir hier für das Jahr 1891 einen Ge- 
samtverbrauch von 399,2 M. errechneten, während das Durchschnitts- 
einkommen nach unserer früheren Schätzung nur 395,6 M. betrug. 
Diese Differenz wäre dann noch sehr viel erheblicher, wenn wir von 
dem Einkommen die im Jahre 1891 gemachten Ersparnisse, deren 
Höhe sich allerdings kaum abschätzen läßt, in Abzug bringen. Ent- 
weder ist also die frühere Berechnung des Einkommens zu niedrig 
oder der hier berechnete Aufwand zu hoch; das letztere ist bei der 
vielfachen Unsicherheit der vorgenommenen Schätzungen wahrschein- 
licher. Geringe Fehler in der Berechnung der einzelnen Aufwands- 
posten würden aber für die durchschnittliche Verteuerung des Ge- 
samtverbrauchs kaum ins Gewicht fallen, da sich wenigstens die 
wichtigsten Bedarfsgegenstände in ähnlichem Umfange verteuerten. 

Auch die Berechnung der Preissteigerung der einzelnen Waren 
und Leistungen war, wie wir bereits an früheren Stellen betonten, 
vielfach unsicher; dennoch wird die wirkliche Preissteigerung nicht 
allzu erheblich von der geschätzten Steigerung abweichen und kaum 
einige Prozent mehr oder weniger betragen: Nur bei wenigen Posten 
(z. B. bei Brot, Wohnungsmiete und Wohnungseinrichtungen) würde 
ein eventueller Fehler das Gesamtergebnis um 1/,% oder um 1% 
verändern, so würde z. B. die Annahme einer 5% zu hohen Steige- 
rung der Mieten eine um 0,6% zu starke Steigerung des Gesamtauf- 
wandes ergeben. Da die Erhebungsmethoden für die Preise der ver- 
schiedenen Waren oder Leistungen sehr verschieden sind, darf man 
erwarten, daß die etwa gemachten Fehler nicht alle in gleicher Rich- 
tung liegen, sondern sich teilweise ausgleichen. 


Wir müssen nun endlich noch in Rechnung ziehen, daß tatsäch- 
lich nicht, wie wir bisher annahmen, im Jahre 1911 die Waren an 
den gleichen Orten wie im Jahre 1891 konsumiert wurden, daß viel- 
mehr der vom Lande in die Stadt gewanderte Teil der 
Bevölkerung, abgesehen von der bisher berücksichtigten Preis- 
steigerung, für den gleichen Konsum in der Stadt erheblich mehr 
aufzuwenden hatte. Besonders diejenigen Personen, die auf dem 
Lande einen großen Teil ihres Nahrungsbedarfs aus der eigenen Wirt- 
schaft deckten, konnten sehr viel billiger als die städtische Bevölke- 
rung leben. Für das Fleisch lassen sich die Preisunterschiede von 
Stadt und Land nach einigen von Brutzer®6) gegebenen Daten be- 
urteilen: Das Schweinefleisch kostete beim Berliner Fleischer 32,5 
Pfennig das Pfund, während der Landwirt für dasselbe nur 57 Pf. 
erhielt. Rechnet man beim Selbstverbrauch des Landwirts 2,2 Pf. 
für Schlachtungskosten hinzu, so hätte der Landwirt für den gleichen 
Konsum 25,5% weniger aufzuwenden. Beim Rindfleisch ergibt 
eine gleiche Berechnung eine Verbilligung von 29,9% gegenüber 
der Stadt. — Aehnliches gilt für die Unterschiede der Milchpreise 


86) Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 139, A II. 


EL 


36 Arthur Friedmann, 


in Stadt und Land. Nach den diesbezüglichen Angaben für die 
Städte Berlin, Köln, Hamburg und Karlsruhe erhält der Landwirt 
für die Milch 25—45%o weniger als der städtische Konsument für 
dieselbe zu zahlen hat87). Noch erheblicher sind die Unterschiede 
der Kartoffelpreise; dies ist besonders deshalb bedeutungsvoll, weil 
fast sämtliche landwirtschaftlich Erwerbstätige in eigener Wirt- 
schaft erzeugte Kartoffeln konsumieren. Die Großhandelspreise der 
Kartoffeln waren im Durchschnitt der letzten 10 Jahre nach einem 
Vergleich der von der Reichsstatistik verzeichneten Großhandels- 
preise mit den von der Preußischen Statistik gegebenen Kleinhandels- 
preisen um 31,4%% niedriger. Nach den Angaben über Groß- und 
Kleinhandelspreise der Kartoffeln in 17 deutschen Großstädten im 
statistischen Jahrbüch deutscher Städte war der Großhandelspreis 
(1910) sogar 47% niedriger als der Kleinhandelspreis. Der Land. 
wirt hat bei dem eigenen Verbrauch der Kartoffeln einen noch ge- 
ringeren Preis als den Großhandelspreis zu verrechnen. — Ge- 
ringfügiger sind die Preisunterschiede für Roggen- und Weizen- 
mehl. Nach der Preußischen Statistik betrug der Verkaufspreis 
im Durchschnitt der Jahre 1909—1911 „beim Handel in größeren 
Mengen“ für Weizenmehl 19%, für Roggenmehl 20% weniger 
als im Kleinhandel. — Der Mietwert der Wohnungen ist auf dem 
Lande wiederum erheblich geringer als in der Stadt, wenn man auch 
wegen der verschiedenen Qualität der Wohnungen schwer einen 
zahlenmäßigen Vergleich ziehen kann; eine ungefähr gleichwertige 
Wohnung ist in der Großstadt oft um das Vielfache teurer als 
auf dem Lande. Endlich ist auch das Heizmaterial auf dem Lande 
billiger. — Es ist noch besonders zu beachten, daß der Landwirt. 
bei Berechnung des steuerpflichtigen Einkommens in Zweifelsfällen, 
ohne eine Steuerhinterziehung zu begehen, einen relativ niedrigen 
Wert für den eigenen Konsum in Rechnung setzen kann. So wird 
er für die selbst konsumierte Milch kaum den Preis in Anschlag 
bringen, den er bei Verkauf derselben nach der Stadt erhalten würde, 
sondern eher den niedrigeren Preis, den die Molkereien ihm zahlen. 
Berücksichtigt man, daß die Kosten der Ernährung, Wohnung und 
Heizung auf dem Lande ?/s—?/, des Gesamtaufwandes ausmachen, 
so wird man sagen dürfen, daß das Einkommen eines Landwirtes 
von 100 M. einem städtischen Einkommen von 130 M. gleichzu- 
setzen ist. 


87) In Hamburg beträgt nach Angaben des Leiters einer Milchvertriebs- 
gesellschaft der Milchpreis 18—22 Pf., während der Landwirt 10—14 Pf. 
erhält. In Köln kostete die Milch in der Stadt 20 Pfg. und mehr,die Land- 
wirte erzielten nur 14—15 Pf. (Clewish, Die Versorgung der Städte mit Milch, 
Hannover 1909, S. 64). In Berlin betrug nach den Berichten der Aeltesten 
der Kaufmannschaft der Milchpreis im Laden 18 Pf., frei Haus 20 Pf., frei 
Bahnhof 12—131/, Pf. In Karlsruhe (Berg, Die Milchversorgung der Stadt 
Karlsruhe, Schriften des Vereins für Sozialpolitik, Bd. 140 I, S. 135) kostete 
die Milch in der Stadt 22 Pf., der Produzent erhielt nur 163/, Pf., hat aber 
auch die Milch frei Bahnhof zu liefern. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 37 


Auch die Ergebnisse der Steuerveranlagung zeigen, daß das auf 
dem Lande veranlagte Einkommen relativ niedrig ist. Im Jahre 
1902 hatten die Landwirte mit einem Grundsteuerreinertrag von 
60—90 M. im Durchschnitt einen Grundbesitz von 8 ha und dabei 
nur ein veranlagtes Einkommen von durchschnittlich 750 M., bei 
ungefähr 100 M. Schuldzinsen (entsprechend 2063 M. Schulden) 88). 
Bei einem Grundsteuerreinertrag von 90—150 M. betrug die durch- 
schnittliche Grundstücksgröße 11,1 ha, das durchschnittlich veran- 
lagte Einkommen 890 M., bei 150 M. Schuldzinsen (3056 M. 
Schulden). So verschiedenartig die Verhältnisse auch je nach der 
Güte des Bodens sind, so läßt sich doch sagen, daß ein Landwirt mit 
einem Grundbesitz von 8 ha, der jährlich nur 100 M. Schuldzinsen 
zu zahlen hat, im Durchschnitt eine sehr viel höhere Lebenshaltung 
als ein städtischer Arbeiter mit 750 M. Einkommen hat, und daß 
sich ebenso ein Landwirt, der 11 ha besitzt, und jährlich 150 M. 
Schuldzinsen zahlt, sehr viel besser als ein städtischer Arbeiter mit 
890 M. Einkommen steht. 

Die Abwanderung vom Lande in die Stadt während 
der letzten beiden Jahrzehnte läßt sich einmal nach den diesbezüg- 
lichen Daten der Volkszählung, andererseits nach den Angaben 
der Berufszählung über die Zahl der landwirtschaftlichen Erwerbs- 
tätigen verfolgen. Im Jahre 1910 war in Preußen der Anteil der 
Bevölkerung in Landgemeinden und Gutsbezirken mit weniger als 
10000 Einwohnern um 11,40% der Gesamtbevölkerung geringer als 
1890, dagegen der Anteil der großstädtischen Bevölkerung 9,20% 
und der Bevölkerung in Städten unter 100000 Einwohnern und in 
Landgemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern 2,1% größer als 
1890. — Die Zahl der landwirtschaftlich Erwerbstätigen (allerdings 
einschließlich der in der Forstwirtschaft, Gärtnerei und Fischerei 
Berufstätigen) — zuzüglich der Angehörigen — nahm in Preußen 
von 1882—1895 um 7,5, von 1895—1907 ebenfalls um 7,5% der 
Gesamtbevölkerung ab, in der Zeit von 1891—1911 also 
schätzungsweise um 12%. Wir rechnen, daß von 1891—1911 12% 
der Gesamtbevölkerung, von denen der größte Teil landwirtschaft- 
lich erwerbstätig war und den Nahrungsbedarf ganz oder teilweise 
aus der eigenen Wirtschaft befriedigte, vom Lande in die Stadt, 
zu mehr als vier Fünftel in die Großstadt wanderte. Wenn diese 
Leute früher ein etwa zwei Drittel so hohes Einkommen als der 
Durchschnitt der Bevölkerung hatten, und nunmehr für die Be- 
streitung eines gleich großen Konsums wie auf dem Lande ein 30% 
höheres Einkommen benötigten, so waren im Jahre 1911 allein 
2,4% des Gesamteinkommens der Bevölkerung des Jahres 1891 
erforderlich, um den durch die Differenz der Unterhaltungskosten 


88) Preußische Statistik, Heft 191, S. 27, 1905: Verschuldung und sonstige 
wirtschaftliche Verhältnisse der Grundeigentümer mit mindestens 60 M. Grund- 
steuerreinertrag. 


38 Arthur Friedmann, 


bewirkten Mehraufwand der vom Lande in die Stadt Gewanderten 
zu decken. Es würde mithin der Gesamtkonsum des Jahres 1891 
im Jahre 1911 nicht, wie wir früher berechneten 15,7 %, sondern 
18,5 % teurer als 1891 gewesen sein. 

In diesem Zusammenhange ist noch zu erwähnen, daß die durch- 
schnittlichen Unterhaltskosten dann höher zu veranschlagen sind, 
wenn die Zahl der Kinder im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung 
niedriger ist, und ebenso bei einer durchschnittlich geringeren Mit- 
gliederzahl der Haushaltungen. Die Differenzen der beiden Ver- 
gleichsjahre sind aber in dieser Hinsicht unerheblich. Die Durch- 
schnittszahl der Angehörigen einer Haushaltung nahm in Preußen 
von 1890—1910 nur von 4,69 auf 4,56 ab. Der Anteil der Kinder 
unter 14 Jahren an der Gesamtbevölkerung betrug 1890 33,53, 1910 
32,65%. 


Wenn nun im Jahre 1911 das durchschnittliche Nominalein- 
kommen 43,0% höher war als 1891 (S. 16), während die Deckung 
des Konsums des Jahres 1891 1911 ein 18,5% höheres Einkommen 
erforderte, so stand im Jahre 1911 ein nicht ganz 21% höheres Ein- 
kommen, als solches zur Bestreitung des Konsums des Jahres 1891 
nötig war, zur Verfügung. 

Diese Einkommensteigerung ist etwas erheblicher als wenn 
in irgendeinem Jahre bei Gleichbleiben der Preise aller Bedarfsartikel 
das Durchschnittseinkommen um 21% gestiegen wäre; nur unter 
der Voraussetzung, daß die relativen Preise aller Bedarfsartikel 
gleichgeblieben wären, wäre bei einem Einkommen, wie es zur Auf- 
bringung des Konsums des Jahres 1891 genügte, im Jahre 1911 auch 
eben derselbe Konsum bestritten worden. Da einzelne Waren mehr 
als der Durchschnitt, andere weniger als der Durchschnitt im Preise 
stiegen oder gar im Preise sanken, wären diejenigen Waren, die 
verhältnismäßig billiger geworden sind, in relativ größerer Menge 
konsumiert worden und so schon bei einem Einkommen, mit dem der 
Gesamtaufwand des Jahres 1891 gerade hätte bestritten werden 
können, ein subjektiv wertvollerer Konsum erzielt worden. Nun sind 
aber die wichtigsten Bedarfsartikel einigermaßen gleichmäßig im 
Preise gestiegen, Schweinefleisch ist um 13%, Rindfleisch um 29%, 
Milch und Butter um ca. 20%, Brot allerdings nur um 10% teurer 
geworden. Die Wohnungsmiete ist auch um ca. 16% gestiegen. 
Kleidung und Wäsche stehen heute um 20—30%, Wohnungseinrich- 
tungen um 10—150% höher im Preise. Wenn auch einige weniger 
wichtige Bedarfsartikel erheblich im Preise gesunken sind, so ist 
doch die Gesamtsteigerung des Realeinkommens höchstens wenige 
Prozent höher als 21% anzusetzen. Wir wollen diese Verhältnisse 
an einem Beispiel erläutern; der Einfachheit halber wählen wir von 
der Wirklichkeit einigermaßen abweichende Daten: 

Wenn der Preis des Brotes im Laufe der Jahre unverändert 
geblieben wäre, während alle anderen Waren um 15% (von 87 Pf. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 39 


auf 1 M.) im Preise anstiegen, und früher pro Kopf und Jahr 40 M. 
Brot konsumiert wurden, so mögen jetzt, bei den relativ niedrigeren 
Brotpreisen vielleicht weitere 10 M. Brot anstelle anderer Waren 
verzehrt werden. Die erste Mark, die für den Mehrkonsum an Brot 
aufgewandt wird, hat fast den gleichen Wert wie die früher zuletzt 
dafür aufgewandte (40ste Mark); es tritt also anstelle eines Konsums, 
für den nach den früheren Preisen 87 Pf. gezahlt wurde, ein 
Konsum, für den früher beinahe 1 M. aufgewandt wurde. Hin- 
gegen repräsentiert die50ste Mark Brot keinen höheren subjektivenWert 
als die Waren, an deren Stelle dieser Konsum tritt, denn andernfalls 
würde noch für eine 5lste Mark Brot anstelle anderer Waren konsumiert 
werden. Wir können danach rechnen, daß die 10 M. Brot, die statt 
anderer Waren verzehrt werden, im Durchschnitt die Hälfte von 
13 Pf., also 6,5 P£., mehr wert sind als die Waren, an deren Stelle 
sie treten. Es würde mithin die ganze Verschiebung des Konsums 
nur einen Gewinn von 65 Pf. bedeuten. — Aehnliches ließe sich 
inbetref£ der Preisverschiebungen anderer Waren sagen. 

Wir werden also auch in Anbetracht der zuletzt geschilderten 
Verhältnisse die Steigerung des durchschnittlichen Realeinkommens 
auf kaum mehr als 220% schätzen dürfen. Eine Zunahme des 
Einkommens um 2200 in 20 Jahren würde eine durchschnittliche 
Einkommensteigerung um genau 1% pro Jahr bedeuten. 
(Die durchschnittliche Verteuerung der Lebenshaltung würde bei 
einer 43%igen Steigerung des Nominaleinkommens und einer 
220%igen Steigerung des Realeinkommens 17,20 betragen.) 


In der bisherigen Darstellung wurde nur das Durchschnitts- 
einkommen der Jahre 1891 und 1911 miteinander verglichen, ohne 
daß die Entwicklung in den dazwischenliegenden Jahren besprochen 
wurde. Wir werden auch weiterhin darauf verzichten, auf die 
Einkommensentwicklung in der genannten Periode näher einzugehen ; 
soviel ergibt sich aber schon bei einer oberflächlichen Betrachtung, 
daß sich die Einkommensteigerung im Laufe der 20 Jahre ohne allzu 
erhebliche Schwankungen vollzog: Das Nominaleinkommen nahm 
nach den Ergebnissen der Einkommensteuerveranlagung in den ersten 
Jahren sehr langsam und dann — mit einer Unterbrechung in den 
Jahren 1901 und 1902 — schneller zu, während die Kaufkraft 
des Geldes wahrscheinlich bis Mitte der 90er Jahre ein wenig zu- 
nahm, um von da ab bis zur Gegenwart zu sinken. (Das Jahr 
1891 nahm allerdings insofern eine Ausnahmestellung ein, als wegen 
der Mißernte der Brotpreis außerordentlich hoch war, es wurde 
aber hierauf bei Vergleich der Einkommensverhältnisse der beiden 
Jahre bereits Rücksicht genommen.) 


Dem bisher betrachteten eigentlichen Einkommen ist vielfach der Ver- 
mögenszuwachs, soweit derselbe nicht als Einkommen besteuert wird, 
gleichzusetzen. Der automatische Wertzuwachs spielt hierbei keine erheb- 


40 Arthur Friedmann, 


liche Rolle8°). Sehr viel eher kämen hier die Erbschaften in Frage, deren 
Gesamtsumme relativ bedeutend im Vergleich zu dem Gesamteinkommen der 
Nation ist. In Preußen wird heute bei einem Nationalvermögen von vielleicht 
180 Milliarden M. die Höhe der jährlichen Erbschaften etwa 6—8 Milliarden 
M. betragen gegenüber einem Nationaleinkommen von 23—24 Milliarden M. 
Die häufigsten Erbanfälle an Ehegatten und Deszendenten können allerdings in 
ihrer Bedeutung für den Wohlstand dem Einkommen durchaus nicht gleich- 
gesetzt werden. — Die Erbschaften haben in den letzten beiden Jahrzehnten 
TB der Verlängerung der durchschnittlichen Lebensdauer etwas weniger als 
die Vermögen zugenommen, und die Vermögen selbst sind anscheinend nur in 
eringerem Maße als die Einkommen gewachsen. Das von der Preußischen 
rgänzungssteuer erfaßte Vermögen nahm von 1895—1911 pro Kopf der Ge- 
samtbevölkerung um 28°/, zu, während das durchschnittliche Einkommen von 
1892—1912 um 43°/, anstieg. — Würden wir den konsumierten Teil der Erb- 
schaften dem aus dem Einkommen bestrittenen Konsum hinzurechnen, so würde 
der Gesamtkonsum doch nicht die Höhe des eigentlichen Einkommens erreichen, 
denn die Aufzehrung eines Teiles des vorhandenen Vermögens wird durch die 
Ersparung neuen Vermögens mehr als ausgeglichen. 

Die Größe des Kapitalvermögens an sich kann, abgesehen von dem bereits 
berücksichtigten aus dem Vermögen fließenden Einkommen, kaum als ein 
wesentlicher Maßstab des Wohlstandes betrachtet werden ; anders verhält es sich 
mit dem Gebrauchsvermögen. Indem wir an Hand des veranlagten Ein- 
kommens die Größe des jeweiligen Konsums bestimmten, ließen wir die Nutz- 
nießung der Güter, die bereits in früheren Jahren beschafft wurden, unberück- 
sichtigt. Nur bei Benutzung eines eigenen Wohnhauses wurde ein entsprechender 
Betrag bereits bei dem Einkommen in Rechnung gesetzt, nicht aber bei dem 
restlichen Gebrauchsvermögen, besonders der ohnungseinrichtung. Nach 
unseren früheren Schätzungen kann der Wert der Nutzung der eigentlichen 
ier Geer? für das Jahr 1891 auf nicht gena 40 M. pro Kopf (das 
wären 1 de des Durchschnittseinkommens) veranschlagt werden. Man sollte 
erwarten, daß sich in den letzten Jahrzehnten der Aufwand für Wohnungsein- 
richtungen und mithin der Wert des vorhandenen Mobiliars mindestens ebenso 
stark wie das Einkommen vermehrt hätte, da bei steigendem Wohlstand ein 
relativ größerer Anteil des Einkommens für weniger dringliche Zwecke aus- 
gegeben wird. Nach der Statistik von Rasp°®), die sich auf den Vergleich 
einer großen Anzahl von Policen im Jahre 1890 und 1910 stützt, hätte sich 
hingegen der Mobiliarwert nur um 20°/, gesteigert. Da die Mobilien innerhalb 
der letzten 20 Jahre nicht unerheblich teurer geworden sind, wäre die tatsäch- 
liche Zunahme des Gebrauchsvermögens noch geringer. 


3. Der Anteil der hohen und niederen Einkommen an der 
allgemeinen Wohlstandssteigerung. 


Bei der obigen Darstellung der Wohlstandsentwicklung in 
Preußen haben wir allein auf die durchschnittliche Einkommen- 


89) Der automatische Wertzuwachs des vorhandenen Vermögens beträgt 
heute nach allerdings sehr unsicheren Schätzungen in Deutschland jährlich 
1—3 Milliarden M. Ein sehr großer Teil dieses Zuwachses wird aber bereits 
als Einkommen veranlagt. Die Handel- und Gewerbetreibenden haben den Zu- 
wachs des Anlagekapitals als Geschäftsgewinn zu versteuern. Ein sehr großer 
Teil des Grundvermögens, das hier in erster Linie in Betracht käme, ist nicht 
im Besitz von Privatpersonen, sondern von industriellen Unternehmungen, Terrain- 
gesellschaften etc. Der Vermögenszuwachs erscheint hier in den Dividenden 
der Unternehmungen und so in dem eigentlichen Einkommen der Aktionäre. 
Endlich wird auch ein erheblicher Teil des Wertzuwachses der Grundstücke, 
die sich im Besitze von Privatpersonen befinden, in Form von Hypotheken- 
zinsen den Hypothekengläubigern zugeführt und von diesen als eigentliches 
Einkommen verrechnet. 

90) Das Deutsche Volk, Zeitschrift für nationale Politik, Jahrgang 1909. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 41 


steigerung Gewicht gelegt. Wir wollen nunmehr an Hand der früher 
gegebenen Daten zu zeigen versuchen, welchen Anteil die nie- 
deren, mittleren und höheren Einkommen an der allge- 
meinen Einkommensteigerung hatten. Wir bedienen uns 
einer ähnlichen Methode, wie sie von Helfferich in seiner Ar- 
beit: Die Verteilung desVolkseinkommens in Preußen 1896—191291) 
angewandt wurde. Die Art der Berechnung ist aus untenstehender 
Tabelle ersichtlich92): Die Gesamtzahl aller Zensiten wurde 1892 
und 1912 in 7 Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe umfaßt in beiden 
Jahren den gleichen Prozentsatz aller Zensiten, und zwar wurde der 
Umfang der Gruppe nach Möglichkeit so bemessen, daß für das 
Jahr 1892 auf die einzelne Gruppe 10% des Gesamteinkommens 
entfiel. Nur der ersten Gruppe mußten 1892 sämtliche Zensiten 
mit weniger als 900 M. und insgesamt 42% des Gesamteinkommens 
zugewiesen werden, da die genauere Verteilung des Einkommens 
auf die Personen mit weniger als 900 M. unbekannt ist. In die zweite 
Gruppe wurden soviel Zensiten — mit dem nächst höheren Ein- 
kommen — eingeordnet, daß das Einkommen der Gruppe I und II 
50% des Gesamteinkommens ergab. 


Bei der Berechnung der Zensitenzahl und des Einkommens in 
Spalte b—d wurden die Angaben der offiziellen Einkommenstatistik 
verwandt. Für die Einkommen unter 900 M. wurden jedoch die in 
dieser Arbeit (S. 5) errechneten Werte eingesetzt; die Frei- 
stellungen und Ermäßigungen wurden auf die Weise berücksich- 
tigt, daß die Zensitenzahl in den Einkommensgruppen von 900 
bis 3000 M. — entsprechend der Besetzung der einzelnen Gruppen 
— insgesamt um die Zahl der Steuerbefreiten erhöht wurde; für’ die 
Ermäßigungen in den höheren Einkommensgruppen wurden ent- 
sprechende Korrekturen angebracht 93). 


Avs Spalte e der Tabelle ist ersichtlich, daß sich der verhältnis- 
mäßige Anteil der einzelnen Einkommensgruppen am Gesamtein- 
kommen etwas, wenn auch nur wenig verschoben hat. Wäre der 
Anteil einer Gruppe am Gesamteinkommen 1912 genau so groß 
wie 1892 gewesen, so müßte auch das Durchschnittseinkommen 
dieser Gruppe im selben Umfange wie das Durchschnittseinkommen 
überhaupt, also nach unseren früheren Schätzungen (S. 16) um 
430, gestiegen sein. Nahm aber der verhältnismäßige Anteil des 
Einkommens einer Gruppe am Gesamteinkommen um f% zu, 
(Spalte f), so muß auch das Durchschnittseinkommen der Gruppe 
1912 f%o größer sein, als es bei einer nur 43%igen Steigerung ge- 
wesen wäre. Das Durchschnittseinkommen der Gruppe wäre alsdann 


91) Festgabe zu Rießers 60. Geburtstag, Berlin 1913, S. 18. 

92) Die Spalte e der Tabelle entspricht der Helfferichschen Darstellung. 
Die Spalten g und h wurden hinzugefügt. 

93) Bei dieser Berechnung ergibt sich für das Jahr 1892 ein ungefähr 
60 Mill., für das Jahr 1912 ein etwa 200 Mill. M. geringeres Gesamteinkommen 
als bei der präziseren Berechnung an früherer Stelle (S. 11); ein gleicher 
Berechnungsmodus war hier nicht anwendbar. 


Arthur Friedmann, 


42 


Die durehschnittliche Steigerung verschieden hoher Einkommen in Preußen von 1892—1912. 


Berechnet nach dem Anteil von 7 EE an dem Gesamteinkommen in den beiden Vergleichsjahren. 


PR Gruppe Gruppe rüppė Fre Geet Gruppe |Gruppe Gruppe 
I u 1m IV v vi vn "rm viia 
a Prozent aller Zensiten 76,42 7,50 7,42 4,88 2,63 0,98 0,17 100 0,00093 
b ann h 1892| 8411 825,7 816,7 537,5 289,7 107,2 18,34 ||r1 006,1] 0,102 
b, Zahl der Zensiteu in Tausend fion 11996 1177,3 1164,8 766,0 412,8 153,8 26,59 15 697,4| 0,145 
©, | Eink Be E. J 1892 |o— 900| 900—1087,5| 1087,5—1505|1505—2511|2511— 5625 |5625—21 480 üb. 21 480| über o füb. 512 500 
e (Frame (von... bis...) Vaaak vest 1355—1586 | 1586-2r1slarıs 355513555 —741017410--29 430 üb, 29 430] über st 751 000 
d, i absolut d 1892| 4291 821 1022,4 1022,4 1022,4 1022,4 1022,4 || 10 224 102,2 
d, Gruppen- jin Millionen Mark | 1912] 8923 1728 2075 2041 1985 1960 2226 20 938 249.0 
e, | einkommen ) in Prozent des [1892| 47,97 8,03 10,0 10,0 10,0 10,0 10,0 100 1,0 
1 H H , H H 
e, Gesamteinkommens | 1912| 42,62 8,25 9,91 9,75 9,48 9,36 1063 | 100 1,19 
Steigerung (+) resp. Verminderung (—) 
des verbältnismäßigen Anteils des 
t Gruppeneinkommens am Gesamtein- 
kommen von 1892—1912 in Proz. des +15 + 2,7 — 0,9 — 2,5 — 5,2 —64 +6, o + 19,0 
verhältnismäßigen Anteils von 1892 
100 
Le gei AE Sen 
Durchschnittliche FE de 
Nominaleinkommens der be- 
treffenden Gruppe in Prozent (ermit- 
g telt aus der S. 16 festgestellten durch- 
schnittlichen Einkommenssteigerung( | 45,1 46,9 41,7 39,4 35,6 33,8 52,0 43 70,2 
von 43°/, und der Ziffer in f.) 
(= 000 LD 100) 
Durchschnittliche Steigerung des 
h Realeinkommens der betreffen- 
den Gruppe in Prozent (ermittelt auf 
Grund der Ziffer in g und der S. 20 e 
festgestellten durchschnittlichen Ver-\| 23,8 25,3 20,9 18,9 15,7 14,2 29,7 2 45,2 


teuerung der Lebenshaltung um 
17,2°/0) 
~ . (100 + g) 


172 100) 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 43 


100 + f 
100 
100 + f 


die Zunahme betrüge nicht 43°/,, sondern UA. "or 100) Du 


(Spalte ei — Da sich die Lebenshaltung von 1892—1912 (nach 
S. 39) um 17,20% verteuerte (einem Einkommen von 100 im Jahr 
1892 ein Einkommen von 117,2 im Jahre 1912 entspricht), würde 
bei einer nominellen Zunahme des Einkommens um g% die Steige- 


00. 
rung des Realeinkommens nur e ml Du betragen 


nicht von 100 auf 143, sondern von 100 auf 143. gestiegen ; 


(Spalte h). 

Die Tabelle zeigt, daß die verschieden hohen Einkommen in 
nicht gar so verschiedenem Umfange gestiegen sind. Wenigstens 
scheinen die niedersten Einkommen, deren Entwicklung das größte 
Interesse beansprucht, in ähnlichem Umfange wie der Durchschnitt 
aller Einkommen gewachsen zu sein. Die Einkommen unter 900, 
resp. 1355 M. erfuhren nominell eine nur 2,1% größere Steigerung 
als das Durchschnittseinkommen; etwas größer war das Wachs- 
tum der Einkommen bis 1100, resp. 1600 M. Die mittleren Ein- 
kommen blieben hinter der durchschnittlichen Einkommensteige- 
rung zurück, während die hohen Einkommen wieder eine verhältnis- 
mäßig stärkere Zunahme aufweisen. Die Einkommen über 21000, 
resp. 29000 M. stiegen dem Nominalwerte nach statt um 43 um 
52%, dem Realwerte nach statt um 22 um 29,7%. Am stärksten 
ist die Zunahme bei den allerhöchsten Einkommen. (Ca. 1/100?/v0 
aller Zensiten [1892 102, 1912 145 Personen] hatten 1892 nur 1%, 
1912 dagegen 1,19%0 des Gesamteinkommens. Die Steigerung des 
Nominaleinkommens betrug 700%, die Steigerung des Realeinkom- 
mens 45%.) 

Bei der hier gegebenen Berechnung wurden die vermutlichen 
Hinterziehungen und Mindereinschätzungen nicht berücksichtigt, und 
außerdem wurden die direkten Steuerleistungen nicht in Abzug ge- 
bracht. Nun hat sich die Genauigkeit der Veranlagung bei den nie- 
deren Einkommen im Laufe der Jahre wahrscheinlich mehr als bei 
‘den höheren Einkommen gesteigert. Wir veranschlagten die Minder- 
einschätzungen der Einkommen unter 3000 M. 1912 auf nur 15% 
gegen 22% im Jahre 1892, hingegen die Hinterziehungen der Ein- 
kommen über 3000 M. 1912 auf 10% gegen 15% im Jahre 1892 
(S. 15). Dies wären für die niederen Einkommen 1912 um 7% ge- 
ringere, für die höheren Einkommen aber nur um 5% geringere 
Mindereinschätzungen. Wenn wir also oben die Zunahme der Ein- 
kommen unter 900 M. zu 2,1% größer als die Zunahme des Durch- 
schnittseinkommens angaben, so könnte diese geringe Differenz schon 
teilweise durch die relativ bessere Veranlagung der niederen Ein- 
kommen im Jahre 1912 erklärt werden. 


44 Arthur Friedmann, 


Daß bei der obigen Berechnung die direkten Steuern nicht in 
Abzug gebracht wurden, scheint für das Resultat unerheblich. 
Die direkten Steuern sind verhältnismäßig gering. Auch haben die- 
selben für hohe und niedere Einkommen in nicht gar so verschie- 
denem Verhältnisse zugenommen. Die Progression ist bei den nie- 
deren Einkommen zwar viel stärker als bei den höheren, so daß 
bei einer verhältnismäßig gleichen Zunahme bei den niederen Ein- 
kommen relativ höhere Steuerbeträge in Abzug zu bringen wären. 
Auf der anderen Seite bewirkten die Steuerzuschläge des Jahres 1909 
eine verhältnismäßig stärkere Belastung der höheren Einkommen. 
Ebenso werden die Reichen durch die erst seit 1893 erhobenen Er- 
gänzungssteuern, sowie durch die im Jahre 1911 im Gegensatz zum 
Jahre 1891 bei der Veranlagung teilweise nicht in Abzug gebrachten 
kommunalen Ertragsteuern verhältnismäßig stärker belastet. 

Ein merklicher Fehler entstand jedoch bei der obigen Be- 
rechnung dadurch, daß die Aenderung des Geldwertes für ver- 
schieden hohe Einkommen als gleich angenommen wurde, während 
in der Tat die Kaufkraft des Geldes im Laufe der 20 Jahre für die 
hohen Einkommen in stärkerem Maße als für die niederen abge- 
nommen zu haben scheint, und zwar aus zwei Gründen: Erstens 
sind diejenigen Bedarfsartikel, die von den Wohlhabenden in relativ 
größerem Umfange konsumiert werden, vielfach ‚stärker im Preise 
gestiegen. Bei den hohen Einkommen kommt ein geringerer Anteil 
des Konsums auf Nahrungsmittel, sowie auf Wohnungsmiete, da- 
gegen eiu größerer Anteil besonders auf persönliche Bedienung, dann 
auf Wohnungseinrichtungen und wahrscheinlich auch auf Kleidung. 
Die Kleidung und mehr noch die persönliche Bedienung haben sich 
in den letzten 20 Jahren mehr als der Durchschnitt aller Waren 
verteuert, nach unseren früheren Schätzungen um 23, resp. 350/0, 
während die durchschnittliche Preissteigerung nur ca. 16% be- 
trug. Unter den wichtigeren Nahrungsmitteln hat das Fleisch, das 
in verhältnismäßig größeren Mengen von den Reichen konsumiert 
wird, eine größere Preissteigerung als der Durchschnitt aller Nah- 
rungsmittel erfahren. Andererseits haben sich die Verkehrsmittel, 
die relativ mehr von der wohlhabenden Bevölkerung in Anspruch 
genommen werden, weniger als der Durchschnitt aller Waren ver- 
teuert oder gar verbilligt, ebenso manche Luxusartikel. Einzelne 
heute gebrauchte Luxusartikel waren vor 20 Jahren gar nicht oder 
in gleichwertiger Form nur zu sehr viel höheren Preisen zu erlangen. 
— Zweitens aber ist der Aufwand der Reichen dadurch verhältnis- 
mäßig teurer geworden, daß sich innerhalb der einzelnen Gruppen von 
Bedarfsartikeln der Preis derjenigen Qualitäten, die speziell dem Ge- 
brauche der Reichen dienen, vielfach mehr als der Durchschnitts- 
preis der betreffenden Waren erhöht hat. Von der ärmeren Bevölke- 
rung werden in größerem Umfange Waren konsumiert, die als Mas- 
senartikeln hergestellt werden und in den letzten Jahren auf Grund 
der vervollkommneten Technik eine Verbilligung oder doch nur eine 
geringere Verteuerung erfahren haben. So stieg der Preis für Kon- 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 45 


fektionswaren lange nicht in dem Umfange wie der Preis nach Maß 
gefertigter Anzüge; Maßstiefel haben sich mehr als fertig gekaufte 
Stiefel verteuert. Ebenso sind nach Angabe der von mir befragten 
Sachverständigen die Preise der teuren Möbel im weitgehenderen 
Maße als die der billigen Möbel gestiegen. — Eine Ausnahme in 
dieser Hinsicht scheinen die Aufwendungen für Wohnungsmiete zu 
machen. In der Mehrzahl der Städte, die Angaben über die Miet- 
steigerung in den letzten Jahren bringen, wird für kleinere Woh- 
nungen eine stärkere Steigerung der Mieten angegeben 9). Viel- 
leicht ist diese Tatsache teilweise darauf zurückzuführen, daß sich 
die Ausstattung der billigen Wohnungen verhältnismäßig mehr als 
die der teueren gehoben hat. 

- Die durchschnittliche Verteuerung der Lebenshaltung für die 
verschieden hohen Einkommen könnte auf die gleiche Weise, 
wie dies früher für das Durchschnittseinkommen geschehen ist, 
festgestellt werden (in der Tabelle auf S.34 wären in Spalte c und d 
entsprechend veränderte Werte einzutragen). Wenn für eine ge- 
nauere Berechnung auch genügende Daten fehlen, so läßt sich doch 
soviel bei einer ungefähren Schätzung der betreffenden Werte er- 
sehen, daß die durchschnittliche Verteuerung der Lebenshaltung für 
die hohen Einkommen höchstens um wenige Prozent größer als für 
das Durchschnittseinkommen gewesen ist. Wir dürfen danach 
schließen, daß trotz der etwas geringeren Abnahme des Geldwertes 
für die niederen Einkommen die Steigerung dieser Einkommen nicht 
wesentlich größer als die der höheren war. 


4. Die Leistungen der öffentlichen Körperschaften in den 
Jahren 1891 und 1911. 


Um ein vollständiges Bild der Lebenshaltung in den beiden Ver- 
gleichsjahren zu geben, haben wir — nach Besprechung des pri- 
vaten Konsums — nunmehr die staatlichen Leistungen in Betracht 
zu ziehen. Und zwar sind von diesen nur solche zu berücksichtigen, 
die ohne spezielles Entgelt erfolgen; die entgeltlichen Leistungen 
wurden bereits bei dem privaten Konsum betrachtet. Ebenso sind 
die Ausgaben der Schuldenverwaltung in Abzug zu bringen; die 
Schuldzinsen fanden als Einkommen der Staatsgläubiger Berück- 
sichtigung. Auch die Ausgaben für Militärzwecke müssen wir bei 
der Beurteilung des Volkswohlstandes außer Acht lassen. Es ist in 
diesem Zusammenhange ohne Belang, ob die Aufwendungen für 
militärische Zwecke etwaige Störungen der Volkswirtschaft durch 
kriegerische Vorkommnisse verhinderten und so indirekt zu einer 
Hebung des Wohlstandes beitrugen, denn die tatsächlich erfolgte 
Steigerung des Wohlstandes würdigten wir bereits in der Zunahme 
des privaten Konsums, sowie auch in der Mehrung der sonstigen 
staatlichen Leistungen. Es kann auch nicht gut damit gerechnet 
werden, daß schon in naher Zukunft geringere Mehraufwendungen 


94) Vgl. S. 26 ete. und die dort angegebene Literatur. 


46 Arthur Friedmann, 


für militärische Zwecke gemacht werden, und so der Zuwachs des 
Nationaleinkommens, der jetzt für Rüstungen verbraucht wird, an- 
deren Zwecken zugeführt wird, zumal wenn man die Möglichkeit 
kriegerischer Ereignisse in Rechnung zicht. 

Die Gesamtausgaben des Deutschen Reiches, ausschließlich der 
Ausgaben für Landesverteidigung und Schuldenverwaltung, sowie 
der Aufwendungen für Post, Telegraph und Eisenbahn und endlich 
auch abzüglich der Ueberweisungen an die Bundesstaaten stellten 
sich 1891 auf 144 Mill. M. oder 2,90 M. pro Kopf, 1911 auf 385 
Mill. M. oder 5,90 M. pro Kopf. In Preußen betrugen die gesamten 
Staatsausgaben, wiederum ohne die Aufwendungen für erwerbswirt- 
schaftliche Unternehmungen und ohne die Ausgaben für Schulden- 
verwaltung, und abzüglich der Matrikularbeiträge 1891 529 Mill. M., 
1911 1157 Mill. M., das sind pro Kopf der Bevölkerung 17,40, 
resp. 28,40 M. Die unentgeltlichen Leistungen der preußischen 
Kommunen, ausschließlich der Ausgaben für die Schuldenverwal- 
tung, bezifferten sich, wie die untenstehenden Berechnungen ergeben, 
1891 auf schätzungsweise 368 Mill. M., oder 12,10 M. pro Kopf und 
1911 auf 1041 Mill. M. oder 25,60 M. pro Kopf. 

Die Gesamtsumme der unentgeltlichen Leistungen von Reich, 
Staat und Kommunen betrug danach in Preußen 1891 pro Kopf 
32,40 M., 1911 59,90 M., die Steigerung also 85%. 


Die unentgeltlichen Leistungen der preußischen Kommunen 
im Jahre Tt abzüglich der Ausgaben für die Schuldenver- 
waltung. 

Im Jahre 1888 betrugen die Gesamtausgaben in den 7 östlichen Provinzen 
Preußens 33!/, Mill. M., in den Gutsbezirken 10 Mill. M., zusammen 43!/, 
Mill. M.9). Die Schulden der Landgemeinden betrugen 36,7 Mill. M., das sind 
schätzungsweise an Schuldzinsen und Tilgungssummen 2,2 Mill. M. Unter 
den angeführten Ausgaben sind nicht allzuviel entgeltliche Ausgaben ge- 
zählt ech 29 Mill. M. kamen auf Armenpflege, Volksschulen und öffent- 
liche Wege). Wir rechnen die unentgeltlichen Leistungen der östlichen Land- 
gemeinden und Gutsbezirke abzüglich der Aufwendungen für die Schulden- 
verwaltung zu 37 Mill. M. Die Gemeindeabgaben waren 1883 in den Landge- 
meinden der 5 westlichen Provinzen 92°/, höher als in den Landgemeinden 
der 7 östlichen Provinzen %8). Wir schätzen danach die unentgeltlichen Leistun- 
en der Landgemeinden der westlichen Provinzen abzüglich der Ausgaben der 
Schuldenverwaltung im Jahre 1888 auf 60 Mill. M.; die Gutsbezirke der west- 
lichen Provinzen können wegen ihrer geringen Zahl vernachlässigt werden. Die 
Gesamtleistungen aller preußischen Landgemeinden und Gutsbezirke betrugen 
also 1888 ca. 97 Mill. M. Von 1888—1891 nahmen die direkten Staatssteuern 
in Preußen um 8% zu). Wir nehmen für die Leistungen der Landgemeinden 
ane TER Zunahme an und schätzen dieselben für das Jahr 1891 auf 102 

ill. M. 

Die Leistungen der Städte mit mehr als 10000 Einwohnern lassen sich 
nach den Angaben über die Einnahmen und Ausgaben derselben im Jahre 
189198) abschätzen. 


95) Statistisches Handbuch für den Preußischen Staat, Bd. 2, S. 622. 

96) Ebenda, S. 619. 

97) Ebenda, S. 574. i 

98) Drucksachen des Preußischen Abgeordnetenhauses, Session 1892/93, 
No. 7, 8. 701. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 47 


Unentgeltliche Leistungen der preußischen Städte mit mehr als 
10000 Einwohnern im Jahre 1891/92 (mit Ausnahme der Ausgaben 
für die Schuldenverwaltung) in Millionen Mark. 


Ein- ee, Toen reiche 
istungen 
nahmen gaben (geschätzt) 
Allgemeine staatliche Zwecke 4,3 18,2 16 
Verkehrsanlagen 10,1 52,1 42 
Gewerbliche Anlagen und gemeinnützige Anstalten 121,4 118,0 5 
Wohltätigkeit und Armenpflege 14,3 44.5 30 
Unterrichtszwecke 21,5 72,8 E 
Allgemeine Gemeindeverwaltung 4,1 28,5 26 
Schuldenverwaltung — 37,1 — 
Nutzbares Vermögen 24,6 5,9 — 
Bonstiges 50,7 18,4 10 
Gesamtsumme der unentgeltlichen Leistungen 180 Mill. M 


Die Bevölkerung satos (1890) 8,3 Mill. ; die Leistungen pro Kopf also 
21,7 M. Rechnen wir für die 3,5 Mill. Bewohner der Städte mit weniger als 
10000 Einwohnern die unentgeltlichen Leistungen der Kommune zu 16 M. 
po Kopf, so erhalten wir für die Städte dieser Größenordnung eine Gesamt- 
aane von 56 Mill. M. 

betrüge danach die Gesamtsumme der unentgeltlichen Leistungen der 
Städte abzüglich der Ausgaben für Schuldenverwaltung ca. 236 Mill. M. 

Die Leistungen der Kreise, sowie der höheren Kommunalverbände kämen 
nur soweit in Betracht, als dieselben aus eigenen Einnahmen bestritten werden. 
Die Leistungen der Provinzialverbände werden größtenteils durch Dotationen 
ermöglicht, die bei den Ausgaben des Staates bereits berücksichtigt wurden und 
durch direkte Steuern, die sich als ein Teil der Kreissteuern darstellen. Die 
übrigen Einnahmen beliefen sich 1891 auf ca. 12 Mill. M.°%) (einschließlich: 
en abzüglich der Ausgaben für die Schuldenverwaltung viel- 
leicht auf 10 Mill. M. — Die Kreisabgaben betrugen 1891 20 Mill. M.!0), die 
Schuldaufnahmen und die Ausgaben für die Schuldenverwaltung mögen sich 
wenigstens ungefähr die Wage halten, so daß wir die Gesamtaufwendungen 
der ee ee soweit sie nicht anderweitig berücksichtigt sind, auf 
30 Mill. M. veranschlagen können. 


Die Gesamtsumme der hier zu berücksichtigenden Leistungen der Kom- 
munen betrugen danach 


in den Landgemeinden 102 Mill. M. 
in den Städten 236 » » 
in den höheren Kommunalverbänden 30 „ » 


Summe 368 Mill. M. 


Die unentgeltlichen Leistungen der preußischen Kommunen 
im Jahre 1911 abzüglich der Ausgaben für die Schuldenver- 
waltung. 


. Die Gesamtleistungen der Städte und Landgemeinden mit mehr als 10000 
Einwohnern, soweit sie ohne spezielles Entgelt erfolgen, lassen sich für das 
Jahr 1907 nach den Angaben in der Denkschrift zur Reichsfinanzreform über 
die Einnahmen und Ausgaben dieser Gemeinden nach Verwaltun szweigen 101) 
ungefähr bestimmen, und dann auch für das Jahr 1911 auf Grund der Steige- 
rung der Gemeindeabgaben von 1907—1911 abschätzen. 


99) Handbuch für den Preußischen Staat, Bd. 2, S. 628. 
100) Ebenda, 8. 625. 
101) Denkschriftenband 1 zur Reichsfinanzreform, S. 683 und 700. 


48 Arthur Friedmann, 


Ausgaben und Einnahmen der Gemeinden mit mehr als 10000 Ein- 
wohnern nach Verwaltungszweigen im Jahre 1907. 

ohne spezielles Ent- 

gelt erfolgende kom- 


Aus- Ein- munale Leistungen 
gaben nahmen mit Ausnahme der 
Millionen Mark Ausgaben für die 
Schuldenverwaltung 
(geschätzt) 
Kämmereiverwaltung 44,7 78,1 -= 
Allgemeine Verwaltung 113,1 35,7 90 
Steuerverwaltung 26,1 485,9 26,1 


Polizeiverwaltung und Verwaltung son- 

stiger Einrichtungen für die öffentliche 

Sicherheit 47,9 7,5 44 
Verwaltung der städtischen Werke, Markt- 

hallen und der sonstigen Einrichtungen 


für Lebensmittelversorgung 306,3 331,6 — 
Bildungs- und Kunstinstitute 242,3 69,5 172,8 
Bauverwaltung 153,4 79,6 80 
Armen-, Waisen- und Krankenverwaltung 110,8 40,1 79,7 
Schuldenverwaltung 201,9 129,4 — 
Sonstige Verwaltungszweige 178,9 162,4 60 


543,6 


Die gesamten Steuern der Städte und Landgemeinden mit mehr als 10000 
Einwohnern betrugen 1907 481,6 Mill. M.102), 1911 645,1 Mill. M.10), die 
Steiger also 33,90/,. Die Gesamtausgaben sind von 1907—1911 eher etwas 
stärker als die Steuern gestiegen, indem ein wachsender Anteil des Bedarfs 
aus den Ueberschüssen erwerbswirtschaftlicher Unternehmungen gedeckt wurde. 
Wir können danach die Gesamtsumme der ohne spezielles Entgelt erfolgenden ` 
Leistungen ausschließlich der Ausgaben für die Schuldenverwaltung in den Ge- 
ee mit mehr als 10000 Einwohnern für das Jahr 1911 auf 740 Mill. M. 

ätzen. ; 

Für die Gemeinden mit weniger als 10000 Einwohnern ist 
nur eine ungefähre Schätzung der unentgeltlichen Leistungen möglich. Die 
Abgaben dieser Gemeinden betrugen 1907 einschließlich der Abgaben beson- 
derer Schulverbände 174 Mill. M.10) oder 7,8 M. pro Kopf. ir rechnen 
für das Jahr 1911 die Gemeindeabgaben unter Hinzurechnung der übrigen 
kommunalen Einnahmen —, eines über den Wert der entsprechenden Leistung 
hinausgehenden Anteils der Gebühren, der Ueberschüsse aus Erwerbsunternehmen 
und der zu nicht werbenden Zwecken aufgenommenen Anleihen — zu 13,0 M. 
ro Kopf, das wäre bei einer Bevölkerungszahl von 22,5 Mill. 293 Mill. M. 
on dieser Summe wären die Ausgaben für Eege hue in Abzug zu 
bringen. Die Schulden der Gemeinden mit weniger als 10000 Einwohnern be- 
trugen 1907 717 Mill. M. 104), 1911 schätzungsweise 900 Mill. M., die Ausgaben 
für Verzinsung und Tilgung der Schulden also ca. 45 Mill. M. Es bleiben 
als unentgeltliche Leistungen der Gemeinden mit weniger als 10000 Einwohnern 
248 Mill. M. 

Die Leistungen der höheren Kommunalverbände wären wieder nur soweit 
zu berücksichtigen, als dies nicht bereits an anderer Stelle geschehen ist. Die 
Zuwendungen des Staates an die Provinzialverbände wurden zu den Ausgaben 
des Staates hinzugerechnet; die direkten Steuern der Provinzen, die nach 
dem Kreis- und Provinzialabgabengesetz des Jahres 1906 auf die Kreise um- 
gelegt werden, werden schon bei den Leistungen des Kreises berechnet, und 
ebenso finden die direkten Kreissteuern, die auf die Gemeinden umgelegt werden, 


102) Reichstagsdenkschrift für Reichsfinanzreform, I, S. 636. 
103) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1912, S. 619. 
104) Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform, I, S. 663. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 49 


bei den Aufwendungen der Kommunen Berücksichtigung. — Für die Provinzial- 
rerbände wären hauptsächlich noch diejenigen Leistungen in Betracht zu ziehen, 
die durch die Einkünfte aus eigenem Vermögen ermöglicht werden. 1903 
kamen auf 30 Mill. M. Steuern ca. 15 Mill. M. Einnahmen aus dem Ver- 
mögen 15), 1911 auf 56 Mill. M. Steuern schätzungsweise 25 Mill. M. Die 
Schuldaufnahmen im Jahre 1911 betrugen nach einem Vergleich des Schulden- 
standes von 1911 und 1912196) ca. 30 Mill. M.; wir rechnen 25 Mill. M. zu 
nicht gewerblichen Zwecken. Die Ausgaben für Schuldenverwaltung können 
bei 340 Mill. M. Schulden auf 17 Mill. M. geschätzt werden 1), so daß von 
den anderweitig nicht berücksichtigten Aufwendungen der Provinzialverbände 
noch 33 Mill. fr. zu zählen wären. 

Die indirekten Steuern der Kreise betrugen 1911 22 Mill. M., die Schulden- 
aufnahmen nach einem Vergleich des Schuldenstandes der Jahre 1911 und 
1912108) ca. 50 Mill. M., wovon wir 30 Mill. M. für Aufwendungen zu nicht 
gewerblichen Zwecken rechnen. Von diesen Ausgaben sind ca. 32 Mill. M. 
Aufwendungen für die Schuldenverwaltung in Abzug zu bringen (der Schulden- 
stand betrug 617 Mill M..). Es bleiben somit 20 Mill. M. anderweitig nicht 
berücksichtigte Leistungen der Kreise. 

Die Gesamtsumme der unentgeltlichen Leistungen der Kommunen abzüg- 
lich der Ausgaben für die Schuldenverwaltung betrug also 


in den Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern 740 Mill. M. 
in den Gemeinden mit weniger als 10 000 Einwohnern gé 97 Ze 
in den höheren Kommunalverbänden (soweit nicht anderweitig berück- 

siehtigt) 3 un 


zusammen 1041 Mill. M. 


Bej der Berechnung der staatlichen und kommunalen Leistungen 
wurden auch diejenigen Aufwendungen mitgerechnet, die ganz oder 
teilweise der Nutznießung kommender Jahre dienen, beispielsweise 
die Kosten neu errichteter öffentlicher Gebäude. Auf der anderen 
Seite blieb bei der alleinigen Berücksichtigung der in den beiden 
Jahren gemachten staatlichen Aufwendungen die Nutznießung des in 
den betreffenden Jahren bereits vorhandenen öffentlichen Gebrauchs- 
vermögens außer Betracht. Der Anteil dieses Gebrauchsvermögens, 
der auf die Nutzung der Jahre 1891 und 1911 zu rechnen ist, ist 
wahrscheinlich geringer als der Wert des in diesen Jahren neu be- 
schafften Nutzungsvermögens. — Der Nutzungswert der staatlichen 
und kommunalen gewerblichen Anlagen muß ebenso wie die 
Aufwendungen zu sonstigen erwerbswirtschaftlichen Zwecken un- 
berücksichtigt bleiben. Wenn die Leistungen dieser Unternehmungen 
auch großenteils erst von der Zukunft bezahlt werden, so wurde 
doch andererseits bei Bestimmung des privaten Konsums die Nutzung 
des bereits früher beschafften staatlichen Gebrauchsvermögens 
mitgezählt (Aufwendungen für Eisenbahnfahrten etc.). 

‚Um die tatsächliche Steigerung der staatlichen Leistungen be- 
urteilen zu können, müssen wir wiederum die Aenderung der Kauf- 
kraft des Geldes in Rechnung ziehen. Wie die private Lebenshal- 
tung sind auch die staatlichen Leistungen zum großen Teil teuerer 


105) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1909, S. 314. 

106) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1912, S. 589. 

107) 1903 betrugen die Ausgaben für Verzinsung und Tilgung der Schulden 
<a. 5%. Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1909, S. 314. 

108) Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat, 1912, S. 591. 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CIIN. 4 


50 ArthurFriedmann, 


geworden; so mögen die Beamtengehälter von 1891—1911 um etwa 
20% gestiegen sein. Auch die Herstellung öffentlicher Bauten ist 
durchweg (besonders wegen der höheren Arbeitslöhne) kostspieliger 
geworden. Die Verpflegung in Kranken- und Armenhäusern er- 
fordert bei den teueren Lebensmittelpreisen vermehrte Aufwendun- 
gen. Ob andererseits durch eine bessere Organisation der Verwal- 
tung eine erhebliche Verbilligung gleicher Leistungen erzielt wurde, 
ist schwer zu beurteilen. — Im besonderen ist bei der Bestim- 
mung des Realwertes staatlicher Leistungen noch zu berücksich- 
tigen, daß speziell die Kommunen heute einzelne relativ wertvolle 
Tätigkeiten in viel größerem Umfange als vor 20 Jahren 
ausüben. Die vermehrten Ausgaben für Kranken- und Armenpflege 
bedeuten für diejenigen Personen, denen sie zugute kommen, sehr 
viel mehr als die gleichen Summen für den Durchschnitt der Be- 
völkerung. Absolut sind allerdings die Ausgaben für Armen- und 
Krankenpflege nicht so erheblich gestiegen. In Berlin wurden 1891 
6,50 M., 1911 15 M. pro Kopf der Bevölkerung für die Fürsorge für 
Arme und Kranke ausgegeben. In sämtlichen preußischen Gemein- 
den mit mehr als 10000 Einwohnern betrugen 1907 die unentgelt- 
lichen Aufwendungen für Krankenhausverwaltung und Armenwesen 
7,05 M. pro Kopf der Bevölkerung 109), 

Einen ähnlichen Wert wie die letztgenannten staatlichen 
Leistungen haben die Leistungen der Öffentlichen Versicherungs- 
anstalten. Die Ausgaben der deutschen Krankenkassen betrugen 
1891 erst 19 Mill. M. oder 2 M. pro Kopf der Gesamtbevölke- 
rung, 1911 423 Mill. M. oder 6,50 M. pro Kopf. Da die Leistungen 
der Alters und Invaliden- und der Unfallversicherung im allgemeinen 
in Form einer Rente erfolgen, wurden dieselben genau genommen, 
bereits bei Feststellung des Einkommens berücksichtigt. Die ordent- 
lichen Ausgaben der Alters- und Invalidenversicherung stellten sich 
1891 nur auf 25 Mill. M. oder 0,50 M. pro Kopf der Gesamtbevölke- 
rung, 1911 auf 226 Mill. M. oder 3,50 M. pro Kopf, die ordent- 
lichen Ausgaben der Unfallversicherung 1891 auf 13 Mill. M. oder 
0,25 M. pro Kopf, 1911 auf 197 Mill. M. oder 3 M. pro Kopf. — 
Endlich wären die Leistungen der Lebensversicherungsanstalten an 
dieser Stelle zu besprechen. Bei der Steuerveranlagung werden die 
Lebensversicherungsprämien bis zur Höhe von 600 M., ebenso wie 
die Beiträge zur Arbeiterversicherung in Abzug gebracht. Da außer- 
dem die Zahlungen der Versicherungsgesellschaften im allgemeinen 
nicht in Rentenform erfolgen, blieben die Leistungen bei der früheren 
Bemessung des privaten Konsums (an Hand des Einkommens) 
außer Betracht. Die Lebensversicherungsgesellschaften zahlten im 
Jahre 1896 nur 85 Mill. M.110), das sind 1,60 M. pro Kopf der Be- 
völkerung, 1911 292 Mill. M.111) oder 4,40 M. pro Kopf. — Auch 


109) Reichstagadenkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 1, S8. 663 und 700. 
110) Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs, 1898 I, 8. 137. 
k 111) Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich, 1912, S. 875. 


Die Wohlstandsentwicklung in Preußen von 1891—1911. 51 


die Leistungen der Arbeiterverbände sind, wenn auch nicht zahlen- 
mäßig, so doch wegen des hohen subjektiven Wertes der Unter- 
stützung, besonders bei Arbeitslosigkeit, erheblich. Dieselben be- 
trugen 1911 70 Mill. M. oder 1 M. pro Kopf der Gesamtbevölkerung, 
1891 waren sie nur gering. 

Welchen Anteil die verschieden hohen Einkommen im allge- 
meinen an der Steigerung der staatlichen und kommunalen Leistungen 
gehabt haben, wäre nicht leicht zu entscheiden. — Die Ausgaben der 
Kommunen für Arme und Kranke, sowie die Leistungen der öffentlichen 
Versicherungsanstalten kommen allerdings allein den niederen und 
eventuell den mittleren Einkommen zugute, doch sind diese Auf- 
wendungen, wie die oben genannten Zahlen zeigen, im Vergleich zu 
den privaten Einkommen so gering, daß auch bei Hinzurechnung der 
betreffenden Summen zum Einkommen der weniger wohlhabenden 
Bevölkerung, unsere früheren Angaben über die verhältnismäßige 
Steigerung der niederen Einkommen keine wesentliche Korrektur 
erfahren würden. 


Zusammenfassung. 


Wir haben in dieser Arbeit die Wohlstandsentwicklung in 
Preußen von 1891—1911 an Hand der Einkommensverhältnisse 
studiert und sind dabei zu folgendem Ergebnis gekommen: 

Das Durchschnittseinkommen nahm (abzügl. aller Steuer- 
leistungen) nominell von ca. 396 M. auf ca. 566 M. oder 
um 430% zu. Da sich die Lebenshaltung in dem gleichen Zeitraume 
um etwa 17%o verteuerte, so hat das Durchschnittseinkommen dem 
Realwerte nach nur eine Steigerung von ca. 220% erfahren. — 
An dieser Zunahme hatten die hohen und niederen Einkonm- 
men anscheinend einen verhältnismäßig gleichen (den frühe- 
ren Einkommensunterschieden entsprechenden) Anteil, so daß 
die Eiinkommensverteilung im Laufe jener 20 Jahre keine 
erhebliche Aenderung erfuhr. — Zur Beurteilung der Lebens- 
haltung sind neben dem aus dem Einkommen bestrittenen Konsum 
auch die unentgeltlichen staatlichen Leistungen zu be- 
rücksichtigen, die sich (einschließlich der Leistungen der öffentlichen 
Versicherungsanstalten) in der gleichen Periode — berechnet auf 
den Kopf der Bevölkerung — von 35 M. auf 73 M. vermehrten. 


52 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 


I 


Die wirtschaftliche Gesetzgebung Preußens 
im Jahre 1913. 


Preußische Gesetzsammlung 1913. 


Gesetz, betreffend die Verpflichtung zum Besuch ländlicher Fort- 
bildungsschulen in den Provinzen Brandenburg, Pommern, Sachsen, 
Schleswig-Holstein, Westfalen, sowie in der Rheinprovinz und in den 
Hohenzollernschen Landen. Vom 19. Mai 1913. S. 301. 


Einziger Paragraph. 1) Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde 
kann für die nicht mehr schulpflichtigen, unter 18 Jahre alten männlichen 
Personen für drei aufeinanderfolgende Winterhalbjahre die Verpflichtung zum 
Besuch einer ländlichen Kon pg aeia begründet werden. 2) In gleichem 
Umfange kann in den Provinzen Brandenburg, Pommern, Sachsen, Westfalen 
sowie der Rheinprovinz und in den Hohenzollernschen Landen für Gutsbezirke 
mit Zustimmung des Gutsbesitzers auf Antrag des Gutsvorstehers durch Be- 
schluß des Kreisausschusses die Verpflichtung zum Besuche einer ländlichen 
Fortbildungsschule begründet werden. 3) In der Provinz Schleswig-Holstein 
kann die Verpflichtung zum Besuche einer ländlichen Fortbildungsschule in 
dem im Abs. 1 begrenzten Umfange auch durch Beschluß des Kreisaus- 
schusses für sämtliche oder einzelne Landgemeinden und Gutsbezirke einge- 
führt werden. Ein derartiger Beschluß bedarf der Zustimmung des Regierungs- 
präsidenten. a In dem Statut (Abs. 1) oder dem Beschluß (Abs. 2, 3) sind 
die zur Durchführung der Verpflichtung erforderlichen Bestimmungen zu 
treffen, namentlich über die zur Sicherung eines regelmäßigen Schulbesuches 
den Schulpflichtigen sowie deren Eltern, Vormündern und Arbeitgebern ob- 
liegenden Verpflichtungen, über die Ordnung in der Fortbildungsschule und 
über die Fürsorge für ein gebührliches Verhalten der Schüler. Die Zeiten 
für den Unterricht sind vom Gemeindevorstand und in den Fällen der Abs. 2, 3 
vom Kreisausschusse festzusetzen und in ortsüblicher Weise bekannt zu machen. 
5) Von der Verpflichtung zum Besuch einer Fortbildungsschule ist befreit, 
wer die Berechtigung zum einjährig-freiwilligen Militärdienst erworben hat, 
ferner, wer eine che Innungs-, Fach- oder andere Fortbildungsschule be- 
sucht oder einen entsprechenden anderen Unterricht erhält, sofern dieser 
Schulbesuch oder Unterricht von dem Regierungspräsidenten als ein ausreichen- 
der Ersatz für den allgemeinen Forkbildangeunberticht anerkannt wird. Die 
Bestimmung weiterer Ausnahmen durch das Statut ist zulässig. 6) An Sonn- 
tagen darf in der Regel Unterricht nicht erteilt werden. 7) Mit Geldstrafe 
bis zu 20 M. und im Unvermögensfalle mit Haft bis zu 3 Tagen für jeden 
Fall wird bestraft, wer den vorstehenden oder den durch Statut oder Beschluß 
erlassenen Bestimmungen zuwider handelt. 


Moorschutzgesetz. Vom 4. März 1913. S. 29. 


1. Grundstücke, die allein oder mit anderen eine zusammenhängende 
Moorfläche von mehr als 25 Hektar bilden, dürfen, soweit das Gemeinwohl 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 53 


unter Abvigmg der Interessen der Beteiligten es verlangt, zur Gewinnung von 
Torf nur in der Weise benutzt werden, daß die Möglichkeit ihrer vorteil- 
haften land- oder forstwirtschaftlichen Nutzung gesichert wird. Abs. 2. Die 
Benutzung solcher Grundstücke zur Torfgewinnung bedarf, abgesehen von den 
Fällen des § 2, der Genehmigung des Bezirksausschusses. 

§ 2. Einer Genehmigung bedarf nicht: 1) die Gewinnung von Torf für 
die eigene Haushaltung und Wirtschaft durch den Eigentümer, den Pächter, 
einen Torfstichberechtigten oder durch ländliche Arbeiter, welche in einem 
dauernden Arbeitsverhältnisse zu dem Eigentümer der Moorfläche stehen, 
soweit ihnen durch den Arbeitsvertrag die Torfgewinnung für die Zwecke ihrer 
eigenen Haushaltung und Wirtschaft zugesichert ist (Heuerlinge, Instleute) ; 
2) die Gewinnung von Torf zum Zwecke des Verkaufs, wenn sie mit nicht mehr 
als 6 Personen und nicht mit maschineller Kraft betrieben wird. Abs. 2. Als 
Wirtschaft gelten der landwirtschaftliche Haus- und Hofbetrieb mit Einschluß 
der landwirtschaftlichen Nebenbetriebe von geringem Umfange, sowie klein- 
gewerbliche Betriebe von E Umfange. Abs. 3. In den Fällen der Nr. 1 
und 2 können durch Kreispolizeiverordnung Vorschriften für die Torfgewin- 
nung erlassen werden, durch welche die Möglichkeit einer vorteilhaften land- 
oder forstwirtschaftlichen Nutzung gesichert wird. 

$ 3. Dem Antrag auf Erteilung der Genehmigung müssen die zur Er- 
bie des Unternehmens notwendigen Pläne und Beschreibungen beigefügt 
werden. 

$ 4. Der Genehmigungsbeschluß trifft die zur Durchführung des $ 1 
Abs. 1 etwa erforderlichen Bestimmungen. Abs. 2. Dem Unternehmer kann 
in dem Genehmigungsbeschlusse die Leistung einer Sicherheit für die Ein- 
ite des genehmigten Planes und der getroffenen Bestimmungen aufgegeben 
werden. 

$ 5. Vor der Beschlußfassung sind über den Antrag eine durch den 
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu bestimmende sachver- 
ständige Stelle sowie der Meliorationsbaubeamte zu hören. Auf Verlangen ist 
auch ein von den Beteiligten etwa benannter Sachverständiger zu hören. Auf 
Antrag eines Beteiligten findet mündliche Verhandlung vor dem Bezirks- 
ausschusse statt. Die sachverständige Stelle sowie der Meberatiönabsubeamte 
sind auch zu hören, wenn gemäß: $ 2 Abs. 3 kreispolizeiliche Vorschriften für 
die Torfgewinnung erlassen werden sollen. Abs. 2. Gegen den Beschluß des 
Bezirksausschusses steht den Beteiligten binnen 2 Wochen die Beschwerde an 
den Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu. 

§ 6. Bei der Ausführung des Unternehmens hat der Landrat, in Stadt- 
kreisen die Ortspolizeibehörde, für die Einhaltung des genehmigten Planes und 
der getroffenen Bestimmungen zu sorgen. Sie können zu diesem Zweck 
polizeiliche Verfügungen erlassen. Abs. 2. Wesentliche Abweichungen von dem 
genehmigten Plane oder den getroffenen Bestimmungen bedürfen der Ge- 
nehmigung nach Maßgabe der 1, 3 bis 5. 

7. Die Benutzung von Moorgrundstücken ohne die nach diesem Gesetz 
erforderliche Genehmigung ist vom Landrat, in Stadtkreisen von der Orts- 
polizeibehörde, polizeilich zu verhindern. 

` 8. In den Städten, deren Polizeiverwaltung der Aufsicht des Landrats 
nicht untersteht, tritt in den Fällen der $$ 6 und 7 an Stelle des Landrats 
die Ortspolizeibehörde. 

$ 9. Unternehmungen, die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes mit der 
Torfgewinnung bereits begonnen haben, dürfen ohne die in diesem Gesetze vor- 
gesehenen Beschränkungen 6 Monate lang in dem bisherigen Umfange fort- 
aoii werden. Abs. 2. Kann über einen Genehmigungsantrag nicht vor dem 

laufe der 6-monatigen Frist entschieden werden, so chließt der Bezirks- 
ausschuß darüber, ob die vorläufige Weiterführung des Unternehmens zu ge- 
nehmigen ist. Diese Genehmigung muß erteilt werden, wenn über den Ge- 
nehmigungsantrag ohne Verschulden des Antragstellers vor Ablauf der Frist 
nicht entschieden werden kann. Gegen den Beschluß des Bezirksausschusses 
steht dem Antragsteller binnen 2 Wochen die Beschwerde an den Minister 
für Landwirtschaft, Domänen und Forsten zu. i 

§ 10. Dieses Gesetz tritt am 1. April 1913 in Kraft. 


54 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Verordnung über das Anwendungsgebiet des Besitzfestigungsge- 
setzes vom 26. Juni 1912. Vom 12. März 1913. S. 33. 

Verordnung über die Einführung des Gesetzes, betreffend die Zu- 
lassung einer Verschuldungsgrenze für land- oder forstwirtschaftlich 
genutzto Grundstücke, vom 20. August 1906 in allen Landesteilen — 
mit Ausnahme des Stadtkreises Berlin —, in denen es nicht schon nach den 
Verordnungen vom 23. März 1908 und vom 16. Juni 1909 gilt. Vom 
5. Mai 1913. S. 274. 

Gesetz, betreffend Abänderung von Zusammenlegungs- und Gemein- 
heitsteilungsgesetzen. Vom 28. Mai 1913. S. 285. 

Gesetz, betreffend die Bereitstellung von Staatsmitteln zur Förde- 

der Landeskultur und der inneren Kolonisation. Vom 28. Mai 
1913. S. 293. . 

Wassergesetz. Vom 7. April 1913. S. 53. 

A. Wasserläufe. I. Begrif' und Arten. II. Eigentumsverhältnisse. III. Be- 
nutzung. 1) Allgemeine Vorschriften. 2) Gemeingebrauch. $) Benutzung durch den 
Eigentümer. 4) Verleihung. 5) Ausgleichung. 6) Stauanlagen. IV. Unterhaltung. 
V. Ausbau. VI. Beteiligung des Staates und der Provinzen an dem Ausbau der Wasser- 
läufe zweiter Ordnung. VII. Wasserbücher. B. Gewässer, die nicht zu den Wasserläufen 
gehören. C. Wassergenossenschaften. I. Allgemeine Vorschriften. II. Genossenschaften 
mit Zulässigkeit des Beitrittszwanges. III. Zwangsgenossenschaften. IV. Verfahren 
zur Bildung von Genossenschaften. V. Aenderung der Satzung. VI. Auflösung und 
Liquidation. VII. Genossenschaften, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes begründet 
sind. D. Verhütung von Hochwassergefahr.) E. Zwangsrechte. F. Wasserpolizeibehörden. 
G. Schauämter. H. Wasserbeirüte. I. Landeswasseramt. K. Strafbestimmungen. 
L. Uebergangs- und Schlußbestimmungen. 

Rawagesetz. Vom 21. April 1913. S. 238. 

Sesekegesetz. Vom 5. Juni 1913. S. 329. 

Entwässerungsgesetz für das linksniederrheinische Industriegebiet. 
Vom 29. April 1913. S. 251. 

Ruhrreinhaltungsgesetz. Vom 5. Juni 1913. S. 305. 

Ruhrtalsperrengesetz. Vom 5. Juni 1913. S. 317. 

Gesetz, betreffend den Ausbau von Wasserkräften im oberen Quell- 
gebiet der Weser. Vom 9. Juni 1913. S. 343. 

Gesetz über die Bereitstellung weiterer Geldmittel für die nach 
dem Gesetz vom 12. August 1905 durchzuführende Regelung der 
Hochwasser-, Deich- und Vorflutverhältnisse an der oberen und mitt- 
leren Oder. Vom 30. Mai 1913. S. 273. 

Gesetz, betreffend die Verbesserung der Oderwasserstraße unter- 
halb Breslau. Vom 30. Juni 1913. S. 359. 

Gesetz, betreffend den Ausbau der Unterweser durch Bremen. Vom 
29. Juli 1913. S. 386. 

Verordnung über die Abänderung der Verordnung, betreffend die 
Ausführung des Fischereigesetzes in der Provinz Schleswig-Holstein, 
vom 8. August 1887. Vom 31. März 1913. S. 39. Entsprechende 
Verordnung für die Provinz Hannover. Vom 31. März 1913. S. 40. 

Gesetz zur Berichtigung des Gesetzes vom 3. Juni 1912, betreffend 
die Abänderung des Siebenten Titels im Allgemeinen Berggesetze vom 
24. Juni 1865/19. Juni 1906. Vom 23. Dezember 1912. S. 1. Be- 
kanntmachung, betreffend die Aenderung des Textes des § 70 Abs. 2 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 55 


des Knappschaftsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 
17. Juni 1912. Vom 30. Dezember 1912. S. 2. 

Allerhöchster Erlaß, betreffend Genehmigung eines Nachtrages 
zu der Verwaltungsordnung für die Staatseisenbahnen. Vom 23. August 
1912. S. 35. 

Staatsvertrag zwischen Preußen und Sachsen, betreffend eine 
Aenderung der Vereinbarungen über die staatliche Besteuerung der im 
Königreich Sachsen belegenen preußischen Staatseisenbahnstrecken. Vom 
6./25. August 1913. S. 399. 

Eisenbahnanleihegesetz. Vom 28. Mai 1913. S. 277. Eisenbahn- 
anleihegesetz. Vom 9. Juni 1913. S. 326. Allerhöchster Erlaß, be- 
treffend Bau und Betrieb der in dem Gesetze vom 28. Mai 1913 vor- 
gesehenen neuen Eisenbahnlinien usw. Vom 5. Juli 1913. S. 363. 

Gesetz, betreffend das Schleppmonopol auf dem Rhein-Weser-Kanal 
und dem Lippe-Kanal. Vom 30. April 1913. S. 217. 


$ 1. Fahrzeuge (Schiffe und Flöße), die nicht von Menschen oder Tieren 
EC werden oder nicht mit eigener Kraft fahren ($ 2), dürfen auf dem 
hein-Weser-Kanal und dem Lippe-Kanal nur mit der vom Staate vorzu- 
haltenden Schleppkraft fortbewegt werden. Zum Rhein-Weser-Kanal im Sinne 
dieses Gesetzes gehören der Anschluß nach Hannover, die Zweigkanäle nach 
Herne, Dortmund, Osnabrück, Minden (Weserabstieg) und Linden mit Leine- 
abstieg, ferner der Duisburg-Ruhrorter Hafen, dieser jedoch nur bezüglich 
des durchgehenden Verkehrs zwischen Rhein und Kanal. Das Verlegen eines 
Fahrzeuges von einem Lösch- und Ladeplatze zu einem anderen innerhalb 
einer Kanalhaltung, jedoch höchstens auf 10 Kilometer Entfernung, kann ohne 
Inanspruchnahme staatlicher Schleppmittel zugelassen werden. Abs. 2. Die 
Staatsregierung wird ferner ermächtigt, Fahrzeuge, die auf einer Fahrt zwischen 
dem Rhein und Mülheim a. d. Ruhr lediglich die untere Haltung des Rhein- 
Herne-Kanals benutzen, vom staatlichen Schle betriebe freizulassen. Abs. 3. 
Fahrzeuge, die lediglich den Dortmund-( Herne) mshäfen-Kanal benutzen, sind 
in den ersten 15 Jahren seit Inbetriebnahme des Rhein-Weser-Kanals von dem 
staatlichen Schleppbetriebe freizulassen. Nach Ablauf dieser Zeit oder wenn 
eine reg mechanische Schleppeinrichtung eingeführt wird, die ein 
Nebeneinanderbestehen des staatlichen und privaten Schleppzuges untunlich 
macht, kann durch Königliche Ve er staatliche Schleppbetrieb ein- 
ep werden. In diesen Fällen wird die Frage etwaiger Entschä igung einem 
nderen Gesetze vorbehalten. Abs. 4. Auf der Strecke Dortmund—Henrichen- 
burg kann vorübergehend zu Versuchen mechanischer Schleppeinrichtung private 
ee ausgeschlossen werden, insoweit dieses für die Versuche not- 
wendig ist. 
; 2. Fahrzeuge mit eigener Triebkraft dürfen die Wasserstraßen, soweit 
diese dem staatlichen Schleppmonopol unterliegen, nur mit besonderer Ge- 
nehmigung der Kanalverwaltung befahren. Diese Genehmigung ist für das 
einzelne Schiff widerruflich zu erteilen. 

„$ 3. Die Tarife, nach denen der Schlepplohn zu entrichten ist, bedürfen 
zu ihrer Gültigkeit der Veröffentlichu im Amtsblatte. Ist in dem Tarife 
nicht ein anderer Zeitpunkt für das rafttreten angeordnet, so beginnt die 
Anwendung mit dem achten Tage nach dem Ablauf desjenigen Tages, an 
welchem das letzte die Bekanntmachung enthaltende Amtsblatt ausgegeben ist. 
Die Tarife sind bei Erfüllung der darin angegebenen Bedingungen für jedermann 
in der gleichen Weise anzuwenden. 

$ 4. Der staatliche Schleppbetrieb erfolgt auf Grund einer Schlepp- 
ordnung. die von dem Minister dx öffentlichen Arbeiten zu erlassen ist. 
A 5. Die Staatsregierung wird semiotiek r die Einrichtung des staat- 
lichen Schleppbetriebs einen Betrag von 9900 M. zu verwenden. 


56 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


§ 6. Die öffentlichen Verbände, welche die im $ 2 des Wasserstraßen- 
esetzes vom 1. April 1905 genannten Garantieverpflichtungen übernommen 
aben, werden an dem staatlichen Schleppbetriebe beteiligt, wenn sie sich 
vor dem 1. Juli 1913 der Staatsregierung gegenüber SE ee vom Tage 
der Betriebseröffnung ($ 15) an ein Viertel der für den Betrieb verausgabten 
Anlagekosten aus eigenen Mitteln in jedem Rechnungsjahre mit 4 Proz. zu 
verzinsen und mit Lt Proz. zu tilgen, soweit die laufenden Einnahmen des 
Schleppbetriebs nach or der aufgewendeten Betriebs- und Unterhaltungs- 
kosten und angemessener Rücklagen ($ 9) zur Verzinsung und Tilgung es 
verausgabten Anlagekapitals mit zusammen Ji Proz. nicht ausreichen. Abs. 2. 
Will ein Verband die Verpflichtung nicht übernehmen, so können die anderen 
Verbände für dessen Anteil mit eintreten. Abs. 3. Im Falle der Uebernahme 
der im Abs. 1 genannten Verpflichtung gelten für das Verhältnis zwischen dem 
Staate und den Verbänden die §§ 7—13. 

$ 7. Bei der Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals ($ 6) werden 
nicht nur die auf Grund des $ 5 verausgabten ‘Beträge berücksichtigt, sondern 
auch die Kosten von Aenderungen oder Ergänzungen des Schleppbetriebs, die 
von dem zuständigen Minister etwa später für erforderlich gehalten werden, 
um den Verkehr in einer dem öffentlichen Interesse entsprechenden Weise 
durchführen zu können. Bei wesentlichen Aenderungen und Ergänzungen sind 
die Vertreter der Garantieverbände zu hören. 

$ 8. Die laufenden Einnahmen aus dem Schleppbetriebe sind in jedem 
Rechnungsjahr in nachstehender Reihenfolge zu verwenden: a) zur Deckung 
der aufgewendeten Betriebs- und Unterhaltungskosten ; b) zur Bildung eines 
Erneuerungsfonds für die einer besonderen Abnutzung unterliegenden Ein- 
richtungen ($ 9); c) zur Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals mit 
A1: Proz.; d) zur Bildung eines Ausgleichsfon ür die Deckung etwaiger 
Fehlbeträge (§ 10). Abs. 2. Der verbleibende Reinüberschuß wird an den Staat 
und die Garanten nach Verhältnis der übernommenen Kostenanteile verteilt. 
Abs. 3. Außergewöhnliche Einnahmen fließen, soweit sie nicht dem Baufonds 
zuzuführen sind, dem Ausgleichsfonds ($ 10) zu. 

$ 9. Zum Zwecke der Erneuerung der einer besonderen Abnutzung 
unterliegenden Teile der Schleppeinrichtung wird ein Erneuerungsfonds ($ ZO 
ebildet, dem alljährlich ein angemessener Satz vom Hundert der für diese 
eile aufgewendeten Kosten aus den nach Deckung der Betriebs- und Unter- 
haltungskosten verbleibenden Reineinnahmen zuzuführen ist. Reichen die Rein- 
einnahmen eines Jahres zur Abführung des erforderlichen Betrags nicht aus, 
so ist der Fehlbetrag in den folgenden Jahren zu ergänzen, bevor Beträge 
zur Verzinsung und Tilgang des Anlagekapitals verwandt werden. 

$ 10. Zur Deckung unvorhergesehener Ausfälle und Ausgaben wird ein 
Ausgleichsfonds ($ 8d) gebildet. Diesem Fonds fließen — abgesehen von den 
außergewöhnlichen Einnahmen ($ 8 Abs. 3) — 20 Proz. des nach Ver- 
zinsung und a, Ke des Anlagekapitals mit 4!/, Proz. verbleibenden Rein- 
Myene eeneg zu, bis der Fonds 10 Proz. des verausgabten Anlagekapitals er- 
reic at. 

$ 11. Die Beträge, welche von den beteiligten Verbänden auf Grund der 
übernommenen Verpflichtung der Staatskasse oder jenen von dieser zu er- 
statten sind, ebenso die Beträge, die den Erneuerungs- und Ausgleichsfonds 
zuzuführen oder zu entnehmen sind, werden nach Anhörung von Vertretern 
der Garantieverbände für jedes Rechnungsjahr von dem zuständigen Minister 
und dem Finanzminister endgültig festgestellt. 

BS 12. Bei der Aufbringung‘ und Unterverteilung der aus dieser Ver- 
pflichtung den Provinzen, Kreisen und Gemeinden erwachsenen Lasten finden 
die gesetzlichen Vorschriften über die Mehr- und Minderbelastung einzelner 
Kreise und Kreisteile sowie der $$ 9 und 20 des Kommunalabgabengesetzes 
vom 14. Juli 1893 Anwendung. 

$ 13. Die Urkunden, durch welche die im $ 6 genannten Verpflichtungen 
übernommen werden, sind stempelfrei. 

$ 14. Die ae wird ermächtigt, zur Deckung der im $ 5 
erwähnten Kosten eine Anleihe durch Veräußerung eines entsprechenden Betrags 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 57 


von Schuldverschreibungen aufzunehmen. Abs. 2. An Stelle der Schuld- 
verschreibungen können vorübergehend Schatzanweisungen ausgegeben werden. 
Der Fälligkeitstermin ist in den Schatzanweisungen anzugeben. Die Staats- 
regierung wird ermächtigt, die Mittel zur Einlösung dieser Schatzanweisungen 
durch Ausgabe von neuen Schatzanweisungen und von Schuldverschreibungen 
in dem erforderlichen Nennbetrage zu beschaffen. Die Schatzanweisungen 
können wiederholt EC werden. Schatzanweisungen oder Schuldver- 
schreibungen, die zur Einlösung von fällig werdenden Schatzanweisungen be- 
stimmt sind, hat die Hauptverwaltung der Staatsschulden auf Anordnung des 
Finanzministers 14 Tage vor dem Fälligkeitstermine zur Verfügung zu halten. 
Abs. 3. Die Verzinsung der neuen Schuldpapiere darf nicht vor dem Zeit- 
punkt beginnen, mit dem die Verzinsung der einzulösenden Schatzanweisungen 
aufhört. Abs. 4. Wann, durch welche Stelle und in welchen Beträgen, zu 
welchem Zinsfuße, zu welchen Bedingungen der Kündigung und zu welchen 
Kursen die Schatzanweisungen und die Schuldverschreibungen verausgabt werden 
sollen, bestimmt der Finanzminister. Abs. 5. Im übrigen kommen wegen 
Verwaltung und Tilgung der Anleihe die Vorschriften des Gesetzes vom 
19, Dezember 1869, des Gesetzes vom 8. März 1897 und des Gesetzes vom 
3. Mai 1903 zur Anwendung. 

$ 15. Die Vorschriften der Së 1 und 2 des Gesetzes treten für die 
einzelnen Wasserstraßen mit dem Zeitpunkt in Kraft, an dem der zuständige 
Minister den Betrieb auf ihnen für eröffnet erklärt. Im übrigen tritt das Gesetz 
sofort in Kraft. 

Gesetz, betreffend die Bewilligung weiterer Staatsmittel zur Ver- 
besserung der Wohnungsverhältnisse von Arbeitern, die in staatlichen 
Betrieben beschäftigt sind, und von gering besoldeten Staatsbeamten. 
Vom 28. Mai 1913. S. 270. 

Verordnung über das schiedsgerichtliche Verfahren bei knapp- 
schaftlichen Streitigkeiten (Schiedsgerichtsordnung). Vom 8. Dezember 
1913. S. 403. Verordnung über das Verfahren vor dem Oberschieds- 
gericht in Knappschaftsangelegenheiten (Oberschiedsgerichtsordnung). 
Vom 8. Dezember 1913. S. 420. 

Gesetz, betreffend die Feststellung eines Nachtrags zum Staats- 
haushaltsetat für das Etatsjahr 1912. Vom 10. Februar 1913. S. 17. 

Gesetz, betreffend die Feststellung des Staatshaushaltsetats für das 
Etatsjahr 1913. Vom 10. Mai 1913. S. 193. 

$ 1. Der diesem Gesetze als Anlage beigefügte Staatshaushaltsetat 
für das Etatsjahr 1913 wird in Einnahme auf 4595736227 M., nämlich auf 
4575827827 M. an ordentlichen und auf 19908400 M. an außerordentlichen 
Einnahmen, und in Ausgabe auf 4595736227 M., nämlich auf 4350749271 M. 
an dauernden und auf 244986956 M. an einmaligen und außerordentlichen 
Ausgaben festgesetzt. Ka 

$ 3. Im Etatsjahre 1913 können nach Anordnung des Finanzministers 
zur vorübergehenden Verstärkung des Betriebsfonds der Generalstaatskasse 

atzanweisungen bis auf Höhe von 100000000 M., welche vor dem 1. Januar 
1915 verfallen müssen, wiederholt ausgegeben werden. Auf dieselben finden 
die Bestimmungen des § 4 Abs. 1 und 2 und des § 6 des Gesetzes vom 
28. September 1866 Anwendung. 

4. Die bis zur gesetzlichen Feststellung des Staatshaushaltsetats ($ 1) 
und der Anlage dazu dë 2) innerhalb der Grenzen derselben geleisteten Aus- 
gaben werden hiermit nachträglich genehmigt. 

Bekanntmachung, betreffend die Weitergeltung kommunaler Wert- 
zu wachssteuerordnungen. Vom A Juli 1913. S. 365. 

N erordnung, betreffend die für die Veranlagung des Wehrbeitrages 
zuständigen Behörden. Vom 7. August 1913. S. 371. 


58 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Allerhöchster Erlaß, betreffend die Ermächtigung, die nach den 
Gesetzen über die direkten Steuern durch gerichtliches rechtskräftiges 
Urteil auferlegten Geld- und Ersatzhaftstrafen und die wegen Zu- 
widerhandlungen gegen §§ 33 und 147 der Gewerbeordnung gericht- 
lich erkannten Geld- und Ersatzhaftstrafen sowie die Kosten des 
Verfahrens niederzuschlagen oder zu ermäßigen, ferner mit Rücksicht 
auf ein Gnadengesuch bis zu dessen endgültiger Entscheidung die Aus- 
setzung der Strafvollstreckung anzuordnen. Vom 15. August 1913. 
S. 389. 

Gesetz, betreffend die Anlegung von Sparkassenbeständen in In- 
haberpapieren. Vom 23. Dezember 1912. S. 3. 


$ 1. Die öffentlichen Sparkassen haben von ihrem verzinslich ange- 
legten Vermögen Mindestbeträge in mündelsicheren Schuldverschreibungen auf 
den Inhaber anzulegen, und zwar: 1) 15 Proz., wenn ihr Einlag tand 
5 Mill. M. nicht übersteigt und sich ihre Grundstücksbeleihungen und die 
Gewährung von Darlehen als Personalkredit nach der Satzung künftig auf 
den Stadt- oder Landkreis, in dem der Garantiebezirk belegen ist, beschränken ; 
2) 20 Proz., wenn ihr Einlagebestand 10 Mill. M. nicht übersteigt und sich 
ihre Ausleihungen (Nr. 1) nach der Satzung künftig auf den Stadt- und 
Landkreis, in dem der Garantiebezirk belegen ist, und die angrenzenden Kreise 
beschränken ; 3) 25 Proz. in allen anderen Fällen. 

. Von dem nach $ 1 von der einzelnen Sparkasse zu haltenden 
Mindestbestand an mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den Inhaber 
müssen drei Fünftel in Schuldverschreibungen des Deutschen Reiches oder 
Preußens angelegt werden. 

$ 3. Sparkassen, welche den nach Së 1 und 2 zu haltenden Bestand 
an mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den Inhaber nicht besitzen, 
haben bis zur Erreichung dieses Besitzstandes alljährlich von dem Zuwachs 
ihres verzinslich angelegten Vermögens einen Prozentsatz in mündelsicheren 
Schuldverschreibungen auf den Inhaber, und zwar in dem im. $ 2 vorgesehenen 
Anteilsverhältnis anzulegen, der den Prozentsatz des von ihnen in mündel- 
sicheren Schuldverschrei ongan auf den Inhaber zu haltenden Besitzstandes um 
5 Proz. übersteigt. Abs. 2. Verstärkt eine Sparkasse in einem Jahre über 
diese Grenze hinaus ihren Besitzstand an mündelsicheren Schuldverschreibungen 
auf den Inhaber, insbesondere an Schuldverschreibungen des Reiches oder 
Preußens, so kann sie den Mehrbetrag auf die in diesen Schuldverschreibungen 
künftig anzulegenden Beträge in Anrechnung bringen. 

$ 4. Der Oberpräsident kann unter besonderen Verhältnissen ausnahms- 
weise Sparkassen Erleichterungen von den Auflagen dieses Gesetzes nachlassen, 
wenn dies ohne wesentliche Beeinträchtigung ihrer Liquidität geschehen kann. 

Den Schuldverschreibungen des Reiches oder Preußens stehen im 
Sinne dieses Gesetzes die im Reichsschuldbuch oder im preußischen Staats- 
schuldbuch eingetragenen Forderungen gleich. 

d 6. Die öffentlichen Sparkassen können den durch dies Gesetz vorge- 
schriebenen Besitzstand an mündelsicheren Schuldverschreibungen auf den In- 
haber soweit veräußern, als dies zur Rückzahlung von Einlagen unbedingt 
notwendig ist. Sobald wieder zinsbar anzulegende Bestände vorhanden sind, 
ist zunächst der bisherige Besitzstand bis zur Höhe der nach diesem Gesetz 
zu haltenden Mindestgrenze wiederherzustellen ; der Oberpräsident kann wider- 
ruflich eine Erleichterung von dieser Verpflichtung nachlassen. 

. Sparkassen, welche von ihrem verzinslich angelegten Vermögen 
Mindestbeträge unter 25 Proz., aber nicht unter 20 Proz in mündelsicheren 
Schuldverschreibungen auf den Inhaber anzulegen haben, können von ihren 
bei der Rechnungslegung sich ergebenden Jahresüberschüssen zu öffentlichen, 
dem gemeinen Nutzen dienenden Zwecken des Garantiverbandes verwenden: 
a) ein Viertel, wenn der Sicherheitsfonds 2 Proz. oder mehr, aber noch nicht 
5 Proz. der Spareinlagen beträgt; b) die Hälfte, wenn der Sicherheitsfonds 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 59 


5 Proz. oder mehr, aber noch nicht 8 Proz. der Spareinlagen berigt: c) die 
esamten Jahresüberschüsse, wenn der Sicherheitsfonds 8 Proz. er mehr 
er Spareinlagen beträgt. Abs. 2. Sparkassen, welche mindestens 25 Proz. 
ihres verzinslich angelegten Vermögens in mündelsicheren Schuldverschreibungen 
auf den Inhaber anzulegen haben, können von ihren bei der Rechnungs- 
legung sich ergebenden Ueberschüssen zu öffentlichen, dem gemeinen Nutzen 
dienenden Zwecken des Garantieverbandes verwenden: a) die Hälfte, wenn der 
Sicherheitsfonds der Sparkasse 2 Proz. oder mehr, aber noch nicht 5 Proz. 
der Spareinlagen beträgt; b) drei Viertel, wenn der Sicherheitsfonds 5 Proz. 
oder mehr r noch nicht 8 Proz. der Spareinlagen beträgt; c) die ge- 
samten Jahresüberschüsse, wenn der Sicherheitsfonds 8 Proz. oder mehr der 
Spareinlagen beträgt. Abs. 3. Im übrigen verbleibt es hinsichtlich der Ver- 
wendung der Sparkassenüberschüsse bei den bestehenden Bestimmungen, und 
zwar auch für die vorbezeichneten Sparkassen, wenn deren Satzungen für 
die Garantieverbände tigere Vorschriften enthalten. Abs. 4. Die Verwen- 
dung der Jahresüberschüsse arf der Genehmigung der Aufsichtsbehörde nur, 
wenn die Ueberschüsse zur Deckung von auf este Verpflichtung be- 
ruhenden Ausgaben des Gesamtverbandes verwendet werden sollen. 

a An Stelle des Oberpräsidenten tritt für die Hohenzollernschen Lande 
der Minister des Innern. Dies Gesetz tritt am 1. Januar 1913 in Kraft. 

Gesetz, betreffend ältere Hypotheken in Neuvorpommern und 
Rügen. Vom 28. Mai 1913. S. 271. 

Gesetz über Maßnahmen zur Stärkung des Deutschtums in den 
Provinzen Westpreußen und Posen. Vom 28. Mai 1913. S. 269. 

Staatsvertrag zwischen dem Königreich Preußen und dem Fürsten- 
tum Schwarzburg-Rudolstadt wegen anderweitiger Regelung der Ueber- 
tragung von Auseinandersetzungsgeschäften auf die Königlich Preu- 
Dechen Auseinandersetzungsbehörden. Vom 10./6. April 1912. S. 41. 
Bekanntmachung, betreffend die Ratifikation des zwischen Preußen 
und Schwarzburg-Rudolstadt am 10./6. April 1912 vereinbarten Staats- 
vertrags wegen anderweitiger Regelung der Uebertragung von Aus- 
einandersetzungsgeschäften auf die Königlich Preußischen Auseinander- 
setzungsbehörden. Vom 7. April 1913. S. 45. 
‚ „Allerhöchster Erlaß, betreffend die Ausübung der Chausseepolizei 
in der Provinz Westfalen und in den nicht zum ehemaligen Appellations- 
gerichtshofe zu Cöln gehörenden Teilen der Rheinprovinz durch die 
Landräte. Vom 7. April 1913. S. 190. 

Hinterlegungsordnung. Vom 21. April 1913. S. 225. 


60 Miszellen. 


Miszellen. 


I. 
Das chinesische Geldwesen und seine Neugestaltung. 


Von Dr. H. Schwarzwald, Wien. 


I. 


Kürzlich ist ein Aufsehen erregender Prozeß des Reichsfiskus 
gegen dio Deutsch-Asiatische Bank wegen gewisser Kursdifferenzen 
aus Zahlungen, die vom chinesischen Staat an das Deutsche Reich zu 
leisten sind, zu Ende geführt werden und hat die Aufmerksamkeit 
weiterer Kreise auf die in der Tat sehr merkwürdigen Besonderheiten 
des chinesischen Geldwesens gelenkt. Wie wenig es dem Europäer ver- 
ständlich ist, zeigen gerade auch gewisse Wendungen in den Prozeßakten 
sowie in den sich daran schließenden Diskussionen. Beispielsweise 
haben dio unteren Gerichtsinstanzen den „Haikwan-Tael‘“ für eine Gold- 
münze angesehen, bis das Reichsgericht feststellte, daß China keine 
Goldwährung hat. Der Haikwan-Tael ist aber auch keine Silbermünze. 
ebensowenig wie der Shanghai-Tael, in welchem, wie das Endurteil 
sagt, die effektive Zahlung der chinesischen Boxerindemnität zu er- 
folgen hat, und es ist unrichtig, von den Shanghai-Taels als von einer 
„Landeswährung“ zu sprechen. In der Tat haben dann Journalauf- 
Sëtze, die nur aus dem publizierten Urteil und seinen Gründen 
schöpften, von den vielgenannten Taels als von „Rechnungsmünzen‘“ 
oder „Landesmünzen‘“ gehandelt, während es in China gar keinen 
gemünzter Tael gibt. Es gibt auch keine „Taelwährung‘ in China, 
und von „streitigen Taels“ zu reden ist nur vermöge eines Mißver- 
ständnisses möglich, welches darauf beruht, daß die Europäer ihre 
aus dem heimischen Geldwesen stammenden und ihnen allzu geläufigen 
Begriffe und Bezeichnungen auf ein Geldwesen übertragen, das von 
dem unsrigen in den wichtigsten Beziehungen verschieden ist. 

Vor allem andern ist wichtig festzuhalten, daß „Tael“ kein 
Münzname wie Mark, Franc oder Rubel, sondern nichts weiter als 
die Bezeichnung eines Gewichtes ist, das etwa einer europäi- 
schen Unze entspricht. Das Wort ist übrigens nicht chinesisch, sondern 
gehört dem in den Vertragshäfen ausgebildeten sino-europäischen Jar- 
gon an und dürfte aus einer aus Indien importierten Bezeichnung ent- 
standen sein. Die Chinesen selbst nennen ihre Unze Liang. Es ist 


Miszellen. 61 


nun klar, daß es keinen gehörigen Sinn hat, von einer Anzahl oder 
einem Betrag von Taels zu sprechen, so wenig, als es bei uns verständ- 
lich wäre, von einer Anzahl Kilogrammen oder einem Betrag von 
Zentnern zu reden, ohne anzugeben, auf welche Sache oder Ware sich 
eigentlich die Quantitätsangabe bezieht. In der Tat wird kein Chinese 
schlechtweg von „Unzen“ sprechen; es muß hinzugefügt werden, wo- 
von denn Unzen gemeint sind (Reis, Bohnen, Kupfer, Silber oder 
Gold?). So und so viele Unzen feinen Silbers: so drückt sich 
der Chinese aus. Der Europäer aber überträgt ohne weiteres seine 
heimischen Münzgewohnheiten und spricht kurzweg von „Taels“, was 
nur dann unzweideutig ist, wenn stillschweigend die Bezugnahme auf 
Silber erfolgt. Wenn also die fremden Mächte nach der Niederwerfung 
der gegen die Ausländer gerichteten national-chinesischen Bewegung 
vom Jahre 1900 dem chinesischen Staat eine Entschädigung von 450 
Mill. Haikwan-Taels auferlegten, so heißt das genau übersetzt: 450 
Mill. Zollamts-Unzen feinen Silbers (nämlich Unzen von dem bei der 
Erhebung der Zölle üblichen Maß). In Europa hätten wir uns in 
analogem Fall auszudrücken: 17 Mill. Kilogramm oder 17000 metrische 
Tonnen feinen Silber. Da in China Maße und Gewichte nicht ein- 
heitlich sind, sondern nach Provinzen, Städten, ja oft sogar Gewerbe- 
zweigen mannigfaltig variieren, muß stets die Art des gemeinten Maßes 
näher bezeichnet werden. Für die Zollabgaben ist die alte Unze von 
Kanton, den der fremde Handel an diesem ihm zuerst erschlossenen 
Hafen vorfand, durch die internationalen Handelsverträge festgelegt 
worden; sie wiegt 37,783 g. Die Zollabgaben sind in reinem Silber 
zu entrichten; und da die Boxerindemnität durch die Zolleinnahmen 
garantiert worden ist, so drückte man sie eben nach der für diese 
geltenden Einheit aus. 

Das chinesische Geld ist also einfach Silber nach Gewicht. 
Man kauft und verkauft, steuert und schätzt nach Unzen Silbers. Die 
zollamtliche Unze („Haikwan-Tael‘) ist bloß für Zollzahlungen üblich. 
Die Steuern zieht der Fiskus gewöhnlich in einer eigenen Einheit, der 
Schatzhaus-Unze (,„Kuping-Tael), ein, die meist und offiziell mit 37,301 
(in einer jüngst erschienenen Verordnung merkwürdigerweise mit 
37,00301) Gramm angegeben ist. In ihr war auch die den Japanern 
nach ihrem siegreichen Feldzug zu zahlende Kriegsentschädigung aus- 
gedrückt. Es hat keinen Zweck, die Gewichtsdefinitionen anderer gang- 
barer Unzenarten, wie der Sze-ma-Unze von Kanton, der Hang-ping- 
Unze von Tientsin, der Tsao-ping-Unze von Shanghai, der Kung-fa-Unze 
` von Peking usw. anzugeben. Manche Quellen wollen 170 Arten von 
Unzen unterschieden haben, so groß ist, dank der durch Jahrtausende 
fortgesetzten Gleichgültigkeit und Unzulänglichkeit der öffentlichen Ver- 
waltung, die Zersplitterung des Gewichtswesens in China. 

Man zählt also in China unter Zuhilfenahme der Wage, wie im 
alten Ronı das Kupfer, wie heute im internationalen Verkehr das Gold 
gewogen wird. 16 Unzen bilden wie in Europa ein Pfund (Catty). Im 
übrigen haben die Chinesen von altersher die Dezimalteilung, die viel- 


62 Miszellen. 


leicht von dort aus sich in der Welt verbreitet hat. Das Zehntel einer 
Unze ist der Tsien (im Jargon Mace), dieser zerfällt in 10 Fên (im 
Jargon Candarin), dieser in 10 Li (im Jargon Cash), und rechnungs- 
mäßig wird noch weiter bis zum Zehnmillionstel der Unze geteilt. 

Bei Zahlungen kommt aber nicht allein das Gewicht in Betracht, 
sondern auch die Feinheit des Silbers, worin gezahlt werden soll. 
Nicht immer nämlich ist feines Silber (Chines. Tsu-sêh-wên-yin) ge- 
meint. Die Zollzahlungen erfolgen, wie erwähnt, in Unzen feinen 
Silbers. Dagegen bezieht sich die fiskalische Unze (der Kuping-Tael) 
meist auf Silber von der Feinheit von 985 Tausendteilen. An verschie- 
denen Plätzen ist verschiedenes Standardsilber gangbar. Bei Preis- 
angaben müssen also die Gattung des gemeinten Unzenmaßes, sowie der 
Standard des Metalles genannt werden. 

Die Europäer stehen der chinesischen Silbergewichtsrechnung so 
fremd gegenüber, daß sie ihr schon in der Bezeichnung nicht gerecht 
werden. Sie sind gewohnt, ein Stück Gold vom Gewicht von 7,965 e 
und der Feinheit von 900 Tausendteilen 20 Reichsmark, eines von 
1231/, Troy-Grains und der Feinheit von 11 Zwölfteln 1 Pfund Ster- 
ling zu nennen, weil bei ihnen daheim diesen Bezeichnungen konkrete 
Metallstücke von bestimmtem Aussehen entsprechen. Dieser Gewohn- 
heit folgend benennen sie eine bestimmte Unze Silber von bestimmtem 
Feingehalt, wie sie an einer bestimmten Lokalität in China die herkömm- 
liche Currency bildet, mit dem Namen „Shanghai-Tael‘‘ — obwohl es ein 
solches Ding, als greifbare Sache, gar nicht gibt. Es ist eine europäische 
Jargonbezeichnung, bei der 1) der gemeinte Stoff oder die gemeinte 
Ware (also Silber von bestimmtem Feingehalt) und 2) das gemeinte 
Gewichtemaß stillschweigend mitzuverstehen sind. ` Chinesisch ist diese 
Bezeichnungsweise nicht. 

Es gibt also keine Taelmünzen, und es gibt überhaupt keine 
Währung, d. h. kein vom Staat gestempeltes und für Zahlungen 
legalisiertes Geld. Was als Geld umläuft ist Silber, welches nach fakti- 
schem Gewicht genommen und gegeben wird. Die übliche Gestalt sind 
Barren, meist vom approximativen Gewicht von 50 Unzen, die man 
wegen ihrer der chinesischen Fußbekleidung ähnlichen Gestalt im Jar- 
gon „shoes (Schuhe) nennt. Eine Vertrauensstelle von halboffiziellem 
Charakter (Kung-ku) malt auf den Barren Tuschzeichen, die zur Be- 
quemlichkeit des Verkehrs das genaue Gewicht, sowie die Feinheit an- 
geben. Dieses sog. „Sycee“-Silber (von Hsi-sze, d. i. „Feine Seide‘, 
nach dem Aussehen des Silbers) ist also Gegenstand der effektiven Ueber- _ 
tragung, wobei bezüglich des Feingehalts eventuell auch bezüglich der 
Gewichtseinheit Umrechnungen platzgreifen müssen !). 


1) Schalten wir hier einen kleinen Exkurs zum eingangs erwähnten Valuta- 
prozeß des Reichsfiskus ein. Europa, Nordamerika und Japan haben nach der 
Unterdrückung der Boxerbewegung in einem vorläufigen Abkommen vom Mai 1901 
dem chinesischen Staat die Zahlung einer Entschädigung von 450 Mill. Zollamts- 
Unzen feinen Silbers auferlegt. In solchen Unzen empfängt der chinesische Staat 
die Einnahmen aus den Zollabgaben, und da die Indemnität auf letzteren sicher- 
gestellt wurde, so drückte man sie im gleichen Maßstab aus. Im Schlußprotokoll 
vom 7. September 1901 wurde aber China zu einem weiteren sehr schwerwiegenden 


Miszellen. 63 


An dem eigentümlichen chinesischen System derSilbergewichts- 
rechnung ändert auch der in China örtlich vorkommende Umlauf von 


Zugeständnis an die Mächte vermocht; die Indemnität wurde nämlich in eine Gold- 
schuld verwandelt, auf Grund einer festen Gleichsetzung der Zoll-Unze Silber mit 
3 sh., 3,055 M., 3,75 frcs. usw. Gold, wonach an die einzelnen Staaten die auf 
sie entfallenden Teile der Jahresannuitäten zu entrichten waren. Infolgedessen 
lastete fortan das ganze Risiko der Schwankungen des Silberpreises auf China, 
was finanziell sehr ins Gewicht fallen konnte. So war der Silberpreis schon ein 
Jahr nach dem Friedensschlusse um nicht weniger als 12 Proz. gefallen; ent- 
sprechend höher war also die auf dem chinesischen Fiskus liegende Last. Die 
Zölle, die von den importierten Waren eingehoben werden, sollen nach den 
Handelsverträgen 5 Proz. vom Wert betragen, werden aber auf Grund von Durch- 
schnittswerten in spezifische Zölle umgerechnet, d. h. pro Wareneinheit in festen 
Beträgen von Zollamts-Unzen Silber (Haikwan-Taels) fixiert. Der chinesische Staat 
empfängt also die Zollabgaben in Silberquantitäten von wechselndem Wert, 
muß aber die darauf sichergestellten Entschädigungsraten in fixen Gold beträgen 
begleichen. Wäre bei den chinesischen Staatsvertretern mehr wirtschaftliche Ein- 
sicht vorhanden gewesen als den Mandarinentraditionen entsprach, so hätten sie 
darauf bestehen müssen, daß den neuen Goldschulden Chinas auch Goldeinnahmen 
entsprächen. Die Indemnität hätte nur dann in Gold fixiert werden dürfen, wenn 
auch die Einfuhrzölle in Gold bezahlt werden. Von importierten Waren, die ja 
mit Gold beglichen werden müssen, Wertzölle in Silber einzuheben, ist ohnehin 
sinnwidrig. Fällt das Silber im Wert, so reduziert sich entsprechend der Zoll- 
betrag, der doch vertragsmäßig 5 Proz. vom Warenwert betragen soll. Blieb es 
aber bei der Zollzahlung in Silber, so hatte logischer- und gerechterweise auch die 
auf den Zöllen sichergestellte Indemnität in Silber ausgedrückt zu bleiben. Die 
hier sichtbar gemachte Nachlässigkeit der chinesischen Regierung ist die Quelle 
der heutigen Valutastreitigkeiten Dritter. Da nämlich China keine Goldrevenuen 
hat, muß es die Goldsummen, die es zu zahlen hat, kaufen. Dies geschieht 
in Shanghai, dem kommerziellen Mittelpunkt des Außenhandels, wo also der größte 
Teil der Importzölle eingeht, und wo die großen ausländischen Banken, die als 
Inkassostellen der bezüglichen Regierungen fungieren, ihren Sitz haben. China 
weist diesen Banken, nach den jedesmaligen, beiderseits zu genehmigenden Wechsel- 
kursen. so viel Silber an, als nötig ist, um die fälligen Goldsummen anzuschaffen. 
(Daß dies in sogenannten Shanghai-Taels geschieht, ist, wie sich aus den bisherigen 
Darlegungen ergibt, ganz nebensächlich.) Je nach den Silberpreisen muß also die 
chinesische Regierung mehr oder weniger Silber erlegen, als der ursprünglich ver- 
abredeten Annuität von 15 Mill. Zollamts-Unzen entspricht. Ihre eigentliche 
Schuldigkeit besteht eben nicht mehr in Silber, sondern in Gold. Daraus ergibt 
sich, wie unbillig es war, China, als es bei einigen Ratenzahlungen (1902 und 1903) 
wegen Meinungsdifferenzen mit Teilbeträgen in Rückstand geriet, das Rückständige 
bei der Nachzahlung (1904) in jener Anzahl von Shanghai-Taels abzunötigen, die 
es bei rechtzeitiger Zahlung zu erlegen gehabt hätte, obwohl zum verspäteten 
Termin wegen gestiegenen Silberpreisen ein geringeres Silberquantum genügt hätte, 
um den rückständigen Goldbetrag anzuschaffen. Dadurch ergab sich für die 
Empfänger ein Gewinn, um den sich eben der Prozeß zwischen Reichsfiskus und 
der Deutsch -asiatischen Bank drehte. Letztere, die im Bankenkonsortium von 
Shanghai das deutsche Interesse vertritt und bei der Kursfestsetzung für die In- 
demnitätszahlung mitwirkt, besorgt für den Reichsfiskus das Inkasso und hat sich 
diesem gegenüber verpflichtet, den entsprechenden Goldbetrag, auf den es ja nach 
dern Vorstehenden allein ankommt, dem Fiskus gehörig gutzubringen. Sie bean- 
spruchte nun den aus der Nachzahlung Chinas, infolge der zwischenzeitigen Preis- 
steigerung des Silbers, entstehenden Gewinn für sich, weil der Reichsfiskus bloß 
auf jene Goldbeträge Anspruch habe, die China vertragsmäßig zahlen muß. Dem- 
gegenüber nahm der Fiskus mit Recht den Standpunkt ein, die Bank habe ihm 
alle von China geleisteten Beträge, gleichgültig ob sie rechtzeitig oder verspätet, 
richtig oder unrichtig eingehen, in Gold umgerechnet abzuführen. Das Reichs- 
gericht hat in letzter Instanz zugunsten des Fiskus entschieden. Wir haben hier 


64 Miszellen. 


allerlei Silbermünzen nichts; auch diese werden überall nur nach 
ihrem effektiven Gehalt an Silber geschätzt und angenommen. Man 
sieht in China hauptsächlich mexikanische Silberdollars, ferner Dollars 
amerikanischen und britischen Gepräges, im Norden auch japanische 
Yen und russische Silberrubel. Diese Münzen erhalten sich dort im 
Umlauf, wo das Publikum ihr Gewicht und ihren Feingehalt kennt. 
Im Innern des Landes wandern sie gewöhnlich in den Schmelztopf, um 
in Syceesilber umgegossen zu werden. Es ist charakteristisch, daß im 
Süden der Dollar, um umlaufsfähig zu werden, eine Art Punze seitens 
des ausgebenden Bankiers erhält, wodurch gleichsam dessen Garantie 
beglaubigt wird, daß der Staat, von dem der betreffende Dollar her- 
rührt, bei der Prägung wirklich ehrlich verfuhr, also das übliche Fein- 
gewicht Silber darin enthalten ist. Läuft der Dollar längere Zeit um, 
so häufen sich jene Bankpunzen auf ihm, bis die Münzen (chopped 
Dollars) fast unkenntlich sind, und eingeschmolzen werden. Seit einigen 
Jahren haben auch verschiedene chinesische Provinzialmünzstätten Dol- 
lars chinesischer Prägung ausgegeben. Auch diese werden lediglich 
nach Silbergewicht genommen; meist tragen sie sogar die Gewichts- 
bezeichnung nach chinesischen Unzen (0,72 Kuping-Tael) aufgeprägt. 
So läuft also neben dem Syceesilber eine Mannigfaltigkeit geprägter 
Silbermünzen um, da sie, sofern ihr Gewicht bekannt ist, das Abwägen 
vielfach ersparen; aber es wird nie übersehen, daß sie nur nach Gewicht 
und Feingehalt gelten. Die Preise und Rechnungen gelten trotzdem 
immer in Unzen, und auf Unzen werden die Münzen als Metallstücke 
verrechnet — wobei die Kosten des Einschmelzens und Nachprüfens 
separal und ausdrücklich kalkuliert werden. 

Das chinesische Publikum ist sehr kaufmännisch und rechnerisch 
veranlagt, und handhabt sein Silbergewichtsgeld mit oft bestaunter 
Virtuosität. Der Fremde steht aber dieser Art Geldwesen meist ratlos 
gegenüber. Man kann europäische Kaufleute antreffen, die jahrzehnte- 
lang in China tätig gewesen sind, und das Wesentliche des dortigen Geld- 
wesens nie begriffen haben. Dem Europäer ist geläufig, in Münzein- 


nicht auf den Prozeß einzugehen, und begnügen uns mit der Bemerkung, daß 
nach dem Vorstehenden die strittigen Beträge eigentlich dem chinesischen Staat 
mit Unrecht abgenommen worden sind. Insofern aber dieser Punkt nicht zur 
Diskussion steht, müssen sie jenem zufallen, der sie verlangt und ihre Bezahlung 
durchgesetzt hat, und das ist das Deutsche Reich. Wir wiederholen, daß China 
eigentlich Gold zu zahlen hat und Gold bei den Banken anschafft, unter Erlegung 
von Silber zu bankmäßig festgesetztem Kurs. Dies wurde in den Prozeßverhand- 
lungen beständig übersehen. Die Festhaltung des Gesichtspunktes der Gold- 
verpflichtung Chinas nimmt dem Anspruch der Deutsch-ostasiatischen Bank jede 
Scheinbarkeit. Der Inkassovertrag des Reichsfiskus mit der Bank hatte zum Zweck, 
noch unzweideutig festzustellen, daß dieBank das von China bezweckte Goldquantum 
auch dem Reichsfiskus gegenüber bücherlich gutzubringen habe. Weder war die 
Bank also berechtigt oder in der Lage, mehr Gold gutzuschreiben, noch der 
Reichsfiskus verpflichtet, mehr Gold zu erwarten und abzunehmen, als von China 
effektiv (im Silberäquivalent) jedesmal überwiesen worden ist. Andererseits durfte 
die Bank dem Fiskus niemals weniger Gold gutbringen, als der jedesmaligen 
Silberzahlung Chinas entsprach. — Der ganze Fall illustriert übrigens die aus der 
Unwissenheit und dem Ungeschick der chinesischen Beamten entspringende Ab- 
hängigkeit des chinesischen Fiskus von der Bank- und Finanzwelt. 


Miszellen. 65 


heiten zu denken und zu rechnen, ohne sich weiter gegenwärtig zu 
halten, wie viel an effektivem Metallgehalt unter dem gewohnten Münz- 
namen stecke. Dieser Punkt wird zwar beim internationalen Valuten- 
und Rimessenhandel auch in Europa bedeutsam, und die sich damit be- 
fassenden Banken hören alsbald auf, sich um den staatlich festgesetzten 
Namen (Mark, Franc etc.) zu kümmern, greifen vielmehr zur Gold- 
wage, um das effektive Gewicht festzustellen, sobald Versendung von 
geprägtem Geld aus einem Land ins andere in Frage kommt. Auch 
das Geschäftsleben innerhalb der Grenzen eines Landes wird auf den 
Metallsinn des Geldes alsbald aufmerksam, wo Zwangspapiergeld um- 
läuft und Kreditstörungen ein Disagio desselben bewirken; denn dann 
hält jeder das wertvollere Goldstück, das in seine Hand gerät, zurück, 
um es beim Goldschmied oder bei der Bank besser zu verwerten, als 
durch Weitergabe zum Nennwert möglich wäre. Davon abgesehen aber 
hält sich der Europäer an die staatlichen Münznamen, und wünscht im 
Ausland stets etwas Aehnliches anzutreffen. In China herrscht nun 
aber auch im Innern allgemein das, was bei uns nur im internationalen 
Verkehr üblich ist, nämlich die Zahlung in Edelmetall nach Gewicht. 
Die damit verbundenen und durch die große Zersplitterung des Maß- 
wesens allerdings gesteigerten Rechennotwendigkeiten bleiben dem Aus- 
länder etwas kaum Verständliches, was er, wenn er nicht gerade selbst 
Bankmann ist, selten durchschauen lernt. Gerade aber diese Ver- 
ständnislosigkeit gegenüber dem chinesischen Geldwesen hat dazu bei- 
getragen, den europäischen Kaufmann in solche Abhängigkeit von 
chinesischen Organen und Vermittlern zu bringen, wie sie regelmäßig 
Tatsache ist. Er ist im gesamten Zahlungsverkehr auf Vermittlung 
von Chinesen angewiesen und gewohnt, in ihrer Verrechnungsweise 
eine Art Geheimwissenschaft zu sehen. 

Der chinesische Silberumlauf beruht nicht auf staatlicher 

Anordnung und autoritativer Verwaltung, sondern ist ganz und gar 
eine Schöpfung des freien Verkehrs. Man darf daher von ihm 
nicht als yon einer Silberwährung im europäischen Sinn sprechen. Er 
hat sich wesentlich erst im Laufe der neueren Jahrhunderte einge- 
bürgert, und zwar in Anschluß an den Handel mit den sich seit dem 
16. Jahrhundert in den Seestädten festsetzenden europäischen Kauf- 
leuten. Was diese für die chinesischen Ausfuhrwaren, besonders den 
Tee und die Seide, boten, war hauptsächlich Silber, welches vordem zwar 
auch nicht unbekannt, aber nur in geringem Maß als Zahlungsmittel 
gebraucht war. Die seit der Eroberung der neuen Welt durch die Euro- 
Päer sich in den internationalen Handel ergießenden Edelmetallzuflüsse 
scheinen besonders zur Verbreitung des Silbers in China beigetragen zu 
aben, in dem Maße, als sich der internationale Handel Chinas ent- 
wickelte. China kam also verhältnismäßig erst spät dazu, die edlen 
Metalle als Geld zu benutzen, und nach chinesischer Ueberlieferung 
haben erst die mit solchem Gebrauch verbundenen fühlbaren Vorteile 
zur intensiveren Ausbeutung der chinesischen Silberminen in Yünnan 
veranlaßt, 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CI). 5 


66 Miszellen. 


Neben und in gewissem Sinne unter der Silbergewichtsrechnung 
steht eine zweite Art von Currency, welche aber nicht wie jene aus dem 
freien Verkehr hervorgewachsen ist, sondern ihren Ursprung dem Staate 
verdankt, freilich aber von diesem selbst in gewissem Sinn fallen ge- 
lassen ist und in ihrem heutigen Zustand ein Spiegelbild mehrtausend- 
jähriger schlechter Staatsverwaltung liefert. Es ist dies eine Art 
Kupfer- (genauer Bronze-) Währung, deren Geschichte weit hinter 
die Zeit der Entstehung abendländischer Münzen zurückreicht. In der 
Tat hat man in China schon vor etwa 3000 Jahren Kupfergeld geprägt. 
Solche Prägung war ebenso wie später in Europa ein Fortschritt und 
eine Erleichterung des Verkehrs, dem dadurch statt jedesmal abzu- 
wägender Kupferbarren Metallscheiben von bekanntem, aus dem Stempel- 
zeichen ersichtlichem Gewicht dargeboten wurden. 

Die Verfertigung der Metallstücke war ursprünglich und noch 
lange, etwa bis zum Beginn unserer Zeitrechnung, Privatsache, und die 
öffentliche Gewalt begnügte sich mit der Vorschreibung bestimmter 
.Form und bestimmten Gewichts. Die Kupfermünzen haben von alters- 
her in der Mitte ein viereckiges Loch, so daß sie auf Schnüren auf- 
gereiht werden können, und die chinesische Tradition führt den Ur- 
sprung dieser Einrichtung auf den vor allgemeiner Einbürgerung des 
Kupfergeldes verbreiteten Gebrauch von Kaurimuscheln und Schildpatt- 
stücken zurück, die zu Schnüren aufgereiht, als Schmuck dienten und als 
Vermögensstücke und Zahlungsmittel geschätzt gewesen seien. Diese 
Reminiszenz ist nicht uninteressant, denn sie zeigt, daß die Entwick- 
lung des Geldwesens überall ähnlich vor sich gegangen ist. Ueberall 
hat man ursprünglich gewisse allgemein beliebte und daher besonders 
leicht absetzbare Dinge vorzugsweise zum Tauschverkehr und Handel 
benützt, und überall ist man, sobald Metalle erlangbar waren, wegen 
ihrer vorzüglichen Eigenschaften dazu gelangt, in stetiger Entwicklung 
zu ihrer überwiegenden und schließlich alleinigen Benützung über- 
zugehen. So wie später die Silberrechnung, so ist auch früher das 
Kupfergeld nicht durch Uebereinkunft oder durch Staatsgesetz, sondern 
vermöge der Notwendigkeiten des Verkehrs und der natürlichen Eigen- 
schaften des Metalls zur Entstehung gekommen. 

Die Geschichte der chinesischen Metallmünzen gibt zu ähnlichen 
Betrachtungen Anlaß wie die europäische Münzgeschichte. Nachdem 
das Prägen der Kupfermünzen unter einem energischen Staatsleiter 
(vor etwa 2000 Jahren, unter der Han-Dynastie) Staatsmonopol ge- 
worden, wurde es auch in China von geldbedürftigen Fürsten, Macht- 
habern und Regierungen als Quelle für eigensüchtige Profite auf Kosten 
der allgemeinen Volkswirtschaft benützt. Das Abwägen und Bezeichnen 
von Metallscheiben ausschließlich einer öffentlichen Anstalt vorzube- 
halten und es der Privatindustrie zu verbieten kann den guten Sinn 
haben, daß das Publikum vor unzuverlässigen Manipulationen besser 
geschützt werden und ihm der Vorteil einer einförmigen und von der 
höchsten Autorität herrührenden Beglaubigung geboten werden soll. 
Aber in China hat sich wie anderwärts der Egoismus der regierenden 
Finanzen der ursprünglich wohltätigen Institution bemächtigt, und unter- 


Miszellen. 67 


dem Anschein des Gemeinnützigen die staatliche Eigensucht zum Ver- 
derben der Sache spielen lassen. So ist denn auch in China in den ver- 
schiedenen Perioden durch verschiedene Mittel versucht worden, ver- 
schlechtertte Münzen zu unverändertem Wert dem Verkehr aufzu- 
oktroyieren oder in ihn einzuschmuggeln. Man verkleinerte die Münzen 
bald im Durchmesser, bald in der Dicke, setzte mehr schlechtes Legier- 
metall zu, und brachte sie unter unveränderter Bezeichnung und zum 
nominellen Wert der besseren von früher gangbaren Metallstücke in 
Umlauf. Die diversen Metallunterschlagungen gingen nicht einmal 
immer von einer einzigen Zentralstelle aus, sondern entsprechend den 
jeweiligen politischen Verhältnissen sind die gleichen Mißbräuche in 
Teilstaaten und Provinzen geübt worden. So entstand eine bunte 
Mannigfaltigkeit von Kupfermünzen, die gesetzlich allesamt dasselbe 
bedeuten sollen. Dabei verdrängten die schlechteren Münzen die besse- 
ren, die nominell denselben Wert haben sollten, da es profitabel war, 
die schwereren Metallstücke einzuschmelzen und als Metall zu ver- 
werten. Nahmen gelegentlich die Münzen infolge des Prägemonopols 
und mangelhafter Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Verkehrs 
einen höheren Verkehrswert an, als dem Metallgehalt entsprach, so ver- 
lockte das die Regierungen zu massenhafter Ausprägung schlechten 
Geldes, die so lange fortdauern konnte, als das Publikum die schlechte 
Beschaffenheit nicht durchschaute und die Korrektur der Bewertung 
nicht vornahm. Ueberdies waren aller Orten auch private Falsch- 
münzer am Werk, ja die Profitchance bot auch privaten Unternehmern 
starken Anreiz, sich trotz gesetzlichen Verbots an der Schaffung von 
Münzen zu beteiligen, die an Metallgehalt hinter den staatlichen nicht 
zurückstanden, ja sie manchmal übertrafen. Versuche besserer Regie- 
rungen (z. B. der Tang-Dynastie im 7. Jahrhundert unserer Zeit- 
rechnung), reformierend einzugreifen, waren nur vorübergehend; im 
ganzen überwogen die Verschlechterungen. 

Das Fazit dieser mehrtausendjährigen verworrenen Münzgeschichte 
ist der tatsächliche chinesische Umlauf an Bronzemünzen (von den 
Fremden cash, Käsch, französisch sapeques, genannt), womit sich der 
Detailumsatz und die Masse des ärmeren Volkes behelfen. Das Ge- 
wicht der gesetzlichen Käschmünze, das ursprünglich das Zehntel einer 
chinesischen Unze betragen sollte, ist im Lauf der Jahrhunderte auf 
ein Zwölftel, dann ein Sechzehntel und gar ein Zwanzigstel der Unze 
heruntergegangen, d. h. von etwa 21/, auf etwa 11/3 g reduziert worden. 
Sie soll aus einer Legierung von etwa 50 Proz. Kupfer, 40 Proz. Zink, 
10 Proz. Zinn oder Blei bestehen, tatsächlich sind aber zahllose ältere 
und neuere legitime und illegitime Varianten im Umlauf. Selbstver- 
ständlich kümmert sich der Verkehr nicht um die nominelle Gleich- 
wertigkeit der verschiedenen Sorten und bewertet sie lediglich nach 
dem effektiven Metallgehalt. Der praktische Sinn der Chinesen hat 
Hilfsmittel erfunden, um trotz der elenden Beschaffenheit dieser von 
von der staatlichen Mißwirtschaft der Jahrtausende vererbten Currency 
doch einigermaßen sich damit zu behelfen. Die Käschmünzen kursieren 
gewöhnlich in Schnüren, auf denen nominell je 100 Käsch aufgereiht 

5* 


68 Miszellen. 


sein sollen; gewöhnlich fehlen aber 2—3, die man als Entgelt für 
Beistellung der Schnur und Sortierung und Auffädelung der Münzen 
ansieht. Innerhalb der einzelnen Schnur wird aber je nach den Gewohn- 
heiten und Traditionen des Bezirks oder der Lokalität eine ge- 
wisse Sortierung gefordert: soundso viel schwere (ältere), soundso viel 
leichtere haben darin zu sein, und soundso viel unechte (d. h. nicht 
behördlicH ausgegebene) werden dabei mitgenommen. Auf diese Weise 
wird doch in gewissem Maße eine durchschnittliche Gleichmäßigkeit 
der Einheit erzielt, um ein Rechnen in Geld zu ermöglichen. 10 Schnüre 
bilden gewöhnlich eine höhere Einheit (,,Tiao‘“, nominell 1000 Käsch). 
Natürlich muß aber trotzdem immer auf die Zusammensetzung der 
Schnüre geachtet werden. Es gibt immer Abzüge oder Vergütungen 
je nach der Zahl schlechterer oder besserer Münzen. Von Provinz zu 
Provinz, von Stadt zu Stadt ändert sich der Wert der Schnüre nach 
Lokalüsancen; die Differenzierung der Gebräuche und Sitten geht so 
weit, daß man gewisse Waren mit schlechteren, selbst unechten Käsch, 
andere nur mit guten kaufen kann, und überdies schwankt der Wechsel- 
kurs gemäß dem jeweiligen Mangel oder Ueberfluß an Münzen und 
nach dem Stand der Handelsbeziehungen — umfaßt doch das ungeheure 
Reich Provinzen von der Größe europäischer Großstaaten, zwischen 
denen nach Handels- und Zahlungsbilanz Barausgleichungen nötig 
werden, die ein hochentwickelter Bank- und Wechselverkehr besorgt. 
Käschnoten, die von den Wechslern und Bankiers ausgegeben werden, 
erleichtern zwar den interurbanen Verkehr ein wenig, sind aber ander- 
seits selbst Quelle von Differenzen, Abzügen und Verlusten. Es ist 
eine ganzo Wissenschaft von Nöten, um sich in dieser Mannigfaltigkeit 
auszukennen, und zahllose Käschwechselbuden ziehen aus den Verkehrs- 
schwierigkeiten Gewinn. Unzureichende Kenntnisse und Unerfahren- 
heit bringen Verluste, und es gehört die bekannte kaufmännische und 
rechnerische Gewandtheit der Chinesen dazu, um sich mit diesem 
elenden Umlaufsmittel schlecht und recht zu behelfen. Auf dieses ist 
gerade der Verkehr der kleinsten wirtschaftlichen Existenzen ange- 
wiesen; hundert Käsch sind erst 2—4 Pence (15—30 Pfennig) wert. 
Wenn man auch nur mittlere Einkäufe machen will, sieht man sich 
leicht mit einigen Pfunden Kupfermünzen beladen. 

Die Verwirrung ist in der neuesten Zeit noch dadurch vergrößert 
worden, daß man vielfach die Herstellung größerer Bronzemünzen, 
die nominell 10 Käsch repräsentieren sollen, aufnahm. Da sie aber 
durchaus nicht das 10-fache des Metallgehalts des durchschnittlichen 
Käsch haben, wurden sie vom Verkehr sofort nur mit Disagio ange- 
nommen. So rächte sich, daß nicht die Absicht, dem Verkehr Besseres 
zu bieten und wirklich zu reformieren, sondern der Profittrieb bei 
der Schaffung der neuen Münze maßgebend gewesen war. Um Präge- 
gewinne zu machen, hat man kolossale Quantitäten davon in Umlauf 
gebracht, Ueberproduktion und Minderwertigkeit haben ihren Kurs 
immer tiefer gedrückt, bis ihre Prägung nicht mehr lohnte. Neuerdings 
hat man auch nach europäischer Art faconnierte 10 Käsch-Bronze- 
münzen (ohne Loch) in Verkehr gebracht; auch diese sind nur mit 


Miszellen. 69 


Disagio in Umlauf und sehen ihre offizielle Bezeichnung beständig 
dementiert. 

Das Ergebnis der staatlichen Geldverwaltung in China ist also 
die vollständige Korrumpierung der vom Staat geschaffenen Currency, 
die für den Verkehr beinahe unbrauchbar geworden ist. Wäre dieser 
auf die verrottete Kupferwährung angewiesen geblieben, so hätte ein 
umfänglicherer Handel, eine verzweigtere Volkswirtschaft nicht auf- 
kommeu können. Es war ein Sieg der nach Entwicklung drängenden 
wirtschaftlichen Triebkräfte und der ökonomischen Naturgesetze über 
die künstlichen Beschränkungen und Hindernisse, daß sich der Verkehr 
der Kaufleute und der wohlhabenden Schichten in den neueren Jahr- 
hunderten vom staatlichen Kupfergeld emanzipierte und sich in der 
Silbergewichtsrechnung eine eigene bessere Currency schuf. Der Käsch- 
umlauf dient heute nur mehr dem kleinsten Verkehr, dem Detail und 
den Geschäften der ärmsten Volksschichten; im übrigen rechnet und 
zahlt man in Silber nach Gewicht. Diese neue staatlich nicht re- 
glementierte Currency des freien Verkehrs bot so große Vorteile 
gegenüber der fast unbrauchbar gewordenen staatlichen Kupferwährung, 
daß der Staat selbst es als sein Interesse erkannte, seine Einkünfte‘ 
von seinem eigenen Gelde und dessen Wertunsicherheit unabhängig 
zu machen und sie gleichfalls in Silber sicherzustellen, so daß heute 
auch Steuern, Abgaben und Zölle im wesentlichen in Silber nach Ge- 
wicht zu entrichten sind. Die Käschwährung besteht also rechtlich 
eigentlich in keiner Beziehung mehr, und die Kupferzirkulation be- 
hauptet sich nur vermöge alter Gewöhnung und durch Jahrtausende 
fortgesetzter Tradition. 

So hat China zwei nebeneinander bestehende Metallzirkulationen, 
die verschiedenen Bedürfnisbereichen angehören. Ein fixes Wertver- 
hältnis zwischen beiden besteht nicht. Der Verkehr achtet auf den 
Wert des effektiven Metalles und bestimmt danach das jeweilige Aus- 
tauschverhältnis. Theoretisch, d. h. nach alten Staatsfestsetzungen, 
sollten 1000 Käsch ein Tael Silber bedeuten. Heute werden aber 2000 
bis 2500 Käsch für ein Tael Silber gegeben, und das illustriert das 
Maß der Verschlechterung der Kupfermünzen. 

Das chinesische Geldwesen ist auch theoretisch von ganz be- 
sonderem Interesse. Der Gebrauch von ungeprägtem Metall als Um- 
laufsmittel pflegt als ein fast prähistorischer roher Zustand angesehen 
zu werden, der dem geprägten Gelde vorausgehe. Ja gewöhnlich will 
man in jenem urwüchsigen Metallumlauf überhaupt noch kein eigent- 
liches Geld sehen und läßt die Geschichte des letzteren erst mit den 
staatlichen Prägungen anheben. Damit stehen nun die Tatsachen, die 
wir in China finden, in lebhaftem Widerspruch. Ein gewaltiges Kultur- 
gebiet von mehrtausendjährigen Ueberlieferungen, an Bodenfläche und 
Bevölkerungszahl das gesamte Europa übertreffend, dabei in seinen 
wichtigeren Teilen fast so dicht besiedelt wie Deutschland; ein großes 
soziales Gebilde mit intensivem Ackerbau, emsigem Gewerbefleiß, hoch- 
entwickeltem Verkehr, intelligentem, eminent praktisch und solid bean- . 
lagtem Kaufmannsstande, uralten Bankiersgilden, weitverzweigten und 


70 Miszellen. 


verfeinerten Krediteinrichtungen — dieses Land hat kein Geld im her- 
kömmlichen europäischen Sinne. Wer sich Umlaufs- und Zahlungsmittel 
nicht als anders als staatlicher Urheberschaft, Stempelung und Privilegie- 
rung vorstellen kann, muß angesichts der nun einmal feststehenden Tat- 
sache, daß ein Kulturkreis von mehr als 400 Mill. Menschen seinen 
Handels- und Geschäftsverkehr ohne Dazwischenkunft staatlich be- 
zeichneten und autorisierten Geldes abwickelt, in Verlegenheit kommen. 

In der Tat wird das so eigentümliche chinesische Geldwesen in 
der Literatur, die sich mit Geldtheorie befaßt, meist ignoriert. Doch 
ist es klar, daß eine Theorie, die zulänglich sein soll, eine befriedigende 
Erklärung aller historisch vorgekommenen oder kulturgeographisch 
nebeneinander auftretenden Tatsachen ermöglichen muß. Der höchst 
ansehnliche Fall der chinesischen Volkswirtschaft, den man nicht mit 
den primitiven Anfängen des Tauschverkehrs roher Urvölker auf eine 
Stufe stellen und sich so etwa über ihn hinwegsetzen kann, steht ins- 
besondere mit der jetzt modisch werdenden „Staatlichen Theorie des 
Geldes“ in unausgleichbarem Gegensatz. Die dieser Theorie zugrunde- 
liegende Petitio principii, das Geld sei ein Geschöpf der staatlichen 
Rechtsordnung, erfährt durch die chinesischen Zustände ihre hand- 
greifliche Widerlegung. Dort ist der Geldumlauf eine freie soziale 
Schöpfung, die ihre Einbürgerung dem Verkehr und keiner staatlichen 
Initiativo verdankt. Ja historisch ist die freie Silberrechnung sogar 
die Nachfolgerin einer staatlichen Währung, und wir haben hier den 
Fall, wo die staatliche Geldschöpfung von der wirtschaftenden Gesell- 
schaft beiseite geschoben und durch etwas Besseres ersetzt worden 
ist, was nicht auf autoritärer Gesetzgebung, sondern auf den ökonomi- 
schen Naturgesetzen selbst beruht. Ein naturwüchsiger Kupferumlauf 
ist durch staatlich geprägtes Kupfergeld ersetzt worden, welches bis 
in die europäische Neuzeit in China das allgemeine Umlaufsmittel war: 
dann hat, da das staatliche Geld schließlich als allzu verdorben seine 
Verkehrsfunktion nicht gehörig erfüllen konnte, die chinesische Volks- 
wirtschaft gleichsam wieder von vorn angefangen und ihren Verkehr 
auf das Silber gegründet. Nicht vom Staat ist diese Wandlung aus- 
gegangen, sondern sie hat sich gegen ihn und seine Satzungen voll- 
zogen, und ihm blieb nichts übrig, als sich dem neuen ökonomischen 
Fortschritt anzupassen und seinerseits aus ihm Vorteil zu ziehen. 

Die europäische Wissenschaft beschränkt sich allzu einseitig auf 
die überkommenen Geldzustände, wie sie sich in unseren auf den 
mittelalterlich-feudalen Grundlagen erwachsenen militärisch-bureaukrati- 
schen Staaten faktisch präsentieren. Unter dem autoritären Druck des 
Tatsächlichen fällt sie mehr und mehr der Beschränktheit anheim, das 
Geldwesen auch theoretisch mit dem Staat und seinen, gelinde gesagt, 
einseitigen Eingriffen zu verquicken. Damit hört denn jede Möglichkeit 
von Kritik und unabhängiger Haltung auf. Sullas Gesetz, das das alt- 
römische Verbot des Legierens der zirkulierenden Metalle neuerlich ein- 
schärfte, war ein Staatsakt; Staatsakte waren aber auch die neronia- 
nischen Frivolitäten, welche die Aera der Münzverschlechterungen ein- 
leiteten. Jenes bezweckte Schutz vor Betrügereien, letztere zielten auf be- 


Miszellen. 71 


trügerische Uebervorteilungen ab. Man sieht, die staatlichen Einwirkun- 
gen auf das Geldwesen müssen selbst nach Rechtsrücksichten geprüft 
werden und alle unterschiedslos als „staatliche Rechtsordnung‘ hyposta- 
sieren, also Staat und Recht einfach gleichsetzen, heißt vor der zufälligen 
und gedankenlosen Gewalt kapitulieren, auf Theorie, Kritik und absolute 
Wahrheit zugunsten übertätiger Tatsächlichkeiten verzichten. Das große 
chinesische Beispiel kann zur Befreiung von solcher Bornierung ver- 
helfen. Der Ursprung des Geldes ist weder in einer willkürlichen Ueber- 
einkunft, die auch anders hätte ausfallen können, noch in einer obrig- 
keitlichen Verfügung zu suchen. Die Rolle der Metalle und insbesondere 
der edlen Metalle in der menschlichen Wirtschaft ist über dem Be- 
lieben der Menschen erhaben und beruht, wie ihre physikalischen und 
chemischen Eigenschaften, ihre Verwendbarkeit und ihre Seltenheit. 
auf Naturtatsachen, die vom Menschen unabhängig sind und daher 
ein naturgesetzliches Fundament alles Weiteren bilden. Der Staat 
ist erst dazu gekommen, als die Hauptsache schon ohne ihn unter den 
Menschen aus deren freier Initiative durchgesetzt war. Nicht Prägung 
oder Bezeichnung sind das Wesentliche, sondern der Stoff und dessen 
Eigenschaften, vermöge deren er allgemein angenommen wird und 
die Garantie bietet, überall zu gelten, also über die zufälligen Staats- 
grenzen hinaus und ohne alle staatliche Einmischung seine Funktion 
als Wertträger und Wertübertrager zu versehen. Ausmünzung, Prä- 
gung, Stempelung, Gewichtsangabe — das sind Dinge, womit sich die 
Oeffentlichkeit und der Staat befassen mögen, die aber Nebensachen 
sind. — Bezüglich des Näheren zu dieser weittragenden, konsequenzen- 
reichen und uralte Irrtümer beseitigenden antikonventionalistischen Auf- 
fassung des Geldes sei auf die Werke Eugen Dührings selbst ver- 
wiesen, dessen tiefschürfendem Scharfsinn sie zu verdanken ist. Er 
hat seine Theorie schon 1866, in der „Kritischen Grundlegung der 
Volkswirtschaftslehre‘‘, vertreten und dann ausführlich im ‚„Kursus der 
National- und Sozialökonomie‘“ dargelegt, und seither noch wichtige 
politische und soziale Folgerungen aus ihr gezogen (z. B. in „Waffen, 
Kapital, Arbeit“ 1906). 

Unsero Skizze wäre nicht vollständig, wenn wir nicht auch des 
chinesischen Papiergeldes Erwähnung täten. Auch darin hat China 
die üblichen Erfindungen und Erfahrungen lange vor den europäischen 
Staaten gemacht, denn schon vor 1000 Jahren setzte die Regierung 
dort Depotscheine über Bargeld in Umlauf, und bis ins 15. Jahrhundert 
unserer Zeitrechnung hat es an verschiedenen Emissionen von Staats- 
noten und an den zugehörigen nur allzu obligaten üblen Folgen, an 
Zwangskurs, Uneinlöslichkeit, Entwertung usw. nicht gefehlt. Nach 
den chinesischen Ueberlieferungen wurde nun die Einführung des 
Silbers und seine Einbürgerung im Verkehr allgemein als eine Er- 
lösung von dem Uebel der unsicheren und fragwürdigen staatlichen 
Zirkulationsmittel empfunden. Jedermann suchte das Metall zu er- 
langen, in dem sich Ersparnisse und Werte sicher anlegen ließen, 
das seine Kaufkraft unabhängig von zweifelhaften Bezeichnungen oder 
staatlichen Willkürakten in sich trug, und dessen Beschaffung nicht 


72 Miszellen. 


von dem Belieben und der Einsicht der staatlichen Verwaltung abhing. 
Die Silberrechnung hat nicht allein den Verkehr vom schlechten Kupfer- 
geld emanzipiert und das Fundament einer modernen Entwicklung 
geliefert, sondern auch das seit Jahrhunderten umlaufende und infolge 
der Zahlungsunfähigkeit des Staates entwertete Papiergeld verdrängt, 
so daß es schließlich verschwand. 

Erst das 19. Jahrhundert hat in China Kreditbillette des Staates 
wieder entstehen sehen. Insbesondere hat die jüngste revolutionäre Be- 
wegung gegen die Mändschu-Monarchie dazu Anlaß gegeben, daß 
sich verschiedene der neuen Provinzialregierungen finanzielle Mittel 
durch Ausgabe von Noten beschafften. Es ist für China charakte- 
ristisch, daß diese Zettel trotz Erfolgs der politischen Bewegung und 
trotz Konsolidierung der Republik nur mit erheblichem Disagio in 
Kurs sind, sowie sie von vornherein nicht zum Nennwert in Zirkulation 
gebracht werden konnten. Die Regierungen haben sich zu Kompromissen 
mit den Bankiers herbeilassen müssen, um ihre Zettel überhaupt in 
einigen Maße emittieren zu können; man einigte sich fallweise auf 
Prozentsätze, zu denen Papier zugleich mit Metall in Zahlung anzu- 
nehmen war. Trotzdem unterlagen die Zettel seither weiterem Kurs- 
fall, und die Androhung hoher Strafen, ja selbst der Todesstrafe, haben 
30- und 40-proz. Disagio nicht hindern können. Diese Noten bilden 
also neuestens eine Art dritter Currency, wobei von den diversen in 
Teilen Chinas umlaufenden Banknoten (insbesondere der fremden 
Bankniederlassungen) abgesehen wird. Die chinesische Regierung hat 
verschiedentlich schon versucht, die Annahme des revolutionären Papier- 
gelder au ihren Kassen, als für sie mit Verlust verbunden, abzulehnen ; 
doch erregte dies, übrigens mit Recht, solche Entrüstung, und die 
Erschütterung des Geldmarktes war so empfindlich, daß die Regierung 
zurückweichen mußte. Die schließliche Einlösung der Noten wird sich 
schon mit Rücksicht auf die Staatsfinanzen, deren Eingänge durch 
den Einlauf der Noten beeinträchtigt sind, nicht umgehen lassen. 


II. 


In China bedeutet der Staat wenig, die Tradition, die 
uralte Gewohnheit alles. Ungeschriebene Gesetze, in den allgemeinen 
Geist übergegangene Satzungen der Sitte regieren die Gesellschaft. Die 
Zahl der bewaffneten Organe, die den Frieden aufrechtzuerhalten und 
den rechtlichen Verkehr zu schützen haben, ist im Vergleich zu der 
Bevölkerungszahl verschwindend. Man erwartet von der öffentlichen 
Gehalt wenig; man ist gewohnt, von ihr, wo sie sich regt, mehr be- 
hindert als gefördert zu werden. Das berüchtigte chinesische Be- 
stechungssystem ist die Art, wie sich die wirtschaftende Gesellschaft 
mit den unzulänglichen Öffentlichen Apparat abfindet. Der Sturz des 
Mandschu-Regimes erfolgte, weil es sich als unfähig erwies, auch nur 
das Minimum seiner Funktionen, nämlich die Erhaltung der nationalen 
Einheit und Autonomie, zu erfüllen. Das neue Gouvernement hat hier 
seine wichtigste Aufgabe; aber in der inneren Verwaltung wird sich 
schwerlich viel ändern. Das vormundschaftlich-bureaukratische Regieren 


Miszellen. 73 


und Verwalten hat in China nach wie vor geringe Chancen. Eine 
Staatsleitung, die dies verkennt und ihre Autorität überschätzt, wird, 
wie die verflossene Monarchie, die Gesetzzammlung mit Edikten be- 
reichern, um die sich praktisch niemand kümmert. 

Wenn man daher bei der Frage nach möglichen Reformen des 
Geldwesens vom bestehenden Silbergebrauch ausgeht und als 
ersten Hauptsatz dessen Beibehaltung und Ausgestaltung aufstellt, so 
ist das bloß eine fast selbstverständliche Folgerung aus dem Vor- 
stehenden. Keine Macht ist imstande, den Jahrhunderte alten Silber- 
umlauf willkürlich durch etwas anderes zu ersetzen. Deshalb sind Er- 
örterungen über die Einführung einer Goldwährung oder dergleichen 
durchaus zwecklos. Ein von oben ausgehender Systemwechsel ist in 
China einfach unmöglich, und nicht etwa bloß inopportun, weil es etwa 
für die Geldverfassungen Europas usw. gefährlich wäre, auch das 
ungeheuere China zum Goldgebrauch übergehen zu lassen. 

Ea ist also ein arges Uebersehen der wesentlichen Eigentümlich- 
keiten Chinas, wenn europäische Ratgeber den Chinesen dieses oder 
jenes Geldsystem statt der Silberwährung empfehlen. Eine chinesische 
Regierung. die sich unterfangen wollte, von oben her ein nach euro- 
päisch-amerikanischem Muster kopiertes System oktroyieren zu wollen, 
würde nichts erreichen, als die heutige Mannigfaltigkeit der chine- 
sischeu Umlaufsmittel zu vermehren. 

Man muß das Silber, sowie esin Umlauf ist, zum Aus- 
gangspunkt nehmen und darf sich lediglich fragen, was an den 
heutigen Zuständen verbesserungsfähig ist, und was staatsseitig zur 
Verbesserung mit Aussicht auf Erfolg geschehen kann. 

Freilich hat der Silbergebrauch Nachteile, indem nämlich beim 
Verkehr mit den nach Gold rechnenden Völkern die Schwankungen 
des Silberpreises Unbequemlichkeiten verursachen. Es gibt rationelle 
Mittel, diese zu reduzieren oder unschädlich zu machen. Ganz emanzi- 
pieren kann sich das Silberland davon nicht. Am allerwenigsten ist eine 
chinesischo Regierung imstande, die Wertschwankungen des Silbers 
zu eliminieren. Es war ein Hauptfehler der früheren Währungsrat- 
geber der chinesischen Regierung, insbesondere des amerikanischen 
Professors Jeremiah Jenks und des holländischen Bankpräsidenten 
Dr. G. Vissering!), die Stabilisierung des Wertes einer imaginären 
chinesischen Einheit für das wichtigste Problem zu erklären und so 
zu tun, als könne diesbezüglich der Staat etwas leisten. Sie empfahlen 
ihm Nachahmung des von den Engländern in Indien eingerichteten 
Systems einer staatsseitig beschränkten Silberzirkulation mit fixem Gold- 
kurs. Man braucht sich nicht erst in eine kritische Prüfung dieses so- 
genannten Gold Exchange Standard einzulassen, um ihn für China 
unpraktikabel zu befinden. Wenn die Engländer die indische Silber- 
Rupie in einer künstlichen Goldparität erhalten, die um 40 Proz. den 
inneren Metallwert der Rupie übersteigt, so ist dies nur auf Grund 


a 1) On Chinese Currency, Preliminary remarks about the monetary reform 
in China. Amsterdam (J. H. de Bussy), 1913. 


74 Miszellen. 


ihrer über Indien etablierten Finanzherrschaft, kraft des indischen 
und britischen Kredits, und vermöge der straffen Kolonialverwaltung 
möglich. In diesen wesentlichen Vorbedingungen ist das englische Re- 
giment über Indien von der Lage der chinesischen Regierung offen- 
bar total verschieden. Dazu kommt aber der von uns wiederholt hervor- 
gehobene Grundzug des chinesischen Verkehrs, ein Metallstück stets 
nur auf sein effektives Gewicht anzusehen und sich nicht nach nomi- 
nellen Bezeichnungen, sondern stets nur nach dem wahren Metall- 
wert zu richten. Jeder Versuch, dieser wohlbegründeten, tief einge- 
wurzelten Tradition entgegenzuhandeln und andere Verkehrsgewohn- 
heiten einzubürgern, muß in China mißlingen; denn dort hat man es 
nicht mit leicht zu bevormundenden Hindus, sondern mit einer an 
kaufmännische Berechnung und verstandesmäßige Ueberlegung gewöhn- 
ten Bevölkerung zu tun. 

Die Uebelstände, die der heutige Zustand mit sich bringt, wenn 
man zunächst vom Kupferumlauf (der Cash-Währung) absieht, sind: 

1) Die Verschiedenheit des Gewichtsmaßes, also das Fehlen einer 
einheitlichen, überall gangbaren und anerkannten Unze; 

2) die Verschiedenheit der usuellen Silberfeinheit, also das Fehlen 
eines überall gleichmäßigen Silberstandards; 

3) die Schwierigkeiten genauen Abwägens und Teilens des Silbers. 

Diese Dinge erschweren nicht bloß den interprovinziellen und 
interurbanen Verkehr, sondern wirken selbst in derselben Stadt oft 
erschwerend. Insbesondere aber machen sie das Publikum in hohem 
Maße von Geldwechslern und Bankiers abhängig, welche aus der Not- 
wendigkeit der vielfachen Umrechnungen und Messungen Gewinn 
ziehen. Sie sind daher an der Erhaltung und Steigerung der Mannig- 
faltigkeiten interessiert und nützen ihre unentbehrlichen Vermittlungs- 
funktionen zu ungebührlicher Ausdehnung des Depositen- und Clearing- 
verkehrs auf Kosten der Geschäftsleute und Privaten aus. 

Auch zur Vereinheitlichung der Maße und Gewichte 
ist China sowie zur Schaffung einer einheitlichen nationalen Münze 
durch internationale Handelsverträge verpflichtet, ohne bisher etwas 
Ernstliches in dieser Beziehung getan zu haben. Offenbar liegt das 
eigentliche Problem nicht darin, irgendein Maßsystem zu erfinden oder 
anzunehmen, welches der Unifikation zugrunde zu legen wäre, sondern 
darin, das Publikum und den Handelsverkehr des ungeheueren Reiches 
zur Annahme eines einheitlichen Maßes zu bringen. In den letzten 
Jahren ist in China vielfach davon die Rede gewesen, das französische 
Metersystem zu rezipieren, und im Herbste vorigen Jahres lag dem 
chinesischen Parlament ein bezüglicher Gesetzesvorschlag der Regie- 
rung vor. Offenbar erschwert man sich aber die Aufgabe außerordent- 
lich, wenn man, statt sich an die heimischen Traditionen anzuschließen, 
noch gar ein fremdes Maßsystem einführen will. Der Vorteil, den 
der Anschluß an das in einem Teile Europas geltende Maßsystem allen- 
falls mit sich brächte, wird bei weitem aufgewogen durch die Schwierig- 
keit (ja nach unserer Ueberzeugung Unmöglichkeit), den chinesischen 
Verkehr zu einer tiefgreifenden Abänderung seiner alten Gewohn- 


Miszellen. 75 


heiten zu vermögen. Es ist auch nicht abzusehen, warum China etwas 
einführen soll, was Rußland, England, Nordamerika bisher noch nicht 
angenommen haben. Es ist daher zu begrüßen, daß neuestens die 
chinesische Regierung selbst einen Anschluß an die heimischen Maße 
für passender anzusehen scheint und die Rezeption des metrischen 
Systems einer entfernteren Zukunft vorbehalten will. Ein kürzlich 
dem Präsidenten unterbreiteter Ministerialbericht schlägt speziell be- 
züglich des Gewichtsmaßes vor, die fiskalische Unze (Kuping- 
Gewicht) zur Einheit zu nehmen und im ganzen Reiche ein- 
zuführen. In der Tat ist der Kuping-Tael als das bei den Steuerzah- 
lungen zugrunde gelegte Gewicht im ganzen Reiche bekannt und hat 
daher von vornherein unter den verschiedenen Tael-Spezies besondere 
Chancen, unter gewissen Voraussetzungen allgemein angenommen zu 
werden. 

Gelänge es, in ganz China die Kuping-Unze zur allgemeinen Ge- 
wichtseinheit zu machen, so wäre auch zur Verbesserung des Geld- 
verkehres bereits viel geleistet. Die zweite wesentliche Verbesserung 
wäre, daß man den Verkehr auch zur Annahme eines einheitlichen 
Silberstandards bewegt. Hierzu böte sich natürlich der Anschluß 
an den Kuping-Tael als der einfachste Weg dar. Dieser versteht sich 
nach den offiziellen Angaben in Silber von 985 Tausendteilen. Indem 
man also den Kuping-Tael allgemein rezipierte, hätte man die Ver- 
schiedenheiten des Gewichtsmaßes sowohl, wie die des Silberstandards 
beseitigt. Für den Uebergang müßten allgemein die gangbaren Geld- 
einheiten nach Gewicht und Silberfeinheit in die neue Einheit umge- 
rechnet werden, was nicht besonders kompliziert wäre, da ja schon heute 
wegen der Steuerzahlungen überall die lokalen Einheiten in die fis- 
kalischen umgerechnet zu werden pflegen. 

Die große Frage ist also: Ist die chinesische Regierung, ist der 
chinesische Verwaltungsapparat der großen Aufgabe gewachsen, im 
ganzen Reiche eine neue zuverlässige und durchgreifende Maß- und 
Gewichtspolizei zu organisieren, überall gehörige Mustermaße und 
Wagen zu verbreiten, für ihre Vervielfältigung zu sorgen, und neue 
Degenerationen der Maße, die Ausbildung neuer lokaler Abweichungen 
zu verhindern ? Können die chinesischen Behörden so viel Einfluß auf 
den Verkehr nehmen, um ihn zu durchgängiger Annahme des ein- 
heutlichen Maßes zu vermögen? Wird die Bureaukratie des republi- 
kanischen Regimes anders und besser funktionieren als die frühere? 
Nach dem, was wir eingangs sagten, besteht wenig Wahrscheinlichkeit, 
daß sich das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Staat wesentlich 
ändern werde. Jedenfalls aber können die wirtschaftlichen Reformen 
nicht davon abhängig gemacht werden, ob es der Zentralregierung 
gelingt, sich finanziell und militärisch nach dem Muster der europäischen 
Staater: zu organisieren und im ganzen Reiche einen entsprechenden 
straffen Verwaltungsapparat einzuführen. Selbst unter Voraussetzung 
eines solchen ist es durchaus nicht ausgemacht, daß es gelingen muß, 
die alten Verkehrsgewohnheiten nach einem behördlichen Schema umzu- 
gestalten. 


76 Miszellen. 


Trotzdem bietet sich dem Staate ein überaus einfaches und wirk- 
sames Verfahren zur Reform, wenn er sich nur an das dem 
chinesischen Geiste angemessene Prinzip hält, sich eng an die Tradi- 
tionen anzuschließen und nur solches zu unternehmen, was dem Ver- 
kehr nicht unökonomische Neuerungen zumutet, sondern ihm Vorteile 
gewährt, die ihm erwünscht sein müssen. Das beste Mittel, die 
Kupingeinheit und den Silberstandard des Kuping-Taels 
einzubürgern, ist die Abwägung des Silbers selbst in die 
Hand zu nehmen und dem Verkehr nach Einheiten abge- 
wogenes Silber zu bieten. Der Staat muß einfach die Prägung 
von Kuping-Taels organisieren. Er errichte an möglichst vielen 
Handelsplätzen modern eingerichtete und exakt funktionierende Münz- 
stätten, in denen alles von Privaten eingereichte Silber unentgeltlich in 
Stücke von Kuping-Unzen-Gewicht und einheitlichem Standard (985/900) 
verwandelt wird. Der Verkehr würde es dann vorteilhaft finden, statt 
mit Barren zu manipulieren, die jedesmal geprüft, gewogen und mehr 
oder weniger umständlich kalkuliert werden müssen, mit den neuen 
Münzen zu zahlen, deren Gewicht und Feinheit ohne weiteres ersichtlich 
sind. Die neue Münze würde also, da sie die alte Silbergewichtsrech- 
nung nicht etwa durch etwas Neues ersetzt, sondern sie vielmehr be- 
stätigt und erleichtert, den allgemeinsten Verkehrsbedürfnissen ent- 
gegenkommen und sich rasch überall einbürgern. Der handgreifliche 
Vorteil, der mit der Benützung der geprägten Unzen verbunden wäre, 
würde auch den Widerstand lokal abweichender Gewohnheiten über- 
winden. 

Der geprägte Tael wäre zugleich ein überall umlaufendes, in 
jeder Hand befindliches offizielles Unzengewicht, könnte also überall 
zugleich als Gewichtsmaß dienen. Man brauchte sich nicht in Amts- 
stellen zu bemühen und um Kopien der offiziellen Maße zu be- 
werben, um das neue einheitliche Maß zu kennen und zu ge- 
brauchen. Man würde unmittelbar mit dem umlaufenden Silbergeld 
die Waren zugleich wägen können. Natürlich muß diese Erleichte- 
rung des Messens wieder auf die Gangbarkeit der neuen Münze günstig 
zurückwirken. So würde also durch eine Aktion Vereinheitlichung 
des Geldwesens und Vereinheitlichung des Gewichtsmaßes vor sich 
gehen. Dazu wäre keine bevormundende Aktion der Behörden not- 
wendig. Das neue System brauchte nicht durch Strafandrohungen 
und Polizeimaßregeln durchgesetzt zu werden, der Staat brauchte sich 
nicht der in China so naheliegenden Gefahr auszusetzen, sich und seine 
Ordonnanzen vom Verkehr ignoriert zu sehen. Nichts wäre dazu not- 
wendig als die Einrichtung zuverlässiger Prägestätten. Auch müßte 
Garantie für den fundamental wichtigen Punkt geleistet werden, daß 
wirklich alles vom Publikum präsentierte Silber zur Ausprägung 
kommt. Dies ist eine Hauptvoraussetzung für das Gelingen der Re- 
form, da sie allein die Wertgleichheit des geprägten und ungeprägten 
Silbers garantiert. Eine Schranke für das Ausprägen darf unter keinen 
Umständen gestattet werden. 


Miszellen. 77 


Es ist selbstverständlich, daß das Silber nicht bloß in ganzen Unzen- 
stücken, sondern auch in Teilungen davon auszuprägen ist. Das Ein- 
Tael-Stück würde 37,301 g wiegen, also eine recht schwere Münze 
sein. Man müßte auch Halb-, Viertel-, Zehntel-Unzen und noch 
kleinere Teilmünzen prägen. Es ist nach dem Vorangegangenen selbst- 
verständlich, daß diese Teilmünzen genau das Gewicht haben müssen, 
welches ihre Bezeichnung anzeigt. Ein Zehntel-Tael (Chien, Mace) 
würde 3,7301 g, ein Hundertstel-Tael (Fön, Kandarin) würde 0,37301 g 
wiegen. Auch würde die Feinheit dieser Münzen dieselbe sein, wie die 
des Ein-Tael-Stückes. Alle Silbermünzen würden also einander nach 
Maßgabe ihrer Bezeichnung und des damit übereinstimmenden Fein- 
metallgewichts vertreten können. Bezeichnung und Gewicht haben 
immer miteinander übereinzustimmen, und der Verkehr selbst würde 
dafür sorgen, daß diese Uebereinstimmung überall überwacht und Ab- 
weichungen sofort attrappiert werden. Abgegriffene, verstümmelte, oder 
verschlechterte Münzen würden nämlich nicht zu ihrem Nominalwert 
genommen werden, da die durchaus nicht ausgeschaltete Wage die Ab- 
weichung feststellen würde. Solche Münzen müßten von den Staats- 
kassen bei Vorkommen zerschnitten oder sonstwie umlaufsunfähig ge- 
macht werden, damit der Verkehr genötigt wird, sie zu neuer Prägung 
einzureichen. 

Schon ein kaiserliches Edikt vom Jahre 1908 hat die Prägung von 
Kuping-Taels in Aussicht genommen. Später ist man von dieser am 
richtigen Platz konservativen Idee abgekommen und hat als Grundlage 
des Geldsystems einen Dollar annehmen wollen. Auch das am 7. Fe- 
bruar d. J. publizierte neue Münzgesetz nimmt einen Silberdollar 
als Münzeinheit an. Der Dollar erhält einen Namen: er soll 
„Yüan“ (d. h. kreisrundes Stück) heißen. Diese Münze soll 23,978 g 
reines Silber enthalten, 9%/,o00 fein sein, also rauh 26,6422 g wiegen. 

Es ist also beabsichtigt, die im ganzen Reiche geltende Silber- 
gewichtsrechnung abzuschaffen und eine Dollarwährung an ihre Stelle 
zu setzen. Wir haben bereits erwähnt, daß schon heute in China Dollars 
verschiedenen Gepräges im Umlaufe sind, und daß auch chinesische 
Dollars geprägt werden. Alle diese Münzen aber stehen auf der 
Basis der Silbergewichtsrechnung im Verkehr und werden nach ihrem 
effektiven Metallgewicht genommen. Auch der neue Dollar wird offen- 
bar, sobald er in Zirkulation kommt, nach seinem wirklichen Silber- 
gehalt (0,648 Kuping-Unzen, nach dem Wortlaut des Münzgesetzes) 
-angenommen werden und gelten, und es bleibt abzuwarten, ob es der 
Regierung gelingen wird, den Verkehr von der Gewohnheit des Rech- 
nens nach Unzen abzubringen und sie zu veranlassen, die neue Münz- 
einheit zugrunde zu legen. Nach dem, was wir bisher ausgeführt haben, 
lst dies im höchsten Grade unwahrscheinlich. Zu tief eingewurzelt ist 
ìm Chinesen die Gewohnheit, ein Stück Metall ohne Rücksicht auf seine 

Bezeichnung oder Prägung einfach als das anzusehen, was es ist, also 
es nur nach dem Verkehrswert des vorliegenden Feinmetalles zu schätzen. 
Man will ihn nun davon abbringen, lediglich auf das Gewicht zu achten, 


78 Miszellen. 


und ihn veranlassen, sich an einen Münznamen zu halten, der sachlich 
nichts bedeutet (kreisrunde Münzen gibt es ja in China seit tausenden 
von Jahren) und der zum Metallgewicht, von dem allen der Wert 
abhängt, keine Beziehung hat. Das ist utopisch. Noch fragwürdiger 
wird das Experiment durch die Bestimmung des neuen Münzgesetzes, 
daß zwar auch für Rechnung Privater die Prägungen stattzufinden 
haben, dafür aber eine Prägegebühr von 6 Prom. eingehoben werden 
soll. Offenbar muß dies der doch vom Standpunkte der Regierung er- 
wünschten Verwandlung des umlaufenden Silbers in Yuans hinderlich 
im Wege stehen. Dem Publikum wird kein greifbarer Vorteil geboten, 
der er veranlassen sollte, sich der neuen Rechnungsart anzubequemen. 

So wird also die neue Münze, gleichgültig, ob sie im größeren oder 
geringeren Maße in den Verkehr kommt, die schon vorhandene Mannig- 
faltigkeit der Zirkulationsmittel nur noch vermehren. 

Man müßte sich wundern, daß die chinesische Regierung sich in 
solchen Gegensatz zu den einheimischen Verkehrsgewohnheiten setzt, 
und immer wieder von neuem den Versuch unternimmt, dem Lande etwas- 
Fremdes, nach ausländischen Mustern Modelliertes aufzuoktroyieren, 
wüßte man nicht, daß der chinesische Staat, beständig von Geldverlegen- 
heiten bedrängt, die Münzreform dazu benützen will, um die Staats- 
kassen aus Prägeprofiten zu füllen. Gelänge es nämlich, die Chinesen 
an das Rechnen nach Yuans zu gewöhnen, also sie dazu zu bringen, die 
staatlichen Münzen nach ihrer offiziellen Prägebezeichnung zirkulieren 
zu lassen, ohne auf den wirklichen Metallgehalt gehörig Bedacht zu 
nehmen, so könnte der Staat auch Stücke in Umlauf bringen, welche 
weniger Metall enthalten, als der gesetzlichen Definition der Münz- 
einheit entspricht. Damit wäre also die Möglichkeit gegeben, aus der 
Differenz zwischen Nominalbezeichnung und effektivem Metallgehalt 
Gewinne zu ziehen, die bei einer Bevölkerungszahl von mehreren 
hundert Millionen und dem zugehörigen ungeheueren Geldbedarf ganz 
kolossale Beträge erreichen müßten. In der Tat nimmt das Münzgesetz 
in Aussicht, bei den Teilmünzen eine erhebliche Unter- 
wertigkeit eintreten zu lassen. Schon der halbe Yuan (50 Cents) 
soll zwar im Rauhgewicht genau die Hälfte des Eindollarstücks sein, 
aber bloß 70 Proz. Silber enthalten. Dasselbe Feingewichtsverhältnis 
soll für das silberne Zwanzigcent- und das silberne Zehncentstück gelten. 
Dies bedeutet gegenüber der Nominalbezeichnung eine Wertdifferenz 
von nicht weniger als 23 Proz. Die Regierung würde also durch die 
Ausgabe der selbernen Teilmünzen nicht weniger als fast ein Viertel 
des Nominalbetrages profitieren. natürlich unter der Voraussetzung, daß 
der chinesische Verkehr diese Scheidemünzen wirklich zum Nominal- 
werte, d. h. im nominellen Verhältnis zur vollwichtigen Yuaneinheit 
annimmt. Noch größer müssen natürlich die Profite an den projek- 
tierten Kupfer- und Nickelmünzen sein. Es sollen nämlich Fünf- 
Centstücke aus Nickel, ferner Kupfermünzen von ` Zon: Aen: Alen 
?/io00 und 1/1000 des Yuan ausgegeben werden. 

Dieser Plan der chinesischen Regierung steht im lebhaftesten Kon- 
trast zu den Erfahrungen, die man bisher in China hat machen können. 


Miszellen. 79 


Silberne Teilmünzen des Dollarstückes sind in den letzten Jahren wieder- 
holt von verschiedenen Provinzialregierungen ausgegeben worden, welche 
hofften, dabei Prägegewinne zu machen. Dies gelang ihnen auch teil- 
weise, solange sich der Verkehr hintergehen ließ, und soweit ein tat- 
sächlicher Bedarf an kleinen Münzen bestand. Aber überall ist der 
Wert dieser Teilmünzen alsbald unter das Nominale gesunken und hat 
sch dem effektiven Silbergehalt angenähert. Man nimmt auch die 
kleinen Münzen ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung lediglich nach 
ihrem wirklichen Metallwert. Es ist also unverständlich, wie die Zen- 
tralregierung hoffen kann, neue Scheidemünzen zu einem höheren 
Kurse in Verkehr zu bringen. 

Die neuen Prägungen müssen notwendig zu Enttäuschungen führen. 
Auch wenn die Regierung sich verpflichtet, die von ihr ausgegebenen 
kleinen Münzen an den Staatskassen unbeschränkt in Zahlung zu 
nehmen, wird die Geltung zum Nominalkurs nicht durchzusetzen sein. 
Selbst der englischen Verwaltung in Hongkong ist es bisher nicht ge- 
lungen, den dortigen Scheidemünzen die Kursfähigkeit zum offiziellen 
Wert zu sichern; und die unbeschränkte Annahme an den Staatskassen 
führt nur dazu, daß die Regierung die Münzen mit Verlust einlösen 
muß. Die dortigen staatlichen Scheidemünzen können die Konkurrenz 
der in dem benachbarten Kanton zirkulierenden und von dort auch 
nach Hongkong kommenden Münzen nicht aushalten; da die kan- 
tonesische kleine Münze ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung nach 
dem inneren Metallgehalt genommen und gegeben wird, ist es unmög- 
lich, den Chinesen dazu zu bringen, die ungefähr gleich großen Scheide- 
münzen von Hongkong zu einem wesentlich höheren Wert zirkulieren zu 
lassen. So hat der britische Fiskus in Hongkong seine Scheidemünzen 
zu einem sehr großen Teile wieder zurücknehmen müssen und auf diese 
Weise die früher gemachten Prägegewinne dem Publikum zum Teil 
wiedererstattet. Neuestens versucht man durch drakonische Strafgesetze 
den Umlauf des chinesischen Kleingeldes in Hongkong zu verbieten, 
jedoch bisher ohne besonderen Erfolg. 

Dieser Fall ist überaus lehrreich; denn er zeigt, daß es der chinesi- 
schen Regierung ganz unmöglich sein wird, unterwertige Scheidemünzen 
mit Gewinn in Umlauf zu bringen, wenn sie nicht zugleich alles heute in 
China zirkulierende Kleingeld abschafft. Letzteres ist schon aus finan- 
ziellen Gründen undurchführbar. Alles dieses gilt in noch höherem 
Grade bezüglich des projektierten Kupfergeldes, welches an die Stelle 
des alten Käschumlaufes treten soll. Es ist klar, daß man sich in 
Peking bisher über die Art, wie diese kolossale Unternehmung ins 
Werk gesetzt werden soll, gar keine ernstlichen Gedanken gemacht hat. 

Der Bericht der Währungskommission, der dem neuen Münzgesetze 
zugrunde liegt, sieht die vorderhand proklamierte Silberdollar-Währung 
nicht als definitiv an. Wenn erst einmal die Prägungen genügend weit 
fortgeschritten sein werden, und wenn der Verkehr sich allgemein an die 
Rechnung nach der neuen Münzeinheit gewöhnt haben wird, soll zur 
Fixierung eines gesetzlichen Goldkurses geschritten werden. 
Der Silberdollar soll eine staatlich festgesetzte Parität zum Golde er- 


80 Miszellen. 


halten, um die Wertschwankungen der chinesischen Geldeinheit zu 
beseitigen. Auch soll dann der Silberdollar in eine leichtere Münze 
umgeprägt werden. Um den Uebergang zur Gold-Standard-Währung 
vorzubereiten, und nicht allzu große Beträge umprägen zu müssen, soll 
der Verkehr mit Silberdollars nicht überfüllt werden. Es soll vielmehr 
bei den Prägungen auf den Verkehrsbedarf Bedacht genommen werden. 
Dies steht. nun aber mit dem Hauptrequisit einer Metallwährung, 
nämlich der Unbeschränktheit der Prägungen für Rechnung Privater, 
im Widerspruch. Wenn der Staat nicht alles Silber zur Ausprägung 
verstattet, so fehlt die Hauptvoraussetzung für die Einbürgerung der 
neuen Währung. Wie soll auch der Staat entscheiden, wie groß das Ver- 
kehrsbedürfnis ist? Jede Einreichung von Silber zur Ausprägung 
ist ein Zeichen eines Verkehrsbedürfnisses. Weist der Staat private An- 
suchen um Ausprägung zurück, so bleibt das Publikum eben bei seiner 
Silbergewichtsrechnung, die ohnehin dadurch begünstigt wird, daß der 
Staat eine Prägegebühr erhebt. Man bedenke doch, daß die Behörden 
gar kein Mittel haben, den Verkehr zu zwingen, seine Geschäfts- 
abschlüsse und Rechnungen in den staatlichen Münzen zu betätigen. 

Man glaubt eben in China, daß durch die beschränkte Ausprägung 
des Silberdollars diesem im Vergleiche zum ungeprägten Silber ein 
höherer Wert verliehen werden kann. Da man aber nicht den chinesi- 
schen Verkehr nötigen kann, lieber den Regierungsdollar als den mexi- 
kanischen Dollar oder das Sycee-Silber zu benützen, so ist diese Hoff- 
nung ganz hinfällig. Der Staat müßte denn in Aussicht nehmen, die 
Einfuhr von Silber und Silbermünzen zum Monopol zu machen und sie 
den Privaten zu verbieten, was offenbar unmöglich ist. 

So zeigt sich denn aus allen Gesichtspunkten, daß den Münzgesetz- 
gebungsversuchen eine Ueberschätzung der staatlich-bureaukratischen 
Macht zugrunde liegt, die sich mit dem gesellschaftlichen Geiste und den 
traditionellen Verkehrseinrichtungen in Widerspruch setzt. Die chinesi- 
schen Machthaber lassen sich durch ihre europäischen Ratgeber, die 
Sinn und Vorteil der chinesischen Geldeinrichtungen nicht würdigen, 
dazu verführen, die Staatseinrichtungen Europas und Amerikas zum 
Vorbild zu nehmen. Sie haben aber weder die heutige militärische und 
finanzielle Macht der europäischen Staaten, noch verfügen sie über 
den gleichen festen und das Land in dichtem Netz überziehenden Ver- 
waltungsapparat. Sie werden also gegenüber dem chinesischen Ver- 
kehr, der auf den effektiven Metallwert achtet, die Wage benützt, sinn- 
leere Münznamen ignoriert, und lieber dem Metall, als seiner unzuver- 
lässigen, unbeständigen, gewinnsüchtigen Obrigkeit vertraut, unzweifel- 
haft den Kürzeren ziehen. 

Nicht europäisch, sondern chinesisch muß eine gute 
chinesische Regierung denken. Täte sie dies, so würde sie in dem 
chinesischen Silbergewichtsgeld den Ausdruck nationaler Rationalität 
und Rechtlichkeit achten und nicht nur jeden Verstoß dagegen unter- 
lassen, sondern sich nach Kräften bemühen, jene Tugenden zu unter- 
stützen. Dies geschähe durch zuverlässige Abwägung und Be- 
zeichnung, also ordentliche Ausprägung von Silbergewichtseinhei- 


Miszellen. EN 


ten. Da aus zuverläsigem Gelde und aus den Verkehrserleich- 
terungen, die sich aus der Unifikation ergeben, die ganze Ge- 
sellschaft Vorteile zieht, ist es gerechtfertigt, die Kosten solcher 
Prägungen auf den Steuerfiskus zu nehmen, also die Prägungen unent- 
geltlich zu leisten. Die Kosten davon wären übrigens geringer, als die 
Lasten, die der Staat mit einer Währungsanleihe auf sich nehmen will. 
Eine solche wird nämlich projektiert, um die beabsichtigten beschränkten 
staatlichen Silberprägungen vorzunehmen und hauptsächlich, um eine 
zentrale Banknotenausgabe zu finanzieren. Papiergeld und unterwertige 
Scheidemünzen — das ist also der Hauptinhalt der jetzt favorisierten 
chinesischen Währungsreform. Durch sie soll der geldbedürftige Staat 
auf Kosten des Publikums bereichert werden. Das ist aber das Gegen- 
tel einer wirklichen Währungsreform, die diesen Namen verdiente. 
Bezügliche Experimente finden im voraus in Geschichte und Tradition 
des chinesischen Verkehrs ihre Widerlegung und können in jeder Be- 
ziehung nur zu Enttäuschungen und zu steigender Verwirrung führen. 

Daß auch der für später in Aussicht genommene Uebergang zum 
britisch-indischen System des sog. Gold Exchange Stan- 
dard (Silberumlauf mit festem Goldkurs) für China durchaus utopisch 
ist, dürfte nach dem Vorangegangenen klar sein. Unterdrückung der 
Silbergewichtsrechnung, Verbot des Gebrauchs anderer Zirkulations- 
mittel als der staatlich geprägten, Beherrschung des Devisenmarktes 
durch den Staat, dauernde Unerschütterlichkeit des Staatskredits, um 
sich auch bei ungünstiger Zahlungsbilanz Goldguthaben im Ausland zu 
verschaffen, Festigkeit des Zentralregiments und zentralistische Zu- 
sammenfassung aller administrativen und finanziellen Funktionen — 
das sind so einige der Vorbedingungen für die Etablierung eines 
Systems nach dem Muster des absolutistisch regierten britischen Indien- 
besitzes. Sie fehlen in China vollständig. 

Soll nun aber deshalb China sich jeder Rücksichtnahme auf das 
internationale Zahlungsmittel, das Gold, enthalten und sich auf eine reine 
Silberwährung beschränken ? Eine solche besteht fast nirgends mehr. 
Alle Staaten sind zum Goldgebrauch übergegangen oder haben ihre 
Silber- oder Papiervaluta wenigstens in eine Kursbeziehung zum Golde 
gebracht; soll China eine Ausnahme machen ? 

Durchaus nicht, und um so weniger, als der chinesische Staat. 
insofern er Schuldner ist, und die chinesische Kaufmannschaft, in- 
sofern sie internationalen Handel treibt, sich ohnehin schon der Gold- 
valuta bedienen müssen. Auch ist dasGold, abgesehen von der Verwendung 
für gewerbliche Zwecke, in China als Sparmittel gesucht und verbreitet. 
und hierfür bestimmte Goldplättchen werden an den größeren Handels- 
plätzen regelmäßig gehandelt. Es besteht also in China, und zwar so- 
wohl beim Staat als beim privaten Verkehr, schon heute regelmäßiger 
Bedarf an Goldvaluten. Es brauchen entsprechende Geldeinrichtungen 
nur organisch in das Bestehende eingefügt zu werden. 

Schon in unserem ersten Artikel haben wir, im Zusammenhang mit 
dem Valutaprozeß der deutsch-ostasiatischen Bank, auf die Anomalität 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CII). 6 


82 Miszellen., 


hingewiesen, die darin liegt, daß der chinesische Staat jährlich große 
Goldfälligkeiten für Zinsen und Kapitalannuitäten hat, obwohl seine 
Einkünfte ausschließlich in Silber bestehen. Infolgedessen wird die 
Bilanz seiner Einnahmen und Auslagen durch jede Veränderung auf 
dem Silbermarkt empfindlich alteriert. Wenn die Silberpreise fallen, 
steigt die Last seiner Ausgaben und kann also alle Voranschlagungen 
vereiteln. Jede sichere Budgetierung wird dadurch unmöglich. 

Nun läßt sich die Tatsache, daß die ans Ausland zu leistenden 
Zahlungen Goldschulden sind, nicht beseitigen. Daraus folgt, daß 
der chinesische Staat zusehen muß, sich entsprechende Goldeinnahmen 
zu verschaffen, um sich für diesen Teil seines Budgets von den Schwan- 
kungen des Silberpreises unabhängig zu machen. 

China, welches ohnehin gerade jetzt bei den Mächten eine Revision 
der Zollbestimmungen zu erreichen sucht, müßte erwirken, daß die 
Eingangszölle in Gold berechnet werden. Die internationalen 
Handelsverträge mit China haben festgesetzt, daß die Zollabgaben einen 
gewissen Prozentsatz des Warenwerts zu betragen haben. Nichts kann 
einleuchtender sein, als daß von Waren, deren Wert in Gold ange- 
geben und fakturiert wird (das Gros der Einfuhrwaren kommt ja aus 
Goldwährungsländern), auch die in Wertprozenten ermittelten Zölle 
in Gold angegeben und bezahlt werden. In der Umrechnung solcher 
Zölle in Silber (Haikwan-Taels) liegt ganz offenbar eine Uebervor- 
teilung Chinas. 

Sie war nur zu rechtfertigen, solange Gold für den chinesischen 
Staat kein Geld war. Aber seit er Goldschulden hat, insbesondere also 
seit der Verwandlung der kolossalen Boxerindemnität von 450 Mill. 
Haikwan-Taels Silber in eine Goldschuld von etwa 67,5 Mill. £ (ohne 
Zinsen) ist auch Gold für China Geld, nämlich eben zur Bezahlung 
der auswärtigen Schulden. Es entfällt also jeder Grund für die künst- 
liche Festhaltung einer ausschließlichen Silbervaluta. 

Die Umrechnung der Zölle in Gold wäre übrigens auch sofort, 
d. h. ohne Rückgriff auf die Warenwerte, sehr einfach. Legte man 
z. B. die Parität zugrunde, die bei der Umwandlung der Indemnität 
in eine Goldschuld angenommen wurde, nämlich 1 Haikwan-Tael Silber 
= 3 sh. Gold, so hätte man ein Verhältnis von Gold zu Silber wie 
1:34,4. Dann brauchte man nur die Zahlensätze der jetzt geltenden 
spezifischen Zölle durch 34,4 zu dividieren, um sie statt in Haikwan- 
Taels Silber in Haikwan-Taels Gold ausgedrückt zu erhalten. 

Durch die Einhebung der Zölle in Gold wäre der größte Teil 
der Goldschuldigkeiten des chinesischen Budgets gedeckt. Dieses würde 
in zwei Teilbudgets zerfallen; das eine würde in Taels Silber, das andere 
in Taels Gold aufzustellen sein. So oft das Goldbudget neue Lasten 
aufweist, die noch keine Deckung haben, wäre rationellerweise nach 
neuen Goldeinnahmen auszuschauen. Jedes Budget hätte für sich zu 
equilibrieren. Solche Doppelbudgets sind nicht ohne Präzedens. Staaten 
mit entwerteter Papiervaluta (wie Griechenland, südamerikanische Re- 
publiken) verschaffen sich durch die Zölle die nötigen Goldeinnahmen 


Miszellen. 83 


für ihren Schuldendienst. Auch Oesterreich verfuhr so bis zur neueren 
Stabilisierung seiner Valuta. 

Wenn nun China, wie wir vorgeschlagen und für einzig rationell 
und aussichtsvoll halten, Silberausprägung in chinesischen Unzen und 
Teilen davon einrichtet, so ist es naheliegend und eigentlich selbst- 
verständlich, daß unter einem und ebenso auch die Ausprägung 
von Gold in ebensolchen Unzen und Teilen davon ver- 
stattet wird. Solche Goldprägungen, besonders in den großen Hafen- 
städten einzurichten, würde sich an den Handel mit Gold, Goldvaluten 
und Goldwechseln in den Zollhäfen anschließen, und so brächten 
die Zollzahlungen in Gold und die Prägung von Gold-Taels eine un- 
gezwungene und natürliche Goldzirkulation zuwege. Der internationale 
Hande! Chinas fände selbstverständlich gleichfalls seinen Vorteil in 
Goldrechnung und Goldgebrauch. Sowie der Staat, so würden auch 
die Großkaufleute und Banken zwei getrennte Rechnungen in Gold 
und in Silber führen. Der Import- und Exporthandel mit dem Gold- 
ausland würde sich der Goldwährung bedienen. Sie würde sich in ge- 
wissen Plätzen, Geschäftsbereichen, Kreisen ueben der allgemein üb- 
liehen Silberwährung etablieren. China besäße die Vorteile des Gold- 
gebrauchs, ohne die Kulturwelt mit dem Schreckgespenst einer De- 
monetisierung des Silbers zu beunruhigen. Das Ausland würde mit 
China auf dem Fuß des Weltgeldes, des Goldes, abrechnen, ohne von 
den mit dem Silbermarkt zusammenhängenden Kursschwankungen mo- 
lestiert zu werden. 

Es ist wichtig zu beachten, daß meine Anregung — ich habe sie 
schon vor mehr als einem Jahre mit gehöriger Begründung veröffent- 
lieht — nicht auf eine Doppelwährung im herkömmlichen Sinn 
abzielt. Einer solchen ist die staatliche Festsetzung eines fixen Wert- 
verhältnisses zwischen den beiden Metallen eigentümlich. Ein solches 
Beginnen hat sich historisch als Utopie erwiesen. Die vom Welt- 
verkehr abhängige Wertrelation entzieht sich jeder willkürlichen Fixie- 
rung, und bezügliche Versuche sind immer erfolglos geblieben. Nicht 
Bimetallismus, sondern durchaus freier Parallelgebrauch beider 
Metalle ist das, was ich den Chinesen nahelege. Das Wertverhältnis 
von Tael Gold zu Tael Silber bliebe ganz dem freien Verkehr über- 
lassen. Nimmt man auch dasselbe Feinheitsverhältnis für beide Münz- 
kategorien zur Grundlage, so würde die Zahl der geprägten Silber- 
münzen, die man jedesmal für die geprägte Goldmünze zu geben hätte, 
genau auch das Wertverhältnis der beiden Metalle ausdrücken. Es 
ist also auch hier ersichtlich, wie sehr die unverfälschte und unver- 
künstelte Ausprägung von Gewichtseinheiten zu Münzen den Verkehr 
vereinfacht, auch dem ungebildeten Volk das Rechnen und das Ver- 
ständnis des Geldes erleichtert und den Geldverkehr gegen Uebervor- 
Deech Verdunklungen, Mißbrauch technischer Subtilitäten usw. 
schützt. 

Es liegt offenbar etwas Gewaltsames darin, — bemerkt Dühring, 
dessen Geldtheorie bereits in Bezug genommen worden ist — eines 
der Metalle künstlich aus seiner natürlichen Funktion zu vertreiben. 

6* 


84 Miszellen. 


Faßt man, abgesehen von aller öffentlichen Währung, die natürliche 
Art ins Auge, auf welcher sich die Gewohnheiten des Metallgebrauchs 
durch die bloße Macht des tatsächlichen Verkehrs bilden würden, so 
ist kein Zweifel, daß neben dem Silber nach und nach auch das Gold 
Eingang finden müßte, und daß die Verschiebungen des Wertverhält- 
nisses das Nebeneinanderbestehen beider Zahlungsmittel nicht hindern 
könnten. Für eine gewisse Gewichtsmenge Silber wäre man alsdann 
gewohnt, bestimmte Waren oder Leistungen zu erhalten. Für das Gold 
würde man sich in analoge Beziehungen zu den Bedürfnissen einleben, 
und nur für die gegenseitige Auswechslung beider Zahlungsmittel 
würde ihr eigener relativer Wert oder vielmehr der jedesmalige Wert 
eines jeden von beiden in Anschlag kommen. Der Fall, daß die Gold- 
beschaffung billiger und derjenige, daß die Silberbeschaffung teurer 
würde, wären hier sichtbar genug zu unterscheiden (Dühring, Oekonomie- 
kursus). 

So würde also das Nebeneinander von Gold- und Silber-Taels die 
logische Fortentwicklung der chinesischen Gewichtsrechnung bedeuten. 
Diese ist, wie wir sichtbar gemacht zu haben glauben, rationeller als 
die üblichen europäischen Berichte und Reformvorschläge gewöhnlich 
darstellen. Das Ueble und Verworrene ist auf Rechnung der ver- 
rotteten Staatsverwaltung und des Mangels ordentlicher Gewichtspolizei 
zu setzen. In diesen Richtungen ist verbessernde Hand anzulegen; 
wogegen Attentate gegen die gesunden, durchaus vernünftigen und auf 
Ehrlichkeit abzielenden Wägungs- und Bewertungsgewohnheiten, Er- 
findung sinnwidriger Münznamen und fiktiver Einheiten, Propagierung 
unterwertiger Münzen, Vortäuschung hohler Goldkurse und dergleichen 
nur die Verwirrung und Verkehrsschwierigkeiten steigern können. 

Ein sehr wichtiger Punkt, der gewöhnlich in Praxis wie in 
Theorie vernachlässigt wird, ist die reichliche Versorgung des 
Verkehrs mit Edelmetall. Starke Barbestände im volksmäßigen 
Umlauf bedeuten Disponiblitäten für Perioden knapperer Produktion, 
erschütterten Kredits, krisenhafter Gestaltung. Krediterschüterungen 
werden um so gelinder vorübergehen, je mehr bare Mittel in den 
Händen des Publikums umlaufen, je leichter Barmittel für jene zu 
haben sind, die zeitweise nicht weiter kreditieren, sondern sich liquid 
halten wollen. Besonders deutlich wird diese Funktion im internationalen 
Verkehr. Ein ans Ausland verschuldetes Land wird zeitweise ungünstige 
Zahlungsbilanzen, internationale Kreditkrisen und dergleichen um so 
leichter überstehen, je mehr aus dem allgemeinen Verkehr zeitweise Bar- 
mittel herangezogen werden können. Eine mit vollwertigem Metallgeld 
gesättigte Volkswirtschaft hat deshalb unvergleichlich mehr Elastizität, 
mehr Stabilität und Sicherheit, als eine auf Kreditgeld basierte Oeko- 
nomie, sei dieses nun mehr oder weniger unbedecktes Papier oder 
unterwertiges sogenanntes Kurantsilber. Solche Zahlungsmittel sind 
international nicht verwendbar, und es muß, um Geld ans Ausland 
remittieren zu können, gerade damals geborgt werden, wo der Kredit 
gestört, gar nicht oder nur zu ausbeuterischen Bedingungen zu haben 
ist. Ist keiner zu schaffen, so ist der Zusammenbruch der Wechsel- 


Miszellen. 85 


kurse und die Entwertung der nationalen Geldeinheit die Folge — 
letzteres wohl die schwerste allgemeine Katastrophe, von der eine 
Volkswirtschaft betroffen werden kann, infolge der Erschütterung aller 
Vermögenswerte und der rechtswidrigen Vermögensverschiebungen, die 
sich daran knüpfen. An einer Vollwertigkeit der chinesischen Valuta und 
der reichlichen Sättigung des chinesischen Umlaufs mit Geldmetall 
sind daher der internationale Handel und die internationalen Gläubiger 
Chinas im hohen Maße interessiert. Export und Kapitalinvestitionen 
werden um so sicherer sein und sich um so besser entwickeln, je 
sicherer die Valuta sein wird, je leichter die Liquidationen in Weltgeld, 
d. i. Edelmetall, sein können. Also freie und vollhaltige Ausprägung 
der Edelmetalle hat die Parole zu sein, im Interesse des Auslands, 
des chinesischen Staats und des chinesischen Volks — und nicht Ex- 
perimente mit Zeichengeld, mit Kreditzetteln, mit massenhaften Scheide- 
münzen ! 

Deshalb ist es auch nicht zu billigen, wenn mit Assistenz und 
Rat der ausländischen Bankwelt die chinesischen Staatsmänner unter 
Assistenz der europäischen Ratgeber!) und der darleihenden Bankwelt 
sich darauf versteifen, die Währungsreform mit der Schaffung einer 
Zentral-Notenbank und ungedeckten (d. h. auf Staatsobligationen 
u. dgl. gegründeten) Zettelemissionen zu verquicken. Schon das jetzt 
umlaufende, anläßlich der politischen Umwälzung ausgegebene Staats- 
papiergel! hat eine schwere Störung des Handels hervorgerufen, da 
es wenig und nur mit starkem Disagio gangbar ist. Noteneinlösung, 
nicht Notenkreation, tut also not. Ueberhaupt muß der Staat in China 
wie anderwärts beherzigen, daß das Geldwesen, so wie es vor dem Staat 
und ohne ihn entstanden ist, so auch weiterhin von seinen fiskalischen 
Bedürfnissen und Gelüsten verschont werden muß, um normal zu 
bleiben und seine Funktionen ordentlich zu erfüllen. Der Staat er- 
schütter(t das Fundament der Volkswirtschaft, der Kultur und damit 
seiner selbst, wenn er das Metall aus den Adern des Verkehrs pumpt 
und seine problematischen Schuldurkunden und Kreditzeichen an die 
Stelle davon setzt, was selbst erst den Kredit ermöglicht und stützt. 


1) Vgl. Dr. G. Vissering, On Chinese Currency, Vol. 2: The Banking Problem, 
Amsterdam (J. H. de Bussy), 1914. — Danach soll das neue chinesische Geld- 
wesen nach Möglichkeit ganz auf Banknoten beruhen, die einen fixen Goldwert 
dadurch verbürgt erhalten sollen; daß die Staatsbank in Amerika und Europa 
Goldreserven hält, auf die sie Tratten für jene abgibt, welche Noten zur Ein- 
lösung präsentieren. Der innere Metallumlauf in China, soweit unvermeidlich, soll 
in unterwertig ausgeprägtem Silber bestehen. Dies alles ist, wie gezeigt, für 
China glücklicherweise, vorderhand wenigstens, nicht zu verwirklichen. Wäre es 
ausführbar, so würde es auf eine gewaltige Ausbeutung des Volkes zugunsten des 
Fiskus und der finanzierenden und beteiligten Banken von Amerika und Europa 
hinauslaufen, und müßte früher oder später mit einer allgemeinen Katastrophe 
endigen. 


86 Miszellen. 


IL 


Die Geburten-, Heirats-, Sterbe- und Geburtenüber- 
schußziffern in den hauptsächlichsten Kulturstaaten 
der Welt 1801—1911. 


Zusammengestellt auf Grund amtlicher Quellen und eigener Berechnungen. 
Von Dr. Reinhold Jaeckel-Charlottenburg. 


Auf 1000 Einwohner kamen durchschnittlich jährlich im Jahrzehnt 


Staaten 1801| 1811 |1821|1831|1841| 1851 | 1861 |1871| 1881 | 1891 | 1901 1911 
—10| —20 I—30) —40|—50| —60 | —70 |—80| —90 |—1900, —10 
Lebendgeborene. 

Deutsches Reich P $ 4 . |36,1|35,3 |37,2 |39,1! 36,8 36,1 | 32,8 28,6 
Preußen z A 40,0| 38,0| 38,0| 37,7 | 38,3 | 39,0) 37,1 36,7 | 33,5 29,4 
Bayern |. « 134,1) 34,2] 33,2 | 36,9 |40,3 36,8 | 36,5 |34,5 | 30,2 
Sachsen f é . |38,2| 39,4 39,6 | 40,5 |42,9| 41,8 39,5 | 32,0 26,0 
Württemberg 3 s . |40,8| 35,8 | 40,8 |43,1, 35,8 34,2 |32,8 28,4 
Baden e | < 137,1) 38,7| 37,9| 33,1 |37,0 |38,5|33,0 | 33,2 |32,7 | 27,9 
Hessen š 2 s « |33,5| 31,0 |34,7 | 36,4| 31,5 32,2 | 30,7 25,7 
Elsaß-Lothringen e z . |31,8| 29,4 | 31,9 |33.9| 30,6 30,1 | 28,5 24,3 
Oesterreich - |. |390| 38,2] 38,4| 37,6 |38,7 139.01 37,9 | 37,1 134,3 | 31,4 
Ungarn . . e . . š A , | 44,0 40,6 | 36,8 35,0 
Schweiz : a e 4 S . 3 30,7| 28,1 28,1 | 26,9 24.1 
Niederlande f 3 S e 133,0) 33,3 | 35,8 | 36,2) 34,2 32,5 | 30,5 27,8 
England und Wales | . e A « 132,6] 34,1 | 35,2 |35,4| 32,5 29,9 | 27,2 |(24,4) 
Schottland . e ` É S . 35,0 |34,9| 32,3 30,6 | 28,4 25,6 
Irland à š e S . . | 26,3!) | 26,5| 23,4 23,0 | 23,3 23,3 
Dänemark 31,1 [30,7 | 31,3] 30,2) 30,5| 32,5 | 30,7 |31,4| 32,0 30,2 | 28,6 26,7 
Schweden 30,9 [33,4 | 34,6] 31,6| 31,1 32,8 |31,4 | 30,5/ 29,1 27,1 | 25,8 | 24,0 
Norwegen 27,5 |29,9 | 33,3) 29,6| 30,7| 32,9 |30,9 | 31,0) 30,9 30,3 | 27,4 25,5 
Finland 36,3 |37,4 | 38,2] 33,4| 35,5| 35,9 |344 |37,0|35,0 | 32,2 |31,2 | 29,1 
Rußland A s ; S A S S è e 49,2 |47,19)| . 
Bulgarien e . . . A z 3 . S 39,4 |41,4 |(40,6) 
Serbien è Š S e Š . 144,6 ?) | 40,5) 45,0 41,7 | 38,9 | 36,6 
Rumänien . e s . å . 33,0 |35,0| 41,4 40,6 | 39,8 43,0 
Griechenland x d s 5 R c> (286 127,0] -s s è è 
Italien ; N e å . à P | 36,9| 37,8 35,0 |32,7 |(31,5) 
Belgien F e « 133,5) 30,3| 29,9 | 31,6 132,1| 30,0 29,0 | 26,1 5 
Frankreich « 131,8 |31,0| 29,0| 27,4| 26,3 | 26,3 | 25,4 23,9 22,2 | 20,6 18,7 
Spanien e S a z . = 137,98 | .» |36,2*)| 34,8 | 34,4 31,8 
Portugal e š R . 7 . E 133,0 30,6 | 31,8 | 39,5 
Zë Connecticut A . |. | . [246 |22,7 |24,7| 23,1 | 24,1 |24,0 |(24,8) 
S o J Massachusetts] . e 5 š . |29,1 | 25,7 Fa 25,5 27,3 | 25,9 25,6 
SG Michigan a å á 3 è $ ; 22,5 22,1 19,5 | 20,5 
ER Vermont 2 d . . S d 19,4 | 20,8) 19,1 20,6 | 21,0 
Chile S 5 S i . = e . 137,3 35,7 | 32,9 a 
Uruguay H S S d e A e , 141,6 36,5 | 38,2 32,8 
Japan e . e . e A e e 127,3 29,8 | 32,2 x 
Neu-Südwales e S N . F .  |41,7 |38,8| 34,5 30,3 | 26,9 
Victoria . ; äi: Es . 38,4%) 41,3 |33,5| 31,7 28,5 | 24,9 


Miszellen. 


87 


Auf 1000 Einwohner kamen durchschnittlich jährlich im Jahrzehnt 


Staaten 1801|1811|1821|1831|1841| 1851 | 1861 |1871| 1881 | 1891 | 1901 ili 
—10|—20|—30| —40|—50| —60 | —70 |—80| —90 |—1900| —10 
I 
Queensland e . . : s . [43,0 38,4! 37,0 |31,4 |26,8 ? 
Süd-Australien e S S A 42,3 |37,8;36,5 |29,0 |25,2 A 
West-Australien a A $ S S 35,4 32,1 36,5 | 29,4 | 29,3 F 
Tasmanien . 7 ` N: 31,7 |30,5| 35,0 |31,0 | 29,4 . 
Neu-Seeland y . N 40,7 |40,5| 33,8 |26,7 |26,8 | 26,0 
Australien (Kon- | 
föderation) e, e 40,8 |36,1)35,2 |29,9 |26,5 |27,2 
Gestorbene (ohne Totgeborene). 
Deutsches Reich Š i . |26,8!26,4 |26,9 |27,2|25,1 |22,2 |18,7 17,3 
Preußen t 26,7| 28,8| 27,6| 27,6 |27,0 |26,6| 24,7 |21,9 |18,4 17,2 
Bayern e , | 28,3| 27,8| 27,8 |29,8 |30,9| 28,3 |25,4 |21,6 19,6 
Sachsen y S . 128,2) 28,5| 27,1 |281 |29,1)28,0 |24,0 | 18,2 16,5 
Württemberg $ 3 e - [31,1| 29,5 |31,3 |30,8|25,6 |23,4 |19,5 17,8 
Baden A S . . 127,81 26,1 |27,3 |281|23,6 |22,1 |ıg,2 16,9 
Hessen e e . . 122,8] 22,6 |24,5 |245| 22,0 |19,9 |16,6 14,4 
Elsaß-Lothringen d $ 3 . |24,0| 24,1 |25,3 |26,5| 24,1 |21,5 |18,6 17,4 
Oesterreich z . |28,6| 32,5| 33,2| 31,4 |30,7 |31,5|29,5 |26,6 |23,3 |21,9 
Ungarn e e a å ` s s e 132,5 29,9 | 25,7 25,1 
Schweiz G b . S S ` z 23,4| 20,8 19,0 16,7 15,6 
Niederlande S . . | 26,2] 25,6 |25,4 [24,3| 21,0 |18, |15, 14,5 
England und Wales] . . . . | 22,4| 22,2 |22,5 |21,4| 19,1 18,2 | 15,4 14,6 
Schottland e g e e . s 22,1 |21,6| 19,2 |18,7 į 16,6 15,1 
Irland z 2 x ` e P 16,6 18,4| 18,0 18,2 17,4 16,6 
Dänemark 23,7 | 21,4, 21,9) 23,1| 20,4| 20,6 19,9 19,4| 18,8 17,5 14,2 13,4 
Schweden 27,9 | 25,8| 23,6| 22,8 20,6] 21,7 |20,2 |18,3| 16,9 |16,4 | 14,9 13,8 
Norwegen 25,2 | 21,2) 18,9 20,2] 18,1| 17,1 |180 [17,0 17,0 |16,3 |14,2 |(13,0) 
Finland 31,9 | 26,4| 24,9) 28,2| 23,5| 28,7 |32,2 |22,2 21,1 |19,7 18,0 16,5 
Rußland è è . ; $ A e e . 34,1 B . 
Bulgarien $ è . . e S e 8 r 26,0 |23,2 |(21,8) 
Serbien e r . e $ 3 30,7 ?)| 34,3| 25,23 |27,0 |23,3 | 22,0 
Rumänien . e A e e e 26,1 |31,3| 27,5 |29,2 |25,8 |(25,7) 
Griechenland . s H è d p 21,1) | 19,6 . S FS i 
Italien . P . . e e . 29,9| 27,3 |24,2 |21,6 |(21,4) 
Belgien e e , |25,9| 24,9] 22,8 1208 |22,5| 204 |19,1 |16,4 ; 
Frankreich . | 26,1) 25,2| 24,8| 23,3| 23,9 | 23,6 |23,7| 22,1 |21,5 | 19,4 19,6 
Spanien S . . . > 30,8 DEA 29,5 |25,2 23,7 
Portugal e N d . á e . |22,8 |2ı1,3 |20,2 | 22,5 
33 Í Connecticut Il, 1.1.) It [169 [164175 fb 160 IS 
25) Massachusetts | . e e . | . [18,2 |194 |19,8|19,6 189 |16,6 | 15,4 
T E) Michigan Ze Er FEN NE ; Sal 9,4 110,3 |13,7 É 
SZ Vermont e . e 14,1 | 14,7] 15,7 | 16,3 | 16,2 
Chile 6 e ` S s e > , |31,5 |30,7 |31,0 . 
Uruguay e e . . e e . . 117,8 |154 | 141 14,5 
Japan e e b à r è à . |19,9 |20,9 "207 $ 
Neu-Südwales e Š F è e A 16,5 |15,5| 14,7 |12,3 |10,8 S 
Victoria 5 e ` ` , |19,8%)| 16,9 |15,2|15,4 13,9 |12,2 d 
Queensland e à 4 è d . 19,1 |17,3| 16,7 |12,2 |10,6 A 
Südaustralien s . A r ` ` 15,3 15,4| 13,6 12,0 10,5 A 
Westaustralien . s $ . e . 15,5 |15,1| 16,8 |15,6 |II,4 K 


88 Miszellen, 


Auf 1000 Einwohner kommen durchschnittlich jährlich im Jahrzehnt 


Staaten 
1911 

Tasmanien e . . . e ! 14,6 |15,9| 15,6 |13,0 |11,0 e 
Neu-Seeland 2 e f à š è 12,9 |12,2| 10,4 9,8 9,8 9,4 
Australien (Kon- | 

föderation) . A ` . g $ 16,5 |15,7|15,2 |13,0 [11,2 10,7 

Heiratende 

Deutsches Reich e e S a |16,2|l ı5,6 |17,0 |17,2] 15,6 16,4 |16,0 | 15,6 
Preußen š , | 17,7) 18,1) 17,7) 17,1 [17,0 |174| 16,1 16,5 | 16,0 15,9 
Bayern e è , |13,2| 13,2| 12,8 |17,4 |16,8| 13,8 15,4 |15,0 | 14,6 
Sachsen Së > , |16,5|17,2| 17,0 |17,8 |18,8| 18,2 18,2 |16,6 | 17,0 
Württemberg . š z . |14,6| 11,8 |16,8 |17,1| 13,0 14,8 |15,6 | 14,6 
Baden . , | 13,5] 15,9| 14,4| 12,0 |16,5 |16,1| 13,5 15,5 [15,6 | 14,2 
Hessen . . [14,01 12,5 |16,8 |16,2| 14,5 16,8 | 16,4 14,8 
Elsaß-Lothringen . . á . |14,2| 14,0 |14,9 |14,8| 13,2 14,4 [14,6 | 14,0 
Oesterreich e , [16,0] 16,7) 17,01 15,6 |17,4 [16,91 15,6 | 16,0 |15,5 |152 
Ungarn e . . e e e . 129,1 17,6. 117,7 18,4 
Schweiz . e š s . 113,4 |14,6 |15,4| 14,0 15,0 |15,0 | 14,6& 
Niederlande : è e . |14,9| 15,8 |16,4 |16,2| 14,1 14,7 |14,8 | 14,4 
England und Wale] . e 5 , |16,1| 16,9 |16,6 |16,2| 14,9 | 15,6 |ı15,4 (15,2) 
Schottland Er S R v è G 13,9 [14,4] 13,4 | 14,4 Jı3,8 | 134 
Irland . e E e a ` 10,6 !)| 9,4| 8,6 9,6 |10,3 | 10,8 
Dänemark 16,2 | 17,2] 16,8| 15,6] 15,7) 17,7 |15,0 |15,7| 14,7 14,4 [14,6 | 14,4 
Schweden 16,5 | 17,5| 16,6| 14,3) 14,6] 15,2 jı13,1 |13,6| 12,5 11,9 | 12,0 11,8 
Norwegen 14,6 | 17,0| 16,6) 13,9] 15,8| 15,4 | 13,8 |14,5| 13,1 13,4 |ı2,2 |(12,4) 
Finland 15,6 | 17,0| 17,0) 14,6| 16,4 15,6 |15,4 | 16,6| 14,6 14,0 [13,0 | 12,0 
Rußland $ k ; x A 5 e s S 18,0 S ` 
Bulgarien A 8 S R è 7 . $ 16,6 |19,3 |(19,2) 
Serbien g è A S s r 23,6 °) | 22,7| 22,1 20,0 |19,8 |(20,8) 
Rumänien e 15,3| 16,5 15,5 |ı7,8 |(21,0) 
Griechenland ISEMI . É e ë 
Italien : e S d 15,8] 15,9 | 14,5 |15,3 |(15,0} 
Belgien š e « | 14,5| 13,6| 14,6 [14,6 |14,6| 14,0 16,0 | 16,0 g 
Frankreich , |15,9| 15,7| 16,0| 15,0 15,9 Je |160| 14,7 | 15,0 |15,5 ei 
Spanien ß e d ó e S 15,6 . | 12,9 15,7 |15,1 (14,4) 
Portugal . . . . 113,9*)| 13,8 |13,2 | 14,2 
38 ( Connecticut g 17,6 |ı7,a |15,9| 16,2 | 15,9 ‚17,0 | 190 
35) Massachuset 3 21,8 |19,9 |17,6| 18,6 | 18,0 |18,2 S 
2 Ej) Michigan e e 17,4| 17,9 | 17,3 1208 

ER Vermont S 15,4 |16,4| 16,5 17,2 | 17,6 
Chile e . i e e . R a 109,1 9,1 |11,6 Š 
Uruguay . e x S è ` d , | 11,9 9,5 | 10,9 12,2 
Japan $ S e S s S e Š > 17,5 |16,7 
Neu-Südwales e s R G d i 17,1 |15,5| 15,9 13,6 |15,4 
Victoria e $ S ; . 120,6®)| 14,6 | 12,5) 15,5 13,1 | 14,4 
Queensland è 3 S 3 . k 21,2 |15,8| 16,7 12,7: | 13,7 S 
Südaustralien e è e . . 16,4 | 16,5) 15,1 12,6 | 15,1 
Westaustralien $ e À g š S 15,9 |13,5| 14,6 18,4 | 16,8 
Tasmanien J S S S A F 13,6 |13,8| 15,2 12,6 |15,5 S 
Neu-Seeland 3 S e R 7 R 19,1 |15,5| 12,8 13,2 |16,7 |176, 
Austrialien (Kon- 

föderaton) $ ! à e i g 15,8 | 14,4] 15,8 13,4 |15,0 |17, 


Miszellen. 


89 


Auf 1000 Einwohner kommen durchschnittlich jährlich im Jahrzehnt 


gue 1801|1811|1821|1831|1841| 1851 | 1861 |1871| 1881 | 1891 |1901] eut 
—10/—201—30,—40 —50| —60 | —70 —80| —90 |—1900: —10 
Mehr Geborene als Gestorbene (Geburtenüberschuß) 
Deutsches Reich . š . oa 8,9 10,3 11,9 | 11,7 13,9 | 14,3 , 11,8 
Preußen 13,3) 9,2] 10,4| 10,1 11,3 [12,4 | 12,7 14,8 | 15,1 | 12,2 
Bayern . 5,8) 6,4| 5,5 7,1 9,5 | 8,5 11,1 |12,9 | 10,6 
Sachsen 10,0| 10,9| 12,5 |12,4 113,8 | 13,8 15,5 |13,8 | 9,5 
Württemberg > R 9,7) 6,8 9,5 12,3 | 10,2 10,8 | 13,2 | 10,6 
Baden S S 10,1| 6,8 9,7 |10,4 | 10,4 11,1 |13,5 | 11,0 
Hessen ` s 10,7| 8,5 |10,2 |11,9| 9,5 12,3 |14,2 |11,3 
Elsaß-Lothringen . e ` 7,8| 5,3 6,6 7,4 | 6,5 8,6 9,8 | 6,9 
Oesterreich , |10,4| 5,7| Bäi 6,2 8,0 7,5 | 8,4 10,5 |11,0 | 9,5 
Ungarn s e e e 3 » a | 11,6 10,7 |ı11 9,9 
Schweiz P e 5 5,3 7,2 7,3| 7,3 9,1 |10,2 | 8,4 
Niederlande 2 e š 6,8| 7,7 |10,4 |11,9 | 13,2 14,1 |15,0 (DA 
England und Wales] . R : , | 10,2 11,9 |12,7 114,0 | 13,4 11,7 | 11,8 | (9,8) 
Schottland à . e e F e 12,9 [13,3 | 13,1 11,9 | 11,8 | 10,5 
Irland . à e 2 A š 9,7 !)| 8,1 | SA 4,8 5,9 | Di 
Dänemark 7,4 | 9,3| 9,4| 7,1j10,1) 11,9 |10,8 |12,0 | 13,4 12,7 | 12,0 | 13,2 
Schweden 3,0 | 7,6 | 11,0) 8,7|11,5| 11,1 |11,2 |12,2| 12,3 10,7 | 10,6 | 10,2 
Norwegen 2,3 | 8,7 | 14,4| 9,4| 12,6, 15,8 | 12,9 |14,0 | 13,9 14,0 | 12,9 (12,6) 
Finland 4,4 |11,0 | 13,3] 5,2] 12,0) 7,2 2,2 |14,8 | 13,9 12,5 | 13,2 | 12,6 
Rußland . . e e è e e . . 15,1 A . 
Bulgarien P S S è A S e è 13,4 |18,5 |(18,8) 
Serbien è A 13,9 6,2 | 19,8 14,7 |15,6 | 14,6 
Rumänien $ S bn | 3,7|13,9 | 11,4 14,0 (17,3) 
Griechenland e > $ ras Gai A . > S . 
Italien e $ A è . 7,0 | 10,5 10,8 | 11,1 |(10,1) 
Belgien «|. | 78 61| 7,6 | 83 |98| 96 | 101 | 97| - 
Frankreich 57| 58 42) 41] 24 | 2,7 | 1,7) 18 0,7 | 1,2 |(—0,9) 
Spanien x e $ Š e 7,1 a 1.45 5,3 | 9,2 | (8,1) 
Portugal e e . k , |10,4*%)| 9,3 |11,6 | 17,0 
28 ( Connecticut ; as | 656 |883| se | 67 | Bal 95 
3°) Massachuse f 10,9 63 |61| 59 8,4 | 9,3 | 10,2 
ZE) Michigan : i . 13,7 12,7 92 | 68). 
£, | Vermont R z 5,3 |61| 34 Ah | 4,8 
Chile eil % e R s e 1 Sa 50 | 19]. 
Uruguay e e s S e a. 2331 20,9 | 24,1 | 18,3 
Japan s S ` . S s . | 8,3 9,8 |115|. 
Neu-Südwales S e ‘ . N S 25,2 3,3 | 19,8 18,0 | 16,3 
Victoria d S e ; , |19,1%)|244 |18,3|16,3 | 14,6 |12,7 
Queensland é S e e e 24,5 |21,1/20,3 | 19,2 | 16,2 
Südaustralien . e . S 27,0 |22,4 | 22,9 17,0 | 14,7 
Westaustralien è s e d 5 20,7 |17,0 | 18,7 13,9 | 17,9 
Tasmanien à x N š 17,1 |14,6|19,4 | 18,0 "Bal: 
Neuseeland . . . e 27,8 [28,8 |23,4 | 16,9 län 16,6 
Australien (Kon- 
föderation) . . 24,3 |20,4|20,0 | 16,9 | 15,3 | 16,6 
1) 1864—70. 2) 1862—70. 3) 1864—70. 4) 1886—90. 5) 1902—06, spätere 


Zahlen liegen für Rußland nicht vor. 


vorläufige Ziffern. 


6) 1854—60. Eingeklammerte Zahlen bedeuten 


90 Miszellen. 


Literatur und benutzte Quellen (Auswahl). 


Statistique du mouvement de la population internationale d’après les registres 
d'Stat civil. Résumé rötrospectif depuis l’origine des statistiques de l'état civil jusqu’ 
en 1905. Paris 1907. g 

Dasselbe, Second volume, Années 1901 A 1910. Paris 1913. 

Die Bewegung der Bevölkerung des Deutschen Reiches 1910 und 1911. Statistik 
des Deutschen Reiches, Bd. 246 u. 256, insbesondere die vorhergehenden Bände, sowie 
N. F. Bd. 44. 

Mortality Statistics 1911. Bulletin 112 Department of Commerce, Bureau of the 
Census. Washington 1913. 

New South-Wales. John B. Trivett, Vital statistics for 1910 and previous years. 
Sydney 1911. 

Jacquart, Mouvement de l’&tat civil et de la population en Belgique pendant les 
années 1876 à 1900. Bruxelles 1906, p. 23. 

Schweiz. Ehe, Geburt und Tod in der schweizerischen Bevölkerung 1871—90 und 
besonders 1891—1900. Erster Teil. Bern 1908, S. 9—10). 


(NB. Es haben hier vorzugsweise nur diejenigen Werke Raum gefunden, die mir 
zur Korrektur und Vervollständigung dienten.) 


Literatur. 91 


Literatur. 


I 


Franz Klein, Justizminister a. D., Die wirtschaft- 
lichen und sozialen Grundlagen des Rechtes 
der Erwerbsgesellschaften. 


(Vorträge und Schriften zur Fortbildung des Rechts und der Juristen, 
Heft 7.) Berlin (Franz Vahlen) 1914. 89 SS. 


Besprochen von Paul Rehme, Halle a. S. 


Das Büchlein, gering an Umfang, doch ungemein reich an Inhalt, 
bietet Vorträge, die Franz Klein, der ehemalige österreichische 
Justizminister, der geniale Schöpfer der neuen Zivilprozeßordnung seines 
Heimatlandes, im November 1913 in den wirtschaftlichen Fortbildungs- 
kursen für Juristen (veranstaltet von den Aeltesten der Kaufmann- 
schaft von Berlin in Verbindung mit dem Deutschen Anwaltsverein, 
der Anwaltskammer zu Berlin, dem Berliner Anwaltsverein und dem 
Verein „Recht und Wirtschaft‘) gehalten hat. Daß die Betrachtungen 
nunmehr weiteren Kreisen zugänglich gemacht worden sind, ist höchst 
erfreulich. Denn sie sind von so hohem Werte, daß sie von jedem Ju- 
risten, jedem Nationalökonomen und jedem Politiker studiert werden 
sollten, und zwar nicht nur reichsdeutschen, obgleich lediglich das reichs- 
deutsche Recht behandelt wird. 

Allgemeine Gedanken will der Verfasser mitteilen, nicht ins Detail 
gehen — in der Erwägung, daß auf den obersten Stufen des Unter- 
richtes, wenigstens in Geistesdingen, hauptsächlich jene dauernden Ge- 
winn bringen (S. 5). Aber die Ausführungen halten sich doch weit 
von Oberflächlichkeit fern. Nicht daß die Grundauffassung, auf der 
sie ruhen, eine Entdeckung Kleins ist! Das Recht „kann ohne jede 
Fühlung mit dem Leben sein, dem Empfinden, den Sitten und der Denk- 
weise des Volkes zuwider, volksfremdes, oktroyiertes Recht. Das klassi- 
sche Beispiel dafür ist stets das den deutschen Ländern aufgenötigte 
römische Recht“ (S. 69). Daß ein solcher Zustand ungesund ist, hat 
man längst allgemein erkannt; man ist darin einig, daß das Leben dem 
Rechte die Richtung weisen muß, daß das Recht aufgebaut sein muß 
auf dem gesamten sozialen Leben, und in diesem nimmt die Wirtschaft 
einen besonders breiten Raum ein. Dem entspricht denn auch das 
moderne Recht immerhin zum größten Teil (dazu a. O.), oder es ist 
wenigstens bestrebt, dem zu entsprechen. Daraus ergibt sich, von 
welcher Wichtigkeit es ist, sich stets die Zusammenhänge zwischen 
der Rechtsordnung und deren außerrechtlichen Grundlagen vor Augen 
zu halten, nicht nur was die Fortbildung des Rechtes, sondern auch was 
die Erkenntnis und die Anwendung der zurzeit geltenden Rechtsnormen 


92 Literatur. 


anlangt. Diese Zusammenhänge liegen nicht immer klar zutage; sie 
müssen vielfach erst aufgedeckt werden. Allgemeine Betrachtungen 
darüber, namentlich über die gegenseitigen Beziehungen von Recht 
und Wirtschaft, sind bereits angestellt worden. Was uns aber fehlt, 
das ist die exakte Untersuchung einzelner Rechtsinstitute oder doch 
einzelner Gruppen verwandter Rechtsinstitute unter jenem Gesichts- 
punkte. Für das Recht der Erwerbsgesellschaften — in Anbetracht 
der hohen Bedeutung desselben eine Materie von hervorragender Wich- 
tigkeit — hat nun Klein die Lücke ausgefüllt, und zwar in durchaus 
mustergültiger Weise. Möchte er recht viele Nachfolger finden in Schrift 
und Wort! Um wie viel anregender wäre namentlich der Rechtsunter- 
richt, wenn nicht nur die Rechtssätze an sich, sondern überall auch 
deren außerrechtliche Grundlagen vorgeführt würden! Daß so viele 
Rechtsstudierende durch die Vorlesungen nicht dauernd gefesselt werden, 
ist sicher zumteil dadurch zu erklären, daß ihnen dort die Rechtsord- 
nung losgelöst vom Leben entgegentritt. Ein jeder Rechtslehrer kann, 
sofern er will, die Wahrnehmung machen, mit welchem Interesse die 
Hörer dem Vortrage folgen, wenn er ihnen „statt kahler Sätze das 
agierende Recht in seiner realen Erscheinung“ (S. 70) veranschaulicht. 

In dem ersten Abschnitte der Schrift geht der Verfasser 
auf die Geschichte des Gesellschaftsrechtes ein, um zu zeigen, daß die 
Entwickelung des Rechtes nicht ausschließlich ein juristischer Vorgang 
ist, daß dabei vielmehr stets auch einzelne, mehrere oder alle sonstigen 
jeweils lebendigen Gesellschaftskräfte im Spiele sind. Zugrundegelegt 
ist im wesentlichen Schmollers Untersuchung über die Geschichte der 
Unternehmung, nicht die neuere Literatur. Widerspruch muß erwecken 
der Satz: „Die älteste unter den heutigen Erwerbsgesellschaften ist 
die Gesellschaft des bürgerlichen Rechtes, denn ihr Ahne ist die 
römische Societas, welche später die Rezeption als einen Fremdkörper 
in die deutsche Genossenschaftswelt hineingetragen hat“ (S. 9). In 
Wahrheit ist die älteste Erwerbsgesellschaft die Urform der Kommandit- 
gesellschaft, gemeinhin als Kommenda bezeichnet, ein universales Rechts- 
institut!), und der Ahne der Gesellschaft des BGB. ist die alte deutsch- 
rechtliche Gemeinschaft zur gesamten Hand, die freilich aus dem ge- 
meinen Rechte durch die römischrechtliche Societas verdrängt wor- 
den war. 

In dem zweiten Abschnitte werden „die privatwirtschaftlichen 
Grundlagen“ aufgewiesen. Grundlage des Rechtes sei nicht unmittelbar- 
das Kapital, die Assoziationsfreiheit, ein wirtschaftlicher Zustand oder 
eine gesellschaftliche Lage, sondern die dadurch erzeugten Gedanken, 
Bedürfnisse, Wünsche, aus denen sich unter Hinzutritt irgendwelcher 
normativer, ethischer, rechtlicher usw. Gesichtspunkte das geistige 
System des fraglichen Rechtsinstitutes entwickele. Die sämtlichen Er- 
werbsgesellschaften können als eine Gruppe behandelt werden, da sich 


1) Dazu neuestens Rehme, Geschichte des Handelsrechts, in dem Handbuch 
des gesamten Handelsrechts, herausgeg. von V. Ehrenberg, Bd. 1 SE S. 102 und 
die ebenda Anm. 38 angeführten Stellen des Werkes, ferner S. 162 ff 


Literatur. 93 


im Rechte der einzelnen Gesellschaftsarten zumteil dieselben Bedürf- 
nisse und Gedankengänge des Lebens wiederspiegeln, und zwar seien 
es, da sie sämtlich Erwerbsunternehmungen seien, die wirtschaftlichen 
Grundbedürfnisse des Erwerbsunternehmens, auf die vor allem in der 
Rechtsordnung Bedacht genommen werden müsse. Auf der anderen 
Seite seien freilich für die einzelnen Gesellschaftsarten spezielle, nur 
auf sie anwendbare ökonomische oder sonstige soziale Urteile be- 
stimmend. Den Grundstock jeder Erwerbsgesellschaft bilde wirtschaft- 
liches Handeln, Arbeit, eine produktive, distributive oder vermittelnde 
ökonomische Tätigkeit, sie sei im engeren oder weiteren Sinne Arbeits- 
gemeinschaft. Das Gesellschaftsrecht sei nicht eine vollständige Organi- 
sation des gesamten Unternehmens, ordne vielmehr nur drei Materien 
daraus, die alle wirtschaftlicher Natur seien: es sorge dafür, daß dem 
gesellschaftlichen Unternehmen Kapital gewidmet werden könne, daß 
das Unternehmen auf die Beine gebracht werde, und daß es am wirt- 
schaftlichen Außenverkehre teilzunehmen imstande sei. Nachdem auf 
diese drei Punkte näher eingegangen worden ist, werden in dem 
dritten Abschnitte „Wendungen ins Soziale“ betrachtet: 

Durch die Erwerbsgesellschaften könne der Staatskredit gefährdet 
werden. Darum müsse die Gesetzgebung das kreditpolitische Interesse 
des Staates wahren. Daneben habe sie das steuerpolitische Interesse 
desselben zu berücksichtigen. Ferner kommen allgemeine volkswirt- 
schaftspolitische Erwägungen in Betracht, die namentlich in man- 
chen neuen aktienrechtlichen Vorschriften Ausdruck gefunden haben. 
Allein das Gesellschaftsrecht gründe sich nicht lediglich auf wirtschaft- 
liche Raisonnements; im Hinblick auf die Tatsache, daß die Ausbreitung 
der Erwerbsgesellschaften, besonders der Aktiengesellschaften, viele, 
die sonst ihre Ersparnisse in die Sparkasse getragen oder in Staats- 
Papieren angelegt hätten, in das Kielwasser der Erwerbsgesellschaften 
ziehe, empfangen die wirtschaftlichen Kardinalgesichtspunkte des Ge- 
sellschaftsrechtes einen sozialpolitischen Beisatz; die Rechtsordnung 
habe demgemäß zu verhindern, daß spekulative Waghalsigkeit, Un- 
ehrlichkeit oder ungezügelte Erwerbsgier soziale Schäden anrichten. 
Uebrigens seien auch ethische Gesichtspunkte in dem Gesellschafts- 
rechte maßgebend, indem es z. B. den Vertrauensmißbrauch äußerst er- 
schwere. In der Tat darf man, wie wir mit allem Nachdrucke betonen 
möchten, bei aller Schätzung des Wirtschaftlichen den ethischen Ein- 
schlag der Rechtsordnung nicht zu gering werten, was nicht so selten 
geschieht. 

War bisher von Ideen und Absichten des Gesetzes die Rede, so 
werden im vierten Abschnitte die soziologischen Grundlagen“ 
des Assoziationswesens und des Gesellschaftsrechtes erörtert: eine große 
Zahl äußerer und psychischer Momente, ein bestimmtes Milieu, das 
erforderlich sei, damit das Gesellschaftsrecht sich von dem Papiere 
der Gesetzesurkunde ablöse und wirklich normativ werden könne. Darum 
vermöge man aus der Stufe, welche die Erwerbsgesellschaften eines 
Landes einnehmen, meist zutreffende Schlüsse auf dessen wirtschaft- 
liche und gesellschaftliche Kultur zu ziehen, und so gebe über den „so- 


94 Literatur. 


ziologischen Status“ die Statistik Aufklärung, die von dem Verfasser 
genauer betrachtet wird und, wie dieser meint, dem Deutschen Reiche 
das beste Zeugnis ausstellt. 

Der fünfte Abschnitt behandelt den „Wechsel in den Grund- 
lagen“. Die leitenden wirtschaftlichen und sozialen Gedanken, von 
denen bisher gesprochen worden ist, müssen in Rechtssätze ausge- 
münzt werden, die nach den verschiedenen Gesellschaftsformen zu indi- 
vidualisieren seien. Wie dies zu geschehen habe, darüber gehen die 
Meinungen oft weit auseinander: man befinde sich hier im Gebiete der 
politischen und der Wirtschaftsparteien und der wissenschaftlichen 
Theorien, und was Recht werde, hänge von den Ansichten derjenigen 
ab, die zurzeit die meiste Macht über die Rechtsbildung haben. So 
seien in dem heutigen Rechte der einzelnen Erwerbsgesellschaften sehr 
verschiedene wirtschaftliche Richtungen erkennbar, z. B. habe sich in 
dem Rechte der Gesellschaft des BGB., der Offenen Handelsgesellschaft, 
der Kommanditgesellschaft und der Reederei der wirtschaftliche Libera- 
lismus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erhalten, während 
man in dem Rechte der Aktiengesellschaft, der Gesellschaften mit be- 
schränkter Haftung und der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften 
zumteil die heute im Vordringen begriffene wirtschaftspolitische Rich- 
tung sehe, die von wirtschaftlicher Freiheit nicht mehr viel halte. In 
den Normen des Gesellschaftsrechtes streben Aenderungen der Wirt- 
schaftsordnung nach Anerkennung; die gegebene Wirtschaftsordnung 
werde nach und nach mit Hilfe des Rechtes in einen anderen Typus 
umkorrigiert, und das Privatrecht wirke auf diese Weise an den 
allmählichen volkswirtschaftlichen Umwälzungen mit. Das nämliche 
gelte von den sozialen Ideen und Gesichtspunkten. 

In dem sechsten Abschnitte wird „die Rechtsform der Kar- 
telle“ in sehr interessanter Weise betrachtet, und der letzte, siebente, 
enthält „Konklusionen“ (Außerrechtliches im Rechte, Rechtslehre, An- 
wendung und Auslegung des Rechtes, künftige Entwickelung des Ge- 
sellschaftsrechtes, neue Wege). Was die Feststellung des Außerrecht- 
lichem im Rechte für Rechtslehre und Rechtsanwendung bedeutet, haben 
wir bereits betont. Auf die gedankenreichen Ausführungen über die 
künftige Entwickelung des Gesellschaftsrechtes und die dabei etwa ein- 
zuschlagenden neuen Wege einzugehen, müssen wir uns hier leider 
versagen: sie enthalten eine solche Fülle von Anregungen, daß sie nur 
gewürdigt werden können, wenn man sie im Zusammenhange vor sich 
hat. Die in ihnen zutage tretende Auffassung ist vielfach höchst sub- 
jektiv, und gewiß läßt sich über manches streiten. Oft sind es auch nur 
Fragen, die der Verfasser aufwirft, ohne selbst die Antwort zu geben. 
Der künftige Gesetzgeber wird aber keine jener Ideen unbeachtet lassen 
dürfen, Ideen eines Mannes, der nach reicher Erfahrung uns lehrt: 
„bei der Behandlung von Rechtsfragen über die Para- 
graphen hinaus ins volle Menschenleben zu blicken“ (S.89). 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 95 


Uebersicht über die neuesten Publikationen 
Deutschlands und des Auslandes. 


1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 

Festgabe zum 60. Geburtstage des Herrn Geheimen 
Justizrats Professor Dr. Rießer. Berlin 1913. ` 

Zur Feier des 60. Geburtstages des nach verschiedenen Richtungen 
hin hoch verdienten Geheimrat Dr. Rießer, haben sich 17 hervorragende 
Männer zusammengetan und in interessanten Artikeln eine wertvolle 
Festgabo in dem vorliegenden Werk gestiftet. Für uns sind besonders 
die folgenden von Bedeutung: Prof. Dr. Helfferich: Die Verteilung des 
Volkseinkommens in Preußen von 1896—1912. Der Artikel bildet 
eine Ergänzung zu dem an anderer Stelle bereits besprochenen über die 
Steigerung des Volksvermögens in derselben Zeit. Der Verfasser weist 
hier nach, daß diese Steigerung in überwiegendem Maße den unteren 
Klassen zugute gekommen ist und eine irgend wesentliche Erweiterung 
der Plutokratie nicht stattgefunden hat. Geheimrat Lexis behandelt 
unter der Ueberschrift „Geld und Preise" besonders die Frage, ob und 
wie weit die Veränderungen in dem Gold- und Geldverrate einen Einfluß 
auf das Preisniveau in der neueren Zeit gehabt haben und kommt zu 
dem Ergebnis, daß dieser Einfluß im allgemeinen überschätzt wird, 
vielmehr weit mehr auf die Veränderung der Produktionsverhältnisse 
zurückzuführen ist. Besonders wendet er sich gegen die bekannten 
Vorschläge Irving Fischers, der durch die Veränderung des Gold- 
gehaltes des Dollars eine größere Gleichmäßigkeit der Preise erzielen 
vill. Professor Lotz behandelt eingehend das Wesen des Kredites. 
Professor Georg Cohn untersucht das Wort „Scheck“. Die übrigen 
Artikel sind rein juristische Untersuchungen. Das ganze Werk kann auf 
allgemeines Interesse Anspruch machen und ist eine würdige Gabe 
für den bedeutenden Mann, dem sie gewidmet ist. 


Christian Corn6lissen, Thöorie de la valeur avec une ré- 
futation des théories de Rodbertus, Karl Marx, Stanley Jevons et Böhm- 
Bawerk. 2. Aufl. Paris 1913. 476 SS. 

Der Verfasser unterscheidet als Grundlagen der Preistheorie zwei 
Arten des Wertes, den Gebrauchswert und den Produktionswert, denen 
è eine ausführliche, mit vielen kritischen Erörterungen verbundene 

ntersuchung widmet. Der Abschnitt über den Gebrauchswert ist 
Wenig befriedigend. Cornelissen gehört zu jenen Theoretikern, die sich 
durch die Mannigfaltigkeit der wirtschaftlichen Erscheinungen allzu 
shr beirren lassen, so daß sie die Fähigkeit, das Typische vom Zu- 

. zu unterscheiden, verlieren. Dies äußert seine Wirkungen in 
der Kritik ebenso wie in der positiven Darstellung. Er ist ein Gegner 


96 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


aller weitergehenden Abstraktionen bei der Formulierung der Voraus- 
setzungen der theoretischen Untersuchung und kann sich daher auch 
mit den auf Grund dieser Abstraktionen gewonnenen allgemeinen Sätzen 
nicht einverstanden erklären: Nur mit Hilfe einer Reihe höchst will- 
kürlicher, mit der Wirklichkeit in Widerspruch stehender Voraus- 
setzungen (homo oeconomicus, freie Konkurrenz, Tausch mit Vorteil, 
gleiche Qualität der angebotenen Ware usw.) sei es den Grenznutzen- 
theoretikern möglich gewesen, zu ihrem Wertgesetz zu gelangen. In 
Wahrheit schließe die Unbeständigkeit des Wertes und die Mannig- 
faltigkeit der auf ihn einwirkenden Faktoren die Aufstellung be- 
stimmter Gesetze und mathematischer Formeln aus (S. 50). So trifft 
die an der Grenznutzentheorie geübte Kritik zumeist am Ziel vorbei 
und läuft nur zu oft auf einen Wortstreit hinaus. Letzteres gilt meines 
Erachtens auch von dem Haupteinwand, den Cornelissen anknüpfend 
an das bekannte Beispiel Böhm-Bawerks von dem Kolonisten und den 
fünf Säcken Korn gegen die Grenznutzentheorie erhebt, und der dahin 
geht, daß mehrere gleiche Stücke eines Vorrates nicht einen gleichen, 
sondern jedes von ihnen einen verschiedenen Wert für den Besitzer 
haben (S. 66). Denn daß bei der Bestimmung des Gesamtwertes der 
5 Kornsäcke der Wert jedes einzelnen Sackes mit einer verschiedenen 
Größe anzusetzen ist, wird ja auch von Böhm-Bawerk nicht nur an- 
erkannt, sondern auch ausführlich begründet. Im übrigen soll nicht 
unerwähnt bleiben, daß sich auch sehr treffende Bemerkungen in den 
kritischen Erörterungen finden. Namentlich die nachdrückliche Her- 
vorhebung, daß die bei den Grenznutzentheoretikern eine so große 
Rolle spielende Schätzung nach dem Substitutionsnutzen in Wahrheit 
keine Schätzung nach Nutzen, sondern eine Schätzung nach dem Preise 
ist, daß sie also den Preis als gegeben voraussetzt (S. 81—82), kann den 
Vertretern jener Theorie nicht eindringlich genug zur Beachtung emp- 
fohlen werden. 

Bei der erwähnten Abneigung gegen Abstraktionen ist es erklär- 
lich, daß Cornelissens eigene Darstellung des Gebrauchwertes über 
ganz allgemein gehaltene Sätze nicht hinauskommt: der Wert be- 
stimmt sich nach dem Vorteil, den das Gut dem Schätzenden gewährt, 
und ist für jedes Stück eines im Besitz ein und derselben Person be- 
findlichen Vorrates verschieden; er variiert mit der Quantität, mit der 
Qualität und mit den Eigenschaften der Güter (S. 71), — das ist 
so ziemlich alles, was der Verfasser über den Gebrauchswert im all- 
gemeinen zu sagen weiß. Seine Darstellung zersplittert sich in die 
Erörterung einer Unzahl von Spezialfällen, ohne daß auch nur der 
Versuch unternommen würde, die beobachteten Werterscheinungen unter 
ein einheitliches Prinzip zu bringen. 

Unter dem Produktionswert (valeur de produktion), dessen ur- 
sprüngliche Form der Arbeitswert ist, versteht Cornelissen jenen Wert, 
der aus dem Umstand, daß die Hervorbringung der Güter Arbeit oder 
überhaupt Kosten erfordert, hervorgeht. Entspringt der Gebrauchswert der 
Beziehung zwischen den genußbereiten Gütern und dem Konsumen- 
ten, so geht der Produktionswert aus der Beziehung zwischen den Gü- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 97 


tern und dem Produzenten hervor (S. 181). Diese Anerkennung eines 
auf der Angebotsseite entspringenden Wertes, der mit dem der Nach- 
frageseito entstammenden Gebrauchswert korrespondiert, scheint mir 
durchaus berechtigt zu sein. Ist der Wert die Bedeutung, welche die Gü- 
ter dadurch für uns gewinnen, daß sie mit unserer Wohlfahrt in Be- 
ziehung stehen, dann muß auch aus dem Umstand, daß die Hervorbrin- 
gung der Güter Arbeit kostet, ein Wert hervorgehen. Denn diese Tat- 
sache beeinflußt unsere Wohlfahrt zum mindesten in ebenso fühlbarer 
Weise wie der Nutzen, den die Güter gewähren. Die Güter stehen eben 
mit unserer Wohlfahrt in einer doppelten Beziehung, sie fördern unsere 
Wohlfahrt. sie erfordern aber auch ein Opfer an Wohlfahrt. Deshalb muß 
es neben dem Gebrauchswert auch einen Arbeitswert geben. Richtig ist 
auch, daß der Arbeitswert von der Wissenschaft teils zu wenig beachtet, 
teils in seinem Wesen verkannt worden ist. Die Nutzentheoretiker 
behandeln ihn als eine Abart des Gebrauchswertes, die nur unter ganz 
speziellen Umständen Geltung erlangt. Die Kostentheoretiker, vor allem 
die Vertreter der sozialistischen Lehre, haben ihn irrigerweise mit dem 
Tauschwert identifiziert. Der Wert, den Marx behandelt, ist nicht 
der Tauschwert. Denn die moderne Verkehrswirtschaft zeichnet sich 
gerade dadurch aus, daß die Güter nicht im Verhältnis der in ihnen ver- 
körperten Arbeit ausgetauscht werden. Der Arbeitswert ist etwas ganz 
anderes als der Tauschwert. Dennoch — oder besser: gerade deshalb 
besitzt der Arbeitswert große theoretische Bedeutung. Denn er be- 
zeichnet das Niveau, welches der Stand der Preise einnehmen würde, 
wenn die Konkurrenz wahrhaft frei wäre. (Ueber den Begriff der 
„treien Konkurrenz‘, wie ich ihn verstehe, siehe meine Schrift: Die 
Lehre vom subjektiven Wert als Grundlage der Preistheorie 1912, 
S. 33 ff.) Bei vollkommen freier Konkurrenz könnte der Preis die 
Arbeitskosten nicht dauernd übersteigen; die Konkurrenz würde ihn 
immer wieder auf das Niveau der Arbeitskosten herabdrücken. Von 
diesem Standpunkt aus stellt sich jede dauernde Abweichung der Preise 
von den Arbeitskosten als Folge einer Beschränkung der Konkurrenz, 
alles arbeitslose Einkommen, das ja immer aus einem Ueberschuß 
des Preises über die Arbeitskosten gezogen wird (Kapitalzins, Grund- 
rente und alle anderen Renten) als Monopoleinkommen dar. So wird 
der Arbeitswert zu einem wichtigen Ausgangspunkt für die Erklärung 
der Preise und der Einkommensverteilung. 

Cornelissen schlägt diesen Weg jedoch nicht ein. Statt zu unter- 
suchen, warum in der modernen Verkehrswirtschaft Arbeitswert und 
Preis so weit voneinander’ abweichen, konstruiert er einen besonderen 
kapitalistischen Produktionswert, der unserer Epoche eigentümlich sein 
soll und sich nach folgender Formel bestimmt: Gesellschaftlich not- 
wendige Kosten der Produktion und Zirkulation plus Durchschnitts- 
profit (S. 297). Natürlich entbehrt dieser Begriff jedes Erklärungs- 
wertes, denn er ist weder zur Formulierung noch zur Erklärung eines 
Problemes verwendbar, sondern bezeichnet einfach den normalen Stand 
‚der Preise, dessen Erklärung ja eben die Aufgabe der Preistheorie ist. 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CI). 7 


98 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Der leitende Gedanke der von Cornelissen entwickelten Preis- 
theorie ist der, daß der Tauschwert aus dem Zusammenwirken des 
Gebrauchs- und des Produktionswertes entsteht (S. 169), daß er eine 
Resultante dieser beiden Werte ist (S. 345). Der Tauschwert hat die 
Tendenz, einerseits mit dem Produktionswert, andererseits mit dem 
Gebrauchswert zusammenzufallen (S. 162). Die erste Tendenz mußte 
notwendig wirksam werden und offenbare sich auf Schritt und Tritt. 
Die Arbeit sei das reale Element, womit der Mensch in die Erzeugung 
der Güter eingreift, und es sei offenbar (evident) — ein Wort, welches 
bei Cornölissen nur zu oft die Stelle eines Beweises vertritt —, daß 
in der Mehrzahl der Fälle dieses Element einen entscheidenden Einfluß 
auf den Tausch ausüben müsse (S. 163). Die zweite Tendenz entspringt 
daraus, daß die Güter nur um ihres Nutzens willen geschätzt und 
auch nur aus diesem Grunde Arbeit auf ihre Hervorbringung aufge- 
wendet wird (S. 164). Das Zusammenwirken von Gebrauchs- und 
Produktionswert bei der Konstitution des Tauschwertes erfolgt aber 
„dans les proportions les plus diverses, et, pourrait on dire, les plus 
capricieuses“ (S. 169). Bei den irreproduzibeln Gütern übt der Ge- 
brauchswert den beherrschenden Einfluß aus. Der Gebrauchswert dieser 
Güter zeigt zugleich ihren Tauschwert an (S. 171). Bei den beliebig 
reproduzibeln Gütern tritt der Einfluß des Produktionswertes in den 
Vordergrund. Zwischen diesen beiden Extremen finden sich zahllose 
Spielarten mit allen Nuancen des größeren oder geringeren Einflusses 
des Gebrauchs- und des Produktionswertes (S. 173). Warum das so 
ist, und auf welchem Wege der Einfluß dieser beiden Werte wirksam 
wird, wird nicht gezeigt. Die Darstellung verliert sich auch hier in 
die Erörterung zahlloser Spezialfälle, welche zusammenhangslos anein- 
andergereiht werden. Die Unfähigkeit des Verfassers, in der Mannig- 
faltigkeit der Erscheinungen das herrschende "Prinzip zu erkennen, 
tritt besonders deutlich in seiner Stellungnahme zum Gesetz von An- 
gebot und Nachfrage hervor. Er lehnt das Gesetz als sinnlos (vide 
de sens) ab (S. 360), erkennt aber andererseits dessen Herrschaft doch 
wieder an, wenn er einräumt, daß der Preis bei unzulänglichem Angebot 
über den Produktionswert gehoben, bei übermäßigem Angebot unter 
den Produktionswert herabgedrückt wird, daß also der Preis mit 
dem Produktionswert nur dann zusammenfällt, wenn die Menge der 
angebotenen Ware die beim Kostenpreis herrschende Nachfrage gerade 
deckt (S. 346). Er hat nicht erkannt, daß sich jede Preisbildung, auch 
die der Monopolgüter, unter der Herrschaft jenes Gesetzes vollzieht, 
daß sich der Preis immer auf jenem Punkt einzustellen sucht, bei 
dem die Menge der angebotenen mit der Menge der begehrten Ware 
zusammenfällt, und daß der Unterschied zwischen der Preisbildung 
der Konkurrenz- und der Monopolgüter lediglich auf die verschiedene 
Art, in der das Zustandekommen eines bestimmten Angebotes hier 
und dort erfolgt, zurückzuführen ist. So hat Cornelissen nur einen 
recht unzulänglichen Beitrag zur Beleuchtung der alten Unterscheidung 
zwischen reproduzibeln und irreproduzibeln Gütern geliefert. Die Er- 
kenntnis der Preisbildung wird durch sein Werk schwerlich gefördert 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 99 


werden, zumal das Hauptproblem der Preistheorie, die Darlegung des 
Zusammenhanges, in dem alle Preise miteinander stehen, ganz und 


gar unerörtert bleibt. 
Wien. Otto Conrad. 


Grundriß der Sozialökonomik. Bearb. von S. Altmann, Th. Brinkmann, 
K. Bücher u. a. I. Abtlg. Wirtschaft und Wirtschaftswissenschaft. Bearb. von 
K. Bücher, J. Schumpeter, Fr. Frhr. v. Wieser. XIV—4ö4 SS. M. 11.—. 
II. Abtlg. Die natürlichen und technischen Beziehungen der Wirtschaft. Bearb. 
von Fr. v. Gottl-Ottlilienfeld, H. Herkner, A. Hettner, R. Michels, P. Mombert, 
K. Oldenberg. X—387 SS. M. 9.—. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1914. Lex.-8. 

Diehl, Karl, u. Paul Mombert, Ausgewählte Lesestücke zum Stu- 
dium der politischen Oekonomie. 9. Bd. Freihandel und Schutzzoll. Karls- 
ruhe, G. Braun, 1914. 8. VII—200 SS. M. 2,60. 

Siegfried, Dr. Bernh., Repetitorium der Geschichte der National- 


ökonomie. Bern, Max Drechsel, 1914. 8. 104 SS. M. 3.—. 


Antonelli, E., Principes d'économie pure. La theorie de l'échange sous 
le régime de la libre concurrence. Préface de (prof.) G. Renard. Paris, Marcel 
Rivière et Cie., 1914. 8. IX—207 pag. fr. 5.—. (Bibliothèque generale d’&cono- 
mie politique.) 

De Potter, Agathon, Economie sociale. Tome deux. Deuxieme edition. 
Bruxelles, L’Imprimerie (Vve. Monnom), 1913. 25X 16,5. 212—V pag. fr. 1,50. 

Valdour, Jacques, La methode concrete en science sociale. Paris, 
A. Rousseau, 1914. 16. 141 pag. (La vie ouvrière. Observations vécues.) 

Croce, Benedetto, Historical materialism and the economics of Karl 


Marx. London, H. Latimer. Cr.-8. 212 pp. 5/—. 
Gide, Charles, Political economy. Authorised translation from the 


ed ed. London, Harrap. 8. 776 pp. 10/.6. 
Hillquit, Morris and Ryan, J. A., Socialism: Promise or menace? 


London, Macmillan. Cr.-8. 5/.6. 
Layton, W. S., The relations of capital and labour. Portrait. London, 


Collins. 12. 264 pp. 1/—. 

Parkinson, H., A primer of social science; foreword by Rev. T. J. 
Shealy. New York, Devin-Adair, 1913. 85 c. 

Labriola, Arturo, Il socialismo contemporaneo: lineamenti storiei. Rocca 
8. Giovanni, casa ed. Abruzzese (tip. Bodoniana), 1914. 8. XXXI, 442 pp. 1.4.—. 


2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 

Groß, Lothar. Beiträge zur städtischen Vermögensstatistik des 
14. und 15. Jahrhunderts in Oesterreich (Forschungen zur inneren Ge- 
schichte Oesterreichs, herausgeg. von A. Dopsch, Heft 10). Innsbruck 
(Wagner) 1913. 

Der Hauptwert der methodisch gut gearbeiteten Schrift liegt in 
der Publikation eines Verzeichnisses des steuerbaren Immobiliarbesitzes 
der Bürger von Enns in Ober-Oesterreich, dessen Abfassung bzw. 
Benützung der Verf. wohl richtig in die Jahre 1393—1415 setzt. Von 
weiterer Bedeutung wird diese Quellenpublikation allerdings erst dann 
werden, wenn auch für andere Städte desselben Gebietes ähnliche Ver- 
öffentlichungen vorliegen, die in ihrer Gesamtheit einen vergleichenden 
Schluß auf die Steuerverfassung und die Steuerkraft jener Periode ge- 
statten. Denn aus dem Ennser Material allein hat der Verfasser bei 
allem Fleiß nicht viel bedeutsames herauszuholen vermocht. Auch 
seine Schlüsse über die Vermögensverteilung und Vermögensverschie- 
bung in dem betrachteten Zeitraume sind bei der Lückenhaftigkeit der 

7* 


100 Uebersicht über die neyesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Handschrift. der Nichtberücksichtigung des Mobiliarvermögens und der 
kleinen Zahl der beobachteten Zensiten mit großer Vorsicht aufzu- 
nehmen. Bei der Heranziehung der Vermögensverzeichnisse anderer 
Städte wären die Görlitzer Geschoßbücher bzw. die sie besprechende 
Publikation von R. Jecht (N. Laus. Mag. 72, 1896) von Nutzen ge- 
wesen. Als allgemein bemerkenswerte Züge treten uns auch hier der. 
starko Wechsel im Hausbesitz sowie die weitverstreute Lage der zahl- 
reichen den Stadtbürgern gehörigen ländlichen Grundstücke ontgegen, 
die in dem Weinbau und dem Weinhandel jener Landschaft ihre Be- 
gründung findet. 
Halle. Gustav Aubin. 


Oesterreichische Weistümer, 10. Bd. Steirische Taidinge 
(Nachträge). Im Auftrage der Kais. Akademie der Wissenschaften her- 
ausgegeben von Anton Mell und Eugen Freiherrn von Müller. Wien 
(Wilhelm Braumüller) 1913. XI u. 385 SS. 12 M. 

Seit dem Erscheinen des für Steiermark und Kärnten bestimmten 
(sechsten) Bandes der österreichischen Weistümer im Jahre 1881 hat 
die Eröffnung und Sichtung der steirischen Archive solche Fortschritte 
gemacht, daß aus einem größeren von Mell gesammelten Material 
60 Stücks von der Wiener Akademie zur Ausgabe in dem vorliegenden 
Nachtragsbande bestimmt worden sind, welcher als abschließend zu be- 
trachten ist. Damit ist die von den Herausgebern des Hauptbandes noch 
nicht eingestandene Tatsache festgestellt, daß das Institut der Tai- 
dinge dem steirischen Mittel- und Unterlande — im Gegensatz zum Ober- 
lande —- fast unbekannt gewesen ist und daß hier überhaupt Dorfrechte 
laut Weisung gänzlich fehlen, was Mell auf „das bereits bei der deutschen 
Kolonisierung stark hervortretende grundherrschaftliche Prinzip, viel- 
leicht auch auf einen ursprünglichen Mangel an geschlossenen Dorf- 
schaften und Gemeinden“ zurückführt. Dementsprechend sind unter den 
neuen, zum Teil schon anderswo verzeichneten oder veröffentlichten, 
Stücken nur wenige eigentliche Weistümer, die Mehrzahl stellen Auf- 
zeichnungen über die Rechte der Grundherren und Untertanen, aus 
Urbaren entnommen, dazu Markt- und Stadtordnungen, Abweichungen 
also vom strengen Plan einer Weistümersammlung, wie sie schon beim 
Hauptbande für notwendig erachtet wurden, und als durchaus be- 
rechtigt anerkannt werden müssen. Anordnung, Druck, Register und 
Glossar folgen ebenfalls dem Hauptband, zu dessen einzelnen Stücken 
auch Nachträge und Berichtigungen vermerkt sind. 

Düsseldorf. Hermann Aubin. 


Stolz, Heinz, Düsseldorf. (Stätten der Kultur. Hrsg. von Prof. Dr. 
Georg Biermann, Bd. 32.) Leipzig, Klinkhardt u. Biermann, 1914. 8. VIII—148 SS. 
mit Abbildgn. u. Taf. M. 3.—., 


Roger, René, La Colombie économique, avec un extrait du Code minier 
colombien et du projet de loi sur l’exploitation des forêts, deux graphiques et 
deux cartes (these). Paris, libr. de la Bociété du Recueil Sirey, libr. R. Roger 
et F. Chernovitz, 1914. 8. XVI—444 pag. 

Baerlin, Henry, Mexico, the land of unrest. Illustrated. 2nd and 
cheaper ed. London, Simpkin. 8. 512 pp. 7/.6. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 101 


Fenchelle, H. E., Italy; Industrial and financial development. London, 
E. Wilson. 8. 1/.—. 

Joyce, Patrick Weston, A social history of ancient Ireland; treating 
of the government, military system and law, religion, learning and art, trades, 
industries and commerce, manners, customs, and domestic life of the ancient 
Irish people. In 2 vols. 2d. ed. New York, Longmans. 8. 23+632; 11465 pp. 
il. $ 7,50. 

Mavor, James, An economic history of Russia. 2 vols. London, Dent. 
8. 646, 652 pp. 3/.6. 

Münsterberg, Hugo, The Americans; tr. by Ed. B. Holt. New 
York, Doubleday, Page. 8. 10+619 pp. $ 1.—. 

Tchobanian, Archag, The people of Armenia, their past, their 
culture, the future. London, Dent. 18. 80 pp. 1/.6. 


3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung 

und Kolonisation. 

Die Ansiedlung von Europäern in den Tropen. 2. Band. 
Mit Beiträgen von Prof. Dr. Karl Sapper, Prof. Dr. van Blom und 
Dr. J. A. Nederburgh: Mittelamerika, Kleine Antillen, Nie- 
derländisch-West- und Ostindien. München u. Leipzig (Duncker 
& Humblot) 1912. 171 SS. M. 4,60. 

Der Verein für Sozialpolitik beschloß im Jahre 1910, eine Erhebung 
über die wirtschaftliche Tätigkeit und das soziale Leben der Weißen 
in den Tropen zu veranstalten, mit besonderer Berücksichtigung der 
Frage, ob dauernde Ansiedlungen stattgefunden haben und Generationen 
überdauerten. Die Tatsachen, Bedingungen und Erfolge der europäischen 
Ansiedlung und Arbeit in der heißen Zone sollten wissenschaftlich 
untersucht werden. Die Veröffentlichung dieser Untersuchungen er- 
folgt als 147. Band der Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Als 
erster Band erschien der Bericht der 1908 unter Führung des damaligen 
Unterstaatssekretärs des Reichskolonialamts Dr. v. Lindequist nach Ost- 
afrıka entsandten Kommission „Deutsch-Ostafrika als Siedelungsgebiet 
für Europäer unter Berücksichtigung Britisch-Ostafrikas und des Nyassa- 
landes“. 

Im ersten Teile des vorliegenden zweiten Bandes behandelt Karl 
Sapper die Ansiedlung von Europäern in Mittelamerika; infolge seines 
langjährigen Aufenthaltes in jenen Ländern ist er dazu wie kaum ein 
anderer berufen. Das einleitende Kapitel orientiert uns über Land und 
Bewohner, Natur und Kultur Mittelamerikas in Vergangenheit und 
Gegenwart, während in den folgenden Kapiteln die Landwirtschaft, 
die sonstige wirtschaftliche Betätigung der Weißen und Farbigen in 
Mittelamerika, die Gesundheitsverhältnisse der Weißen und endlich die 
Aussichten der Besiedlung und der Fortpflanzung der weißen Ansiedler 
erörtert werden. 

Da nach den mittelamerikanischen Ländern schon seit Jahrhunderten 
eine ziemlich umfangreiche Einwanderung von Europäern erfolgt ist, 
waren in Mittelamerika eher als in den meisten andern tropischen Ge- 
bieten hinlängliche Unterlagen zur Beantwortung der Frage zu erwarten, 
ob die Seßhaftmachung von Europäern in den Tropen möglich ist und 
weiße Familien sich daselbst durch Generationen hindurch zu erhalten 
vermögen. Leider werden aber die Ermittlungen dadurch sehr erschwert, 


102 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


daß zwischen den die Grundlage der Bevölkerung bildenden 3 Rassen, 
Weiße, Indianer und Neger, eine weitgehende Vermischung stattgefunden 
hat, so daß sich bei sehr vielen „Weißen“ nicht feststellen läßt, ob sie 
wirklich reinblütig sind. Sapper meint, daß nur noch in Costarica ein 
beträchtlicher Prozentsatz reinblütiger Weißer vorhanden, in den andern 
mittelamerikanischen Staaten aber ihre Zahl außerordentlich gering- 
fügig sei. Die aus der Ehe eines Europäers mit einer Einheimischen 
hervorgehenden Kinder gehen fast stets in der Landesbevölkerung auf, 
ja auch die Kinder reinblütiger Eltern trifft meist dasselbe Schicksal, 
wenn sie nicht auf längere Zeit in die Heimat ihrer Eltern zurück- 
gebracht werden und sich später wieder mit weißen Gatten verheiraten. 
Nur in diesem Sinne darf man an eine generationenlange reine Fort- 
pflanzung der Weißen in Mittelamerika denken. Erfolgt eine derartige 
Auffrischung nicht, so widersteht keine Nationalität auf die Dauer den 
Einwirkungen der Umgebung. Spanier und Italiener sollen schon in 
der zweiten, Franzosen und Deutsche in der dritten Generation in der 
Regel völlig unter der einheimischen Bevölkerung verschwinden, während 
Engländer und Nordamerikaner sich etwas widerstandsfähiger erweisen. 

Von wesentlichem Einflusse auf die Akklimatisation der weißen 
Rasse in den Tropen ist die Höhenlage, das beweisen auch die in Mittel- 
amerika gemachten Erfahrungen. Im mittelamerikanischen Hochlande 
können die Weißen sehr wohl körperliche Arbeit im Freien verrichten 
und dabei gesund bleiben, auch die Familie lebenskräftig fortpflanzen. 
Die weiße Rasse vermag sich hier also, etwa von 1000 m Meereshöhe 
an, bei vernünftiger Lebensweise zu akklimatisieren, ja die Männer 
könnten dabei ruhig im Tieflande arbeiten, wenn nur Frauen und Kinder 
im Hochlande bleiben. In der tropischen Tieflandszone ist eine Akkli- 
matisation der weißen Rasse nicht möglich, weil die Kindersterblichkeit 
groß und die Geburtsziffer sehr niedrig ist. 

Den zweiten Teil des Buches bilden die Untersuchungen Sappers 
über die Ansiedlung von Europäern auf den Kleinen Antillen. Diese 
Inseln waren im 17. Jahrhundert geradezu Emigrationsgebiete, haupt- 
sächlich für die Engländer und Franzosen. Ein sehr hoher Prozentsatz 
der damals hier ansässigen Europäer entfiel auf die weißen Kontrakt- 
arbeiter der Tabakpflanzungen, und wenn auch in der Leistung von 
Feldarbeit unter den vorliegenden klimatischen Verhältnissen der Weiße 
es wohl nicht mit dem Neger aufnehmen konnte, so lehrt doch das Bei- 
spiel der seit Generationen auf der kleinen Insel Saba ansässigen 
Europäer noch heute, daß Feldarbeit dauernd von Weißen auf den 
Kleinen Antillen geleistet werden kann, während das auf Trinidad nicht 
mehr möglich erscheint. Der starke Rückgang der weißen gegenüber 
der farbigen Bevölkerung ist lediglich durch die wirtschaftlichen Ver- 
hältnisse verursacht; der Gesundheitszustand ist im allgemeinen als gut 
zu bezeichnen. Günstig wirken der zeitweilige Aufenthalt in kühlerer 
Höhenlage und die Erziehung der Kinder in Europa oder Nordamerika; 
es sind jedoch zahlreiche Familien vorhanden, die seit Generationen im 
tropischen Klima wohnen, ohne daß ihre Mitglieder jemals ein kühleres 
Klima aufgesucht haben. Allerdings soll sich bei diesen Kreolen ein 
Mangel an Energie und an Unternehmungslust fühlbar machen. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 103 


Ungünstiger sind die Erfahrungen mit der Ansiedlung Weißer 
in Niederländisch-Westindien, worüber im dritten Teile D. van Blom 
berichtet. Es trifft das insbesondere für die festländische Kolonie 
Niederländisch-Guyana, ein echtes Tropenland mit feucht-heißem Klima, 
zu. Hier interessieren zunächst die Nachkommen der portugiesischen 
Juden, die um die Mitte des 17. Jahrhunderts aus Brasilien ein- 
wanderten. Diese Juden haben sich zwar in der Kolonie vollständig 
akklimatisiertt — von Feldarbeit hielten sie sioh stets fern — aber in- 
folge steter Familienheiraten sind bei ihnen schwächlicher Körperbau, 
Skrofulose und die sonstigen Merkmale einer verkümmernden Rasse 
stark vertreten. Die aus der Vermischung von Juden mit Negerinnen 
oder Mulattinnen hervorgehenden Kinder sind bedeutend kräftiger und 
gesünder als ihre weißen Halbgeschwister. Sodann besteht in der Um- 
gebung von Paramaribo eine Niederlassung holländischer Bauern, deren 
Vorfahren in den 1840er Jahren ins Land gekommen sind. Infolge der 
anfänglich äußerst ungünstigen Lebensbedingungen blieben damals von 
den Einwanderern nur wenige am Leben, die letzteren aber akklimati- 
sierten sich und pflanzten sich fort. Schon die erste im Lande selbst 
geborene Generation kam den Eltern an Energie und Lebensfrische 
nicht mehr gleich, und noch ungünstiger sind die zweite und dritte 
Generation beschaffen. Die Hauptschuld daran dürfte auch in diesem 
Falle die im tropischen Klima besonders nachteilig wirkende Inzucht 
tragen, weniger das Klima an sich. 

Im vierten Teile, welcher Niederländisch-Ostindien betrifft, kommt 
J. A. Nederburgh zu dem Schlusse, daß eine reine europäische 
Kolonisation unter Reinerhaltung der Rasse daselbst nicht möglich sei. 
Die gesundheitlichen Verhältnisse sind gut, auf die Dauer aber be- 
einflußt das Tropenklima des Tieflandes die geistigen und körperlichen 
Kräfte des Europäers in ungünstiger Weise. 

Leipzig. A. Golf. 


Fischer (Handelsschul-Dir.), Aug., Beiträge zur Entstehungsgeschichte 
der ersten Kolonien in Nordamerika, Westindien und Südamerika. (Publi- 
kationen der Exportakademie). Wien, Exportakademie des k. k. Handelsmuseums, 
1914. gr. 8. 61 SS. M. 0,80. 


de Lannoy (prof.), Charles, La colonistique. Définition et methode. 
Bruxelles, Hayez, 1913. 25x16,5. 59 pag. 

4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen. 

Wohlgemut, Marta, Die Bäuerin in zwei badischen Gemeinden. 
Volkswirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen, Neue 
Folge, Heft 20. Karlsruhe i. B. (G. Braunsche Hofbuchdruckerei und 
Verlag) 1913. 160 SS. Preis 2,40 M. 

Diese feinsinnige Studie ist aus der schönen Verbindung von wissen- 
schaftlicher Gründlichkeit und ‚künstlerischer Gestaltungskraft hervor- 
gegangen. Eine Frauenarbeit im besten Sinne, kann sie geradezu als 
Schulbeispiel dafür angesehen werden, daß manche Stoffe sich der weib- 
lichen Untersuchung bereitwilliger fügen als der männlichen, ja, daß 
ihre kritische Sonde unter Umständen tiefer reicht als die des Mannes, 
weil viele der hier aufgedeckten Interna einem männlichen Forscher 


104 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


unbekannt geblieben wären aus dem äußerlichen Grunde des Ge- 
schlechtsgegensatzes an sich und dem damit verbundenen innerlichen 
einer mangelnden Einfühlungsfähigkeit. Die Verfasserin, die es unter- 
nommen hat, monatelang in zwei bäuerlichen Haushaltungen, der Ebene 
und des Gebirges, zu leben und darin aufzugehen, führt uns sowohl 
die Bäuerin als landwirtschaftliche Produzentin wie als Ehefrau und 
Mutter anschaulich vor Augen und liefert so unter anderem einen wert- 
vollen Beitrag zu dem noch vielfach vernachlässigten und der Auf- 
klärung harrenden Probleme der Konsumtion. Innerhalb ihrer speziellen 
Tätigkeitsgebiete ist die Bäuerin in erheblichem Maße selbständig und 
verantwortlich; eine „Frauenfrage“ existiert hier nicht: selbst da, wo 
der Bauer nach außen das letzte Wort spricht, ist eine genaue Rück- 
sprache und Verständigung mit der Bäuerin vorausgegangen. Ihre 
landwirtschaftliche Berufstätigkeit ist auf ein Ganzes gerichtet, das 
unter ihrer Hand wächst und sich vollendet; sie entspricht in ihrer 
Art im allgemeinen den spezifischen Fähigkeiten der Bäuerin als 
Frau. Dadurch, daß der Erfolg ihrer Mühen ihrer Familie voll zugute 
kommt und ihre Produktion für die Nahrungsmittelversorgung anderer 
Stände bedeutsam ist, erwächst ihr das Bewußtsein ihres Wertes für die 
Familie und das Volksganze Ein Schlußkapitel beschäftigt sich mit 
der zu fordernden Vorbildung der künftigen Bäuerin. Es müssen ent- 
sprechend den veränderten Zeitverhältnissen Maßnahmen getroffen 
werden, um dem allzu starren Konservatismus vorzubeugen und ratio- 
nellere Bewirtschaftungsmethoden einzuführen. 


Halle a. S. Auguste Lange. 


Hersch, L., Le Juif errant d’aujourd’hui. Études sur l'émigration 
des Israslites de l’Europe orientale aux États-Unis de l'Amérique 
du Nord. Paris (M. Giard u. E. Brière) 1913. 8°. 331 SS. 6 fres. 
broschiert. 

Das erste Kapitel stellt den Umfang der jüdischen Auswanderung 
dar, die Zusammensetzung und den Beruf der Auswanderer, ein zweites 
ist den Ursachen, ein drittes den Wirkungen der Auswanderung ge- 
widmet. Die Darstellung bezieht sich erst auf die Zeit nach 1899, der 
Zeitraum vorher wird ganz kurz in der Einleitung behandelt. Das 
Buch ist mit sehr großem Fleiß und sehr großer Sachkenntnis ge- 
schrieben und stellt eine äußerst anerkennenswerte Leistung dar; es 
ist jedenfalls das beste, das wir bis heute über diesen Gegenstand be- 
sitzen. Um welch’ wichtiges Problem es sich dabei handelt, geht schon 
rein äußerlich daraus hervor, daß in der Periode von 1899—1910 
mehr als 1 Mill. Juden nach den Vereinigten Staaten — der Wanderung 
dorthin ist das Buch speziell gewidmet — ausgewandert sind, daß in 
diesem Zeitraum 11,2 Proz. der gesamten Einwanderung aus Juden 
bestanden haben. Von der russischen Auswanderung dorthin macht in 
dem gleichen Zeitraum ihr Anteil durchschnittlich jährlich 43,8 Proz. 
aus, um in einzelnen Jahren auf die Hälfte und mehr zu steigen. Ganz 
eingehend untersucht werden, Geschlecht, Alter, Familienstand und 
Bildungsgrad der Auswanderer; den Berufsverhältnissen derselben, denen 
der Verf. zur Erklärung dieser gewaltigen und eigenartigen Auswande- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 105 


rung eine besondere Bedeutung beimißt, ist er ganz besonders gründlich 
nachgegangen. j 

Die Frage, welche Bedeutung diese Wanderbewegung in ökonomi- 
scher und sozialer Beziehung für die Aus- und Einwanderungsgebiete 
hat, hat der Verf. nicht erörtert. Wenngleich dies in voller Absicht 
geschehen ist, muß man dies doch mit einem gewissen Bedauern kon- 
statieren, da es sich gerade hierbei um ganz besonders interessante und 
bedeutsame Probleme handelt. 

Freiburg i. Br. Mombert. 


Altrock (Gen.-Sekr.), Dr. Walther v., Der landwirtschaftliche Kredit 
in Preußen. I. Die ostpreußische Landschaft. Mit einer Einführung von (Wirkl. 
Geh. Rat) Dr. Graf v. Schwerin-Löwitz. (Veröffentlichung des Kgl. Preuß. 
Landes-Oekonomie-Kollegiums. Hrsg. von (Gen.-Sekr.) Dr. v. Altrock. Heft 15.) 
Berlin, Paul Parey, 1914. Lex.-8. XVI—219 SS. M. 6.—. 

Eliaschewitsch, Dr. Alex, Die Bewegung zugunsten der kleinen 
landwirtschaftlichen Güter in England. Ein Beitrag zur Geschichte des Unter- 
gangs der kleinen englischen Landwirte und der Bewegungen für die innere 
Kolonisation. München, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. IV—366 SS. M. 9.—. 

Erzeugnisse, Milchwirtschaftliche. Hrsg. v. Arnold u. Sering. IV. Teil. 
Die Milchversorgung in Württemberg, von (Ob.-Finanzrat) Dr. Otto Trüdinger. 
(Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 140. Bd. IV. Teil.) München u. Leipzig, 
Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. 127 SS. M. 3,60. 

Friedensburg (Bergassessor), Dr. F., Die für den preußischen Berg- 
bau geltenden Bestimmungen über die Sonntagsruhe und über die Beschäfti- 
gung von Arbeiterinnen und jugendlichen Arbeitern. Unter Benutzung der Akten 
des kgl. Oberbergamts zu Breslau zusammengestellt. Kattowitz O.-S., Gebr. 
Böhm, 1914. kl. 8. VI—73 SS. M. 1,25. 

Heise (Bergsch.-Dir.), F., u. F. Herbst, Proff., Kurzer Leitfaden 
der Bergbaukunde. Berlin, Julius Springer, 1914. 8. XII, 247 SS. mit 33+ Fig. 
M. 6.—. 

Köbrich (Bergrat), C., Der Bergbau des Großherzogtums Hessen. Kurze 
Uebersicht über geschichtliche Entwicklung und gegenwärtigen Stand des Berg-, 
Hütten- und Salinenwesens, vornehmlich in der Provinz Oberhessen. Unter Be- 
nutzung amtlichen Materials zusammengestellt. Darmstadt, Großh. hess. Staats- 
verlag, 1914. kl. 8. 101 88. mit 29 Abbildungen und 2 (l farb., l eingedr.) 
Karten. M. 1.—. 

Oertzen, Karl Bernh. v, Wie erhalten wir unseren Bauernstand? 
Und wie befreien wir uns von den Wanderarbeitern? Bisherige Ergebnisse der 
Studienkommission für Erhaltung des Bauernstandes für Kleinsiedlung und Land- 
arbeit. Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. 40 SS. M. 1,20. 

Preyer, W. D., Die russische Agrarreform. Jena, Gustav Fischer, 1914. 
gr. 8. XIV, 415 SS. mit 10 lith. Plänen. M. 18.—. 

Preisbewegung landwirtschaftlicher Güter in einigen Teilen Bayerns 
während der Jahre 1900—1910. Mit Beiträgen von Mich. Horlacher, Frz. Hörenz, 
Jörgen Hansen und V. J. Fröhlich und einer Einleitung von Lujo Brentano. 
I. Teil. (Schriften des Vereins für Sozialpolitik, 148. Bd., V. Teil.) München u. 
Leipzig. Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. XXII, 711 SS. mit 1 fark. Karte und 
1 farb. Kurventafel. M. 18.—. 

Serban, Dr. Mich., Rumäniens Agrarverhältnisse. Wirtschafts- und 
sozialpolitische Untersuchungen. Berlin, Paul Parey, 1914. Lex.-8. IV—140 SS. 
M. 5.—. 

Strohmeyer (Reg.- u. Oekon.-Rat), C., Die Berechung des Wertes, 
des Grund und Bodens und der Nebenentschädigungen bei Enteignungen land- 
wirtschaftlich genutzten Geländes. Sondershausen, Fr. Aug. Eupel, 1914. gr. 8. 
VI—55 Sp M. 2,50. 

Thieringer (Stabsveter.), H., Das Veterinärwesen einschließlich einiger 
verwandter Gebiete in Serbien. Nach Berichten des kaiserl. deutschen Kon- 
sulats für Serbien in Belgrad und nach anderen Quellen bearb. — Hall, 


106 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Dr., Das Veterinärwesen einschließlich einiger verwandter Gebiete in Nor- 
wegen. Nach Berichten des kaiserl. Generalkonsulats in Kristiania und nach 
anderen Quellen bearb. Berlin, Julius Springer, 1914. Lex.-8. 92 SS. M. 4,40. 


Crédit (Le) agricole, II: Credit collectif en faveur des sociétés coopera- 
tives de production et de vente des syndicats agricoles et des sociétés d'assurances 
mutuelles contre les risques agricoles. Formalités de constitution et fonctionne- 
ment des sociétés coopératives. Résultats obtenus. Paris, Impr. nationale, 1914. 
8. 124 pag (Ministère de l'agriculture. Service du crédit de la coopération et 
de la mutualité agricoles). 

Le régime forestier aux colonies. Bruxelles, Institut colonial inter- 
national. 1914 3 vol., 23,5 X 15,5. 552, 518 et 506 pag. fr. 60. 

Roule, L., Traité raisonné de la pisciculture et des pêches. Paris, 
J. B. Bailliere et fils, 1914. 8. VIII—734 pag. avec. fig. 

Vermant, Robert et Charles De Zuttere. Enquête sur la pêche 
maritime en Belgique. Deuxième partie: Étude sociale de la pêche maritime. 
Bruxelles, J. Lebègue et Cie., 1914. 25X 16,5. figg., pll. XII—596 pag. fr. 4,50. 

Aronson, Hugh., The land and the labourer. London, A. Melrose. 
Cr. 8. 304 pp. 3/.6. 

Bailey, L. H., The standard cyclopaedia of horticulture. Vol. 1. London, 
Macmillan. 4. 25/.—. 

Buck, Solon Justus, The grange movement. A study of agricultural 
organization and its political, economic and social manifestations. London, H. 
Milford. 8. 396 pp. 8/.6. 

Macdonald, William, Makers of modern agriculture. London, Mac- 
millan. Cr. 8. 94 pp. 2/.6. 


5. Gewerbe und Industrie. 

Misselwitz, Alfred, Die Entwicklung des Gewerbes in Halle 
a./S. während des 19. Jahrhunderts. (68. Band der „Sammlung na- 
tionalökonomischer und statistischer Abhandlungen des staatswissen- 
schaftlichen Seminars zu Halle a./S., herausgeg. von Dr. Joh. Conrad.) 
Jena (Gustay Fischer) 1913. 125 SS. 

Bei der geringen Zahl bisher angestellter Untersuchungen über die 
gewerbliche Entwicklung der einzelnen Städte ist die vorliegende Ar- 
beit, dio es sich zum Ziele setzt, im Rahmen der Geschichte des preu- 
Bisch-deutschen Gewerbes eine zusammenhängende Uebersicht über die 
besonderen gewerblichen Verhältnisse der Stadt Halle a./S. zu geben, 
von vornherein dankbar zu begrüßen. Ist doch Halle eine der Städte, 
bei denen sich im Laufe von 100 Jahren die völlige Umwandlung aus 
einer wirtschaftlich nicht hervorragenden Provinzialstadt in einen an- 
sehnlichen Mittelpunkt des Gewerbes, des Handels und Verkehrs be- 
sonders augenfällig zeigt. Noch 1803 bildeten Universität und Schulen, 
die den Ruhm Halles begründet hatten, die Haupterwerbsquellen der 
Stadt; Kleinbetriebe gab es etwa 1500, Fabriken so gut wie gar nicht: 
Nur vier gewerbliche Unternehmen ließen sich nach heutigen Begriffen 
als solche bezeichnen. Auf der anderen Seite die Zahlen der gewerbe- 
statistischen Erhebung von 1907: 4592 überwiegend großbetriebliche 
Gewerbeunternehmen mit 31266 Tätigen. Die Grundlagen dieses wirt- 
schaftlichen Aufschwunges sieht der Verfasser — und der Kenner der 
tatsächlichen Verhältnisse muß ihm darin beistimmen — in drei Um- 
ständen: in der Ausbeutung und Verwertung der zahlreichen und 
mächtigen Braunkohlenlager vor den Toren der Stadt, in der Her- 
stellung des Zuckers aus Rüben und dem damit in Verbindung zu 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 107 


setzenden Aufblühen der Landwirtschaft der Hallischen Umgebung, 
und in der Umwandlung der großen mitteldeutschen, in Halle zu- 
sammentreffenden Landstraßenzüge in Eisenbahnen. 

Der Verfasser zeigt im ersten Hauptteil seiner Arbeit, in dem er 
die Entwicklung des Hallischen Gewerbes während des 19. Jahrhunderts 
im allgemeinen schildert, wie sich diese Entwicklung in mannig- 
faltigem Auf und Ab, im ganzen aber nach vier großen, deutlich 
zu scheidenden Zeitabschnitten vollzieht: 1800—1806 als Zeit des 
tiefsten Verfalles des Gewerbes, 1816—1846 als Zeit der Wiederge- 
sundung und Erstarkung, 1846—1870 als Zeit des verhältnismäßigen 
Stillstandes, und schließlich die Jahre 1870—1907 als die Jahre des 
gewaltigen Aufschwunges. Der Verfasser stützt hierbei seine Aus- 
führunger auf die statistischen Unterlagen, wie sie die Erhebungen 
Preußens bzw. des Deutschen Reiches in den Jahren 1816, 1828, 1837, 
1846, 1855, 1861, 1875, 1882, 1895, 1907 bieten und gelangt auf 
diese Weise zu völlig einwandfreien Ergebnissen. Mit Recht weist 
der Verfasser in seiner Schilderung überall darauf hin, wie bei einer 
Stadt von der geographischen Lage Halles die Fortbildung der Ver- 
kehrsverhältnisse durch den allmählichen Ausbau des Eisenbahnnetzes 
und der ‘Wasserwege, hier der Saale, eine mitwirkende Ursache der 
gewerblichen Entwicklung werden mußte. Indessen warnt der Verfasser 
davor, diesen Maßnahmen eine allzu große Bedeutung beizumessen. Als 
treibende Kräfte sieht er vielmehr: die fortschreitende Arbeitsteilung, 
die zunehmende Bedarfserhöhung infolge des großstädtischen Bevölke- 
rungsanwachsens und den Uebergang zur Massenherstellung. 

Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Entwicklung des 
Hallischen Gewerbes im besonderen, d. h. mit den für die Stadt 
wichtigsten und kennzeichnendsten Gewerben des Handwerks und der 
Großindustrie. Bei letzterer werden neben der alteingesessenen Salz- 
gewinnung und der ebenfalls alten, blühenden Brauerei noch die neu 
hinzugetretenen Zweige der Stärkefabrikation, der Zuckerindustrie, der 
Maschinenindustrie, der Papierfabrikation und der Buchdruckerei als 
besondere großindustrielle Erwerbsquellen behandelt. Wenn hierbei 
auch die einzelnen Industrien etwas kurz behandelt werden —, so hätte 
insbesondere das wirtschaftliche Schicksal der Hallischen Salzgewinnungs- 
industrie, der „Pfännerschaft‘‘, nach seinen Ursachen eingehender ge- 
schildert werden können — sie ist wohl fortgelassen, da sie anderweitig 
eine eingehende Behandlung erfahren hat —, so muß doch anerkannt 
werden, daB die Darstellung des Verfassers einen guten Ueberblick über 
den jeweiligen Umfang und das Fortschreiten des Hallischen Ge- 
werbes während des verflossenen Jahrhunderts bietet. 

Halle. Dr. phil. Kurt Krüger. 


Norton, Thomas H., Die chemische Industrie in Belgien, Hol- 
land, Norwegen und Schweden. Ins Deutsche übertragen und ergänzt 
von H. Großmann. Braunschweig (Friedrich Vieweg u. Sohn) 1914. 
112 SS. 

Das Heft bietet die freie Uebersetzung eines amerikanischen Kon- 
sularberichtes, den Großmann insbesondere durch eingehende Angaben 


108 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


über den Außenhandel in Rohstoffen und Produkten der chemischen In- 
dustrie zwischen Deutschland und den im Titel genannten vier Nachbar- 
ländern ergänzt hat. Wenn der Bericht seinem praktischen Zwecke 
gemäß viele wichtige wirtschaftliche Fragen auch nur kurz streift, 
so ist es doch zu begrüßen, daß er durch die vorliegende Ausgabe all- 
gemein zugänglich gemacht ist. Mit Recht bemerkt der Herausgeber 
in seinem Vorwort: „Es wäre außerordentlich wünschenswert, wenn 
die kleine Schrift mit dazu Veranlassung geben würde, den Stand und 
die Entwicklung der chemischen Industrie in den verschiedenen Kultur- 
ländern eingehender zu untersuchen, denn bisher sind gerade die allge- 
meinen Kenntnisse über die chemische Industrie in den meisten Ländern, 
mit Ausnahme von Deutschland, noch recht lückenhafte.“ Derartige 
eingehendere Darstellungen wären in der Tat sehr erwünscht, da die 
chemische Industrie eine ganze Reihe eigenartiger und interessanter 
wirtschaftlicher Probleme bietet. 


Aachen. Richard Passow. 


Bauer, Dr. Friedr., Das Wollgewerbe in Eßlingen bis zum Ende des 17. 
Jahrhunderts. (Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte, hrsg. von 
Georg v. Below, Heinr. Finke, Friedr. Meineke. 55. Heft.) Berlin-Wilmersdorf, 
Dr. Walther Rothschild, 1914. gr. 8. VII—164 SS. M. 5.—. 

Ebert (Dir.), Ernst, Zur Gesellen- und Meisterprüfung. Ein Ratgeber 
für das deutsche Handwerk und seinen Nachwuchs. 3. erweit. Aufl. Meißen, H. 
W. Schlimpert, 1914. 8. VIII—432 SS. M. 3.—. 

Fischer, Karl R., Von der Glasindustrie im Isergebirge. Prag, Verlag 
„Deutsche Arbeit“, 1914. Lex.-8. 13 SS. mit 5 Tafeln. M. 1,20. 

Hardenberg, R., Industrie, Handel und Gewerbe. Handbuch für jeder- 
mann, mit Illustrationen. Bochum, H. Potthoff, 1913. gr. 8. 317 SS. M. 7,50. 

Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten im Königreich Württem- 
berg für 1913. Nebst: Schott (Finanzrat), Dr. A., Zahl und Arbeitszeit der 
gewerblichen Arbeiter in Württemberg im Herbst 1912. (Aus: „Württemb. 
Jahrbuch für Statistik und Landeskunde‘“.) Stuttgart, H. Lindemann, 1914. Lex.-8. 
S. 728—761. M. 2.—. 

Jahresberichte, Die, der Königl. bayerischen Gewerbeaufsichtsbeamten, 
dann der Königl. bayerischen Bergbehörden für das Jahr 1913. Im Auftrage des 
Königl. Staatsministeriums, des Königl. Hauses und des Aeußeren veröffentlicht. 
München, Theodor Ackermann, 1914. gr. 8. LXII—386 SS. M. 6,20. 

Stenglewski, Alb., Geschichte der Bäckerinnung zu Cöpenick. Zum 
300-jährigen Jubiläum der Innung bearbeitet. Cöpenick, Richard Schön, 1914. 
Lex.-8. 104 SS. mit 5 Tafeln. 


Enquête sur le travail à domicile dans l'industrie de la chaussure. Paris, 
Impr. nationale, 1914. 8. X—553 pag. (Ministère du travail et de la prévoyance 
sociale. Office du travail). 

Joran, Raymond, L'organisation syndicale dans l’industrie du bâti- 
ment. Paris, Arthur Savatte, 1914. 8. 240 pag. 

Liffmann, (prof.) Robert, Cartells et Trusts. Evolution de l'organi- 
sation économique. Traduit d'après la deuxième édition allemande par Savinien 
Bouyssy Paris, M. Giard et E. Brière, 1914. 8. fr, 5.—. 

Vigneron, H., La science et l'industrie en 1913. Préface du docteur 
François Helme. Paris, L. Geisler, 1914. 8. 223 pag. avec 77 fig. 

National guilds, An inquiry into the wage system and the way out. 
Edited by A. R. Orage. London, Bell. Cr. 8. 378 pp. Biz 

Corsanego, Cam., L'industria ferroviaria in Italia. Roma, tip. Unione 
ed., 1914. 8. 43 pp. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 109 


6. Handel und Verkehr. 


Haaß, Friedrich, Weltpostverein und Einheitsporto (Welt- 
Pennyporto). Stuttgart (W. Kohlhammer) 1913. 8—XI, 174 SS. 3M. 

Im Rahmen des Weltpostvereins, dessen höchstes Ziel es stets ge- 
wesen ist, Einheitlichkeit und Einfachheit neben tunlichster Billigkeit 
in die Gebührentarife und die Verwaltungsvorschriften über die tech- 
nische Behandlung der Postsendungen zu bringen, haben sich während 
des letzten Jahrzehnts eine Reihe engerer Vereinigungen gebildet, um 
an Stelle des bisher unerreichbaren Welteinheitsportos ermäßigte Brief- 
portosätze innerhalb ihres Vereinsgebiets herbeizuführen. Während die 
Fachliteratur sowie berufene Vertreter aus Handel und Industrie dieser 
Entwicklung überwiegend sympathisch gegenüberstehen, vertritt der 
Verfasser auf Grund langjähriger praktischer Erfahrungen mit Ueber- 
zeugung den Standpunkt, daß eine gesunde Entwicklung des inter- 
nationalen Briefposttarifs nur im Wege der baldigen Einführung eines 
von allen Sonderbestimmungen freien, d. h. ausnahmslos geltenden Welt- 
einheitsportos zu erreichen ist. Die Durchführbarkeit dieser Maß- 
nahmen zu beweisen und die dagegen erhobenen finanzpolitischen Be- 
denken zu entkräften, ist der Zweck der lehrreichen Arbeit, die im 
Hinblick auf den 1914 in Madrid zusammentretenden siebenten Welt- 
postvereinskongreß besondere Beachtung verdient. 

Nach einer eingehenden Darstellung der geschichtlichen Entwick- 
lung des Weltpostvereins, seiner Grundlagen und aller bisherigen, auf 
Vereinigung oder Ermäßigung des internationalen Briefportos gerich- 
teten Bestrebungen in den beiden ersten Teilen der Arbeit, die durch 4 
übersichtliche Tabellen wertvoll ergänzt werden, ‚begründet der Verfasser 
im dritten Teil unter kritischer Beleuchtung der einschlägigen Literatur 
ausführlich die Forderung baldiger Einführung des Welteinheitsportos. 
Er verkennt hierbei nicht, daß mit dem dann zu erwartenden Verkehrs- 
zuwachs auch eine Steigerung des allgemeinen Betriebsaufwands, ins- 
besondere der Personalkosten, eintreten muß; dieser Mehraufwand kann 
aber die glänzenden Postfinanzen der meisten Vereinsstaaten kaum merk- 
lich schädigen, weil der Auslandsbriefverkehr allenthalben nur einen 
kleinen Bruchteil des gesamten Briefverkehrs ausmacht. Die bei Ein- 
führung des Welteinheitsportos endgültig zu beseitigenden Landtransit- 
gebühren werden, wie der Verfasser zahlenmäßig belegt, reichlich auf- 
gewogen durch unverdiente Ueberschüsse der besonders interessierten 
Binnenstaaten aus dem Mehr der abgehenden gegenüber den ankommen- 
den frankierten Briefen und aus dem Mehr der ankommenden unfran- 
kierten Briefe gegenüber den unfrankiert abgesandten. Die gleichfalls 
zu beseitigenden oder aus anderen Quellen zu bestreitenden Seetransit- 
gebühren für Briefsäcke der Ueberseeposten sind im Vergleich zu den 
Seefrachtsätzen des Warenverkehrs ungebührlich hoch und sollten durch 
angemessenen Druck auf die Schiffahrtsgesellschaften wenigstens ent- 
sprechenä ermäßigt werden. Mit besonderem Nachdruck weist der 
Verfasser endlich an der Hand sorgsamer Rentabilitätsberechnungen 
darauf hin, daß der allerwärts monopolisierte Briefpostdienst einen 


110 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


"Nettogewinn von mehr als 200 Proz. ergibt, der unter Kürzung des 
sonst beträchtlich höheren Ueberschusses der Postverwaltungen jetzt 
teilweise zur Unterhaltung unrentabler Dienstzweige (Paketverkehr, 
Postzeitungsdienst, Telegraphie) verwendet wird, aber in Verbindung 
mit einer Reform der für diese Dienstzweige geltenden Gebührentarife 
unbedenklich für die der Allgemeinheit nicht minder nützliche Herab- 
setzung der Portosätze im internationalen Briefverkehr herangezogen 
werden könnte. Ob und inwieweit die gesetzgebenden Körperschaften 
so einschneidenden Tarifumwälzungen zustimmen würden, bliebe aller- 
dings abzuwarten. Erwin Günther. 


Feiler (Red.), Arth., Die Konjunkturperiode 1907—1913 in Deutsch- 
land. Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. X—204 SS. M. 5.—. 

Pilder, Dr. Hans, Die russisch-amerikanische Handelskompagnie bis 
1825. (Osteuropäische Forschungen. Im Auftrag der Deutschen Gesellschaft zum 
Studium Rußlands, hrsg. von Otto Hoetzsch, Otto Anhagen und Erich Bernecker. 
Heft 3.) Berlin, G. J. Göschen, 1914. gr. 8. VII—175 SS. M. 4,80. 

Pries, Dr. Alex., Der schwedische Zoll in Warnemünde in den Jahren 
1632—1654, insbesondere im westfälischen Frieden. Wismar, Hinstorff, 1914. 
8. XI—105 SS. M 2.—. 

Schuon, Dr. Herm., Der deutsch-nationale Handlungsgehilfenverband zu 
Hamburg. Sein Werdegang und seine Arbeit. (Abhandlungen des staatswissen- 
schaftlichen Seminars zu Jena, hrsg. von Prof. Dr. J. Pierstorff. 13. Bd. Heft3.) 
Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. VIII—249 SS. M. 3,50. 

Sendelbach, Ernst, Ratgeber für den Zollverkehr von und nach dem 
Auslande. Unter Mitwirkung hervorragender Fachleute, bearbeitet nach den 
Gesetzen, Ausführungsvorschriften und der Praxis. Charlottenburg, E. Frommer 
u. Co., 1914. gr. 8. 224 SS. M. 3,50. 


Lefèvre, Edmond, Le commerce et l'industrie de la plume pour parure. 
Paris, J. Dumans. Grand-in 8. 368—XIV pag. avec gravures et tableau. 

Freedom of commerce in war (The). By Mancunian. London, P. S. 
King. Cr. 8. 5l pp. 1/.—. 

aid: Harry N., Boycotts and the labour struggle. London, Lane. 
8. 6/.—. 

Monkswell, Rob. Alf. Hardcastle Collier, Lord, The rail- 
ways of Great Britain. New York, Dutton. 8. 10+303 pp. $2.—. 

Gentilli, dott. Nino, Il Marocco ed il suo commercio. Venezia, tip. 
C. Ferrari, 1914. 8. 113 pp. 

Supino, Cam., La navigazione dal punto di vista economico. Terza 
edizione, rifatta ed ampliata. Milano, U. Hoepli (R. Romitelli e C.), 1913. 8. 
XI—450 pp. 1. 7,50, 


7. Finanzwesen. 


Boehme (vortr. Rat), Dr. Georg, Sächsisches Kirchensteuergesetz und 
Schulsteuergesetz vom 18. Juli 1913, sowie Kirchengesetz, den Haushalt der 
evangelisch-lutherischen Kirchgemeinden betr., vom 10. Juli 1913. Handausgabe 
mit den zugehörigen Bestimmungen und Erläuterungen. (Juristische Handbiblio- 
thek. Hrsg.: Oberlandesgerichts-Senatspräs.. Max Hallbauer und Ministerialdir. 
Geh. Rat Dr W. Schelcher. 436 Bd.) Leipzig, Arthur Roßberg, 1914. kl. 8. XIII— 
345 SS. M. 6,80. 

Gemünd, Prof. Dr. Wilh., Die Kommunen als Grundbesitzerinnen. (Fi- 
nanzwirtschaftliche Zeitfragen. Hrsg. von Proff. Drs. Reichsrat Georg v. Schanz 
und Geh. Reg.-Rat Jul. Wolf. Heft 12.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1914. Lex.-8. 
51 88. M. 1,80. 

Gruber (Sparkassendir.), E., Sparkassengesetz für Elsaß-Lothringen vom 
23. August 1912 mit Ausführungsbestimmungen und Erläuterungen. 2. Auflage. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 111 


Straßburg, Straßburger Druckerei und Verlagsanstalt vorm. R. Schultz u. Co., 
1914. 8. 102 SS. M. 2,50. 

Koch (vortr. Rat), Dr. Walter, Gemeindesteuergesetz für das Königreich 
Sachsen vom 11. Juli 1913. Handausgabe mit den zugehörigen Bestimmungen und 
Erläuterungen. 2. Bd. enthaltend das Gesetz, nebst ausführlichen Erläuterungen 
der einzelnen Paragraphen, sowie einem Sachregister zu beiden Bänden. (Jurist. 
Handbibliothek, hrsg. von Oberlandesgerichts-Senatspräs. Max Hallbauer und 
Ministerialdir. Geh. Rat Dr. W. Schelcher. 429. Bd.) Leipzig, Arthur Roßberg, 
1914. kl. 8. V—277 SS. M.5.—. 

Konrad, Heinr., Kurzgefaßter Grundriß des österreichischen Finanz- 
rechts. (2. nach dem neuesten Stande der Gesetzgebung, insbesondere durch die 
Personal- und Branntweinsteuernovelle vom Jahre 1914 ergänzte Auflage.) Wien, 
Manz, 1914. gr.8. V—110 SS. M. 2,40. 

Laue, B., Die Staatseinkommensteuer. Rechtsprechung des Kgl. preuß. 
Ober-Verwaltungsgerichts. 5. umgearb. und ergänzte Aufl. Berlin-Wilmersdorf, 
Veritas-Verlag, 1914. 8. VII—533 SS. M. 12.—. 

Liebers, Dr. Adolf, Die Finanzen der Städte im Königreich Sachsen. 
(Deutsches statist. Zentralblatt. Ergänzungshefte. Heft 5.) Leipzig, B. G. Teub- 
ner, 1914. gr. 8. VIII—176 SS. M. 6.—. 

Pensch (Ministerialrat), Dr. Rud., Das Gesetz vom 25. Oktober 1896 betr. 
die direkten Personalsteuern samt den Nachtragsgesetzen, den Vollzugsvorschriften 
und sonstigen einschlägigen Gesetzen, Verordnungen und Erlässen. Mit Benutzung 
der Gesetzesmaterialien und vornehmlich der Verwaltungsgerichtshof-Judikatur er- 
läutert und mit einem Inhaltsverzeichnisse, sowie einem alphabetischen General- 
Sachregister versehen. Unter Mitwirkung des (Ministerial-Vizesekr.) Franz Jaros 
herausgegeben. 4. vollständig umgearb. Aufl. 1. Liefg. Wien, Moritz Perles, 1914. 
Ka S. 1—80. M.1.—. 

Rausch, Prof. Dr. Karl, Finanzielle und wirtschaftliche Kriegsrüstung, 
Vorschläge zur Sicherung eines geregelten Staats- und Wirtschaftslebens in 
Kriegszeiten. Wien, Wilhelm Braumüller, 1914. 8. 54 SS. M. 0,80. 


Evesque, M., Les finances de guerre au XXe siècle. Préface de A. E. 
Sayons. Paris, F. Alcan, 1914. Grand in-8. XI—707 pag. fr. 12,50. 

Seguin, J., Les emprunts contractés par la France, à loccasion de la 
guerre de 1870 (thèse). Paris, A. Rousseau, 1914. 8. 200 pag. 

Seligman (profi, Edwin R. A., Essais sur l'impôt. Traduction fran- 
çaise d’après la Be édition américaine, par Louis Suret. T. ler: Evolution de 
l'impôt; l’impöt général sur la propriété; limpôt unique; la double imposition; 
l'impôt sur les successions; l'imposition des sociétés. Paris, M. Giard et E. Brière, 
1914. 8. VIII—521 pag, 

Bryan, W. B., A history of the national capital. Vol. 1. 1790—1814. 
London, Macmillan. 8. 21/.—. 

Mallet, Bernard, British budgets, 1887—88 to 1912—13. New York, 
Macmillan. 12. 11+469 pp. $ 1,10. 

Baumhauer, P. M. v., Beginselen der staatshuishoudkunde. Handleiding 
naar de aantekeningen, ten gebruike bij de lessen. Bewerkt door J. A. Eiglman. 
6e herz. druk. ’s-Gravenhage, G. Delwel. gr. 8. 4 en 194 blz. fl. 1,50. 

Treub, M. W. F., Hoofdstukken uit de geschiedenis der staatshuishoudkunde. 
3e, veel verm. druk. Haarlem, H. D. Tjeenk Willink en Zoon. gr.8. 8 en 
232 blz. fl. 2,50. 


8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen. 

Elewyck, Ernest van, La Banque Nationale de Belgique. Les 
Théories et les Faits. 2 Teile. 380 u. 412 SS. Brüssel (Libraire 
Falk Fils) 1913. 15 frcs. 

Die wertvollsten bisherigen belgischen Beiträge zur Untersuchung 
des belgischen Bankwesens sind von sozialistischer Seite gekommen. Das 
breitangelegte Werk, das jetzt der Präsident der Brüsseler Handels- 


112 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


kammer und der frühere Präsident des Tribunal de Commerce veröffent- 
licht hat, hat deshalb nicht nur den Zweck, eine monographische Dar- 
stellung der belgischen Nationalbank zu sein, sondern will gleichzeitig 
eine — in politischer Hinsicht liberale — Verteidigung der Nationalbank 
gegen die sozialistischen Kritiker geben. Das Buch bekommt durch 
diesen polemischen Charakter vielleicht auch ein allgemeineres In- 
teresse, indem verschiedene prinzipielle Gegensätze mehr oder weni- 
ger stark hervortreten, wobei der Verf. allerdings mehr die sozia- 
listischen Grundprinzipien zu bekämpfen versucht, weniger die liberalen 
Prinzipien begründet, woraus er ein liberales bankpolitisches System 
hätte ableiten können. 

Eine Darstellung des gesamten umfangreichen Inhaltes des Buches 
würde hier wenig nützen, da ein solcher Versuch vielen sehr gründlich 
behandelten Problemen doch nicht gerecht werden könnte. Ich ziehe 
deshalb vor, als Beispiel der Darstellungsart des Verf. ein Problem 
herauszugreifen, das gleichzeitig allgemeines Interesse beanspruchen 
darf: die allgemeine Lage des belgischen Geldmarktes. 

Die belgischen Privatbanken beschäftigen sich wie die deutschen 
gleichzeitig mit Diskontierung, Reportgeschäften, Emissionen industri- 
eller Werte, Beteiligungen usw. In den letzten Jahren fangen die bel- 
gischen Filialen ausländischer Banken an, eine immer größere Rolle 
zu spielen, sie legen dabei besonderen Wert auf Wechseldiskontierung. 
Rediskontierung der ausländischen Banken an die Nationalbank kommt 
sehr selten vor, obwohl die Nationalbank natürlich im Falle einer Krisis 
auch von seiten der ausländischen Banken sich auf eine starke Inan- 
spruchnahme vorbereiten muß. Diese Konkurrenz der ausländischen 
Banken macht sich in Brüssel ganz besonders fühlbar, wie aus einer 
Statistik über die prozentuale Verteilung des Diskontmaterials der 
Nationalbank hervorgeht. 


Brüssel Antwerpen Provinz 
1901—1905 40 2I 39 
1906—1910 31 32 37 


Dagegen rediskontieren die belgischen Banken in recht großem Um- 
fange und verhältnismäßig schnell nach der ursprünglichen Diskon- 
tierung, wodurch die durchschnittliche Laufzeit des Portefeuilles der 
Nationalbank ungefähr doppelt so groß wie diejenige der Bank von 
Frankreich wird. Ueber die prozentuale Verteilung der verschiedenen 
Geschäftszweige unterrichtet folgende Statistik: 


Diskontie- |Lombards Eisch d Konto- 
rung bel- und Depöts | Einkas- | Devisen "Geld und korrentdes 
gischer Rem- |(Umsätze) | sierung |(Umsätze) Edel- Crédit 


Wechsel bourse metall Communal 


29,58 — 0,96 E 

25,77 0,03 0,92 
In der Statistik fällt der große Umsatz in Devisen besonders 

auf. Es war in den politischen Wirren um das Jahr 1870, als die 


1906—10 
1911 


49,66 
45,56 


11,54 
18,57 


6,86 1,90 
7,16 1,99 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 113 


belgische Nationalbank zu umfangreicher Devisenpolitik geführt wurde. 
Nach den Bestimmungen für die Notenausgabe muß u. a. die zirku- 
liernde Notenmenge repräsentiert sein durch valeurs facilements reali- 
sables, worunter seit 1878 auch die Devisen gerechnet werden dürfen. 
Durch die Devisenpolitik ist es der Bank möglich geworden, einen ver- 
hältnismäßig niedrigen Diskont aufrecht zu erhalten. Ueber die neueste 
Entwicklung ist der Verf. allerdings etwas pessimistisch (I, 316/7): „Le 
rôle grandissant qu’elles (les réserves en devises) jouent au dehors en- 
lève à notre portefeuille étranger cette belle liberté d’allures qu’il 
avait autrefois, lorsque la Banque Nationale était presque seule à sen 
servir pour économiser de lor, le retenir ou le ramener. Le jeu est 
devenu plus difficile et moins sûr.“ Durch die immer größere Beteili- 
gung Belgiens am internationalen Verkehr geriet die belgische Natio- 
nalbank in immer größere Abhängigkeit von den Diskontsätzen der deut- 
schen und englischen Schwesterinstitute. Gegenüber England und 
Deutschland hat Belgien mit Ausnahme von den letzten Jahren dauernd 
aktive Zahlungsbilanz gehabt, was als Gegengewicht gegen die regel- 
mäßige Passivität gegenüber Frankreich dienen muß. Mit Rücksicht 
auf den französischen Diskontsatz ist deshalb der Hauptgesichtspunkt 
nur die Edelmetallausfuhr verhindern zu können. Ebenso wie Frank- 
reich gehört ja Belgien zur lateinischen Münzunion, deshalb können 
die Schwankungen in den Wechselkursen auf Paris nicht so groß sein, 
da die Umprägungskosten und ein Teil von den Zinsverlusten für die Ar- 
bitrage nicht in Betracht kommen. Aber im Unterschied zu Frankreich 
hat Belgien keine Goldprämie, wodurch in Paris der Goldexportpunkt 
erhöht wird. Darum sind die Versendungskosten Brüssel-Paris kleiner 
als Paris-Brüssel, und es besteht die leichte Spekulationsmöglichkeit, 
Gold aus dem freien Verkehr in Belgien nach Frankreich zu führen, wo 
es besser bezahlt wird. Der regelmäßig hohe Stand der Pariser Devisen 
in Brüssel ist nicht nur eine Folge dieser für Belgien ungünstigen Ver- 
schiedenartigkeit der Währungsverhältnisse, sondern wird auch dadurch 
bedingt, daß die bedeutende belgische Kapitalausfuhr durchweg über 
Paris geht; außerdem halten französische Kapitalisten regelmäßig grö- 
Bere Guthaben bei belgischen Banken, deren Zinsen auch zur Passivität 
der Zahlungsbilanz gegenüber Frankreich beiträgt. 

Was schließlich den bargeldlosen Verkehr betrifft, so fällt von dem 
Ueberweisungsverkehr der Nationalbank 50 Proz. auf Antwerpen, 40 
Proz. auf Brüssel und 10 Proz. auf die Provinz. Dieser Verkehr ist 
zwar in den letzten Jahren vorwärts gegangen, aber „l’&ducation comp- 
tabiliste du public belge est à faire (II, 46). — 

Dies nur als Beispiel der Darstellungsart des Verf. — hier zusam- 
mengestellt aus verschiedenen Teilen des ganzen Werkes. 

Welchen Kreis von Problemen der Verf. im übrigen behandelt, 
wird man aus den Kapitelüberschriften am besten ersehen können: 

I. Die Société Générale vor 1850. Erste Organisationsversuche des 

Kredits in Belgien. 
II. Ursprung der Nationalbank. 
III. Filialen. ` 
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 8 


114 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


IV. Kapital der Nationalbank. 
V. Reserve, Aktien und Aktionäre. 
VI. Privileg. 
VII.—VIII. Notenausgabe. 
IX. Die metallische Kasse. 
X. Die Kasse und das Devisenportefeuille. 
XI. Kontokorrent, Depositen und Abrechnungsverkehr. 
XII. Diskontierung. 
XIII. Diskontsatz. 
XIV. Beleihung öffentlicher Sicherheiten. Edelmetallgeschäfte. De- 
pöts. Einkassierung. 
XV. Improduktive Geschäfte. 
XVI. Produktive und improduktive Geschäfte. Einkünfte u. Ausgaben. 
XVII. Abgaben an den Staat. k 
XVIII. Staatsbank, Verrechnungssystem, freie Notenbanken. 

Der Verf. behandelt in jedem Kapitel zuerst die wichtigeren Daten 
aus der historischen Entwicklung und dann die an diese Fragen an- 
knüpfenden theoretischen Probleme, gewiß eine sehr glückliche Kom- 
binierung, wenn diese Kombinierung nur nicht den Charakter des 
Kompromisses bekommt, wo weder die eine noch die andere Hälfte 
ganz zu ihrem Rechte kommt. Aber der Verf. ist wohl dieser Gefahr 
nicht ganz entgangen. So wird der Historiker, der die Antwort auf 
die Frage sucht, welche Rolle die Nationalbank in der Entwicklung der 
belgischen Volkswirtschaft gespielt hat, manchmal kaum eine gründliche 
Antwort finden können, besonders über die 1880er und 1890er Jahre sind 
die Angaben sehr knapp. Ebenso wird der Theoretiker manchmal ein 
konsequent aufgebautes System vermissen. Nur so, daß der Verf. zu keinem 
ganz klaren System gekommen ist, kann man es erklären, daß bei einer 
berühmten Streitfrage, worauf er auch selbst für seine praktischen Schluß- 
folgerungen großen Wert legt, ihm das Malheur passiert, an zwei ver- 
schiedenen Stellen einander ganz widersprechende Antworten zu geben. 
So erklärt der Verf. I, 227: „En réalité, ce n’est pas la banque qui 
augmente ou diminue la quantité des billets en circulation, ce sont les 
demandes du public“ und zitiert zustimmend Juglar: „Les banques ne 
peuvent accroître leur circulation quand elles le veulent; les demandes 
locales, surtout pour le commerce du détail, la limitant complètement. “‘ 
Trotzdem erklärt aber der Verf. II, 369: Lee excès (!) d'émission 
des (!) banques privilégiées et des banques d’Etat condamnent le pri- 
vilege et le monopole, nous l'avons vu en Angleterre, en France, en 
Italie, en Autriche et en Russie.“ 

Aber wenn man also das eine oder andere aussetzen kann, sollen 
doch nicht die guten Seiten des Buches verschwiegen werden, die doch 
so stark überwiegen. Ganz besonders verdient das selten reichhaltige 
statistische Material — im ganzen etwa 140 zum Teil sehr umfang- 
reiche Tabellen — hervorgehoben zu werden. Bei Stichproben an den 
Tabellen habe ich' nur unbedeutende Zahlenabweichungen entdeckt. Auch 
hat der Verf. Gelegenheit, sich mit einer sehr großen Anzahl bank- 
theoretischer Probleme auseinanderzusetzen und kommt hier teilweise über 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 115 


die Bankprobleme im engeren Sinne hinaus, wegen seiner schon er- 
wähnten Polemik gegen die sozialistischen Kritiker der Nationalbank. 
Gegen seine Hauptthese, daß ein sozialistisches Banksystem erst dann 
möglich sei, nachdem die allgemeinen wirtschaftlichen Grundlagen dafür 
vorhanden seien, ist ja auch vom marxistischen Standpunkt aus nichts 
einzuwenden, aber ob er damit sowohl wie mit seiner Detailpolemik seine 
Gegner überall endgültig widerlegt hat, mag hier dahingestellt bleiben. 

Ausländische Bankverhältnisse sind verschiedentlich zum Vergleich 
herangezogen worden, leider scheint der Verf. hierbei nicht überall 
ganz zuverlässige Quellen benutzt zu haben. So wird von Schweden 
behauptet (II, 354), daß es eine Staatsbank haben müsse, um „das kaum 
erschlossene Land mit Kredit durchsetzen“ zu können — eine Auf- 
fassung, die auf ungenügende Orientierung über die schwedische Kredit- 
wirtschaft hindeutet. Von Deutschland wird I, 141 der Gewinnver- 
teilungsmodus der Deutschen Reichsbank falsch wiedergegeben, I, 237 
enthält falsche Angaben über die deutschen privaten Notenbanken, I, 327 
u. 335 wird behauptet, daß die Thaler noch gesetzliche Zahlkraft hätten. 

Doch das sind schließlich Detailfragen, die nicht den richtigen 
Gesichtspunkt liefern für die Beurteilung eines so groß angelegten 
Werkes. Für die Gesamtleistung wird man dem Verf., der schon auf 
eine sehr vielseitige nationalökonomische schriftstellerische Tätigkeit 
zurückblicken kann, sicherlich dankbar sein. Er hat wesentlich mit 
dazu beigetragen, daß die belgische Nationalbank jetzt zu den am gründ- 
lichsten untersuchten kleineren Zentralnotenbanken gehört. 


Nyköping, Schweden. Sven Helander. 


Cahn, Julius, Münz- und Geldgeschichte der im Großherzogtum 
Baden vereinigten Gebiete. Herausgegeben von der Badischen Histori- 
schen Kommission. I. Teil: Münz- und Geldgeschichte von Konstanz 
und des Bodenseegebietes im Mittelalter bis zum Reichsmünzgesetz von 
1559. X und 460 SS., mit 10 Tafeln und 1 Karte. Heidelberg (Carl 
Winters Universitätsbuchhandlung), 1911. 17,50 M. 

Die deutsche Geldgeschichte ist wohl eines der wichtigsten, bisher 
aber in bedauerlichster Weise vernachlässigten Gebiete der wirtschafts- 
geschichtlichen Forschung. Bei dem völligen Mangel an genügenden 
lokalgeschichtlichen Vorarbeiten hat auch bisher niemand den Ver- 
such wagen können, die Entwicklung des deutschen Geldwesens im 
Zusammenhang zu schildern. Die fortgesetzte Vernachlässigung eines 
so wichtigen und für die gesamte wirtschaftsgeschichtliche Erforschung 
der deutschen Vergangenheit grundlegenden Gebietes erklärt sich durch 
die außergewöhnlichen Schwierigkeiten, die besonders für die Behand- 
lung weit zurückliegender Zeiträume zu bewältigen sind. Hier, wo die 
urkundlichen Nachweise immer spärlicher werden und zur Erklärung 
der wichtigsten Vorgänge nicht mehr ausreichen, müssen oft als einzige 
Quelle die Münzen herangezogen werden, deren Bestimmung und Ver- 
wertung für die Geldgeschichte einen großen Apparat münzkundlicher 
Einzelforschung voraussetzt. Mit anderen Worten: eine ersprießliche 
Leistung auf dem Gebiet der mittelalterlichen Geldgeschichte ist ohne 

Sa 


116 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


die Vereinigung von numismatischen und wirtschaftsgeschichtlichen For- 
schungsergebnissen undenkbar. 

Von ähnlichen Erwägungen ist auch die Badische Historische 
Kommission ausgegangen, als sie ihr Programm aufstellte für die 
Herausgabe eines groß angelegten Werkes über die Münz- und Geld- 
geschichte der im heutigen Großherzogtum Baden vereinigten Gebiete, 
das von den frühesten Zeiten bis zum Jahre 1806 reichen sollte. 
Mit dieser schwierigen Aufgabe wurde Julius Cahn betraut, der sich 
bereits durch seine Bearbeitung der Straßburger Geldgeschichte und 
seine Darstellung des Rappenmünzbundes um die deutsche Geldgeschichte 
verdient gemacht hat. Als Ergebnis langjähriger Studien legt hier 
der Verf. den ersten Band des geplanten Werkes vor, der sich mit 
Konstanz und dem Bodenseegebiet im Mittelalter beschäftigt; eine Be- 
handlung der oberrheinischen Gebiete (Breisgau und Baar), der Ortenau 
und der eigentlichen Markgrafschaft Baden, eventuell auch der Pfalz 
ist vorgesehen. 

Die geradezu grundlegende Bedeutung des vorliegenden Werkes für 
die wirtschaftsgeschichtliche Forschung beruht auf der Beherrschung 
schwieriger münzkundlicher Einzelfragen und ihrer geradezu vorbild- 
lichen Verwertung für die Geldgeschichte.e Durch die Analysierung 
zahlreicher Münzfunde, die Bestimmung aufschriftloser Mittelalter- 
münzen und die Heranziehung eines zum Teil sehr entlegenen Urkunden- 
materials wird hier ein unerschöpflicher Reichtum von gesicherten 
Tatsachen erschlossen, die in bisher gänzlich dunkle Gebiete Licht 
bringen. Wieweit die von numismatischen Sachverständigen vorge- 
nommenen Berichtigungen von Einzelergebnissen berechtigt sind, ver- 
mag ich nicht zu beurteilen, jedenfalls ist aber der Ertrag dieser Arbeit 
für dio Wirtschaftsgeschichte ein außerordentlich großer und ich kann 
dem von Frhr. v. Schrötter ausgesprochenen Urteil nur beipflichten, 
daß hier zum erstenmal gezeigt wird, nach welchen Gesichtspunkten 
eine Geldgeschichte des deutschen Mittelalters bearbeitet werden muß!). 

Bei der Fülle der neu gewonnenen Ergebnisse muß hier darauf 
verzichtet werden, auch nur das Wesentlichste mitzuteilen; der reiche 
Inhalt kann nur in wenigen Strichen angedeutet werden. Nach ein- 
gehenden metrologischen Untersuchungen behandelt der Verf. die Ent- 
stehungsgeschichte der wichtigsten Münztypen und ihr Verbreitungs- 
gebiet, er untersucht den Münzfuß, das Gewicht und den Feingehalt der 
Münzen, schildert die fortschreitende Münzverschlechterung, die Münz- 
verrufungen, stellt die Silberpreise und das Wertverhältnis zwischen Silber 
und Gold fest usw., mit einem Wort, alle geldgeschichtlich bedeutsamen 
Fragen werden hier in peinlich genauer Weise und nach eingehender 
Quellenkritik untersucht. Stets bleibt dabei der Verf. in lebendigem 
Zusammenhang mit den Vorgängen der politischen und wirtschaftlichen 
Entwicklung und seine Studien über den Uebergang von der Natural- 
zur Geldwirtschaft verbreiten ganz neues Licht. Sie zeigen vor allem, 
in welch tiefgehender Weise die römische Kirche durch ihre Finanz- 


1) Frhr. v. Schrötter, Deutsche Literatur-Zeitung 1912, Spalte 764. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 117 


politik und die Erhebung der kirchlichen Abgaben in barem Geld die 
Ausbildung geldwirtschaftlicher Formen in deutschen Gebieten beein- 
flußt hat, die im 13. Jahrhundert noch in tiefster Naturalwirtschaft 
steckten. 

Die Wichtigkeit einer vom Verf. angeschnittenen Frage mag es 
rechtfertigen, daß an dieser Stelle etwas näher auf sie eingegangen 
wird. Es handelt sich dabei um die Ursachen der in der zweiten Hälfte 
des 16. Jahrhunderts einsetzenden Preisrevolution, für die man nach den 
abschließenden Untersuchungen von Wiebe die Gründe auf Seite des 
Geldes und auf Seite der Waren anzunehmen gewöhnt ist. Die herr- 
schende Meinung nimmt nun mit Wiebe an, daß auf Seite des Geldes 
die gewaltige Steigerung der Edelmetallproduktion zu einer Geld- 
entwertung geführt habe, die in einer entsprechenden Steigerung der 
Warenpreise zum Ausdruck gekommen sei. Demgegenüber hebt Cahn 
hervor — der übrigens sonderbarerweise die Arbeit von Wiebe gar nicht 
erwähnt, sondern sich auf die ähnliche Anschauung von Helfferich 
stützt —, daß die von ihm bearbeiteten Akten genau das Gegenteil er- 
weisen, daß infolge des überall herrschenden Mangels an Münz- 
metall die Silberpreise während des 16. Jahrhunderts fortwährend 
steigen und also von einer Geldentwertung in keinem Falle gesprochen 
werden kann. Diese Beobachtung, die ich aus eigenen Studien auch für 
andere deutsche Gegenden bestätigen kann, und die bei der Weiter- 
führung der Cahnschen Arbeit hoffentlich noch eingehendere Begrün- 
dung erfahren wird, legt es doch nahe, die längst für erledigt gehaltene 
Frage wieder aufzunehmen und aktenmäßig klarzustellen. Höchstwahr- 
scheinlich erklären sich die wirtschaftlichen Katastrophen des 16. und 
17. Jahrhunderts im letzten Grunde durch die für die münzberechtigten 
Stände stets wachsende Unmöglichkeit, sich das nötige Edelmetall zu 
beschaffen, denn die so sehr gesteigerte Produktion an Edelmetall reichte 
eben doch nicht aus, die Bedürfnisse des Wirtschaftslebens an ge- 
münztem Geld zu befriedigen. 

Wie sehr der Verf. bestrebt ist, den tiefsten Problemen der Wirt- 
schaftsgeschichte nachzugehen, soweit sich in seinem Material Anhalt- 
punkte ergeben, zeigt die Bezugnahme auf die Sombartsche Grund- 
rententheorie, die er für Konstanz widerlegt und sein Versuch, in dem 
von der kirchlichen Besteuerung für den Geistlichen freigelassenen 
Existenzminimum einen Anhaltpunkt für die Verschiebung der Kauf- 
kraft des Geldes zu gewinnen. Das hier angeschnittene Problem gehört 
zu den schwierigsten Fragen der wirtschaftsgeschichtlichen Forschung 
und trotz einer langen Reihe mühevoller Untersuchungen ist eine 
einigermaßen befriedigende Lösung bisher nicht gelungen. An der hier 
vorliegenden methodischen Schwierigkeit ist auch der Versuch des 
Verfassers gescheitert, denn wenn er (S. 134) feststellt, daß die Kauf- 
kraft des Geldes während der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts 
in der Diözese Konstanz 4!/,mal so groß war als heute, so ist seine 
Schlußfolgerung in dieser Verallgemeinerung nicht zutreffend. Es 
handelt sich hier doch nicht um die Kaufkraft des Geldes allgemein, 
sondern um seine Kaufkraft, gemessen an den Bedürfnissen 


118 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


gerade eines Geistlichen und unter Berücksichtigung des da- 
maligen Wertverhältnisses zwischen Silber und Gold. Dabei bleibt 
doch auch die Annahme des Verf. anfechtbar, daß sich die Bedürfnisse 
des unbedingt notwendigen Lebensaufwandes eines Geistlichen seit 1275 
im allgemeinen konstant erhalten haben. Abgesehen von den aus der 
Quellenstelle gezogenen zu weit gehenden Schlußfolgerungen bleibt na- 
türlich die Feststellung des als Existenzminimum anzusehenden Auf- 
wandes eines Geistlichen aus so entlegener Zeit für Vergleichszwecke von 
erheblicher Bedeutung. 

Die unliebsame Verspätung dieser Anzeige, bietet Gelegenheit, 
auf eine Streitfrage einzugehen, die bei der Besprechung des vorliegen- 
den Werkes in der numismatischen Literatur aufgeworfen wurde. Bei 
aller Anerkennung der Klarstellung münzkundlicher Einzelfragen durch 
den Verf. stimmen doch die numismatischen Sachverständigen zum 
größten Teil darin überein, daß der Verf. statt der von ihm gebrachten 
Abbildung und Beschreibung der in Frage kommenden Münztypen ein 
„Corpus nummorum‘, d. h. eine vollständige Verzeichnung aller über- 
haupt bekannt gewordenen Münzen des in Frage kommenden Gebietes 
hätte geben müssen. Friedensburg geht sogar soweit, zu behaupten, 
daß die Arbeit aus diesem Grunde den Eindruck des Unvollendeten 
hinterlasse, und daß der Verf. die ihm gestellte Aufgabe nicht in be- 
friedigender Weise gelöst habe!). Er spricht daher auch den Wunsch 
aus, die Badische Historische Kommission möchte sich nachträglich 
.noch zur Ausgabe eines vollständigen Münzverzeichnisses verstehen. 
In ganz ähnlicher Weise äußert sich Menadier, der in einer sich über 
14 Seiten erstreckenden Anzeige vor lauter numismatischem Kleinkram 
jedes Verständnis für die hier geleistete wissenschaftliche Arbeit ver- 
liert?2). Sogar Frhr. v. Schrötter, der trotz mancher erheblicher und 
teilweise berechtigter Ausstellungen die Gesamtleistung in hohem Maße 
würdigt, hält die Schaffung eines „Corpus nummorum“ für eine noch 
zu lösende Aufgabe. 

Die Auslassungen von Menadier und noch mehr von Friedensburg 
sind leider geradezu typisch für den Mangel an Verständnis für die 
wahren Ziele geldgeschichtlicher Forschung, der in weiteren Kreisen 
der Numismatiker herrscht. Es ist doch geradezu betrübend, wenn 
man aus der fast einen Druckbogen umfassenden Anzeige eines so 
hervorragenden Spezialisten und Münzkenners wie Menadiers den Ein- 
druck gewinnen muß, daß der Kritiker überhaupt nicht verstanden hat, 
was hier gewollt ist. Daß vom Standpunkt des Münzsammlers und im 
Interesse des Museumsfachmannes ein „Corpus nummiorum“ sehr er- 
wünscht ist, wird niemand bestreiten, allein für die Darstellung einer 
Münz- und Geldgeschichte muß es doch wahrhaftig genügen, die Münz- 
typen abzubilden und zu beschreiben, wie es ja auch von Cahn geschehen 
ist. Jedenfalls würde die Badische Historische Kommission mit der 


1) F. Friedensburg, Literarisches Zentralblatt 1912, Spalte 224/228. 
2) Menadier, Zeitschrift für Numismatik, Jahrg. 1913, S. 389—402. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 119 


Inangriffnahme eines solchen Münzkataloges einen bedauerlichen Irr- 
weg beschreiten, von dem nur dringend abgeraten werden kann. Ein- 
mal würde die in Aussicht genommene Weiterführung des vielver- 
sprechenden Werkes nur noch weiter hinausgeschoben, als dies bei der 
Schwierigkeit der Aufgabe und der Mühseligkeit der Stoffsammlung 
ohnehin nötig sein wird. Schließlich sind aber auch solche landes- 
geschichtlichen Publikationsinstitute doch nicht dazu da, die überaus 
zeitraubenden und kostspieligen Sonderwünsche eines kleinen Kreises 
von Sammlern und Museumsbeamten zu erfüllen. Bei dem unerschöpflich 
großen Bereich ihrer Aufgaben und den gewöhnlich sehr beschränkten 
finanziellen Mitteln haben die historischen Kommissionen alle Ur- 
sache, sich auf die Förderung dringlicher und einem größeren Kreis 
zugute kommender Forschungen zu beschränken. 
Dresden. Karl Bräuer. 


Ecker, Dr. Fr., Feuerversicherungswert und Interesse. Borna, Robert Noske, 
1914. gr. 8. XIII—100 SS. M. 2,40. 

Fantl, Dr. Gust., Die volkswirtschaftlichen Gefahren des Buchforde- 
rungskredites und ihre Bekämpfung. Wien, Manz, 1914. 8. 34 SS. M. 0,85. 

Hauser, Dr. Rich., Die amerikanische Bankreform. Jena, Gustav Fischer, 
1914. gr. 8. IV—99 SS. M. 3.—. 

Herzog (techn. Konsulent, Ingen.), S., Handbuch der industriellen Finan- 
zierungen. Ratgeber für die Durchführung von Kapitalbeschaffungen und Finan- 
zierungen von industriellen Unternehmungen. Mit 53 (eingedruckten) Formularen, 
Stuttgart, Ferd. Enke, 1914. Lex.-8. XI—424 SS. M. 13.—. 

Hildebrand, Rich., Ueber das Wesen des Geldes. Jena, Gustav Fischer, 
1914. gr. 8. 49 SS. M. 1,20. 

Lexis (Geh. Ober-Reg.-Rat), Prof. Dr. Wilh., Das Kredit- und Bank- 
wesen. (Sammlung Göschen. No, 733.) Berlin und Leipzig, G. J. Göschen, 1914. 
kl.8. 165 SS. M. 0,90. 

Patzauer (Finanzrat), Dr. Hans, Die Reform der amerikanischen Noten- 
banken (The federal reserve act vom 23. Dezember 1913). (Aus: „Jahrbuch 1914 
der Gesellschaft österreichischer Volkswirte‘“.) Wien, Manz, 1914. gr.8. 31 SS. 
M. 0,70 

Schlegel (gew. Abteilungschef), Eugen, Aus dem Versicherungswesen. 
Zürich, Orell Füßli, 1914. kl. 8. 176 SS. M. 1,60. 

Schmidt, Dr. Alfred, Geschichte des englischen Geldwesens im 17. und 
18. Jahrhundert. (Abhandlungen aus dem staatswissenschaftlichen Seminar zu 
Straßburg i. E., hrsg. von G. F. Knapp und W. Wittich. 32. Heft.) Straßburg 
i. E., Karl J. Trübner, 1914. gr. 8. XI—204 SS. M. 6,20. 

Strieder (Privatdoz.), Jak., Studien zur Geschichte kapitalistischer Or- 
ganisationsformen. Monopole, Kartelle und Aktiengesellschaften im Mittelalter und 
zu Beginn der Neuzeit. München und Leipzig, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. 
XXIX—486 SS. M. 12.—. 


Baudin, Pierre, L’argent de la France. Paris, Bernard Grasset, 1914. 
16. XXXVI—326 pag. 

Hart, Heber L., The law of banking. 3rd ed. London, Stevens and 
Sons. Royal 8. 32/.—. 

Hobson, C. K., The export of capital. London, Constable. 8. 290 pp. 7/.6. 
Temple, E., Interest, gold, and banking. London, Wilson. 8. 6/.—. 
Ascoli, prof. Alfr., La nuova legge sulle borse. Milano, Società editrice 

libaria (tip. Indipendenza), 1913. 8. 33 pp. 
Luzzatti, Giac., Valori e prezzi nei loro rapporti con la moneta, con 
la banca e con la borsa. Padova, fratelli Drucker, 1913. 8. 212 pp.l. 5.—. 


120 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


9. Soziale Frage. 


Rechtsfrage des Arbeitstarifvertrags: 1. Haftung und 
Abdingbarkeit, von Prof. Dr. W. Zimmermann. 2. Brauchen wir ein 
Arbeitstarifgesetz? von Rechtsanwalt Dr. Hugo Sinzheimer. Heft 42/43 
und Heft 44 der Schriften der Gesellschaft für soziale Reform. Jena 
(G. Fischer) 1913. 

Die Gesellschaft für soziale Reform hat auf ihrer letzten Tagung 
im September 1913 zu Düsseldorf die Frage, wie der Arbeitstarif- 
vertrag am zweckmäßigsten gesetzlich zu regeln sei, eingehend be- 
raten. Als Unterlage diente ihr dafür das Ergebnis der Untersuch- 
ungen, die sie zuvor durch ihren Arbeitsrechtausschuß für diesen Zweck 
hatte vornehmen lassen. In Anbetracht der Schwierigkeiten und des 
Umfangs des Gesamtproblems hatte die Gesellschaft diese Untersuch- 
ungen auf die beiden wichtigsten Teilprobleme der Abdingbarkeit des 
Tarifvertrags und der Haftung für seine Verletzung beschränkt, zu- 
mal deren Erledigung die Vorbedingung für eine erschöpfende und er- 
giebige Behandlung aller übrigen Punkte bildet. Es wurde eine Um- 
frage bei denjenigen in möglichst weitem Umfang einbezogenen Ver- 
bänden und Personen der verschiedensten Richtungen, die mit Tarif- 
vertragsfragen beständig praktisch zu tun haben, vorgenommen durch 
Zusendung eines von ihnen auszufüllenden umfangreichen Fragebogens, 
dem ein orientierender „Wegweiser‘‘ beigegeben war. Die Versendung 
erfolgte an 26 Einzelpersonen, 17 größere Gewerbegerichte, 24 Arbeit- 
geber- und Unternehmerverbände, an die Generalkommission der freien 
Gewerkschaften und sechs der größten derselben, an das General- 
sekretariat des Gesamtverbandes der christlichen Gewerkschaften und 
5 Zentralverbände derselben, endlich an den Generalrat der Hirsch- 
Dunckerschen Gewerkvereine und drei der letzteren selbst. Von den Ar- 
beitnehmerorganisationen wurden dabei die an der Tarifvertragspraxis 
am stärksten beteiligten ausgewählt. Die Schrift von Zimmermann be- 
richtet nun, ohne neue Gedanken oder Gesichtspunkte zum Tarif- 
vertragsproblem hinzuzubringen, über das Ergebnis dieser Umfrage. 
"Eine Uebersicht über Haftung und Abdingbarkeit im Tarifvertragsrecht 
des Auslandes ist ihr beigegeben. Die Schrift von Sinzheimer unter- 
zieht das Gesamtproblem selbst einer gedrängten und exakten kriti- 
schen Untersuchung. 

Aus der ersten Schrift, der der Wortlaut des Fragebogens und des 
Wegweisers beigegeben sind, ergibt sich, daß von 84 befragten Stellen 
nur 17 brauchbare Antworten eingegangen sind, nämlich von 4 Ge- 
werbegerichten (Bremen, Breslau, Krefeld, Hamburg), 6 praktischen 
Sozialpolitikern, von der Generalkommission der freien Gewerkschaften, 
dem christlichen Generalsekretariat, dem Gutenbergbund (der christ- 
lichen Buchdruckergewerkschaft), dem Zentralrat der Hirsch-Duncker- 
schen Gewerkvereine und dem Gewerkverein der Maschinenbauer, end- 
lich — als einzigen beiden Gutachtern von der Arbeitgeberseite — von 
dem Allgemeinen Deutschen Arbeitgeberverband für das Schneider- 
gewerbe und dem Syndikus der Düsseldorfer Handwerkskammer. Mit 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 191 


einem starken Optimismus wird dieses Ergebnis „keineswegs un- 
günstig“ genannt. Auf der Arbeitgeberseite ist es jedenfalls ein geradezu 
klägliches, entspricht aber durchaus der beständigen Haltung dieser 
Seite gegenüber der Tarifvertragsstatistik des Kaiserlichen Statisti- 
schen Amtes. 

Aus der Fülle der nach dem Umfrageschema zusammengestellten 
Antworten sei als besonders bemerkenswert hervorgehoben, daß die 
Hauptgruppen der Arbeiterorganisationen den gegenwärtigen Rechts- 
zustand zwar für unbefriedigend, aber doch noch für praktisch erträglich 
halten. Doch wird die Abdingbarkeit für unvereinbar mit Treu und 
Glauben und mit dem Zweck des Tarifvertrags erklärt. Ueber das 
Surrogat einer verbesserten Vertragstechnik statt gesetzlicher Regelung 
äußern sich die freien Gewerkschaften noch am günstigsten. Es ist 
freilich im Hinblick auf ihr Interesse an der Erhaltung ihrer guten 
Vermögens- und Einnahmeverhältnisse vollkommen verständlich, wenn 
sie antworten, daß es gar keiner besonderen Haftung bedürfen wird, 
sondern nur einer heute leider noch nicht bestehenden ungehinderten Ent- 
wicklung und Betätigung der Organisationen. Darüber, wer für Tarif- 
vertragsverletzungen haften soll, Verband, Mitglieder oder beide noben- 
einander, gehen die Meinungen stark auseinander. Gegen die Haftung 
der Verbandsorgane wenden sich vor allem die Arbeitnehmer. Auch 
von der Verleihung der Rechtsfähigkeit an die Berufsvereine wollen sie 
im Gegensatz zu den meisten anderen Gutachtern nichts wissen. Sie 
halten die Einführung der Aktivlegitimation des Vorstandes zur Er- 
hebung von Klagen aus Tarifverträgen für ausreichend. In der Frage, 
womit und in welchem Umfang gehaftet werden soll, gehen die Mei- 
nungen je nach der Stellung zur Frage, wer haften soll, auseinander, 
doch besteht natürlich auf Arbeiterseite das Bestreben, die Haftung 
der Verbände möglichst zu beschränken. Bei dem Punkte, wofür ge- 
haftet werden soll, ist das Zugeständnis der freien Gewerkschaften 
bemerkenswert, daß während der Tarifdauer Symphathiestreiks und 
-Aussperrungen unzulässig sein sollen. Daß ein tarifzugehöriger Arbeit- 
geber auch unorganisierte Arbeiter nicht unter dem Tarif entlohnen darf, 
ist strenge Forderung der Arbeitervertretungen. Die freien Gewerk- 
schaften sind auch unbedingt gegen die Zulassung einer sei es auch 
nur begrenzten Abweichung vom Tarifvertrage durch den Arbeitgeber 
bei Konjunkturniedergang. Die anderen Gutachter sind zumeist bereit, 
wenigstens dahingehende Abmachungen im Tarifvertrage selbst zu- 
zulassen. Darüber, daß es den Verbänden rechtlich ermöglicht werden 
müsse, sich von der Verantwortung für tarifwidrige Handlungen ihrer 
Mitglieder zu befreien, sind fast alle einig, wenn auch die einzelnen po- 
sitiven Vorschläge dabei sehr auseinandergehen. Die christlichen Ge- 
werkschaften erwarten nur vom Ausschluß des schuldigen Mitglieds 
die erforderliche Wirkung. Die Beseitigung der Abdingbarkeit des 
Tarifvertrags durch den Einzelarbeitsvertrag wird von der Arbeiter- 
seite allgemein, von anderen Gutachtern nicht schlechthin gefordert. 
Mit Ausnahme von 3 Sozialpolitikern treten alle Gutachter auch für 
die unbedingte rechtliche Vorherrschaft des Tarifvertrags vor der Ar- 


122 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


beitsordnung und für die Nichtigkeit jeder tarifwidrigen Arbeitsord- 
nung ein. Mit nur je einer Ausnahme sind auch alle dafür, daß es 
zur gesetzlichen Pflicht sowohl den tarifgebundenen Arbeitgebern ge- 
macht: wird, in ihrer Arbeitsordnung den Tarif für maßgebend zu er- 
klären, als auch den Behörden, welche die Arbeitsordnung zu genehmigen 
haben, für die Uebereinstimmung beider zu sorgen. 

Anı Schlusse wird eine Zusammenstellung der Richtlinien ver- 
sucht, die sich aus der Masse der gutachtlichen Aeußerungen, soweit 
diese übereinstimmen oder sich wenigstens mehr oder weniger ein- 
ander nähern, für eine gesetzgeberische Regelung gewinnen lassen. 

In der zweiten Schrift gibt Sinzheimer eine außerordentlich klare 
und scharfsinnige Darstellung des Tarifvertragproblems von seiner recht- 
lichen Seite. An die Vorführung der bisherigen Behandlung der Ge- 
setzgebungsfrage schließt sich eine kritische Prüfung des bestehenden 
Tarifrechts. Die Fülle und Komplexität der Einzelfragen dieses weiten 
Gebietes wird hier mit sicherer Hand bemeistert zu einer gedrängten, 
übersichtlichen Zusammenfassung und kurzen kritischen Erörterung 
aller wesentlichen Punkte des Gesamtproblems. Knappheit und Gründ- 
lichkeit der Darstellung in glücklicher Vereinigung, Schlüssigkeit der 
Ableitungen und geschickte Ueberführung aller Fäden auf das zu 
erschließende Gebiet einer neuen, an das bewährte Alte anschließenden, 
aber von sozialem Geiste durchtränkten Arbeitsverfassung zeichnen die 
Arbeit aus. Untersucht wird zunächst das Tarifvertragsrecht in seinen 
Grundbeziehungen (persönlicher Geltungsbereich, rechtliche Kraft der 
Arbeitsnormen und Haftung für Friedensbruch), sodann der Rechts- 
schutz des Tarifvertrags und das Berufsvereinsrecht. Bei der Haftungs- 
frage wird festgestellt, daß ein gesetzgeberisches Eingreifen nicht aus 
Furcht vor Haftbarmachung der Berufsvereine abgelehnt werden kann. 
Denn diese gesetzliche Haftung besteht schon jetzt in scharfer und aus- 
gedehnter Weise. Nur ihre Aufrechterhaltung oder Verbesserung kann 
fraglich sein. 

Im zusammenfassenden Ergebnis wird die völlige Unzulänglich- 
keit des bestehenden Tarifrechts aufgezeigt. Daran schließt sich die 
Prüfung des Einwandes, ob bei diesem Versagen des objektiven Rechts 
es nicht wenigstens möglich ist, durch die Mittel der rechtlichen Selbst- 
hilfe und der freien Entwicklung des bestehenden Rechtes zu ciner be- 
friedigenden Tarifrechtsgestaltung zu gelangen. Dafür kommen in Be- 
tracht: Vertragstechnik, Gewohnheitsrecht und Rechtsprechung. Alle 
drei werden sorgsam geprüft, aber das Ergebnis ist ein ganz gleich- 
artiges. Auch diese Mittel vermögen nicht, die Mängel des geltenden 
Rechts zu beseitigen und das Bedürfnis nach einer neuen gesetzlichen 
Gestaltung zu unterdrücken. Wohl ist der Tarifvertrag eine freie 
Schöpfung des sozialen Lebens, hervorgegangen aus dem freien Spiel 
seiner organisierten Kräfte. :Aber er lebt im Recht und bleibt darum 
auf dieses angewiesen. :Wie dieses Recht beschaffen sein soll, wird am 
Schluß in großen Zügen angedeutet. Es muß ein wirkliches, ein le- 
bendiges und ein soziales Recht sein. Das will sagen: Berufsvereine 
müssen als Schöpfer und Träger der Tarifverträge vorurteilslos an- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 193 


erkannt werden, der soziale Grundgedanke des Tarifvertrags muß rein 
und klar zum Ausdruck kommen und das neue Recht muß einfach und 
beweglich sein. Einfach, indem es in erster Linie an die Entwicklung, 
nicht an den möglichen Mißbrauch der Tariffreiheit denkt, beweglich, 
indem es statt starrer Definitionen nur Anweisungen für das Ver- 
halten und für den Richterspruch, und statt unabänderlicher Rechts- 
sätze anpassungsfähige Vorschriften bringt. Die paritätische Selbstver- 
waltung muß die innere Triebkraft des Ganzen sein. Zur Konzentrierung 
aller Bestrebungen und zu gemeinsamer Arbeit nach dieser Richtung 
werden Sozialpolitiker und Juristen im Schlußwort der wohlgelungenen 
kleinen Schrift aufgerufen. 


Marburg a. d. Lahn. H. Köppe. 


Lachmann, Karl, Die Unfallverhütung in der Baumwoll- 
spinnerei, ihre Entwicklung, Wirtschaftlichkeit und Erfolge. Volks- 
wirtschaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen. Neue Folge, 
Heft 23. Karlsruhe i. B. (G. Braunsche Hofbuchdruckerei und Ver- 
lag), 1913. Geheftet 3,60 M. 

Das Werk des Verfassers entstammt seinen praktischen Erfah- 
rungen. Ein zehnwöchiger Aufenthalt ohne Ausnahmestellung in einer 
großen Baumwollspinnerei, eine siebenwöchige Informationsreise, ver- 
bunden mit dem Studium der Verhältnisse bei sechs zuständigen Berufs- 
genossenschaften in den verschiedensten Teilen Deutschlands und eine 
11/,-jährige Praxis im Gewerbeaufsichtsdienst gaben die Grundlage 
für die Bearbeitung. Können die schwierigen Fragen der Unfallver- 
hütung in der ersten Großindustrie erschöpfend in der angegebenen Zeit 
nicht erfaßt werden, so steigt der Wert des Buches durch die benutzte 
Literatur. Die schriftlichen Aufzeichnungen verschiedener Einzelper-- 
sonen und Mehrheiten von Personen, welche unter anderem die Unfall- 
verhütung in der Industrie als einen Teil ihrer Berufstätigkeit be- 
trachten, haben dem Verfasser zur Vervollkommnung seiner Arbeit 
gedient. Sie ließen ihn eine Abhandlung von Bedeutung für alle in 
der Praxis Beteiligten und von Wert für die eingeweihten Kreise 
schreiben. Der ausführliche Abschnitt über die Bekämpfung der Un- 
fallverhütung gibt Anregungen für die Praxis. Die umfangreichen, 
an Hand des bedeutenden Stoffes der Berufsgenossenschaften zu- 
sammengetragenen statistischen Uebersichten lassen die Verteilung der 
Unfälle auch auf die Geschlechter und die einzelnen Maschinen in auf- 
klärender Weise erkennen. Das Buch bringt, was seine Aufschrift 
besagt, sachlich für Deutschland. 

Fulda. ? Schultze. 


Bernhard, E. Die Vergebung der öffentlichen Arbeiten in 
Deutschland im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. (Schriften der Deut- 
schen Gesellschaft zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Heft 1.) Berlin 
(Heymann) 1913. 55 SS. 

Die Erkenntnis der Unzweckmäßigkeit von Notstandsarbeiten kommt 
bei den deutschen Staats- und Gemeindebehörden immer häufiger in 


124 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


der prinzipiellen Wendung zum Ausdruck, daß man durch rechtzeitige 
Arbeitsverschiebungen vorbeugende Maßnahmen gegen den Arbeits- 
mangel flauer Geschäftszeiten treffen könne. Freilich sah man im letzten 
Jahrzehnt die Staatsregierungen diesem Probleme „immer erst ihre volle 
Aufmerksamkeit zuwenden, wenn der Notstand offenbar und die Ge- 
legenheit für vorbeugende Maßnahmen vorüber war. Inzwischen hatte 
aber bereits ein Teil der Kommunen die Aufgaben erkannt, die sich 
auf diesem Gebiet für die öffentlichen Körperschaften ergaben‘ (S. 19). 

Dio Vorteile einer systematischen Verschiebung öffentlicher Ar- 
beiten wie Lieferungen auf Zeiten eines schwachen Geschäftsganges 
liegen im folgenden: die Einrichtung besonderer Notstandsarbeiten, 
die für die Besteller meist unökonomisch sind, fällt fort; die Arbeits- 
losen erfahren keine Schmälerung ihrer Verdienstaussichten, finden in 
ihrem Fache Beschäftigung und erleiden keine Einbuße an ihrer Ge- 
schicklichkeit; derartige Arbeiten ergeben kaum finanzielle Verluste, 
der Aufwand wird vielmehr sogar durch Ersparnis an Armen-, Kranken- 
und Arbeitslosenunterstützung eingebracht und die Preise sind in Zeiten 
der Depression niederer, die Geldbeschaffung leichter. Dabei geben in 
Deutschland Reich, Staat und Gemeinde im Jahr 5—6 Milliarden M. 
für öffentliche Arbeiten und Lieferungen auf, und die Rückstellung 
weniger Prozente davon würden zur Behebung der ärgsten Uebel arbeits- 
schwacher Zeiten hinreichen, ohne etwa in den Zeiten des geschäftlichen. 
Aufschwunges weitere Folgen für die Arbeiter zu haben, als ein Ein- 
dämmen des Hetztempos der Betriebe und teilweises Ersparen von 
Ueberstunden und Nachtschichten. 

Freilich setzt eine derartige Orientierung der öffentlichen Wirt- 
schaften auch budgetäre Aenderungen (Erstreckung der Verwaltungs- 
dauer bestimmter Kredite und die Schaffung besonderer oder allgemeiner 
Reserven) voraus. 

Wien. E. Schwiedland. 


Eberstadt (Doz.), Prof. Dr. Rud., Neue Studien über Städtebau und 
Wohnungswesen. 2. Bd. Städtebau und Wohnungswesen in Holland. Jena, Gustav 
Fischer, 1914. Lex.-8. VI—456 SS. mit 107 Abbildungen. M. 12.—. 

Fernau, Herm., Die französische Demokratie. Sozialpolitische Studien 
aus Frankreichs Kulturwerkstatt. München u. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1914. 
8. IV—350 SS. M. 5.—. 

Gehrig, Prof. Dr. Hans, Die Begründung des Prinzips der Sozialreform. 
Eine literarische Untersuchung über Manchestertum und Katledersozialismus. 
(Sozialwissenschaftliche Studien, hrsg. von H. Waentig. Bd. 2.) Jena, Gustav 
Fischer, 1914. gr.8. V—381 SS. M. 8.—. 

Gnauck-Kühne, Elisab., Das soziale Gemeinschaftsleben im Deut- 
schen Reich. Leitfaden der Wirtschafts- und Bürgerkunde für höhere Schulen, 
X und zum Selbstunterricht. M.-Gladbach, Volksvereinsverlag, 1914. 8. 190 SS. 

. 1,20. 

Jopke, Dr. Georg, Die Entwicklung der Grundstückspreise in der Stadt 
Posen. Beiträge zur allgemeinen Theorie der städtischen Bodenrente und zur Woh- 
nungsfrage. Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. VII—106 SS. mit 1 Plan. M.3.—. 

Kuske, Dr. Bruno, Die städtischen Handels- und Verkehrsarbeiter und 
die Anfänge städtischer Sozialpolitik in Köln bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. 
(Kölner Studien zum Staats- und Wirtschaftsleben, hrsg. von P. Aberer, Chr, 


Eckert, J. Flechtheim u. a. Heft 8.) Bonn, A. Marcus u. E. Weber, 1914. gr. 8. 
VIII—118 SS. M. 3.—. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 125 


Lang (Landesbauinsp.), Rich., Submissionswesen und Handwerkernot 
Ein Ueberblick. Leipzig, J. J. Arnd, 1914. Lex.-8. 62 SS. M. 1,50. 

Rothe, Arth., Das soziale Rätsel. Die Lösung der sozialen Frage 
durch Warenökonomie und Genußerhöhung. Dresden, Holze u. Pahl, 1914. 8. 
191 SS M. 2,75. $ 

Sozialpolitik, Kommunale. Die Sonntagsruhebestimmungen im Handels- 
gewerbe in deutschen Städten und Gemeinden mit mehr als 5000 Einwohnern. 
Zusammengestellt auf Grund behördlicher Auskünfte nach dem Stande vom 1. April 
1914. (31. Schrift des Verbandes deutscher Handlungsgehilfen zu Leipzig.) 
Leipzig, Verband deutscher Handlungsgehilfen, 1914. gr. 8. 55 SS. M. 0,50. 


Bourgeois, L., La politique de la prévoyance sociale. Paris, E. Fas- 
quelle. 18. fr. 3,50. 

Question (la) sociale, Sa solution corporative. Paris, A. Noël, 1914. 
16. 83 pag. 75 cent. 

Richard (prof.), Gaston, La question sociale et le mouvement philo- 
sophique au XIXe siècle. Paris, Armand Colin, 1914. 16. XII—363 pp. fr. 3,50. 

Vielleville, Dr. A., Les systemes Taylor (these). Paris, impr. Vielle- 
ville, 1914. 8. 162 pag. 

Creighton, Louise, The social disease and how to fight it. A re- 
jeinder. London, Longmans. Cr. 8. 88 pp. 1/.—. 

Munsterberg, Hugo, Psychology and social sanity. London, Unwin. 
Cr. 8. 332 pp. 5/—. 

Schreiner, Olive, Woman and labour. London, T. F. Unwin. Cr. 8, 


"e pp. 2/—. 
10. Genossenschaftswesen. 


Jacob, Eduard, Volkswirtschaftliche Theorie der Genossen- 
schaften. Tübinger Staatswissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von 
Carl Johannes Fuchs in Verbindung mit Ludwig Stephinger, 
neue Folge Heft 1. Stuttgart ON. Kohlhammer) 1913. XVII u. 401 SS. 

Verf. geht von der Bemerkung Crügers aus, daß das Ge- 
nossenschaftswesen in der Wissenschaft zu kurz gekommen sei: 
vw... Wir haben wohl das bahnbrechende Werk von Gierke über die 
Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft; in den Lehrbüchern der 
Volkswirtschaft spielt das Genossenschaftswesen jedoch keine große Rolle, 
in der Regel wird es mit einigen Sätzen erledigt ...“ Auch Wygod- 
zinski, dessen Buch ‚Das Genossenschaftswesen in Deutschland“ Ja- 
cob mit vollem Recht als die streng wissenschaftliche zusammenfassende 
Darstellung des deutschen Genossenschaftswesens rühmt, schreibt in 
dieser Beziehung: „Die umfangreiche Literatur des Genossenschafts- 
wesens hat sich zumeist von vornherein ganz andere Ziele gesteckt als 
die des Lehrbuchs. Eine große Zahl dieser Schriften gehört in die 
Kategorie der Anleitungen, die als Leitfaden für praktische Arbeit 
dienen wollen; ein zweiter, nicht minder beträchtlicher Teil wird von 
den Streitschriften gebildet, in denen die wehrhaften Anhänger der 
allzu zahlreichen Systeme von ihren Ansichten Rechenschaft ablegen. 
Einen weiteren Anteil beanspruchen die Jahrbücher und Zeitschriften 
der verschiedenen Verbände, die, als Quelle jeder Forschung unschätzbar, 
auch durch die Fülle der in ihnen niedergelegten Erfahrungen und Er- 
Örterungen ungemein verdienstvoll sind. Der Rest endlich verteilt sich 
auf die wissenschaftlichen Untersuchungen historischer, theoretischer 
und ökonomischer Art. Abgesehen von der recht gut durchgearbeiteten 


126 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Genossenschaftsgeschichte bleibt hier noch viel zu tun übrig. In der 
offiziellen Nationalökonomie ist das Genossenschaftswesen, von wenigen 
glänzenden Ausnahmen abgesehen, fast ganz den Doktoranden überlassen 
worden.“ Durch das erwähnte Wygodzinskische Werk sei nunmehr 
eine der fühlbarsten Lücken in unserer genossenschaftlichen und volks- 
wirtschaftlichen Literatur überhaupt ausgefüllt. Was jetzt noch am 
meisten nottue, sei eine auf streng wissenschaftlicher Grundlage und 
unter Berücksichtigung des neuesten Standes der Forschung bearbeitete 
eingehende Darstellung des wirtschaftlichen Wesens der Genossenschaft 
und der damit verknüpften genossenschaftlichen Probleme. Diese Lücke 
auszufüllen sei der Zweck des ersten Teiles der vorliegenden Arbeit, die 
kein Lehrbuch des Genossenschaftswesens, aber eine Ergänzung zu 
unsern Lehrbüchern sein soll. 

So behandelt denn Jacob in einer Einleitung die Entstehungs- 
ursachen der modernen Genossenschaften und ihre Aufgaben und Ziele 
im allgemeinen und wirft dann einen kurzen Blick auf die Phasen 
der Genossenschaftsgesetzgebung. Der erste Teil behandelt darauf „Das 
wirtschaftliche Wesen der Einzelgenossenschaft‘“. Erörterung finden 
hier folgende Punkte: der personalgemeinschaftliche Charakter der Ge- 
nossenschaft, die Entstehung und die Auflösung der Genossenschaft, 
der streng persönliche Charakter des Erwerbs und der Beendigung der 
Mitgliedschaft bei der Genossenschaft, die persönliche Haftpflicht der 
Genossen, die dienende Stellung des Kapitals bei der Genossenschaft, 
der demokratische Charakter derselben, die Teilnahme der Genossen an 
den Wirtschaftsvorteilen der Genossenschaft nach Maßgabe der In- 
anspruchnahme des Betriebs und die Genossenschaft als Gesellschaft 
von nicht geschlossener Mitgliederzahl. Ein weiteres Kapitel in diesem 
Teile zeigt, daß die Genossenschaft der Förderung des Erwerbs oder 
der Wirtschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäfts- 
betriebes dient und rollt die Prinzipienfragen der Selbsthilfe und der 
Staatshilfe auf. Den Schluß dieses Teiles bildet die Definition der 
Genossenschaft, die sich mit der üblichen Auffassung deckt; sie bietet 
zugleich Gelegenheit, die „reinen“ Genossenschaften von den Genossen- 
schaften „mit Entartungserscheinungen“ und von den „formalen“ Ge- 
nossenschaften zu trennen. Bei den letzteren nehme die Entartung 
einen derartigen Umfang an, daß sie nur mehr dem Namen bzw. der 
Rechtsform nach noch Genossenschaften sind. Ein zweiter Teil be- 
schäftigt sich mit der systematischen Gruppierung der Genossenschaften. 
Hier finden die bekannten Einteilungen von Petersilie, Schulze- 
Delitzsch, Oppenheimer und Kaufmann Besprechung. Hier 
liegt denn auch der eigentliche Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit, 
gibt doch Jacob an dieser Stelle neue Vorschläge einer systematischen 
Gruppierung der Genossenschaften. Der dritte Teil behandelt „Die ge- 
nossenschaftlichen Organisationen höherer Ordnung“, also die Zentral- 
genossenschaften und sonstigen genossenschaftlichen Zentralgebilde und 
die Genossenschaftsverbände. Der vierte Teil wendet eich zunächst dem 
Neutralitätsprinzip in der Genossenschaftsbewegung zu. Die bloße 
Inhaltsangabe der Paragraphen des Inhaltsverzeichnisses weist schon die 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 127 


Resultate auf, zu denen Jacob gelangt: die Genossenschaften sollen sich 
nicht an politische Parteien anschließen und sich auch sonst nicht mit 
außerhalb ihres Interessenbereiches liegenden öffentlichen Angelegen- 
heiten befassen. Die Genossenschaften sollen weder eine Institution des 
Klassenkampfes noch das Werkzeug einer bestimmten Religion sein. 
Und auch die Frage: „Ist in der Aufstellung genossenschaftlich-soziali- 
stischer Programme eine Verletzung des Neutralitätsprinzips zu er- 
blicken ?“ findet ihre Beantwortung. Der Schluß dieses Teiles ist dem 
produktivgenossenschaftlichen und dem konsumgenossenschaftlichen So- 
zialismus gewidmet. Eine prinzipielle Zusammenfassung über Ko- 
operatismus, Sozialismus und Individualismus beschließt das Werk. 
Verf. bemüht sich hier in bisher allgemein üblicher Weise die Grenzen 
der einzelnen Genossenschaftsarten aufzuweisen und glaubt zu dem 
— freilich etwas unbequemen — Satz kommen zu können, daß, wie allen 
Wirtschaftsformen so auch der genossenschaftlichen eine Grenze für 
ihre Anwendbarkeit gezogen sei. Er beruft sich dabei auf Bourguin, 
der in seinem bekannten Werke „Die sozialistischen Systeme und die 
wirtschaftliche Entwicklung‘ einmal ausspricht, daß kein radikales 
System, „weder der absolute Individualismus, noch der vollständig 
durchgeführte Kollektivismus oder der verallgemeinerte Kooperatismus’ " 
ausreicht, um einen so komplizierten Organismus wie den der heutigen 
Gesellschaft, vollständig in sich aufzunehmen“. Im Kampfe dieser 
Prinzipien, um die Herrschaft, meint Jacob, werde es sich vielmehr 
immer nur um ein Mehr oder Weniger handeln können. — 

Schon dieses bloße Inhaltsverzeichnis zeigt die Fülle der ge- 
nossenschaftlichen Probleme, die Jacob in seiner Arbeit aufrollt. Es 
ist ganz unmöglich, an dieser Stelle die Grundzüge der einzelnen Kapitel 
wiederzugeben oder gar kritische Bemerkungen daran anzuknüpfen. Es ist 
unmöglich, aber auch — so merkwürdig es klingen mag — unnötig; denn 
abgesehen von wenigen Einzelfragen kommt Jacob in den meisten Fragen 
zu keinem Ergebnis, das von den bisher üblichen Auffassungen, die 
sich in den genossenschaftlichen Lehrbüchern finden, erheblich abweicht. 
Wer z. B. die genossenschaftlichen Lehrbücher von Crüger, Lin- 
decke, Wygodzinski, Finck gelesen hat, vielleicht auch noch die 
eine oder andere Monographie herangezogen hat, dem wird das Jacob- 
sche Buch kaum noch etwas prinzipiell Neues bieten können, abgesehen 
natürlich von der einen oder anderen Detailausführung und von den 
Fragen, die ich nachher noch einer Betrachtung unterziehen will. 
Wozu muß denn noch einmal, ausgerechnet in einer „volkswirtschaft- 
lichen Theorie der Genossenschaften“, auf 150 Seiten eine Inhaltsangabe 
des Genossenschaftsrechts, die doch jedes Lehrbuch bietet, gegeben 
werden ? Wenn Verf. der Meinung war, genossenschaftlich-rechtliche 
Kenntnisse nicht bei jedem Leser voraussetzen zu können, so konnte er 
sich doch gut auf den dritten Teil des Raumes beschränken. Wygod- 
zinski z. B. hat knapper und präziser das Genossenschaftsrecht be- 
handelt. Der Raum hätte entschieden Verwendung finden können für 
die wirtschaftliche Eigenart der einzelnen Genossenschaftsarten. Was 
z. B. Jacob über die Kreditgenossenschaften oder über die preußische 


128 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Zentralgenossenschaftskasse zu sagen weiß, ist so knapp und so dürftig, 
weil er sich aus Raumgründen beschränken muß, lediglich die Ergeb- 
nisse der Arbeiten Crügers, Wygodzinskis, meines Buches über 
den kleingewerblichen Kredit ete. zu übernehmen. Natürlich muß bei 
diesem Verfahren jeder Beweisgang der einzelnen Autoren vernachlässigt 
werden und vor allem wird man eine wirklich kritische Stellungnahme 
zu den Meinungen anderer Autoren vermissen. Wozu mußte denn z. B. 
nochmals die Gründungsgeschichte und die Organisation der Preußen- 
kasse etc. dargelegt werden? Das ist doch alles schon bekannt. Wäre 
es nicht richtiger gewesen, Verf. hätte sich beispielsweise nach knapper 
Rekapitulation des schon Bekannten, die ja wohl, wie ich gern zugebe, 
nicht zu vermeiden war, der selbständigen vorurteilslosen Prüfung der 
Kritik an der Tätigkeit der Preußenkasse, die z. B. Crüger, Fink, 
ich u. a. geübt haben, zugewandt? Gewiß, man wird es nie ver- 
meiden können, besonders nicht in einer Arbeit systematischen Cha- 
rakters, bereits Bekanntes zu wiederholen. Man darf dann aber diese 
Teile nicht so anwachsen lassen und muß sich doch zum mindesten be- 
bemühen, die bekannten Tatsachen zu verarbeiten, will sagen, sie 
in einen neuen Zusammenhang zu stellen, sie als Bausteine für einen 
größeren eigenen Gedankengang wirklich zu verwenden. Gerade das 
vermißt man bei der Lektüre des umfangreichen Buches von Jacob, 
wobei ich gern zugeben will, daß ich hier und dort auch Einzelheiten 
finde, die dem Leser oben genannter Lehrbücher vielleicht nicht be- 
kannt sein dürften. Ich will auch dieses ausdrücklich betonen, daß die 
Arbeit Jacobs durchaus zuverlässig und fleißig ist. Wenn er in den 
oben skizzierten prinzipiellen Fehler verfiel, so lag das nämlich an der 
zu weiten Problemstellung, die er sich setzte. Die eingangs in der Be- 
sprechung erwähnten Worte von Crüger treffen heute in dieser Schärfe 
nicht mehr zu. Wir haben heute, um nur einige zu nennen, die Lehr- 
bücher von Lindecke, Finck, Wygodzinski, Crüger. Wenn 
man diese Bücher nacheinander gelesen hat, dann hat man eben in allem 
wesentlichen die Orientierung, die Jacob geben wollte. Wollte er wirk- 
lich eine „Ergänzung“ zu unsern Lehrbüchern geben, dann hätte er 
Spezialuntersuchungen treiben müssen auf dem Gebiete des Ge- 
nossenschaftsrechts, auf dem Gebiete der einzelnen Genossenschafts- 
arten; das wäre aber für einen einzelnen eine fast unmögliche Arbeit, 
hätte er doch dann eben nicht nur die Literatur verarbeiten, sondern 
vor allem auch mühselige praktische Enqueten über Rohstoff-, Kredit- 
genossenschaften, Konsumvereine etc. veranstalten müssen. Er hätte 
dann vielleicht, wie der Verfasser dieser Besprechung, allein der Frage 
der Kreditgenossenschaften in ihrer Beziehung zum Handwerk oder den 
Konsumvereinen —, für die jetzt der große Apparat des Vereins für 
Sozialpolitik in Bewegung gesetzt werden muß, um sie zu meistern — 
jahrelange Arbeit widmen müssen. Und die Frage, die Jacob am 
Schluß seines Buches auf einigen Seiten erledigt (über Kooperatismus, 
Sozialismus und Individualismus), bildet den Gegenstand einer mehr- 
jährigen Arbeit eines jungen Nationalökonomen, die demnächst in den 
„Volkswirtschaftlichen Abhandlungen der Badischen Hochschulen“ er- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 129 


scheinen wird. Kurzum, die Aufgabe, die sich Jacob stellte, konnte 
beim besten Willen nicht völlig befriedigend gelöst werden. Die bis- 
herigen Ergebnisse der Spezialforschung sind eben schon teilweise 
musterhaft zusammengefaßt worden. Jetzt besteht die Aufgabe, wieder- 
um genossenschaftliche Spezialforschung zu treiben, welche in Zukunft 
einmal lehrbuchmäßige Zusammenfassungen erlaubt, die Neues bieten 
werden. 

So ist denn das Buch Jacobs keine neue ‚„volkswirtschaftliche 
Theorie der Genossenschaften“, sondern ein gut orientierender Grundriß 
des Genossenschaftswesens. Und als solcher hat das Buch ohne Zweifel 
seine Verdienste. Brauchbar und selbständig ist auch seine systematische 
Gruppierung der Genossenschaften. Er teilt die Genossenschaften ein 
in Produzenten- und Konsumentengenossenschaften und gliedert erstere 
in Beschaffungs- und Verwertungsgenossenschaften ete. So ergibt sich 
für die genossenschaftliche Systematik folgendes Hauptschema: 

Produzentengenossenschaften: 

Beschaffunsgenossenschaften, 

Kreditbeschaffungsgenossenschaften, 

überwiegend städtischen Charakters, 

überwiegend ländlichen Charakters, 
Warenbeschaffungsgenossenschaften einschließlich 
Werkgenossenschaften, 

gewerbliche, 

landwirtschaftliche, 

Verwertungsgenossenschaften, 
Arbeitsverwertungsgenossenschaften, 
Warenverwertungsgenossenschaften, 

gewerbliche, 
landwirtschaftliche, 

Konsumentengenossenschaften. 

Die kritischen Ausführungen und die Begründung der eigenen 
Systematik wirken durchaus überzeugend. Ueberzeugend sind auch die 
Bemerkungen gegen Liefmann an dieser Stelle (S. 186/187) und 
S. 18ff: Im Gegensatz zum Genossenschaftsgesetz und zur Rechts- 
wissenschaft überhaupt stellt Liefmann in seiner Schrift über die 
Unternehmungsformen den „gesellschaftlichen‘‘ Charakter der Genossen- 
schaft „vom ökonomischen Standpunkt aus“ in Abrede; und zwar er- 
blickt er das Charakteristische der Genossenschaften gegenüber den Ge- 
sellschaften ‚in der Verbindung einer unselbständigen gemeinsamen 
Wirtschaft mit den einzelnen privaten Haus- oder Erwerbswirtschaften 
der Mitglieder“, während die Gesellschaften „selbständige Ver- 
einigungen von Personen zu gemeinsamer Wirtschaftstätigkeit“ seien. 
Diese Unterscheidung erscheint Jacob — meines Erachtes mit Recht — 
als durchaus willkürlich. Denn wenn auch die Genossenschaften in ihrer 
großen Mehrzahl nur der Förderung und Ergänzung der einzelnen 
Haus- oder Erwerbswirtschaften dienen, also nach Liefmann „unselb- 
ständig‘ seien, so sei dies doch nicht immer der Fall. Die eigentliche 
Produktivgenossenschaft z. B. sei eine „selbständige Vereinigung von 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 9 


130 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Personen zu gemeinsamer Wirtschaftstätigkeit‘; sie ergänze nicht die 
Wirtschaft des einzelnen Mitgliedes, sondern sie sei eine Erwerbswirt- 
schaft, die er gemeinsam mit anderen betreibe. In der Tat, wenn Lief- 
mann den genossenschaftlichen Charakter der eigentlichen Produktiv- 
genossenschaft leugnet, andererseits aber gänzlich ungenossenschaftliche 
Gebilde, wie Zuckerfabriken, bei welchen der größte Teil der Aktionäre 
zur Rübenlieferung verpflichtet ist, oder das Rheinisch-westfälische 
Kohlensyndikat, ökonomisch als Genossenschaften bezeichnet, so wird 
man dem kaum zustimmen können. Was ist mit einer derartigen Ver- 
wischung der Unterschiede zwischen Personal- und Kapitalgesellschaft 
erreicht? Mit vollem Recht und mit guten Argumenten hebt Jacob 
den personalgesellschaftlichen Charakter der Genossenschaft, den Lief- 
mann leugnet, hervor und weist darauf hin, daß Zuckerfabriken etc., 
um echte Genossenschaften (Verwertungsgenossenschaften) zu sein, noch 
ganz andere Eigenschaften aufweisen müssen als lediglich den von Lief- 
mann geforderten „unselbständigen‘“ Charakter. 


Freiburg i. B. Hans Schönitz. 


Hanszel (Bezirkskommissar, Wohnungsfürsorgerevisions-Obmann) Max, 
Die Notwendigkeit des wirtschaftlichen Zusammenschlusses der Bau-Genossen- 
schaften. Teschen, Sigmund Stuks, 1913. 8. 28 SS. M. 1.—. 


11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde. 

E. Hemmerle, Die Rheinländer und die preußische Verfassungs- 
frage auf dem ersten Vereinigten Landtag (1847). (Studien zur Rhei- 
nischen Geschichte, hrsg. von Dr. A. Ahn, 2. Heft.) Bonn 1912. V 
und 229 SS. 6 M. 

Die vorliegende Schrift stellt in ihrem Hauptteil (S. 68—192) 
da Haltung der rheinischen Abgeordneten auf dem ersten Vereinigten 
Landtag dar, worüber Verf. durch Heranziehung der Akten des Geh. 
Staatsarchivs in Berlin allerhand Neues zu sagen weiß, enthält aber 
außerdem dankenswerte Hinweise auf die öffentliche Meinung des 
Rheinlands, soweit sie aus der Presse festzustellen ist. Auch diese 
Untersuchung zeigt deutlich, wie gewaltig der erste Vereinigte Landtag 
das politische Interesse angeregt hat. Bis in die vierziger Jahre haben 
sich die Rheinländer um die preußische Verfassungsfrage nur wenig 
gekümmert, die Hauptsache ist ihnen die Erhaltung der besonderen 
Stellung der Rheinlande im preußischen Staat gewesen. Ja, selbst 
den Errungenschaften des Patentes vom 3. Februar 1847 hat die breite 
Masse durchaus gleichgültig gegenüber gestanden. Nur die Oberschicht 
des Bürgertums hat, wahrscheinlich durch das belgische Vorbild an- 
gefeuert, eine liberale und zentralisierende Verfassung für Preußen 
gewünscht, um auf diese Weise Einfluß auf die Staatsregierung zu er- 
langen. Der Adel und ein guter Teil der Katholiken wollte davon aus 
politischen und aus konfessionellen Gründen, aus Abneigung gegen 
den Liberalismus und aus Furcht vor der protestantischen Mehrheit 
des Gesamtstaats nichts wissen; die Trierer Zeitung, das Organ der 
Arbeiter, lehnte alle Neuerungen ab, die nichts an den Grundmängeln 
der Gesellschaft änderten. Auf dem Landtage selbst kamen nur die 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 131 


Liberalen zu Wort; die in der rheinischen Ritterschaft zahlreich, unter 
den Abgeordneten der Städte und Landgemeinden dagegen nur sehr 
schwach vertretenen Konservativen verhielten sich schweigsam. Die 
Haltung der liberalen Abgeordneten wurde von der rheinischen Be- 
völkerung nicht durchweg gebilligt; weder mit ihren zentralisierenden 
Neigungen noch mit ihrer Toleranz den Juden gegenüber konnte man 
sich befreunden. Aber diese Verschiedenheiten kamen nicht in Be- 
tracht bei dem lebhaften Beifall, den die Opposition der Liberalen gegen 
die Regierung fand. Und je radikaler ein Abgeordneter war, desto be- 
liebter machte er sich, desto festlicher wurde er bei seiner Heimkehr 
empfangen. Der Boden war vorbereitet für die Bewegung des Jahres 
1848. 
Halle. F. Hartung. 


Blücher (Öber-Verwaltungsgerichtsrat), Bernh., Gemeindebeamtenrecht 
im Königreich Sachsen. Leipzig, B. G. Teubner, 1914. 8. IV—111 SS. M. 1,40. 

Bojunga (Justizrat), Hans, Reichs-Viehseuchengesetz vom 26. Juni 1909, 
nebst Ausführungsvorschriften des Bundesrats, in Verbindung mit der preußi- 
schen viehseuchenpolizeilichen Anweisung, dem preußischen Ausführungsgesetz, sowie 
Mustern und Anweisungen. Textausgabe mit Anmerkungen. Hannover, M. u. H. 
Schaper, 1914. kl. 8. VIII—308 SS. M. 4,50. 

Dultzig (Reg.-Rat), Dr. Eug., Das preußische Disziplinargesetz für die 
nichtrichterlichen Beamten, nebst dem Disziplinargesetze für die Privatdozenten. 
Erläutert und mit den ergänzenden Gesetzesbestimmungen, zumal der Strafprozeß- 
und Zivilprozeßordnung versehen. (Guttentags Sammlung preußischer Gesetze. 
Textausgabe mit Anmerkungen. No. 51.) Berlin, J. Guttentag, 1914. kl. 8. XIV— 
364 SS. M. 4,00. 

Giese (Realgymnasial-Prof.), Dr. A., Deutsche Bürgerkunde. Einführung in 
die allgemeine Staatslehre, in die Verfassung und Verwaltung des Deutschen 
Reiches und Sachsens und in die Volkswirtschaftsleh.>. Ausgabe für das König- 
reich Sachsen. Von (Realschul-Oberlehrer) Max Busse. 2. Aufl. Leipzig, R. 
Voigtländer, 1914. 8. VIII—222 SS. M. 1,60. k 

Glock (Landgerichtsrat), Dr. A., Bürgerkunde. Deutsche Staats- und 
Rechtskunde. Zur Einführung in das öffentliche Leben der Gegenwart. Unter 
Mitwirkung von (Amtm.) Bazille, (Amtsgerichtsrat) Coermann, (Geh. Finanzrat) 
Dr. Kloß u. a., begründet von (Landgerichtsrat) Dr. A. Glock, nach seinem Tode 
weitergeführt von (Notariatsinsp.) E. Burger. Für Preußen. Von Dr. A. Glock 
und Justizrat Rechtsanw. A. Korn. 2. umgearb. Aufl. Karlsruhe, G. Braun, 1914. 
8. XXII, 380 u. 175 SS. M. 3,20. 

Handwörterbuch der Kommunal-Wissenschaften. Hrsg. von J. Brix, 
H. Lindemann, O. Most, H. Preuß, A. Südekum. 1. und 2. Liefg. Jena, Gustav 
Fischer, 1914. Lex.-8. 1. Bd. S. 1—240. M. 3,50. 

Jähnel, Gust., Reichsversicherungsordnung und Angestelltenversicherungs- 
gesetz in gemeinverständlicher Darstellung. Mit einem Vorwort von Prof. Dr. 
Rob. Piloty. Berlin, Gustav Ziemsen, 1913. kl. 8. 146 SS. M. 1,50. 

Kändler, Herm., Der staatliche Erfinderschutz im Lichte moderner Na- 
tionalökonomie. Ein Beitrag zur Reformbewegung im Deutschen Reiche. 162 SS 
gr. 8. M.3.—. — Zur Frage des Systemwechsels im Patentrecht. Lex.-8. 16 SS. 
Berlin, Franz Vahlen. 

Kommentar zur Reichsversicherungsordnung. Hrsg. vom (Reichsversiche- 
rungsamts-Sen.-Präs.) H. Hanow, (Wirkl. Geh. Ober-Reg.-Rat, vortr. Rat) Dr. F. 
Hoffmann, (Geh. Reg.-Rat) Dr. R. Lehmann, (Reg.-Räten) St. Moesle, Dr. W. 
Rabeling. 5. und 6. Buch. Beziehungen der Versicherungsträger zueinander und 
zu anderen Verpflichteten. — Verfahren. Von (Geh. Reg.-Rat) Dr. R. Lehmann. 
3. verm. Aufl. Berlin, Carl Heymann, 1914. gr.8. XVI—580 SS. M. 12.—. 


9* 


132 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Langemack, Dr. Paul, Die Grenzen der Autonomie des hohen Adels 
innerhalb der heutigen Rechtsordnung. Diss. Lübeck, Joh. Carsten, 1914. 8. 
XI—78 SS. M. 2.—. 

Langhard, Dr. J., Bundesverfassung der Schweizerischen Eidesgenossen- 
schaft vom 29. Mai 1874. Textausgabe mit Einleitung und Sachregister. (Sammlung 
schweizerischer Gesetze. No. 65—67.) Zürich, Orell Füßli, 1914. 8. 87 SS. M. 1,20. 

Linckelmann (Justizrat), Dr., Höfegesetz für die Provinz Hannover 
in der Fassung des Gesetzes vom 28. Juli 1909 erläutert. 2. Aufl. Hannover, 
Helwingsche Verlagsbuchhandlung, 1914. gr. 8. VII—87 SS. M. 3.—. 

Monographien deutscher Städte. Darstellung deutscher Städte und ihrer 
Arbeit in Wirtschaft, Finanzwesen, Hygiene, Sozialpolitik und, Technik. Hrsg. von 
(Generalsekr.) Erwin Stein. 7. Bd. Frankfurt a. M. Hrsg. von (Oberbürgermeister) 
Voigt und (Generalsekr.) Erwin Stein. Oldenburg i. Gr., Gerhard Stalling, 1914. 
Lex.-8. VII, 166 SS. mit Abbildungen und 1 Plan. M. 5.—. 

Renner, Dr. Karl, Der Proporz in den Industriegemeinden Nieder- 
Oesterreichs. Wesen der Verhältniswahl und Darstellung des neuen Wahlrechts. 
Wien, Ignaz Brand u. Co., 1914. kl. 8. 64 SS. M. 1.—. 

Stengel, Karl Frhr. v., Wörterbuch des deutschen Staats- und Ver- 
waltungsrechts. Begründet von St. 2. völlig neugearb. und erweiterte Aufl., hrsg. 
von Max Fleischmann. 30. und 31. Liefg. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1914. Lex.-8. 
3. Bd. 8. 481—640. je M. 2.—. 

Strippel (Rechtsanw.), Dr. Karl, Die Währschafts- und Hypotheken- 
bücher Kurhessens, zugleich ein Beitrag zur Rechtsgeschichte des Katasters. (Ar- 
beiten zum Handels-, Gewerbe- und Landwirtschaftsrecht. Hrsg. von Prof. Dr. 
Ernst Heymann. No. 24.) Marburg, N. G. Elwert, 1914. Lex.-8. XXVII— 
335 SS. M. 10.—. 

Welser (Ober-Reg.-Rat), Hans Frhr. v., Reichs- und Staatsangehörig- 
keitsgesetz vom 22. Juli 1913, mit den zugehörigen Teilen von Gesetzen und 
Staatsverträgen, sowie den Vollzugsvorschriften für Preußen, Bayern, Sachsen, 
Württemberg, Baden und Hessen erläutert. München, C. H. Beck, 1914. 8. 
X—338 SS. M. 5.—. 

Wittmayer (Privatdoz.), Dr. Leo, Oesterreichische Arbeiterschutz- 
gesetzgebung vom Standpunkte der Unfallverhütung. Vortrag. Wien, Carl 
Fromme, 1914. 8. 39 SS. M. 1,40. 

Woeber (Reg.-Assess.), Jak., Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 
22. Juli 1913, unter besonderer Berücksichtigung der bayerischen Verhältnisse 
erläutert. München, J. Schweitzer, 1914. 8. VIII—148 SS. M. 3,20. 

Zehntbauer, Prof. Dr. Rich., Gesamtstaat, Dualismus und Prag- 
matische Sanktion. Erweit. Sonderdruck. Freiburg (Schweiz), Otto Gschwend, 
1914. gr. 8. 73 SS. M. 4.—. 


Gasser, H., Manuel des élections politiques. Liste électorale. Élections 
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1914. Paris, Marc Imhaus et René Chapelot, 1914. 8. VIII—424 pag. fr. 5.—. 

Thaller(prof.), Ed., et (prof.) P. Pic, Traité général, théorique et 
pratique de droit commercial. Paris, A. Rousseau, 1914. 8. 783 pag. fr. 12.—. 

Butler, J. R. M., The passing of the great reform bill. Illustrated. 
London, Longmans. 8. 468 pp. 12/.6. 

Commercial laws of the world. Vol. 28. Hungary and Croatia-Sla- 
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London, Sweet and Maxwell. Royal 8. 42/.—. 

Dicey, A. V., Lectures on the relation between law and public opinion in 
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Federalist (The), A commentary on the Constitution of the United 
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Edited by Henry Cabot Lodge. London, Unwin. Cr.-8. 636 pp. 2/.6. 

Mackinder, H. J., The modern British State. An introduction to the 
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Smith, Thomas, Every body’s guide to the insurance acts, 1911—1913. 
3rd ed. London, ©. Knight. 8. 520 pp. 6/.—. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 133 


William, Sir R. L. V. The law and practice in bankruptcy. 10th 
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Williams, J. Fischer, Proportional representation and British politics. 
London, J. Murray. 8. 106 pp. 1/.—. 

Chiti, Mario Pilade, Nozioni sull'ordinamento amministrativo e politico 
del Regno ed in particolare sull'amministrazione dei lavori pubblici, cenni sui 
poteri dello Stato. Pisa, tip. F. Mariotti, 1914. 8. 99 pp. 

Codice (Il), di commercio commentato dai proff. P. Ascoli, L. Bo- 
laffio, E. Caluci, E. Cuzzeri, A. Marghieri, L. Mortara, D. Supino, L. Tartu- 
fari, C. Vivante, coordinato dai proff. Leone Bolaffio e Cesare Vi- 
vante. Vol. IX. (Del esercizio delle azioni commerciali e della loro durata: 
commento del prof. Lodovico Mortara, con la collaborazione dell'avv. 
Gaetano Azzariti.) Quarta edizione riveduta, con appendice relativa alle 
disposizioni sul giudice unico. Turino, Unione tipografico-editrice, 1914. 8. 331 pp. 
L Ba 

Principi di diritto costituzionale, secondo i programmi universitari e 
per i concorsi agli uffici pubblici, a cura dell’avv. A. Brunialti. Parte II. 
(Le costituzioni.) Napoli, Unione ed. universitaria (tip. Meridionale, G. Turi), 
1913. 16. 32 pp. LL 

Valente, (avv.) Gius., Questioni di diritto amministrativo: appunti giuri- 
dici. S. Benigno Canavese, Scuola tip, 1914. 16. 60 pp. 1l. 1,50. 


12. Statistik. 
Deutsches Reich. 


Beiträge zur Statistik des Rigaschen Handels (Rigas Handel und 
Schiffahrt). Jahrg. 1912. Hrsg. von der handelsstatistischen Sektion des Rigaer 
Börsen-Komitees, unter der Leitung des Sekretärs derselben Bruno v. Gernet. 
1. Abel, Rigas Handelsverkehr auf den Wasserwegen. Riga, E. Bruhns, 1914. 
35X29 em, XV—155 SS. M. 7.—. 

Höpker (Reg.-Rat), Dr. H., Denkschrift über die Verluste der Bau- 
handwerker und Baulieferanten bei Neubauten in Groß-Berlin in den Jahren 
1909—1911. Im Auftrage des Ministers für Handel und Gewerbe bearb. im 
Kgl. Preuß. Statist, Landesamt. 2 Teile. A. Textlicher Teil, B. Tabellenteil 
und Anlagen. Berlin, Verlag des Kgl. Statist. Landesamts, 1914. 33X24 cm. 
VI, 144 und V, 172 und XXVIII SS. M. 6.—. 

Ischhanian, Dr. B., Nationaler Bestand, berufsmäßige Gruppierung 
und soziale Gliederung der kaukasischen Völker. Statistisch-ökonomische Unter- 
suchungen. (Osteuropäische Forschungen. Im Auftrage der deutschen Gesell- 
schaft zum Studium Rußlands. Hrsg. von Otto Hoetzsch, Otto Auhagen und 
Erich Berneker, Heft 1). Berlin, G. J. Göschen, 1914. gr. 8. VIII—81 SS. 
M. 2,80. 

Jahrbuch für bremische Statistik. Hrsg. vom Brem. Statist. Amt. 
Jahrg. 1913. Zur Statistik des Schiffs- und Warenverkehrs im Jahre 1913, 
Bremen, Franz Leuwer, 1914. Lex.-8. VI—390 SS. M. 7,50. 

Lage, Die, der Arbeiter im Drechslergewerbe. Ergebnisse einer sta- 
tistischen Erhebung vom November 1912. Hrsg. vom Vorstand des deutschen 
Holzarbeiter-Verbandes. Berlin, Verlagsanstalt des deutschen Holzarbeiter-Ver- 
bandes, 1914. gr. 8. 4788. M.1—. 

Rosenberg (Dir.), E., Die älteren Kieler Volkszählungen. Bewegung 
der Bevölkerung. 1835—1865. Im Auftrage des Magistrats hrsg. (Mitteilungen 
des Statistischen Amtes der Stadt Kiel, No. 20.) Kiel, Lipsius u. Tischer, 1914. 
23 SS. M. 0,60, 

Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom Kaiserl. Statist. Amte. 
265. Bd. I. TI. Verkehr und Wasserstände der deutschen Binnenwasserstraßen 
im Jahre 1912. Bearb. im Kaiser, Statist. Amte. I. Tl. XLIX—281 SS. 
M. 5.—. — 278. Bd. Streiks und Aussperrungen im Jahre 1913. IV—27 und 
62 8S. M. 1.—. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht. 33,5 x26,5 cm. 

Statistik, Preußische. (Amtliches Quellenwerk.) Hrsg. in zwanglosen 
Heften vom Kgl. Preuß. Statist, Landesamt in Berlin. 239. Beiträge zur Sta- 
tistik der Arbeitsverfassung der Landwirtschaft in Preußen nach der land- 


134 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


wirtschaftlichen Betriebszählung vom Jahre 1907. Bearb. vom Kgl. Statist. 
Landesamt. Mit einer Einleitung von (Geh. Reg.-Rat) Prof. Dr. A. Petersilie. 
Berlin, Verlag des Kgl. Statist. Landesamtes, 1914, 33X24cm. V, XVIII— 
283 SS. M. 7,80. 

Verzeichnis der im Jahre 1915 im Königreich Preußen abzuhaltenden 
Märkte und Messen, nebst einer Uebersicht der wichtigeren Märkte und Messen 
der anderen Staaten des Deutschen Reichs und Zollgebiets, der Grenzprovinzen 
Hollands sowie der nördlichen Schweiz. Unter Benutzung amtl. Quellen hrsg. von 
(Präs.) G. Evert. 43. Jahrg. Berlin, Verlag des Kgl. Statist. Landesamts, 1914. 
gr. 8. VII—210 SS. M. 7,50. 


Oesterreich-Ungarn. 


Statistische Rückblicke aus Oesterreich. Wien 1913. 
XXIX +99 SS. und 3 Kartenbeilagen. 

Die kleine, gefällig ausgestattete Schrift ist eine Festgabe aus 
Anlaß der 14. Tagung des Internationalen Statistischen Instituts in 
Wien und gleichzeitig eine Festschrift aus Anlaß des ö0-jährigen 
Bestandes des k. k. statistischen Zentralkommission, deren Präsident 
Dr. Robert Meyer, das vorliegende Buch herausgegeben hat. Es 
ist ein wertvoller Behelf, denn es vereinigt statistische Daten aus weit 
längeren Zeitabschnitten (etwa 50 Jahren) als das oesterreichische Hand- 
buch, mit dem es sonst viel gemein hat. Leider bringt es keine Angaben 
über dic Herkunft der einzelnen Daten, sondern nur eine kleine Ein- 
leitung mit weniger wichtigen textlichen Erläuterungen, die wohl mehr 
dazu dienen sollten, durch ihre französische Uebersetzung den Kongreß- 
teilnehmern, die nicht Deutsch verstanden, das Verständnis der Tabellen 
zu erleichtern. 


Halle Dr. Ernst Grünfeld. 


Mitteilungen des Statistischen Landesamtes des Königreichs Böhmen. 
Deutsche Ausgabe. 17. Bd. 2. Heft: Statistik der zu Zwecken der örtlichen 
Selbstverwaltung im Königreich Böhmen für die Jahre 1909, 1910 und 1911 
vorgeschriebenen Zuschläge und ihrer Basis. Mit einem Anhang über die Ge- 
meindegetränkeauflagen in Böhmen im Jahre 1911. Prag, J. G. Calve, 1914. 
Lex.-8. III, 34 und 166 SS. M. 6.—. 

Statistik des Bergbaus in Oesterreich für das Jahr 1912. Als Fort- 
setzung des statistischen Jahrbuches des k. k. Ackerbau-Ministeriums. 2. Heft: 
„Der Bergwerksbetrieb Oesterreichs.“ 3. Lieferung. Die Gebarung und die 
Ergebnisse der Krankheits-, Mortalitäts- und Invaliditätsstatistik der Berg- 
werksbruderladen 1911. Hrsg. vom k. k. Ministerium für öffentliche Arbeiten. 
Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1913. Lex.-8. 117 SS. M. 4.—. 


Frankreich. 


Renseignements statistiques relatifs aux contributions directes et aux 
taxes assimilées. Année 1914. Paris, Impr. nationale, 1914. 8. 222 pag. 

Statistique de la navigation intérieure. Relevé general du tonnage des 
marchandises, année 1912. Paris, Impr. nationale, 1913. 4. 430 pag. fr. 8. 
(Ministere des travaux publics.) 

Statistique des décès par tuberculose en 1911. Ge année. Répartition 
par departements et arrondissements, par groupement de population au-dessus 
et au-dessous de 5000 habitants et par groupes d'âges. R&capitulation générale. 
Cartes et tableau graphiques. Tableaux retrospectifs (1906 à 1911). Nombres 
absolus et proportions. Extrait du rapport présenté au ministre de l'intérieur 
par le directeur de l'assistance et de l'hygiène publiques sur la statistique 
sanitaire de l'année 1911. Melun, Impr. administrative, 1913. 8. 176 pag. 


Die periodische Presse des Auslandes. 135 


Belgien. 

Statistique generale de la Belgique. Exposé de la situation du Royaume 
de 1876 à 1900, rédigé sous la direction de la commission centrale de statistique, 
en exécution de l'arrêté royal du 29 mai 1902. Läme fascicule. Bruxelles, 
Georges Piquart, 1914. 27X17,5. 3pl., 2 cartes, diagrammes. pag. 433—732— 
XVIII. fr. 15. le volume. 

Statistique de la Belgique. Agriculture. Recensement general de 1910, 
publit par le ministère de l'agriculture et des travaux publics. Partie docu- 
mentaire. Tome I. Répartition des cultures. Rendements moyens. Production 
totale. Semences employées par hectare. Bruxelles, A. Dewit, 1913. 26,5x 17,5. 
4ff+717 pag. fr. 5.—. 

Italien. 


Cenni statistici sul movimento economico dell’Italia (Banca commerciale 
italiana). Milano, tip. Capriolo e Massimino, 1914. 8. 310 pp. con tredici tavole. 

Statistica della criminalità per lanno 1909. Notizie complementari 
alla Statistica giudiziaria penale. (Ministero di grazia e giustizia e dei culti.) 
Roma, stamp. Reale, D. Ripamonti, 1914. 4. CXLIV—484 pp. 


13. Verschiedenes. 


Hammacher (Privatdozent), Emil, Hauptfragen der modernen Kultur. 
Leipzig, B. G. Teubner, 1914. gr. 8. V—351 SS. M. 10.—. 

Kohler, Jos., Recht und Persönlichkeit in der Kultur der Gegenwart. 
Stuttgart, Deutsche Verlags-Anstalt vorm. Eduard Hallberger, 1914. gr, 8. 
IX—278 SS. M. 5.—. 

Rohrbach, Paul, Der deutsche Gedanke in der Welt. Königstein i. Taunus 
1914. 8. 240 SS. M. 1,80. 

Watrin, L., Unsere Volksschule — eine Arbeitsschule. Einige Bei- 
träge. Mit zahlreichen Abbildungen und 9 farb. Taf. Ansbach, Michael Prögel, 
1914. 8 V—143 SS. M. 2,80. 

Wirth, Albr., Rasse und Volk. Halle a. S., Max Niemeyer, 1914. 
gr.8. VI—353 SS. M. 7.—. 


Kerschensteiner, Georg, The schools and the nation. London, Mac- 
millan. Cr.-8. 376 pp. 6/.—. 


Die periodische Presse des Auslandes. 


A. Frankreich. 

Bulletin de Statistique et de Législation comparée. 87e Année, avril 
1914: Établissement d’une statistique commerciale internationale. — Les produits 
de l'enregistrement, des domaines et du timbre constatés et recouvrés, en France, 
pendant l'exercice 1912. — Les revenus de l'État. — États-Unis: La réforme 
financière. — Loi portant réduction du tarif douanier et création de revenus 
d'État. — Section II: Impôt sur le revenu (Act du 3 octobre 1913). — 
Italie: L’expose financier du ministre du trésor. — etc. - 

Journal de la Société de Statistique de Paris. 55 année, mai 1914, 
No. 5: Population et populations de l'Algérie, par Paul Meuriot. — Chronique 
des banques et questions monétaires, par M. G. Roulleau. — Le census de 
1911 dans la Nouvelle-Zélande, par Paul Meuriot. — Statistische Rückblicke aus 
Oesterreich, par Paul Meuriot. — La statistique fédérale de l'Australie, par Paul 
Meuriot. — etc. 

Journal des Economistes. 73e Année, mai 1914: L’entente cordiale au 
point de vue &conomique, par Yves Guyot. — Crisis monetaires mondiales, par 


136 Die periodische Presse des Auslandes. 


Robert Wolff. — Une solution liberale en matiere de prevoyance sociale, par 
Maurice Bellom. — L’emprunt turc, par Yves Guyot. — L’alimentation de 
l’Angleterre et les denrées frigorifiees, par E. Gouault. — Les assemblées 
generales des compagnies de chemins de fer, par Georges de Nouvion. — 
Mouvement agricole, par Maurice de Molinari. — Societ& d'économie politique 
(Reunion du 5 mai 1914): Le bilan financier de l'émigration. Communication 
de M. Paul Ghio. — etc. 

Mouvement Social, Le. 39e Année, mai 1914, No. 5: L’indemnite de plus- 


value au fermier ou métayer sortant, par P. de Bricourt. — Co-operation in 
England (La cooperation en Angleterre), par H. Somerville. — L'inspection 
du travail en Russie, par Dr. A. Woycicki. — Emigration et immigration, par 
L. Guizerix. — etc. 

Revue internationale de Sociologie. 22e Année, avril 1914, No. 4: La 
religion de l’avenir, par A. Bochard. — Le systeme dramatologique des pro- 
blömes de sociologie, par Otto Effertz. — Société de Sociologie de Paris 


(Séance du 11 mars 1914): Le libéralisme politique. Paroles de Maurice Or- 
dinaire, Th. Joran, René Worms, Albert Parenty, E.-N. Laval, Ch. Rabany, 
Pierre Kahn, Eddy Levis. — etc. 


B. England. 

Century, The Nineteenth and after. June 1914, No. 448: Financial 
problems of federalism, by Edgar Crammond. — A new German Empire: the 
story of the Baghdad railway (concluded), by André Géraud. — Democratic 
finance: 1) The budget, graduaded taxation and the franchise, by Prof. E. C. 
Clark. — 2) Strange reportsl, by E. M. Konstam. — etc. 


Journal of the Royal Statistical Society. Vol. LXXVI, Part 6, may 
1914: Rural population in England and Wales: A study of the changes of 
density, occupations, and ages, by A. L. Bowley. (With discussion.) — On 
the use of analytical geometry to represent certain kinds of statistics. (Con- 
tinuation.) By prof. F. Y. Edgeworth. — etc. Ze 

Review, The Contemporary. June 1914, No. 582: Our E 200000000“ 
budget, by L. G. Chiozza Money, — The federal solution, by Lord Charn- 
wood. — The universities and the nation in America and England, by Graham 
Wallas. — Land reform and registration of title, by J. 8. Stewart-Wallace. 
— The feminist movement in Turkey, by Ellen D. Ellis and Florence Palmer. 
— ete. 

Review, The Fortnightly. June 1914, No. 570: The new finance: How 
shall we pay for a weart, by Archibald Hurd. — The end of Weltpolitik: 
A letter from Berlin, by Robert Crozier Long. — The real trouble in Mexiko, by 
J. M. Kennedy. — etc. z 

Review, The National. June 1914, No. 376: Germany and ourselves, 
by (Captain) Bertrand Stewart. — Future developments in the Balkans, by 
a diplomatist. — etc. 


C. Oesterreich-Ungarn. 


Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österr. 
Handelsmuseums. Bd. 29, 1914, No. 21: Zur britischen Tarifreformbewegung. 


— Das deutsche Ausfuhrgeschäft. — etc. — No. 22: Zölle und Lebenskosten, 
von Dr. Eugen v. Philippovich — Wirtschaftsverhältnisse im südöstlichen 
Bulgarien. — ete. — No. 23: Frankreich in Nordafrika, von Dr. Marcel 
Fischel. — Das türkische Scheckgesetz. — Wirtschaftsverhältnisse in Portugal. 
— etc. — No. 24: Die russischen Eisenbahnbauten und Projekte. — Wirt- 
schaftsverhältnisse in Paraguay. — etc. 


Mitteilungen, Volkswirtschaftliche, aus Ungarn. Hrsg. vom kgl. un- 
garischen Handelsministerium. Jahrg. 9, März 1914, Heft 3: Das Exposé des 
kgl. ungarischen Finanzministers. — Der Staatsvoranschlag für das Finanz- 
jahr 1914/15. — Ungarns Finanz- und Kreditwesen im Jahre 1912. — Das Budget 
des kgl. ungarischen Ackerbauministeriums für das Finanzjahr 1914/15. — Ungarns 


KE TEE TE 


Die periodische Presse des Auslandes., 137 


Seidenproduktion im Jahre 1912. — Ungarns Weinproduktion im Jahre 1912. 
— Die Landstraßen in Ungarn im Jahre 1912. — 

Monatsschrift, Statistische. Hrsg. von der k.k. Statistischen Zentral- 
Kommission. Jahrg. 19, 1914, II—III Februar-März-Heft: Geburten und Sterbe- 
fälle in den größeren Städten Oesterreichs im Jahrzehnt 1901—1910 und in den 
Jahren 1910, 1911, 1912, von Prof. Dr. Karl Drexel. — Wirtschaftsstatistische 
Chronik. Rückblick auf das Jahr 1913. — etc. 

Rundschau, Soziale. Hrsg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amt im Handels- 
ministerium. Jahrg. 15, April 1914, Heft 4: Arbeiterschutz in Fabriken und Werk- 
stätten (Griechenland). — Einschränkung der Kinder-, Jugendlichen- und Frauen- 
arbeit (Frankreich). — Errichtung eines Bergamtes (Vereinigte Staaten von 
Amerika). — Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten (Norwegen). — Städtische und 
staatliche Arbeitslosenunterstützung in Budapest. — Städtische Arbeitslosenfür- 
sorge im Deutschen Reiche. A. Dresden, B. München, C. Neuköln. — Sozial- 
versicherung (Oesterreich, Sozialversicherungsausschuß des Abgeordnetenhauses). 
— Unfallversicherung der Bergarbeiter (Oesterreich). — Arbeitskonflikte in 
Kanada 1912 und 1913. — Ergebnisse der Arbeitsvermittlung in Oesterreich im 
März 1914. — Die Arbeitslosigkeit bei den Gewerkschaften in Oesterreich im Jänner 
nnd Februar 1914. — Die Arbeitslosigkeit in Wien bei den der Gewerkschafts- 
kommission Oesterreichs angegliederten Verbänden in den Jahren 1910—1913. — 
Städtische Arbeitslosenfürsorge im Deutschen Reiche. A. Straßburg 1911/12; B. 
Erlangen 1909—13. — etc. 

Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ 
der Gesellschaft Oesterreichischer Volkswirte. Bd. 23, 1914, 1. und 2. Heft: Die 
wirtschaftlichen Konjunktur- und Depressionswellen in Oesterreich seit dem Jahre 
1896, von Dr. Emil Brezigar. — Der Grund und Boden als Produktionsfaktor der 
galizischen Landwirtschaft in der Gegenwart, von Otto Pawluch. — Verteidigung 
und Ergänzung der Böhm-Bawerkschen Preistheorie, von Ludwig Mezey. — Nach- 
wort, von Eugen v. Böhm-Bawerk. — Ueber das Bankkontokorrent und dessen 
wirtschaftliche Bedeutung, von Fritz Hönig. — Unbedeckte Banknoten und ihre 
Einwirkung auf die Warenpreise, von Prof. Dr. Josef Pazourek. — etc. 


F. Italien. 


Rivista della beneficenza pubblica. Anno 42, Gennaio 1914, No. 1: L’assi- 
stenza alle famiglie numerose codificata in Francia. — La assicurazione per le 
malattie degli operai, di dott. Vincenzo Magaldi. — ete. — Febbraio, No. 2: La 
cassa di risparmio di Bologna nella previdenza e nella beneficenza, di Giuseppe 
Dalla Favera. — La assicurazione per le malattie degli operai (Continuazione), di 
dott. Vincenzo Magaldi. — etc. 

Rivista Italiana di Sociologia. Anno 18, Fasc. 2, Marzo-Aprile- 1914: 
Ragioni storiche e recenti tendenze della politica commerciale, di G. Luzzatto. — 
La filosofia del diritto come scienza autonoma, di G. Solari. — La storia e l’edu- 
cazione morale, di R. Resta. — Per la teoria economica della politica sociale, di 
G. del Vecchio. — etc. 


G. Holland. 


Economist, De, opgericht door M. J. L. de Bruyn Kops. 63. jaarg., 
Mei 1914, No. 5: Nog eens hervorming van de staatsbegrooting, door A. van 
Gijn. — De tweede kamer statengeneraal over het wetsontwerp of het levens- 
verzekeringsbedrijf, door P. van Geer. — De migratiebeweging van Amsterdam, 
mede in verband met de inkomstenbelasting, door Mr. J. Reitsma. — etc. 


H. Schweiz. 


Monatsschrift für christliche Sozialreform. Jahrg. 36, April 1914, 
Heft 4: Konfession und Geburtenfrequenz. — Die Tenerungsrevolten und Strikes 
in England (XV.), von Rudolf Vrba. — Die Zwischenglieder bei der Fleischver- 
sorgung, von Dr. Zitzen. — Die. Abänderung des § 100q der Gewerbeordnung des 


138 Die periodische Presse Deutschlands. 


Deutschen Reichs, von Dr. H. Purpus. — Staatliche Rentenkurspolitik, von Dr. 
Eugen Lanske. — etc. 


J. Belgien. 
Revue Economique internationale. Vol. 2, mai 1914, No. 2: La situation 
-économique et financière de la Chine, par J. O. P. Bland. — La concurrence 
Anglo-Allemande, par Dr. Fritz Diepenhorst. — Hausse des prix et essor éco- 


nomique de la période 1895—1913, par (prof.) Jean Lescure. — La Katanga au 
point de vue économique, par (prof.) Léon Hennebicq. — etc. 


M. Amerika. 


Annals, The, of the American Academy of Political and Social Science. 
Vol. 53, May 1914, No. 142: State regulation of public utilities. — etc. 

Journal, The, of Political Economy (The University of Chicago). Vol.22, 
April 1914, No. 4: The banking and currency act of 1913 (I.), by J. Laurence 
Laughlin. — The financial policy of the federal reserve banks, by Thomas Conway. 
— Banking reserves under the federal reserve act, by Wiliam Amasa Scott. — 
Collecting checks under the currency law, by George Woodruff. — Constitutional 
restrictions on municipal debt, by Horace Secrist. — etc. — May 1914, No. 5: 
The banking and currency act of 1913 (II.), by J. Laurence Laughlin. — Com- 
mercial paper and the federal reserve banks, by O. M. W. Sprague. — The 
probable effects of the new currency act on bank investments, by Jacob H. Hol- 
lander. — The elasticity of note issue under the new currency law, by F. M. 
Taylor. — Trade unionism in the United States: The essence of unionism and the 
interpretation of union types, by Robert F. Hoxie. — etc. 

Magazine, The Bankers. 68th year, Vol. 88, May 1914, Rob: First 
experience with governmental banking. — Is a real reserve bank needed in New 
York? — Building a bank’s business, by F. W. Eilsworth. — Greater uniformity 
of State laws. — etc. 

Publications, Quarterly, of the American Statistical Association. 
Vol. 14, March 1914, No. 105: The service of statistics to economics, by David 
Kinley. — The service of statistics to sociology, by Franklin H. Giddings. — 
The service of statistics to history, by Charles H. Hull. — The service and im- 
portance of statistics to biology, by Raymond Pearl. — The technique of public 
statistical exhibits, by Charles J. Storey. — The influence of marriage on the 
death-rate of men and women, by George J. Bliss. — The need of a federal 
trade census, by Melvin T. Copeland. — etc. 


Die periodische Presse Deutschlands. 


Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volks- 
wirtschaft Jahrg. 47, 1914, No. 5: Gedanken über die Möglichkeit von Mo- 
dernisierungen der Staatsverwaltungstechnik (Schluß), von Bezirksamtsassessor) 
Max Zwiebel. — Die Zwangstilgung der Anleihe, von (Geh. Admiralitätsrat a. D.) 


P. Koch. — Schulden und Steuern der preußischen Gemeinden, von Dr. Oscar 
Tetzlaff. — Die amtliche Feststellung der Getreidepreise in Bayern, von Dr. Jo- 
hann Rudolf v. Schelhorn. — Ausweisungen aus den deutschen Schutzgebieten 


(Forts.), von Dr. Egon Kruckow. — etc. 

Arbeiterfreund, Der. Jahrg. 52, 1914, 1. Vierteljahrsheft: Die Be- 
wegung für internationale Verständigung. Eine Arbeiterfrage und Kulturfrage, 
von Prof. Victor Böhmert. — Die Arbeiterausschüsse und ihre Beziehungen zur 
Industrieverwaltung, von Prof. Victor Böhmert. — Max Roeslers Buch über Ar- 
beiterbeteiligung an Führung, Ertrag und Besitz von Gewerbebetrieben, von Prof. 
Victor Böhmert. — Soziale Frauenarbeit in Chicago, von Else Bachmann. — Wohl- 


Die periodische Presse Deutschlands. 139 


fahrtsbestrebungen und Betriebsverhältnisse in der deutschen Braunkohlenindustrie, 
von (Bureauvorsteher) Borner. — etc. 

Archiv, Allgemeines Statistisches. Hrsg. von Georg v. Mayr und Friedrich 
Zahn. Bd. 8, 1914, 1. Vierteljahrsheft: Die Statistik als Staatswissenschaft, von 
Prof. Dr. Georg v. Mayr. — Götterdämmerung in der Statistik?, von Prof. Dr. 
Sigmund Schott. — Der Geburtenrückgang in Ungarn, von Mirko M. Kosić. — 
Säuglingssterblichkeit im Europäischen Rußland in den Jahren 1909, 1910, 1911, 
von Prof. Dr. Paul Georgiewsky. — Die englische Produktionserhebung von 1907, 
von Oskar Nerschmann. — Arbeiterversicherung und Volksgesundheit, von Dr. med. 
Alfred Groth. — Ein Versuch auf dem Gebiete der Statistik der Einkommensteuer, 
von (Geh. Rat) Prof. Dr. Robert Meyer. — Der Bayerische Staatshaushalt, von 
(Ministerialrat) Prof. Dr. Friedrich Zahn. — Die amtliche Statistik in deutschen 
Parlamenten. Nach den Plenarverhandlungen über die Etats von Statistischen 
Aemtern, von Fritz Burgdörfer. — etc. 

Archiv für Bürgerliches Recht. Bd. 40, 1914, Heft 2: Nochmals die offene 
Handelsgesellschaft als juristische Person, von Josef Kohler. — Zur Lehre von 
der ungerechtfertigten Bereicherung, von (Amtsrichter) K. Lassen. — etc. 

Archiv für Eisenbahnwesen. Hrsg. im Königl. Preußischen Ministerium 
der öffentlichen Arbeiten. Jahrg. 1914, Mai und Juni, Heft 3: Die wirtschaftliche 
Lage Rußlands an der Hand des Entwurfes zum Reichsbudget 1914, von Dr. 
Mertens. — Die finanzielle Selbstverwaltung der Staatsbahnen in Italien und der 
Schweiz. Eine etatsrechtliche Studie (Schluß), von (Reg.-Rat) Schapper. — Die 
Eisenbahnen der asiatischen Türkei, von (Dipl.-Ing.) M. Hecker. — Die Eisen- 
bahnen der Erde 1908—1912. — Die Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen und 
de Wilhelm-Luxemburg-Bahnen im Rechnungsjahr 1912. — Die vereinigten 
preußischen und hessischen Staatseisenbahnen im Rechnungsjahr 1912. — etc. 

Archiv für innere Kolonisation. Bd. 6, Mai 1914, Heft 8: Die Aufgaben 
des Preußischen Landtages gegenüber den Erfordernissen der inneren Kolonisation. 
Besprochen auf der Konferenz der Gesellschaft zur Förderung der inneren Koloni- 
sation am 24. März 1914: Das Gesetz über das Fideikommißwesen und die Inter- 
essen der inneren Kolonisation. Besprochen von (Geh. Reg.-Rat) Prof. Dr. Sering 
und Dr. Frhr. v. Reibnitz. — Das Vorkaufsrecht des Staates, zugunsten der Sied- 
lungspolitik und andere Fragen aus dem Grundteilungsgesetz. Besprochen von 
(Justizrat) Wagner. — Die Belastung der Besiedlungsunternehmer durch Steuern 
und öffentlich-rechtliche Leistungen (insonderheit Schullasten) und sonstige Hinder- 
nisse bei der praktischen Durchführung der Siedlungstätigkeit. Besprochen von 
(Reg.-Assess.) Frhr, v. Gayl. — Die im preußischen Landtage zur Förderung der 
inneren Kolonisation gestellten Anträge. Besprochen von (Ober-Reg.-Rat) Katte 
und (Präs. des Oberlandeskulturgerichts) Dr. Metz. — 

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Jahrg. 10, 1913, Heft 6: 
Was kosten die minderwertigen Elemente dem Staate und der Gesellschaft?, von 
Prof. Dr. J. Kaup. — Rassenwertung in der hellenischen Philosophie (Forts.), von 
Dr. med. Fritz Lenz. — etc. 

Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahr- 
gang 14, 1914, No. 10: Die deutsche Auslandshochschule.. — Entwicklung des 
deutschen Außenhandels im Jahre 1913 (IV.). — Das Einfuhrscheinsystem und 
der Schutz der nationalen Arbeit. — etc. 

Bank, Die. Mai 1914, Heft 5: Die Bank mit den 300 Millionen, von Alfred 
Lansburgh. — Sein und Aussichten einer Europäisierung des chinesischen Geld- 
wesens (Forts.), von Dr. Hermann Schwarzwald. — Finanzpresse, von Ludwig 
Eschwege. — Das Sparkassenwesen einiger europäischer Staaten in Gesetzgebung, 
Einrichtungen und Ergebnissen (Schluß), von (Geh. Reg.-Rat) Dr. Max Seidel. 
— Schnellverkehr und Bodenmonopol. — Kritik der Emissionsstatistik. — etc. 

Blätter für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre. 
Jahrg. 10, Mai 1914, No. 2: La clause d’arbitrage, par Léopold Dor. — Das inter- 
nationale Finanzproblem des Balkans und der asiatischen Türkei. Vortrag, ge- 
halten in der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft 


und Volkswirtschaftsiehre zu Berlin am 28. März 1913, von Rudolph Said- 
Ruete. — ete. 


140 Die periodische Presse Deutschlands. 


Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 5, Mai 1914, No, 5: Kommunal- 
politik, von (Univ.-Prof.) Dr. Wilh. v. Blume. — Gartenland als Armenunter- 
stützung. von H. Mankowski. — Die Entwicklung der Zweckverbände in Preußen. 
— etc. 

Concordia, Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 21, 
1914, No. 10: Arbeitslosenversicherung in Bayern. — ete. — No. 11: Wissen- 
schaftliches Betriebssystem, Fabrikwohlfahrtspflege und Berufsberatung, von Dr. 
Altenrath. — Die Abwässerfrage in volkswirtschaftlicher Hinsicht, von Prof. Dr. 
P. Rohland. — etc. 

Export. Jahrg. 36, 1914, No. 20: Die deutsch-asiatische Dampferlinie, von 
Prof. Dr. R. Jannasch. — Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. 
Jannasch. — Handel und Wirtschaftslage in Südafrika. — etc. — No. 21: Zur 
Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Brasilien und seine Be- 
ziehungen zu Deutschland im Jahre 1913. — etc. — No. 22: Das Ende der Re- 
publik der Mitte, von Dr. Frhr. v. Mackay. — Zum deutsch-österreichischen 
Handelsvertrag. — Deutschlands Außenhandel. — Generalbericht über die wirt- 
schaftliche Entwicklung Rußlands, von W. Ewald. — etc. — No. 23: Zur Welt- 
wirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R, Jannasch. — Der türkische Handel. — etc. 

Gegenwart, Die. Jahrg. 43, 1914, No. 23: Albanien, von Spiridion 
Goptevid. — Die Umwertung der Nationalität, von Samuel Lublinski. — etc. — 
No. 24: Das Bevölkerungsproblem der Großstadt, von ©. Z. Klötzel. — etc. 

Industrie-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 33, 1914, No. 21: Die internationale 
Regelung des gesetzlichen Arbeiterschutzes (Schluß), von Dr. v. Stojentin. — Die 


Zunabme der mittleren Lebensdauer im Deutschen Reiche. — etc. — No. 22: Zum 
Ablauf der Handelsverträge. — Reichstag und Landtag über die Arbeiterverhält- 
nisse der Großeisenindustrie, von Dr. Reichert. — etc. — No. 23: Eine wissen- 


schaftliche Arbeit über die Löhne und Lebenskosten des deutschen Arbeiters. 
Eine Kritik von Dr. Th. Sehmer. — Das Lebensalter der Industriearbeiter nach 


der Berufszählung vom 12. Juni 1907. — etc. — No. 24: Delegiertenversammlung 
des Zentralverbandes Deutscher Industrieller am 4. und 5. Juni 1914 in Köln 
(vorläufiger Bericht). — ete. 


Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 46, 1914, Heft 3: Ueber die Be- 
ziehungen zwischen der physikalischen Bodenbeschaffenheit und der Ertragsfähig- 
keit der Getreidearten, von Dr. Gottlob Stempel. — Einfluß der sozialen Gliede- 
rung der Genossenschaftsmitglieder auf die Tätigkeit der ländlichen Spar- und 
Darlehnskassen, von (Landwirtschaftslehrer) J. Zimmer. — Untersuchungen über 
die Akkordlöhnung in der Landwirtschaft, von Dr. v. Esden-Tempski. — etc. 

Jahrbücher, Preußische. Bd. 156, Juni 1914, Heft 3: Offener Brief über 
das Verhältnis von Rußland und Deutschland, von Prof. Dr. Paul v. Mitrofanoff, 
mit Vor- und Nachwort des Herausgebers. — Klagen unseres Volkes über den 
deutschen Zivilprozeß, von (Landrichter) Dr. Bovensiepen. — Bedenken gegen 
das Grundteilungsgesetz, von Dr. Georg Wilhelm Schiele. — ete. 

Kartell-Rundschau Jahrg. 12, April 1914, Heft 4: Kartellrechtliche 
Studien, von (Rechtsanw.) Dr. Rudolf Wassermann. — etc. 

Kultur, Soziale. Jahrg. 34, Juni 1914, Heft 6: Der staatsbürgerliche 
Jugendunterricht, von Elisabeth Gnauck-Kühne. — Die deutsche Elektrizität auf 
dem Weltmarkt, von Dr. Clemens Heiß. — Der Wert der Ziegenzucht für den land- 
wirtschaftlichen Kleinbetrieb in Deutschland, von Dr. Hugo Kühl. — Die sozial- 
hygienische Entwicklung Italiens seit 1888, von Marg. Weinberg. — etc. 

Monatsblätter, Koloniale. Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonial- 
recht und Kolonialwirtschaft. Jahrg. 16, Mai 1914, Heft 5: Die „schwarze Ge- 
fahr“ in den afrikanischen Schutzgebieten, unter besonderer Berücksichtigung 
Deutsch-Südwestafrikas, von (Major a. D.) Kurt Schwabe. — Statistik der far- 
bigen Bevölkerung von Deutsch-Afrika (Schluß), von Dr. Hermann. — Schutz- 
vertrag und Enteignungsrecht, von Dr. jur. K. ‚Wolzendorff. — Koloniales Gesetz- 
und Verordnungsrecht 1913/14, von (Oberbürgermeister) Dr. Külz. — Die Boden- 
verfassung Aethiopiens (Forts.), von Friedrich J. Bieber. — etc. 

Monatshefte, Sozialistische. 1914, Heft 10: Die politische Krise und die 
Reichstagswahlen 1914 in Schweden, von Otto Järte. — Ein Wort zur Agrarfrage, 


Die periodische Presse Deutschlands. 141 


von Wilhelm Kolb. — Richter und Rechtsanwälte, von Wolfgang Heine. — Ge- 
werkschaften und Genossenschaften, von Heinrich Stühmer. — etc. — Heft 11: 
Kaiserhoch, von Wolfgang Heine. — Der deutsche Reichstag, von Edmund Fischer. 
— Dampfersubvention und Parteientwicklung, von Max Schippel. — Die jüdische 
Neukolonisation Palästinas, von Dr. Ludwig Quessel. — Die neuen Tarifverträge 
im Zentralverband deutscher Konsumvereine, von Franz Feuerstein. — Grundfragen 
eines einheitlichen Arbeitsrechts, von Rudolf Wissell. — etc. 

Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 32, 1914, No. 1637: Die Gefahr der 
Unternehmungen in überseeischen Ländern. — Der Grundirrtum der Bodenreformer. 
— etc. — No. 1638: Die Konzentration im Bankwesen und die Privatbankiers, — 
Die Amortisationshypothek. — ete. — No. 1639: Die Störungen des Wirtschafts- 
lebens durch die auswärtige Politik. — Die Amortisationshypothek. — etc. — 
No, 1640: Das Provisionskartell im Bankgewerbe. — ete. — No. 1641: Das Ka- 
pital iu der Politik. — etc. 

Rechtsschutz, Gewerblicher und Urheberrecht. Jahrg. 19, Mai 1914, 
No. 5: Technische Beisitzer in Patentprozessen, von Prof. Dr. jur. et phil. E. 
Kloeppel. — Immaterielles Güterrecht und Persönlichkeitsrecht, von (Kechts- 
anwalt) H. Marquardt. — etc. 

Plutus. Jahrg. 11, 1914, Heft 20: New Yorker Geschäftsleben. VI. Eigen- 
artige Berufszweige, von Hermann Max Boldt. — Organisation, Betrieb und Buch- 


führung (II.), von Prof. Dr. Fr. Schär. — ete. — Heft 21: Deutschlands Groß- 
schiffahrt, von Ludwig Alinger. — etc. — Heft 22: Der Weltbankier. — Inter- 
ventionspolitik, von Myson. — etc. — Heft 23: Bauschwindel. — Unsere Groß- 


banken (11.), von G. B. — ete. — Heft 24: B. E. W. — etc. 

Recht und Wirtschaft. Jahrg. 3, Juni 1914, No. 6: Zur Frage der Elektri- 
zitātsmonopole, ein gesetzgeberischer Vorschlag, von (Reg.-Rat a. D.) Victor 
Szezesny. — Gemischte wirtschaftliche Unternehmungen in Hamburg, von (Amts- 
tichter) Dr. Matthaei. — Die Belastung der Kommunen mit Reichs- und Staats- 
geschäften, von (Bürgermeister) Dr. Vigelius. — Postkreditbriefe, von (Post- 
direktor) Müller. — Zur Psychologie und Ethik der Berufe und Stände. 1. Der 
Großunternehmer, von Prof. Dr. v. Wiese. — etc. 

Revue, Deutsche. Jahrg. 39, Juni 1914: Japan und der Konflikt zwischen 
Mexiko und der nordamerikanischen Union, von einem Botschafter a. D. — Zeitung, 
Publikum und öffentliche Meinung, von Ernst Posse. — Die Entwicklung Ru- 
Dies unter König Carol und der Balkankrieg, von (Kgl. rumän. Ministerpräs, 
a. D.) Demeter A. Sturdza. — Die Beziehungen der äußeren und inneren Politik 
Öesterreich-Ungarns, von (Feldmarschalleutnant a. D.) v. Wannich. — etc. 

Revne, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 13, Juni 1914, No. 3: Die Be- 


herrschung der Massenenergien (II.), vom Herausgeber. — Der Parlamentarismus 
an der Arbeit, von Dr. M. Ritzenthaler. — Zwei Rassenideale, von Ph. Stauff. 
— etc: 


Revue, Soziale. Jahrg. 14, 1914, Heft 3: Zur Erneuerung der Handels- 
verträge, von Anton Heutmann. — Gewerkschaft und Volkswirtschaft, von Dr. 
A. Retzbach. — etc. 

Rundschau, Deutsche. Jahrg. 40, Juni 1914, Heft 9: Die Eisenbahnpolitik 
des Fürsten Bismarck, von G. C. — ete. 

Rundschau, Koloniale. Jahrg. 1914, Mai, Heft 5: Die Arbeiterfrage in 
Südafrika. — Zur Entvölkerungsfrage Unyamwezis, von (Missionssuperintendent) 
M. H. Löhner, — Die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse Ruandas, von 
(Pastor und Missionar) K. Roehl. — etc. 

: Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 
im Deutschen Reiche. Jahrg. 38, 1914, Heft 2: Die Tatsachen der Lohnbewegung 


in Geschichte und Gegenwart, von Gustav Schmoller. — Die Stellung der Wert- 
urteile in der Nationalökonomie, von Eduard Spranger. — „Die berufliche und 


soziale Gliederung des deutschen Volkes“ nach der Berufszählung vom 12. Juni 
1907, von Paul Kollmann. — Die österreichische Volkszählung vom 31. Dezember 
1910, von Paul Martini. — Deutsch-französische Wirtschaftsbeziehungen zur 
napoleonischen Zeit, von Eugen Tarle. — Die Genossenschaft deutscher Bühnen- 
angehöriger und ihre wirtschaftliche Bedeutung für das Theater, von Rudolf 


142 Die periodische Presse Deutschlands. 


Spuhl. — Das Problem der öffentlichen Arbeitslosenversicherung nach seinem 
gegenwärtigen Stande, von Ernst Bernhard. — Die neueren Agrarreformen und 
die Pachtgenossenschaften in Rumänien, von Constantin Maltezianu. — Der Kampf 
um das Petroleum, von Oswald Schneider. — Aus 100 Jahren deutscher Eisen- 
und Stahlindustrie, von Rudolf Keibel. — Die Ergebnisse des zweiten deutschen 
Soziologentages, von Walther Köhler. — etc. 

Sozial-Technik. Jahrg. 13, 1914, Heft 10: Der Kinematograph im Dienste 
der Unfallverhütung, von (Reg.-Baumeister) Ernst. — etc. — Heft 11: Unfall- 
verhütung und Fortbildungsschule, von (Gewerberat) Dr. Müller. — Gewerbe- 
krankheiten in England im Jahre 1913. — etc. 

Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 4, 
Juni 1914, Heft 6: Liegt die heutige Verwertung der preußischen Staatsdomänen 
im allgemeinen Interesse?, von (Bürgermeister) Pipberger. — Das neue Gesetz über 
die Statistik der Getreidevorräte und Müllereierzeugnisse in Deutschland. — Ein 
Jahrfünft der Privatlebensversicherung in Deutschland, von Franz Xaver Rayl. 
— etc. 

Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom Kaiserl. 
Statistischen Amte. 23. Jahrg., 1914, Heft l: Anordnungen für die Reichs- 
statistik 1913. — Zur Statistik der Preise. — Krankenversicherung (1908—12). 
— Erntestatistik für das Jahr 1913. — Schlachtvieh- und Fleischbeschau im 
4. Vierteljahr 1913. — Zulassung von Wertpapieren an den deutschen Börsen 
1913. — Statistik der Schuldverschreibungen der deutschen Bodenkreditinstitute. 
31. Dezember 1912. — Die Bestands- und Kapitalsänderungen der deutschen 
Aktiengesellschaften und Gesellschaften m. b. H. (1913). — Bodenseefischerei im 
Jahre 1913. — Die überseeische Auswanderung 1913. — Reichserbschaftssteuer- 
statistik 1912. — Die Kraftfahrzeuge im Deutschen Reiche 1912/13 und Zählung 
am 1. Januar 1914. — Zur amtlichen Kenntnis gelangte schädigende Ereignisse 
beim Verkehr mit Kraftfahrzeugen (1. Oktober 1912 bis 30. September 1913). — 
Vergleichende Darstellung zwischen der Kraftfahrzeugbestands- und -Unfall- 
statistik (1. Oktober 1912 bis 30. September. 1913). — Branntweinbrennerei und 
Branntweinbesteuerung 1912/13. — Produktion der Kohlen-, Eisen- und Hütten- 
industrie im Jahre 1912. — Produktion der bergbaulichen Betriebe und der Eisen- 
industrie Luxemburgs im Jahre 1912. — ete. 

Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Bd. 12, 
Heft 1 und 2: Handwerk und Hofrecht. Eine Entgegnung, von G. v. Below. — 
Der Untergang der norwegischen Schiffahrt im Mittelalter, von Alexander Bugge. 
— Zur Entstehung des Deutschtiroler Bauernstandes im Mittelalter, von O, Stolz. 
— Eine amtliche Darstellung der Anfänge der österreichischen Arbeiterbewegung, 
von Julius Bunzel. — etc. 

Weltrerkehr und Weltwirtschaft. Jahrg. 4, 1914/15, Mai 1914, No. 2: 
Vergleichende Betrachtung über die Bodenertragsintensität in verschiedenen Län- 


dern, von Dr. Hans Bernhard. — Die deutschen Siedlungen in Britisch-Kaffraria, 
von (Geh. Reg.-Rat) Dr. Max Seidel. — Die Kautschukkrisis, von (Direktor) A. 
W. Bloem. — Die erste internationale Postverbindung durch Deutschland, von 
(Oberpostsekretär) Fritz Lathe. — Der Marseille-Rhone-Kanal, von Dr. F. 
Guckenmuß. — etc. 

Wirtschafts-Zeitung. Jahrg. 10, 1914, No. 10: Internationale Handels- 
kammerkongresse, von Dr. Otto Brandt. — Die Einwirkung politischer Krisen auf 


die Wirtschaftslage, von (Redakteur) Leo Benario. — Hilfe für die Arbeitslosen,. 
von (Ingen.) Alfred Striemer. — ete. — No. 11: Die Volksversicherung, von P. 
Ruscheweyh. — Weiterer Schutz des Privateigentums auf den Meeren?, von E. 
Fitger. — Internationale kaufmännische Schiedsgerichte, von Simon L. Bern- 
heimer. — Berliner Schmuckfedern, von Dr. Engel. — etc. — Beilage: Das 
Sprachstudium an den Handelshochschulen, unter besonderer Berücksichtigung der 
kaufmännischen Diplomprüfung, von Prof. Dr. Ch. Glauser. — etc. 

Zeit, Die Neue. Jahrg. 32, 1914, No. 8: Auswärtiges Amt. — Zum 
Problem der Moral (Marx und Kant), von C. Notter. — Wohnungsfrage und Ar- 
beiterschaft, von Max Sachs. — Die Organisationsform der Gewerkschaften, von 
Jacob Heinen. — etc. — No. 9: Der Minister für Wahlrechtsreform“, von 


Die periodische Presse Deutschlands. 143 


Konrad Haenisch. — Zum Problem der Moral (Marx und Kant) (Forts.), von 
C. Notter. — Die italienische Partei und der Kampf gegen den Schutzzoll, von 
Agostino Lanzillo.. — ete. — No. 10: Des Mbret Glück und Ende. — Sozial- 
demokratie und Verstaatlichung, von H. Laufenberg. — Zum Problem der Moral 
(Marx und Kant) (Schluß), von C. Notter. — Das Ende der liberalen Aera in 
Württemberg, von Hermann Mattutat. — ete. — No. 11: Die gewerkschaftliche 
Organisationsform, Von Xaver Kamrowski. — Sozialdemokratie und Verstaatlichung 
(Schluß), von H. Laufenberg. — Taylorsystem und Arbeiterschaft, von Ernst 
Meyer. — Bürgerliche Sozialpolitiker, Gewerkschaften und Klassenkampf, von 
Paul Lange. — Innere Kolonisation in Oldenburg, von Joseph Kliche. — etc. 
Zeitschrift des K. Bayerischen Statistischen Landesamts. Jahrg. #6, 
1914. No. 2: Aufgaben und Leistungen der Polizeistatistik. — Der Viehstand 
Bayerns auf Grund der Viehzählung vom 1. Dezember 1913. — Die Tarifverträge 
in Bayern am Ende des Jahres 1912. — Krankenbewegung und Sterbefälle in 
den bayerischen Heilanstalten in den Jahren 1911 und 1912. — Die Reichserb- 
schaftssteuer in Bayern 1907—1911. — Statistik der Preise im Jahre 1913. — 
Bayerische Verbände von Arbeitgebern, Angestellten und Arbeitern im Jahre 1912. 


Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. Jahrg. 70, 1914, Heft 2: 
Betrachtungen über die Kompetenzverteilung in den modernen Staaten, von Dr. 
Bruno Beyer. — Zur Geschichte des Bergrechts von der ältesten Zeit bis auf 
die Gegenwart, von Prof. Dr. Adolf Arndt. — Der Kampf um die Arbeits- 
leistung in Australien und Amerika, von Dr. Junghann. — Gesindegerichte, von 
(Ratsassess. a. D.) Dr. jur. Georg Müller. — Fehlerquellen in der Statistik der 
Nationalitäten, von Waldemar Mitscherlich. — Die Wirksamkeit des britischen 
Arbeitslosenversicherungsgesetzes, von H. Fehlinger. — etc. 

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Bd. 35, 1914, Heft 7: 
Literaturbericht. Rechtsgeschichte. Berichterstatter: (Reichsarchivrat) Dr. H. Knapp. 
— Strafrecht. Allgemeiner Teil. Berichterstatter: Prof. Dr. N. Hermann Kriegs- 
mann. Besonderer Teil. Berichterstatter: (Oberlandesgerichtsrat) Dr. A. Feisen- 
berger. — Strafprozeß. Berichterstatter: Prof. Dr. Ernst Beling und (Gerichts- 
assessor) Dr. Ed. Kern. — Gefängniswesen. Berichterstatter: (Erster Staatsanwalt) 
A. Klein. — Militärstrafrecht. Berichterstatter: (Kriegsgerichtsrat) E. Steidle. 
— etc. 8 Se hi} 
Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 7, Juni 
1914, Heft 3. Das Institut der Sicherungsübereignung und seine buchtechnische 
Behandlung, von (Handelsschuldirektor) Dr. R. Caleb. — Kredit- und Zahlungs- 
vermittlung der Ueberseebanken, von Walter Brandt. — Die Passivkonten im 
„Rahmen der Zweikontentheorie, von Seb. Puff. — Finanzierungspraxis, Von (Red.) 
Arthur Lauinger. — etc. — Beiblatt: Normative Warenkunde, von Dr. Benno 
Jaroslaw. — Entstehung und Verwirklichung des Handelsschulgedankens im 18. und 
19. Jahrhundert in Berlin, von E. Nicklaus. — Zur psychologischen Grundlage 
des Taylor-Systems, von Dr. M. Picard. — Der Weg zum Kaufmann in den 
Vereinigten Staaten Amerikas, von Prof. Rudolf Anschütz. — etc. 

Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg- 5, 1914, Heft 6: Die Preis- 
kurve und das Teuerungsproblem (2. Teil II), von Dr. Lorenz Glier. i 
Bedeutung des Krieges bei den Kulturvölkern (II. Schluß), von 8. R. Steinmetz. 
— Sozialhygiene und Eugenik (II), von W. Schallmeyer. — etc. 


144 


Erklärung: 


Die rechts- und staatswissenschaftliche Fakultät 
der deutschen Universität in Prag über den Angriff 
Prof. Dr. Max Webers gegen Prof. Dr. Paul Sander. 


In seiner Sitzung vom 22. Mai 1914 beschäftigte sich das Professoren- 
kollegium der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der deutschen Uni- 
versität in Prag mit den ehrenrührigen Angriffen, welche Professor Max 
Weber in Heidelberg gegen Dr. Paul Sander, Professor der Wirtschaftsgeschichte 
der Prager deutschen Universität, gerichtet hat. Berichterstatter war ein Fakul- 
tätsmitglied, das nicht der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, 
Kunst und Literatur in Böhmen angehört, weil diese insofern an der vorliegen- 
den Angelegenheit beteiligt ist, als sie die Drucklegung der Salzschen „Ge- 
schichte der böhmischen Industrie in der Neuzeit“ abgelehnt hatte. Auf Grund 
des in dieser Sache erstatteten Berichtes wurde einstimmig die Grundlosig- 
keit dieser Angriffe anerkannt und folgende vom Referenten beantragte Kund- 
gebung angenommen: 

1. Das Professorenkollegium der rechts- und staatswissenschaftlichen Fa- 
kultät der deutschen Universität in Prag bedauert die maßlosen und schon ihrer 
Form nach unzulässigen Angriffe, welche Prof. Max Weber gegen Prof. Paul 
Sander wegen dessen Kritik des Buches „Geschichte der böhmischen Industrie 
in der Neuzeit“ von Arthur Salz gerichtet hat, erklärt, daß sich diese An- 
griffe auf die schriftstellerische und persönliche Ehre Sanders nach reiflicher 
Nachprüfung des von Weber beigebrachten Materials als vollkommen grundlos 
und unberechtigt darstellen, und gibt seiner Ueberzeugung Ausdruck, daß die 
wissenschaftliche und sittliche Integrität Sanders außer jedem Zweifel steht. 

2. Für eine Disziplinaruntersuchung gegen Professor Sander liegt kein 
Anlaß vor, und es bedarf auch keiner gerichtlichen Klage, um etwa Sander der 
Fakultät gegenüber wegen der gegen ihn gerichteten Angriffe zu rehabilitieren. 

Zugleich wurde beschlossen, zur Aufklärung der Oeffentlichkeit die Aus- 
führungen des Berichterstatters zu veröffentlichen, was hiemit geschieht. 


Der Dekan 
der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät der deutschen 
Universität in Prag v. Mayr. 


Die ausführliche Begründung dieser Entscheidung ist in einer im Selbst- 
verlage der Prager Fakultät erschienenen Broschüre enthalten. Herr Prof. 
Max Weber hat bereits eine Gegenantwort in einer selbständigen Publikation in 
Aussicht gestellt 

Die Redaktion. 


Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. 


Stolzmann, DieKritik des Subjektivismus an der Hand dersozialorganischen Methode. 145 


II 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand 
der sozialorganischen Methode. 


Rudolf Stolzmann, 
Ehrendoktor der Staatswissenschaft. 


Inhalt: Einleitung. 1. Der Ausgangspunkt der subjektivistischen Lehre und 
ihr „Elementarfall“. 2. Der „Subjektivismus‘“ der Wertlehre, ihr „Passe-partout“ und 
ihre Werteinheit. 3. Der Preis als Resultante subjektiver Wertschätzungen. 4. Die 
„Komplikationen“ des subjektivistischen Preisgesetzes, zunächst die für „beliebig käuf- 
liche Güter‘. 5. Die „Kosten“ in der subjektivistischen Preislehre. 6. Das Wesen und 
der Ursprung des Kostenbegriffs: Kausalität oder Teleologie? 7. Die Unzulänglichkeit 
des Kostenbegriffs in der subjektivistischen Preislehre. 8. Der Wert der „komplemen- 
tären“ Güter. Das Gesetz der Zurechnung und Verteilung. 


Die theoretische Nationalökonomie wird mit Recht auch die 
„systematische“ genannt. Denn sie hat die Aufgabe, den von der 
Wirtschaftsgeschichte vorbereiteten Stoff in ein grundsätzliches 
„System“ von fruchtbaren Begriffen zu bringen, das dann wieder der 
Wirtschafts politik als handliches Werkzeug dienen kann. So steht 
sie im Zentrum der Gesamtdisziplin. Sie hat ihr die Elemente der 
Erkenntnis zu bieten, ihr klares und schlichtes Einmaleins. 

Wie soll ihr aber diese Aufgabe gelingen, wenn sie nun seit 
einem halben Jahrhundert durch den hartnäckigen Streit ihrer beiden 
Schulen, der objektivistischen und der subjektivistischen, 
in ihren eigenen Grundvesten erschüttert wird? Die Ueberwindung 
dieses Dualismus ist heute für sie und die ganze Nationalökonomie 
zur Lebensfrage geworden. Da aber nach Lage der Sache an ein 
Niederringen des einen der beiden Gegner durch den anderen nicht 
zu denken ist, wird nur ein Friedensschluß helfen, der keinen Sieger 
und keinen Besiegten kennt: die streitenden Prinzipien haben sich 
der Einheit eines höheren Prinzips unterzuordnen, das weit 
genug ist, um die lebenskräftigen Bestandteile beider Lehrmeinungen 
in sich aufzunehmen und sie zu einem zeitgemäßen Neubau zu- 
sammenzufügen — nicht eklektisch äußerlich, sondern innerlich or- 
ganisch, im Hegelschen Dreitakte immanenter Entwicklung. 

Das Prinzip, das ich meine, ist nicht neu. Es ist das Sozial- 
prinzip, der soziale Gedanke, der in der Lehre vom wirtschaft- 
lichen Seinsollen und auf dem Gebiete der praktischen Politik schon 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID). 10 


146 Rudolf Stolzmann, 


heute gesiegt hat. Wie dort die „soziale Frage“ als ein Problem 
der Organisation erkannt wird, so muß in der Lehre vom wirt- 
schaftlichen Sein die bestehende Volkswirtschaft als ein „Orga- 
nismus“ erfaßt werden; aber, um alle naturalistische Mißdeutung 
schon an der Schwelle abzuweisen, nicht als ein Organismus im 
Sinne eines Naturgebildes, das man seinem Gange zu überlassen hat, 
sondern als ein historisch variables Zweckgebilde, als eine geistige 
Schöpfung, die, trotz aller ihrer naturgegebenen Bedingun- 
gen, ein Menschenwerk bleibt, und deshalb auch von den Menschen 
geändert und gebessert werden kann. 

Diese Betrachtungsweise, die ich kurz als sozialorganische 
bezeichnen will, ist der Sache nach schon von den Historikern 
der ethischen Richtung, von Knies an bis zu Schmoller, gehandhabt, 
und auch in der theoretischen Nationalökonomie ist sie von 
Rodbertus, Schäffle und Wagner angebahnt und gefördert worden. 
Energischer hat sie dann wieder der Verfasser dieser Zeilen in seiner 
„Sozialen Kategorie“ vom Jahre 1896 geltend gemacht, und damit 
der Forderung Stammlers in dessen gleichzeitig erschienenem Werke 
„Wirtschaft und Recht‘ entsprochen: „endlich einmal expressis ver- 
bis in den nationalökonomischen Grundlegungen auf die sozi- 
ale Regelung als letzte sozialwissenschaftliche Erkenntnisbe- 
dingung hinzuweisen, diese dann aber auch bei aller Durchfüh- 
rung nationalökonomischer Lehre in klarer Entschlossenheit fest- 
zuhalten und zielbewußt zu verwerten“. Diese Grundidee, für die 
auch Karl Diehl in seinen Abhandlungen, 1897, S. 813 ff., und 1902, 
S. 87 ff., dieser Jahrbücher, und in seinen sonstigen Schriften ein- 
tritt, ist dann von mir 1909 im „Zweck in der Volkswirtschaft“ 
vertieft und ausgebaut. Die Volkswirtschaft wird dort nach dem 
Vorgange Stammlers als sozialorganisches Zweckgebilde dargestellt, 
dessen Stoff (Materie) die oben berührten Naturbedingungen, d. i. 
die technischen und psychologischen Elemente der sogenannten rein- 
ökonomischen oder natürlichen Kategorie, bilden, und dessen 
Form sich aus den Elementen der sozialen, auch wohl als „histo- 
risch“ bezeichneten Kategorie ergibt, mit anderen Worten, aus der 
durch Sitte und Recht geregelten Wirtschaftsordnung. Die Volks- 
wirtschaft ist dann eben die Einheit jener beiden Kategorien, kurz: 
der „geregelte Stoff“, und die oben formulierte Forderung einer 
Zusammenfassung der subjektivistischen und objektivistischen Ele- 
mente in einer übergeordneten Einheit würde damit erfüllt sein. 

Wenn die Zeichen nicht trügen, hält diese Methode bereits ihren Einzug. 
Ich will aus der großen Masse der neuesten Literatur vor allem ein Wer 
hervorheben: Ammon, „Objekt und Grundbegriffe. der theoretischen National- 
ökonomie“, Wien u. Leipzig 1911, das mit der Grundtendenz und dem Inhalte 
meiner „Sozialen Kategorie“ so auffällig übereinstimmt, daß es sehr wohl den- 
selben Titel führen könnte, obgleich der Verfasser weder Stammler noch mich 
zu kennen scheint. Ich kann mir das nach dem ganzen Inhalte der Schrift. 
und nach der eigenen Bemerkung Ammons auf S. 410 nur dadurch erklären, 
daß er seinerseits wieder von Komorzynski angeregt worden ist, der nach einem 
Briefe an mich vom Jahre 1896 bei den Vorstudien für sein 1903 erschienenes 
Werk über den „Kredit“ durch „immer und immer wiederholte Lektüre“ meines 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 147 


Buches nach der Richtung der sozialorganischen Betrachtungsweise hin ganz 
erheblich beeinflußt worden ist. — Neuerdings hat dann ein so ausgesprochener 
Subjektivist wie Liefmann, Bd. 1913, S. 613 dieser Jahrbücher, eingeräumt, 
daß gerade meine Untersuchungen zeigen, wie man „auch“ von der sozialen 
Betrachtungsweise aus bei richtiger Beobachtung der Dinge „zu richtigen Er- 
klärungen gelangen kann“. — dlich weise ich hin auf O. Spann: „Der 
Dees er Nationalökonomie“ in der Zeitschr. f.d. ges. Staatswissensch. 
1908, S. 1ff., ganz besonders aber auf O. v. Zwiedinek in demselben Bande, 
S. 587ff.; „Kritisches und Positives zur Preislehre“, Forts. 1909, S. "gtt, 
sodann im Archiv f. Sozialw. u. Sozialpolitik, 1914, S. 1ff.: „Ueber den 
Subjektivimus in der Preislehre (Ueberlegungen im Änschluß an Liefmanns 
Preistheorie)“. v. Zwiedinek gelangt, trotz seiner — mit Spann — noch immer 
von den „Handlungen der Subjekte“ ausgehenden analytischen Methode, zu einer 
eindringlichen Verwerfung der subjektivistischen Einseitigkeiten und ist schritt- 
weise dem Standpunkte der sozialorganischen Betrachtung so nahe gekommen 
daß man ihm von dort aus — nach Durchbruch einer nur noch dünnen und 
mehr äußerlich methodischen Scheidewand — beinahe die Hand reichen kann, 
Nach dem Gesagten sehe ich meine nächste Aufgabe in der 
Kritik des herrschenden Subjektivismus, der dann in einer weiteren 
Abhandlung die Kritik des Objektivismus und der Versuch seiner 
Versöhnung oder — weniger optimistisch — seiner Verschmelzung 
mit dem Subjektivismus zu einer sozialorganischen Einheit folgen 
wird. Soweit ich hierbei mit der Kritik einzusetzen habe, kann sie 
nicht immer in Friedenstöne ausklingen, ich hoffe aber, daß mir die 
betroffenen Autoren das Zeugnis strenger Sachlichkeit nicht vor- 
enthalten werden. Es gilt das besonders von einem Schriftsteller, 
dem die Wissenschaft zu großem Danke verpflichtet ist, ich meine 
v. Böhm-Bawerk. Ist er es doch, dessen bewundernswerter Scharf- 
sinn und dessen gewandte Feder der subjektivistischen Lehre die 
abschließende Vollendung und den Reiz eines harmonischen Kunst- 
werks verliehen hat, eines Kunstwerks „aus einem Guß‘“. Er selbst 
und der Leser werden es also natürlich finden, wenn sich meine 
Kritik vielfach kurzweg an diejenige greifbare Form des Subjekti- 
vismus hält, die er nun einmal von seinem Meister erhalten hat. 


1. Der Ausgangspunkt der subjektivistischen Lehre und ihr 
‚„Elementarfall“. 


Der wesentlichste Unterschied zwischen der von mir vertretenen 
sozialorganischen und einer subjektivistischen Methode liegt in 
ihrem Ausgangspunkte. Jene beginnt mit der Zergliederung des 
volkswirtschaftlichen Organismus als eines primären Ganzen, sie 
legt seine organischen Funktionen dar und endigt mit der Lehre 
vom Werte, der nur das Ergebnis der immanenten Zwecke der 
Volkswirtschaft darstellt, die Quintessenz ihrer sozialorganischen 
Zweckfunktionen und deren kurzen Ausdruck im Lapidarstil 
(„Zweck“, S. 209, 527). Diesubjektivistischen Lehren nehmen 
den umgekehrten Weg. Bei ihnen steht — wie bei den Klassikern 
formal — auch sachlich die Wertlehre an der Spitze des Systems, 
ja der Wert bzw. der Preis „organisiert“ erst seinerseits die Volks- 
wirtschaft, wie der neueste Subjektivist sagt: Liefmann. 

10* 


148 Rudolf Stolzmann, 


Nun habe ich schon „Zweck“, S. 702, die Wahl des Ausgangs- 
punktes als das unveräußerliche Urrecht jeder Theorie bezeichnet. 
Er muß nur zum richtigen Ende führen und seinen Zweck erfüllen. 
Ueber diesen Zweck herrscht Einigkeit. Auch die Theoretiker des 
Subjektivismus geben zu, daß ihre Wertlehre, obwohl „Zentral- 
problem“ der ganzen Nationalökonomie, doch nicht Selbstzweck sei, 
sondern nur Mittel im Dienste eines höheren Zweckes, der Erklärung 
der vollen sozialen Wirklichkeit. „Von der Wissenschaft“, sagt 
v. Böhm S. 324, Jahrgang 1892 dieser Jahrbücher, „verlangt man, 
daß sie unserer, der wirklichen Welt, den Spiegel vorhalte... 
Robinson ist uns ein ‚Probierbengel‘, der eigentliche Schauplatz 
unserer Theorie ist die volle sozialwirtschaftliche (!) Wirklichkeit. 
Unsere Werttheorie wäre keinen Schuß Pulver wert, und wir würden 
nicht eine einzige Seele im Publikum zu ihr bekehren, wenn wir 
nicht imstande wären, zu zeigen, daß sie nicht bloß auf Robinsonaden, 
sondern auf die volle lebendige Wirklichkeit paßt.“ Ganz folgerecht 
weist er deshalb dem objektiven Tauschwerte, dessen Gesetze, wie 
er richtig bemerkt, mit denen des Preises zusammenfallen, die 
Rolle des „Erklärungszieles“, dem subjektiven Werte die eines 
wissenschaftlichen Erklärungswerkzeuges zu. Damit im Ein- 
klang steht es, wenn er jetzt, in der neuesten (3. Auflage) seiner 
„Positiven Lehre des Kapitalzinses“, S. 219, sich „zugunsten eines 
einheitlichen Wertbegriffs“ entscheidet, während er früher Neu- 
mann, dem Vater der unglücklichen Antithese „objektiver und sub- 
jektiver Wert‘ beipflichtete, der gegen die Zusammenfassung beider 
in einen Begriff ausgeführt hatte, sie laufe auf dasselbe hinaus, als 
wenn man aus einem Schwarzwaldbauer und einem Vogelbauer einen 
„Bauer im allgemeinen“ zusammendestilliere. Demgegenüber hatte 
ich schon, „Soziale Kategorie“, S. 19—23, die Einheit des Wert- 
begriffes und der Werterklärung geltend gemacht. Im wirklichen 
Leben, sagte ich dort, hat jedes Gut auch nur einen Wert und 
einen Dreis Was man seine Unterarten nennt, sind nur wissen- 
schaftliche Hilfsbegriffe (Kategorien) zur Erfassung und Bemessung 
dieses einen unteilbaren Wertes. 

Wenn nun auch v. Böhm-Bawerk nachträglich die Einheitlichkeit 
des Wertes äußerlich anerkannt hat, so scheint er den Dualismus 
innerlich noch lange nicht ausgezogen zu haben. Erkennt er doch 
auch jetzt nur sehr „dürftige gemeinsame Erscheinungsmerkmale“ 
zwischen subjektivem und objektivem Werte an. Die „Geltung der 
Güter im Wirtschaftsleben‘“ (so lautet eine neuere einheitliche For- 
maldefinition v. Wiesers) sei eine Geltung recht verschiedener Art, 
weil sie „aus einem verschiedenen Tatbestand‘ hervorgehe, dem 
zwei „in ihrem Wesen recht stark differenzierte Erscheinungs- 
gruppen“ entsprächen. Daß der Tatbestand der einen auf den der 
anderen einen kausalen Einfluß übe (er denkt hierbei wohl an den 
objektiven Tauschwert als „Resultante‘“ der subjektiven Wert- 
schätzungen) gehöre auf ein ganz anderes Blatt und habe mit der 
Frage der Zusammenfassung beider Werte genau so wenig zu tun, 


Die Kritik des Subjektivimus an der Hand der sozialorganischen Methode. 149 


als etwa die Tatsache, daß der Regen das Leben und die Entwicklung 
der Pflanzen kausal beeinflußt, irgendeinen Titel dafür gebe, den 
Regen und die Pflanzen in einen übergeordneten gemeinsamen Be- 
griff zusammenzufassen. Das scheint mir im Widerspruch mit der 
besseren Einsicht v. Böhm-Bawerks zu stehen, wonach objektiver und 
subjektiver Wert „in einem Guß‘“ zu erklären seien, und mit der 
Auffassung, wonach dem subjektiven Werte nur die Probe eines 
„Werkzeuges“ für die Erklärung des objektiven Wertes, also, mit 
v. Böhm-Bawerks Erlaubnis, des Preises zufalle, der doch glücklicher 
weise eine durchaus gegebene eindeutige Tatsache des Lebens ist. 
Ist er das zu Erklärende, so fällt er auch mit dem „Werte“ der 
sozialen Wirklichkeit zusammen, er ist der Preis. Es gibt nicht 
zwei „Erscheinungsgruppen“, sondern nur ein einziges zu erklärendes 
Phänomen. Es gibt auch nicht, wie v. Böhm-Bawerk meint, be- 
sondere Gesetze des subjektiven und besondere des objektiven 
Wertes, sondern nur zwei verschiedene Kategorien oder Hilfs- 
mittel des Denkens zur Erfüllung der einen Aufgabe, der Auffin- 
dung der Gesetze des Preises, den wir Nationalökonomen „dem Publi- 
kum‘ zu erklären haben. So entschieden die Kategorien, wie ich 
eingehend gegen Dietzel im „Zweck“, $ 8, S. 112ff., klar zu machen 
suchte, beileibe niemals in eins „zusammengefaßt‘‘ werden dürfen, 
sondern ihren Erkenntniswert erst in der streng begrifflichen Schei- 
dung von einander erhalten, so wenig ist andererseits die Zerhackung 
der einheitlich gegebenen Phänomene in besondere Tatsachen- 
gruppen erlaubt. 

Die Vermengung der Kategorien mit den Phänomenen ist ja so 
alt wie alle „Wertlehren“. Je nach der Richtung der Autoren 
haben sie das Denkmittel „Wert“ nach ihrem Zwecke gemodelt. 
Die Physiokraten haben den valor intrinsecus der ländlichen Er- 
zeugnisse, die Klassiker und die Sozialisten den „Arbeitswert‘“, 
die Epigonen und Exegeten der Klassiker den Kostenwert als „den“ 
Wert bezeichnet. Kein Wunder dann, wenn dieser Wert der Ge- 
lehrsamkeit mit dem Werte der Wirklichkeit, das „Wertgesetz“ mit 
dem „Preisgesetz“ nicht stimmen will, wie dies schon bei den 
Klassikern (Soz. K., S. 62 ff.), ebenso bei Rodbertus (ebenda, 
S. 73—74), dann aber ganz besonders grell bei Marx hervorgetreten 
ist (ebenda S+ 93 und Zweck S. 546ff). Es ist deshalb begreiflich, 
wenn Liefmann das verdächtige Wort „Wert“ am liebsten ganz 
aus dem wissenschaftlichen Begriffsschatz ausscheiden möchte, nur 
daß er ihn seinerseits doch wieder durch einen neuen Wert, den 
„Ertragswert‘“, bereichert hat. 


So beginnt denn die subjektive Wertlehre gleich mit der Ana- 
lyse solcher künstlich konstruierter „Erscheinungsgruppen“, in denen 
der rein subjektive Charakter des Werts in ungetrübter „Erschei- 
nung“ hervortreten kann, recht abseits von jenem „eigentlichen 
Schauplatz“ der Theorie, ungestört von allen Ablenkungen der so- 
zialen Wirklichkeiten: noli tangere circulos meos! Wüstenreisende 


150 Rudolf Stolzmann, 


mit gemessenem Wasservorrat, einsame Jäger mit zwei Stücken 
Brot oder zwei Patronen, besonders aber der Kolonist im Urwalde, 
das sind die „Schauplätze“ und Versuchspersonen, an denen die 
Subjektivsten klarzumachen suchen, daß „der ökonomische Cha- 
rakter der Güter in keinerlei Weise an die menschliche Wirtschaft 
in ihrer sozialen (!) Erscheinung geknüpft“ sei, „die Güter haben 
Wert stets für bestimmte wirtschaftende Subjekte, aber auch nur 
für solche einen bestimmten Wert“ (Menger). Ja, v. Böhm 
hat nicht übel Lust, den Begriff „objektiver Tauschwert‘“ ganz 
auszumerzen und ihn durch „Tauschkraft“ zu ersetzen, der dann 
in einer Linie mit den „ganz nahe verwandten‘ übrigen, rein tech- 
nischen „objektiven“ Werten: dem „Heizwert‘‘ von Holz und Kohlen, 
dem „Düngwert‘“ der Düngmittel, dem „Gefechtswert“ der Kriegs- 
schiffe usw. steht, in denen „jede Beziehung“ auf das Wohl und 
Wehe eines Subjektes verbannt sei. Nur „der subjektive Wert ist die 
Bedeutung, die ein Gut für die Wohlfahrtszwecke eines bestimmten 
Subjektes besitzt“. Der objektive Tauschwert ist nur eine rein 
objektive „Tatsache“, nämlich die „Fähigkeit, im Austausch eine 
bestimmte Menge“, ein „Quantum“ anderer Güter, als Gegengabe 
zu erlangen, z. B. 1 Pferd gegen 100 Gulden (v. Böhm-Bawerk 
„Grundzüge“, Jahrg. 1886 dieser Jahrbücher, S. 4—8 und „Pos. 
Theorie“, S. 211—220). 

Die Ableitung des „wahren“, des subjektiven Wertes, nimmt dann v. Böhm 
an jenem Beispiel des Kolonisten in folgender Weise vor: Sein Blockhaus steht. 
„abseits von allen Verkehrsstraßen einsam im Urwalde“. Er ist ausgerüstet mit 
dem gemessenen Vorrat von 5 Säcken Korn. Die objektiven und die subjektiven 
Faktoren seiner Wertschätzungen sind gegebene, der objektive Faktor ist der 
„Besitzstand“ der 5 Säcke Korn, mit der der Kolonist sich bis zur nächsten 
Ernte behelfen muß, der subjektive Faktor ist die „Skala der Bedürfnisse“ in 
seinem Kopfe, nach der er ihre Wichtigkeit bemißt. Nach dieser Skala weist er 
den vorhandenen Gütervorrat der Reihe nach in die wichtigsten konkreten Ver- 
wendungen ein, den ersten Sack bestimmt er für die Lebensfristung, den zweiten 
zur Vervollständigung seiner Mahlzeiten, den dritten zur Mästung von Ge- 
flügel, den vierten zur Erzeugung von Kornbranntwein und den fünften, um 
zu seinem Vergnügen Papageien zu erhalten. Dann richtet sich der Wert eines 
Sackes Korn nach dieser letzten Verwendung. Denn der Wert kann ja immer 
nur die „Bedeutung sein, die ein Gut oder ein Güterkomplex als anerkannte 
ak eines sonst (!) zu entbehrenden (!) Nutzens .... erlangt. Das 
Maß des abhängigen Nutzens ist auch das Maß für den Güterwert.“ Dies 
„erprobt“ sich, so erläutert v. Böhm, „am einfachsten daran, wieviel er (der Ko- 
lonist) an Nutzen einbüßen würde, falls ihm ein Sack verloren (I!) ginge“ 
„Der Kolonist wird mit den übrig gebliebenen 4 Säcken die vier wichtigsten Be- 
dürfniszweige decken, und nur auf die Gewinnung des unbedeutendsten letzten, 
des ‚Grenznutzens‘ verzichten“, auf die Papageienhaltung, „und nach diesem 
unbedeutendsten Nutzen wird er daher auch jeden einzelnen Sack seines Korn- 
vorrats schätzen“. 


An diesen und ähnlichen kasuistischen „Beobachtungen des 
Lebens“ erläutern die Subjektivsten das, was sie den „Elementar- 
fall“ nennen, den Fall der Bewertung gleichartiger Güter eines 
gegebenen Vorrats, und leiten aus ihm denjenigen Lehrsatz ab, der 
ihnen als der Angelpunkt der ganzen Wertlehre‘“ und „noch mehr 
als dies: als der Schlüssel . . geradezu für alle Wirtschaftshandlungen 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 151 


der Menschen, und somit (!) für die gesamte volkswirtschaftliche 
Theorie“ erscheint: „die Größe des Werts eines Gutes bemißt sich 
nach der Wichtigkeit desjenigen konkreten Bedürfnisses oder Teil- 
bedürfnisses, welches unter den durch den verfügbaren Gesamt- 
vorrat an Gütern solcher Art bedeckten Bedürfnissen das min- 
dest wichtigste ist“, kürzer: „der Wert eines Gutes bestimmt sich 
nach der Größe seines Grenznutzens“. 

Aus dem großen Heere der Bedenken gegen diesen „Schlüssel“ 
kann ich hier nicht alle wiederholen, die ich an anderer Stelle schon 
seit beinahe 20 Jahren vorgetragen und denen sich unter anderem an- 
geschlossen haben: Schor, Jahrband 1902 dieser Jahrbücher, Schade 
in den Annalen des Deutschen Reiches, 1906, S.234ff. Zu vergleichen 
ist jetzt auch Liefmann „Archiv“, 1911, S. 1ff. und 406ff., be- 
sonders S. 451ff. Ich will mich auf diejenigen Einwendungen be- 
schränken, die mein Thema betreffen, weil sie sich aus der sozial- 
organischen Betrachtung ergeben. Sie sind auch wohl diejenigen, 
die bis zur Wurzel des Subjektivismus reichen. Sie betreffen die 
Grundfrage, ob der aus dem Elementarfall abgeleitete Lehrsatz zur 
Erklärung der sozialen Wirklichkeit hinüberführt, oder in 
v. Böhm-Bawerks Worten, ob er einen „tragfähigen Unterbau für 
die Erklärung der sozialwirtschaftlichen (!) Werterscheinungen‘“ ab- 
zugeben geeignet ist. Dazu ist vor allem eine Prüfung erforderlich, 
wie weit jener Lehrsatz „subjektiver“ Art ist, ja ob die Grenz- 
nutzenlehre überhaupt noch den Anspruch erheben kann, eine 
Nutzenwertlehre zu sein, endlich ob der ‚„Fortfallgedanke‘“, auf 
den sie sich gründet, eine ausreichende Werteinheit und somit 
in der Tat den Schlüssel oder — wie v. Böhm-Bawerk sagt — den 
Passe-partout ergibt, der durch alle Verwicklungen der vielge- 
paiga Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens siegreich hin- 

urc Tt. 


2. Der „Subjektivismus“ der Wertlehre, ihr „Passe-partout“ 
und ihre Werteinheit. 


Schon mit dem „Subjektivismus“ der Lehre hat es seine eigene 
Bewandtnis. Entlehnt sie doch ihr Rüstzeug recht wesentlich den 
objektiven Faktoren, nämlich den „äußeren Umständen“ der 
„konkreten Situationen‘, besonders den fixen „Vorräten‘“ gegebener 
Quantitäten. Es sei klar, sagt schon Menger, „daß das Kriterium 
des ökonomischen Charakters der Güter ausschließlich in dem Ver- 
hältnis zwischen Bedarf und (!) verfügbaren Quantitäten derselben 
zu suchen sei“. Und v. Böhm-Bawerk, Pos. Theorie, S. 225: „Jeden+ 
falls ist daran festzuhalten, daß Quantitätsverhältnisse allein 
(!) es sind, welche darüber entscheiden, ob irgendein Gut bloß fähig 
zu nützen, oder auch Bedingung des Nutzens für uns ist“, also 
Wert hat, d. h. ob es „die unentbehrliche Bedingung, die conditio 
sine qua non eines Wohlfahrtserfolges“ ist. Nur ein anderer Aus- 
druck des Quantitätenbegriffs ist die „Seltenheit“, die Knapp: 


152 Rudolf Stolzmann, 


heit“; denn, sagt v. Böhm-Bawerk, die Nützlichkeit zeigt nur an, 
wie hoch der Nutzen äußerstenfalls aufragen kann (abstrakter Ge- 
brauchs- oder Gattungswert), die höhere Stufe des Nutzens ergebe 
sich erst aus der Seltenheit. Diese entscheide darüber, bis zu 
welchem Punkte der Nutzen „konkret und wirklich aufragt“. Ja, 
sage ich, sie entscheidet dann doch aber auch darüber, bis wie weit 
er herniederreicht, der Umfang des Gütervorrats bestimmt erst, 
bis zu welchem Grenzbedürfnis herab seine Einweisung erfolgen 
kann; kurz: er entscheidet über den „Grenznutzen‘“, der also nicht 
„regiert“, sondern ein sekundäres Ergebnis ist, nicht Grund, 
sondern Folge. Am anschaulichsten hat uns v. Wieser darüber belehrt, 
wie sehr diese „objektiven Bedingungen des Güterdaseins den Güter- 
wert beeinflussen“, zu vgl. „Zweck“, S. 700ff. 

Aber selbst als „Ergebnis“ ist der Grenznutzen ein fragwürdiges 
Wertmaß. Als solches müßte er doch einen Wert in sich tragen, 
der geeignet wäre, ein tertium comparationis für die Vergleichung 
des verschiedenen Nutzens der verschiedenen Güter abzugeben. 
Dies ginge nicht anders als durch Messung an irgendeiner Intensi- 
tätseinheit der Bedürfnisbefriedigung. Eine solche!) ist aber 
bis heute noch nicht entdeckt worden. Man kann wohl sagen, daß 
uns im Einzelfalle die eine Bedürfnisbefriedigung wichtiger (!) er- 
scheint, als die andere; aber über diesen Komparativ kommt man 
nicht hinaus. So ist es auch ganz unmöglich, den Nutzen, den der 
letzte Sack Korn gewährt, auf eine Einheit mit dem Nutzen der 
übrigen Säcke zu bringen; denn das, was man ihren (!) Grenz- 
nutzen nennt, ist nicht „ihr“ Nutzen, sondern, wie v. Böhm- 
Bawerk sonst sagt, „ein fremder (!) Nutzen, der Nutzen des letzten 
Güterexemplares, das zur Vertretung (!) herangezogen werden kann“. 
„Der Grenznutzen, der den Wert(?) eines Gutes bestimmt (?), ist 
nicht identisch mit dem Nutzen, den es selbst tatsächlich stiftet .. 
letzteres trifft nur zu entweder bei einzigen, oder bei denjenigen 


1) Vergeblich hat sich v. Böhm-Bawerk S. 325, 8. 331 a. a. O. und neuerdings noch 
einmal im Exkurs X bemüht, die mannigfaltigen Einwendungen zu widerlegen, die im Laufe 
der Zeit, auch von mir (jetzt Zweck 8. 221), gegen die „Meßbarkeit der Gefühlsgrößen‘“ 
und gegen ihre praktische Verwendbarkeit als Wertmaßstab erhoben worden sind. 
Er führt diese Einwendungen selbst ganz zutreffend vor: Intensitäten verschiedener 
Bedürfnisse seien deshalb nicht untereinander meßbar, weil es an der gemeinsamen 
Maßeinheit fehle. Wir vermögen nur immer im gegebenen Momente und bei ge- 
gebenem Zustande unserer Mittel ein vergleichendes Urteil über den Grad der 
Lust zu bilden, den zwei oder mehrere Güter befriedigen. Nicht eine absolute Mes- 
sung, sondern nur eine komparative Vergleichung sei möglich. Wir können nicht 
„urteilen, das Lustgefühl A sei z. B. dreimal so groß und stark als das Lustgefühl B“ — 
v. Böhm-Bawerk erwidert 8. 333: „Ich glaube, wir können das wirklich oder mindestens 
etwas ganz Aehnliches OI, „weil (?) wir im praktischen Leben unzählige Male in die Lage 
kommen, zwischen mehreren Genüssen, die uns wegen der Beschränktheit unserer 
Mittel OU) nicht gleichzeitig erreichbar sind, eine Wahl (sic) zu treffen‘, und wir urteilen 
„geradezu darüber, um wievielmal der eine Genuß den anderen an Größe übertrifft“. 
Aber ist das nicht eine Verrückung des Beweisgegenstandes? Die Frage ist doch die 
nach dem Wertmaßstabe, mit welchem wir rechnen. Die Bedürfnisse ergeben 
nicht den Wertmaßstab, sondern das tun die Mittel, auf welche die Bedürfnisse erst 
angewiesen und projiziert werden. Der Maßstab bleibt ein objektiver. 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 153 


Güterexemplaren, die zufällig gerade für den geringfügigsten Dienst 
ausersehen waren“ (a. a. O., S. 262). 

Damit verliert aber die ganze Grenznutzenlehre die Eigenschaft 
einer Nutzenlehre, sie ist die Verneinung einer solchen, und der 
gegenteilige Schein, der so lange und so viele geblendet hat, ist 
dem verpönten „Objektivismus‘“ entnommen. Es bedarf der objek- 
tiven Krücken und Stützen, in Gestalt eines heterogenen General- 
nenners, um die fehlende Brücke zwischen Nutzen und Nutzen zu 
schlagen, man ersetzt sie durch ein genial naives Hilfsmittel: es 
wird im „Elementarfall“ einfach ein Vorrat gleicher und deshalb 
natürlich an sich schon gleichwertiger Stücke fertiger Genuß- 
mittel supponiert, und dann behauptet, sie seien gleichen Wertes, 
weil (D sie gleichen Grenznutzen haben. Ebenso wird beim 
(später zu behandelnden) Kostengesetze angenommen, daß fertige 
Genußmittel verschiedener Art, die aus gleichartigen Pro- 
duktionsmitteln hervorgegangen sind, die sogenannten „produktions- 
verwandten‘ Güter, gleichwertig seien, nicht etwa bloß weil sie nur 
„allotropische Modifikationen“ der gleichartigen Produktivgüter sind, 
mit deren Besitze wir mittelbar auch ihre Produkte besitzen, sondern 
weil sie als Kostengüter, als Mittelglieder, zunächst erst selbst ihren 
Wert vom Grenznutzen der fertigen Produkte empfangen. So wird 
in beiden Fällen die Ungleichheit des Nutzens durch das Hilfsmittel 
gleichartiger Stücke überwunden. Während auf solche Weise etwas 
„erklärt“ wird, was der Erklärung nicht bedarf, weil es eine nicht 
erklärungsbedürftige Tatsache ist, nämlich die Wertgleichheit 
gleicher oder produktionsverwandter Güter, bleibt das, was wirklich 
erst der Erklärung bedarf, die Wertgleichung ungleichartiger oder 
aus verschiedenen bzw. verschieden zusammengesetzten Produktions- 
gütern hervorgegangener Güter, unerklärt. Natürlich, das theo- 
retische Hilfsmittel versagt; denn, erklärt uns v. Wieser: „Kämen 
Güter nicht in Vorräten gleicher Stücke vor, sondern nur immer 
individuell besonders gestaltet, so könnte das Gesetz (das Grenz- 
nutzengesetz) nicht gelten“. i 

Was aber noch schlimmer: der einzige „Positiv“ in der Rech- 
nung, der Nutzen des „letzten Stückes“ selbst, bleibt ungemessen 
und unmeßbar, obgleich ihn die Grenznutzenlehrer immer mit Ziffern 
in bestimmten Florinbeträgen ansetzen. Es bleibt also nur das übrig, 
was v. Wieser als „oberste Wertregel“ bezeichnet: die Wertgröße 
eines einzelnen und isolierten Gutes „wird mit dem Maße des 
Interesses geschätzt, welches der Besitzer an der wichtigsten Ver- 
wendung hat“ (Ursprung des Wertes, S. 121 ff.). Da aber die letztere 
die einzige ist, die bei einem isolierten Gute in Betracht kommt, 
so bleibt die „oberste Wertregel“ eine Tautologie ohne Erkenntnis- 
wert: A = A, und also unbeziffert und unvergleichbar mit anderen 
Gütern. Weil indessen nun der Grenznutzen, wie er aus dem Elementar- 
fall entwickelt wird, nach v. Wieser nur ein verfeinerter Ausdruck, 
nach v. Böhm-Bawerk, S. 244 nur eine „Verwicklung“ („Kompli- 
kation“) jener obersten Wertregel ist, mit anderen Worten, „sein 


154 Rudolf Stolzmann, 


Begriff und Name erst bei der genaueren Erklärung in Aktion tritt, 
welches unter mehreren in Frage kommenden das gesuchte ab- 
hängige Bedürfnis ist“ (Jahrbücher 1892, S. 348), so fällt das 
Grenznutzengesetz zugleich mit der obersten Wertregel, jedenfalls 
hat es keinen höheren Erkenntniswert wie diese. Aber die Grenz- 
nutzenlehre macht aus ihrer Not eine Tugend, sie glaubt etwas 
Neues mit jener „Verwicklung“ gesagt und mit dem „Grenznutzen“, 
den sie nun überall unbesehen als gegebenes Wertmaß der 
Güter einsetzt, die Grundlage für eine neue, „moderne“ National- 
ökonomie gefunden zu haben. 


Der Grund dieser Selbsttäuschung liegt im Fortfallge- 
danken, den v. Böhm-Bawerk als den Passe-partout der ganzen 
Lehre bezeichnet und dem seinerseits wieder der „Abhängigkeits- 
gedanke‘ zugrunde liegt: der Wert ist durch die kasuistische Unter- 
suchung zu finden, welcher Wohlfahrtsgewinn in gegebener Lage 
von einem Gute „abhängt“, und das ergibt sich — im Kolonisten- 
beispiel — daran, wie viel an Nutzen der Kolonist einbüßen 
würde, wenn (!) ihm ein Sack verloren ginge. Das ist dann 
aber, wie ich dies alles S. K. S. 257ff. eingehender ausführte, 
nicht mehr der Besitzstand der objektiv gegebenen Quantitäten, 
um deren Bewertung es sich doch handelt, sondern bedeutet eine 
mindestens in Gedanken vorgenommene Störung des Besitzstandes, 
also einen gedanklichen Ausbruch aus diesem: zwei verschiedene 
objektive Besitzstände werden miteinander verglichen. Der Fort- 
fallgedanke enthält also eine Verrückung des Beweisgegenstandes, 
er erklärt Phänomene einer gegebenen Wirtschaft aus denen 
einer anderen mit anderem Besitz- und Quantitätenbestande. Es 
ist das eine Verletzung des eigenen, innerlichsten Prinzips der 
Lehre, des Quantitätenprinzips, das doch eben einen gegebenen und 
festen Vorrat voraussetzt; der Passe-partout umgeht das Problem, 
er ist zentrifugal, er erklärt die Wirtschaft nicht von innen heraus, 
aus ihren eigenen Voraussetzungen, sondern mit Hilfe einer fremden 
Wirtschaft, mit der er sie vergleicht. Dieser Differenzgedanke 
muß ja auf Abwege führen, und es ist v. Komorzynski, der ihn — 
unfreiwillig — ad absurdum geführt hat, indem er ihn ganz aus- 
dachte und ihn uns dann in seiner ganzen Ueberspannung vorführte. 
v. Komorzynski verallgemeinert ihn in der Art, daß er den Fort- 
fall eines Gutes die Aenderung des ganzen Wirtschaftsplanes herbei- 
führen läßt: der schließlich, durch Ueberwälzung vermittelte, 
irgendwo haften bleibende Ausfall an Bedürfnisbefriedigung stellt 
den Wert des geschätzten Gutes dar. Will man also den gegen- 
seitigen Wert zweier Güter A und B feststellen, so müßte man 
zuerst den Effekt der Wirtschaft ohne das Gut A und dann den- 
jenigen einer anderen Wirtschaft ohne das Gut B feststellen ; beide 
Güter haben gleichen Wert, wenn der schließliche Effekt in dem 
Ausfall derselben Bedürfnisbefriedigung besteht. „Soviel Güter 


Die Kritik des Subjektivimus an der Hand der sozialorganischen Methode. 155 


und Gütermengen man bewerten, d. h. in ihren Werten vergleichen 
will, so oft müßte diese Prozedur wiederholt werden, so oft müßte 
die Wirtschaft in Gedanken aus ihrer Haut herausfahren — zum 
Glücke nicht praktisch — sondern nur in der Theorie!“ Sollte, 
so fuhr ich fort, nicht vielmehr dem Gedanken v. Wiesers beizu- 
treten sein, den er — allerdings inkonsequent — nicht für die Be- 
wertung der Genußmittel, sondern nur für die der Produktivgüter 
geltend macht, daß es „nicht auf den Ertragsanteil ankomme, der 
durch den Verlust eines Gutes verloren, sondern auf den- 
jenigen, der durch seinen Besitz erreicht wird?“ Und: „die regel- 
mäßige und entscheidende Annahme, auf die hin man den Wert 
eines Gutes prüft, ist nicht die seines Verlustes, sondern die seines 
ruhigen Besitzes und seines zweckentsprechenden Gebrauches“? 

All dies habe ich nun in den „Zweck“ übernommen, S. 734 ff. und 
75lff. Ich setzte hinzu: Worin ich mit v. Komorzynski differiere, 
das ist, daB er den Passe-partout auf beide Fälle, auf den Fall 
gleichartiger Genußmittel und den komplementärer Produktivgüter 
gleichmäßig, ich ihn dagegen — aus den von Wieser für die Wert- 
bestimmung der letzteren angeführten Gründen — auf keinen der 
beiden Fälle angewandt wissen will. 

Dagegen wendet sich nun v. Böhm-Bawerk (Pos. Theorie, S. 253, 254, Note 2 
und Exk., S. 192, Note 2) mit einer persönlichen und einer sachlichen Eine 
Die erstere geht dahin, daß ich eine „weitläufige und mißverständliche Pole- 
mik angesponnen“, und daß ich „mit beharrlichem Mißgeschick den Grenz- 
nutzentheoretikern just immer für Verfehlungen, die sie etwa begehen, meinen 
Beifall auszusprechen pflege“, „ihnen eifrig beistimme“ und „ihre (?) Argu- 
mente noch mit dem drastischen Bilde ausmale“, „daß die Wirtschaft so oft aus 
ihrer Haut herausfahren müßte“, als ete. — Ich halte mich an die sachliche 
Rüge, sie lautet, daß doch „auch eine Wirtschaft im Beharrungszustande keine 
versteinerte, regungslose Wirtschaft“ sei. Wenn da der unaufhörliche Zugang 
und Abgang von Gütern nicht sinn- und planlos erfolgen solle, so müsse man 

erade in Hinblick auf solche in Frage kommende „Äenderungen in unserem 
üterbestande“ Werturteile vornehmen und überlegen, ob und wofür man sein 
Geld ( !) verwenden solle. Wenn Stolzmann, sagte, Böhm-Bawerk, ein Angebot auf 
irgendein Stück seines Güterbesitzes erhielte, so könnte er schwerlich über die 
Annahme oder Ablehn desselben rationellerweise schlüssig werden, ohne den 
aktuellen Bestand seiner ürfnisbefriedigung „mit jenem Stück und ohne 
den Kaufpreis (!) mit dem hypothetischen Stand seiner Bedürfnisbefriedi- 
gung ohne jenes Stück und dafür (!!) mit dem Kaufpreis miteinander 
zu vergleichen ; also ohne gerade jene Operation durchzuführen, die er als ein 
us der Haut fahren der Wirtschaft‘ bezeichne! — Antikritik: Mein „Güter- 
tand“ bleibt ja hier, ich erleide keinen Verlust, es findet nur innerhalb 
des bleibenden Wertrahmens eine „Variante des möglichen Befriedigungsplanes“ 
statt, was doch einen grundverschiedenen Tatbestand bedeutet. v. Böhm- 
Bawerk freilich identifizi bei er setzt sie gleich, so z.B. S. 194 Exk., 
wo er in einem Atem von einem Manne spricht, der „das in seinem Besitz be- 
findliche Gut veräußern oder es für ern anderen Zweck verwenden 
oder A? endlich durch einen Unglücksfall verlieren (!) würde“. Im übrigen 
begeht hier v. Böhm-Bawerk einen Ausbruch aus der isolierten Wirtschaft, 
von der ich doch Wieser und Komorzynski im Texte reden ließ. Da gibt es 
keine „Kaufpreise“, überhaupt keine „Preise“. Wieder also, wie bei Marx, 
eine Verwechslung mit dem nicht bezifferbaren Gedankending „Wert“ und dem 
e der sozialen Wirklichkeit: „Preis“, das mit jenem gar nicht kommen- 

ist. Ich sehe ganz ab von dem Zirkel, daß v. Böhm-Bawerk hier mit 

dem Preise als gegebener Größe rechnet, während dieser ja erst als „Resul- 


156 Rudolf Stolzmann, 


tante‘ aus den rein subjektiven Wertungen erklärt werden soll. v. Böhm- 
Bawerk führt hier, wie so oft (wir werden das oben belegen) ein Mixtum 
compositum subjektiver und sozialer Betrachtung vor. Wenn ich solche höchst- 
persönlichen Extrageschäfte, wie die Versilberung eines Hausgeräte, mache, die 
überdies für die Erklärung des on Berufs- und arbeitsteiligen Organis- 
mus der Volkswirtschaft „keinen Schuß Pulver wert“ sind, so wird doch dabei 
einzig der Gedanke für mein Werturteil die entscheidende Richtung geben, 
wie hoch sich sonst, im Marktverkehr, der Preis eines solchen stellt. Wie 
sich dieser bildet, das ist ja eben die große Frage! 


Der letalste Mangel im Fortfallgedanken ist aber die ganz 
labile Größe desjenigen Güterquantums, das als „fortgefallen‘“ an- 
genommen wird, mit einem Wort: es ist der Mangel einer brauch- 
baren Werteinheit. Als solche bezeichnet die Grenznutzenlehre 
bald „kleine oder kleinste Teilquantitäten‘ von Gütern, bald sprechen 
sie von „Gütereinheiten“, „Exemplaren“, „Güterstücken“ usw. Alle 
diese Worte schillern. Man könnte dabei zunächst — derb mate- 
rialistisch — an die im Leben gebräuchlichen Gewichts- und Mengen- 
einheiten: Pfund, Liter, Meter etc. denken, wie das ja auch mit 
dem Back" im Kolonistenbeispiel zutrifft. Aber das darf doch 
wohl nicht gemeint sein; die esoterische Lehre der Subjektivsten 
hat vielmehr die Quantitäten im Auge, die — wie in der oben gegen 
mich gerichteten Note — den Gegenstand eines Verkehrsaktes 
bilden und deshalb je nachdem sehr verschieden sind. Man rechnet 
nach Pfunden, aber man schätzt nicht danach. So kann und 
muß also, je nach den zufälligen Umständen des „Aktes“, die 
Schätzung ganz verschieden ausfallen. „Es kann“, sagt v. Böhm- 
Bawerk S. 254, „vorkommen, daß die Wertschätzung einer größeren 
Güterquantität mit der Wertschätzung der Gütereinheit‘‘ (was heißt 
das?) „derselben Art nicht harmoniert, indem die größere Quantität 
außer allem Verhältnis höher geschätzt wird“. Werde z. B. unserm 
Kolonisten ein Kaufangebot von 3 Sack oder von 5 Sack gemacht, 
so sei es „ganz natürlich“, daß ihm 3 Sack oder gar 5 Sack nur 
um einen höheren Satz als ein Sack feil sein werden, da nun einmal 
ihr Wegfall einen tieferen Eingriff in die Bedürfnisbefriedigung 
des schätzenden Subjektes mache. Die ‚„niederste Schicht“, die den 
Grenznutzen bestimmt, schließe dann eben wichtigere Bedürfnis- 
befriedigungen aus, als die Papageienhaltung beim Verlust oder 
Verkauf eines Sackes. Verkaufe ich z. B. alle 5 Sack, und setze 
die Skala der Wichtigkeit, von der Lebenserhaltung herab bis zur 
Papageienhaltung, auf 5, 4, 3, 2, 1 an, den ganzen Ausfall an Nutzen 
also auf 5+4+3+2-+1, so sei diese Summe eben größer als 
5x1. v. Wieser habe irrigerweise diese Rechnung (5x1) vorge- 
nommen, abweichend von seiner sonst vorgetragenen besseren Ein- 
sicht. Er sehe es fälschlich als ein „Axiom“ an, „daß der Wert 
einer Summe von Gütern gleich sein müsse der Summe der 
Einzelwerte ihrer Glieder“. Nun, ich meinte, daß man nach 
Adam Riese auch in der Wirklichkeit so rechne und werte! Mag 
sein, dürfte v. Böhm-Bawerk sagen, aber das schätzende Sub- 
jekt muß im Einzelfalle anders und je nach der Situation ver- 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 157 


schieden rechnen. „Die den subjektiven (D Wert (!) begründenden 
Urteile... können ganz wohl sich wechselseitig ins Gehege kommen 
und sich überdecken (!!). Das Gegenteil zu verlangen, heißt, die 
‚Quadratur des Zirkels‘ zu verlangen“ (Exk., S. 200 und 213). 

v. Böhm-Bawerk hat nun auch vom Standpunkte des allein 
auf den Verlustgedanken gegründeten Grenznutzens, dieses theo- 
retischen Gedankendinges, aus, mit der Behauptung der Inkon- 
sequenz des Wieserschen „Axioms“ ganz recht. Ich begreife auch 
sehr wohl, wie schmerzlich v. Böhm-Bawerk die Preisgebung des 
Fortfallgedankens sein muß. v. Wieser, sagt er, gehe damit „grund- 
sätzlich von dem Gedanken ab, der nicht nur einen Grundpfeiler (!) 
der gesamten Theorie des Grenznutzens überhaupt bildet, sondern 
den auch v. Wieser selbst als Fundament seiner Lehre nicht ent- 
behren kann“; „es gibt keinen anderen Gedanken, durch den sich 
sowohl die Größe des Wertes mit der Größe des Grenznutzens in 
Verbindung bringen‘ ließe, es fehle sonst das indispensable „logi- 
sche“ Zwischenglied.. Aber andererseits scheint mir doch auch 
Wieser von einem sehr richtigen Gefühle darin geleitet zu sein, 
daß die subjektiven Einzelschätzungen des Individuums mit den 
„Werten“ des sozialen ‚Verkehrs ohne Ueber- oder Unterdeckung 
„reinlich“ harmonieren müssen, wenn sie deren „Resultante“ er- 
geben sollen. Sie werden im Einzelfalle häufig genug anders aus- 
fallen, aber im Grundsatz müssen sie sich ihnen „anpassen“, sie 
dürfen nicht schon in der Anlage heterogen sein. Jedes Wirtschafts- 
subjekt muß als Glied des volkswirtschaftlichen Produktionspro- 
zesses a priori seine Schätzungen so einrichten, daß es sie nach- 
her bei der Liquidation auf dem großen Markte bewahrheitet findet. 
Anders nach v. Böhm-Bawerks orthodoxem „Axiom“: „die den 
subjektiven Wert der Produktivgüter“ (das gilt natürlich auch für 
die fertigen Genußgüter) „begründende wirtschaftliche Zurechnung 
des Ertrages.. steht unter ganz anderen logischen Bedingungen“. 
— Hier gilt es also nun zu wählen, zwischen dem Wieserschen 
und dem Böhmschen Axiom. Die Entscheidung kann vom Stand- 
punkte der sozialorganischen Betrachtungsweise aus nicht zweifel- 
haft sein. Das eine Axiom ist die theoretisch künstliche conditio 
sine qua non der Grenznutzenlehre, das andere ist das der sozial- 
organischen Wirklichkeit, das der realen Preisbildung. Aus all 
den holden Drangsalen, die auch einem Marx die selbstgeschaffene 
Antithese von „Wert“ und „Preis“ bereitet hat, werden auch die 
Grenznutzenlehrer nicht ohne Preisgabe ihres Lehrfundamentes 
herausgelangen können. 

v. Böhm-Bawerk hat jetzt im „Exk.“, S. 19ff., eine sehr mühsame, un- 
dankbare und angesichts der selbst betonten „Ueberdeckung“ vielleicht auch 
überflüssige Aufgabe in Angriff genommen, die Widerlegung der W.schen 
Behauptung von der Disk des Besitz- und des Fortfallg ankens.. Wenn 
W. sage, so führt er aus, daß „es nicht auf den Ertragsanteil ankomme, der 
durch den Verlust eines Gutes verloren, sondern auf jenen, der durch seinen 


Besitz erreicht wird“, so habe W. „nicht wahrgenommen, daß dieser dialekti- 
schen Antithese keine sachliche Antithese entspricht. Was durch den Verlust 


158 Rudolf Stolzmann, 


eines Gutes verloren wird, ist stets und notwendig genau identisch mit dem, 
was durch seinen Besitz erreicht wird. Es sind das nur zwei verschiedene 
Vorstellungs- oder Illustrationsformen für dieselbe Sache.“ — Da die Prüfung 
der näheren Argumentationen v. Böhm-Bawerks über den Rahmen dieses 
Aufsatzes gehen würde, und sie auch ohne Eingehen auf die (erst später zu 
behandelnde) Lehre vom Werte der komplementären Güter nicht voll gewürdigt 
werden könnten, so muß ich mich hier auf folgende Andeutungen beschränken. 
v. Böhm-Bawerks Dialektik ist meines Erachtens nur durch die Zweideutigkeit 
des Wortes „Besitz“ gestützt, das im Sprachgebrauch allerdings oft nur eine 
dialektische Antithese von Fortfall bedeutet. Wenn z. B. Hamlet statt der 
Antithese to be or not to be die gleichbedeutende Antithese: to have or not 
to havo (das Jee? gebrauchen würde, so sagte er dann rein gar nichts über 
den Wert und Inhalt des Lebens aus, den es im Falle „seines ruhigen Besitzes 
und seines zweckentsprechenden Gebrauches“ haben könnte. Geht das Leben 
„verloren“, so wird sein Wert (oder Unwert) recht auffällig, aber im einzelnen 
erkannt wird er nur durch ganz andere Betrachtungen. Wenn v. Böhm- 
Bawerk sagt, er habe vorher festgestellt, was das Subjekt durch den Besitz 
eines Produktivgutes durch seine Erwerbun erlange, es habe also seine 
Wertschätzung auf das gestützt, was „durch den Besitz erreicht“ werde, so 
scheint er aich einer Täuschung hinzugeben. Er hatte sie zu allererst vorher 
auf die Ertragsdifferenz zweier verschiedener Wirtschaften hypothetisch 
verschiedenen Güterbestandes aufgestützt, nämlich auf den einer solchen, wo 
das Gut vorhanden, und einer anderen, wo es fortgefallen, verloren war. Fällt 
dann das Gut aus der ersteren fort, dann zeigt ja hinterher allerdings sein 
Besitz an, was man durch seinen Fortfall verloren. 


v. Wieser ist allerdings ‚inkonsequent‘“, wenn er den Fortfall- 
gedanken, diesen „Grundpfeiler“ der Theorie, für die Bewertung der 
komplementären Güter preisgibt, ohne einzusehen, daß er damit 
die ganze Grenznutzenlehre ad absurdum führt. Denn mit dem 
Pfeiler zerstört er das ganze Gebäude. Aber v. Böhm gerät trotz 
seiner Konsequenz dafür seinerseits in das andere Dilemma, er 
gelangt notwendig zur grundsätzlichen Diskrepanz der subjektiven 
Schätzungen mit ihrer angeblichen Resultante. Er macht den ver- 
geblichen Versuch, ihre Nichtkonsequenz durch die Behauptung 
des Auseinanderfallens der „wirklich verteilten gegenüber den für 
die subjektive Wertschätzung zugerechneten Quoten“ unschädlich 
zu machen. Er behauptet, daß „die wirkliche Verteilung zwar 
ganz und gar, ganz und voll aus den die subjektiven Wertschätz- 
ungen bestimmenden Zurechnungsurteilen zu erklären“ sei. Aber die 
Erklärung sei „zweistufig‘! „die Erklärung der faktischen Auf- 
teilung der Produktionserträge, die sich durch die Preisbildung 
vollzieht, gewinnen wir ebenso ganz und voll mittels der zweiten 
Stufe unserer zweistufigen Erklärung, die uns die Resultante zu 


suchen anweist aus denselben subjektiven Bewertungen der Pro- . 


duktionsgüter, welche unsere erste Erklärungsstufe aus den sich 
überdeckenden (!) Zurechnungsurteilen ableitete“ (Exk., S. 201 und 
214). — Sehen wir denn zu, wie es mit dieser Resultantenbildung 
auf der „zweiten Stufe“ bestellt ist; prüfen wir, ob es v. Böhm-Bawerk 
gelungen ist, auf ihr den Preis als Resultantenbildung zu erklären, 
oder ob es wahr ist, was ich in meinen beiden Büchern zu erhärten 
suchte: Wert und Verteilung stammen aus einer Wurzel, der Wert 
ist, um mit Rodbertus zu sprechen, nur das Medium der Verteilung. 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 159 


3. Der Preis als Resultante subjektiver Wertschätzungen. 


v. Böhm-Bawerk leitet im Anschluß an Menger sein „Preis- 
gesetz“ aus folgendem Typus ab: 

Auf dem Pferdemarkt erscheinen im beiderseitigen Wettbewerb die Per- 
sonen A, bis A,, als Kauflustige, die je ein Pferd, das sie kaufen möchten, 
verschieden, von 300 bis 150 fl. herab schätzen, und auf der anderen Seite die 
verkaufslustigen Pferdebesitzer B, bis D, mit Schätzungen ihrer Pferde von 
100—260 fl. herauf. Beide Teile schätzen so verschieden, weil ihre für den 
subjektiven Wert maßgebenden individuellen Bedarfs- und Deckungsverhältnisse 
an Waro und Preisgut (Geld) so verschieden sind. Zum Tausch gelangen dann 
nur A, bis A,, welch letzterer ein Pferd auf 210, und B, bis B,, von denen 
letzterer sein Pferd auf 200 schätzt. Denn nur bei diesen fünf „Paaren“ sind 
die ökonomischen Bedingungen des Tausches gegeben: nur bei ihnen ist ein 
Tauschgewinn möglich, das zu rie gilt ihnen mehr als das Her- 

ebende. Von Ae, der auf 210 fl. schätzt, herauf und von De, der auf 
215 fl. schätzt, herab, ist das nicht mehr der Fall, sie sind vom Bewerbe 
ausgeschlossen, sie spielen nur die Rolle etwaiger Ueber- oder Unterbieter. 
Deshalb stellt sich der allgemeine Preis zwischen 210 und 215, er wird begrenzt 
und bestimmt durch die Höhe der subjektiven Wertschätzungen der Beiden 
Grenzpaare. Jeder Marktpreis ist also, analog dem Grenzwert im „Ele- 
mentarfall“, ein „Grenzpreis“, eingegrenzt durch die wirtschaftlichen Verhältnisse 
derjenigen Bewerber, die gerade am Rande des „Tauschenkönnens“ stehen. 

Im Grunde, sagt v. Böhm-Bawerk, sei dieses Ergebnis kein 
besonders neues, es sei der Kern des alten Gesetzes, wonach sich 
der Preis durch Angebot und Nachfrage in der ‚Zone‘ bildet, wo 
beide quantitativ gerade im Gleichgewicht stehen und sich 
die Wage halten. Das Neue und Bedeutsame sei nur der in den 
alten Rahmen gestellte „Gedanke, daß der Preis ganz und voll, von 
Anfang bis zu Ende, das Produkt, die Resultante der sich auf dem 
Markte begegnenden subjektiven Wertschätzungen der Leute von 
Ware und Preisgut“ sei. 

Ist dies Neue" richtig? Ist es durchschlagend, oder bleibt 
die Deduktion nicht vielmehr mitten in der Analyse stecken? Ich 
kann in der Tat v. Böhm-Bawerk nicht zustimmen, wenn er als ihr 
„weitaus schwerwiegendstes Ergebnis‘ hinstellt, daß er „sämtliche 
(!!) bei der egoistischen Preisbildung wirksamen Einflüsse in subjek- 
tive Wertschätzungen aufgelöst‘ habe (S. 381). Die Analyse bricht 
da ab, wo die eigentliche Sozialökonomie anfängt, d. i., wo der 
Apparat des Subjektivismus versagt. Es mag dahingehen, wenn 
Menger und v. Böhm-Bawerk für im übrigen autarkische Binnen- 
wirtschaften mit zufälligem Austausch von Ueberschußpro- 
dukten etc. Beispiele anführen wie folgendes S. 358: Wenn A 
ein Pferd besitzt und es gegen 10 Eimer Wein vertauschen soll, 
so kann und wird er es nur tun, „wenn die gebotenen 10 Eimer für 
ihn (!) einen größeren Wert haben als sein Pferd“ und wenn der 
andere Kontrahent entsprechend umgekehrt rechnet. Einen Er- 
kenntniswert jedoch für die Erklärung der volkswirtschaftlichen 
Verkehrgesetze von heute können nicht Resultanten von Wert- 
schätzungen aus solchen Situationen haben, welche sich außer- 


160 Rudolf Stolzmann, 


halb des Zusammenhanges der sozialbedingten Verkehrsgemeinschaft 
oder doch bei außerordentlichen Unterbrechungen derselben ab- 
spielen. Die sozialorganisch bedeutsame Untersuchung kann erst 
da anfangen, wo v. Böhm-Bawerk aufhört. Wir müssen fragen: 
Weshalb können und müssen die A undB so schätzen? Wie kommt 
es, fragt Liefmann, Archiv, a. a. O. S. 417, daß, obwohl vielleicht 
100000 Konsumenten ein Bedürfnis nach Winterröcken haben, 
gerade nur 20000 angeboten werden und der Preis sich allgemein, 
sagen wir, auf 40 fl. stellt? Woher, so frage ich, bestimmt sich 
das entscheidende „Verhältnis der subjektiven Wertschätzungen 
von Ware und Preisgut?‘“‘ Warum haben die B ihre Pferde aufge- 
zogen; was wollen sie damit erreichen? Wieviel Pferde brauchen 
die A, weshalb schätzen sie wie angenommen? Weshalb haben 
die Florinstücke für beide Teile einen kommensurablen Wert? 
Wenn ich all diese Vorfragen unbeantwortet lasse und so vorher 
alle objektiv-sozialen Faktoren aus der Beantwortung ausge- 
schlossen habe, dann ist es allerdings kein Kunststück zu sagen, 
man habe den Preis von Anfang bis zu Ende als das Produkt sub- 
jektiver Wertschätzungen abgeleitet, und es „diktieren die wirt- 
schaftlichen (?) Umstände des letzten Kontrahentenpaares der Ware 
ihren Preis“. 

Woher jene „Umstände“, oder wie sie v. Böhm-Bawerk nennt, 
die „Bestimmungsgründe‘“ des Preises? v. Böhm-Bawerk führt sechs 
solcher auf, nämlich je drei, die gleichmäßig auf seiten der Käufer 
wie der Verkäufer entscheiden: 1) die Zahl der begehrten bzw. 
ausgebotenen Güter, 2) die absolute Größe des subjektiven Wertes, 
3) die des Preisgutes für beide Teile. Welches aber sind, so müssen 
wir fragen, die Bestimmungsgründe der Bestimmungsgründe? 

Von den sechs Preisbestimmungsgründen v. Böhm-Bawerks soll 
sich der erste (die Zahl der auf die Ware gerichteten Begehrungen) 
ergeben „einerseits durch die Ausdehnung des Marktes“, anderer- 
seits durch die Art des Bedürfnisses, ob es, wie Kleider, Brot 
und Fleisch, den Aufwand einer großen Masse von Stücken erheischt 
oder nicht, wie Sanskrit-Grammatiken oder Federmesser. — Das 
sind Tautologien, Tatsachenbeschreibungen, keine Erklärungen. Das- 
selbe gilt von dem Begriffe der ausschlaggebenden „ernsthaften“, 
„effektiven Käufer“ — „labile Größen“, wie v. Böhm-Bawerk selbst 
sagt. — Nicht besser ist es mit der Bestimmung der Zahl, „in der 
die Ware feil ist“. Die Masse der auf dem Markte vorhandenen 
Waren, sagt er, werde bestimmt teils (!) durch rein natürliche 
Verhältnisse, wie z. B. bei Grund und Boden und bei Bodenpro- 
dukten, deren Reichlichkeit vom Ausfall der Ernte abhängt etc., 
teils (1) durch soziale (CD und rechtliche Verhältnisse, wie Mono- 
pole, Kartelle, Koalitionen etc., teils CD und in besonders weitem 
Umfange durch die Höhe der Produktionskosten, nach denen sich 
die Zahl der auszubietenden „Exemplare“ richtet. — Eine recht 
bunte Mischung von sozialorganischen und rein ökonomischen 
Momenten, die überall nicht bis zur Wurzel der Erklärung reichen. 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 161 


Ein gleiches trifft den Versuch, die „absolute Größe der sub- 
jektiven Wertschätzungen der "Ware, zunächst bei den Kauf- 
lustigen, zu bestimmen. Es gilt hier alles, was wir schon bei der 
Kritik des Elementarfalles ausführten. Bemerkenswert ist nur 
noch, wie v. Böhm-Bawerk über die dort erörterte Schwierigkeit 
hinfortzukommen sucht, daß, je nach dem Fortfall großer oder kleiner 
Mengen der „Gütereinheit‘“, sich der Wert ganz verschieden heraus- 
stell. Die dadurch entstehende „Verwicklung‘‘ werde besonders 
stark bei vorausgesetzter unendlicher Teilbarkeit der Marktware, 
wie Mehl, Zucker etc. Der Gesamtbedarf jedes Konsumenten setze 
sich dann aus einer Summe von Teilmengen zusammen, welche 
nach dem Gesetze des Grenznutzens abnehmende Wichtigkeit haben. 
Die Schätzungsziffern, sagt v. Böhm-Bawerk, gruppieren (!) sich 
dann nicht nach Personen, sondern nach Teilmengen der auf 
dem Markte gehandelten Waren. An Stelle der Wertschätzungen 
des A, treten dann die Wertschätzungen von 300 fl. pro Stück, 
und so herab bis zu den Wertschätzungen der „Grenzpaare‘“, deren 
Rollen nunmehr ausgefüllt werden durch die subjektiven Wert- 
schätzungen, die innerhalb beider Marktparteien auf die letzten 
noch zum Umsatz gelangenden und die ersten vom Umsatz schon 
ausgeschlossenen Teilmengen der Marktwaren gelegt werden. — Durch 
diese entsprechend „weniger persönlich gehaltene Einkleidung des 
Preisgesetzes“ wird aber meines Erachtens die Erklärung aus 
einer subjektiven eine rein quantitativ statistische, sie wird reif 
für eine „mathematische“ Darstellung mittels Kurven der 
Kaufs- und Verkaufsbegehrungen, was aber die sachliche Er- 
klärung um keinen Schritt fördert. Aus dem Tiegel des Kalküls, 
sagt Wicksell, kommt kein Atom mehr Wahrheit heraus, als hinein- 
gelegt wurde — was gegen alle Quantitätengleichungen gilt, 
z. B. bei Schumpeter. Gegen Cassels „System simultaner Gleichun- 
gen“, vgl. v. Zwiedineck, Zeitschr. f. d. ges. Staatsw., 1909, S. 90. 

Sachlich bleibt eben nun einmal die Unzulänglichkeit und 
Unbestimmtheit der Werteinheit bestehen, nämlich der als fort- 
gefallen gedachten letzten Güterquantität, die sich nach der jeweili- 
gen Situation verschiebt und schwankt: es sind bald große, bald 
kleine „Einheiten“, die den Gegenstand der einzelnen Rechts- 
geschäfte (Aktionen) bilden. v. Böhm-Bawerk meint zwar S. 258, 
daß von den zahllosen subjektiven Wertschätzungen im praktischen 
Wirtschaftsleben ‚wohl der ganz überwiegende Großteil einzelne 
Gütereinheiten (?) oder sonst kleine oder kleinste Quantitäten von 
Gütern zum Gegenstand‘ habe, und es herrsche „daher auch die Wert- 
schätzung nach dem Grenznutzen der Einheit weitaus vor.“ Abge- 
sehen davon, daß der Begriff „Einheit“ die geschilderte Zwei- 
deutigkeit in sich birgt, fährt nun v. Böhm-Bawerk selbst fort: 
„Immerhin gibt es auch eine Minderheit von Fällen“, und zwar 
„recht wichtige und interessante Fälle“, wo wir „große Gütermengen 
oder sogar die Gesamtheit von Gütern bestimmter Art als ge- 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 11 


162 Rudolf Stolzmann, 


schlossene Einheit zum Gegenstand unserer wirtschaftlichen Ueber- 
legung zu machen“ haben. Ueber das zahlenmäßige Vor- 
kommen dieser Fälle will ich nicht streiten. Aber es sind in der 
Tat „recht wichtige“ Fälle! Wir werden später sehen, welche ent- 
scheidende Rolle sie spielen und wie diese Gesamtwerteinheiten den 
sozialnotwendigen Rahmen bilden, innerhalb dessen erst die sub- 
jektiven Schätzungen zur Bedeutung kommen. An dieser Stelle sei 
vorerst nur auf die für die Volkswirtschaft bedeutsamste „Aktion“, 
den Arbeitslohnvertrag, hingewiesen, der zwei solcher Gesamtein- 
heiten zur Grundlage hat: es wird hier die Gesamtarbeitskraft 
(Tages- pp. arbeit) gegen die Gesamtnahrungseinheit vertauscht, auf 
die der Arbeiter im Lohne seine Anweisung erhält. Glaubt v. Böhm- 
Bawerk wirklich, daß die „Kasuistik des Grenznutzens“ für das 
„Verständnis“ dieser Fälle den „Schlüssel geboten“ hat? (S. 257). 
Es bleibt ja nach ihr bloß die tautologische Wahrheit der „obersten 
Wertregel“ übrig: jene Gesamtwerte sind „gleich dem Nutzen, den 
sie bieten, analog wie bei der Schätzung der Güter, die überhaupt 
nur in einem einzigen Exemplare verfügbar sind“. v. Böhm-Bawerk 
sagt, es treffe da „der Gesamtnutzen des Vorrats schlechthin mit 
seinem Grenznutzen zusammen“. Es liege aber „nicht etwa eine 
Ausnahme vom Gesetze desGrenznutzens vor‘, sondern es fehle ihm 
nur wegen der Enge des Tatbestandes gleichsam (?) der Spielraum 
für seine (?) charakteristische Entfaltung“ — geradeso wie das 
Primogeniturgesetz keine Ausnahme erleide, wenn einmal der 
einzig geborene Sohn in die Rechte seines Vaters nachfolge. — 
Ich kann diese Dialektik nicht gelten lassen. Es ist richtig, daß 
sich der „Grenznutzen‘“ im Falle der Gesamteinheiten nicht ent. 
falten“ kann, aber das kommt nicht von der „Enge“, sondern von 
der Weite des Tatbestandes und von der Enge des Grenznutzen- 
gedankens, der ihn erklären will. 

Aber selbst dort, wo es sich nicht um Gesamteinheiten, sondern 
um kleinere oder größere Einzelmassen von Gütern handelt, scheitert 
„im praktischen Leben‘ der Fortfallgedanke und mit ihm die Grenz- 
nutzenbetrachtung an der Unbestimmtheit und Zufälligkeit der 
Werteinheiten. Aus der „Resultante‘ welcher Einzelaktionen soll 
sich denn eigentlich der Preis ergeben, z. B. der des Kaffees? Soll 
der „Weltkaffeepreis‘“ sich nach den Gewohnheiten der kaufenden 
Hausfrauen gestalten, je nachdem es ihnen gefällt, das Lieblings- 
getränk in mehr großen oder mehr kleinen Quantitäten einzukaufen ? 
Wie ich schon S. K. 246, 248, 260 ausführte, ist der größte Vorwurf 
gegen die Grenznutzenlehre der, daß sie nur einzelne wirtschaftliche 
Akte und Beziehungen torsomäßig nicht nur aus dem Plane der 
einheitlichen Wirtschaft des volkswirtschaftlichen Gesamtorganis- 
mus, sondern auch aus dem Plane der Einzelwirtschaft heraus- 
reißt, während doch in einer konstanten und stetigen Wirtschaft 
auch nur konstante und stetige Größenmaße nütze sein können. 
Bloße „Augenblicksrelationen“ im Geiste der Menschen, deren 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 163 


„Interesse beweglich wie die Wolken um die Berge schwankt“ 
(Wieser), können unmöglich die „Resultante“ für sozialorganisch 
bedingte Wertgesetze abgeben. 


Geradezu verhängnisvoll für die Grenznutzenlehre ist aber 
nun die Art, wie sie sich mit der Erklärung des Bestim- 
mungsgrundes: „subjektiver Wert der Ware“ auf der Seite der 
Verkäufer abfindet. Es ist auch ganz erklärlich, daß sie 
hier versagen muß, weil sie eine Lehre vom subjektiven Ge- 
brauchswert ist, von einem solchen im eigentlichen Sinne aber 
beim Produzenten und Verkäufer eines Gutes nicht gesprochen wer- 
den kann. Beide wollen es ja gerade nicht „gebrauchen“, sie 
wollen es so schnell wie möglich loswerden, es ist für sie traurig, 
wenn sie unabsetzbare Ladenhüter selbst verbrauchen müssen. Wenn 
v. Böhm-Bawerk es nur als eine „beachtungswerte Besonderheit“ 
bezeichnet, daß heute „die meisten Verkäufe durch berufsmäßige 
Produzenten und Händler stattfinden, die von ihrer Ware einen für 
ihre persönlichen Bedürfnisse ganz unverwendbaren Ueberfluß (I!) 
besitzen“, infolgedessen „für sie der subjektive Verbrauchswert 
meistens ganz nahe an Null“ stehe, so mag das von dem Gesichts- 
kreis des Subjektivismus aus als eine „Besonderheit“ scheinen, für 
eine Erklärung der sozialen Wirklichkeit ist es das nicht, es ist 
die Regel. Mit der Ueberschußproduktion hat es heute bei 
dem Hineinwachsen der „autarkischen‘“ Einzelwirtschaften in eine 
„sozusagen allarchische Bedürfnisbefriedigung‘‘ gründlich sein 
Ende, wie uns dies kürzlich v. Zwiedineck a. a. O., S. 81 und 101, 
sehr anschaulich geschildert hat. Das sollte eine „moderne“ Wert- 
lehre mehr berücksichtigen! Bei „normalen“ Produktions- und Ab- 
satzverhältnissen, von denen doch v. Böhm-Bawerk S. 406 selbst 
spricht, wird der Preis nur „außer der vollen Kostendeckung noch 
einen Geschäftsgewinn einbringen“. Er hat für den Verkäufer nur 
diese Bestimmung, und hier hätte die Wertlehre einsetzen müssen: 
Kosten und Geschäftsgewinn, das sind die Wertgrößen, von 
deren Erlangung auf die Dauer der Gang der Volkswirtschaft ab- 
hängt. Wir werden später sehen, wie das die „Objektivisten‘ viel 
besser verstanden haben, welche Bedeutung andererseits aber auch 
den subjektiven Wertschätzungen der Individuen für die Preisbe- 
stimmung auch auf der Angebotsseite verbleibt. Für die Grenz- 
nutzenlehre dagegen fällt jene ganze Seite der Betrachtung aus: 
„Das Preisgesetz erfährt für die im ausgebildeten großen Markt- 
verkehr zustande kommenden Preise eine große Vereinfachung (1!) 
... es fallen die Wertschätzungen der Verkäufer aus dem ge- 
schilderten Grunde ganz CD fort,“ man kann „für den großen volks- 
wirtschaftlichen Marktverkehr mit ausreichender Genauigkeit be- 
haupten, daß der Marktpreis bestimmt (!) wird durch die 
Schätzungsziffer des letzten Käufers“. Des „letzten“; 
denn weil die Käufer sehr zahlreich sind, so „verengt sich die Zone, 

11* 


164 Rudolf Stolzmann, 


die von der Schätzungsziffer des letzten Käufers und jener des ersten 
ausgeschlossenen Bewerbers begrenzt wird, fast auf einen Punkt“. 

So kann sich denn auch der vorgeführte Typus der Preis- 
bildung, genau wie der des Elementarfalls, in der Wirklichkeit 
nicht „entfalten“. Die Lehre wird auf die Bestimmung des Preises 
durch den letzten Käufer, den „Grenzkonsumenten“ zurückgedrängt 
und gelangt so allerdings zu einer richtigen Tatsache des Lebens, 
aber nicht zu ihrer Erklärung. Woher dieser „letzte Käufer“? 
Das bleibt das ungelöste Rätsel. Und woher kennt ihn der „Händ- 
ler“, der heute doch die Verbindung zwischen Produzenten und Kon- 
sumenten vermittelt? v. Böhm-Bawerk sagt, er vertrete letztere 
nur, er sei gewissermaßen nur der negotiorum gestor seiner — 
vielfach (?) unbekannten — Klienten, deren Bedarfsverhältnisse 
entscheidend seien. Deren?, ich denke, doch nur die desGrenzkäufers? 
Wie soll es dann aber ‚schlechterdings keinen Unterschied machen, 
ob ein Händler für 500 Kunden eines anderen Marktes auf eigenes 
Risiko 500 Stück einer Ware zu 40 fl. aus dem Markte nimmt, 
oder ob ihn jene 500 Kunden direkt und ausdrücklich beauftragt 
haben, 500 Stück zu 40 fl. für ihre'Rechnung zu kaufen“? Will man 
den Händler mit einem „Geschäftsführer ohne Auftrag“ vergleichen, 
so kann er es nur im höheren Sinne, der den Funktionen des Handels 
mehr gerecht wird, sein, im Sinne eines Beauftragten im sozialen 
Auftrage, er ist der richtig kalkulierende Exekutor des objektiv 
sozialen Wirtschaftsplanes, dessen richtig verstandenes Zweckge- 
füge erst die Grenzgröße des entscheidenden letzten Käufers ergibt. 

Dieser Mangel jeder sozialorganisch gerichteten Denkweise 
wird endlich vollends bei der Bestimmung ‚des subjektiven (!) 
Wertes des Preisgutes“, also praktisch: des Geldes, verhängnisvoll. 
Es hängt nämlich nach v. Böhm-Bawerk selbst der subjektive Wert 
des Geldes „vom gesamten Versorgungszustande der betreffenden Per- 
sonen ab“, praktisch also heute vom Geldeinkommen, von der „Kauf- 
kraft“; der Wert der Geldeinheit wird also... für den Reicheren 
kleiner, für den Aermeren größer sein“. Er hat danach nur sub- 
jektiven Tauschwert, der aber wie jeder solcher Tauschwert eine 
hibrida, ein nichtssagender Zwitterbegriff ist, ein Gemisch subjek- 
tiver und objektiver Momente. Er ist aufgeschobener Gebrauchs- 
wert, und dieser hängt erst wieder davon ab, welche Güter ich auf 
dem sozialen Markte dafür erstehen kann, setzt also den „Preis“ 
voraus, den er doch mit bestimmen soll. — Bei der Zergliede- 
rung des „subjektiven ‘Wertes des Preisgutes für die Verkaufs- 
lustigen“ gesteht v. Böhm-Bawerk hier alles Wünschenswerte 
auch selbst zu, er wird beinahe „Objektivist“, indem er der „ob- 
jektiven Tauschkraft.... des Geldes“ gerecht wird: bei den 
geschäftlichen Verkäufen der Unternehmer geht der Gelderlös regel- 
mäßig „nicht in ihren Haushaltungskonsum“ über, der Unternehmer 
kalkuliert: Geld gegen Geld. Es „ist für den Preiskalkül belanglos“', 
„ob die Einheit dieses durchlaufenden (!) Geldes, falls dasselbe im 
Bedürfniskonsum verwendet würde, dort einen hohen oder einen 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand ner sozialorganischen Methode. 165 


niedrigen Geldnutzen stiften würde“. Als „durchlaufende Post“ 
ist er aber objektiv sozialen Ursprungs, die subjektive Wertlehre 
versagt: „In der geschilderten kasuistischen Konstellation (?!) schal- 
tet sich der Einfluß des... subjektiven Tauschwertes.. aus.‘ 
Er ‚lebt nur wieder auf" bei einer „Störung im regulären Kreislauf 
des Geschäftsbetriebes‘“, bei Bankrotten, „Notverkäufen und allge- 
mein in Krisenzeiten“. 

Dahin also flüchtet der „Grenznutzen“, der angebliche „Re- 
gierer“. Ich denke nun, daß auch der Käufer das Geld als eine 
nur „durchlaufende Post“ imSinne meiner Ausführungen ansieht, der 
Geldwert ist nicht subjektiv, sondern sozial. Ich habe schon Saz, 
Kat", S. 285 ff., die ganze Unzulänglichkeit der subjektiven Geld- 
wertung (gegen Wieser) eingehend dargelegt, und ich freue mich, 
daß jetzt v. Zwiedineck darauf hinweist, wie unbefriedigend heute 
immer noch angesehenste Geldtheoretiker mit dem „Grenznutzen des 
Geldes“ operieren, wie er denn auch so trefflich als das ungelöste 
„Kardinalproblem“ der rein subjektivistischen Preiserklärung die 
„Umsetzung der Gebrauchswerte in eine Geldziffervorstellung“ be- 
zeichnet (Zw. a. a. O., S. 603—609, Jahresband 1908 u. S. 85 ff. 
1909). Es ist erfreulich, daß jetzt auch v. Böhm-Bawerk die „sehr 
guten und feinen Beobachtungen“ v. Wiesers lobt, die er neuerdings 
über das „Zurücktreten der persönlichen (!) Schätzung des Geld- 
wertes im geschäftlichen Kalkul“ gemacht hat (v. Böhm-Bawerk 
S. 411), nur daß v. Böhm-Bawerk, wie wir sahen, dort nur eine 
„kasuistische Besonderheit‘ wahrnimmt, wo es sich um ein grund- 
sätzliches Versagen der Grenznutzenlehre handelt. 

Alle diese „Ausnahmen“, Besonderheiten, kasuistischen Kom- 
plikationen, Verwicklungen, mangelhaften „Entfaltungen“. des ato- 
mistisch individualistischen Grenznutzengesetzes müssen sich nun 
ins Ungemessene mehren, wenn der Elementarfall und die Ergebnisse 
des Preisbildungstypus stufenweise auf die sozialen Verhältnisse 
übertragen werden sollen. Ich gehe in der Reihenfolge vor, in der 
v. Böhm-Bawerk und v. Wieser diese „Komplikationen“ behandeln. 
Es sind drei solcher und zwar 1) die Komplikationen, die „die Mög- 
lichkeit des Tausches“, 2) diejenigen, die sich durch die Möglichkeit 
ergibt, „benötigte Ersatzexemplare rechtzeitig durch Produktion her- 
zustellen“, wobei es sich 3) zuträgt, daß verschiedene Arten von 
Kostengütern zur Produktion erforderlich sind. Die Komplikation 
zu 1) führt zur Notwendigkeit, die „Wertgröße beliebig käuflicher 
Güter“ zu bestimmen, die zu 2) führt zum „Kostengesetz“; die 
zu 3) zum Gesetze des „Wertes der komplementären Güter“, zu 
vgl. v. Böhm-Bawerk S. 253, 263—265. 


4. Die „Komplikationen“ des subjektivistischen Preisgesetzes, 
zunächst die für „beliebig käufliche Güter“. 


Der Komplikation zu 1) — ich darf wohl hinzusetzen: auch 
der anderen „ganz ähnlichen“ — kommt nun nach v. Böhm-Bawerk 


166 Rudolf Stolzmann, 


„für unsere durch hochentwickelten Tauschverkehr ausgezeichnete 
Wirtschaftspraxis eine außerordentliche Tragweite zu“. „Ich möchte“, 
sagt v. Böhm-Bawerk S. 264, „glauben, daß die Mehrzahl der sub- 
jektiven Wertschätzungen, die überhaupt vollzogen werden, auf ihren 
Anteil fällt.“*) Ich gehe noch weiter, ich meine, daß die große 
Masse der Güter, die einen Marktpreis haben und deren Preisbe- 
stimmung doch das Hauptproblem des Preisgesetzes ausmacht, gründ- 
sätzlich nicht nach ihrem „subjektiven Gebrauchswerte‘“ geschätzt 
wird. f : 

Wir werden das näher sehen, wenn wir die einzelnen „Kompli- 
kationsfälle“ betrachten, zunächst also den Fall der Wertbestim- 
mung „beliebig käuflicher Güter“. Hier wird man, sagt v. Böhm- 
Bawerk, den Ausfall eines Exemplars in aller Regel (nicht wie im 
Elementarfall, wo wenigstens ein Gut derselben Gattung zum Ersatz 
herangezogen wurde) auf eine ganz fremde Gütergattung wälzen, der 
Verlust trifft den Grenznutzen der vertretenden fremden Güter, nach 
diesem bemißt sich der Wert des zu schätzenden Gutes: 

„Ein Beispiel. Ich habe einen einzigen Winterrock. Er wird mir ge- 
stohlen.“ Je nach meinem Einkommen, „werde ich wahrscheinlich die ir 
40 fl., die der neue Winterrock etwa kosten mag, aus meinem Kassenvorrat (|) 
entnehmen“ und dafür eine andere größere oder kleinere a ee A 
entbehren müssen, also etwa eine Luxusausgabe weniger bestreiten können, mic 
einschränken, Sachen des Haushalts verkaufen oder versetzen und nur, wenn 
ich das alles aus Armut nicht kann, mich schlecht und recht ohne Winterrock 
behelfen. „Nur im letzten Fall wird also der Wert des Winterrocks bestimmt 
durch den unmittelbaren Grenznutzen der eigenen Gattung; in allen anderen 
Fällen durch den Grenznutzen fremder Güter- und Bedürfnisgattungen.“ 


v. Böhm-Bawerk hat die Bedenken gegen diese Gedankengänge 
selbst herausgefunden, ihnen aber, wie er glaubt, die Spitze abge- 
brochen. Die Bedenken liegen, wie er sagt, in einem scheinbaren 
Zirkelschluß. Er bestehe darin, daß der Preis des Winterrockes 
— 40 fl. — als eine fertig gegebene Größe behandelt und so der 
subjektive Wert aus dem Preisstande, dann aber der Preisstand 
wieder aus dem subjektiven Wert erklärt wird (Note S. 266). 
v. Böhm-Bawerk glaubt diesen Vorwurf nun in der Preislehre 
S. 397 ff. „bis auf den Grund“ entkräftet zu haben: „Es liegt kein 
Zirkel vor. Und zwar deshalb nicht, weil die Schätzung nach „An- 
schaffungskosten“ nicht unbedingt und ausnahmslos, sondern nur 


1) „Dieser Satz“, sagt v. Böhm-Bawerk S. 264, Note 1, „hat Stolzmann nicht von 
der Behauptung abgehalten, daß ich den ‚Regelfall’, den doch ‚der gleiche Wert un- 
gleichartiger Güter’ bzw. die Schätzung nach Substitutionsnutzen darstelle, ‚zur Aus- 
nahme stemple’ (Zweck S. 722 ff.)“. Hier liegt wohl ein Mißverständnis vor. Ich 
billige gerade v. Böhm-Bawerks obigen Satz von der numerischen Ueberlegenheit 
dieser Fälle. Meine Dialektik gipfelt darin, daß dieser wahre Satz in argem Kon- 
trast damit stehe, daß der Elementarfall die „alles erleuchtende‘“ Regel des Grenz- 
nutzens ergebe, „Regel“ hier nicht im äußerlichen numerischen, sondern im innerlich 
theoretisch-systematischen, heuristischen Sinne, ganz in dem „Sprachgebrauche“, dessen 
sich von Böhm-Bawerk selbst an anderen Stellen, so etwa S. 257 Abs. 3 („Ausnahme“- 
„Begel‘) befleißigt. Was ich sachlich meine, ist doch wohl klar. Wozu der Wort- 
streit? Wozu die lange Polemik in der Note 1, die schließlich in persönliche Bemer- 
kungen ausläuft? 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 167 


unter gewissen Voraussetzungen gehandhabt wird, und weil sie 
wegen Mangels dieser Voraussetzungen gerade auf dem Markte selbst 
nicht gehandhabt wird“. Der Winterrockverlierer baue seine Wert- 
schätzung (40 fl.) nur auf eine vorläufige Voraussetzung, auf eine 
bloße Vermutung auf, die nur „eine Art psychologischer Zwischen- 
etappe, aber niemals die endgültige Richtschnur‘“ „unseres Verhal- 
tens auf demjenigen Markte bilde, auf dem diese Vermutung reali- 
siert werden will“. Erhält er auf diesem den Rock nicht um den 
erwarteten Preis, so würde er deshalb nicht frieren und vielleicht 
erkranken wollen; er „wird also — und dies ist das Ergebnis, auf 
das es für unsere Preistheorie ankommt — zur Bildung der Preis- 
resultante nicht nach Maßgabe des niedrigeren, auf die Voraus- 
setzung eines bestimmten Marktpreises aufgebauten mittelbaren, 
sondern nach Maßgabe des höheren unmittelbaren Grenznutzens 
beitragen“. 

Also doch aber des Grenznutzens des Winterrockes! 
v. Böhm-Bawerk scheint aber an dieser Stelle ganz außer acht zu 
lassen, daß er oben (S. 263) den Wert des Winterrockes erst durch 
den subjektiven Wert, den „Substitutionsnutzen‘ des fremden Er- 
satzgutes bestimmen läßt.. Woher bestimmt sich der letztere, 
wie trägt also dieser zur Resultantenbildung bei? Das war das 
thema probandi! Hier liegt die Schwierigkeit und die zu behan- 
delnde „Verwicklung‘‘. Es fällt auf, daß v. Böhm-Bawerk hierüber 
hinfortgeht, während er sie früher, so 1886 in den „Grundzügen“, 
a. a. O. S. 515 ff., sehr wohl behandelt hat. Ob freilich mit Erfolg? 
Er nennt es dort eine „ernste theoretische Schwierigkeit“, daß sich 
„der Bestimmungsgrund: subjektiver Wert der Ware für den Käufer 
unter der Hand in zwei Elemente aufzulösen droht, von denen das 
eine — die Versorgungsverhältnisse in fremden Bedürfnis- und 
Gütergattungen — dem zu schätzenden Gute ganz fremdartig ist, 
während das zweite — noch fatalerer Weise — mit dem Marktpreis, 
den es zu erklären helfen soll, identisch ist“. Es kommt hiernach 
doch nicht bloß auf den Wert des Winterrockes, auf dessen Zirkel- 
erklärung sich die obige „volle Aufklärung“ beschränkt und zurück- 
zieht, sondern vor allem auf den ausschlaggebenden CD Wert der 
e an, der jenen erst, als ,„Substitutionswert“, bestimmen 
soll. ; 

Wie ist diese neue Unbekannte in der Wertgleichung zu finden? 
Doch auch nicht ohne den Marktpreis der Ersatzgüter, also nicht 
ohne einen weiteren Zirkel in der Erklärung! Denn, wieviel ich 
durch den Fortfall des Ersatzgutes, das doch ebenfalls Marktgut ist, 
verliere, kann ich nur berechnen, wenn ich zuvor dessen Markt- 
preis weiß, dem ja doch der „Marktpreis (für den Winterrock) ab- 
geknappt wird“, oder in anderem Ausdruck, da wir den verlorenen 
Winterrock „nach dem Grenznutzen schätzen, den der aufzubrin- 
gende Kaufpreis von 40 fl. für uns hat“: diesen Grenznutzen. Wie 
aber finde ich diesen? Nach v. Böhm-Bawerk durch die Lücke, 
welche die zu zahlenden 40 fl. in meinem Einkommen bzw. in 


168 Rudolf Stolzmann, 


„meinem Kassenvorrat‘ reißen. Welche Lücke ist das? Das richtet 
sich, kann sich nur richten nach dem Preis, den das Ersatzgut 
irgendwelcher anderer Ersatzgüter hat, unter denen sich vielleicht 
gar wieder der unglückselige Winterrock befindet. Der passe-partout 
führt wieder einmal nicht zum Ziele. Ich muß, um dem Zirkel zu 
entrinnen, erst vorher den Marktpreis sämtlicher in Betracht 
kommender Güter, einschließlich des Winterrockes, wissen, wenn 
ich herausbekommen will, wieviel „Grenznutzen‘“ durch die große 
oder kleine Revolution angerichtet wird, die ein verlorener Winter- 
überzieher ultimately anrichtet. Seinen subjektiven Wert (bei nicht 
gestörtem Besitz- und Einkommensstande), d. h. die geeignete Grund- 
lage einer Resultantenbildung für den Marktpreis, weiß ich dadurch 
noch lange nicht, nämlich für den Marktpreis, der sich im regulären 
Gange des volkswirtschaftlichen Organismus nach der Schwerkraft 
der in ihm wirksamen sozialen Bedingungen ergeben muß. Der auf 
dem Fortfallgedanken aufgebaute „Grenznutzen“ bleibt ein — viel- 
leicht interessantes — curiosum für individualistische Sonderfälle — 
sowohl bei eintretendem ‚Verlust von Vermögensbestandteilen als 
auch vielleicht bei plötzlichem oder, was, wie wir oben sahen, nur 
eine dialektische Antithese ist, bei allmählichem Vermögenszuwachs. 
Nur für solche Fälle können wir diese Art „Grenznutzen“ an- 
erkennen, und es will das wenig mit dem abschließenden Resümee 
v. Böhm-Bawerks, S. 265, harmonieren: „Es zeigt eben durch alle 
Verwicklungen hindurch jederzeit der kleinste Nutzen, der un- 
mittelbar oder mittelbar an einem Gute hängt, den wahren Grenz- 
nutzen und (?!) den Wert desselben an“. Nicht der Grenzmutzen 
hat den Marktpreis „erklärt“, sondern die Marktpreise ergeben den 
„Grenznutzen“, den ich unter außerordentlichen Umständen verliere 
oder gewinne. 

Was ich sonst schon gegen den Fortfallgedanken und auch be- 
sonders oben hinsichtlich des ungelösten „Kardinalproblems“ (Um- 
setzen der Gebrauchswerte in eine Geldziffervorstellung) ausgeführt 
habe, trifft natürlich auch für diesen Fall zu. Im übrigen kann ich 
auf meine viel eingehenderen Ausführungen in der Soz. K. und ver- 
vollständigt im Zweck S. 722—729 verweisen. Ich führte dort 
ganz ähnlich wie v.Zwiedeneck — zusammenfassend aus: Subjektive 
Nutzenbetrachtung, Grenznutzen, Substitutionen u. dgl. auf der 
einen Seite, objektiver Wert, Marktpreis der Güter, Wert des 
Geldes (die 40 fl.!) sind nicht aneinander meßbar, sie sind hetero- 
gen, sie kommen wie Hero und Leander nicht zueinander, ihre 
Messung gegeneinander bleibt ein Quidproquo von „Preis“ und 
„subjektivem Gebrauchswert“. Es müssen doch wohl schließlich 
objektive, d. h. von den „Einzelschätzungen“ unabhängige Be- 
dingungen sein, in deren Rahmen sich jene erst abspielen, und 
die so erst den organischen Zusammenhang nicht bloß zwischen den 
internen Schätzungen innerhalb derselben Wirtschaft, sondern auch 
die soziale Brücke zwischen Wirtschaft und Wirtschaft, zwischen 
Konsumenten und Produzenten, zwischen der Nachfrage und dem 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 169 


Angebot herstellen. Die „alten“ Schulen suchten und fanden die 
Brücke direkt in den Kosten, während ‚die Neuen“ sich erst ab- 
mühen müssen, mit ihrem subjektiven „Erklärungswerkzeug“ auf 
Umwegen bis zu den objektiven Elementen vorzudringen. Wir 
mussen und wollen ihnen auf diesem dornigen Wege folgen; denn 
in der Kostenwertlehre gipfelt der Kampf zwischen Objektivismus 
und Subjektivismus. Wir sind damit an dem entscheidenden Punkte 
unseres Themas angelangt. Wir wollen deshalb hier abbrechen mit 
der Kritik der Lehre vom Werte der fertigen Genußmittel, der — 
wie der Ausdruck lautet — zunächst „unabhängig von der Pro- 
duktion“ abgeleitet wird. Mit dem Anerkenntnis der Tatsache, 
da5 es die Kosten sind, die den Wert der allermeisten Güter von 
ihrem Grenznutzen abziehen, verliert ja eigentlich die ganze Lehre 
vom Wert und Preis der fertigen Genußgüter ihr praktisches Inter- 
esse, und es könnte daher, wie ich „Zweck“ S. 729 sagte, für die 
Grenznutzenlehre und für ihre Kritiker unnötig erscheinen, sich 
mit der Betrachtung der Austauschverhältnisse jener Güter so lange 
aufgehalten zu haben. Diesem Vorwurfe tritt v. Böhm-Bawerk 
nun S. 268 damit entgegen: „das ‚später‘ in der Darstellung be- 
deutet ... keinerlei ‚zuspät‘ für den Inhalt der Lehre“, es beruhe 
auf Gründen didaktisch-methodischer Art. Wir wollen prüfen, ob 
sich diese Sache wirklich so verhält, oder ob nicht vielleicht doch 
das zeitliche posterius auch auf ein begriffliches posterius, nicht 
et ein Spätkommen, sondern auf ein Versagen der Lehre hinaus- 
t. 


5. Die „Kosten“ in der subjektivistischen Preislehre. 


Wir sahen, einen wie hohen Grad der Beeinflussung des Güter- 
werts in der Wirklichkeit des Lebens v. Wieser den objektiven 
Bedingungen des Güterdaseins zugestehen mußte. Aber, meint er, 
es bleiben trotzdem die „Impulse“ der Schätzungen subjektive und 
„erweisen damit (!) die Subjektivität des Ursprungs und Wesen 
des Wertes“ (Nat. W. S. 178). Recht subjektiv-naiv führt dann 
v. Böhm-Bawerk S. 265 die „Kosten“ durch folgende Erwägung 
in die Betrachtung ein: „Ganz ähnliche kasuistische Komplikationen, 
wie durch die Möglichkeit des Tausches, können (!) auch (!) da- 
durch hervorgerufen werden, daß man (!) imstande ist, benötigte 
Ersatzexemplare (!) rechtzeitig durch Produktion herzustellen.“ Wie 
wenig auch v. Wieser dem ursprünglichen und ureigenen Wesen 
der Kosten nahe kommt, ergibt sich schon aus der Definition, die 
er von ihnen gibt. „Kosten“, sagt er, „sind Produktivgüter, 
wenn dieselben bei einer einzelnen Widmung um ihrer ander- 
weitigen (!) Verwendbarkeit willen als Aufwand eingesetzt werden“, 
was Dietzel dann zu der Behauptung erweitert: „Kosten ist gleich- 
bedeutend mit Nutzeneinbuße“, „Kosten ist ja nur ein kurzes 
Wort für Nutzeneinbuße“, das ist, führte ich Zw. S. 703 aus, keine 
Erklärung der Kosten mehr, das ist ihre begriffliche Vernichtung, 


170 Rudolf Stolzmann, 


die gänzliche Ueberwucherung der Kosten — durch die Nutzen- 
betrachtung! ` > 

Die Grenznutzenlehre geht wie überall auch in der Ableitung 
des „Kostengesetzes“ von der Einzelwirtschaft aus. Wir charak- 
terisierten das Gesetz schon oben S. 153 in Kürze. Einen ausführ- 
lichen Auszug aus der Lehre findet der Leser in meinem „Zweck“, 
S. 688—694. 


Die Definition, die v. Böhm-Bawerk (S. 296) gibt, setzt für „Produktiv- 
güter“ den Begriff „Produktivmittelgruppen“ ein, um vorläufig über die Tat- 
sache fortzukommen, daß jedes Genußgut aus einer Reihe verschiedener 
Produktivgüter (Arbeit, Boden etc.) hervorgeht. Die Definition lautet: „Der 
Wert der Produktivmitteleinheit (Produktivmittelgruppe) richtet sich nach dem 
Grenznutzen und Werte desjenigen Produktes, welches unter allen, zu deren 
Erzeugung die Produktivmitteleinheit wirtschaftlicherweise hätte verwendet wer- 
den dürfen, den geringsten Grenznutzen besitzt“, mit anderen Worten nach 
dem Werte des „Grenzproduktes“, d. h. des Produkts, „dessen Grenznutzen der 
kleinste ist“. Das führt dann aber zu der Folge, daß auch der Wert der 
anderen, aus der gleichen Be gruppe gemeinsam hervorgegangenen, 
also der sog. „produktionsverwandten“ Genußgüter, sich dem Werte ihrer 
Produktivmittel anpassen muß: „die prinzipielle Identität von ‚Wert‘ 
und ‚Kosten‘ trifft daher auch bei ihnen zu.“ Nur das Grenzprodukt be- 
stimmt den Wert seiner Kosten, die anderen produktionsverwandten Güter 
müssen sich umgekehrt an den Wert des Produktionsmittels akkomodieren, „in 
letzter Linio freilich nur an den Wert eines anderen, des Grenzprodukts; 
aber in erster Linie auch an den Wert des Produktionsmittels, aus dem es 
hervorgeht, und welches die Substitutionsverbindung (!) mit dem Grenzprodukt 
vermittelt. Die Wertleitung vollzieht sich hier gleichsam in gebrochener Linie. 
Erst geht sie vom Grenzprodukt zum Produktivmittel, fixiert dessen Wert, 
und Se, dann in umgekehrter Richtung wieder empor zu den anderen Pro- 
dukten, die aus ihm hergestellt werden können. ... ie der Mond das fremde 
Sonnenlicht auf die Erde, so reflektieren die vielseitigen Kostengüter den Wert, 
den sie von ihrem Grenzprodukt empfangen (|), auf ihre anderen Produkte. 
De zu des Wertes liegt nie in ihnen, sondern außer ihnen im Grenznutzen 
er Pr te “ 


„Und hiermit“ (?), fährt v. Böhm-Bawerk fort, „liegt auch die 
ganze Wahrheit über das berühmte (I!) .Kostengesetz am Tage“. 
Es ist nur eine „Abbreviatur“, wenn wir den Wert der Produkte 
nach ihren Kosten bemessen. „Das Kostengesetz bildet nur einen 
Inzidenzfall (D des wahren, allgemeinen Gesetzes vom Grenznutzen“. 
Es ist wieder der passe-partout des Fortfallgedankens, der dies 
alles erhärten soll: Denn, angenommen, es besitze jemand einen 
größeren Vorrat von Produktivmittelgruppen, mit denen man nach 
Belieben ein Genußgut der Gattung A mit einem Grenznutzen von 
100, oder ein solches der Gattung B mit einem solchen von 120, 
oder der Gattung O mit 200 herstellen kann, so werde man, wenn 
ein Exemplar der letzteren Gattung verloren geht, den Ausfall auf 
die Gattung A wälzen, von der man dann ein Exemplar weniger 
erzeugt, um „sofort“ dafür ein neues Exemplar C herzustellen. 

Unsere Kritik kann sich zunächst an das früher Gesagte an- 
lehnen. Der wundeste Punkt ist das Fehlen einer brauchbaren 
Schätzungseinheit. Wenn v. Böhm-Bawerk immer von ausgefallenen 
„Exemplaren“ spricht, so war dies vom eigenen Standpunkte des 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 171 


Grenznutzengesetzes eine unzulässige „Materialisierung“, „Objek- 
tivierung“ des Wertes. Denn, wie uns Wieser belehrt, kommt es 
ja lediglich immer auf die augenblickliche, durch eine vor- 
zunehmende Geschäftsaktion (Kauf, Tausch etc.) bedingte Lage der 
Wirtschaft an, die „im Geiste desjenigen, der sie führt, Reihen 
von gleichartigen und gleichgroßen, weil auf gleichartige und gleich 
große Objekte oder Mittel oder Akte mit gleicher Intensität ge- 
richtete Strömungen des Interesses erzeugt“. Mit diesem Schwanken 
der Genußgütereinheit müßte dann aber auch die Größe der sie 
erzeugenden Produktivmitteleinheit schwanken, deren „Bild“ sie 
ja nur ist. Und nun soll sich dieses wolkenhaft veränderliche 
Augenblicksergebnis gar auf die „Resultantenbildung‘ für den großen 
Markt der konstanten Volkswirtschaft übertragen, deren Preisgesetze 
das „Erklärungsziel“ bilden! Der Gedanke ist gar nicht auszu- 
denken, wie sich zu diesen unzähligen höchst persönlichen Augen- 
blickserwägungen der Marktgänger immer auch die erforderlichen 
Produktivmittelgruppen finden sollen. Eine arge Zumutung an die 
Produktionstechnik und an die doch erforderliche Planmäßigkeit 
der konstanten Privat- und Volkswirtschaft! Wie ist es auch nur 
denkbar, auf welche Weise der Wirtschafter im Falle des Ver- 
lustes eines Exemplars der Gattung C „sofort (D aus einer Pro- 
duktivmitteleinheit... ein neues Exemplar C herstellen“ kann, da 
man doch als Regel voraussetzen muß, daß der Wirtschaftsplan 
auf die Erzeugung der drei Produkte A, B, C eingerichtet war, 
daß A und B also ebenfalls genau wie C schon erzeugt daliegen, 
die Produktivgüter also schon verbraucht sind? (Soz. K. S. 274). 
Woher aber ferner der alles andere „bestimmende“ Wert des 
Grenzproduktes? v. Böhm-Bawerk antwortet: Das „wissen wir 
schon: es ist sein Grenznutzen“. Wie wenig dieses „Wißtum“ 
einen bezifferbaren und deshalb zur Erklärung des „Preises“ irgend- 
wie brauchbaren „Wert“ ergibt, ist uns von oben S. 153 vollauf 
bekannt. Was wir dagegen wissen, ist: die Grenznutzenlehre hat 
den besten Teil ihrer Erklärung der objektiven Tatsache ent- 
nommen, daß die produktionsverwandten Güter nur „allotropische 
Modifikationen“ desselben Grundelements darstellen. Sie sind, wie 
Wieser einleuchtend ausführt, gewissermaßen nur verschiedene 
Formen desselben gemeinschaftlichen Produktivgutes, sie sind 
gleichsam von einerlei Gattung: das Kostengesetz ist im Grunde 
nichts anderes als die allgemeine „Regel der Wertschätzung 
von Teilen eines gleichartigen Gütervorrats, nur in einer neuen 
und besonderen Fassung“. Die Gleichheit der Kostenstücke er- 
gibt ganz von selbst auch die Wertgleichheit der ungleichen 
Produkte. Wir sind in unserer Bedürfnisbefriedigung letzthin 
in Wahrheit von jenen, den Kostengütern „abhängig“. Es 
gilt auch hier: „Kämen Güter nicht in Vorräten gleicher Stücke 
vor, sondern immer nur individuell gestaltet, so könnte das Gesetz 
nicht gelten“. Wozu also das ganze Gequäle des Fortfalls- und 
Substitutionsgedankens? Wozu diese Mondscheintheorie, wozu die 


172 Rudolf Stolzmann, 


gebrochenen Strahlen? Die gleiche Sonne scheint über alle Wirt- 
schaftsprodukte, gleiche Kosten entsprechen gleichem Werte. Nicht 
die wirtschaftlichen Tatsachen bedürfen jener krummlienig ge- 
wundenen Erklärung, sondern nur die Grenznutzentheorie, welche 
statt direkt in die Sonne zu schauen, nur den milden Mond betrachtet, 
ihre „gebrochene Linie“ und ihre „Substitutionen“ sind nur dialek- 
tische Hilfskonstruktionen, um das Prinzip des Grenznutzens auf- 
recht zu erhalten, welches aus der wahren Nutzwerttheorie wenig 
mehr als den bloßen Namen entlehnt hat (S. K. S. 273). 


Hiernach erledigt sich auch die neuerdings aufgeworfene Frage, ob, wie 
v. Böhm-Bawerk oben und v. Wieser (Ursprung, S. 147ff.) meinen, die pro- 
duktionsverwandten Güter ungleich hohen Grenznutzen und Wert haben 
und dabei derjenige des geringwertigsten Produktes entscheide, oder: 
ob — nach Schumpeter — die Gütereinheit überall den gleichen Grenz- 
nutzen stifte, wenn anders — was doch das Rationelle — der Güterbesitz ein 
Maximum an Nutzen gewähren solle. Die Frage, der v. Böhm-Bawerk jetzt 
im „Exk.“, VIII, S. 222ff. eine sehr eingehende Erörterung widmet, ist nach 
dem Gesagten, jedenfalls für die Preisbildung, deshalb gegenstandslos, weil der 
Grenznutzen des geringwertigsten Produktes kein praktisches Wertmaß ergibt 
und deshalb noch viel weniger von einer Meßbarkeit „der“ „Grenznutzen“ 
der verschiedenen Verwendungen untereinander die Rede sein kann. Ueber einen 
bloßen Komparativ kommt man auch hier nicht hinaus: man weist die 
ett e? so in die Produktion ein, daß kein Bedürfnis eher befriedigt wird, 
bis nicht ein anderes wichtigeres seine Befrienlenng gefunden hat. Die Be- 
zifferung der verschiedenen Bedürfnisintensitäten mit len (v. Böhm-Bawerk, 
S. 225) ist ein Unding. Es gibt keine abstrakte Bedürfnisskala, die vorab in 
den Lüften steht. Es ist immer nur, was so viele neuere Subjektivisten ver- 
kennen, eine konkrete Skala gegeben, die ihren Ausdruck und „Wert“ in den 
Kosten hat, mit anderen Worten in bezifferten Teilen des Geldeinkommens, 
auf die man die Bedürfnisse projiziert. Das Wertmaß sind und bleiben die 
Kosten. Die allein zu entscheidende und für unser Thema wichtigste Frage 
ist nur die nach dem Wesen und Ursprung der „Kosten“. Wer hat diese 
grundsätzlichste aller Fragen richtig gelöst: der Subjektivismus oder der Ob- 
jektivismus? Oder ist die Löemg von beiden verfehlt worden’? 


6. Das Wesen und der Ursprung des Kostenbegriffs: 
Kausalität oder Teleologie? 


Der Prioritätsstreit zwischen Nutzen und Kosten hat sich 
bisher so gut wie ganz im Rahmen der Kausalitätsbetrachtung 
abgespielt, wenn man gleich gelegentlich anerkannte, daß es der Wert 
seinem Begriffe nach mit dem Zweck zu tun habe. Ich vertrete 
nun meinerseits die Ansicht, daß man den Streit um die Priorität 
von Nutzen und Kosten nicht eher entscheiden, ja auch nur den 
status causae et controversiae nicht früher instruieren kann, ehe 
man nicht die methodische Vorfrage wegen der Priorität der Kausal- 
und der Zweckbetrachtung beantwortet hat. 

Die Wertlehre der Subjektivisten — von Menger an bis zu 
Liefmann — bleibt unentwegt im Kausalitätsgedanken verankert. 
Er gilt ihnen als der selbstverständliche Ausgangspunkt. So will 
auch v. Böhm-Bawerk, welcher der Prioritätsfrage jetzt, besonders 
im Exk. VIII, S. 235ff, in dankenswerter Ausführlichkeit auf den 
Grund gegangen ist, nur untersuchen: „In welchem Sinne (D kann 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 173 


man denn überhaupt einen einzelnen Umstand — sei es der „Grenz-" 
nutzen“ oder die „Kosten“ — als die „Ursache“ oder den letzten 
oder endgültigen Bestimmgrund des Güterwertes und seiner Größe 
nennen?“ 


Er antwortet: „Es liegt auf der Hand, daß der ‚Grenznutzen‘ sowohl als 
die ‚Kosten‘ nur Mittelglieder“ einer anderen noch weiter zurückliegenden 
Kausalkette sind, in der sich dann ganz besonders die Begriffspaare Bedarf und 
Deckung (Angebot und Nachfrage) oder mit anderen Worten, der Stand der 
Bedürfnissc einer- und der verfügbaren Produktivkräfte andererseits hervor- 
heben. Hinter ihnen wären dann aber vielleicht zahllose andere „koordinierte 
Bestimmgründe des Wertes“ zu nennen, „fast ohne Ende“. Er führt solche — 
auch hier ohne Unterscheidung der natürlichen und der sozialen Kategorien 
— in bunter Mischung auf: Technik, Bildung, Fruchtbarkeit — Organisationen, 
Rechts- und Eigentumsverhältnisse.. Wenn man aus ihnen dennoch einen 
Umstand, den Grenznutzen oder die Kosten, nenne, so habe das „nur den 
Sinn, daß man ein besonders ausgezeichnetes Mittelglied der schier endlosen 
Kausalkette herausgreife ... ., in welcher die Wirkung (!) aller der Bestimm- 
gründe sich zum letzten Male, gleichwie im Brennpunkte einer Sammellinse ver- 
einigt.“ Im Grenznutzen wie analog in den Kosten „haben wir die Wirkung 
aller der komplexen .. Umstände zum letzten Male einheitlich zusammen“. 
Grenznutzen und Kosten „resultieren“ „aus dem Verhältnis von Bedarf und 
Deckung“, ihnen stehen sie daher allerdings in einer gewissen Parität gegenüber. 
Wie kann dann aber v. Böhm-Bawerk dennoch gegen Marshall polemisieren, 
von dem der vielberufene Satz herrührt: „Wir können uns ebenso ernsthaft 
darüber streiten, ob bei einer Scheere das obere oder das untere Blatt ein Stück 
Papier durchschneidet, oder ob der Wert vom Nutzen oder von den Produk- 
tionskosten bestimmt wird?‘ Und wie darf er Dietzel tadeln, der den Wert 
der Produktivgüter und der Genußgüter sich „wechselseitig“ bedingen läßt? 
v. Böhm-Bawerk antwortet: Wohl haben Bedarf und Deckung „kausale Pari- 
tät“, aber nicht „Grenznutzen“ und „Kosten“. Sie sind zwar beide „die ge- 
meinsame Folge einer und derselben dritten (bzw. vierten) Ursache, nämlich 
von Bedarf und Deckung. Aber innerhalb dieses primären gemeinsamen „kau- 
salen Verbandes‘ steht, wie etwa Sohn und Enkel trotz ihrer Abstammung von 
denselben Großeltern, der Wert der Produktivgüter nicht vor und nicht neben, 
sonderu hinter dem Wert der Produkte. Und der Grund? Er liegt in einem 
„der einfachsten und unbestrittensten Gedanken unserer Wissenschaft, ... daß 
die Menschen die Güter überhaupt nur als Mittel für ihre Zwecke ( !) schätzen“, 
und „daß im Verhältnis von Mittel und Zweck der Zweck seine Wichtigkeit 
dem Mittel mitteilt, und nicht umgekehrt ; daß z. B. ein Schiffbrüchiger einen 
Schwimmgürtel hoch einschätzen werde, wenn und weil er sein Leben hoch ein- 
schätzt, und nicht umgekehrt. Die Herstellung der Produktivgüter sei nur 
Zwischenursache, nur nächster Zweck, Endzweck sei die Herstellung der 
Genußgüter. er sei die „Wertquelle“, und weil der Wert der Genußgüter dieser 
Quelle näher stehe, habe er auch die „kausale (?) Vorhand“. 


Man beachte dieses Umspringen aus der Kausalitäts- in die 
Zweckbetrachtung. Und eben darauf beruht doch auch das „Um- 
wenden“ (Jahrbücher, 1892, S. 333), das er als einen Vorzug der 
Grenznutzenlehre bucht, und das darin bestehe, daß sie zur Ver- 
meidung des endlosen regressus — er sagt der Zirkelerklärung, 
der Charybdis der Kostenwertlehre, welche dahin führe, daß die 
Kosten immer wieder aus anderen Kosten erklärt werden müßten 
— den Wert der Kostengüter von vornherein durch den Wert ihrer 
Produkte bestimmen lasse. Dieses Umwenden und Umspringen 
bei Festhaltung des Kausalitätsprinzips halte ich nun für logisch 
unstatthaft. Auf seine Unzulässigkeit habe ich eingehend im 
„Zweck“ z. B. S. 323ff schon hingewiesen. Entweder muß ich bei 


174 Rudolf Stolzmann, 


der Kausalbetrachtung streng stehen bleiben oder ich muß von 
Hause aus mit der Zweckbetrachtung einsetzen; was ich aber nicht 
darf, das ist die nachträgliche Einstückelung der Zweck- in die 
Kausalbetrachtung. Ich darf nicht „Endzweck“ und „kausale 
Vorhand‘“, also zwei ganz verschiedene Kategorien zusammenwerfen. 
Ich darf nicht von der „kausalen bzw. CD teleologischen Ver- 
knüpfung“ reden. Böhm-Bawerk hat auch kein Recht, sich hierfür 
auf eine Stelle von Paulsens „Einleitung in die Philosophie‘, 1892, 
S. 224) zu berufen: „Jeder teleologische Zusammenhang (!) ist 
zugleich ein kausaler“. Hätte v. Böhm-Bawerk eine neuere Auf- 
lage, etwa die mir vorliegende von 1907 eingesehen, so würde er 
vielleicht nicht zu diesem Mißverständnis gekommen sein. Paulsen 
meint mit dem kausalen Zusammenhang nur das, was man sonst 
auch psychologische Kausalität nennt, er will damit sagen, daß 
die Zweckidee ihrerseits wieder ein „durch assoziative Verbindung 
Verursachtes“ ist (S. 240, 241). Aber Philosophen wie Logiker 
werden sich gegen die Zumutung wehren, daß sich aus dem Zu- 
sammenhang von Ursache und Zweck auch einfach eine Stellver- 
tretung beider Kategorien durcheinander rechtfertigen lasse. Ferner: 
Der „Zusammenhang“ besteht in der Tatsache, daß der Zweck nur 
durch die Benutzung der kausalen Naturgesetze ausführbar ist, 
der Zweck enthält, wie man sagt, eine „umgekehrte Kausalfolge; 
aber dadurch wird doch nicht der Zweck zu einer causa. 

Wenn der Endzweck entscheidet, so muß der Wert der Pro- 
duktivgüter in einem Zuge mit dem Werte der Genußgüter aus 
diesem Zwecke abgeleitet werden, und es ist schon eine unzu- 
lässige Fragestellung v. Böhm-Bawerks, ob die eine Seite, 
der Wert der Produkte „kausalen“ Vorrang habe, wie er meint, 
oder ob — nach Marschall — kausale Parität herrsche. Wenn 
v. Böhm-Bawerk S. 243 die „verfeinerte Problemstellung‘ so vor- 
nimmt: „daß das Kausalverhältnis (!) zwischen dem Wert der Pro- 
dukte einerseits und dem Wert der Produktivgüter andererseits 
zu erforschen sei“, so ist zu erwidern, daß ein „Wert“ — als 
Zweckbegriff — nicht causa eines Wertes sein kann, auch nicht 
Zwischen-causa, sondern nur Zwischenzweck, medium, Mittel ; ebenso- 
wenig wie man umgekehrt eine causa die Ursache eines Wertes 
nennen darf. Denn, wie v. Böhm-Bawerk so treffend hervorhebt, 
kann der Wert nicht produziert, nicht gewoben werden, wie ein 
Stück Leinewand. Der Zweck ist gedachter und gewollter Erfolg, 
also ein Gedankending, im Kopfe des Menschen zunächst. 

Aber, so wird mir v. Böhm-Bawerk einwenden, dies Gedanken- 
ding im Kopfe des Menschen, dieser „Zweck“ wird ja doch zu 
einer causa, und zwar zu einer recht wirksamen, er wird zur 
causa finalis, zur „psychologischen Ursache“, und meine ganze 
Polemik laufe auf ein müßiges Wortgeplänkel hinaus. Er könnte 
hinzufügen, daß man es im Ausdrucke des praktischen Lebens so- 
wohl wie in der Sprache der Logik, die auch von einer causa 
finalis (Zweckursache) rede, mit der Auseinanderhaltung der allge- 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 175 


meineren Antithese „Grund—Folge‘“ und ihrer Unterart „Ursache— 
Wirkung“ nicht so genau nehmen. Die Replik dagegen liegt auf der 
Hand, und ich will hier auch gar nicht lange von der Richtigkeit des 
Begriffs der „psychologischen Kausalität“ handeln, welche z. B. 
Stammler a.a.0. — jetzt 3. Auflage S.332—339 — mit treffenden 
Gründen verwirft. Mag man also ruhig einmal annehmen, daß 
die Grenznutzenlehre — und zwar von Hause aus — sachlich, 
ganz nach meinem Verlangen, mit dem Zwecke operiere, so würde 
sich die Streitfrage nur auf ein anderes, und zwar viel tieferes 
Problem hinüberspielen, auf das Problem: Welcher „Zweck“ 
kommt für die Nationalökonomie, für die Erklärung sozialer Wirk- 
lichkeit, in Betracht? 

Hier scheiden sich die Wege des ‚„Subjektivismus‘“ von denen 
der sozialorganischen Betrachtung für immer. Jener würde dann 
die Zwecke eines isoliert gedachten, dieser dagegen die dessozialen 
Individuums, als eines Gliedes der volkswirtschaftlichen Gemein- 
schaft zum Ausgangspunkt haben. Es handelt sich also um das 
alte große Problem vom Verhältnis des Individual- zum Sozial- 
prinzip, dem seinerseits wiederum die tiefere erkenntnistheoreti- 
sche Frage nach dem Verhältnis und der Berechtigung der natur- 
wissenschaftlichen oder der sozialwissenschaftlichen Betrachtungs- 
weise zugrunde liegt. 

v. Böhm-Bawerk verteidigt und vertritt die erstere: „Alle Sach- 
güter“, sagt er schon im Band I, S. 269, „nützen dem Menschen 
durch die Betätigung der Naturkräfte, welche in ihnen liegen... 
all ihr Wirken...ist ein Wirken von Naturkräften nach Natur- 
gesetzen... sie sind solche ausgezeichnete Gestaltungen der Ma- 
terie, welche eine Lenkung der in ihnen wohnenden Naturkräfte 
zum Vorteil des Menschen gestatten“. Dem Einwande, „daß jene 
Auffassung eine naturwissenschaftliche und keine wirtschaftliche 
sei‘, begegnet er mit der Behauptung, daß „in diesen Fragen“ ‚eben 
die Wirtschaftswissenschaft der Naturwissenschaft das Wort lassen 
muß. Der Grundsatz der Einheit aller Wissenschaft fordert dies... 
Der Erklärungsbereich der 'Wirtschaftswissenschaft ist eingebettet (D 
zwischen die Erklärungsbereiche der Psychologie einerseits und der 
Naturwissenschaften andererseits... .“. 

Bei sozialorganischer Betrachtung stellt sich die Sache um- 
gekehrt. Für sie ist die Naturwissenschaft nur eine Hilfswissen- 
schaft, die kausale, naturwissenschaftliche Betrachtung einschließ- 
lich der psychologischen ist „eingebettet“ in die sozialökonomische. 
Nicht ‚innerhalb des Rahmens der Naturgesetze“ vollzieht sich das 
Produzieren, Verteilen und Werten, sondern innerhalb des sozial- 
organischen, durch den Zweckplan der Volkswirtschaft bedingten 
Wertrahmens lenkt der Mensch die Naturkräfte, als deren beseelter 
Beherrscher, zu seinen Zwecken. Die Einheit der Nationalökonomie 
mit den anderen Wissenschaften ist nicht durch eine naturwissen- 
schaftliche Betrachtung gegeben, sie ist keine Natur-, sondern wie 
alle Gesellschaftswissenschaften eine Geistes-, eine Kulturwissen- 


176 Rudolf Stolzmann, 


schaft, eine Sozialwissenschaft, wie neuerdings Diehl in der Zeitschr. 
f. Rechtswissenschaft, diesjähriger Band, S. 305ff., überzeugend 
betont hat. Das Individuum ist in die planmäßige Organisation des 
sozialen Körpers, seine Zwecke sind in die des letzteren eingebettet. 
Es kann seine Zwecke, die allerdings schließlich auf unmittel- 
bare Bedürfnisbefriedigung gehen, nur auf einem Umwege erreichen, 
nämlich innerhalb des ‘großen Planes, der ihm seine Rolle zuweist, 
Die Wissenschaft, die Nationalökonomie, hat nichts anderes zu 
tun, als diesem Gange der zu erklärenden Dinge zu folgen. Erst 
so liefert sie uns ein Abbild der Wirklichkeit: Alle Wertung geht 
zwar von den Individuen aus, darin behält die Grenznutzenlehre 
und alle Theoretiker, die mit ihr die Analyse vom subjektiven 
Standpunkte aus beginnen, volles Recht. Die große Frage bleibt 
nur, woher das Subjekt die Motive seiner Wertungen bezieht; 
„organisieren“ diese von sich aus die Volkswirtschaft, entnehmen 
die „subjektiven“ Wertschätzungen von innen her, aus den höchst- 
persönlichen Beziehungen der isoliert gedachten Binnenwirtschaft 
heraus, ihren autarkischen Ursprung, oder aber auch — und zwar 
im entscheidenden Punkte — aus den Zweckbeziehungen des sozialen 
Gefüges, das vor ihm da ist und ihm nur die Funktion eines 
Gliedes übrig läßt? (Zw. S. 756). 

Von Interesse ist hier die Stellung einiger neuerer Nationalöko- 
nomen zur Frage vom Verhältnis der subjektivistischen und sozial- 
organisch-objektiven Faktoren. Cassel — Tüb. Zeitschr., 1899, 
S. 395ff. — läßt die Preise durch ein „System von Gleichungen“ be- 
stimmt werden, deren Koeffizienten sowohl die subjektiven wie die 
objektiven Faktoren darstellen, so daß man „von einem Vorrang der 
einen oder der anderen“ überhaupt nicht sprechen könne. Natürlich, 
Gleichungen geben, wie oben ausgeführt, nur formale Wahrheiten, 
die Koeffizienten sind gleichwertige Quantitäten, sie sind Schemen, 
und Cassels eigene Aeußerung, S. 455, enthält die beste Selbstkritik 
für den anspruchsvollen Titel seiner Abhandlung: „Grundriß (I) 
einer elementaren Preislehre (!)“. Die Aeußerung, die ich meine, 
lautet:: „es soll eben eine mathematische Gleichung nichts anderes 
sein, als ein kurzer und exakter Ausdruck für das, was man schon 
im voraus weiß“, oder, setze ich hinzu, was man hier eben nicht 
weiß, nicht erklärt hat. Neben all den Vorzügen Cassels — ich 
meine seine scharfsinnigen Bemerkungen kritischer Art — bietet 
er für die positive Erkenntnis der Dinge wenig, viel Mathematik, 
aber zu wenig Nationalökonomie. — Dann folgt O. Spann, der in 
seiner vorbildlich gewordenen Abhandlung, Tüb. Zeitschr., 1908, 
S. 1 ff.: „Der logische Aufbau der Nationalökonomie“ — in ähn- 
licher Weise wie Gol — die logischen Elemente der Gesell- 
schaftswissenschaft gründlich erörtert, dabei aber wiederum wenig 
Nationalökonomie und viel Logik und Methodisches bringt, hierbei 
auch, infolge seines durchaus subjektivistischen Ausgangspunktes, 
allzuviel neugeprägte, künstliche und fremdsprachige Ausdrücke 
à la Knapp an die Stelle der von den Objektivisten seit A. Smith 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 177 


üblichen einsetzt. Wozu z. B. statt der tausend Jahre hindurch be- 
währten und eingelebten alten Ausdrücke von Ursache, Wirkung usw. 
der einer fremden Wissenschaft entnommene Ausdruck „Funktion‘“?, 
dessen kautschukartiges Wesen v. Böhm-Bawerk, Exk., S. 238, so 
treffend kritisiert. — Es ist dann v. Zwiedineck, der (in den beiden 
Abhandlungen in derselben Zeitschrift, 1908, S. 587 ff., und 1909, 
S. 1 ff.), die Spannschen Begriffe nach der objektivistischen Rich- 
tung erweitert und damit brauchbarer gemacht hat. Dieser, um die 
Entwicklung der Preislehre besonders verdiente Schriftsteller ist 
recht typisch für den Uebergang unserer Wissenschaft aus der all- 
zulangen Episode der übersubjektivistischen Schulrichtung zu einem 
(durch Einfügung der subjektivistischen Faktoren) zeitgemäß 
reformierten, sozialen Objektivismus. Zwar geht er methodisch, 
wie nun einmal alle jüngeren Nationalökonomen, die aus der Schule 
der Subjektivisten hervorgegangen sind, vom Subjekt aus. Er tadelt 
Cassel, weil dieser den Vorrang der subjektiven Kategorien 
leugnet, der Preis bleibt ihm „gegenüber dem (subjektiven) Wert 
unter allen Umständen ein sekundäres Phänomen; denn sein Bestand 
und seine Größe“, sagt er, „sind Wirkungen (!) einer Mehrheit sub- 
jektiver Vorstellungen, Urteile und des Verhaltens einer Mehrheit 
von Subjekten. Das ergibt sich mit Notwendigkeit aus der Aner- 
kennung der Willensprimates (?) überhaupt“ (S. 601, 602). Wenn 
er daher auch anerkennt, daß die Preislehre unter der Tendenz, die 
teleologische Betrachtungsweise auszuschalten, zu kurz ge- 
kommen sei, so will er doch den Terminus ‚„teleologisch“ nur rein 
formal angewendet wissen, nur als heuristisches Prinzip für die 
Aufdeckung der Kausalbeziehungen. Er hat sich also grundsätz- 
lich noch keineswegs von der Spannschen Anschauung emanzipiert, 
wonach es sich auch „bei den sozialen Erscheinungen ... nicht um ein 
System von Zwecken, sondern um ein System von Mitteln für ge- 
gebene Zwecke, also lediglich nicht um einen Zweckzusammenhang, 
sondern um einen Zusammenhang der Mittel handle, der 
seiner Natur nach nur kausal sein könne“ (Spann, S. 9, u. Zwied., 
S. 591). 

In der Sache geht v. Zwiedineck allerdings viel weiter wie 
Spann. Dieser prägt den neuen Begriff der „übergreifenden 
Funktion“, welche er darin sieht, daß sie von den „monogenetischen 
Individualgebilden“, welche ein System von selbständigen Hand- 
lungen der Individuen bilden, zu dem Systeme der „polygeneti- 
schen oder Kongregalgebilde führt, also zu einem Systeme „not- 
wendiger Wechselbedingtheit der übergreifenden Funktionalbe- 
ziehungen“ und „polygenetischer Anpassungen‘, das aber immerhin 
noch ein kausales System der Mittel,, von innerer Selbständigkeit 
bleibe, wenn auch mit „komplementären Zielen“ (a. a. O. S. 28 ff.). 
Demgegenüber betont v. Zwiedineck, S. 591 ff., daß eine „sozial- 
wissenschaftliche Behandlung“ der Preislehre „nicht bei den Ergeb- 
nissen des Zusammenwirkens komplementärer Kräfte“ und ihrer 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 12 


178 Rudolf Stolzmann, 


„individuellen Funktionalbeziehungen“, also der, wenn auch noch so 
gehäuften, aber dennoch isolierten Preisphänomene stecken bleiben 
dürfe, sondern „die Funktion der Preise im Gesamtzusammenhang 
als Teil der Gesamtfunktionalbeziehungen erfassen“ müsse — neben- 
bei ein Beleg für die erwähnte Umständlichkeit dieses neuen „Stils“. 
v. Zwiedeneck markiert denn auch — im Sinne der von mir kürzer 
als „sozialorganisch‘‘ bezeichneten Betrachtungsweise — die durch- 
aus soziale Bedingtheit der Wertschätzungen des Subjekts, das 
der Autarkie verlustig, jetzt sozusagen in eine „allarchische Be- 
dürfnisbefriedigung“ eingefesselt sei: die Werturteile des Subjekts, 
sagt er, sind entfernt nicht mehr ausschließlich subjektive Willens- 
regungen, sondern ein Produkt der Erziehung, des Lernens und der 
Anpassung an die objektiv bedingten, dem Subjekt der Außenwelt 
oktroyierten‘“ historischen Preisbildungsfaktoren. Erst auf sie 
baue das Individuum seinen eigenen Wirtschaftsplan auf. Deshalb 
verlangt v. Zwiedineck geradezu eine „Vervollständigung des ana- 
lytischen Materials“ der Preisbildungselemente durch eine histo. 
rische Kategorisierung“ (a. a. O. 1909, S. 81, 88—90). 

Wie anders hier v. Böhm-Bawerk! Zwar spricht auch er Bd.II, 
S. 341 ff., von diesem Anpassen und Anlernen des Individuums, das 
die Werturteile in der Regel „fix und fertig vorfindet‘“, ohne sie 
erst „von Grund aus neu aufbauen“ zu müssen. Wir sind ‚darin 
durch ununterbrochene Uebung erstaunliche Virtuosen geworden“. 
Den Grund aber sieht er darin, daß „wir (!) schon früher einmal ein 
Urteil“ über den Wert des zu schätzenden Gutes „uns“ gebildet 
haben, das wir nur im Gedächtnis festzuhalten brauchen, oder man 
folgt sogar „nur dem Urteile anderer, die in ähnlichen Situationen 
sich bewegen.“ Aber damit, sage ich, ist doch noch gar nichts über 
den eigentlichen Ursprung der Wertungen bewiesen, weil diese 
Ausführungen für jede Wertlehre zutreffen und deshalb für keine 
etwas beweisen, am wenigsten gerade für den subjektivistischen Ur- 
sprung der Werturteile im Sinne der Grenznutzenlehre, und es ist 
deshalb wohl kaum die Apotheose dieser Lehre am Schlusse der 
v. Böhm-Bawerkschen Ausführungen gerechtfertigt: „Und Jahr- 
tausende, ehe die Wissenschaft die Lehre vom Grenznutzen auf- 
stellte, war der gemeine Mann gewohnt, Güter zu erstreben und 
abzulassen ... mit Rücksicht auf den Zuwachs oder Abfall von 
konkretem Nutzen, der an jedem Gute hängt: er praktizierte mit 
anderen Worten die Lehre vom Grenznutzen (!) früher als die 
Theorie sie entdeckte“. (!) Es bleibt die Frage ungelöst, ob und 
wieweit dem Individuum die Maßstäbe seiner Wertungen von 
außen kommen, weil sie hinter seinem Rücken gebildet werden, und 
es sie erst hinterher zu seinen eigenen macht, indem es sie in die 
Autonomie seines Willens aufnimmt. Nur diese Autonomie hat denn 
auch wohl v. Zwiedineck mit dem oben zitierten Ausdruck „Willens- 
primat“ gemeint. Wie das Individuum ethisch Selbstzweck ist, 
so muß es auch in der Volkswirtschaft als souveräner Beherrscher 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 179 


seiner Willensregungen anerkannt werden, selbst wenn und insoweit 
seine „Impulse“ durch die sozialen Notwendigkeiten bestimmt werden. 
Das Individuum bleibt der Träger, das Gefäß der sozialen Ideen, 
in das sie aufgenommen und in dem sie verwirklicht werden. In 
dieser Zwischenrolle geht von den Individuen allerdings eine kausale 
Wirkung aus, sie sind die Räder der großen Maschine, die ohne 
sie stille steht, und deren Zwecke mit ihren Zwecken solidarisch 
sind. 

Aber diese Autonomie des Individuums bleibt doch nur eine 
formale Wahrheit, und das Individuum selbst ein unbeschriebenes 
Blatt Papier, ein leerer Formalbegriff, der seinen Inhalt, seine Fül- 
lung und seine Aufgaben erst aus den psychologischen und tech- 
nischen Faktoren, dann aber — was für die Sozialökonomie ent- 
scheidet — aus den sozialen Bedingungen und Aufgaben emp- 
fängt (Zweck, S. 141 ff.) Dem hat die Theorie nachzugehen, 
und ihr Programm muß darin bestehen, den wirtschaftlichen Phä- 
nomenen und ihren Gesetzen aus der sozialen Kategorie heraus 
näher zu kommen (S. K., S. 422), oder wie es jetzt v. Zwiedeneck 
ausdrückt, ihnen „vom sozialwissenschaftlichen Gesichtspunkte 
aus zu Leibe zu rücken“ (a. a. O. S. 18). 

Es ist ein seltsamer Anachronismus, daß die ‚Modernen“ 
heute noch und besonders heute wieder in der Lehre vom volkswirt- 
schaftlichen Sein, dessen fortschreitende Sozialisierung mit Händen 
zu greifen, in den subjektiven Naturalismus zurückfallen, während 
doch in der Lehre vom Seinsollen, in der Ethik, der soziale Ein- 
schlag im kategorischen Imperativ Kants immer mehr erkannt wird, 
wie z. B. Simmel in seinen Kantvorlesungen 1905, S. 95 und 108, 
die philosophische Sublimierung des Freiheitsenthusiasmus und da- 
mit der subjektivistischen Persönlichkeitsidee bei Kant als eine 
nur seinem Jahrhundert eigentümliche Form der Denkrichtung 
charakterisiert, die ihren Kern unberührt läßt. Diesem sozialen Kern 
muß dann endlich auch die theoretische Nationalökonomie nach- 
gehen, sie darf die Volkswirtschaft nicht länger als ein bloßes 
„System von Handlungen menschlicher Individuen‘ betrachten, 
auf das sich die Volkswirtschaft immer von neuem „aufbaut“, son- 
dern es ist a priori der Kern und das Wesen der „polygenetischen 
Funktionalbeziehungen der gesellschaftlichen Gebilde“ und vor allem 
des Kongregalgebildes höchster Ordnung, der Rechts- und Wirt- 
schaftsordnung aufzuweisen, in die sich die „Handlungen“ der Einzel- 
personen erst einfügen, um dann erst a posteriori ihre „kausalen“ 
Wirkungen auszuüben. „Es ist wirklich nicht auszudenken“, sagt 
v. Zwiedineck S. 91 treffend, „wie die Preise der einzelnen Ver- 
kehrsobjekte auf den Märkten zustande gebracht werden sollten, 
wenn etwa eines Tages alle Erinnerung für jeden vorherigen Preis 
(und damit teilweise natürlich auch für gewisse Kosten) erloschen 
wäre! Das aber ist das Problem, das die extremen Subjektivisten 
lösen zu können glauben und das sie zu lösen imstande sein müßten“. 


12* 


180 Rudolf Stolzmann, 


Es zeigt deshalb sicher einen Fortschritt, wenn v. Zwiedineck, 
S. 83, in Anlehnung an Schmoller, Grundr. II, S. 110, das „Träg- 
heitsgesetz des Verkehrs‘ aufstellt, wonach sich als unentbehrlicher 
Ausgangspunkt für die individuellen Schätzungen ein objektives 
Faktum, der bisherige Preis, der Marktpreis von gestern, 
erweist, von dem alles Werten auf der Angebots- wie auf der Nach- 
frageseite ausgehen muß, und dem sich alles Werten, Disponieren 
und Spekulieren „anzupassen“ hat: die Wertung richtet sich 
nach dem Preis und hinge sonst in den Lüften.!) Aber dieser ana- 
lytisch richtige Gedanke dringt dennoch immer nur bis zu einer 
Zwischenwahrheit vor. Der Preis von gestern ist ebenso gut wie 
der Preis von heute erst das zu Erklärende. Die Kräfte, die ihn 
organisch gebildet haben, wirken alle Tage von neuem, sie reformieren 
und korrigieren ihn, genau wie das für den anderen formalen Quan- 
titätsbegriff: Angebot und Nachfrage zutrifft („Zweck“, S. 716), 
die erst ihrerseits als die gehorsamen Diener der höheren sozial- 
organisch bedingten Produktions- und Verteilungszwecke ihre Schul- 
digkeit tun. Hier führt der subjektivistisch-kausale Ausgang die 
Analyse nicht weiter, hier muß der heterogene „Zweck der Volks- 
wirtschaft“ als Erklärungsmoment einsetzen, der statisch die früheren 
Preise geschaffen und sie dynamisch immer nach seinen eigenen 
immanenten Gesetzen reformiert und wandelt. 

Der Zweckgedanke, mit dem also auch v. Böhm-Bawerk einsetzt, 
ist deshalb an sich richtig, aber er kommt zu spät. Er ist inhaltlich 
nicht ausgedacht, weil er ganz und gar im naturalistischen Erdreich 
subjektivistisch-mechanischer Betrachtung stecken bleibt. Der Zweck, 
als die entscheidende „Wertquelle‘“, ist nicht subjektivistisch, sondern 
sozial. v. Böhm-Bawerk sagt: „Wenn wir nur als Tatsache wissen, 
daß ein bestimmtes Produkt für uns (?!) Wert hat, können wir daraus 
mit völliger Zuverlässigkeit das weitere Urteil ableiten, daß die Pro- 
duktionsmittel.. für uns (!) ebenfalls wertvoll sind“ (Exk., S. 254). 
Der Pluralis: „wir“ und die Bewertung der Güter nach dem Wohl- 
fahrtsgewinn „für uns“ klingt sozial, ist es aber nicht, weil dahinter 
zunächst immer nur die Privatschätzung des isoliert gedachten Einzel- 
individuums in einer außerordentlichen Einzelsituation steht, dem 
unerschöpflichen Eldorado des Subjektivismus, so oben in der Situ- 
ation gar eines Schiffbrüchigen. Normalerweise, d. h. für den zu 
erklärenden Marktpreis wird der Wert eines Rettungsgürtels nach 
seinen Produktionskosten geschätzt, das bedeutet: nach dem Zwecke 
der andern, die ihn herstellten, und zwar lediglich für ihren 
Zweck, nämlich zum Zwecke ihres Lebensunterhalts oder ihres 


1) v. Zwiedineck sagt a. a. O. S. 89 treffend: Das eigenartige Zusammenwirken 
individueller mit Umweltselementen ist eine Wechselwirkung „ohne Anfang und Ende“. 
„Aber der Anfang dieses Kausalnexus tritt doch aus dem Dämmerlicht (!) der Unbe- 
stimmbarkeit etwas heraus, wenn die energetische Qualität der Marktpreise, ihr Behar- 
rungsvermögen und ihre sozusagen (!) polypragmatische Bedeutung Beachtung findet.“ 
Zum Ziele kommt man meines Erachtens nur, wenn man an Stelle des „Kausalnexus“ 
den Zweckgedanken einsetzt. Der Zweck ist dann der „Anfang“. 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 181 


Kapitalgewinns. Die wahre soziale Wertquelle ist im sozialen 
Produktionsplane zu suchen, der die Produktion für andere, aber doch 
mittels der Produktion vor allem die eigene Genußbefriedigung mittels 
des Anteils bezweckt, den das produzierende Subjekt durch Liqui- 
dation seiner Wertanweisung (in Gestalt von Lohn, Gewinn etc.) vom 
gemeinsamen Sozialprodukt aus den Marktbeständen erreicht, zu ver- 
gleichen schon S. K. S., 11 und 12, und v. Zwiedineck, S. 100 ff. 
Das ist heute der Zweck der Produktion, und der Wert ist allerdings 
ein Zweck, aber der Zweck der sozialen Auseinandersetzung. Es ist 
ein Unding, den „Wert“ in der heutigen Wichtigkeit als Resul- 
tante unsozialer, höchst individualistischer Elemente zu erklären, 
Der Wert ist ein Reflektions-, ein Zweckbegriff, aber die Zwecke, 
das Reflektieren des Individuums, sind durchaus von den Zwecken 
des sozialen Organismus abhängig. 

Dieser „Zwieschlächtigkeit‘‘ der Zwecke entspricht eine solche 
des Güterwertes. Zwei Seelen wohnen in ihm, eine rein ökonomisch 
technisch-psychologische und eine soziale, Das Einzelgut ist nicht 
nur ein isoliertes, für die einzelne Bedürfnisbefriedigung bedeutsames 
Stück Natur, sondern ein lebendiges organisches Stück der Volkswirt- 
schaft, deren Leben und Wesen sich in seinem Werte wieder- 
spiegelt (Zw., S. 6—7). So auch im Produktivgut. Ich produziere 
ein Gut für den konkreten Nutzen („Wohlfahrtszweck‘“) anderer, 
für mich produziere ich damit nur einen Wert, dessen Wesen in 
seinem Charakter als Liquidationsmittel für die soziale Entlohnung 
meines Dienstes liegt, zu welchem Zwecke andere ihrerseits ihre 
Dienste für ihre Zwecke geleistet haben. Die „Wirksamkeit“ der 
Produktivgüter, ihr Zweck, ihr Nutzen, sogar ihre „Nutzung“ — 
was v. Böhm-Bawerk in der Kritik dieses letzteren Begriffes so ganz 
übersieht und erst von Komorzynski wieder (vergleiche S. 146) in 
Uebereinstimmung mit meinen Ausführungen in der S. K. und im 
Zweck ins Licht gestellt hat — ist danach ein doppeltes: sie begreift 
nicht bloß die Auslösung „naturaler Kräfteleistungen“, wie v. Böhm- 
Bawerk sagt, sondern vor allem jenen sozialorganischen Nutzen für 
den Hersteller, den v. Böhm-Bawerk unter den Tisch fallen läßt, 
den Nutzen und die Kraft, als „Magnet“ den einen Teil des National- 
produkts an sich zu ziehen. Wie diese zweite Seele im Werte der Pro- 
duktivgüter den Subjektivisten entgeht, wird uns klar werden, wenn 
wir nun die Rolle untersuchen, die die Kosten in ihrer Preislehre 
spielen. 


7. Die Unzulänglichkeit des Kostenbegriffs 
in der subjektivistischen Preislehre. 


„Die Wert- und Preisbildung“, sagt v. Böhm-Bawerk S. 413, Bd. II, 
nimmt ihren Ausgang von den subjektiven Wertschätzungen der fertigen Pro- 
dukte durch ihre Konsumenten. Sie bestimmen die Nachfrage nach diesen 
Produkten, der als Angebot zunächst (1!) die Vorräte der Produzenten an ferti- 
ger Ware“, schließlich aber, „vermöge des Nachschubs, den sie immerfort 
aus der Produktion erfahren“, die gegebenen und fixen Vorräte an originären 
Produktivkräften gegenüberstehen, aus denen sie alle letzthin entstehen, nämlich 


182 Rudolf Stolzmann, 


die Bodenkräfte und Arbeitsleistungen ; denn bis zu ihnen führt die Kausal- 
kette vom Schlußprodukt durch die Zwischenprodukte zurück : „die originären 
Produktivkräfte der Nation drängen sich der Reihe nach in die lohnendsten 
Verwendungen und empfangen (!) von der letzten derselben ihren Wert und 
Preis.“ Die Produktion ist einem riesigen Pumpwerk zu vergleichen. Jeder 
Bedürfniszweig hat sein besonderes Saugrohr in das Reservoir der originären 
Produktivkräfte eingesenkt und sucht daraus, konkurrierend mit allen andern 
Zweigen, seine Deckung an sich zu ziehen. ... So saugen alle Bedürfnisse 
mit der durch ihre Schätzungsziffern angezeigten Kraft.“ Je größer die Menge 
der disponiblen Produktivkräfte ist, in je tiefere Schichten kann die Ver- 
sorgung der Bedürfnisse herabsteigen. Können z. B. als die letzten Bedürf- 
nisse noch diejenigen bedeckt werden, die den Arbeitstag nur mit einem Gulden 
bezahlen, so wird sich demgemäß auch der Marktpreis der Arbeit einheitlich 
auf einen Gulden fixieren. Auch für den großen sozialen Markt also „regieren“ 
zwar die Kosten den Wert, aber sie sind „nicht die endgültige, sondern immer 
nur eine Zwischenursache des Güterwerts. In letzter Linie geben sie nicht 
ihren Produkten den Wert, sondern sie empfangen ihn von ihnen“. 

. Die Einwendungen, die wir oben gegen die Lehre vom sub- 
jektiven Kostenwert und gegen die Preislehre überhaupt erheben 
mußten, rücken hier in ein viel schärferes Licht. Die Subjektivisten 
verkennen, daß in der Sozialwirtschaft hinter jedem Produktions- 
faktor ein Mensch steht. Der Weg zum Produktivgut führt hier 
immer nur über die Person seines Inhabers, wir sind also nicht wie 
Robinson von den Dingen, sondern von ihren Besitzern abhängig, 
die uns die Produktivgüter nur unter Bedingungen darbieten, Diese 
Bedingungen bestimmen auch den Wert. Und zwar kann der dau- 
ernde, organische Wert nicht anders bestimmt werden, als wie 
durch die Umstände, die eine nachhaltige Produktion und eine. 
dauernde, sozialnotwendige Vergeltung für die Besitzer der Pro- 
duktivfaktoren gewährleisten. Im sozialen Organismus haben nur die 
Vergeltung erheischenden Produktivmittel einen Wert, und auch 
diesen nur nach Maßgabe der notwendigen Höhe dieser Ver- 
geltung. Dagegen sagt v. Böhm-Bawerk S. 419: „Ob der Arbeitstag 
einen Gulden oder drei Gulden wert ist, hängt davon ab, wie viel 
das Produkt wert ist, das man in einem Arbeitstage hervorbringen 
kann, und zwar das „letzte“, mindest gutbezahlte Produkt, zu dessen 
Hervorbringung nach Versorgung aller besser honorierten Verwen- 
dungen noch Arbeit entsprechender Qualität übrig ist.“ An diesem 
Satze, der so besonders kraß wirkt, weil er den Produktionsfaktor 
betrifft, der die höchstpersönlichste Leistung eines lebenden 
Menschen, des Arbeiters, betrifft, wird besonders klar, wie wenig 
sich die „subjektive“ Lehre gemeinhin um das subjektive Moment 
der Kostenwertung kümmert, d. h. um die Personen, die hinter 
den Produktivfaktoren stehen. Hier hätte der Zweckgedanke ein- 
setzen müssen, aber nicht einseitig, sondern es waren zwei Zwecke 
zu berücksichtigen, der Zweck der Konsumenten und der der Produ- 
zenten. Der erstere steht bei der sozialen Produktion im Hinter- 
grunde, vornan steht der Zweck des Produzenten, die Erlangung einer 
Abfindung, einer Wertanweisung auf die anderen Marktgüter, an 
deren Erzeugung er selbst unmittelbar nur in Ausnahmsfällen mit- 
gewirkt hat. Und über diesen beiden Zwecken steht ein dritter 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 183 


Zweck, ein Zweck höherer Ordnung, der organische „Zweck der 
Volkswirtschaft‘, der jene beiden Zwecke erst einheitlich zu- 
sammenfaßt. Alle diese Zwecke sind mitnichten schon „gegebene“, 
so daß es nur auf die Mittel ankomme, welche die Volkswirtschafts- 
lehre als ein bloßes „System der Mittel“ kausal zu betrachten 
habe (Zw., S. 774). Hier hat es mit der „formalen“ Teleologie sein 
Ende, es bleibt die größte und vornehmste Aufgabe der National- 
ökonomie, Wesen, Inhalt und Zusammenstimmen aller jener Zwecke 
zu erklären. 

Statt dessen wird von den extremen Subjektiyisten die ganze 
„nationale Produktion“ nur vom einseitigen Zweckstandpunkte der 
Konsumenten aus betrachtet; sie vergessen, daß nicht nur für 
Menschen, sondern in allererster Linie von Menschen produziert 
wird. Sie machen so viel Wesens von der „Subjektivität‘ der wer- 
tenden Konsumenten und vernachlässigen darüber die Zwecke der 
Produzenten als Subjekte, als Menschen. Die Menschen, die hinter 
den Produktivfaktoren stehen, die Grundeigentümer, die Unternehmer- 
Kapitalisten, die Arbeiter, lebende, begehrende Wesen, keine Pa- 
goden und Schemen, sie alle „empfangen“ nicht nur, sie geben und 
fordern. Sie entscheiden mit der Macht ihrer sozialen Position, 
ob die von ihnen zur Produktion hergegebenen Boden-, Kapital- und 
Arbeitsleistungen „einen Gulden‘, drei oder viele „wert“ sind. Hinter 
den subjektiven Schätzungen der Individuen steht im Konkurrenz- 
system immer der ganze Zwang der sozialen Verhältnisse, die ab- 
schließend bestimmen, wie hoch und wie niedrig die Wirtschafts- 
subjekte schätzen können, dürfen und müssen. Es war ein grandioser 
Fehler, die Wertschätzungen der Verkäufer auszuschalten und die 
Preisbildung auf die der Käufer, der ‚letzten‘ Käufer, zurückzuführen. 
Die ganze Volkswirtschaft ist dann nur ein großer Ausverkauf 
fertiger Waren, oder, da sie nur allotropische Modifikationen der 
originären Produktivfaktoren darstellen, schließlich (!) dieser Fak- 
toren, deren „Umwandlung“ und Ueberlieferung an die Konsumenten 
die Zwischenunternenmer nur von Stufe zu Stufe „vermitteln“. 
Die letzthin maßgebendenOriginärfaktoren, auf welche die Betrach- 
tung zurückgeht, sind also ebenso „fix“, wie die fertigen Genuß- 
güter, die aus ihnen hervorgehen. Ihre Mengen, Vorräte, Reser- 
voirs, dann die „Masse“ der in einem Marktgebiet verfügbaren Waren 
und wie die sonstigen mechanischen Quantitäts- und Summenbegriffe 
alle lauten, entscheiden nach Umfang und Zahl. Umfang und Zahl 
entscheidet auch darüber, bis zu welcher Tiefe der Grenznutzen und 
der Grenzpreis herabgedrückt wird. „Jedenfalls ist hier“, sagt 
v. Böhm-Bawerk S. 405, „in der Beeinflussung der Zahl der ver- 
fügbaren Waren, der Ansatzpunkt zu suchen, von dem aus die Kosten 
jenen bekannten weitreichenden Einfluß auf die Höhe der Güterpreise 
üben ...“ „Die vergrößerte Menge“, sagt v. Böhm-Bawerk, Exk. 
S.257, „bewirkt eine stärkere Sättigung der nach Produkten .. . be- 
stehenden Bedürfnisse; dadurch (?) wird der Grenznutzen und Wert 
der Produkte, und weiterhin endlich der durch ihn vermittelte (!) 


184 Rudolf Stolzmann, 


Grenznutzen und Wert des Produktivgutes herabgedrückt.“ Wenn 
er nun fortfährt: „Die Vermehrung der Masse des Produktiv- 
gutes kann aber den Wert des Produktes nicht von sich allein (!) 
aus... drücken“, so ist das freilich unbestritten, damit ist doch aber 
die notwendige Würdigung dieses „andern“ Faktors, des eigentüm- 
lichen und ursprünglichen Wertes des Produktivgutes, nicht er- 
ledigt. 

Es fehlt die Würdigung des Zwecks, den die Besitzer der 
Produktivgüter verfolgen und zwar verfolgen müssen gemäß des 
höheren Zwecks.der Volkswirtschaft, deren nachhaltiger und dauern- 
der glatter Fluß nicht bloß von der Kaufkraft der zahlungs- 
fähigen Konsumenten, sondern mindestens ebenso wohl von der 
gleichmäßigen Verkaufskraft der Produzenten abhängt, d. i. 
von ihrem Einkommen. Denn wir sahen, die Bedingung der 
ganzen Produktionstätigkeit besteht in der Erzielung dieses Ein- 
kommens, sie ist der Zweck in der Volkswirtschaft. Die Kaufkraft 
der Konsumenten kann nicht bestimmt werden ohne die Verkaufskraft 
der Produzenten und umgekehrt. Sie stehen in Wechselwirkung, 
aber diese ist keine kausale. v. Böhm-Bawerk hat ganz Recht, wenn 
er in diesen Jahrbüchern, 3. F., III. Bd., 1892, S. 359, sagt, daß der 
Satz: der Wert der Produktivgüter wird durch den Wert der Produkte 
bestimmt, und zugleich umgekehrt ein Zirkel, eine Todsünde gegen 
die Logik seien: eine wechselseitige Kausalität derart, daß von 
zwei und denselben Dingen jedes die Ursache des andern sei. Aber 
wohl möglich und sogar begrifflich notwendig ist eine Wechselwirkung 
in einem „Organismus“, dessen Wesen gerade in einer solchen 
Wechselwirkung der Glieder und des Ganzen besteht, aber nicht im 
Sinne der Kausal-, sondern der Zweckidee. Da die Volkswirtschaft 
ein organisches Zweckgebilde ist, kann ihr Organismus ohne die 
Zweckidee nicht verstanden werden. Während uns der Kausalitäts- 
gedanke hier aufs Trockene führt, liefert der Zweckgedanke die 
sehr einfache Lösung der Wechselwirkung: Zwei Werte, d. h. 
zwei Zwecke sind gleich, weil sie einem dritten gleich sind, dem 
Zwecke des übergeordneten sozialen Ganzen; Produktivgüter und 
Produkte sind nach ihrem Werte und Zwecke gleich — nicht wie 
v. Böhm-Bawerk Exk. S. 251 sagt, weil letztere einer dritten „Ur- 
sache“, nämlich dem Verhältnis von Bedarf und Deckung, sondern weil 
sie einem und demselben organischen Einheitszwecke entstammen. 
Dann bedarf es nicht des verfehlten — nicht organischen — „Um- 
wendens“. Im Lichte des organischen Zweckgedankens stellt sich 
der Wert der Produktivgüter als antizipierter Konsumtions- und 
Einkommenswert dar, der im Werte der Produkte nur realisiert 
wiedererscheint, sie gehorchen beide nur demselben organischen 
Zweckprinzip, das auf der stetigen Erneuerung der Kauf- und der 
Verkaufskraft beruht. Dieser gemeinsame Zweck der Volkswirt- 
schaft ist jene „Sonne“, von der sie in einem Strahle beide ihr 
Licht erhalten. 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 185 


So behält denn Marshall mit seinem Scherenbeispiel Recht, es 
muß nur teleologisch begründet werden. Bei der Kausalbetrachtung 
der Grenznutzenlehre dagegen bleiben beide Seiten der großen 
volkswirtschaftlichen Gleichung unbestimmt, es bleibt die große Frage 
ungelöst, woher Arm und Reich, woher die „Kaufkraft“ der alles 
bestimmenden Konsumenten. Auch hier, auf der Konsumentenseite, 
zeigt sich wieder die Tatsache, daß sich der Subjektivismus, ohne 
es zu sehen, in seichten Objektivismus verflacht: Die Nachfrage 
ist ebenso fix und objektiv gegeben, wie wir es beim Angebot sahen. 
Reich und Arm, die natürlich — ein bloßes Gesetz des fertigen 
Marktes — die Kostengüter und ihre allotropischen Modifikationen 
in Gestalt der Genußgüter, sich gegenseitig konkurrierend, „an sich 
saugen“, sind mit ihrem Einkommen starrmechanisch gegeben; wo- 
her sie es haben und wie es sich organisch aus dem großen Gefüge 
erneuert, das bleibt ein Rätsel. Es scheint fast, als ob die Volks- 
wirtschaft nur für Rentner da wäre mit fixem Vermögen und 
fixer Kaufkraft — kaufkräftige Guldenbesitzer, deren Guldenmenge 
gleichsam vom Himmel geschneite Fixa der Nachfrage darstellen. 
In Wahrheit stehen Nachfrage und Angebot in einem organischen Zu- 
sammenhang. Sie sind teleologisch a priori aufeinander abgestimmt. 
Das „Aufsaugen“ ist erst erklärlich, weil die organischen Vor- 
bedingungen dazu gegeben sind (Zweck S. 764). 

Es ist bisher viel zu wenig beachtet worden, daß die Gedankenbrücke 
vom subjektivistischen Wertbegriffe zum „Preise“ eigentlich nur auf einer for- 
malen Analogie, auf einem bildlichen Gleichnisse beruht. So nennt v. Böhm- 
Bawerk das Kostengesetz „nur eine auf eine spezielle Erscheinungsgruppe an- 
gepaßte spezielle Aussageform“ des Gesetzes vom Grenznutzen: „Die Ge- 
dankengänge . . gleichen sich Zug für Zug, nur daß hier“ (beim sozialen Kosten- 
gesetz) „vermöge des Dazwischentretens des Tausches, vermöge der Ueber- 
setzung (?) des Phänomens aus der Einzelwirtschaft in die Gesellschaft, um 
jedes Glied des Gedankenganges sich reichere Verwicklungen‘“ (wieder das so 
oft beobachtete Verlegenheitswort !) „schlingen“. „Es vollzieht sich hier ein- 
fach das große Gesetz des Grenznutzens.“ Dieses laute, „daß der vorhandene 
Vorrat der Güter immer der Reihe nach in die lohnendsten (!) Verwendungen 
eingewiesen wird, und daß die letzte, abhängige Verwendung den Wert De- 
stimmt“. „Im erweiterten Rahmen des Marktes“ dagegen werde nun „Alles 
nicht mehr unmittelbar auf die subjektiven Bedürfnisse, sondern durch deren 
Vermittlung auf das Geld bezogen, das gleichsam (!) den neutralen gemein- 
samen Nenner für die nicht mehr unmittelbar vergleichbaren Bedürfnisse und 
Empfindungen verschiedener Subjekte abgibt. Jetzt erscheinen als die loh- 
nendsten D Verwendungen nicht mehr diejenigen, die den absolut intensivsten 
Bedürfnissen, sondern jene, die den höchsten Geldschätzungsziffern ent- 
sprechen, also die bestbezahlten (!) Verwendungen; und der Wert, der 

araus (?) hervorgeht, ist objektiver Tauschwert.‘“ 

Ich brauche hier die oben nachgewiesene Unzulänglichkeit des 
„großen Grenznutzengesetzes“ nicht von neuem aufzuweisen, ebenso 
nicht diejenige des Resultantengedankens im allgemeinen, endlich 
auch nicht die des „neutralen“ Generalnenners „Geld“, der, ein 
deus ex machina, das Vergleichbare mit dem Unvergleichbaren, „ver- 
mitteln“ soll, den subjektiven „Wert“ mit dem objektiven Preis. 
Ich beschränke mich darauf, die Ausführbarkeit jener „Ueber- 


186 Rudolf Stolzmann, 


setzung“ aus dem Subjektiven ins Soziale zu beleuchten. Hier sind 
nun, wie ich Zweck S. 715 und 719 näher begründete, nur zwei 
Gedankenbrücken vom einen zum andern denkbar, die Resul- 
tantenidee und die Analogie. 

Prüfen wir die Anwendbarkeit der ersteren und nehmen einmal 
an, es gäbe irgendeinen Robinson oder mehrere solcher Robinsons, 
die nach dem Grenznutzengesetze „werten“. Wie kommen dann auf 
dem großen Markte alle die robinsonartig gedachten, autarkischen 
Einzelwirtschafter zueinander, die mit ihren subjektivistischen Grenz- 
und Fortfallserwägungen im Vereine die preisbestimmende Resul- 
tante ergeben sollen? Aber da belehrt uns ja schon v. Böhm-Bawerk, 
S. 416 und Note, selbst, daß ihre — subjektiv intensivsten — Be- 
dürfnisse leider nicht mit den „bestbezahlten‘‘ Verwendungen zu- 
sammentreffen. Denn es drängt sich ein ganz fremdes Element in den 
Gang der Erklärung, die „Kaufkraft“, also ein Objektivum, und 
zwar ein vom „subjektiven“ Standpunkte aus genetisch und inhalt- 
lich unerklärtes. Aber nicht genug damit, es springt die Erklärung 
in eine fremde Kausalreihe hinüber, die nicht mehr der Nachfrage-, 
sondern der Angebotsseite entstammt, und zwar geschieht dies mittels 
desjenigen Begriffs, der in v. Böhm-Bawerks Dialektik das alleinige 
Verbindungsglied mit dem subjektiven Grenznutzengesetze bildet, 
es geschieht mit dem tertium comparationis der „lohnendsten Ver- 
wendungen“. Ja, aber wem „lohnen‘ denn nun diese Verwendungen 
in der Gesellschaft, wie sie dort dem Robinson „lohnten“? Doch 
nicht mehr dem wertenden Konsumenten, sondern vor allem dem 
Produzenten. Wie v. Wieser, Nat. W., S. 54 u. 57, richtig er- 
kennt, ist hier der persönliche Nutzen der „Unternehmer“ das ent- 
scheidende Prinzip. Statt der Dinge, die am meisten nützen 
können, werden diejenigen erzeugt, welche man am besten bezahlt. 
Es ist „dem privaten Unternehmer nicht um den höchsten Nutzen 
für die Gesellschaft, sondern um den höchsten Wert für sich (!) 
zu tun, der zugleich sein höchster Nutzen ist.“ Damit macht dann 
also der objektive Kostenfaktor und mit ihm das bestimmende Preis- 
bildungsmoment der Angebotseite sein unveräußerliches Recht geltend, 
die Dialektik hatte sie nur interimistisch ausgeschaltet. 

Was aber von ihr übrig bleibt, ist dann nur der rein äußerlich 
formale Gedanke der Analogie. Es bleibt nur ein dialektisch sehr 
interessantes Gleichnis übrig, die Vergleichung zwischen dem Nutzen 
der Gesellschaft und dem des konsumierenden Individuums. Aber 
diese Vergleichung hat keinen sachlichen Boden. Robinson wertet, 
eine Gesellschaft wertet nicht, sie ist ein Abstraktum, und der 
gesellschaftliche Wert wäre eine jener unzulässigen Idealisierungen, 
vor denen v. Böhm-Bawerk sonst so energisch warnt (Bd. 1, S. 341). 
Es fehlt auf dem großen Markte das einheitliche Subjekt der 
Schätzung, und auf der Kostenseite der einheitliche fixe und gegebene 
Vorrat an Produktivmitteln. Was die erstere Seite betrifft, so sagt 
schon v. Wieser: „Dort, in der isolierten Wirtschaft, wurden mit 
dem gegebenen Vorrat die wichtigsten Bedürfnisse, von oben nach 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 187 


unten gereiht, befriedigt; hier, bei der Preisbildung, kommen die 
tauschfähigsten Kaufbewerber, von oben nach unten gereiht, zum 
Tausche, und wie dort der Grenznutzen, so entscheidet hier der 
Grenzkäufer“. „Wie es hier Grenzbedürfnisse gibt, gibt es 
dort Grenzexistenzen unter deren Niveau die Fristung des 
Lebens höchstens noch gnadenweise zugestanden wird“ (a. a. O. 
S. 58). Das ist aber alles nur ein Spiel mit Worten, um den 
Grenzgedanken zu retten, eine gedankliche, keine reale Vergleichung, 
es bedeutet nichts anderes, als die phantasievolle Parallele zwischen 
einzelnen, subjektiven Teilwertungen, die im Kopfe des Robinson 
ihr Spiel treiben, mit ganzen Menschen, nämlich mit den In- 
dividuen als Teilen des großen Robinson, als den man sich — unge- 
bührlicherweise (Zweck, Sa 367 und 707) — die Volkswirtschaft 
vorstellt. Und gar auf der Angebotsseite (der Kostenseite) fehlt es 
an jedem tertium comparationis. Der nationale" Vorrat an origi- 
nären und produzierten Produktionsmitteln, der nationale Produk- 
tionsfonds oder, wie ihn v. Böhm-Bawerk in der Zinslehre begriff- 
lich umwandelt, der „nationale Subsistenzfonds“, ist ein zur Ver- 
gleichung ganz untauglicher bloßer Summenbegriff. In der Volks- 
wirtschaft ist eben mit der autarkischen Robinsonwirtschaft die 
Keimzelle der subjektivistischen Betrachtung gespalten, das theo- 
retisch ausgedachte „Individuum“ auseinander gesprengt und mit ihm 
seine Einzelwirtschaft, seine Gesamtbedürfnisse, sein Gesamtvorrat. 
Es tritt ein begrifflich und sachlich heterogenes novum an die Stelle. 
So an Stelle der Kostengüter und ihrer rein-ökonomischen Dreiteilung 
jetzt die soziale Dreigliederung der Personenklassen, die hinter den 
Kostengütern stehen, die Klassen der Arbeiter, Grundbesitzer und 
Kapitalisten, und an Stelle der einzelnen Bedürfnisse die der werten- 
den „Existenzen“ ebenderselben Personenklassen, aus denen — 
abgesehen von den Personen mit sogenannten „abgeleitetem‘“ Ein- 
kommen, sowohl die Konsumenten wie die Produzenten bestehen. 

Wir stoßen hiermit auf ein organisches Moment, das bisher nicht 
bloß von den subjektivistischen, sondern oft auch von den objekti- 
vistischen Theoretikern so auffallend vernachlässigt worden ist, näm- 
lich auf die sozialnotwendig gebotene, aber auch gegebene große volks- 
wirtschaftliche Gleichung, von der Leben und Gedeihen des sozialen 
Körpers abhängt, auf die Gleichung von Nutzen und Kosten, Kauf- 
kraft und Verkaufskraft, Konsumtion und Produktion. Kurz, es 
handelt sich um das Soll und Haben der großen volkswirtschaftlichen 
Bilanz und das Aufgehen dieser ihrer aufeinander angewiesenen 
Posten. Sie kann nur erklärt werden durch die sozialorganisch 
wirksamen Schwerkräfte des volkswirtschaftlichen Organismus, die 
zu einem großen „Ziele streben“. „Zielstrebigkeit‘ will ich das ein- 
mal nennen, statt „Zweck“ oder „Telos“, um den sogenannten „Tele- 
ophoben‘“ nicht wehe zu tun, die bei dem Worte „Teleologie“ immer 
gleich nervös werden. Ich habe das Wort „Zielstrebigkeit“ auch 
schon im „Zweck“ öfters angewendet. Es stammt wie der Ausdruck 
Teleophobie sogar von einem „Naturforscher“, dem berühmten v. Baer 


188 Rudolf Stolzmann, 


und wird von Paulsen a. a. O. S. 240, an der oben erwähnten Stelle 
empfohlen, die v. Böhm in Bezug genommen hat. 

Jenes organische Verhältnis zwischen beiden Seiten der Gleichung 
ist von der Grenznutzenlehre mit ihrem rein subjektivistischen Denk- 
apparate natürlich nicht erfaßbar. Statt uns das Stimmen der 
Gleichung aus jener Zielstrebigkeit des sozialen Körpers zu erklären, 
stoßen bei ihr Konsumenten und Produzenten, Angebot und Nach- 
frage blind aufeinander. Sie sind eben da, und ihr Verhältnis zu- 
einander ist ein zufällig mechanisches. Es fehlt die verbindende Ein- 
heit. Der einzige Ansatz zu einer solchen findet sich höchstens in 
ihrer Theorie von den „komplementären Gütern“. Wir gelangen 
damit zu der dritten und letzten „Komplikation“ des Wert- und 
Preisgesetzes. 


8. Der Wert der „komplementären“ Güter. Das Gesetz der 
Zurechnung und Verteilung. 


„Die Theorie vom Werte der komplementären Güter“, so sagt 
v. Böhm-Bawerk, „bietet den Schlüssel (!) zur Lösung... des Pro- 
blems der Verteilung der Güter... in der heutigen Gesellschafts- 
form... sie legt den durchgreifendsten Bestimmungsgrund für die 
Höhe der Honorierung bloß, die jeder der drei Faktoren (Arbeit, 
Boden, Kapital) für sich erlangt... und leitet zur Höhe der drei 
Einkommenszweige Arbeitslohn, Grundrente, Kapitalzins“. — Der 
Weg zu diesem Ziele geht wieder von der Betrachtung der Einzel- 
wirtschaft aus, und der Führer auf diesem Wege ist wieder der 
passe-partout des Fortfallgedankens. In der Einzelwirtschaft, so 
geht die Erklärung, ergibt sich der Wert in dem zu untersuchenden 
„komplizierten“ Falle, nämlich in dem Falle, daß „verschiedene Arten 
von Produktivgütern zur Produktion erforderlich sind“, dadurch, 
daß man sich das zu schätzende Produktivgut als fortgefallen denkt, 
der Ausfall an Bedürfnis ergibt seinen Wert. Man beachte: wie 
beim einfachen Kostengesetze und dem Wertgesetze der „produktions- 
verwandten“ Genußgüter die objektiv gegebene Gleichheit der Kosten- 
güter die Brücke abgab, so wird hier umgekehrt vom objektiv ein- 
deutig gegebenen, als fix gedachten Wert eines einzelnen Genußguts 
ausgegangen, der den Produktivgütern „zugerechnet“ wird. Beim 
Kostengesetz war dann die Schwierigkeit, daß zur Herstellung selbst 
des kleinsten Gutes in aller Regel das Zusammenwirken mehrerer 
Produktivgüter (Arbeit, Natur, Kapitalgüter) erforderlich ist, zunächst 
dadurch umgegangen, daß das Produkt immer nur als aus einem 
Produktivgut, aus Eisen, aus Arbeit pp. oder nur aus gleich- 
artigen „Produktivmittelgruppen“ hervorgegangen angenom- 
men wurde, eine bloße Hypothese, die im Leben kaum irgendwo zu- 
treffen wird, die man aber als vorläufige Annahme hingehen lassen 
könnte. Ebenso könnte man die andere Hypothese als solche tole- 
rieren, nach der in der Lehre vom Werte der komplementären Pro- 


Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 189 


duktivgüter vorausgesetzt wird, daß sie nur ein Gut oder eine 
Güterart hervorbringen. Was aber nimmermehr zugelassen werden 
kann, ist eine Vereinigung und Vermengung beider Methoden und 
ihrer gesonderten Ergebnisse in der Weise, daß das aus der Hypo- 
these gleichartiger und deshalb gleichwertiger Kostenstücke für die 
Wertbestimmung der Glieder der Nutzenseite gewonnene Ergebnis 
rückwärts wieder für die Erklärung der Kostengüter verwertet wird, 
wenn diese — wie beim Problem der komplementären Kostengüter — 
eben verschiedenartig sind. Das tun aber, wie ich „Zweck“ S. 742 
bis 745 und schon vorher „S. K.“ S. 275ff. ausführlicher nach- 
gewiesen habe, sowohl v. Wieser wie v. Böhm-Bawerk. So füst 
v. Böhm-Bawerk bei der abschließenden Lehre von der „Auf- 
saugung‘' der nationalen Produktivkräfte dem Satze, nach dem der 
Marktpreis der speziellen Ware, z. B. eines Eisenprodukts, die 
Schätzungsziffer für die Beteiligung an der Nachfrage des Pro- 
duktivguts Eisen abgibt — ganz ähnlich wie v. Wieser — den 
Worten „Marktpreis seiner speziellen Ware“ in der Klammer hinzu: 
„beziehungsweise (!) der nach dem Gesetze der komplementären 
Güter auf das Eisen entfallende Anteil des Marktpreises“ (Bd. 2, 
S. 414). 

Aber viel verhängnisvoller noch wie beim allgemeinen Kosten- 
gesetze ist für die Lehre des Wertes der komplementären Produktiv- 
güter die Schwierigkeit der „Uebersetzung‘ dieser Lehre von der 
Einzelwirtschaft in die gesellschaftlichen Verhältnisse. In der allge- 
meinen Kostenlehre machte die Grenznutzenlehre wenigstens noch 
den (leider mißglückten) Versuch, das subjektive Kostengesetz 
für die Preislehre sozial umzuwandeln, so fügte v. Böhm-Bawerk in 
seine Preislehre das besondere Kapitel IV, S. 411ff, über „das 
Kostengesetz‘ ein. Eine solche Einfügung für das Gesetz der kom- 
plementären Güter“ fehlt in der Preislehre ganz. Es fehlt der 
Versuch, die aus der Einzelwirtschaft gewonnenen Sätze auf die hete- 
rogene Volkswirtschaft zu übertragen; und ich kenne keinen Punkt 
in der ganzen Grenznutzenlehre, der einen größeren Widerspruch 
herausfordert, als die mit soviel Zuversicht vorgetragene Meinung, 
als habe sie das Wertgesetz der komplementären Güter auch als ein 
soziales für die bestehende Volkswirtschaft begründet, so wenn 
v. Böhm-Bawerk gar das ganze Ricardosche Grundrentengesetz „mit 
ein paar Federstrichen‘ ersetzen will, nämlich eben durch das Gesetz 
der komplementären Güter. 

Oder irre ich mich in meiner Behauptung, daß die Grenznutzen- 
lehre die Herausarbeitung des sozialen Gesetzes der komplementären 
Güter verabsäumt habe? Hat sie diese Aufgabe nicht etwa doch bei- 
läufig in der subjektiven Wertlehre miterledigt, so z. B. v. Böhm- 
Bawerk im Kapitel VI, I. Absch., S. 276 ff? — Es werden dort drei 
Arten „‚komplementärer‘ Güter geschildert und zwar 1) solche, die 
nur gemeinschaftlich zu benutzen sind, wie z. B. ein Paar Hand- 
schuhe. Dann gehe, sagt v. Böhm-Bawerk, durch den Verlust (!) 


190 Rudolf Stolzmann, 


eines Handschuhes der ganze Wert des Paares verloren, der übrig 
gebliebene Handschuh ist wertlos. Ganz richtig, aber hier sieht 
man so recht die schon oft hervorgehobene Unzulänglichkeit des 
passe-partout und damit der ganzen subjektiven Wertbetrachtung 
für die soziale Resultantenbildung, die zum Preise" führen soll. 
Der Handschuh kaufende Grenznutzenlehrer würde große Augen 
machen, wenn der Handschuhmacher ihn beim Worte nähme und ihm 
nur einen Handschuh mit den Worten gäbe, es habe ja dieses ein. 
zelne Stück den vollen Gesamtwert der Gruppe“. — Den zweiten 
Fall, „daß die einzelnen Güter der Gruppe auch außerhalb ihrer 
gemeinsamen Verwendung einen wenn auch geringeren Nutzen zu 
stiften imstande sind‘, habe ich schon oben S. 158 kurz mitberührt. 
Für uns interessiert hier eigentlich nur der dritte Fall, er betrifft 
ganz besonders den Wert der Produktivgüter und seine etwaige 
Uebersetzung ins Soziale: „Einzelne Glieder der Gruppe sind nicht 
bloß subsidiär zu andern Zwecken verwendbar, sondern auch durch 
andere Exemplare ihrer Art ersetzlich.“ „Z. B. zum Bau eines 
Hauses sind der Baugrund, Ziegel, Balken und Arbeitsleistungen 
komplementär“. Der Baugrund ist unersetzlich, die übrigen, d. h. 
diejenigen, welche man in der Praxis die „Kosten“ nennt, sind 
ersetzlich. „Die Aufteilung geht nunmehr in der Art vor sich, daß 
aus dem durch den Grenznutzen der gemeinsamen Verwendung be- 
stimmten (!) Gesamtwert der ganzen Gruppe zunächst den ersetz- 
lichen Gliedern ihr fixer (!) Wert vorweg zugeteilt, und der — je 
nach der Größe des Grenznutzens variable — Rest den nicht ver- 
tretbaren Gliedern als ihr Einzelwert zugerechnet wird.‘ Das sei in 
der Praxis der häufigste Fall, denn „die überwiegende Mehrzahl der 
komplementären Güter ist als marktgängige (!) Ware beliebig ersetz- 
lich: die Leistungen der Lohnarbeiter, die Rohstoffe usw.“ In der 
Praxis ziehe man also „vom Gesamtertrage“, vom „gemeinsamen Er- 
trägnis (Wert, Preis oder Güter? frage ich) die „Kosten“, d. h. 
die Aufwände für die ersetzbaren Produktivmittel von gegebenem 
Substitutionswert ab... den Rest schreibt man als ‚Reinertrag‘ (ich 
frage wie oben) dem oder den nicht vertretbaren Gliedern zu: der 
Bauer seinem Boden, der Bergwerkbesitzer seinem Bergwerk, der 
Fabrikant seiner Fabrik, der Kaufmann seiner Unternehmertätigkeit.“ 

So wird also „die Sache von der Einzelwirtschaft auf den 
Markt hinübergespielt!“ Und das soll nun den „Schlüssel“ zum 
Problem der sozialen Verteilung abgeben! In Wahrheit wird uns 
nur das Verhältnis eines Subjektes zu seinen Gütern vorgeführt, 
während doch das soziale Problem der Verteilung das Verhältnis 
verschiedener, in Arbeitsteilung verbundener Subjekte zueinander 
betrifft. Woher weiß v. Böhm-Bawerk ferner den Wert" des Ge- 
samterträgnisses (denn auf diesen kommt es an), der „zugeteilt“, 
„zugerechnet“ wird, den Wert des dividendus? Es soll einfach sein 
„Grenznutzen“ sein: „Der Gesamtwert der vollständigen Gruppe 
richtet sich in der Regel nach der Größe des Grenznutzens, den 


Die Kritik des Bubjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 191 


sie in ihrer Vereinigung zu stiften imstande ist“. Und dieser Grenz. 
nutzen‘ wird dann S. 283 gar noch mit Zahlen „beziffert“, z. B. 
das Haus mit Grund und Boden, also — nebenbei gesagt — wieder 
ein isoliertes Gut, wo sich nach dem oben Gesagten ein Grenz- 
nutzen gar nicht „entfalten“ kann. Ich brauche’v. Böhm-Bawerk nur 
die Frage vorzulegen, wie er dies Wertobjekt mittels des „Grenz- 
nutzens‘ berechnen will, und zwar mittels des passe-partout? Und 
wie soll die „Bezifferung‘‘ in dem sozialen „Generalnenner‘“ Geld 
vor sich gehen? Ich verstehe nicht, wie sich das alles von der 
Einzelwirtschaft auf den Markt „hinüberspielen‘ soll. 

Von all den Einwendungen, die ich schon oben und ausführ- 
licher in der „S. K.“ und zuletzt im „Zweck“ S. 741—755 vor- 
geführt habe, sei nur noch folgende hervorgehoben: die Ergeb- 
nisse aus der Einzelwirtschaft mit geschlossenem Güterbestande be- 
weisen gar nichts für die Ableitung von sozialen Regeln der Ver- 
teilung. Das Einzelsubjekt steht nun zwar mitten in der Volkswirt- 
schaft, aber es bleibt mit seinen subjektiven Schätzungen ein Robin- 
son, eine theoretisch isolierte Felseninsel mitten im reichen Gewoge 
der sozialen Umgebung! Und wenn wenigstens an diesem Robinson 
mit seinem subjektivistischen Scheuklappenstandpunkte festgehalten 
würde! Aber nun setzt — eine arge Vermischung der Kategorien — 
plötzlich der Einfluß von außen ein, Robinson richtet sich nach dem 
„Marktpreis“, wenn auch nur nach dem der „ersetzlichen Glieder‘ 
— ein Zirkel, dem wir nun wohl genugsam schon begegnet sind. 
Keine Spur von Erklärung darüber, wie Arbeiter, Kapitalisten und 
Bodenbesitzer sich im Getriebe des großen Marktes. zueinander 
stellen, und welches soziale Netz der Beziehungen sich für sie aus 
dem „Besitz“ je ihrer drei spezifischen Produktionsfaktoren er- 
geben müssen. Die subjektiven Betrachtungen können uns allen- 
falls veranschaulichen, wie sich das Individuum im fertigen Bau der 
Sozialwissenschaft häuslich einrichtet, wertet und einfügt, aber den 
Bau selbst in seinem eigentlichen Wesen können sie uns nicht er- 
klären. Mit der bloßen Resultante ist es nichts und noch weniger mit 
der „zweistufigen“ Erklärung. Der Schritt von der isolierten zur 
sozialen Stufe ist zu weit, er führt zum Straucheln. Auch die ge- 
schilderte gleichnisartige Analogie führt auf Abwege. In der 
organischen Volkswirtschaft gibt es keine „Ueberdeckung“ der 
Schätzungen, in ihr bestimmen sich der Wert, die Zurechnung und 
die Verteilung in einem Zuge. Sie bestimmen sich nicht nach den 
zufälligen Augenblicksschätzungen bei den „Einzelakten‘“ der Indi- 
viduen, sondern es richten sich umgekehrt diese „Akte“ nach den 
organischen „Funktionen“, die ihnen durch die ganze Anlage der 
Wirtschaftsordnung und durch den gleichmäßigen und geregelten, 
planmäßigen Gang des großen Zweckorganismus vorher gegeben 
sind. Sie sind lediglich seine Vollstrecker. „Welche Verkennung 
der Gesetze dieses sozialen Gefüges, sie als Resultante der ein- 
zelnen Kauf-, Tausch- und aller der übrigen „Akte“ der sozialen 


192 Stolzmann, Die Kritik des Subjektivismus an der Hand der sozialorganischen Methode. 


Produktion und Verteilung zu behandeln, statt die Betrachtung mit 
jenen Gesetzen zu beginnen und demgemäß aus ihnen erst den 
Anstoß zu allen Wirtschaftsakten der Individuen untereinander zu 
entnehmen !“ („Zweck“ S. 737). 


Der Subjektivismus ist heute an einem toten Punkte angelangt, 
aber er hat seine Rolle noch. lange nicht ausgespielt und wird sie 
nie ausspielen. Recht muß ihm werden, mehr denn er verlangt, 
aber in ganz anderer Weise als nach der atomistischen Anschauung 
seiner heutigen Vertreter: durch Einfügung in die sozialorganische 
Betrachtung und Hand in Hand mit dem angefeindeten Objektivis- 
mus. Nur auf diesem Boden kann die machtvolle soziale Position 
des Individuums und des Individualprinzips seine gebührende 
Würdigung erfahren. Im einzelnen soll hierüber sowie über alle oben 
nur angedeuteten Probleme unsere nächste Abhandlung positive Aus- 
kunft erteilen. 


Miszellen, 193 


Miszellen. 


III. 
Die Arbeitszeit in der Großeisenindustrie. 


Bearbeitet nach den Jahresberichten der Königlich Preußischen 
Regierungs- und Gewerberäte für 19131). 


Von Dr. Friedrich Syrup. 


Alljährlich seit dem Inkrafttreten der „Bekanntmachung des Reichs- 
kanzlers, betreffend den Betrieb der Anlagen der Großeisenindustrie, 
vom 19. Dezember 1908“ ?) sind die Ergebnisse der Untersuchungen der 
Preußischen Regierungs- und Gewerberäte über die Arbeitsverhältnisse 
der Eisenhüttenarbeiter in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und 
Statistik besprochen worden 8). Bei dem lebhaften Interesse, das nicht 
nur von seiten der beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern 
auch im Reichstag und in der Presse den Erhebungen entgegengebracht 
wird, erscheint es geboten, auch in diesem Jahre die wichtigsten 
Untersuchungsergebnisse hier kurz festzulegen. Während die ersten 
dieses Gebiet behandelnden Berichte der Regierungs- und Gewerberäte 
sich naturgemäß darauf beschränken mußten, in großen Zügen ein Bild 
der Arbeitsregelung in der Großeisenindustrie zu geben, dringen die 
neuesten Erhebungen immer tiefer in diese sozialpolitisch hochinter- 
essanten Verhältnisse ein und zeitigen Ergebnisse, die besonders wertvoll 
zur Beantwortung der Frage sind, ob die bisherigen Schutzvorschriften 
genügt haben, um schädlichen Auswüchsen dieser Arbeitsverhältnisse 
wirksam entgegenzutreten. 


I. Das Anwendungsgebiet. 


Die Zahl der Großeisenwerke hat sich gegenüber den Aufzeichnungen 
des Vorjahres wenig verändert. 5 Stahlwerke, 2 Puddelwerke und 


1) Jahresberichte der Preußischen Regierungs- und Gewerberäte und Berg- 
behörden. Berlin (R. v. Deckers Verlag) 1914. 

2) Die Bekanntmachung ist im Reichsgesetzblatt für 1908 auf S. 650 ver- 
öffentlicht und in Conrads Jahrbüchern auf 8. 229 des 44. Bandes (III. Folge) 
abgedruckt. Sie wird im folgenden kurz als Großeisen-Bekanntmachung be- 
zeichnet werden. 

3) Vgl. Kestner im Band 40, S. 68ff., Wiskott im Band 42, 8. öllff., 
Band 44, S. 229ff., Band 46, S. 39 ff. - 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 13 


194 Miszellen. 


4 Walzwerke haben ihren Betrieb eingestellt, dagegen sind 1 Preßwerk 
und 4 Walzwerke hinzugekommen. Im übrigen wurde das Anwendungs- 
gebiet der Großeisen-Bekanntmachung durch das Ausscheiden zweier 
an Maschinenfabriken angegliederter Martinstahlwerke (S. 236)1) und 
durch die Einbeziehung von fünf kleineren Hochofenbetrieben (S. 467) 
berührt. Weitere Verschiebungen in der Zahl der Anlagen sind lediglich 
auf eine andere Einteilung und Gruppierung der Betriebsabteilungen 
zurückzuführen. d 

Die im $ 1 der Großeisen-Bekanntmachung vorkommenden Begriffe 
„Nebenbetrieb“ und „unmittelbarer betriebstechnischer Zusammenhang“ 
ließen in Einzelfällen noch immer Zweifel über die Abgrenzung des 
Anwendungsgebietes der Bekanntmachung aufkommen. Im Vorjahre 
war bei einem Großeisenwerke des Regierungsbezirkes Oppeln die 
Anwendung der Großeisen-Bekanntmachung auf verschiedene Neben- 
betriebe des Werkes durch Richterspruch verneint worden. Da nach 
der Auffassung der zuständigen Gewerbeaufsichtsbeamten das Amts- 
gericht dabei den Begriff des unmittelbaren betriebstechnischen Zu- 
sammenhanges verkannt hatte, wurde im Berichtsjahre gegen dasselbe 
Werk ein neues Verfahren vor dem Landgericht anhängig gemacht. 
Das Urteil der Strafkammer erging dahin, daß in dem fraglichen Hütten- 
werke die Kokerei, die elektrischen Zentralen, der Lokomotivbetrieb 
und die Gleisunterhaltung unter die Großeisen-Bekanntmachung fallen, 
während die Verladung, die Materialienverwaltung und die Prüfanstalt 
aus dem Geltungsbereich der Vorschriften ausscheiden. Die gegen 
dieses Urteil eingelegte Berufung wurde vom Reichsgericht durch Er- 
kenntnis vom 13. Januar 1914 verworfen. In den Gründen gibt das 
Reichsgericht ausführliche Erläuterungen 2) zu den Begriffen „Neben- 
betrieb“ und „unmittelbarer betriebstechnischer Zusammenhang“. Es 
dürfte aber verfehlt sein, diese in Ansehung eines Einzelfalles erfolgten 
Ausführungen des Reichsgerichtes dahin auszulegen, daß nunmehr in 
allen Großeisenwerken die Kokereien, elektrischen Zentralen unter die 
Bekanntmachung fallen, dagegen Verladung, Materialienverwaltung den 
Bestimmungen nicht unterliegen. Ebenso wie z. B. einzelne mit Groß- 
eisenwerken verbundene Kokereien aus besonderen Gründen nicht den 
Vorschriften unterliegen, finden andererseits die Bestimmungen auf eine 
große Zahl von Verladungen, Materialienverwaltungen, Prüfanstalten 
zweifelsfrei Anwendung. 

Die Zusammenstellung I auf S. 195 gibt die Zahl der Betriebe und 
der Arbeiter der Großeisenindustrie an. Bei den im Aussterben be- 
griffenen Puddelwerken, den Thomas- und Bessemerstahlwerken und 
den Röhrengießereien sind die Belegschaften zurückgegangen. Dagegen 
lassen die Hochofen-, Tiegelstahl-, Hammer-, Preß- und Walzwerke eine 


1) Seitenzahlen ohne nähere Bezeichnung weisen auf die Jahresberichte der 
Regierungs- und Gewerberäte für 1913 hin. 

2) Das Urteil wird demnächst in den Entscheidungen des Reichsgerichtes 
veröffentlicht werden. 


195 


Miszellen. 


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114 612 189 #/g tt z111109 ogjboz|zoz z1|4S| S6£t |tz| g69z | Sz | E09 92 96 | t894 | Ez | 0965 |Sıl 6102 |t | Szoz£l|zZÍ zıor a 
112 612 |S£o 622 989.662 kk 1 #66 tgjorz|£Sg zog) £Zot |61| zto£ | Sz | 628 92126 | ıLzZ | ız | g6g5 |Sılozoz |t | g0z t£ |94| eer ammeaäeut 
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196 Miszellen. 


beträchtliche Vermehrung ihrer Arbeiter erkennen. Seit den 5 Jahren, 
während derer von den Gewerbeaufsichtsbeamten die Aufzeichnungen 
über die Großeisenindustrie gemacht werden, ist die Zahl der be- 
schäftigten Arbeiter ständig gewachsen. 


Zunahme der Arbeiterschaft 
gegenüber dem Bestande von 
1909 in Proz. 


Jahr Zahl der Arbeiter 


An der Zunahme der Arbeiter im letzten Jahre sind vornehmlich 
die Werke der Regierungsbezirke Düsseldorf (+ 4352), Arnsberg (43402) 
und Coblenz (41213) beteiligt. Obwohl ein besonders in der zweiten 
Hälfte des Berichtsjahres deutlich bemerkbarer Umschwung der ge- 
schäftlichen Lage eintrat, haben Arbeiterentlassungen in größerem Um- 
fange nicht stattgefunden, nur wurde für abgehende Arbeiter zum Teil 
kein Ersatz eingestellt. 


II. Die regelmäßige Arbeitszeit. 


In der Dauer der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit sind geringe 
Veränderungen gegenüber dem Vorjahre eingetreten. In einem Rohr- 
walzwerk des Regierungsbezirkes Oppeln sind für die Generatorwärter 
und Dreher 8-stündige Arbeitszeiten eingeführt (S. 211). Ein Walz- 
werk des Bezirkes Düsseldorf verkürzte die bisher 13-stündige Arbeits- 
zeit auf 12 Stunden (S. 483). Im Bezirk Arnsberg ging eine Röhren- 
gießerei nach technischer Vervollkommnung der Betriebseinrichtungen 
von 13- zu 12-stündigen Schichten über (S. 388). Andererseits wurde 
in der Warmwalzwerksabteilung eines Feinblechwalzwerkes desselben 
Regierungsbezirkes an Stelle des bisherigen 3-schichtigen Betriebes 
der 2-schichtige Betrieb eingeführt, die Arbeitszeit also von 8 auf 
12 Stunden verlängert (S. 388). Auch in einem Tiegelstahlwerk des 
Bezirkes Arnsberg arbeiten sämtliche Arbeiter, von denen ein Teil im 
Vorjahre eine 11-stündige Arbeitszeit hatte, nunmehr in 12-stündigen 
Schichten (S. 388). 

Diese wenigen, geringfügigen Verschiebungen in der Dauer der 
Arbeitszeit sind durch besondere örtliche Betriebsverhältnisse veranlaßt. 
Nach wie vor ist in allen Betriebszweigen der Großeisenindustrie, wie 
die Uebersicht auf S. 197 zeigt, die 12-stündige Arbeitszeit bei weitem 
vorherrschend. 97,9 Proz. aller Arbeiter werden in 12-stündigen, 
1,5 Proz. in 8-stündigen Schichten beschäftigt. 

Selbst bei den Reparaturwerkstätten, die zum Teil selbständige 
mechanische Werkstätten, wie Drehereien, Schmieden bilden, ist eine 


Miszellen. 


197 


Gesamt- Zahl der Arbeiter, deren regelmäßige Arbeits- 
s zahl der zeit einschließlich der Pausen betrug 
Art der Betriebe beschäf- in Stunden 
tigten 
Arbeiter |13 |j12,| 12 [usj hijiolo]| 8 |6 
1 Ka 3|4| 5 |e| |s|əl10]11 |12 
A. Hochofenwerke —| 23| 30209| — | — |—|—|—| 364 
B. Hochofengießereien —| —| 2020| — | — |-|-— — Le 
C. Röhrengießereien —| — | 5361|127| — |-/——| — le 
D. I. Thomas- und Bessemer- 
stahlwerke 6443 |— 6 443| — | — | — 
D. II. Martinstahlwerke 25022 |—| — | 24824| — |198 |—|—|—| — |— 
D. III. Tiegel- und andere Stahl- 
werke 2848 |—| —| 2693| — |155|—|—|—| — — 
E. Puddelwerke 3904 |—| —| 3904| — | — _— — In 
F. Hammer- und Preßwerke 12235 |107| 52| 11903) — | 173 | ——| — |— 
G. Walzwerke 79435 ')254| 97 | 75 936| — | 54 |—|—|—13020174 
H. Gemischte Betriebe 28245 |—| —| 28 103| — | — |70135|37| — |— 
I. Keparaturwerkstätten 32724 37| 25| 32647) — | 15|—|—|—| — |— 
Zusammen | 228 960')|398| 197 |224 043, 127 | 595 |701353713384174 


Verkürzung der Arbeitszeit bisher nicht eingetreten, obwohl in den 
gleichartigen Anlagen der Metall- und Maschinenindustrie in den letzten 
Jahren eine ständig fortschreitende Verkürzung der Arbeitszeit zu 
verzeichnen war. Die Arbeitgeber der Großeisenindustrie scheuen sich, 
selbst in den Betriebsabteilungen, in denen eine Verkürzung der 12- 
stündigen Arbeitszeit betriebstechnisch ohne Schwierigkeiten durch- 
führbar ist, zu dieser Maßnahme zu greifen, um nicht die einzelnen 
Arbeitergruppen des Werkes ungleichmäßig zu behandeln. 

Im Hinblick auf das Streben der Arbeiterorganisationen nach 
Einführung des Achtstundentages erregen die vorhandenen 8-stündigen 
Arbeitszeiten, deren Ansätze allerdings verschwindend sind, besondere 
Aufmerksamkeit. Wie aus der vorstehenden Uebersicht erkennbar ist, 
kamen 8-stündige Schichten nur in Hochofen- und Walzwerken vor. 
Sie bilden jedoch, wie die folgende Zusammenstellung zeigt, keine ört- 
liche Eigentümlichkeit eines bestimmten Industriebezirkes, sondern ver- 
teilen sich auf 8 Regierungsbezirke. 


Zahl der Arbeiter mit 8-stündiger Arbeitszeit 


Art der im Regierungsbezirk 


insge- 

Betriebe e samt 
Oppeln Ke une eg Coblenz es Trier |Aachen 

1 Eee IE ER 9 | 10 

A. Hochofenwerke 58] — 264 PEN SE — — | 42 364 

G. Walzwerke 1052 | 195 — 907 | 516 197 153 — |3020 

Zusammen | 1110 | 195 | 264 | 907 | s16 | 197 | 153 | 42 |3384 


1) 75 Walzwerksarbeiter, deren Arbeitszeiten 8 


und 12 Stunden betrugen 
(S. 390), blieben unberücksichtigt. 


198 Miszellen. 


In den Hochofenwerken hatten sich in erster Linie die Gichter 
und Eisenträger dieser Regelung zu erfreuen. In einem dieser Werke 
wiesen außerdem die Koksbrenner, in einem anderen die Erzlader und 
Erzverwieger die kurzen Arbeitszeiten auf. Die Walzwerke mit 8- 
stündigen Schichten waren Feinblechwalzwerke, deren Betrieb an die 
Arbeiter der Warmwalzgerüste zumeist so hohe körperliche Anforderungen 
stellt, daß die Walzmannschaften eine 12-stündige Arbeitszeit nicht 
aushalten. 


a) Pausen, 


Die als Uebergangsbestimmungen gedachten Ausnahmen der höheren 
Verwaltungsbehörden, kürzere als !/,-stündige Arbeitsunterbrechungen 
auf die Gesamtdauer der Pausen anrechnen zu dürfen, sind in den 
letzten Jahren ständig zurückgegangen. Nachdem im Berichtsjahre auch 
im Regierungsbezirk Arnsberg eine wesentliche Einschränkung der 
früheren Ausnahmen erfolgt ist, werden jetzt noch von den genannten 
Ausnahmen betroffen: 


im Regierungsbezirk Oppeln 48 Hochofenarbeiter (früher 2495 Arbeiter) 
a P ` Arnsberg 715 Stahlwerksarbeiter 
F ei 685 Walzwerksarbeiter (früher 2360 Arbeiter) 
FR ww Aachen 220 Stahlwerksarbeiter 


insgesamt 1668 Arbeiter 


Die Zahl der Arbeiter, für die derartige Ausnahmen bewilligt 
waren, betrug somit nur noch 0,7 Proz. aller Arbeiter der Großeisen- 
werke gegenüber von 1,5 Proz. am Ende des Jahres 1911. Unter 
diesen Umständen erscheint es unbedenklich, daß der am Schluß dieser 
Abhandlung abgedruckte Entwurf der neuen Großeisen-Bekanntmachung !) 
die früher gegebene Möglichkeit, kürzere als 1j,-stündige Pausen auf 
die Gesamtdauer der Pausen anzurechnen, beseitigt. Für diese be- 
absichtigte Aenderung ist in erster Linie die Erwägung maßgebend 
gewesen, daß kürzere als 1/,-stündige Pausen dem Arbeiter keine wirk- 
liche Ruhe gewähren. 


Von der weiteren Ausnahmebefugnis der höheren Verwaltungs- 
behörden, eine Abkürzung der I1-stündigen Mittags- oder Mitternachts- 
pause zu genehmigen, ist ebenfalls im geringeren Maße Gebrauch ge- 
macht worden. Die am Schlusse des Berichtsjahres bestehenden Ver- 
hältnisse sind aus der Uebersicht auf S. 199 erkennbar. 

Der erwähnte Entwurf der neuen Großeisen-Bekanntmachung läßt 
die Ausnahmebestimmungen über die Verkürzung der Hauptpause zu- 
nächst noch bis auf weiteres bestehen, aber in der neuen Fassung ?) 
ist deutlich zum Ausdruck gebracht, daß die Verkürzungen der Mittags- 
pause nur noch ausnahmsweise in solchen Fällen bewilligt werden 


1) Vgl. S. 223. Der Entwurf ist während der Drucklegung dieses Aufsatzes 
vom Bundesrat angenommen, und die neue Bekanntmachung ist im Reichsgesetz- 
blatt für 1914 auf S. 118 veröffentlicht worden. 

2) Vgl. $ 3, Abs. 2 des auf S. 223 abgedruckten Entwurfes 


Miszellen. 199 


Zahl der Arbeiter, Proz. der in 

deren Mittagspause be- Spalte 4 an- 

schränkt wurde gegebenen Ar- 

Art der Betriebe auf die Dauer insgesamt |beiter zur Ge- 

samtzahl der 

bis bis beschäftigten 

1/, Stunde |°/, Stunden Arbeiter 
1 = Sei Ce Er Eer 5 
A. Hochofenwerke L 115 2408 3523 10,3 
B. Hochofengießereien — — — — 
C. Röhrengießereien 129 — 129 2,2 
D. I. Thomas- und Bessemerstahl- 

werke 2 026 164 2 190 30,0 
D. U. Martinstahlwerke 4 063 427 4490 16,7 
D. III. Tiegel- und andere Stahlwerke 120 — 120 4,0 
E. Puddelwerke 795 629 1424 35,0 
F. Hammer- und Preßwerke * 120 287 407 3,2 
G. Walzwerke 3 173 5230 8 403 9,9 
H. Gemischte Betriebe 532 198 730 1,5 
Zusammen | 12073 9343 | 21416 | 9,4 


sollen, in welchen ein dringendes Bedürfnis dazu nachgewiesen wird. 
Nach dem Entwurf sollen ferner die Genehmigungen zur Abkürzung 
der Hauptpause nur dann erteilt werden, wenn „sich in unmittelbarer 
Nähe der Arbeitsstelle gut eingerichtete Räume zum Einnehmen der 
Mahlzeiten befinden“. Dadurch wird den Arbeitern die Möglichkeit 
gegeben, die ihnen verbleibende Freizeit wirklich zum Ausruhen aus- 
nutzen zu können. Dies ist nur möglich, wenn die Speise- und Aufent- 
haltsräume in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstelle liegen, weil den 
Arbeitern andernfalls noch die Zeit für den Hin- und Rückweg verloren 
gehen würde. 

Da andererseits der Entwurf den Zeitraum, innerhalb dessen die 
Hauptpause gewährt werden muß, um eine Stunde verlängert, so wird 
für eine ganze Reihe von Werken das Bedürfnis, die Hauptpause für 
einzelne Arbeiter abzukürzen, nicht mehr vorliegen. Sollte der Ent- 
wurf, wie zu erwarten ist, vom Bundesrat angenommen werden, so wird 
vom 1. Dezember dieses Jahres!) ab die Zahl der in der letzten Ueber- 
sicht nachgewiesenen Arbeiter voraussichtlich erheblich kleiner werden. 


III. Die Ueberarbeit. 
a) Die statistischen Unterlagen. 


Einen Ueberblick über den Umfang der in dem letzten Jahre vor- 
gekommenen Ueberarbeit geben die Zusammenstellungen II und III 
auf S. 200 ff, die dem Anhange der Jahresberichte (S. 822 ff.) ent- 
nommen sind. 

Während in den früheren Berichten starke Klagen über die Un- 
genauigkeit der Listenführung laut wurden, gewinnt man jetzt den Ein- 


1) Vgl. $ 7, Abs. 2 des auf S. 223 abgedruckten Entwurfes. 


200 


Miszellen. 


Zusammenstellung II. 


Arbeitszeit und Ueberarbeit 


(Nach Aufsichts- 
2 d EE "heiter (Spalte) 
SG | Dauer der regel- | 3° = |Arbeiter (Spalte r 
È mäßigen Arbeits- |; SZ haben durch- Zahl Gar Ate 
= 4 E55 PAR Ueberstunden 
13 schicht = ` q schnittlich monat- e 
E . Em S r (einschl. Pausen) 
Aufsichtsbezirk | „ | (einschl. Pausen )| 553 5 lich Ueberarbeit 
3 E ` S geleistet? | ` 
_ für E 
EN 2 2 EI di davon an 
$ Je Stunden Se > Ag Zahl | Proz. | insgesamt Sonntagen 
1 | 2 3 4 5 6 7 8 9 
Potsdam a| 12 473 473 125 | 26. 19 660 2881 
Stettin 1 12 895 895 87 10 17 773 16 179 
Liegnitz 2 12 517 517 23 4 4482 183 
Oppeln 67/8, 9, 10, 12| 32 393| 32393] 14291 | 44 | 3237059) 1725670 
Magdeburg 2 12 1071| 1266 413 | 33 49713 48 063 
8 195 
Schleswig 2 12 360 360 210 | 58 35 899 21523 
Hildeshelm A 12 4172| 4172 988 | 24 180 522| 146740 
Osnabrück und | 11 12 4459| 4723| 2234 | 50 536 096| 124 966 
- Aurich 8 264 
Münster 1 12 505 505 175 | 35 33 179 12 297 
Arnsberg 171 13 69| 61 261| 31870 | 52 | 7088 126| 2960 331 
12"), 23 
12 59 734 
12 und 8 75 
WON 379 
8 907 
6 74 
Wiesbaden 4| 12 635 635 140 | 22 20 048 14 368 
Coblenz 25 12 6523| 7109| 2452 | 34 446 068| 134652 
11 70 
8 516 
Düsseldorf 189|) ik 174| 76 560| 38476 | 50 |r0257 425| 5 420643 
12 76 062 
11%, 127 
197 
Cöln 16 13 329 4191 IJI | Ai 351 614| 173730 
12 3 801 
114 61 
Trier 129 12 28 171| 28479] 11338 | 40 | 2252080| ı 206 941 
11h 155 
153 
Aachen Io 12 5454| 5496| 2509| 46 617 934| 402 180 
8 42 
Zusammen 1913 |636 13, 398229 035| 107042 | 47 |25 147 678|12 411 347 
12") 197 
em 192 832 
12 und 8 75 
ri 127 
WA 595 
I1 70 
8 2274 
6 74 
8, 9, 10, 12| 32393 
Zusammen 1912 |631 — — |219711| 106269 | 48 124 603 707|11 502 409 
Zusammen 1911 [632 _ — |208210| 97938 | 47 |21229371| 9433 262 


Bemerkung: Die Bruchzahlen der Textübersichten sind in ganze Zahlen ab- 
Die Ueberstunden und Ueberarbeitsfälle der Reparaturarbeiter der Betriebe im 


verrechnet worden. 


Miszellen. 


in der Großeisenindustrie. 
bezirken geordnet.) 


201 


ae Von den in Spalte 5 aufgeführten Arbeitern sind wievielmal Ueberstunden 
iche Dauer der lei l 
Ueberarbeit geleistet worden ? 
für SE mehr | mehr | mehr | mehr 
d | 2 
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R 1 Stunde 3 bis | 4 bis | 5 bis | 6 bis | 7 Std. haupt 
und Arbeiter 2 Std. | 3 Std. |, gta. 5 Sta. |8 Sta. |7 Std P 
in Stunden 
10 | ı 12 | 13 14 15 16 17 18 19 20 
0,43 | 2,12 8 492 4285 892 163 5o 120 A) 189 14232 
0,56 | 3,78 183| 393 112 7 27| 65 17 1121 1994 
0,58 | 1,02 3 192 478 37 35 10 14 I 2 3769 
0,62 | 3,05 64 187| 173 129| 125 124 166 006| 15 997| 24 185| 7905| 128941) 705 474 
0,33 | 2,00 198 1568| 2688 1093) 1290, 1458 1084 1269| 10648 
0,47 | 2,44 2454 1405 643 236|) 734 577| 3600 1924 8333 
0,50 | 2,87 3 135 5237), 6323| 1112 918| 3325 90 10653] 30793 
0,66 2,39 34 109) 75732| 11239| 7103| 3729| 4075| 1822| 20257) 158066 
0,52 | 2,29 1 603 2674 793 721 68 335 66 1 610 7870 
0,61 | 2,85 | 734 983| 913 369| 165 443 |212 487| 41 495| 51893| 62 814| 246345 2428 829 
0,39 | 2,26 275 884| 423| 624 65| 573 13 972| 3829 
0,49 | 2,04 66086) 69010| 12782| 10059 7768| 5083| 2185 9674| 182647 
0,73 | 3,61 | 850314|1 oro 654| 149 431 |116 628| 59 098| 69 168| 63 531| 439 578 2 758 402 
0,56 | 2,85 | 370411) 34169| 6597| Bessa 2862| 2809 2209 12691) 106937 
0,54 | 3,00 | 133 233| 148328| 78 730| 52134| 22 461| 23 698| 16244 100966| 575794 
0,68 | 3,86 | 11247| 711361 8755| 3934 3866| 7139| 4274| 29499| 139850 
0,64 | 3,18 |1950732|2 512 451| 570012 |580 9701160 438|194 517]162 656|1 005 691]7 137 467 
0,63 | 3,02 |1 880 595|2 443 210| 612 287 |598 772|185 606 198 5871147 768| 939 576 7 006 401 
0,59 | 2,92 |1 645 385|2 122 123| 534 463 |516 363/164 385|189 217|124 170| 783 7426 079 848 


gerundet worden. 
Regierungsbezirk Trier sind unter den Reparaturwerkstätten der gemischten Betriebe 


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204 Miszellen. 


druck, als ob die Führung und Einreichung der statistischen Nach- 
weisungen nur in Ausnahmefällen zu Beanstandungen Veranlassung 
gegeben haben. Die üblichen Fehler bei den Eintragungen der Ueber- 
arbeit verschwinden, wie mehrere Berichte übereinstimmend ausführen, 
nachdem die Aufstellung der Uebersichten gut eingearbeiteten Werks- 
beamten übertragen wird. Sie treten aber wieder auf, wenn neue 
Schreibkräfte mit diesen Arbeiten betraut werden, so daß eine ständige 
Nachprüfung der Eintragungen durch die Gewerbeaufsichtsbeamten 
nötig ist. Verschiedentlich konnten diese Beamten dabei die erfreu- 
liche Wahrnehmung machen, daß die Betriebsleiter dem Ueberstunden- 
wesen eingehendes persönliches Interesse entgegengebracht und auf 
Vermeidung aller unnötigen Ueberarbeit mit Nachdruck hingewirkt 
haben. Dem Betriebsleiter eines Preßwerkes im Regierungsbezirke 
Oppeln gelang es, trotz steigender Beschäftigung die Ueberstundenzahl 
auf den 10. Teil zu vermindern. 

Auch in diesem Jahre wurde jedoch wiederum ein Fall von wissent- 
lich unrichtiger Führung des Ueberarbeitsverzeichnisses festgestellt 
(S. 888). Da sich dieser Täuschungsversuch auf eine einzelne Betriebs- 
abteilung eines Hüttenwerkes beschränkte, so ist ihm keine allgemeine 
Bedeutung beizulegen. Betriebsleiter und Meister wurden zu empfind- 
lichen Geldstrafen verurteilt. 

Bereits im Vorjahre sind an dieser Stelle!) die mehrfachen Ver- 
suche der Werksleitungen erwähnt worden, die Zahl der Ueberstunden 
in den Verzeichnissen künstlich herabzudrücken. Dabei wurde be- 
sonders auf ein Werk des Düsseldorfer Bezirkes hingewiesen, das durch 
einen Nachtrag zur Arbeitsordnung alle an Sonntagen regelmäßig wieder- 
kehrenden Arbeiten ihrer Eigenschaft als Ueberarbeit zu entkleiden 
versucht hat. Zu welcher Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse 
eine derartige Umgehung der Vorschriften führen kann, zeigen die 
Feststellungen des vorliegenden Berichtes (S. 483). In dem erwähnten 
Werke sind in der Zeit vom 1. Januar bis 30. November 1913 minde- 
stens 527 880 Arbeitsstunden an Sonn- und Festtagen verfahren, aber 
auf Grund des erwähnten Nachtrages zur Arbeitsordnung nicht in das 
Ueberarbeitsverzeichnis eingetragen worden. Das Werk hat insgesamt 
rund 900000 Sonntagsüberarbeitsstunden aufzuweisen. Hieraus erklärt 
sich ohne weiteres das Interesse der Werksleitung an dem Verschwinden 
dieses Teiles der Sonntagsarbeit aus den Ueberarbeitsverzeichnissen. 
Die neuen Vorschriften des Bundesrats werden voraussichtlich ?2) diesen 
Verschleierungsversuchen wirksam entgegentreten, indem sie bestimmen, 
daß jede an Sonn- und Festtagen während der gesetzlich festgelegten 
Ruhezeit geleistete Arbeit in die Ueberarbeitsverzeichnisse einzu- 
tragen ist 3). 

b) Der Umfang der Ueberarbeit. 

Die Gesamtzahl der geleisteten Ueberstunden ist im Berichtsjahre 

wiederum gestiegen, und zwar um 2,2 Proz. gegenüber dem Vorjahre. 


1) Jahrbücher, Bd. 46, 8. 43. 
2) Vgl. Anmerkung auf S. 198. 
3) Vgl. $ 2, Abs. 1 des auf S. 223 abgedruckten Entwurfes. 


Miszellen. 205 


Ein Vergleich der Ueberstundenzahlen der letzten 3 Jahre ergibt fol- 
gendes Bild: 


Zahl der Ueberstunden 


Jahr Zunahme Zunahme Zunahme 
insgesamt | gegenüber jan Werktagen gegenüber | an Sonntagen| gegenüber 
1911 1911 1911 
in Proz- in Proz. in Proz. 
3 4 5 | 6 | 7 
"Tat 
1911 | 21 229 371 — 11 796 109 — 9 433 262 — 
1912 | 24 603 707 16 13 IOI 298 II II 502 409 22 
1913 | 25 147 678 19 12 736 331 8 12 411 347 32 


Bei den Ueberstunden an Sonntagen ist ein weiteres nicht uner- 
hebliches Anwachsen zu verzeichnen, dagegen ist die Werktagsüber- 
arbeit wahrscheinlich infolge der ungünstigen Konjunktur der zweiten 
Hälfte des Jahres 1913 zurückgegangen. Verfolgen wir die Abnahmen 
der Ueberstunden an Werktagen in den 4 größten Eisenhüttenbezirken, 
deren Ueberstundensummen einzeln dem Gesetz der großen Zahlen ent- 
sprechen, so stellen wir fest, daß das Abschwellen allerdings in allen 
4 Bezirken, aber in recht verschiedenem Umfang aufgetreten ist. Der 
Abfall der Ueberstunden an Werktagen beträgt: 


in Düsseldorf 24 210 Stunden 0,5 Proz. 
„ Arnsberg 14 327 e 035. e 
„ Oppeln 192 500 = 11,3 a 
„ Trier 143 574 Be 12,1 ir 


Der Rückgang dieser Werktagsüberarbeit ist, wie erwähnt, in 
erster Linie auf die schlechte Konjunktur, die ein Bedürfnis nach pro- 
duktiver Ueberarbeit weniger hervortreten ließ, zurückzuführen. Die 
ungünstige wirtschaftliche Lage, wie sie in der Abnahme der Werk- 
tagsüberstunden zum Ausdruck kommt, machte sich den oberschlesischen 
Hüttenwerken, die bekannterweise unter besonders ungünstigen Pro- 
duktions- und Absatzverhältnissen leiden, das ganze Jahr hindurch 
fühlbar, während sie im rheinisch-westfälischen Industriegebiet erst im 
Herbst deutlicher in die Erscheinung trat. Natürlich haben sich die 
Verhältnisse in den einzelnen Betrieben sehr verschieden gestaltet, wie 
der Arnsberger Bericht an mehreren Beispielen ausführt (S. 389). 
Werke, die wegen ihrer Lage fern von größeren Städten dauernd mit 
Arbeitermangel zu kämpfen hatten, die größere Umbauten vornahmen 
oder vorwiegend für Eisenbahnbedarf arbeiteten, verzeichneten eine Zu- 
nahme an Ueberstunden, während in einer Reihe anderer Werke, die 
in erster Linie die dem freien Wettbewerb unterliegenden Erzeugnisse 
herstellten, eine Verminderung der Ueberarbeit auftrat. 

Die Zahl der Ueberarbeitsfälle insgesamt und an Sonntagen 
ist aus den Zusammenstellungen II und III erkennbar. Die folgende 
Uebersicht gibt die an Werktagen vorgekommenen Ueberarbeitsfälle 
an. Zugleich ist in Spalte 4 berechnet, welcher Prozentsatz der Ge- 
samtüberstundenzahl an Werktagen auf die einzelnen Gruppen der 
Ueberarbeitsfälle, die je eine oder mehrere Stunden in Anspruch nehmen, 
ungefähr entfällt. 


206 Miszellen. 


Proz. der gesamten werk- 


Ueberarbeitsfälle tägigen Ueberstunden, die 


a an Werktagen ne sich für die einzelnen 
Ds mit einer Dauer Gruppen der Ueberarbeits- 
fälle errechnen 
1 | 2 | 3 | 4 
1 bis zu 1 Stunde 1912 355 15,0 
2 [von 1 bis 2 Stunden 2 447 827 38,4 
3 se, 2. Aë e 503 860 11,9 
4 8% o 521 692 16,4 
5 » 4.5 D 51 802 2,0 
6 vw "BR of ” 40 943 1,9 
7 D „7 D 9953 0,6 
8 von mehr als 7 Stunden 215 019 13,8 
9 insgesamt | 5703 451 100,0 Proz. = 


12 736 331 Stunden 

Mehr als die Hälfte der Werktagsüberstunden (53,4 Proz.) wurden 
somit von Ueberarbeitsfällen bis zu 2 Stunden in Anspruch genommen. 
Die Dauer der Arbeit ist hierbei bis 14 Stunden gestiegen. 81,7 Proz. 
der Ueberstunden entfielen auf Ueberarbeitsfälle bis zu 4 Stunden. 
Der Einfluß der Bestimmungen über die 8-stündige Mindestruhezeit, 
die eine nur 4-stündige Ueberarbeit ohne Verschiebung der nächsten 
Schicht gestattet, ist in dem auffallenden Unterschied der Zahlen in 
Reihe 4 und 5 der Uebersicht unverkennbar. 

Bemerkenswert ist endlich, daß 13,8 Proz. aller Ueberstunden an 
Werktagen auf Ueberstundenfälle von mehr als 7 Stunden oder Ar- 
beitsschichten von mehr als 19 Stunden entfielen. Trotz des allge- 
meinen Rückganges der werktägigen Ueberarbeit hat die Zahl dieser 
Ueberarbeitsfälle von mehr als 7 Stunden (215019) um 7318 gegen- 
über dem Vorjahre (207 701) zugenommen. 

Der schon mehrfach erwähnte Entwurf der neuen Großeisen-Be- 
kanntmachung wird hier voraussichtlich tiefgehende Veränderungen zu- 
folge haben. Indem er eine 10-stündige Ruhezeit vorschreibt!), werden 
künftig nur Ueberarbeiten bis zu 2 Stunden ohne Verschiebung des 
Beginns der nächsten Schicht möglich sein. Wären die Bestimmungen 
des Entwurfes schon im Jahre 1913 in Kraft gewesen, so hätte bei 
den in Reihe 3 und 4 der vorstehenden Uebersicht nachgewiesenen 
1025552 Fällen der Beginn der nächsten Schicht verschoben werden 
müssen. Unter der gleichen Voraussetzung wären weiter die in Reihe 5 
bis 8 aufgeführten 317 717 Fälle von mehr als 4-stündiger Ueberarbeit 
— abgesehen von den durch Notfälle verursachten Ueberarbeiten — 
überhaupt unzulässig gewesen ?). 


c) Die Sonntagsarbeit insbesondere. 


Wie bereits gesagt, ist das Anwachsen der gesamten Ueberstunden 
auf die Vermehrung der Sonntagsarbeit zurückzuführen. 


1) Vgl. § 4, Abs. 1 des auf 8.223 abgedruckten Entwurfes. 
2) Vgl. § 4, Abs. 2 des auf 8.223 abgedruckten Entwurfes. 


Miszellen. 207 


Zunahme (gegenüber 1911) |Anteil der Sonntagsüber- 
Jahr ae stunden an den Gesamt- 
DEE Zahl | Proz. überstunden in Proz. 
ES ES ER eege) 3 Er er en 
1911 9433 262 — — 44,9 
1912 | 11502409 2 069 147 22 46,8 
1913 | 12411347 2 978 085 32 49,3 


Die Erhöhung der Sonntagsüberstunden ist bei allen Betriebsarten 
der Großeisenwerke festzustellen. So ist innerhalb der letzten beiden 
Jahre die Zahl der Ueberstunden an Sonntagen z. B. in den Hochofen- 
werken um 18 Proz., in den Martinstahlwerken um 48 Proz., in den 
Walzwerken um 30 Proz., in den Reparaturwerkstätten um 31 Proz. 
angewachsen. Die Gründe für diese ständige Zunahme der Sonntags- 
arbeit sind zum größten Teil in dem Bestreben mancher Betriebsleiter 
zu suchen, die Instandsetzungs- und Erneuerungsarbeiten möglichst auf 
die mehr Bewegungsfreiheit bietenden Sonn- und Feiertage zu ver- 
legen. Allerdings stehen diesem Bemühen die allgemeinen Sonntags- 
ruhebestimmungen ($ 105b ff. der Gewerbe-Ördnung) entgegen, wonach 
nur solche Arbeiten an Sonntagen gestattet sind, die an Werktagen 
nicht vorgenommen werden können!), Die Ueberwachung der Durch- 
führung dieser Vorschriften begegnet aber in der Großeisenindustrie 
ungewöhnlichen Schwierigkeiten. Die Entscheidung, ob die Arbeit am 
Sonntag vorgenommen werden muß, liegt bei dem Betriebsleiter, der 
hierfür die strafrechtliche Verantwortung trägt. Die Nachprüfung durch 
die Gewerbeaufsichtsbeamten kann nur von Fall zu Fall unter ein- 
gehender Berücksichtigung aller Begleitumstände erfolgen. Daß bei 
dieser Sachlage ein größerer Bruchteil der Fälle von Sonntagsarbeit, 
die im Jahre 1913 die Zahl von fast 11/, Mill. erreichten, nachgeprüft 
werden kann, erscheint ausgeschlossen. Die Beamten sind auf Stich- 
proben angewiesen. Aber auch diese Stichproben sind in ihren Schluß- 
folgerungen nicht einfach, denn das Urteil der Beamten kann sich nicht 
auf die Feststellung beschränken, ob die Sonntagsarbeit überhaupt 
an Werktagen hätte vorgenommen werden können, sondern bei jeder 
Sonntagsarbeit ist nachzuprüfen, ob die fragliche Arbeit ohne un- ` 
verhältnismäßige Unzuträglichkeiten am Werktage ausführ- 
bar war. Dieser Begriff ist so dehnbar, daß die richterliche Ent- 
scheidung zumeist zweifelhaft ist. Mittels der allgemeinen Sonntags- 
ruhebestimmungen dürfte daher dem ständigen Anwachsen der Sonn- 
tagsarbeit in der Großeisenindustrie nicht wirksam entgegengetreten 
werden können. 

Die oben angeführten 12411347 Sonntagsüberstunden verteilen 
sich auf 1434016 Fälle. Im Durchschnitt hat somit jeder Fall von 
Sonntagsarbeit 82/, Stunden gedauert. Ungefähr 83 Proz. aller Sonn- 
tagsüberstunden entfielen auf Arbeiten, die länger als 6 Stunden, also 
länger als eine halbe Schicht dauerten, so daß bei den Sonntagsarbeiten 


1) Vgl. Jahrbücher, Bd. 44, 8. 248. 


208 Miszellen, 


nicht kurze, sondern ganz überwiegend recht ausgedehnte Beschäftigungs- 
zeiten vorkamen, die eine wesentliche Beeinträchtigung der Sonntags- 
ruhe der Arbeiter mit sich brachten. In den Berichten von Arnsberg 
(S. 400) und Wiesbaden (S. 451) werden verschiedene Arbeiter be- 
zeichnet, die aus besonderen Anlässen 36 Stunden hintereinander ge- 
arbeitet haben. 

Eine genaue Unterscheidung der Werktags- und Sonntagsüberarbeit 
ist zur Erfassung der Arbeiterverhältnisse in der Großeisenindustrie 
nötig, denn die Wirkung der Werktagsüberarbeit auf den Arbeiter ist 
eine andere als die der Sonntagsüberarbeit. Bei den an Werktagen 
geleisteten Ueberstunden, die im Zusammenhang mit der regelmäßigen 
Arbeitsschicht stehen, ist die Möglichkeit einer augenblicklichen Ueber- 
anstrengung des Arbeiters durch übermäßige Ausdehnung der Arbeits- 
zeit gegeben. Die Ueberarbeitsstunden an Sonntagen bringen dagegen, 
soweit sie nicht im Anschluß an eine regelmäßige Werktagsschicht, 
sondern begleitet von einer voraufgehenden und nachfolgenden Ruhe- 
zeit vorgenommen werden, in erster Linie eine Beeinträchtigung der 
Sonntagsruhe und Erholung des Arbeiters mit sich. Die Statistik der 
Gewerbeaufsichtsbeamten hat daher von vornherein die Sonntagsüber- 
arbeit von der Gesamtüberarbeit geschieden. Doch sind von verschie- 
denen Seiten Wünsche geäußert worden, die Abgrenzung in den 
statistischen Nachweisungen noch schärfer hervortreten zu lassen. 

Die Nachprüfung, in wieweit diesen Wünschen Rechnung getragen 
werden kann, erscheint jetzt geboten, da der Entwurf der veränderten 
Fassung der Großeisen-Bekanntmachung an sich schon Aenderungen in 
den statistischen Ermittelungen mit sich bringt). Von der gesunden 
Auffassung ausgehend, daß als regelmäßige Arbeit nur die an den 6 ' 
Werktagen der Woche erfolgende Beschäftigung des Arbeiters anzu- 
sehen ist, wird künftig jede Sonntagsarbeit — gleichviel welcher Art — 
in die Nachweisungen aufzunehmen sein. Infolgedessen wird die Ziffer 
der Sonntagsüberarbeitsstunden in den statistischen Uebersichten durch 
die Wechselschichten vermehrt werden. 


d) Die Belastung der Arbeiter. 

Mit dem Anwachsen der Ueberstunden hat auch in diesem Jahre 
die Zahl der Arbeiter, die im monatlichen Durchschnitt an der Ueber- 
arbeit beteiligt waren, nicht Schritt gehalten. Infolgedessen ist die 
durchschnittliche Dauer der Ueberarbeit, wie sie für die letzten 3 Jahre 
in den Schlußsummen der Spalten 9 und 10 der Zusammenstellung III 
angegeben ist, sowohl für den Tag, wie für den Sonntag gestiegen. 
Nach Umrechnung dieser Zahlen auf das Jahr ergibt sich, daß auf 
jeden an der Ueberarbeit beteiligten Arbeiter (Spalte 3 der Zusammen- 
stellung III) im Jahre insgesamt 235 Ueberstunden, darunter 191 Sonn- 
tagsüberstunden entfielen. Die Belastung mit Ueberarbeit machte somit 
bei einem Vollarbeiter, der an 300 Tagen des Jahres je 12 Stunden, 
insgesamt im Jahre also 3600 regelmäßige Arbeitsstunden leistet, 


1) Vgl. $ 2, Abs. 1 des auf S. 223 abgedruckten Entwurfes. 


Miszellen. 209 


6,5 Proz. der regelmäßigen Arbeitszeit aus, gegen 6,4 Proz. im Vorjahre 
und 6 Proz. im Jahre 1911. 

Zur Gewinnung der Durchschnittsziffern (Spalte 9 und 10 der Zu- 
sammenstellung III) ist die Summe aller Ueberstunden im Jahre auf 
die durchschnittlich im Monat an der Ueberarbeit beteiligten Arbeiter 
verteilt worden. Diese rechnerische Gegenüberstellung ist deshalb an- 
fechtbar, weil die zur Ueberarbeit herangezogenen Arbeiter in jedem 
Monat nicht die gleichen sind, obwohl. eine große Zahl der Arbeiter 
allmonatlich Ueberstunden verfahren, und andererseits viele Arbeiter 
das ganze Jahr hindurch mit keiner Ueberarbeit beschäftigt werden. 
Von anderer Seite ist daher der Vorschlag gemacht, die Ueberstunden 
auf alle im Werke tätigen Arbeiter zu verteilen. Folgt man dieser 
Anregung, so entfallen im Jahr auf jeden Arbeiter 110 Ueberstunden, 
und die Erhöhung: der regelmäßigen Arbeitszeit durch Ueberarbeit be- 
trägt 3,1 Proz. Natürlich ist diese Rechnung ebenfalls fehlerhaft, denn 
betriebstechnisch ist es leider nicht möglich, alle Arbeiter des Werkes 
zu den Ueberstunden heranzuziehen. Der richtige Wert, der sich an 
Hand der Unterlagen nicht ermitteln läßt, liegt zwischen 6,5 Proz. und 
3,1 Proz. Im übrigen haben diese theoretischen Durchschnittsziffern 
nur insofern Wert, als sie einen handlichen Maßstab zum Vergleich der 
Ueberstundenziffern der einzelnen Jahre geben und für diesen Zweck 
ist es richtiger, die Ueberstunden auf die mit Ueberarbeit belasteten 
Arbeiter zu verteilen, wie dies in den Berichten der Gewerbeauf- 
sichtsbeamten geschieht, da so der Prozentsatz der zur Ueberarbeit 
herangezogenen Arbeiter (Spalte 4 der Zusammenstellung III) in der 
Durchschnittsziffer mit zum Ausdruck kommt. 


In Fortführung seiner vorjährigen, mehr stichprobenartigen Er- 
hebungen über die Belastung der Arbeiter gibt der vorliegende Bericht 
des Regierungs- und Gewerberates in Düsseldorf in dankenswerter 
Weise sehr umfangreiche Untersuchungen, die einen tiefen Einblick in 
die Arbeitsverhältnisse der Großeisenindustrie gestatten. Diese auf 
alle Großeisenarbeiter des Düsseldorfer Bezirkes ausgedehnten Unter- 
suchungen verdienen schon an sich besondere Beachtung, da in dem 
genannten Bezirk ein Drittel (76560) aller Hüttenarbeiter tätig ist. Sie 
gewinnen aber noch dadurch an Bedeutung, daß sie durch ähnliche 
Untersuchungen aus den beiden nächst bedeutungsvollen Eisenhütten- 
bezirken Arnsberg und Oppeln ergänzt, und daß ihre Ergebnisse durch 
die Untersuchungen dieser Bezirke bestätigt werden. Die genannten 
Berichte bringen wichtiges Material zur Beantwortung folgender Fragen: 


1) Wieviel Fälle sind im Laufe des Jahres vorge- 
kommen, in denen einzelne Arbeiter innerhalb ein und 
desselben Monats erstens zu 60 und mehr, zweitens zu 

90 und mehr Ueberstunden herangezogen wurden? 


Zur Beantwortung dieser Frage sind im Düsseldorfer Bezirk die 
Arbeiter aller Werke während des ganzen Jahres verfolgt. Im Bezirk 
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 14 


210 Miszellen. 


Oppeln umfaßt die auf die Monate Januar und August beschränkte 
Untersuchung sämtliche Hüttenwerke außer einem großen Werk, dessen 
Direktor grundsätzlich jede Auskunft verweigert, zu der er nicht durch 
gesetzliche Vorschriften verpflichtet ist. Im Regierungsbezirk Arns- 
berg wurden die Erhebungen nur auf die Werke zweier Gewerbeinspek- 
tionen ausgedehnt. 

Es muß an dieser Stelle davon abgesehen werden, die nach ein- 
zelnen Betriebsarten getrennten Untersuchungsergebnisse hier im ein- 
zelnen wiederzugeben. Nur die Haupt- und Nebenbetriebe einerseits 
und die Reparaturwerkstätten andererseits sind wegen ihrer grund- 
legenden Unterschiede in der folgenden Uebersicht getrennt auf- 
geführt. 


Zahl der Fälle, in denen Arbeiter 
iwi Regi Zahl der be- monatlich an Ueberstunden ge- 
ET EUER? schäftigten Ar- leistet haben 
Betriebe bezirk beiter 
G 60 und mehr | 90 und mehr 
Stunden Stunden 
1 | 2 3 4 5 
Haupt- u. Neben-| Düsseldorf 64 731 13 740 1185 
betriebe Oppeln !) 25 694 3 456 480 
Arnsberg 10 495 1917 168 
Zusammen 100 920 19 113 1833 
Reparaturwerk- | Düsseldorf 11 829 9 600 799 
stätten Oppeln 2981 2628 150 
Arnsberg 1787 1089 80 
l Zusammen | 16 597 13 367 | 1029 


Die Zusammenstellung ergibt, daß bei Belegschaften von 100920 
(Haupt- und Nebenbetrieben) und 16587 (Reparaturwerkstätten) Köpfen 
einzelne Arbeiter in 19113 und 13367 Fällen eine mehr als 60-stündige 
monatliche Ueberarbeit geleistet hatten, und daß sich darunter 1833 
und 1029 Fülle befanden, in denen die monatliche Belastung des 
Einzelarbeiters mehr als 90 Ueberstunden betrug. An diesen Fällen 
hoher Inanspruchnahme sind die Arbeiter der Reparaturwerkstätten bei 
weitem am stärksten beteiligt. Doch auch die Arbeiter der Haupt- und 
Nebenbetriebe sind einer derartig großen Beanspruchung durch Ueber- 
arbeit in erheblichem Umfange ausgesetzt worden. 


Bei der Besprechung der monatlichen Belastung der Einzelarbeiter 
mit Ueberstunden scheidet der Bericht des Regierungs- und Gewerbe- 
rates in Oppeln nicht nur die Fälle von mehr als 60 und 90 Ueber- 
stunden aus, sondern gibt auch die Fälle von mehr als 30 Ueberstunden 
an. Wir gewinnen dadurch folgendes recht anschauliche Bild für einen 
einzelnen Monat (Januar 1913): 


1) Die Zahlen für den Regierungsbezirk Oppeln sind durch Multiplikation 
der auf 2 Monate beschränkten Berichtszahlen mit 6 gefunden worden. 


Miszellen. 211 


Zahl der Arbeiter in den 
Lfd. 


No. Bezeichnung der Arbeiter Haupt- und | Reparatur- 
Nebenbetrieben| werkstätten 

1 |Zahl der beschäftigten Arbeiter 25 629 2878 

2 [Zahl der zur Ueberarbeit herangezogenen Arbeiter!) 10 252 1992 

Darunter Zahl der Arbeiter, 

3 die bis zu 30 Ueberstunden im Monat verfuhren 8 187 888 

4 „ 30 bis 60 D D D D 1706 906 

5 „ 60 bis 90 D D D D 310 175 

6 | mehr als 90 sehr ie e, d 49 23 


Die Zahlen der beiden vorstehenden Uebersichten geben von der 
tatsächlichen Belastung der Arbeiter insofern noch kein klares Bild, 
als sie in ziemlich weit begrenzten Gruppen zusammengefaßt sind. 
Diese Lücke suchen die Berichte der Bezirke Düsseldorf und Arnsberg 
auszufüllen, indem sie zahlenmäßig die durchschnittliche Inanspruch- 
nahme der hochbelasteten Arbeiter in jedem Monat feststellen, zugleich 
aber auch die sonntägliche Ueberarbeit von der Gesamtüberarbeit 
trennen. 

Von der Wiedergabe dieser Zusammenstellungen, die wie die 
früheren Uebersichten die beiden Gruppen „Arbeiter mit einer monat- 
lichen Ueberarbeit von mehr als 60 Stunden“ und „Arbeiter mit einer 
monatlichen Ueberarbeit von mehr als 90 Stunden“ scheiden, muß hier 
abgesehen werden. Das Ergebnis der Untersuchungen läßt sich dahin 
zusammenfassen, daß die durchschnittliche Belastung der Arbeiter der 
ersten Gruppe im Düsseldorfer Bezirk zwischen 68 und 75, im Arns- 
berger Bezirk zwischen 61 und 81 Ueberstunden schwankte, während 
bei den Arbeitern der zweiten Gruppe im Düsseldorfer Bezirk durch- 
schnittliche Leistungen von 92 bis 106 und im Arnsberger Bezirk von 
94 bis 117 Ueberstunden zu verzeichnen waren. 

Besondere Beachtung beanspruchen die in den Uebersichten wieder- 
gegebenen Feststellungen, wie sich jene Ueberstunden auf Werk- und 
Sonntage verteilen. 


Bei den Fällen von 60- und mehrstündiger monatlicher 
Ueberarbeit betrug: 


1) die Höchstzahl der Werktagsüberstunden: 
im Düsseldorfer Bezirk 51 Stunden bei gleichzeitig 24 Sonntagsüberstunden 
„ Arnsberger ge 66 a D D II D 

2) die Höchstzahl der Sonntagsüberstunden: 


im Düsseldorfer Bezirk 58 Stunden bei gleichzeitig 16 Werktagsüberstunden 
» Arnsberger ne 43 D D D 29 D 


Bei den Fällen von 90- und mehrstündiger monatlicher 
Ueberarbeit betrug: 


1) Die Zahlen in Reihe 2 sind nach Maßgabe der Prozentziffern für das 
ganze Jahr errechnet. 


14* 


212 Miszellen. 


1) die Höchstzahl der Werktagsüberstunden: 
im Düsseldorfer Bezirk 84 Stunden bei gleichzeitig 16 Sonntagsüberstunden 
„ Arnsberger D 99 D D D 7 D 

2) die Höchstzahl der Sonntagsüberstunden: 


im Düsseldorfer Bezirk 79 Stunden bei gleichzeitig 21 Werktagsüberstunden 
„ Arnsberger ” 40 D D D 61 D 


Die Gegenüberstellung zeigt, daß in diesen Fällen ungewöhnlich 
hoher Belastung die Ueberstunden keineswegs vorwiegend auf die Sonn- 
tage entfielen. Dabei sei nochmals ausdrücklich bemerkt, daß die oben 
angegebenen Zahlen Durchschnittsziffern aller Höchstfälle der einzelnen 
Monate sind. Einzelfälle, bei denen das einseitige Ueberwiegen von 
Werktags- oder Sonntagsüberarbeit noch schärfer hervortritt, werden 
von den Durchschnittsziffern verwischt. 


2. Wie oft im Jahre sind die einzelnen Arbeiter 
zu derartig ungewöhnlichen monatlichen Ueberstunden 
herangezogen? 


Eine Durchsicht der Ueberarbeitsverzeichnisse, in denen die ein- 
zelnen Arbeiter mit Namen und Werksnummer aufgeführt sind, zeigt, 
daß in den einzelnen Monaten stets ein großer Prozentsatz derselben 
Arbeiter zur Ueberarbeit herangezogen wird. Allerdings erscheinen 
manche Arbeiter, die in der Ueberarbeitsliste des einen Monats ver- 
zeichnet waren, in den Listen der nächsten Monate nicht, da sie in 
eine andere Betriebsabteilung versetzt oder infolge Krankheit und Un- 
fall auf längere Zeit arbeitsunfähig gewesen sind. Trotzdem läßt sich 
in den Ueberarbeitslisten eine große Zahl Arbeiter das ganze Jahr 
hindurch verfolgen. Die Gründe dieser unliebsamen Erscheinung sind 
schon früher gestreift, besondere Geschicklichkeit und Zuverlässigkeit 
einzelner Arbeiter, Drängen der strebsamen jungen und kräftigen Leute 
nach der gut bezahlten Ueberarbeit; unzureichende Betriebsstätten und 
Arbeitsmittel in einzelnen Werksabteilungen (besonders Reparatur- 
werkstätten), Gleichgültigkeit und Günstlingswirtschaft der unteren 
Werksbeamten, Zuweisung von Ueberstunden statt Lohnerhöhung 
u. dgl. Ein zahlenmäßiger Nachweis, wie viele Arbeiter einen Monat 
wie den anderen zur Ueberarbeit herangezogen werden, und wie viele 
nur gelegentlich oder in Ausnahmefällen Ueberstunden leisten, läßt sich 
infolge der Verschiebungen innerhalb der Einzelbetriebe an Hand der 
Ueberarbeitsverzeichnisse kaum mit der erforderlichen Genauigkeit durch- 
führen. 

Nun haben aber die Gewerbeaufsichtsbeamten des Regierungs- 
bezirkes Düsseldorf sich im Berichtsjahre der recht mühevollen Auf- 
gabe unterzogen, bei 12170 Fällen, in denen einzelne Arbeiter mehr 
als 60-stündige Ueberarbeit im Monat geleistet hatten, nachzuprüfen, 
auf wieviel Köpfe sich diese Fälle verteilt haben, oder wie oft im 
Laufe des Jahres die einzelnen Arbeiter von solchen Ueberarbeiten be- 
troffen wurden. Die in dem Bericht des Düsseldorfer Bezirkes nach 


Miszellen. 213 


Betriebsarten gegliederten Untersuchungsergebnisse sind nachstehend 
für alle verschiedenen Betriebsabteilungen zusammengefaßt: 


ns ee 


Zahl der Arbeiter, die 60- und mehrstündige monatliche Ueberarbeit 
(einschließlich der Sonntagsarbeit) geleistet haben in 


ıl|2)3]|1|41I5|6| 7) 8) 9 | 10 | 11 | 12 [zusammen 


Monaten 


2997 1040| 569 | 382 | 236 | 113 | 61 | sa | 33 | 33 | 22 | 24 | 5562 
Zahl der Arbeiter, die in den nachgewiesenen Fällen von 60- und mehr- 
stündiger monatlicher Ueberarbeit eine Ueberarbeit von 90 Stunden und 

darüber geleistet haben in 


1 |213] 4153|66] 7 | 8 | 9 | 10 | 11 | 12 [zusammen 
Monaten 


ao lao as Mas lg eier 8 


Aus dieser Zusammenstellung geht hervor, daß an den nachgeprüften 
12170 Fällen von mehr als 60-stündiger monatlicher Ueberarbeit 
5562 verschiedene Arbeiter beteiligt waren. Eine derartig ausgedehnte 
Ueberarbeit haben 2997 Arbeiter nur imal, 1040 2mal, 569 3mal, 
382 4mal usw. und scHließlich 24 12mal im Verlauf der 12 Monate 
des Jahres geleistet. 24 Arbeiter wurden also allmonatlich zu 
mindestens 60 Ueberstunden herangezogen. Die aufgeführten Fälle von 
mehr als 90-stündiger Ueberarbeit im Monat verteilten sich auf 525 Ar- 
beiter in der Weise, daß 410 Arbeiter Imal, 80 2mal usw. und schließ- 
lich einer 11mal von ihr betroffen wurden. 

Stellen wir an Hand der letzten Zusammenstellung beispielsweise 
fest, daß 113 Arbeiter in 6 Monaten des Jahres je mindestens 60 Ueber- 
stunden gemacht haben, so dürfen wir nicht annehmen, daß diese 
113 Arbeiter in den übrigen Monaten von jeder Ueberarbeit freigelassen 
wären, sondern wir wissen nur, daß die Zahl der Ueberstunden in den 
übrigen Monaten die Grenze von 60 nicht erreicht hat. Im Düssel- 
dorfer Bericht ist für eine Anzahl hochbelasteter Arbeiter unter An- 
gabe ihres Berufes im einzelnen nachgewiesen, wie sich ihre Ueber- 
arbeitsleistung auf die verschiedenen Monate verteilt. Der Bericht 
führt dazu ausdrücklich aus, daß die sich auf 36 Arbeiter erstreckende 
Uebersicht keineswegs eine erschöpfende Zusammenstellung der schlimm- 
sten Fälle von Ueberarbeitsbelastung darstelle, sondern daß ähnliche 
Fälle unter den Großeisenarbeitern des Düsseldorfer Bezirkes noch in 
großer Menge vorkämen. Sie treten aber nicht nur in den Düssel- 
dorfer Hüttenwerken auf, sondern der Arnsberger Bericht verzeichnet 
ganz ähnliche Fälle!). In der folgenden Zusammenstellung ist eine 
Anzahl dieser Fälle außergewöhnlich hoher Ueberarbeit für Arbeiter 
der verschiedensten Betriebsabteilungen wiedergegeben. 


1) Auch im Regierungsbezirk Oppeln sind gleichartige Fälle festgestellt, aber 
nicht einzeln im Bericht mitgeteilt. Vgl. Anmerkung zu 8. 214. 


214 Miszellen. 


Die Angaben über den Beruf des Arbeiters in Spalte 4 bestätigen die 
schon früher von dem Regierungs- und Gewerberat in Düsseldorf her- 
vorgehobene Tatsache, daß zwar die hochbelasteten Arbeiter zum Teil 
nur eine körperlich wenig anstrengende, durch zahlreiche Pausen unter- 
brochene Arbeit zu verrichten haben, daß aber ein großer Teil dieser 
Leute eine Tätigkeit ausübt, die ihrer Natur nach keineswegs als leicht 
anzusehen ist. Der Regierungs- und Gewerberat in Arnsberg hebt dabei 
noch besonders hervor, daß an jenen Fällen außergewöhnlich hoher 
Ueberarbeit auch Arbeiter beteiligt waren, von deren Arbeitsfrische und 
Aufmerksamkeit im Dienst unter Umständen Leben und Gesundheit 
ihrer Mitarbeiter abhängen. Daß die Summe der Ueberstunden des 
unter Nummer 1 der Uebersicht aufgeführten Hochofenarbeiters noch 
übertroffen werden kann, erscheint kaum glaublich, trotzdem führt der 
Bericht des Oppelner Bezirkes einen Lokomotivheizer an, der 1363 Ueber- 
stunden im Jahr gemacht hat?). Die Bedeutung dieser Ziffer wird erst 
klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß ein an jedem Werktag des 
Jahres regelmäßig 12 Stunden beschäftigter Arbeiter insgesamt 3672 Ar- 


1) A bezeichnet Arnsberg, D Düsseldorf. 

2) Die Ueberstunden dieses Lokomotivheizers betrugen in den einzelnen Mo- 
naten: Dezember 119 (28), Januar 125 (27), Februar 92 (0), März 124 (28), 
April 69 (0), Mai 1161/, (381/,),. Juni 921/, (16), Juli 108 (28), August 145 
(48), September 1241/, (28), Oktober 128 (26), November 1191/, (38). Die in 
Klammern beigefügten Zahlen besagen, wieviele der Ueberstunden auf Sonn- und 
Festtage entfielen. 


us ER 
DH Monatliche Ueberstundenzahlen 2383 
SIED > =] SE 
7 [5 ¥| Betriebsabteilung | Beruf des Arbeiten | $ AWE Bee 
gjss E = - u e BS 
SIE DEI = EI2|8 158285 
e EES ÉIEEIE EIS EIERE 
AEAEAEAEAEIEAEAEIEAEAEIERE 
RSR 3 | 4 5/16|]7|8]|97/10|11]12]13] 14 15 |16| 17 18 

D |Hochofenwerk Stichlochmassenformer |106| 101 

A sp Hochofenschlosser 83| 70 

D |Thomasstahlwerk |Kranführer 72| 60 

D » Maschinist 72| 60 

D D Schlosser 85| 61 

D |Walzwerk Kranführer 96| 60 

A ” Maschinist 82| 92 

A n Walzwerkschlosser 88| 89 

D D Zuschläger 79| 60 

A |Gießerei Gießereiarbeiter 59| 68 

A |Kesselbetrieb Kesselhausmaschinist | 76| 82 

D |Reparaturwerkstatt|Schlosser 102|109 

D |Elektr.. Rep.Wrkst.|Motorenwärter 84 114 

D |Elekr) Abteilung |Elektrotechniker 91/102 

A |Bahn etrieb Lokomotivführer 84| 56 

A D Weichensteller III|II3 

D „ Bahnarbeiter 135|116 


Miszellen. 215 


beitsstunden aufweist, daß also jene 1363 Ueberstunden nicht weniger 
als 37 Proz. der normalen Arbeitsstunden ausmachen. 

Daß eine einmalige monatliche Ueberlastung des Arbeiters ohne 
Wissen und Willen der Betriebsleitung vorkommt, ist leicht verständ- 
lich. Es erscheint aber ausgeschlossen, daß derartige, das ganze Jahr 
hindurch auftretende Wiederholungen von Ueberlastung einzelner Ar- 
beiter ohne Kenntnis und Einverständnis der verantwortlichen Betriebs- 
leiter erfolgen konnten. 


3. Wird die Ueberarbeit durch Minderarbeit 
ausgeglichen? 


Im Anschluß an die letzten Jahresberichte der Gewerbeaufsichts- 
beamten hat sich ein lebhbafter Meinungsaustausch über die Frage ent- 
wickelt, ob bei den Arbeitern der Großeisenindustrie die Ueberarbeit 
durch Minderarbeit ausgeglichen wird. Es unterliegt wohl keinem 
Zweifel, daß in den Eisenhüttenwerken die Fehlstunden, d. h. diejenigen 
Stunden, welche die Arbeiter weniger als ordnungsmäßig verfahren, 
einen ungewöhnlich großen Umfang annehmen. Auch die Berichte der 
(Gewerbeaufsichtsbeamten haben auf diese unerwünschte Erscheinung 
und ihre Gründe verschiedentlich hingewiesen. Der Arbeiterwechsel 
ist auf den Großeisenwerken recht groß. Nach früheren Erhebungen 
der Gewerbeaufsichtsbeamten betrug der jährliche Abgang für 100 Ar- 
beiter z. B. in der niederrheinischen Hüttenindustrie 91 bzw. 86. Unter 
den Belegschaften befinden sich viele ungelernte, zum Teil ausländische, 
sozial unter dem Durchschnitt stehende Arbeiter, die oft aus mangelndem 
Pflichtgefühl ihre Dienstobliegenheiten wenig ernst nehmen und leicht, 
besonders unter dem Einfluß des Alkohols, zu willkürlichen Feier- 
schichten geneigt sind. Weiter entspringen vielfach Fehlstunden aus 
Betriebsstörungen, die infolge der Technik der Arbeitsvorgänge in der 
Eisenhüttenindustrie häufiger als in den meisten anderen Industrien 
vorkommen, und aus Störungen in der Zufuhr von Rohmaterialien, die 
bei der Bewegung so großer Massengüter unvermeidlich sind. 

Endlich verdienen hier die zahlreichen Unfälle und Erkrankungen 
unter den Eisenhüttenarbeitern weitgehende Berücksichtigung. Man 
rechnet, daß im Laufe des Jahres auf 100 Arbeiter durchschnittlich 
17 Unfälle entfallen, von denen allerdings kaum der zehnte Teil ent- 
schädigungspflichtig ist, die aber auch bei leichten Verletzungen zu- 
meist Feierschichten bedingen. Weiter kann man annehmen, daß bei 
100 Eisenhüttenarbeitern im Jahre 50—80 Krankheitsfälle einschließ- 
lich der durch Unfälle verursachten Erkrankungen mit einer durch- 
schnittlichen Krankheitsdauer von 14—20 Tagen auftreten, daß also im 
Mittel auf jeden Arbeiter etwa 132 durch Krankheit verursachte Minder- 
arbeitsstunden im Jahr entfallen. Zu diesen verschiedenen Ursachen 
treten noch in Zeiten schlechten Geschäftsganges die durch fehlende 
Aufträge veranlaßten Feierschichten. So führt der Oppelner Bericht 
ein Feineisenwalzwerk an, das z. B. im Mai vorigen Jahres 12, im 


216 Miszellen. 


Juni 18, im Juli 13, im August 15, im September 19 und im Oktober 
16 Schichten ausfallen lassen mußte. Aus allen diesen Gründen ist bei 
den Belegschaften der Eisenhüttenwerke mit einer ungewöhnlich hohen 
Ziffer von Fehlstunden zu rechnen, und es ist zweifelsfrei, daß diese 
den verschiedenen Ursachen entspringende Minderarbeit in vielen Fällen 
zur Ueberarbeit Veranlassung gibt. 

Will man jedoch, wie dies von verschiedenen Seiten getan ist, 
Minder- und Ueberarbeit gegeneinander aufrechnen, um so festzustellen, 
ob die durch Ueberstunden erfolgte Belastung der Arbeiter durch Fehl- 
stunden ausgeglichen wird, so dürfte besondere Vorsicht geboten sein, 
um Trugschlüsse zu vermeiden. Einwandfrei ist die Aufrechnung einer 
Feierschicht gegen eine sonntägliche Ueberschicht, sofern beide bei 
demselben Arbeiter in gleichen, begrenzten Zeiträumen, etwa 2 Wochen 
vorgekommen sind. Hat ein Arbeiter an einem Sonntag Ueberarbeit 
geleistet, und macht er dafür in der vorhergehenden oder folgenden 
Woche an einem Werktag eine Feierschicht, die nicht durch Krank- 
heit verursacht wird, so ist die Beeinträchtigung seiner sonntäglichen 
Ruhezeit durch die Feierschicht ausgeglichen. Grundsätzliche Bedenken 
sind aber gegen den vorbehaltlosen Ausgleich von Minderarbeit und 
Werktagsüberarbeit geltend zu machen. Es ist zweifelhaft, ob 
Ueberstunden, die im Anschluß an eine regelmäßige 12-stündige 
Schicht verfahren werden und die Kräfte der Arbeiter im höheren 
Maße, als normale Arbeitsstunden beanspruchen, durch unregelmäßig 
auftretende, verlängerte Ruhezeiten überhaupt ausgeglichen werden 
können. Jedenfalls müssen Ueberstunden und Fehlstunden, wenn sie 
sich in ihren Wirkungen auf den Arbeiter aufheben sollen, in eng be- 
grenzten Zeiträumen liegen. Noch wichtiger für die Zulässigkeit der 
Ausgleichsrechnung ist eine weitere Voraussetzung. Will man Minder- 
und Ueberarbeit gegeneinander aufrechnen, so darf man nicht die 
Summe der Fehl- und Ueberstunden der ganzen Belegschaft er- 
mitteln und in Beziehung setzen, sondern man muß den einzelnen 
Arbeiter zur Grundlage der Gegenüberstellung machen. Es leuchtet 
ohne weiteres ein, daß ein stark zu Ueberstunden herangezogener Ar- 
beiter nicht dadurch entlastet wird, daß bei einem anderen Arbeiter 
viel Feierstunden vorgekommen sind. 

Einer Statistik, welche die Minder- und Ueberarbeit der ganzen 
Belegschaft eines Werkes summarisch gegenüberstellt, kann von vorn- 
herein die Beweiskraft dafür, daß die Belastung der Arbeiter mit 
Ueberarbeit durch Minderarbeit ausgeglichen wird, abgesprochen werden. 
Auf diesem Gebiete führt nicht eine Massenstatistik, sondern nur die 
individualisierenden Einzeluntersuchungen zum Ziel. Derartige sehr 
eingehende Erhebungen finden sich in dem Bericht des Düsseldorfer 
Regierungs- und Gewerberates. 

Für ein großes gemischtes Hüttenwerk des Regierungsbezirkes 
Düsseldorf sind innerhalb eines Zeitraumes von 10 Monaten die Zahl 
der Ueberstunden einerseits und die Zahl der freiwillig, wegen Krankheit 
oder wegen militärischer Dienstleistung versäumten Stunden anderer- 
seits ermittelt worden. 


Miszellen. 217 


Ueberstunden | Fehlstunden 
Monat | davon 
ona: A davon an |, 
i t | t z wegen 
TE | Sonntagen | "BesAm freiwillig 1. RTE | militärischer 
Krankheit Di au 
ienstleistung 
ta 3 4 E Uae 7 
Januar 56 818 22 137 89 560 26 580 62 980 — 
Februar 52 188 20 754 83 380 28 070 55 310 -= 
März 60 989 26 825 75 920 26 450 49 200 270 
April 55411 22 003 72 610 25 260 47 350 — 
Mai 49 949 20 591 69 920 25 620 43 760 540 
Juni 55 145 25 279 79 340 24 240 52 610 2 490 
Juli 53 153 21557 81 030 28 680 51950 400 
August 59 882 25 716 83 350 27 180 54 730 1440 
September 50 997 20 362 92 260 29 210 56 530 6520 
Oktober 51465 20 988 91 350 28 680 54 350 8 320 
| 


Zusammen | 545997 | 226212 | 818720 | 269970 528 770 | 19 980 

Dieser Gesamtübersicht entnehmen wir zunächst, daß den 545 997 
Ueberstunden 818720 Fehlstunden gegenüber stehen. Ziffernmälig 
reichen die Ueberstunden noch lange nicht aus, um den durch Feier- 
schichten entstandenen Fehlbetrag zu decken. Hierbei ist zunächst 
jedoch zu berücksichtigen, daß von den 818720 Fehlstunden nicht 
weniger als 548750 oder 67 Proz. auf Erkrankungen und militärische 
Uebungen entfallen. Da außerdem unter den als freiwillig gefehlt auf- 
geführten Stunden sich erfahrungsgemäß noch eine erhebliche Zahl von 
Stunden befinden, die infolge kürzerer Erkrankungen ohne Kranken- 
schein oder aus sonstigen dringenden Anlässen versäumt worden sind, 
so können die sogenannten Bummelschichten für die Ueberarbeit nur 
im verhältnismäßig geringen Umfang verantwortlich gemacht werden. 

Aus der vorstehenden Gesamtübersicht weitere Schlüsse etwa auf 
den Vergleich von Minder- und Ueberarbeit zu ziehen, vermeidet der 
Düsseldorfer Bericht wohlweislich. Den dahin zielenden Untersuchungen 
ist vielmehr der Einzelarbeiter zugrunde gelegt, und zwar sind für 
dasselbe Werk die Ueber- und Fehlstunden aller derjenigen Arbeiter 
ermittelt worden, die in mindestens 6 Monaten eine 60- oder mehr- 
stündige monatliche Ueberarbeit geleistet haben. Hierfür kamen 47 
Arbeiter in Betracht, deren Ueber- und Minderarbeit in der Uebersicht 
auf Seite 218/219 einander gegenübergestellt sind. Die Reihenfolge’der 
Arbeiter in der Zusammenstellung hat sich nach der Zahl der Monate, 
in denen sie 60- und mehrstündige monatliche Ueberarbeit geleistet 
haben (Spalte 15), gerichtet. 

Die Nachweisung ergibt, daß den von den 47 Arbeitern geleisteten 
37490 Ueberstunden (30341 an Werktagen, 7149 an Sonntagen) 
nur 5210 versäumte Stunden gegenüberstehen, von denen über- 
dies mehr als die Hälfte — 2730 — auf Erkrankungen, 700 auf mili- 
tärische Dienstleistungen und nur 1780 auf freiwillige Ver- 
säumnis entfallen. 


218 


Miszellen. 


Uebersicht der Ueber- und Fehlstunden der Arbeiter, 
6 Monaten eine 60- oder mehrstün 


Ueberstunden 
No. S Art der 
Seng De- |Januar| Fe- e F A g 

el 1913 | bruar März | April | Mai | Juni | Juli |August 
1l 2 3 4 5 6 7 as | 9 |w] u| 
1 | Teerer 6o — |20 —| 12 — 5 —| 41 — | 64 —| 67 — | 17 —| 71 — 
2 | Schlosser 63 — |bo 8| 12 —| 36 AAT 14| 29 —| 57 18| 54 12| 60 — 
3 e 70 26 |66 13| 51 9| 52 26|47 18| 44 18|49 22| 73 20 66 18 
4 | Kranführer 37 13 |53 7| 39 6| 40 21162 20| 25 13\4ı 13| 60 19 68 20 
5 | Schlosser 65 33 |66 36 | 53 7 48 24| 41 21| 48 28| — — | 85 Au 57 14 
6 | Hilfsarbeiter 70 49 |42 27| 58 26| 64 41| 53 21| 51 23| 62 24| 56 2388 23 
7 | Kranführer — — |47 14| 31 7| 78 2996 8| 41 885 22| 67 12 88 12 
8 | Schlosser 43 24 |29 24| — — 13 956 7| 93 23|72 17| 93 25 63 15 
9 o 74 20 \5o 12| 42 6| 63 bo 6| 58 1462 14| 61 1342 6 
10 | Vorarbeiter 70 20 |43 13| 51 26| 79 12| 60 14| a5 27163 25| 65 12176 24 
11 FF 74 34 |59 24| 55 28| 49 18| 87 32| 44 20| 73 24| 76 285| 68 24 
12 | Dreher 78 31 |57 19| 60 17| 80 41| 54 11| 79 28| 55 21| 41 16\63 26 
13 | Scherenarbeiter |73 — |81 — | 60 —| 38 —| 64 — | 34 7 78 — | 70 —| 58 — 
14 | Schmied 81 21 |77 6| 6r ai 90 3238|72 6| 40 52 13| 63 658 16 
15 | Maschinist 83 27 |67 12| 75 15| 72 26159 22| 65 2363 35| 51 18| 59 23 
16 | Vorarbeiter 74 40 |62 18| 73 24| a5 1662 25 | 55 8|78 35| 66 15| 76 37 
17 | Hilfsarbeiter šo &|57 7| 59 — 1101 —| 50 — | 66 —| 64 24| 74 —| 90 18 
18 | Kranführer 56 26 |74 13| 68 13| 74 6\40 13| 72 6| 14 6| 82 1463 13 
19 | Hilfsarbeiter 57 21 |66 14| 62 14| 64 1766 14| 31 371 21| 71 1452 — 
20 | Kranführer — — |28 —| 72 6 73 20/89 28| 43 6,76 14 6o 1963 6 
21 | Schlosser 65 31 |33 12| 33 10| 61 22| 60 35| 52 235| 67 37| 47 15| 74 23 
22 D 37 25 |70 23| 73 23| 33 15| 59 15| 60 14 63 27| 66 23172 23 
23 St 60 23 |49 17| 47 23| 65 21| 61 28| 82 33 90 44| 53 18| 67 27 
24 D 47 30 |54 25| 67 17| 52 1973 8/109 40| 65 20| 75 24| 72 23 
25 | Maschinist 88 — |73 — | 81 —| 63 — 85 — | 66 — 44 — | 68 — 56 — 
26 | Kranführer 77 19 |79 13 57 6| 63 6172 6| 53 1355 15| 74 13| 76 14 
27 |Scherenarbeiter |60 — |42 — | 77 —| 80 —| 74 —| 72 — 78 — | 99 — 36 — 
28 | Zuschläger 62 6 |76 6| 68 14| 59 19 58 13| 66 25140 6| 70 13175 22 
29 | Schlosser 49 23 |51 22| 6r 21 76 —| 94 — | 62376 — 98 — 92 — 
30 | Kranführer 73 18 |56 13| 75 12| 77 18| 48 18| 46 —| 80 30| 78 12|86 20 
31 | Vorarbeiter 75 — |72 7|76 759 778 —|74 775 7| 89 789 — 
32 |Scherenarbeiter |68 — |82 — | 92 —| 74 — 80 — | 84 — 85 — |101 — | 88 — 
33 | Hilfsarbeiter 71 — |84 —| 49 —| 66 —| 62 — | 63 — 62 — | 83 — | 81 — 
34 |Scherenarbeiter |72 — |81 7| 90 --\ 86 — 86 — | 78 — 46 — | 76 —  % — 
35 | Maschinist 79 20 |65 6| 60 19| 52 19/67 19| 64 6,83 23| 65 8|8ı 19 
36 | Kranführer 82 26 |88 6| 75 6| 81 27/62 8| 48 14 59 13| 76 14184 13 
37 |Scherenarbeiter |49 12 |58 16| 90 —| 92 — 90 — | 84 — 88 — |102 —| 90 — 
38 | Schmied 86 20 |76 6| 66 14| 59 19/61 13| 38 6/68 23| 69 13| 70 17 
39 | Dreher 77 27 |67 19| 59 19| 67 21163 27| 48 1367 23| 70 19| 71 
40 | Bohrer 64 13 |79 19| 63 19| 62 19 49 20| 53 13,67 19| 81 236 82 17 
41 | Kranführer 75 20 |51 19| 70 19| 62 18|80 21 101 22 97 26| 61 16|76 8 
42 | Schlosser 83 33 |72 13| 67 21| 67 19/87 26| 39 13| 71 23| 75 21| 72 19 
43 | Vorarbeiter 72 27 |80 26| 79 27| 89 41| 78 31 106 35| 87 32| 92 28| 75 25 
44 |Scherenarbeiter |66 — |78 — | 86 — EA —| 84 — | 80 — 81 — |102 — 82 — 
45 | Vorzeichner 76 — |83 7| 91 —| 92 —| 88 — | 84 — 91 — |110 — 98 — 
46 |Scherenarbeiter |72 — |73 7| 84 —| 84 — 85 — | 78 — 83 — |102 — % — 
47 | Vorzeichner 78 — |78 — 100 —| 86 —|89 — | 81 — 83 — |101 — | 86 — 


Die liegenden Zahlen beziehen sich auf Sonntagsarbeit. 


` Miszellen. 219 


die in den auf S. 211 erwähnten Werken mindestens in 
dige Ueberarbeit geleistet haben. 


Mehr als 60 Summe d. Feierschichten E g 
monatliche | monatlich Wegen Freiwillig Bi 2E 
Ueberstunden |Weniger| Ueber. |Krankheit gefeierte Uebung | $ 2 
N a ei stunden ins-| gefeierte gefeierte SI 
o- | Zahl| S tunden í s : z 
Sep- | Ok- vem- Kam? betragen-| gramt 8 SE £ SE 3 a5 Zë 
tember| tober der der ge = Lë s Lë ba Ki 
ber | Mo- | Ueber- |den Ueber- © ER E ER 8 1833 pe 
ke b 
nate | stunden | arbeit ZS a| g |i? 3 EE EE 
1 1 | 1 1 1 17 1 19 | 20 | 21 | 22 | 23 | 24 | 25 
| 
49 4|40 | 7|70|—| — 110 
Angaben fehlen 
6| 601 3 | 301 — | — 90 
— | —| 7 70| 26 |2 330 
=) ze: 10| — | — 10 
10 | tool 2| 20 — | — 120 
45 1450| 3 | 30| — | — | 480 
el e KE 50 
ı | 110| 2| 20 — | — 130 
10 | 100| 2| 20 — | — 120 
| — | —| 20 | 200 — | — 200 
—| 6| ol 6| 6 —|— | ı20 
20 | 200| 5 | 50 — | — 250 
— | —| 4| | — | — 40 
15 | 150| 6| 60 — | — 210 
ee T 20 — | — 20 
— | —| Al 4o| 15 |150 | 190 
rr | ml — | — — | — 110 
Se El ech el > 390 
18 | 180) 9 9 — | — 270 
| 7| 70- ı 10 — | — 80 
= 28 10 — | — 10 
—| —| 8 80 29 |290 | 370 
=| —| E 10 — | — 10 
E We Ee, 10 — | — 10 
LES SS 2 ëss 30 
6| Gol —| — — | — 60 
Angaben fehlen 
— | —| 2| 2) —| — 20 
— — 4 40 — | — 40 
35: 1359] | 20 = Le 379 
6| ol —| — | — 60 
15 | 150 — | — — | — 150 
— | —| io | 100 — | — 100 
— | — 2 20 — | — 20 
6 | 60| 30 | 300| — | — 360 
— | —| 2| oa —|— 20 
— | —| 8| Bol — | — 80 
RE a i 
i Faan 7 OFT 70 
— | —| 2 20 — | — 20 
Zusammen |37 490 7149| — |2730] — |1780| — |700 | 5210 


220 Miszellen. 


Um dem Einwurf zu begegnen, daß diese ungewöhnlichen Er- 
gebnisse möglicherweise auf mangelhafte Dispositionen einer einzelnen 
Werksleitung zurückzuführen seien, sind zwei weitere Werke des 
Düsseldorfer Bezirkes den gleichen Untersuchungen unterzogen worden. 
In dem einen Werke haben 63 Arbeiter, die sämtlich in mindestens 
6 Monaten des Berichtsjahres eine 60- und mehrstündige monatliche 
Ueberarbeit geleistet haben, insgesamt 48453 Ueberstunden ver- 
fahren; aber nur 3150 Stunden versäumt. In dem anderen Werke 
belief sich die Summe der Ueberstunden von 19 in der gleichen 
Weise belasteten Arbeitern auf 14334, die der versäumten 
Stunden auf 1340. 

Allerdings sind in den zuletzt angeführten statistischen Ueber- 
sichten nur die versäumten vollen Schichten verzeichnet, während 
man erwarten kann, daß die Arbeiter zum Teil auch einzelne Stunden, 
viertel oder halbe Schichten versäumt haben. Sodann sind in den 
Uebersichten die Pausen, wie es die Großeisen - Bekanntmachung vor- 
schreibt, in die Ueberstundenzahl einbegriffen, während bei den Fehl- 
stunden und Feierschichten die versäumten Arbeitsstunden ausschließ- 
lich der Pausen verrechnet sind. Dies ist nur insoweit berechtigt, als 
auch bei den Ueberarbeitsfällen von kurzer Dauer die reine Arbeits- 
zeit ohne Pausen zum Ausdruck kommt. Durch diese Verschiedenheit 
in der Grundlage der Berechnung der Ueberarbeit einerseits und der 
Minderarbeit andererseits, wird die Gegenüberstellung beider erschwert. 
Diesem Mangel wäre nur dadurch abzuhelfen, daß sowohl die Ueber- 
wie die Minderarbeit ohne Rücksicht auf die Arbeitspausen ermittelt 
würde, was aber praktisch große Schwierigkeiten bieten dürfte. End- 
lich fehlen in beiden Uebersichten diejenigen Fehlstunden, die durch 
Betriebsstörungen veranlaßt sind. Allerdings besteht die Möglichkeit, 
daß aus diesem Grunde keine Feierstunden bei den 47 Arbeitern vor- 
gekommen sind. Dagegen ist es kaum wahrscheinlich, daß in der 
vorletzten auf die ganze Belegschaft bezogenen Uebersicht die durch 
Betriebsstörungen veranlaßten Feierstunden unberücksichtigt bleiben 
durften. 

Diese Ausstellungen. sind jedoch nicht geeignet, das Gesamtbild 
der Uebersichten wesentlich günstiger erscheinen zu lassen. Der 
Regieruugs- und Gewerberat in Düsseldorf faßt sein Urteil über 
die vorstehenden Ermittelungen dahin zusammen, daß für die am 
stärksten mit Ueberstunden belasteten Arbeiter von 
einem irgendwie nennenswerten Ausgleich der Ueber- 
arbeit durch Minderarbeit tatsächlich keine Rede sein 
könne. Diese Auffassung deckt sich mit den Ausführungen des Re- 
gierungs- und Gewerberates in Oppeln. Auch dieser kommt auf Grund 
der im dortigen Bezirk gemachten Erhebungen zu der von ihm von 
vornherein erwarteten Feststellung, daß gerade die fleißigsten Arbeiter 
sich zu den gutbezahlten Ueberstunden drängen, ohne auf ihre Ge- 
sundheit Rücksicht zu nehmen, und daß diese Arbeiter sich 
keineswegs für lange Ueberarbeitszeiten durch frei- 
williges Feiern entschädigen. 


Miszellen. 221 


Es ist zu hoffen, daß die im Entwurf der neuen Großeisen - Be- 
kanntmachung vorgesehenen Bestimmungen !) über die Mindestdauer 
der Ruhezeit und Höchstdauer der Arbeitszeit nach ihrem Inkrafttreten 
dazu beitragen werden, die Unzuträglichkeiten bei der Belastung des 
Einzelarbeiters zu beseitigen. 


e) Die Verteilung der Ueberarbeit. 

Die in den früheren Berichten des Regierungs- und Gewerberates 
in Hildesheim durchgeführte Scheidung der Arbeiterschaft in Wechsel- 
und Tagschichter ist auch im vorliegenden Bericht beibehalten. Die 
Gegenüberstellung bietet insofern Neues, als die beiden großen Werke 
dieses Bezirkes infolge der ungünstigen Konjunktur einen Rückgang 
an Ueberstunden von 33 Proz. zu verzeichnen hatten. Die Ueber- 
arbeitsstunden an Werktagen gingen bei den Tagschichtern um 36 
Proz., bei den Wechselschichtern um 38 Proz. zurück; der Abfall der 
Sonntagsüberstunden betrug bei den Tagschichtern 30 Proz., bei den 
Wechselschichtern 33 Proz. Bie Zahl der zur Ueberarbeit herange- 
zogenen Tagschichter nahm um 6 Proz., die der Wechselschichter um 
13 Proz. ab. Der günstigere Abfall der Ueberstunden bei den Wechsel- 
schichtern ist somit aufgehoben durch die ungünstigere Verteilung auf 
weniger Köpfe, so daß die durchschnittliche Belastung der an der 
Ueberarbeit beteiligten Wechselschichter von dem Rückgang der Ueber- 
stunden nicht berührt wurde. 

Der Bericht aus Oppeln hat bei der Feststellung der Zahl der am 
höchsten mit Ueberarbeit belasteten Arbeiter diejenigen Leute be- 
sonders herausgehoben, die an jedem zweiten Sonntag eine 24-stündige 
Wechselschicht verfahren müssen. Diese Arbeiter leisten statt wöchent- 
lich 72 Arbeitsstunden (6 Arbeitstage zu je 12 Stunden) regelmäßig 
84 Stunden, so daß sie im Monat schon zu 48 über das Durchschnitts- 
maß hinausgehenden Arbeitsstunden herangezogen werden. 

Unter diesen Arbeitern befanden sich: 


im Monat; Januar: 167 die mehr als 30—60 Ueberstunden geleistet hatten, 


D » August: 275 

D „ Januar: 8 

Agua Ta 2 60—90 D D ” 
e S er u D » » 90 Ueberstunden geleistet hatten. 


IV. Die 8-stündige Ruhezeit. 


Als die 8-stündige Ruhezeit in der Großeisen-Bekanntmachung an- 
geordnet wurde, war an diese Vorschrift die Erwartung geknüpft 
worden, daß sie zu einer Verminderung der Werktagsüberarbeiten von 
ehr als 4 Stunden Dauer beitragen würde. Diese Hoffnung hat sich 
nicht erfüllt. Im Berichtsjahre trat noch mehr als früher das Bestreben 
der Werke in die Erscheinung, derartig lange Ueberarbeiten an den 
Wochentagen von Montag bis Freitag zu vermeiden, um nicht zwecks 


1) Vgl. § 4 des auf S.223 abgedruckten Entwurfes. 


299 Miszellen. 


Einhaltung der 8-stündigen Ruhezeit den Beginn der nächsten Schicht 
verschieben zu müssen. Aber leider wurde nicht der naheliegende 
Ausweg, der bei gutem Willen der Betriebsleitungen in vielen — nicht 
allen — Fällen gangbar ist, beschritten, nämlich die langdauernden 
Ueberarbeiten auf mehrere Köpfe zu verteilen und so die Beanspruchung 
des einzelnen Arbeiters zu verringern, sondern die langen Ueberarbeiten 
wurden im Anschluß an Schichten angeordnet, denen ein Sonn- oder 
Festtag folgte. An diesen Tagen ist die Dauer der Arbeitszeit fast 
unbeschränkt, da erst die vor dem Beginn der Montagsschicht inne- 
zuhaltende Mindestruhe der Sonnabendsüberarbeit ein Ziel setzt. Diesem 
gekennzeichneten Bestreben der Werke entgegenzutreten, bieten die 
Bestimmungen des Entwurfes der neuen Bekanntmachung ausreichende 
Handhabe!). Außerdem schreibt der Entwurf an Stelle der bisherigen 
8-stündigen Ruhezeit eine solche von 10 Stunden vor?) Bei der 
schweren Arbeit, die in der Großeisenindustrie im allgemeinen üblich 
ist, erscheint die 8-stündige Ruhezeit nicht ausreichend. Ueberdies 
haben die Arbeiter, wenn sie 8 Stunden nicht beschäftigt werden dürfen, 
noch keineswegs 8 Stunden wirkliche Ruhe; denn davon geht noch 
die nicht unbeträchtliche Zeit für die Wege von und nach der Arbeits- 
stätte und für dringende häusliche Arbeiten ab. Die im Entwurf vor- 
gesehene 10-stündige Ruhezeit trägt diesen Umständen in angemessenerer 
Weise Rechnung. 


V. Schluß. 


Schon vor dem Erlaß der Großeisen-Bekanntmachung war festgestellt 
worden, daß in einem großen Teil der Großeisenindustrie die Arbeitszeit 
einzelner Arbeiter infolge ausgedehnter Ueberarbeit so lange gedauert 
hatte, daß darin eine Gefahr für die Gesundheit der Arbeiter erblickt 
werden mußte. Behufs Bekämpfung der übermäßigen Ausdehnung der 
täglichen Arbeitszeit war an die Spitze der Großeisen-Bekanntmachung 
die Vorschrift der Ueberarbeitsverzeichnisse gestellt worden. An die 
Bestimmung war die Hoffnung geknüpft, daß die Werks- und Betriebs- 
leiter, die sich durch die Verzeichnisse einen leichten Einblick in die 
vorkommende Ueberarbeit verschaffen können, Anlaß nehmen würden, 
einer unangemessenen Ausdehnung der Arbeitszeit durch Ueberarbeit 
entgegenzutreten. Auf diese Weise wäre die nicht unerhebliche Arbeit, 
die den Werken aus der Aufstellung der Ueberarbeitsverzeichnisse er- 
wächst, den Betrieben selbst zu Nutzen gekommen, denn die Abstellung 
ungeeigneter Arbeitszeiten liegt sicherlich im richtig verstandenen 
Interesse der Werke. Diese Hoffnung hat sich aber, wie die letzten 
Untersuchungsergebnisse der Gewerbeaufsichtsbeamten erwiesen haben, 
im allgemeinen nicht erfüllt. 

Einzelne Werksleiter haben allerdings, nachdem sie sich durch 
Einsicht in die Ueberarbeitsverzeichnisse die ihnen vorher fehlende 
genaue Kenntnis der vorkommenden Ueberarbeit verschafft hatten, mit 


1) Vgl § 4 des auf B 223 abgedruckten Entwurfes. 
2) Vgl. $4 des auf 8. 223 abgedruckten Entwurfes. 


Miszellen. 223 


Erfolg durchgreifende Maßnahmen getroffen, um derartige Mißstände 
abzustellen. Die Mehrzahl der Arbeitgeber hat jedoch dies Interesse 
vermissen lassen, obwohl sie nicht im Unklaren darüber gelassen 
waren, daß ein schärferes gesetzliches Einschreiten unvermeidlich sein 
würde, wenn sie nicht selbst ohne gesetzlichen Zwang den klar zutage 
liegenden Mißständen entgegentreten würden. 

Unter diesen Umständen wird es die Großeisenindustrie sich selbst 
zuzuschreiben haben, wenn der Gesetzgeber sich gezwungen sieht, 
wesentlich schärfere Bestimmungen zu erlassen, um den Gesundheits- 
gefährdungen der Hüttenarbeiter, wie sie in den übermäßigen Arbeits- 
zeiten zu erblicken sind, mit Nachdruck entgegenzutreten. 

Der dem Bundesrate zur Beschlußfassung vorliegende Entwurf einer 
neuen Bekanntmachung, betreffend den Betrieb der Anlagen der 
Großeisenindustrie, hat folgenden Wortlaut 11: 


Bekanntmachung 


betreffend den Betrieb der Anlagen der Großeisenindustrie. 

Auf Grund der Së 120f., 139b der Gewerbeordnung hat der Bundesrat 
olganda Bestimmungen über den Betrieb der Anlagen der Großeisenindustrie 
erlassen : 

1. Die nachstehenden Bestimmungen finden Anwendung auf die folgen- 
den Werke der Großeisenindustrie: Hockotanwacke, Hochofen- und Röhren- 
ießereien, Stahlwerke, Puddelwerke, Hammerwerke, Preßwerke und Walzwerke. 
Sie finden Anwendung auf alle Betriebsabteilungen dieser Werke einschließlich 
derjenigen Reparaturwerkstätten und Nebenbetriebe, die mit ihnen in einem um 
mittelbaren betriebstechnischen Zusammenhange stehen. 

$ 2. Alle Arbeiter, die über die Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit 
H 134b Abs. 1 Nr. 1 Gewerbeordnung) hinaus oder an Sonn- und 

esttagen beschäftigt werden, sind mit Namen in ein Verzeichnis einzu- 
tragen, daß für jeden einzelnen über die Dauer seiner regelmäßigen täg- 
lichen Arbeitszeit, seiner Arbeit an Sonn- und Festtagen und der 
Ueberstunden, die er an den einzelnen Werktagen geleistet hat, genau Auskunft 
gibt. Als Arbeit an Sonn- und Festtagen gilt dabei alle Arbeit, 
die innerhalb der nach $ 105b Abs. 1 der Gewerbeordnung in 
jedem Betrieb zu gewährenden 24-stündigen oder 36-stün- 
digen Ruhezeit geleistet wird. Das Verzeichnis ist nach dem Schlusse 
pos Monats dem Gewerbeaufsichtsbeamten einzusenden. Der höheren 

erwaltungsbehörde bleibt es vorbehalten, nähere Bestimmungen über seine 
Form zu erlassen. 

Die höhere Verwaltungsbehörde kann auf Antrag diejenigen Unternehmer 
von der Füh dieses Verzeichnisses befreien, welche die Lohnlisten nach 
einem genee Muster führen lassen, ihre Einsicht dem Gewerbe- 
aufsichtsbeamten jederzeit gestatten und ihm die von der höheren Ver- 
waltungsbehörde bezeichneten Auszüge aus den Lohnlisten einreichen. 

§ 3. In allen Schichten, die länger als 8 Stunden dauern, müssen jedem 
Arbeiter Pausen in einer Gesamtdauer von mindestens 2 Stunden gewährt 
werden. Unterbrechungen der Arbeit von weniger als einer Viertelstunde 
kommen auf diese Pausen nicht in Anrechnung. 

Eine der Pausen (Mittags- oder Mitternachtspause) muß mindestens eine 
Stunde betragen und zwischen das Ende der fünften und den Anfang der 
zehnten Arbeitsstunde fallen. In Fällen, wo dies die Natur des Betriebes oder 
Rücksicht auf die Arbeiter geboten erscheinen lassen, kann die höhere Verwal- 


1) Der Entwurf ist während der Drucklegung dieses Aufsatzes vom Bundes- 
rat angenommen, und die neue Bekanntmachung ist im Reichsgesetzblatt für 1914 
auf S. 118 veröffentlicht worden. 


224 Miszellen. 


tungsbehörde ausnahmsweise auf besonderen Antrag unter Vorbehalt des 
Widerrufes gestatten, daß diese Pause — unbeschadet der Gesamtdauer der 
Pausen von 2 Stunden — bis auf eine halbe Stunde beschränkt wird, wenn 
sich in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstelle gut eingerich- 
tete Räume zum Einnehmen der Mahlzeiten befinden. 

Wenn Rücksichten auf die Arbeiter dies geboten erscheinen lassen, und die 
Schicht nicht länger als 11 Stunden dauert, kann die höhere Verwaltungs- 
behörde in gleicher Weise gestatten, daß die Pausen auf 1 Stunde beschränkt 
werden. 

Soweit dies zur Vermeidung von Betriebsgefahren nötig und die Ein- 
stellung von Ersatzarbeitern mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist, 
können die Arbeiter angehalten werden, während der Pausen in der Nähe der 
Arbeitsstelle zu bleiben, um in dringenden Fällen zur Hilfeleistung bereit 
zu sein. 
$ 4. Jedem Arbeiter, dessen regelmäßige Schicht länger 
als 8 Stunden dauert, ist nach Pasndigung seiner Arbeitszeit 
eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 10 Stunden 
zu gewähren, bevor er wieder beschäftigt werden darf. 

Abgesehen von den regelmäßigen echselschichten darf 
die Arbeitszeit, die zwischen zwei solchen Ruhezeiten liegt, 
auch durch Ueberarbeit nicht über 16 Stunden einschließlich 
der Pausen ausgedehnt werden. 

Zu einer 24-stündigen Wechselschicht dürfen Arbeiter 
nur herangezogen werden, wenn sie 12 Stunden vorher und 
12 Stunden nachher von jeder Arbeit frei gelassen werden. 

$ 5. Die Bestimmungen der $$ 3, 4 finden keine Anwendung auf Arbeiten, 
die in Notfällen unverzüglich vorgenommen werden müssen. Sind solche 
Arbeiten in Abweichung von den Bestimmungen der Së 3, 4 ausgeführt worden, 
so ist dies dem Gewerbeaufsichtsbeamten unter Angabe der 
Betriebsabteilung, der Gründe für die Notstandsarbeiten und 
der Zahl der dabei beschäftigten Arbeiter binnen 3 Tagen schriftlich 


anzuzeigen. 

Wenn Naturereignisse oder Unglücksfälle den regelmäßigen Betrieb eines 
Werkes unterbrochen haben, können Ausnahmen von den Bestimmungen der 
§$ 3, 4 auf die Dauer von 4 Wochen durch die höhere Verwaltungsbehörde, 
auf nee Zeit durch den Reichskanzler zugelassen werden. 

§ 6. In den im 8 1 bezeichneten Werken muß an einer in die Augen 
fallenden Stelle eine Tafel ausgehängt werden, die in deutlicher Schrift diese 
Bekanntmachung wigdergibt: 

Wenn auf Grund der Absätze 2 oder 3 des § 3 von der höhe- 
ren Verwaltungsbehörde eine Ausnahme gestattet wird, so 
ist außerdem eine Abschrift der Verfügung der höheren Ver- 
waltungsbehörde innerhalb der Betriebsstätte an einer den 
beteiligten Arbeitern leicht zugänglichen Stelle auszuhängen. 

§ 7. Die vorstehenden Bestimmungen treten am 1.Dezember 
1914 in Kraft und an Stelle der Bekanntmachung vom 19. De- 
zember 1908 (RGBl. S. 650). 

Die auf Grund des $ 3 der Bekanntmachung vom 19. De- 
zember 1908 gestatteten Ausnahmen bleiben, wenn ihre Dauer 
nicht auf einen kürzeren Zeitpunkt beschränkt ist, bis zum 
30. November 1914 in Geltung, treten aber am 1. Dezember 
1914 sämtlich außer Kraft. : 


Miszellen. 225 


IV. 


Zusammenfassende Uebersicht der (5) Zweimonats- 
bilanzen und der Jahresschlußbilanzen inländischer 
Kreditbanken nebst Deckungsziffern 
für das Jahr 1913. 


Vorbemerkungen. 


Infolge der überaus günstigen Entwicklung, welche die deutsche 
Volkswirtschaft in den letzten Jahrzehnten genommen hat, sind die 
Anforderungen an die Banken, denen die Beschaffung der erforder- 
lichen Kapitalien in erster Linie obliegt, außerordentlich gewachsen. 
Das Bestreben, diese Ansprüche in möglichst weitem Umfange zu be- 
friedigen, hatte schon seit langem im Bankgewerbe einen scharfen 
Wettbewerb hervorgerufen und dazu geführt, daß die Kreditinstitute 
im Vertrauen auf die stete Hilfsbereitschaft der Reichsbank immer 
knapper disponierten und dem Erfordernis, selbst angemessene Kassen- 
beständo oder Guthaben bei der Reichsbank dauernd bereitzuhalten, 
immer weniger Rechnung trugen. Die Nöte des Herbstes 1907 hatten 
zum ersten Male in aller Deutlichkeit den Ernst dieser Entwicklung 
gezeigt. Es gab zu denken, in welcher Weise in jenen Tagen der 
amerikanischen Goldkrisis auf den Goldvorrat der europäischen Noten- 
banken eingestürmt wurde, wie die deutsche Reichsbank, obwohl sie 
innerhalb eines Zeitraumes von 10 Tagen ihren Diskont von 51/, auf 
71/ Proz. erhöht hatte, kaum die Bedürfnisse der Banken befriedigen 
konnte und fast an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit anlangte. 
Unter dem Eindruck dieser Vorgänge wurde der in den Jahren 1908 
und 1909 zusammengerufenen Bankenquetekommission die Aufgabe zu- 
gewiesen, die Stellung der Reichsbank im Rahmen der veränderten wirt- 
schaftlichen Entwicklung zu beleuchten. Auch die Frage nach der 
gesetzlichen Regelung des Depositenwesens wurde ihr vorgelegt in 
der Erkenntnis, daß die hervorgetretenen Mißstände gerade mit dieser 
Frage eng zusammenhingen, und daß unserer Volkswirtschaft in erster 
Linie eine Besserung der Liquidität, d. h. eine Besserung des Verhält- 
nisses der leicht greifbaren Mittel zu den Verpflichtungen nottue. Das 
Ergebnis dieser Verhandlungen konnte Exzellenz Havenstein in seinem 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 15 


226 Miszellen. 


an die Kommissionsmitglieder gerichteten Schlußwort, wie folgt, zu- 
sammenfassen ` 

„Meine Herren, ich hoffe und wünsche mit Ihnen, daß es auch bei 
uns nicht notwendig sein wird, diese gesetzlichen Maßnahmen zu 
treffen, daß das freie Wollen und das eigene Tun und die klare Er- 
kenntnis, daß wir gewissen Schäden gegenüberstehen, daß wir eine 
gesunde Fortbildung unserer Kreditorganisation und unserer Volks- 
wirtschaft notwendig brauchen, sich immer stärker geltend machen 
werden !“ 

Die Reichsbank, welcher die Sorge um die Aufrechterhaltung der 
Währung vom Gesetzgeber anvertraut ist, hat seither — im Bewußtsein 
ihrer Verantwortung als letzte Liquiditätsgarantin — alle Bestrebungen 
unterstützt, die dazu dienen konnten, dem vorschwebenden Ziele, Er- 
höhung der Liquidität der Volkswirtschaft, näherzukommen. Der erste 
Schritt auf dem Wege dahin bestand darin, daß sich zunächst die 
Berliner Großbanken — mit Ausschluß der Berliner Handelsgesell- 
schaft — und späterhin eine größere Anzahl anderer Banken bereit 
erklärten, an einer durch die Reichsbank zu besorgenden Veröffent- 
lichung von Zweimonatsbilanzen teilzunehmen, um der Fachpresse und 
dem interessierten Publikum in kürzeren Zeiträumen als bisher Ein- 
blick in ihren Status und ihre Kreditpolitik, insbesondere die Ver- 
wendung der fremden Gelder zu gewähren. Von dieser zweimonatlichen 
Gegenüberstellung der mehr oder weniger flüssigen Bilanzen der ein- 
zelnen Banken muß, wie auch der Reichsbankpräsident erst jüngst 
in seiner Reichstagsrede vom 30. Januar 1914 ausführte, zugleich eine 
erzieherische Wirkung auf die verantwortlichen Bankdirektoren aus- 
gehen im Sinne einer liquideren Gestaltung des Status der von: ihnen 
geleiteten Institute. 

Das Schema dieser Zwischenbilanzen war in den Verhandlungen der 
Banken unter Mitwirkung der Reichsbank einheitlich ausgestaltet worden 
und diente in seiner erweiterten Form am 30. März 1912 zum ersten 
Male als Grundlage der allgemeinen Zwischenbilanzveröffentlichungen 
von 86 inländischen Kreditbanken und 4 Hypothekenbanken nach dem 
Stande vom 29. Februar 1912. Der Umfang der Beteiligung ist zweifel- 
los von vornherein günstig beeinflußt worden durch die auf Grund 
des § 44 Abs. 1, 2 des Börsengesetzes unter dem 4. Juli 1910 (Reichs- 
gesetzblatt S. 917) erlassene Bundesratsverordnung betreffend die Zu- 
lassung von Wertpapieren zum Börsenhandel; $ 4 Ziff. 5 dieser Ver- 
ordnung bestimmt nämlich, daß künftig Aktien nur von solchen in- 
ländischen Kreditbanken zum Börsenhandel neu zugelassen werden, 
„welche die Verpflichtung übernehmen, neben der Jahresbilanz regel- 
mäßig Bilanzübersichten zu veröffentlichen.“ Die Vorschriften über 
die Form und den Zeitpunkt dieser Veröffentlichungen finden sich in 
der Verordnung des Reichskanzlers vom 30. Juni 1911, welche eine 
Abänderung der denselben Gegenstand betreffenden Verordnung vom 
8. Juli 1910 darstellt. Das darin vorgeschriebene Schema stimmt mit 
dem überein, auf das sich die Banken in ihren Beratungen mit der 
Reichsbank geeinigt hatten; die Uebersichten sind für den letzten Tag 


Miszellen. 227 


des 2., 4., 6., 8. und 10. Monats das Geschäftsjahres der Bank auf- 
zustellen und spätestens am letzten Tage des folgenden Monats zu ver- 
öffentlichen. 

Was nun den Wert der Bilanzen für die Kritik anlangt, so wird 
man sich vor Augen halten müssen, daß aus den Bilanzziffern ein 
Urteil über die Qualität der einzelnen Posten natürlich nicht gewonnen 
werden kann; denn die Ziffern sagen nichts über den inneren Wert der 
betreffenden Aktiv- und Passivposten aus. Es soll aber auch nicht der 
Geschäftstätigkeit der Banken bis ins kleinste nachgegangen werden; 
vielmehr zeigt die ganze Geschichte des Werdens der Bilanzveröffent- 
liehungen, daß es den Schöpfern dieser Einrichtung ferngelegen hat, 
eine Kontrolle der Solidität der Institute in ihren einzelnen Ge- 
schäftszweigen zu schaffen, sondern daß immer nur der Gedanke maß- 
gebend gewesen ist, Anhaltspunkte für die Beurteilung der Liquidität 
zu gewinnen. Die Bedeutung einer schematischen, regelmäßig wieder- 
holten Veröffentlichung liegt in der dadurch gegebenen leichteren Ver- 
gleichsmöglichkeit. Diese erstreckt sich nicht nur auf die Ausdehnung 
der wesentlichen Geschäftszweige für jede einzelne Bank, sowie auf 
das Verhältnis der einzelnen Geschäftszweige zu den entsprechenden 
Bilanzposten der übrigen Banken für ein und denselben Zeitpunkt, 
sondern auch auf die zeitliche Entwicklung. Die fortlaufende Statistik 
läßt die Entwicklungstendenzen erkennen, denen die Banken im ein- 
zelnen, in Gruppen oder in ihrer Gesamtheit unter dem wechselnden 
Einfluß der Konjunktur und der etwa veränderten Prinzipien der 
Geschäftsführung unterworfen sind. 

In der Natur der Dinge liegt es freilich, daß die Vergleichbarkeit 
gerade der wichtigsten Bilanz, der Jahresschlußbilanz, mit den Zwischen- 
bilanzen nur beschränkt sein kann. Denn während jene eine voll- 
ständige Abschlußrechnung einschließlich des gesamten Gewinn- und 
Verlustkontos enthält, sind diese genau genommen nur Rohbilanzen, 
Ausweise, bestehend in einer Abschrift der Bücher ohne Bekanntgabe 
des spezifizierten Gewinn- und Verlustkontos. Zum Teil mögen in ihnen 
die Gewinne unter sonstigen Passiven verbucht sein, zum Teil mögen die 
Gewinne überhaupt erst, soweit es sich um Umsatzprovision und Zinsen 
handelt, am Vierteljahres-, Halbjahres- oder Jahresschluß zur Fest- 
stellung gelangen. Immerhin wird hinsichtlich der Vergleichbarkeit der 
Jahresschlußbilanzen mit den Zwischenbilanzen manches gewonnen sein, 
wenn alle Banken sich dazu entschlossen haben werden, das gemein- 
same Schema auch den Jahresschlußbilanzen zugrundezulegen. 

Die im folgenden gegebene Zusammenfassung der 5 Zweimonats- 
bilanzen sowie der Jahresschlußbilanz für 1913 ist in entgegenkommen- 
der Weise von der Statistischen Abteilung der Reichsbank zur Ver- 
fügung gestellt worden, und zwar nach einem Schema, das gegenüber 
dem in den Veröffentlichungen des Reichsanzeigers zur Verwendung 
gelangten Muster eine wesentliche Vereinfachung durch Zusammen- 
ziehung einzelner Positionen erfahren hat und zur Erleichterung des 
Ueberblicks in dieser konzentrierten Form gewählt wurde. 


15* 


228 Zusammenfassende Uebersicht der (5) Zweimonatsbilanzen und der Jahres- 
Beträge in Millionen Mark?) Ak- 


Kasse, fremde Geldsorten und Coupons. 
Guthaben bei Noten- und Abrechnungs- 
(Clearing-)Banken 


i Bank 
Bemsiohnung der Ban Bilanzübersicht vom 


28./2. | 30./4. | 20./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 


Laufende No. 


| 


I. Inländische 
1 | Deutsche Bank 82,5 96,7 |114,2 83,0 90,7 127,4 
2 | Direction der Disconto-Gesellschaft 15,6 24,9 40,8 19,3 29,5 49,7 
3 | Dresdner Bank 32,4 32,0 51,1 28,2 35,7 68,6 
4 | Bank für Handel und Industrie 18,3 31,6 42,1 35,0 30,9 48,4 
5|A. Schaaffhausen’scher Bankverein 10,6 12,7 17,4 13,9 14,6 25,0 
6 | Nationalbank für Deutschland 7,2 6,9 10,1 7,8 8,7 14,6 
7 | Commerz- und Disconto-Bank 11,4 12,2 15,5 11,9 12,6 17,3 
8 | Mitteldeutsche Creditbank 4,7 5,9 5,5 5,8 4,8 9,0 
9 | Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt 8,9 10,1 12,6 ER: 9,5 15,9 
10 | Barmer Bankverein Hinsberg, Fischer & Co. | 3,8 5,1 4,4 4,1 4,3 9,8 
11 | Rheinische Creditbank, Mannheim 4,8 5,6 6,7 4,7 4,7 7,1 
12 | Rhein.-Westfäl. Disconto-Ges. 2,9 3,5 4,3 3,5 3,8 7,4 
13 | Essener Credit-Anstalt 6,2 7,8 12,6 7,2 7,0 20,0 
14 | Bergisch Märkische Bank 5,7 10,8 9,1 6,3 6,9 12,2 
15 | Mitteldeutsche Privat-Bank, Aktienges. 3,9 5,4 6,1 4,0 4,8 9,6 
16 | Norddeutsche Bank in Hamburg 5,3 7,3 3,2 ERT 5,1 4,8 
17 | Pfälzische Bank 3,7 4,2 6,0 3,8 5,6 71 
18 | Schlesischer Bankverein 2,8 3,8 4,9 2,1 2,7 73 
19 | Süddeutsche Disconto-Gesellschaft A.-G. 1,5 6,5 2,4 1,3 2,8 4,2 
20 | Hannoversche Bank 1,7 2,0 3,7 1,6 2,1 5,1 
21 | Vereinsbank in Hamburg 3,7 8,2 5,4 5,4 5,0 7,9 
22 | Deutsche Nationalbank, Kommdges. a. A. 3,8 3,8 3,8 3,2 3,8 6,7 
23 | Deutsche Effecten- E Wechsel-Bank 2,1 3,0 3,6 2,1 2,1 2,8 
24 | Deutsche Vereinsbank 0,9 1,6 2,3 1,0 1,1 2,2 
25 | Rheinische Bank 0,5 0,5 1,5 0,6 0,7 1,0 
26 | Ostbank für Handel und Gewerbe 2,3 2,5 2,9 2,1 | 24 4,0 
27 | Norddeutsche Creditanstalt 1,6 1,5 2,2 1,6 | 1,9 3,3 
28 | Allgemeine Elsässische Bankgesellsch. 2,2 3,2 3,0 1,8 2,1 3,0 
29 | Mittelrheinische Bank ) 0,4 0,5 0,7 0,7 0,4 1,1 
30 | Magdeburger Bank-Verein 1,0 1,1 1,4 0,8 1,2 2,8 
31 | Bk. f. Thür. vorm. B. M. Strupp Aktg.°) 1,8 1,2 1,6 0,9 1,4 1,6 
32 | Braunschw. Bank u. Creditanstalt A.-G. 0,6 0,7 1,8 0,5 0,7 2,4 
33 | Chemnitzer Bank-Verein 0,9 1,1 0,8 0,7 0,6 1,0 
34 | Osnabrücker Bank 1,4 1,6 1,8 1,4 1,5 2,0 
35 | Danziger Privat-Actien-Bank 1,1 1,1 1,3 È$ Sg 2,0 
36 | Anhalt-Dessauische Landesbank 0,8 0,7 1,2 0,5 0,9 1,5 
37 | Hildesheimer Bank 1,4 0,8 1,4 0,8 0,7 1,8 
38 | Stahl & Federer Aktiengesellschaft 1,2 1,1 1,4 0,9 1,2 1,8 
39 | Westholsteinische Bank 1,6 3,0 2,2 2,0 2,4 2,6 
40 | Königl. Württ. Hofbank G. m. b. H. 0,406 | 0,594 | 0,346 | 0,577| 0,276 1,119 
41 | Königsberger Vereins-Bank 0,258 | 0,263 | 0,320) 0,229 0,278 | 0,544 
42 | Privatbank zu Gotha 0,909 | 0,997 | 1,464 | 1,180 | 0,873 1,415 
43 | Schlesische Handels-Bank Aktienges.?) 0,469 | 0,480 | 0,582 | 0,291) 0,486 | 0,582 
44 | Württemb. Bankanst. vorm. Pflaum & Co. 0,866 | 0,556 | 0,547 | 0,939 | 0,464 | 0,858 
45 | Märkische Bank *) 0,708 | 0,631 _ 0,573 | 0,699 _ 
46 | Mülheimer Bank 0,189| ouni 0,198] 0,167) 0,199 | 0,436 
47 | Commerz-Bank in Lübeck 0,644 | 0,573 | 0,764 | 0,669 | 0,662 1,052 
48 | Löbauer Bank 0,852 | 0,412) 0,474| 0,318 | 0,377 0,761 
49 | Holsten-Bank 1,044| I,156| 1,226 | 1,025 | 1,109 1,500 
50 | Westfälisch-Lippische Vereinsbank Aktges. 0,215 | 0,224| o,s47| 0,154 | 0,230 | 0,526 
51 | Bank f. Handel und Gewerbe 0,118 | 0,089| 0,124 | 0,076 | 0,114 | 0,165 
52 | Braunschweiger Privatbank Aktges. 0,320 | 0,376 | 0,557 | 0,489 | 0,268 1,046 
53 | Elberfelder Bankverein 0,192 | 0,227 | 0,237 | 0,237 | 0,180 0,296 
54 | Mannheimer Bank, Aktges. 0,168 | 0,156) 0,272| 0,145 | 0,166 | 0,246 
55 | Rostocker Bank 0,709| 0,692 | 1,324 | 0,665 | 0,728 = 


56 | Vogtländische Bank 0,870 | 1,408 | 0,912| 1,237 | 1,023 kg 


` schlußbilanzen inländischer Kreditbanken nebst Deckungsziffern für das Jahr 19131). 229 


. tiva. 


Reports und Lombards gegen börsengängige 
Wertpapiere. Vorschüsse auf Waren und 


Wechsel und unverzinsliche 


Sohatzanwoisungen Warenverschiffungen 
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom 
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. |31./12. 
1913 1913 


ee | 5 i | 
Kreditbanken. 
700,4 | 678,8 | 650,3 | 663,1 | 688,4 1639,4 | 463,0 | 436,4 | 379,5 | 353,6 | 406,0 450,0 
267,4 266,0 230,6 274,8 272,8 [257,5 200,2 190,3 157,2 136,6 166,1 |238,8 
303,1 | 304,9 | 318,0 | 352,8 | 385,9 |375,9 | 258,2 | 245,9 | 206,8 | 203,1 | 203,9 |235,7 
| 147,7 169,4 150,2 191,9 201,7 |185,0 139,9 121,2 105,7 106,8 116,8 (127,7 


310,2 | 116,3 106,3 120,2 126,8 |113,5 54,4 47,2 35,9 35,3 34,3 31,8 
73,8 75,0 78,5 81,7 84,9 | 88,0 70,4 68,2 57,9 62,4 61,7 | 49,7 
61,2 68,5 67,2 79,8 89,1 75,7 108,1 103,4 110,8 100,2 100,1 |107,7 
41,4 39,6 30,9 40,6 46,3 40,8 20,9 23,0 20,6 27,7 27,7 28,4 
98,3 91,1 755 102,8 112,4 91,2 21,6 20,5 20,3 15,6 16,5 29,8 


34,0 37,8 38,2 46,2 47,5 | 52,4 37,9 32,0 32,1 29,0 34,2 | 39,2 
62,5 59,1 54,1 67,0 68,9 | 64,0 47,2 47,3 48,8 48,8 47,1 | 51,8 
38,4 34,1 30,9 35,2 37,3 | 37,1 64,8 61,0 59,3 58,0 58,5 | 63,8 
50,1 55,0 60,6 58,6 63,2 | 68,3 34,4 | 34,6 33,4 34,4 32,6 | 31,8 
64,8 51,8 46,5 70,4 63,8 | 74,0 77,2 74,6 774 76,7 74,1 | 77,6 
34,0 36,4 27,1 34,9 33,9 | 35,2 86,6 77,1 79,9 74,7 85,9 | 91,7 
70,6 66,7 72,9 74,1 76,2 | 742 37,6 31,7 33,9 31,1 32,3 | 41,3 


35,9 35,3 34,0 40,0 39,1 39,0 8,2 8,4 8,6 14,8 24,4 29,7 
50,4 45,1 41,4 52,1 51,5 | 52,9 14,5 17,2 14,3 17,4 17,8 | 24,4 
26,4 29,3 26,9 27,7 32,1 | 31,5 31,0 30,3 29,5 27,2 25,5 25,8 
22,9 20,1 16,6 18,9 19,6 17,5 9,9 8,3 9,8 10,4 12,9 12,0 
38,5 41,0 39,9 45,2 45,0 | 42,4 25,9 21,5 23,0 24,6 25,4 | 26,7 
19,7 16,6 15,8 15,8 16,8 17,2 57,0 56,4 54,9 55,3 61,1 61,1 
27,2 29,3 15,4 23,8 24,8 23,3 3,6 3,4 3,3 3,0 2,7 3,7 
16,0 16,1 12,0 15,7 14,8 14,1 7,4 7,5 6,0 4,6 5,2 7,5 
11,6 10,6 7,9 11,7 12,5 12,8 1,8 1,6 1,2 1,5 1,6 1,6 
39,5 | 35,2 34,9 | 38,6 38,1 | 44,8 11,4 9,6 9,8 8,8 Ba | ımı 
22,1 24,6 20,8 23,5 25,6 22,6 16,7 13,4 11,% 11,8 15,4 16,2 
30,0 29,8 29,0 27,9 26,0 28,5 26,5 26,8 25,9 27,1 26,7 25,8 
5,3 4,9 4,3 4,8 4,5 5,2 17,7 18,6 18,5 18,0 19,0 19,1 
13,1 12,4 7,5 9,6 12,5 12,6 16,3 14,7 13,7 9,5 12,3 | 17,4 
10,1 9,0 10,5 11,2 12,7 10,5 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 0,1 
14,5 13,1 10,5 11,3 14,8 | 13,5 8,7 9,1 9,8 9,1 8,2 9,1 
8,3 7,2 5,9 7,8 8,3 8,7 3,8 4,5 5,0 5,0 4,8 47 
12,0 9,8 10,4 13,3 14,4 15,2 SR -= > dE 0,1 Fe 
14,4 15,9 13,9 18,0 14,9 11,1 10,2 7,3 6,0 6,0 6,6 11,0 
6,7 6,9 5,8 6,3 7,6 8,8 10,3 10,2 10,5 10,3 9,9 10,0 
11,3 10,7 9,3 9,7 8,2 9,8 2,2 2,4 2,2 1,8 2,8 2,3 
5,4 7,2 7,8 9,6 9,3 8,9 9,5 9,4 9,0 9,2 9,8 9,6 
15,8 14,1 14,2 15,8 20,0 18,6 1,6 1,6 1,5 1,6 1,7 1,9 
3,304 1,950 2,579 2,754 1,432| 2,318 0312| oa Gänn 0,316) 0,338) 0,320 
9,098 9,744| 10,205) 11,280) 9,660| 10,373 3,350| 3,544] 3,406] 2,840) 2,920) 3,323 
4,923 4,990 4,989 5,897 5,748| 5,406 = — 6,771 6,593 6,666! — 
6,901 5,609| 4,910 6,761 7,856| 4,855 6,374 6,277 6,395 5,592 5,212) 6,455 
6,943 5,650| 6,0001) 6,972] 6,474 6,870 4,784| 4,447 4,489| 4,458] 4,549) 4,746 
3,192 237| — 2,560 2551| — 5,669 5,597] — 5816| 5,8861 — 


3,552 3,326) 3,169| 2,796| 2,907| 3,268 6,894) Baal Gan Beigl 6,448] 6,200 


6,227 5,685] 5,689) 5,826] 5,883] 6,055 3,264| 3,581] 3,376] 3,147) 3,058] 3,047 
2,843 2,265 2,405 2,621 2,423| 2,406 2,223 2,075 2,211 2,138 1,942| 2,046 
6,505 6,192| 4,854] 7,301 8,227| 7,401 1,834 2,268 2,446| 2,124 2,146) 1,946 
3,888 3,907| 3,254| 4,415) 3,896) 4,789 3,869) 3,584| 4,071] 4,002| 3,859] 3,977 
2,821 2,677 2,877 2,496 2,972| 3,483 2,155 1,555 1,406 1,340 1,566| 1,142 
4,790 5,489| 3,848] 3,672] 3,894] 4,064 1,052) 1,072] 1,092] 1,006] 1,187] 0,980 
1,299 1,318) 1,445] 1,481 1,887| 1,818 2,235| 2,281 2,285| 2,167 2,472) 2,423 
3,614 3,583| 3,738| 3,167| 3,426| 3,385 2,318 2,252 2,281 2,449 2,484 2,600 
3,250 3.853| 3,861]  3,36| 2,975) — aen 0,82] oun 0,210] Gänn — 

9941 8,127 9,763| 11,442 9,947 — 0,335! 0,302 0,314 0,818 0818| — 


330 Beträge in Millionen Mark" Aktiv: 


Nostroguthaben bei Banken und Bankfirmen. 


Eigene Wertpapiere Debitoren in laufender Rechnung 


Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom 
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12.| 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 
1913 1913 

6 l 7 Enea] 

I. Inländische 
105,38 |157,7 |ı56,6 |160,5 Jjı61,7 161,2 754,1 800,7 771,8 | 769,6 726,2 |700,2 
29,0 | 30,8 | 33,5 | 347 | 32,9 | 30,1 | 448,5 | 453,6 | 478,7 | 489,3 | 486,9 |462,5 
57,7 52,8 50,6 54,0 53,1 42,6 700,0 | 698,4 718,1 704,6 | 706,5 [686,2 
52,4 |562 | 548 |590 | 584 | 544 | 4548 | 501,7 | 517,4 | 514,6 | 496,0 |491,6 
42,0 | 422 |443 | 48,4 |446 | 37,3 | 361,8 | 349,9 | 348,0 | 357,9 | 349,7 |356,6 
28,1 27,8 26,3 28,6 28,8 29,3 212,9 217,9 215,5 209,1 210,6 [194,9 
30,8 26,9 27,5 26,5 29,2 28,1 218,1 231,5 236,0 236,2 228,4 |238,0 
13,8 | 14,1 14,9 | 14,23 | 13,8 | 13,6 | 135,0 | 136,8 | 136,8 | 138,7 | 143,1 [144,2 
22,3 21,2 19,2 22,9 22,1 23,1 279,4 279,9 287,6 283,7 280,9 |286,5 
16,1 14,3 14,1 15,2 14,8 14,8 179,6 | 176,6 | 172,9 | 179,6 | 179,4 jı72,8 
15,3 14,8 15,9 17,9 17,8 16,4 238,4 232,2 228,1 221,4 212,5 |225,8 
15,1 14,9 14,8 14,4 14,3 12,9 141,5 | 137,8 | 138,0 | 139,2 | 134,3 [136,9 


18,6 18,4 20,2 20,0 20,0 20,1 152,9 155,6 152,7 165,9 164,0 |160,9 
12,9 13,1 12,9 13,5 13,9 12,9 198,6 | 206,8 | 201,8 | 202,4 | 204,1 |195,4 
13,0 12,0 11,8 12,3 11,8 13,2 117,9 | 115,8 | 119,7 120,8 | 119,1 |116,6 


9,8 7,4 8,7 6,4 7,6 6,8 135,0 | 138,5 | 130,1 | 129,0 | 137,1 139,5 
14,1 13,5 12,8 14,1 13,9 13,6 178,7 180,9 179,2 176,6 168,6 |165,8 
20,8 22,7 22,4 24,8 24,1 23,4 109,5 | 112,7 | 113,2 | 110,0 | 110,1 [109,1 
3,0 3,4 3,9 4,8 4,6 3,9 81,9 75,9 80,6 83,9 94,1 | 94,9 
5,6 5,1 4,8 5,1 5,7 5,2 63,3 63,7 62,6 66,3 66,3 | 63,9 
8,4 BA 8,2 9,7 9,7 9,9 65,8 67,4 68,5 58,4 62,8 | 66,3 


9,9 9,8 10,2 10,6 10,4 10,8 61,6 63,0 67,5 66,6 64,8 | 62,5 
2,4 4,2 4,3 3,7 3,7 4,4 50,2 46,4 51,1 49,3 47,0 | 52,3 
2,4 2,4 2,4 2,5 2,4 2,5 50,4 49,2 54,9 52,1 53,6 51,7 
2,8 2,7 3,5 3,8 3,5 3,6 72,3 72,6 72,4 73,9 73,2 68,6 
13,4 13,1 12,0 13,4 13,0 12,3 56,6 61,9 61,6 65,6 66,4 | 64,9 


7,8 7,5 7,4 7,6 7,6 7,5 52,1 52,0 53,5 58,6 54,1 54,4 
3,9 3,5 3,8 3,5 3,8 . 3,8 44,0 44,0 49,5 47,3 48,9 | 47,6 


1,5 1,5 2,1 2,4 2,3 2,4 37,3 36,0 36,0 36,8 37,8 39,2 
2,8 2,3 2,4 3,2 3,0 3,0 29,3 26,7 27,9 37,2 32,1 27,7 
7,3 7,1 6,7 7,0 7,0 6,7 45,0 44,9 47,2 47,5 46,0 47,1 
3,2 3,3 3,7 3,2 3,1 3,0 25,1 23,9 23,7 25,9 26,8 24,0 
2,8 2,9 2,8 3,2 3,2 3⁄3 23,2 22,6 23,4 23,4 23,3 22,5 
3,9 3,7 3,8 4,1 4,3 4,3 48,5 49,2 47,4 47,0 47,3 46,5 
2,6 2,7 2,6 2,7 2,7 2,7 32,3 31,0 29,9 28,8 28,4 28,6 
3,7 3,5 3,5 3,5 3,5 3,5 29,7 28,8 29,2 29,5 29,6 28,4 
3,2 2,9 2,8 2,5 2,3 2,7 23,7 24,2 24,6 21,2 20,9 19,3 
0,8 0,9 0,8 0,9 1,2 1,1 26,2 24,8 25,7 22,7 22,0 20,6 


3,4 3,4 3,4 3,3 3,3 3,3 44,9 44,5 46,0 46,0 45,1 | 47,6 

1,610| 1,500| 1,516| 1,965| 1,864| 1,665] 14,194) 16,459] 14,592| 13,918) 14,202| 14,168 
1,695 | 1,668| 1,651| 1,873| 1,840| 1,749| 13,988] 12,784] 12,267| 11,801) 13,783| 13,292 
0,981 | 0,897 Gan) 0,916| 0,866 | 0,920| 19,474| 19,099] 12,592] 12,244 13,676| 20,509 
2,761| 3,660) 3,420| 4,828| 4,200| 3,420| 10,920) 10,067) 11,117] Bang 8,286] 11,070 
0,729| 0,833 | 0,721| 1,022| 1,090| 1,0783 14,427) 15,545] 15,764| 17,171) 15,501] 15,649 
0285| 0281| — 0375| 0389| — 12,240) 12,198] — 11,371 10,989 — 

0,483 | 0,457 | 0,455 | 0,600| 0,610) 0,606| 11,014] 10,853] I1,670| 11,297) 11,766| 12,880 
0,105 | 0,155 | 0,156 | 0,084| 0,065 | O,104| 12,829) 12,355| 13,553| 15,185] 15,622| 13,688 
1,276| 1,229| 1,333| 1,373| 1,250| 0,988] 25,853] 25,419| 25,487] 24,973] 25,092] 25,564 
0,405) 0,409) 0,401) 0,398| 0,502) 0,6567 19,884| 18,757| 19,609) 19,645] 18,519] 19,390 
0,471| 0,491| 0,518| 0,561 | 0,488) O,474| 14,621) 15,069] 14,918| 14,860) 15,845| 15,065 
0,507 | 0,452 | 0,449 | 0,467) 0,455 | 0,598| 10,064 9,898] 9,898| IO,601) 11,461| 11,8366 
1,108 | 0,740| 0,656| 0,765| 0,843| 0,914 9,524| 9,336) 10,612| 11,655| 12,292) 11,183 
0,387 | 0,384 | 0,372| 0,416| 0,17) 0,456 9,467) 9,186) 9,27] Saeul Bänn 9,129 
0,435 | 0,505 | 0,476| 0,485| 0,522| 0,508| 17,744) 17,755] 17,791] 18,811] 18,814| 19,114 
5405| 5,565 | 5,5386 | 5419| 5770| — 12,867| 12,861] 12,091| 12,410) 12,431| — 

5509| 5,893| 5211| 5261| 5260| — 28,348) 30,085] 30,519) 29,988] 30,286| — 


(Fortsetzung). 231 


Nicht eingezahltes Aktienkapital. Konsortialbeteili- 


gungen. Dauernde Beteiligungen bei anderen Banken u. $ 
Bankfirmen. Bankgebäude. Immobilien u. sonst. Aktiva. , 
onii von Bezeichnung der Bank E 

28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. E 
1913 S 

8 | 9 |10 


Kreditbanken. 


165,9 172,1 172,9 170,8 172,8 | 167,4 | Deutsche Bank 
181,8 209,5 191,9 189,7 194,6 | 199,6 | Direction der Disconto-Gesellschaft 
117,7 120,3 123,8 130,3 130,5 | 129,1 | Dresdner Bank 


82,5 77,8 78,8 73,5 74,1 71,0 | Bank für Handel und Industrie 
88,2 90,2 96,0 86,5 94,7 82,0 IA. Schaaffhausen’scher Bankverein 
51,8 52,4 55,8 55,1 57,7 49,5 | Nationalbank für Deutschland 

37,8 40,5 38,7 39,4 40,3 40,9 | Commerz- und Disconto-Bank 

21,5 23,3 27,4 22,9 25,7 22,8 | Mitteldeutsche Creditbank 

54,5 60,0 59,4 57,7 58,0 49,5 | Allgemeine Deutsche Credit-Anstalt 
34,7 37,1 32,0 34,2 33,9 29,9 | Barmer Bankverein Hinsberg, Fischer & Co. | 10 
42,3 47,7 48,8 44,7 50,2 46,3 | Rheinische Creditbank, Mannheim 11 
53,4 54,4 55,3 55,9 56,5 53,9 | Rhein.-Westfäl. Disconto-Ges. 12 
16,7 32,5 32,6 30,5 30,4 15,9 | Essener Credit-Anstalt 13 
21,3 22,3 21,0 19,9 20,2 19,8 | Bergisch Märkische Bank 14 
23,8 25,2 25,9 25,3 27,4 25,9 | Mitteldeutsche Privat-Bank Aktienges. 15 
22,0 24,8 24,4 24,3 26,8 22,8 | Norddeutsche Bank in Hamburg 16 
17,1 16,4 16,8 16,4 16,6 16,4 | Pfälzische Bank 17 
16,9 17,0 18,7 16,3 17,2 15,7 | Schlesischer Bankverein 18 
18,1 20,6 20,1 19,2 19,4 18,1 | Süddeutsche Disconto-Gesellschaft A.-G. 19 
11,0 10,8 10,4 10,8 I1,1 9,9 Hannoversche Bank 20 
31,8 29,9 34,0 30,9 35.8 33.7 | Vereinsbank in Hamburg 21 
10,5 10,3 10,6 10,7 11,2 10,2 Deutsche Nationalbank, Kommdges. a. A. 22 
7,8 8,6 9,1 9,2 8,9 8,2 | Deutsche Effecten- & Wechsel-Bank 23 
7,1 7,4 7,8 7,8 8,3 7,7 | Deutsche Vereinsbank 24 
9,3 9,8 9,1 8,2 8,5 7,6 | Rheinische Bank 25 
7,9 8,3 10,2 8,5 11,1 7,4 | Ostbank für Handel und Gewerbe 26 
4,3 4,9 5,2 6,7 6,9 3,5 | Norddeutsche Creditanstalt 27 
3,6 3,9 2,5 2,5 2,6 2,6 | Allgemeine Elsässische Bankgesellsch. 28 
3,3 3,2 2,9 2,9 3,8 2,9 | Mittelrheinische Bank 29 
5,0 5,2 5,0 5,2 5,5 4,8 | Magdeburger Bank-Verein 30 
2,8 3,1 2,7 2,6 3,0 2,8 |Bk. f. Thür. vorm. B. M. Strupp Aktg.®) 31 
3,7 3,9 3,9 3,9 4,1 3,6 | Braunschw. Bank u. Creditanstalt A.-G. 32 


2,6 2,6 2,7 2,6 2,9 2,9 | Chemnitzer Bank-Verein 33 
3,8 4,3 44 4,4 4,4 3,9 |Osnabrücker Bank 34 
3,1 3,2 4,4 4,8 4,8 2,7 | Danziger Privat-Actien-Bank 35 


Son D au 


6,5 6,6 6,8 6,7 6,9 6,3 | Anhalt-Dessauische Landesbank 36 
6,2 7,0 6,9 7,7 8,9 7,6 | Hildesheimer Bank 37 
2,1 2,3 2,3 2,3 2,8 2,5 |Stahl & Federer Aktiengesellschaft 38 
1,0 1,0 0,9 0,9 1,0 0,9 | Westholsteinische Bank 39 
5,957 5,813 5,996 5,766 6,094| 5,892] Königl. Württ. Hofbank G. m. b. H. 40 
0,402 0,447 0,511 0,635 0,733| 0,321| Königsberger Vereins-Bank 41 
1,754 1,920 2,011 2,106 2,190| 1,713] Privatbank zu Gotha 42 
2,871 2,871 1,491 1,375 1,355| 1,477|Schlesische Handels-Bank Aktienges. °) 43 
2,333 2,085 2,330 2,272 2,505| 2,104] Württemb. Bankanst. vorm. Pflaum & Co. |44 
0,930 1,011 — 1,165 1,248) — Märkische Bank *) 45 
1,992 2,037 2,202 2,237 2,260 1,288] Mülheimer Bank 46 
2,953 2,946 2,862 2,900 2,904| 2,894] Commerz-Bank in Lübeck 47 
0,840 0,867 0,705 0,897 1,081 1,074| Löbauer Bank 48 
0,986 1,059 1,119 1,196 1,252) 0,960| Holsten-Bank 49 
1,758 1,719) 1,561 1,818 1,882] 1,524] Westfälisch-Lippische Vereinsbank Aktges. |50 
0,869 0,960| 1,073] 0,976) 0,944] 0,879| Bank f. Handel und Gewerbe 51 
1,248 1,269 1,483 1,863 1,397| 1,042| Braunschweiger Privatbank Aktges. 52 
0,280| oan 0,24) 0,57] 0,478] 0,308| Elberfelder Bankverein 53 
0,248| 0,67] 0,50) 0,5181 0,590| 0,478| Mannheimer Bank, Aktges. 54 
3,392| Ann 3,550) 3,886] 3,602) —- |Rostocker Bank 55 
0,860 0,902 0,827 0,921 1,005 — Vogtländische Bank 56 


232 


Beträge in Millionen Mark °) 


„| Laufende No. 


ww 


>». 


Miszellen. 


Aktiva 


Bezeichnung der Bank 


Mecklenburgische Bank 
Mecklenburgische Spar-Bank 
Vereinsbank in Zwickau 
Oberlausitzer Bank zu Zittau 
Oldenburgische Spar- & Leih-Bank 
Plauener Bank Aktienges. 
Vogtländische Credit-Anstalt Aktges. 
Coburg-Goth. Credit-Ges. 

Norder Bank Aktienges. 

Bankverein Gelsenkirchen Akt.-Ges. 
Creditverein Neviges 

Krefelder Bank, Actien-Ges. 
Oldenburgische Landesbank 
Niederlausitzer Bank, Aktienges. 
Potsdamer Credit-Bank 
Westdeutsche Vereinsbank 
Kattowitzer Bankverein Aktges. 


Neuvorpomm. Spar- u. Cred.-Bank A.-G. 


Weseler Bank, Akt.-Ges. 

Barmer Creditbank 
Oberschlesischer Credit-Verein 
Geestemünder Bank 

Zentral-Bank Aktienges. 
Heilbronner Gewerbekasse A. G.*) 
Bremer Bank-Verein 

Emmericher Creditbank A.G. 
Gronauer Bankverein 

Leipziger Vereinsbank *) 

Rheiner Bankverein 
Sauerländischer Bankverein A.-G. 
Neustädter Bank 

Forbacher Bank Aktienges. 
Volksbank Geilenkirchen-Hünshoven 


Osterholz-Scharmbecker Bank 


Radevormw. Volksbank Garschagen & Co. 
Summe der inländischen Kreditbanken |278,9 


Davon entfallen auf: 
8 Berliner Großbanken 
die übrigen inländischen Kreditbanken 


Deutsche Orientbank 
Deutsche Ueberseeische Bank 
Deutsche Palästina-Bank 


Summe der Ueberseebanken | 64,1 


Bayer. Hypotheken- & Wechselbank 
Bayerische Vereinsbank 

Bayerische Handelsbank 
Württembergische Vereinsbank 


Summe der Hypothekenbanken | 13,1 


Kasse, fremde Geldsorten und Coupons. 
Guthaben bei Noten- und Abrechnungs- 
(Clearing-)Banken 


Bilanzübersicht vom 
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 


1,200 | 1,254 
0,874 | 0,557 
0,275| 0,806 
0,580 | 1,276 
0,648 | 0,523 
0,568 | 0,717 
0,075 | 0,088 
0,105 | 0,121 
0,087 | 0,106 
0,060 | 0,149 
0,066 | 0,086 
0,755 | 0,945 
0,176 | 0,164 
0,272 | 0,264 
0,066 | 0,057 
0,152 | 0,172 
0,260 | 0,278 
0,104 | 0,140 
0,035 | 0,078 
0,085 | 0,058 
0,270 | 0,097 
0,079 | 0,112 
0,114 | 0,081 
0,094 | 0,1883 
0,008 | 0,007 
0,0388 | 0,021 
0,418 | 0,340 
0,082 | 0,064 
0,020 | 0,042 
0,048 | 0,182 
0,047 | 0,179 
0,028 | 0,086 


f 
9,0 
59,6 D 


349,6 432,4 300,7 334,4 = 
182,6 |222,8 1|296,8 [205,0 227,5 360,2 
96,3 126,8 135,6 95,7 [106,9 _ 
II. Uebersee- 
10,1 9,8 9,8 7,7 9,4 
52,6 55,4 51,8 53,8 51,7 
1,4 1,5 1,2 1,2 1,0 2,7 
| 66,7 | 61,7 | 62,7 | 621 |718 | 
III. Hypotheken- 
4,0 4,0 3,8 4,0 4,0 5,0 
2,8 3,6 4,1 3,1 2,9 6,6 
3,7 3,1 3,6 3,1 3,7 4,6 
2,6 6,7 3,1 2,9 3,0 4,6 
| 17,4 | 14,6 | 13,1 | 13,6 | 20,8 | 


Miszellen. 233 


(Fortsetzung). 
Kaaft Reports und Lombards gegen börsengängige 
Deg und reg ng Wertpapiere. Vorschüsse auf Waren und 
se Warenverschiffungen 
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom 
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12.| 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 
1913 _ 1913 
H l 5 
4,396) 4766| 4,714| 4,067) 4,742 — 0,422| 0,391 0,421 1,037| 0,847| 


10,295| 10,495| 9,949| 10,383| 10,255! 10,640 0,315| 0,353| 0,683) 0,00) 0,451 
8,es3| 7,736| 7,535) 8,276 7,747 9,858 5,845) 5,2561 5,203| 5,257) 5,287 
1,857| 1,070) 1,399| 2,084) 1,814 0,900 0114| 0,116] 0,1293) 0,126] 0,134 
18,804| 15,453] 16,150] 15,169] 16,072 19,424 0,389| 0,958] ©,615| 2,223| 2,195 
1705| Län 1,782] 2,166] 2,122) 2,188 2,7360) 2,799| 2,7283] 3,208| 2,977 


3,055) 3,167) 3,908) 3,828] 3,880 — 1,131 1,148) 1,172] 1,011] 0,928 
0,409) 0404| 0,367] 0,298] 0,360 0,419 — — — — — 
2,025| 1,671) 1,862| 2,457| 2,906 2,589 0,012| 0,015 — _ 0,068] 


1,856| 1,607 1,497 1,507 1,508) 1,791 0,379) 0,04 0,19] 0,327] 0,340) 
1,216) 1,350) 1,421 1,243 1,273 1,619 0,454) 0,75| 0,18] 0,339] 0,328 
0,841) 0,891] 0,859) 0,761] 0,889 — 0,945| oni 0,885) 0,946] 0,853 
Real 7,018) 5,706 5,076] 8,580 8,618 — — — — — 
©,951| 0,910| 0,813 1,009 1,055) 1,168 1,914 1,675 2,119 1,939| 2,026 
1,855| 1,598| 1,369 1,701 1 Ann! 1,170 2,392) 3,054 2,836| 2,509| 2,837 
1,456) 1,186] 0,881] 0,864) 0,927| 0,806 0,4069| 0,85 0,433] 0,07) 0,461] 
1,391] 1,989] 1,528 1,847 2,189 2,108 — — — — — | 
4,061| 3,885| 3,922| 4469| 4,054 — 0,108| 0,065 0,128| 0,113| 0,122 
0,881) 0,864 1,247 1,188| 0,995 0,963 1,045 1,062 1,097 1,119 1,164 
1,585) 1,389) 1,418 1,579 1,386| 1,265 0,057| 0,049| 0,061] O,148| 0,197 
1192| 0,71) 0,889) 0,441] 0,597 0,985 0,007) 0,007 0,008) 0,010) 0,009 
0,768) 0,736| 0,859| Ginn 0,923! 0,929 0,6898 0,629 0,667) 0,577) 0,439 
0,948) 1,006) 1,068 1,116 1,243 1,097 0,564| 0,28 0,651| 0,585| 0,637) 
1,427 1,347 -= 1,588 1,408) — 0,853 1,109 — 1,393 1,259| 
0,320| 0,383 oan 0,348] 0,386 0,381 0,998| 0,904 0,930) 0,763] 0,968 
0,332| 0,201 0,388| 0,354 0,409 0,735 0,088| 0,088 0,076| 0,108| 0,101 
1,578) 1,58] 0,454 1,129| 0,991, 1,211 0,500) 0,500 

2,121| 2734| — 2,944| 2,814 2,912 0,102 9,144 — 0,188) 0,108] 
2,145| 1,464 1,7566 2,100) 1,440 1,665 0,170| 0,140, 0,113) 0,183| 0,168 
0,502) 0,50) 0,392| ©0,298| 0,347) — — — | — = = 


0,732| 0,766| 0,785 0,749| 0,64 — = = 
0,755| 0,664] 0,847 0,381 1,2901 — SS = 
0,267) 0,329) 0,461 0,280 0,231| 0,200 0,480) 0,468 
0,107| 0,085 0,084 0,105 0,069) — 0,009 0,012 
0,462| 0,62] 0,89) 0,467| 0,460) 0,460 — = 


0,477) 0,492] 0,400 
0,008) 0,009] 0,009 


2785,8 2753,83 |2582,7 2921,38 [3040,7 — [2087,5 [1966,5 1803,5 |1747,4 |1876,4 
1705,1 |1718,6 |1632,0 |1805,0 1895,98 (1775,9 [1315,2 (1235,7 |1074,4 |1025,8 |r116,8 
1080,7 [1034,7 | 950,7 |1r116,3 [1144,8 — 772,3 | 730,8 | 729,1 | 721,6 | 759,6 
banken. 
12,7 14,5 16,9 16,4 17,8 | 131 28,8 26,1 23,4 25,0 43,8 
144,3 | 1424 | 141,3 | 136,2 | 137,3 [124,4 13,1 14,5 11,9 11,0 8,6 
7,8 6,7 5,0 40 3,8 | 48 28,5 | 324 | 33,4 | 23,6 | 24,4 


164,8 | 163,6 | 163,2 | 156,8 | 158,9 [141,8 | 70,4 | 73,0 | 68,7 | 59,6 | 76,8 
banken. 


34,8 | 43,7 | 41,8 50,0 44,9 | 41,8 3,1 3,2 3,3 3,0 3,0 3,1 
21,2 23,9 25,1 36,0 30,7 32,5 = — — — — — 
18,7 17,1 | 16,4 19,9 .| 20,0 | 20,8 0,9 0,8 0,8 0,8 1,1 1,1 
21,8 27,2 22,1 26,9 19,3 | 26,4 9,0 7,6 7,9 82 | Bi 71 


s | 112,5 | 105,4 | 132,8 | 114,9 l121,0 | 13,0 | 11,6 | 12,0 | 12,0 | 12,3 | i13 


234 


Beträge in Millionen Mark °) 


Miszellen. 


Aktiva 


28./2. | 30./4. | 30./6. 


Eigene Wertpapiere 


Bilanzübersicht vom 


Debitoren in laufender Rechnung 


Nostroguthaben bei Banken und Bankfirmen. 


Bilanzübersicht vom 


31./8. | 31./10. | 31./12. | 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 
1913 1913 
6 T i] 
| 
0,854 | 0,955| 0,961 13,141| 13,167) 12,082] 12,114] 12,306 — 
2,132 | 2,235 | 2,254 23,360| 23,402) 22,780) 24,748| 25,407| 24,017 
2,227 | 2,320 | 2,697 14,786| 15,076 15,320] 15,766] 16,629) 16,021 
0,500) 0,556 | 0,570 9,832) 10,194| 10,468| 10,178| 10,365) 10,818 
3,258 | 3,385 | 3,384 34,638| 34,994| 35,821] 36,426) 36,763| 37,710 
0,758| 0,714 | 0,718 10,806| 10,212] 9,981] 9,738| 10,433| 11,117 
0,517 | 0,572 | 0,582 8,646 9,055 8,701 8,765 9,4801 — 
2,141 | 2,145 | 2,148 5,0183| 4,977) 4,812] 5,088] 4,956] 5,019 
0,916 | 0,917 | 1,064 10,359| 10,523| 10,693) 10,706] 10,494 10,861 
0,345 | 0,341 | 0,352 6,075 6,046| 6,327 6,375 5,965 5,902 
0,7138 | 0,773 | 0,758 5,172] 5,040 5,1569) 5,186) 5,068, 4,631 
0,219| 0,243 | 0,248 3,868) 3,786] 3,818] 3,761) 3,574 — 
3,639 | 3,650 | 3,578 51,201 50,612) 49,806| 49,457) 50,883| 52,051 
0,585 | 0,622 | 0,579 4,995| 5,234) 5,999| 5,742] 5,359| 7,432 
0,280 | 0,591 | 0,588 4,794| 4,899| 5,156) 5,359) 5,701) 5,966 
0,256 | 0,256 | 0,257 4,018| 3,911 3564| 3,3601 3,361] 3,853 
0,623 | 0,625 | 0,628 5,389| 5,434) 5,111 5,020| 4,836) 4,995 
0,842 | 0,816 | 0,790 4455| 5,365) 4,887] 4,659] 5,59 — 
1,147 | 1,253 | 1,208 3,6580| 3,414 2,908] 2,997) 3,218] 3,658 
0,164 | 0,163 | 0,168 3,045 2,982| 3,017] 3,126] 3,172) 3,125 
0,442 | 0,451| 0,439 3,056| 3,360) 2,982) 3,598) 3,407) 3,558 
1,896 | 1,987 | 1,926 9,612] 9,455 9,575) 9454| 9,536] 9,583 
0,174| 0,146 | 0,149 3,261 3,295| 3,396) 3,5251 3,540) 3,485 
— 0,717 | 0,729 3130| 3,253] — 3,040| 3,028] — 
1,118| 1,106 | 1,069 5,318| 4,959) 4,820) 5,083| 4,734| 5,077 
0,290 | 0,288 | 0,291 2,487 2,260| 2,287 2,298| 2,180] 1,877 
0,006 | 0,006 | 0,006 2,704| 3,0861 2,6300 2,165| 2,670] 2,391 
— 0,245 | 0,245 0,9389| 0,921 _ 0,939) 0,984 0,831 
0,157 | 0,157 | 0,157 2,467 2,647| 2,749 1,842| 3,320] 4,410 
0,007 | 0,007 | 0,004 1,062 0,990 0,950 1,023 1,006) — 
0,209 | 0,202 | 0,200 3,800| 3,5861 3,856] 3,831] 3,876) — 
0,581 | 0,786 | 0,660 0,904| 0,975 1,066 1592| 0,938 — 
0,123 | 0,160 | 0,120 3,864| 3,6481 3,786] 3,901) 4,131] 4,125 
0,041| 0,046 | 0,047 0,923| 0,818) 0,962 0,944 0,21 — 
0,152 | 0,152 | 0,152 0,998| 0,989) 0,983) 0,992) oan 1,012 
707,0 1743,8 1739,2 —  16507,9 16609,1 16636,1 6662,4 |6583,6 -— 
408,6 |426,0 |422,5 1396,5 [3284,9 [3389,9 (3422,3 |3420,1 |3347,4 |3274,2 
298,4 Dua Dës — [3223,0 |3219,2 |3213,8 |3242,3 |3236,2 = 
II. Uebersee- 
0,9 1,2 1,1 1,1 38,9 43,2 38,7 39,9 40,8 | 36,2 
8,0 8,2 8,3 8,3 93,4 94,0 91,2 97,8 99,5 | 93,8 
6,9 40 4,1 3,8 42,7 49,3 55,7 57,8 56,0 | 30,5 
| 15,8 | 13,4 | 13,5 | 13,2 | 175,0 | 186,5 | 185,6 | 195,5 | 196,3 160,5 | 
II. Hypotheken- 
24,5 27,1 23,0 20,9 76,0 78,7 87,1 85,7 89,1 93,4 
6,4 8,4 7,6 7,1 104,9 104,0 109,86 112,0 115,6 |119,6 
15,0 | 14,0 | 13,9 12,8 93,5 93,9 | ,95,0 93,9 94,6 | 94,9 
1,5 2,8 2,2 2,3 88,2 88,9 89,4 87,1 | 87,6 92,7 
| 47,4 | 52,3 | 46,7 | 43:1 | 362,6 | 365,6 | 381,1 | 378,7 | 386,9 |400,6 | 


EE Ee 


(Fortsetzung). 


Miszellen. 235 


Nicht eingezahltes Aktienkapital. Konsortialbeteili- 


gungen. Dauernde Beteiligungen bei anderen Banken u. = 
Bankfirmen. Bankgebäude. Immobilien u. sonst. Aktiva 3 
Bllansübenisht vom Bezeichnung der Bank 2 
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 3 
1913 a 
8 l 9 10 
5,518 6,229 6,208 6,429 6,486 — [Mecklenburgische Bank 57 
12,998) 13,090) 13,423) 13,502) 13,463) 16,385] Mecklenburgische Spar-Bank 58 
0,654 0,661 0,719 0,763 0,812 0,582] Vereinsbank in Zwickau 59 
0,628 0,892 0,890 0,979 0,979 0,973] Oberlausitzer Bank zu Zittau 60 
8,473 8,695 8,546 9,006 8,726 7,493] Oldenburgische Spar- E Leih-Bank 61 
0,611 0,656 0,850 0,694 0,779 0,563| Plauener Bank Aktienges. 62 
0,483| 0,527 0,677 0,725 0,765 — | Vogtländische Credit-Anstalt Aktges. 63 
0,135 0,127 0,135| 0,141 0,155 0,101] Coburg-Goth. Credit-Ges. 164 
0,358 0,541 0,339 0,372 0,368 0,298] Norder Bank Aktienges. 65 
0,306 0,379 0,400 0,371 0,411 0,264] Bankverein Gelsenkirchen Akt.-Ges. 66 
0,392 0,405 0,366 0,437 0,451 0,364] Creditverein Neviges 167 
1,596 1,608 1,579 1,602 1,612 — Krefelder Bank Actien-Ges. 68 
2,978 3,004 3,123 3,247 3,437 2,500] Oldenburgische Landesbank 69 
0,351 0,383 0,296 0,385 0,376 0,273| Niederlausitzer Bank, Aktienges. 70 
0,550 0,592 0,848 0,713 0,724 0,497| Potsdamer Credit-Bank 71 
0,574 0,573 0,573 0,573 0,583 0,390| Westdeutsche Vereinsbank 72 
0,073 0,073 0,088 0,103 0,127 0,082] Kattowitzer Bankverein Aktges. 73 
0,179 0,801 0,821 0,850 0,869 — Neuvorpomm. Spar- u. Cred.-Bank A.-G. 74 
0,117 0,123 0,133 0,143 0,148 0,104| Weseler Bank, Akt.-Ges. 75 
0,153 0,166 0,180 0,195 0,209 0,128] Barmer Creditbank 76 
0,053 0,059 0,072 0,078 0,087 0,041] Oberschlesischer Credit-Verein 77 
0,607| 0,619) 0,640) 0,656 0,8731 0,597| Geestemünder Bank 78 
0,107 0,111 0,129 0,146 0,161 0,070] Zentral-Bank Aktienges. 79 
0,397| 0406 — 0,427 0,4205 — |Heilbronner Gewerbekasse A. G. *) 80 
0,421 0,421 0,421 0,421 0,421 0,421] Bremer Bank-Verein 81 
0,097 0,118 0,147 0,163 0,178 0,080| Emmericher Creditbank A. G. 182 
0,697 0,690 0,698 0,707 0,701 0,695] Gronauer Bankverein 83 
0,487| 0500| — 0,532 0,5562] 0,478] Leipziger Vereinsbank *) 184 
0,389 0,420 0,396 0,404 0,403 0,396] Rheiner Bankverein 85 
0,348| 0,353] 0,361 0,374 0,381 —  [|Sauerländischer Bankverein A.-G. 86 
0,711 0,775 0,748 0,761) 0,780 — Neustädter Bank 87 
0,534 0,476 0,478 0,490 0,533 — Forbacher Bank Aktienges. 88 
0,108 0,109 0,115 0,122, 0,127 0,041] Volksbank Geilenkirchen-Hünshoven 89 
0,036 0,036| 0,036 0,036 0,036 — Osterholz-Scharmbecker Bank 90 
0,047 0,049! 0,065 0,071 0,076 0,075| Radevormw. Volksbank Garschagen & Co. |91 
1273,2 |1354,5 1354,6 [1328,7 |1377,2 — Summe der inländischen Kreditbanken 
Davon entfallen auf: 

746,8 | 786,1 784,7 767,8 | 790,2 762,3 |8 Berliner Großbanken 
526,4 | 568,4 | 569,9 561,1 587,0 — die übrigen inländischen Kreditbanken 

banken. 

13,4 14,4 13,6 14,0 14,4 13,4 | Deutsche Orientbank 1 
8,1 7,5 8,8 7,8 ZA 8,1 | Deutsche Ueberseeische Bank 2 
0,7 1,2 0,6 0,7 0,6 1,6 | Deutsche Palästina-Bank 3 
22,2 | 23,1 | 23,0 | 22,3 | 22,4 23,1 | Summe der Ueberseebanken 

banken, 

1197,9 |1198,6 |1209,3 |1199,9 |1204,1 |1215,3 | Bayer. Hypotheken- & Wechselbank 1 
510,2 | 512,7 | 514,8 | 510,0 | 512,8 | 516,9 | Bayerische Vereinsbank 2 
414,5 | 417,5 | 421,6 | 424,0 | 426,8 | 426,0 | Bayerische Handelsbank 3 

59,8 58,8 61,1 59,4 60,4 56,5 | Württembergische Vereinsbank 4 

2182,4 2187, [2206,58 |2193,3 12204, 2214,7 | Summe der Hypothekenbanken 


236 Beträge in Millionen Mark ?) Pas- 
E Aktienkapital und Reserven 
© 
= Bezeichnung der Bank SS S 
£ Bilanzübersicht vom 
S 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. |31./12. 
kel I mm 0000 
1913 
2 3 |l 
I. Inländische 
1 | Deutsche Bank 310,0 312,5 312,5 312,5 312,5 312,5 
2 | Direction der Disconto-Gesellschaft 281,3 281,3 281,3 281,3 281,3 [281,3 
3 | Dresdner Bank 261,0 261,0 261,0 261,0 261,0 261,0 
4 Bank für Handel und Industrie 192,0 192,0 192,0 192,0 192,0 |192,0 
5| A. Schaaffhausenscher Bankverein 179,2 179,2 179,2 179,2 179,2 |169,9 
6 | Nationalbank für Deutschland 105,8 106,0 106,0 106,0 106,0 |106,0 
7 | Commerz- u. Disconto-Bank 98,5 99,0 99,0 99,0 99,0 99,0 
8 | Mitteldeutsche Creditbank 69,1 69,5 69,2 69,2 69,2 | 69,1 
9 | Allgem. Deutsche Cred.-Anstalt 150,6 156,6 156,6 156,6 156,6 |156,7 
10 | Barmer Bankverein, Hinsberg Fischer & Co. | 116,1 | 116,1 116,1 116,1 116,1 116,1 
11 | Rhein. Creditbank, Mannheim 113,8 113,8 113,8 113,8 113,8 112,2 
12 | Rhein. Westfäl. Disconto-Ges. 113,4 113,4 113,4 113,4 113,4 113,4 
13 | Essener Credit-Anstalt 95,1 116,2 116,2 116,2 116,2 |116,2 
14 | Bergisch Märkische Bank 104,4 104,6 104,6 104,6 104,6 |104,6 
15 | Mitteldeutsche Privat-Bank Aktges. 68,0 68,2 68,2 68,2 68,2 | 68,2 
16 | Nordd. Bank in Hamburg 64,5 64,5 64,5 64,5 64,5 65,0 
17 | Pfälzische Bank 60,8 60,8 60,8 60,8 60,8 60,8 
18 | Schlesischer Bankverein 69,3 70,0 70,0 70,0 70,0 70,0 
19 | Süddeutsche Disconto-Gesellschaft A.-G. 54,3 54,3 54,3 54,3 54,3 54,3 
20 | Hannoversche Bank 45,8 45,8 45,8 45 8 45,8 45,7 
21 | Vereinsbank in Hamburg 43,6 43,6 43,6 43,6 43,6 43,9 
22 | Deutsche Nationalbank, Kommdges. a. A. 36,9 36,9 36,9 36,9 36,9 | 36,8 
23 | Deutsche Effecten- & Wechsel-Bank 33,2 33,2 33,2 33,2 33,2 | 33,2 
24 | Deutsche Vereinsbank 33,9 33,9 33,9 33,9 33,9 33,9 
25 | Rheinische Bank 31,4 31,7 31,7 31,7 31,7 29,9 
26 | Ostbank f. Handel und Gewerbe 31,2 31,4 31,4 31,4 31,4 31,4 
27 | Norddeutsche Creditanstalt 27,5 27,6 27,6 27,6 27,6 27,8 
28 | Allgem, Elsässische Bankgesellsch. 22,9 22,9 22,9 22,9 22,9 23,2 
29 | Mittelrheinische Bank 23,2 23,2 23,2 23,2 23,2 23,2 
30 |Magdeb. Bankverein 18,6 18,7 18,7 18,7 18,7 18,7 
31 | Bk. f. Thür. vorm. B. M. Strupp Akte. °) 10,6 10,6 10,6 16,3 16,3 10,6 
32 | Brschw. Bk. u. Kreditanst. A.-G. 16,6 16,6 16,6 16,6 16,6 16,6 
33 | Chemnitzer Bank-Verein 18,4 18,4 18,4 18,4 18,4 18,2 
34 | Osnabrücker Bank 18,9 18,9 18,9 18,9 18,9 18,9 
35 | Danziger Privat-Actien-Bank 17,5 17,6 17,6 17,6 17,6 17,6 
36 | Anhalt-Dessauische Landesbank 14,1 14,1 14,1 14,1 14,1 14,1 
37 | Hildesheimer Bank 16,2 16,2 16,2 16,2 16,2 16,2 
38 | Stahl & Federer Aktienges. 12,5 12,5 12,5 12,5 12,5 12,6 
39 | Westholsteinische Bank 14,6 14,7 14,7 14,7 | 14,7 14,7 
40 | Königl. Württ. Hofbank G. m. b. H. 10,383) 10,333] 10,333| 10,333) 10,333| 10,333 
41 | Königsberger Vereins-Bank 12,190) 12,289| 12,289| 12,282 12,277| 12,275 
42 | Privatbank zu Gotha 11,674| 11,674| 11,674) 11,674 11,674| 11,678 
43 | Schlesische Handels-Bank Aktienges. °) 10,247| 10,247| 10,247| 10,296, 10,296| 10,207 
44 | Württ. Bankanst. vorm. Pflaum & Co. 13,412] 13,512] 13,512) 13,512) 13,512| 13,512 
45 | Märkische Bank *) 10,100| 10,100) — 10,100 10,100| — 
46 | Mülheimer Bank 9,998| 10,024) 10,024| 10,024 10,024| 10,024 
47 | Commerz-Bank in Lübeck 9,560 9,560 9,560 9,560 9,560 9,560 
48 | Löbauer Bank 9,238 9,300 9,300 9,300 9,300, 9,300 
49 | Holsten-Bank Bou 8,630] Beau Bean Bonn 8,630 
50 | Westfälisch-Lippische Vereinsbk. Aktges. 7,540 7,570 7,570 7,570 7,570| 7,570 
51 Bank f. Handel u. Gewerbe 6,650 Dono 6,650) 6,650, 6,650, 6,725 
52 | Braunschweiger Privatbank Aktges. 6,430| 6,630 6,530 6,630 6,630; 6,630 
53 | Elberfelder Bankverein 6,660) ©,660| 6,560] 6,660) 6,660 6,660 
54 | Mannheimer Bank, Aktges. 6,100| 6,100 6,100) 6,100) 6,100 6,100 
55 | Rostocker Bank 6,1641 Giel Big Biet 6,164) — 
56 | Vogtländische Bank 9,529 9,529 9,529 9,529 9,529 — 
57 | Mecklenburgische Bank 5,336 5,350 5,350 5,350] 5,850 — 
58 | Mecklenburgische Spar-Bank 6,000) 6,050] 6,050) 6,050) 6,050, 6,050 


siva. 237 


Kreditoren 
überhaupt innerhalb 7 Tage fällig 
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom 
_28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. | 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 
1913 1913 
4 l 5 


Kreditbanken. 

1592,4 |1723,9 |1630,6 |1619,0 j1610,2 |1580,0 917,3 |1034,4 994,8 | 945,3 | 915,8 941,8 
596,2 | 667,8 | 647,2 | 654,9 | 672,2 | 674,0 | 290,4 | 335,9 | 308,8 | 298,0 | 305,1 1336,83 
903,2 | 914,5 | 917,4 | 949,4 | 966,1 | 958,4 | 474,3 | 501,7 | 482,7 | 492,5 | 487,7 [509,1 
544,4 604,8 601,7 621,0 615,9 607,7 218,6 295,7 269,7 274,4 275,9 |284,6 
363,7 362,2 351,4 358,9 | 357,4 344,2 113,6 115,1 105,8 108,9 104,4 |104,1 
258,1 | 264,3 | 265,0 | 262,2 | 265,1 | 240,7 79,2 89,1 79,1 75,7 81,1 | 92,8 
287,1 295,2 | 309,5 | 303,1 307,0 316,0 134,6 148,9 140,4 131,2 147,7 |159,9 
113,9 | 118,2 107,9 | 123,8 132,8 130,8 44,0 46,0 44,0 45,1 47,1 56,8 
235,5 243,1 232,0 243,7 253,0 252,2 140,2 149,6 138,1 144,0 148,5 |145,9 


116,6 116,8 111,8 120,1 116,4 121,3 66,7 68,0 68,1 71,7 69,6 76,9 
182,9 | 187,7 | 185,4 | 186,0 | 189,7 | 184,6 | 92,5 | 944 | 88,8 | 85,5 | 80,8 | 94,5 
128,0 | 121,4 | 119,1 | 120,5 | 120,2 | 120,8 54,5 57,2 52,6 54,8 56,0 | 59,4 
145,8 156,3 162,4 161,9 164,1 166,0 97,9 101,4 107,0 107,1 108,5 113,0 


220,9 227,2 216,7 228,0 223,7 231,4 123,6 130,2 122,9 130,6 128,8 |137,5 
161,5 | 160,8 156,7 162,5 | 168,0 170,8 85,8 87,6 85,3 85,9 91,7 | 99,1 
148,5 | 149,0 | 148,4 | 144,9 | 152,4 | 145,5 48,8 52,4 51,7 43,4 46,0 | 50,5 


120,8 | 127,3 | 124,8 | 128,2 | 128,5 | 132,7 34,9 40,8 39,9 41,0 41,6 | 44,0 
132,0 | 137,4 132,4 139,9 | 140,5 | 147,9 108,4 118,9 110,9 100,9 100,2 |105,6 
56,4 60,7 61,1 60,2 68,9 66,7 20,0 23,6 22,7 20,6 28,3 | 23,8 
SA | 45,3 | 447 | 47,5 | 49,2 | 48,5 | 33,5 | 28,8 | 32,7 | 32,4 | 32,6 | 32,6 
106,4 Inte | 112,9 | 109,2 (usa | 121,9 | 452 | 50,0 | 53,5 | 424 | 46,8 | 63,8 
90,7 88,3 89,6 89,3 89,9 89,3 24,1 26,3 28,4 28,9 31,7 32,8 
29,8 33,7 25,2 31,4 29,9 33,0 8,0 9,8 6,7 IL 9,5 9,3 
19,8 21,1 21,2 20,2 20,1 21,1 12,3 16,4 15,3 13,2 10,5 11,0 


39,1 40,1 38,2 39,5 42,2 40,8 14,5 14,9 15,8 13,8 14,6 | 15,8 
87,9 | 86,0 | 864 | 904 | 90,7 | 98,5 | 50,0 | 495 | 48,9 | 51,9 | 511 | 57,8 
67,2 66,8 63,3 68,6 70,8 70,8 28,9 28,3 28,0 31,4 32,1 31,9 
77,3 78,3 81,1 76,3 75,1 74,3 40,5 43,0 44,7 40,7 40,4 | 43,9 
21,0 21,3 24,2 24,0 24,0 22,7 7,8 6,2 6,6 7,5 7,4 6,6 
36, | 33,9 | 337 | 407 | 388 | 35,9 | 255 | 24,5 | 244 | 291 | 28,6 | 27,2 
43,1 47,0 48,3 44,7 46,1 48,3 36,2 35,5 34,9 34,2 33,9 | 34,9 


35,8 35,0 33,7 33,0 36,6 36,0 20,5 20,1 19,1 19,1 22,3 | 21,4 
19,1 18,5 18,2 20,0 20,1 20,2 8,3 8,7 8,8 9,5 9,3 | 10,0 
441 44,3 43,3 44,3 45,2 45,8 15,1 16,0 16,1 15,6 16,7 -| 16,1 
41,0 39,2 35,8 37,5 35,9 37,3 22,1 20,8 19,3 19,3 19,1 20,4 
41,5 40,8 41,3 49,5 41,2 41,5 12,0 12,8 13,0 13,2 13,8 13,5 
27,3 27,3 25,9 21,9 22,1 23,1 10,2 10,6 10,5 8,1 7,2 8,7 
23,3 24,5 25,9 25,7 25,7 25,4 16,5 17,6 17,8 18,0 17,7 17,2 
52,6 52,5 52,8 54,8 58,4 58,6 18,7 18,5 18,9 20,9 24,0 | 23,9 


10,660| 10,376) 10,000| 10,239| 9,616| 10,082 7,341 6,547 6,355 6,672) 6,120] 6,427 
15,108| 14,538) I4,291| 14,390) 14,432] 15,576 9,006 8,986 9,172 8,065 7,7711 9,258 
13,849] 14,374| 15,141] 14,792) 15,783] 15,716 10,628] 11,271! 11,855) 11,036) 11,852| 11,484 
14,672| 12,802| IT,aog 12,194| 13,889) 489) Gong 6,545] 7,1800) 6,550 Dänn 7,393 
8,341) 8850| 8,361) 8,815) "aal 8962| Gaul 6,07 7,128) 7,298) Donn 7,872 
9,516) 9,244 — 8,107 8,097 == 2,447 2466| — 2,121 2,042 = 
10,036| 9,714| 10,477| 9,551 9,869| 10,114] 4,022| 4,028| 4,4129] 3,678 3,820| 4,072 
13,167| 13,046| 13,295) 13,843] 14,212) 14,758 7,095 5,627 6,523 7,127 7,806| 6,963 
20,879| 20,306| 20,872| 20,631] 20,523) 20,834 5,743 5,840 5,778 5,853 6,193| 5,695 
20,296| 19,887| 19,591| 20,698| 20,928| 21,521 7,068| 6,862 6,410 7,566 7,673) 8,255 
13,241) 13,261) 12,762) 13,791| 13,838| 14,194] 5,052] 5,085) 4,1387) 4,763| 4,335) 5,119 
7,910| 7,408 7,090) 6,889 7,608| 8423| 3,919 4,059) 4,084 3,6701 4,303] 5,079 
10,572) 11,132| 10,723) 11,275 11,462] 11,544 6,2151 6,962] 6,541 6,863 6,971) 7,580 
4,934) 5,294| 5,336) 4,991) 4,740) 5,092] Zänn 2,566| 2,378] 2,365| 2,504] 2,859 
13,498) 13,971) 13,715| 13,989) 14,158] 14,504 2,048| 2,153] 2,236 2,109| 2,141] 2,636 


19,322| 19,247) 19,495| 19,114| 19,019 — 4,081 4,144 5,006 4,985 5,101 == 
32,368) 33,159) 34,526| 35,286| 34,072 — 16,380| 17,128| 18,539| 18,775| 17,787) — 
18,591| 19,369| 19,141] 18,723| 19,221 = 4436| 4,369) 4,410) 4,092] Aan — 


43,316) 43,997] 43,904| 44,905! 45,438] 48,241 7183| 7,775) 9,896| 7,468| 7,688] 9,972 


Beträge in Millionen Mark" Passiv: 


138 
e i Summe der Passiva 
Akzepte und Schecks, Sonstige Passiva (übereinstimmend mit der Summe der Aktiva) 
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom 
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 
1913 1913 
6 l 7 | 
L Inländische 
368,8 306,0 302,2 269,1 323,1 353,1 2271,2 2342,4 2245,3 2200,6 2245,8 |2245,6 
265,0 226,0 204,2 208,2 229,3 282,9 1142,5 1175,1 1132,7 1144,4 1182,8 |1238,2 


304,9 278,8 290,0 262,6 288,5 318,7 1469,1 1454,3 1468,4 1473,0 1515,6 [1538,1 
159,2 | 161,1 | 154,8 | 167,8 | 170,0 | 178,4 895,6 957,9 948,5 980,8 977,9 | 978,1 
123,8 117,1 117,3 124,1 128,1 132,1 666,7 658,5 647,9 662,2 664,7 | 646,2 
79,8 77,4 73,1 76,5 81,3 79,3 443,7 447,7 444,1 444,7 452,4 | 426,0 
81,8 88,8 87,2 91,9 93,7 92,7 467,4 483,0 495,7 494,0 499,7 | 507,7 
55,2 54,5 59,0 56,9 59,4 58,8 237,3 242,2 236,1 249,9 261,4 | 258,7 
92,9 83,1 86,0 91,5 89,8 87,1 485,0 482,8 474,8 491,8 499,4 | 496,0 
73,4 70,5 65,8 72,1 81,6 81,0 306,1 302,9 293,7 308,3 314,1 | 318,4 
113,8 105,2 103,2 104,7 97,7 114,6 410,5 407,7 402,4 404,5 401,2 411,4 
74,7 70,9 70,1 72,3 71,1 777 316,1 305,7 302,6 306,2 304,7 311,4 
38,0 31,4 33,5 38,5 36,9 35,4 278,9 303,9 312,1 316,6 317,2 | 317,6 
55,2 47,6 46,9 56,6 54,7 55,9 380,5 379,4 368,2 389,2 383,0 | 391,9 
49,7 43,4 45,1 40,8 46,7 53,2 279,2 271,9 270,0 271,5 282,9 | 292,2 
66,8 62,9 60,3 58,8 68,2 78,9 279,8 276,4 273,2 268,2 285,1 289,4 
76,1 70,6 71,8 76,7 78,9 78,1 257,7 258,7 257,4 265,7 268,2 271,6 


13,6 10,6 12,5 12,8 12,9 14,8 214,9 218,0 214,9 222,7 223,4 | 232,7 
51,2 51,0 48,0 49,6 54,8 57,4 161,9 166,0 163,4 164,1 178,0 | 178,4 
17,5 18,4 17,4 19,8 22,1 19,4 114,4 109,5 107,9 113,1 117,7 | 113,6 
24,1 21,0 22,5 21,4 24,5 21,1 174,1 176,4 179,0 174,2 183,2 186,9 
32,9 34,2 36,3 36,0 40,8 41,9 160,5 159,4 162,8 162,2 167,6 168,0 
30,3 28,0 28,4 26,5 26,1 28,5 93,3 94,9 86,8 91,1 89,2 94,7 
30,5 29,2 30,3 29,6 31,4 30,7 84,2 84,2 85,4 83,7 85,4 85,7 
27,8 25,5 25,7 28,5 26,1 25,0 98,3 97,3 95,6 99,7 100,0 95,2 
12,0 13,2 13,6 14,7 17,2 14,6 131,1 130,6 131,4 136,5 139,8 | 144,5 
9,9 9,5 9,4 13,6 13,1 9,4 104,6 103,9 100,3 109,8 111,5 | 107,5 
10,0 10,0 9,7 10,9 12,1 13,3 110,2 111,2 113,7 110,1 110,1 110,8 
21,3 20,2 17,1 18,4 20,1 24,0 65,5 64,7 64,5 65,6 67,3 69,9 
12,3 9,8 5,5 6,1 9,6 13,7 67,5 62,4 57,9 65,5 66,8 68,3 
7,9 7,8 9,9 8,3 7,8 9,9 66,6 65,4 68,8 69,3 70,2 68,8 
3,4 2,4 2,6 4,3 4,5 3,0 55,8 54,0 52,9 53,9 57,7 55,6 
4,1 4,0 4,0 4 1 46 4,5 41,6 40,9 40,6 42,5 43,1 42,9 
6,7 5,4 5,6 7,0 7,9 7,2 69,7 68,6 67,8 70,2 72,0 71,9 
5,2 44 4,1 5,9 5,1 3,2 63,7 61,2 58,1 61,0 58,6 | 58,1 
2,1 1,8 1,6 2,2 3,1 2,9 57,7 56,7 57,0 56,8 58,4 58,5 
4,5 4,5 5,1 5,6 5,0 4,2 48,0 48,0 47,2 43,7 43,3 43,5 
9,1 8,7 8,6 7,4 7,9 6,5 44,9 45,7 47,0 45,6 46,1 44,5 
11 0,4 1,2 0,6 0,4 1,6 68,3 67,6 68,2 69,6 73,5 74,9 


4,790 5,918 5,026 4,724 4,247 5,062 25,783 26,627 25,359 25,296 24,196) 25,477 
2,038 1,623 1,780 1,986 2,505 1,751 29,336 28,445 28,360 28,658 29,214| 29,602 
2,518 1,855 1,916 2,420 2,612 2,569 28,041 27,903 28,731 28,886 30,019| 29,963 
5,377 5,915) 6,260 4,687 3,190 6,199 30,296 28,964 27,915 27,177 27,375| 27,859 
7,829 7,254 7,978) 10,502] 9,240 8,825 29,582 29,116 29,851 32,829 30,583| 31,299 


3,308| 2,751 — 3,653| 3,550) .— 23,024 22,095 — 21,860 21,747] — 

4,090 3,666 4,135 4,192 4,297 4,525 24,124 23,404 24,636 23,767 24,190) 24,663 
3,295 2,639| 3,545 4,408| 4,417 2,477 26,022 25,245 26,400 27,811 28,189| 26,790 
3,270] 2,661| 2,443] Zänn 2,342] 2,705 33,387 32,267 32,615 32,320 32,165| 32,839 
1,762| 1,324 1434| 2,361 2,197 1,713 30,658 29,841 29,655 31,689 31,755) 31,864 


4,041) 4,163) 4,237 4444| 4,797| 4,541 24,822 24,994 24,569 25,805 26,200) 26,305 
1,974 1,568| 2,08% 2,417) 3,254] 2,480 16,534 15,626 15,822 15,956 17,512| 17,628 
1,040| 0,520 0,895 1,045 1,234 1,055 18,042 18,282 18,248 18,950 19,326) 19 
2,266 1,735 1,894 1,921 2,327 2,248 13,860 13,689 13,890 13,572 13,727| 13,930 
4,935| 5,047) 5,188) 5,836) 5,744] 5,677 24,527 24,518 25,003 25,875 26,002| 26,281 


0,295 0,501 0,402 0,498 0,654 — 25,781 25,912 26,061 25,776 25,837| — 
3,971| 3,524| 3,491] 4,352| 4,238 — 45,863 46,212 47,546 49,167 47,839) — 
0,939 1,100 1,243| 1,116 1,251 = 24,866 25,819 25,734 25,189 25,822 


0,842 0,638 0,682 1,599 1,743 0,741 50,158 50,685 50,636 52,554 53,231] 55,032 


(Fortsetzung). 
Durch Spalte 3 der Aktiva sind gedeckt: 23 


Ka 


Die Kreditoren über- Die innerhalb 7 Tage 
haupt (Sp. 4) fälligen Kreditoren (Sp. 5) EI 
mit Prozent | mit Prozent Z 
Bilanzübersicht vom p 3 Bezeichnung der Bank = 
ARREBEIHE E |s|s E 
> EH eler SCH, el E E 
S S S ei SS 5 g S g e = SS EI 
1913 1913 5 
8 l Ge Ee 10 11 

Kreditbanken. 

%2! 56| 70| 51| 5,6] 8,1] 90 oul 11,5| 8,8 Deutsche Bank 1 
2,6 37|63| 3,0144 | 741 54| 74! 132| 65 Direction der Disconto-Gesellschaft 2 
36 35| 56| 30| 3,7 | 7,21 6,8] 6,41 10,6) 5,7 Dresdner Bank 3 
3»4 | 52| 7,0| 5,6| 5,0 | Bol Bal 10,7| 15,6 | 12,7 Bank für Handel und Industrie 4 
2,91 35| 49| 39| 42 | 73| 93] 11,0) 16,4 | 12,8 A. Schaaffhausenscher Bankverein 5 
2,8 2,6) 3,8 30| 3,3 | 6,1] 90) 7,7) 12,8 | 10,4 Nationalbank f. Deutschland 6 
4,0 | 41) 50) 39| 41 | ssf Bal Bal 10,6 | 9,2 Commerz- u. Disconto-Bank 7 
An. 50| 5,1| 4,7| 3,6 | 6,9]10,7| 12,8| 12,6 | 12,9 Mitteldeutsche Creditbank 8 
3842| 54 3,8 3.8 6,31 6,3 | 6,7 ER? 6,3 Allgem. Deutsche Cred.-Anstalt 9 


Barmer Bankverein Hinsberg Fischer & Co. | 10 
Rhein. Creditbank, Mannheim 11 
Rhein. Westfäl. Disconto-Ges. 12 
Essener Credit-Anstalt 13 
Bergisch Märkische Bank 14 
Mitteldeutsche Privat-Bank Aktges. 15 
s| Nordd. Bank in Hamburg 16 
Pfälzische Bank 17 
Schlesischer Bankverein 18 
Süddeutsche Disconto-Gesellschaft A.-G. 19 
Hannoversche Bank 20 
Vereinsbank in Hamburg 21 
Deutsche Nationalbank, Kommdges. a. A. 22 
Deutsche Effecten- & Wechsel-Bank 23 
Deutsche Vereinsbank 24 
Rheinische Bank 25 
Ostbank f. Handel und Gewerbe 26 
Norddeutsche Creditanstalt 27 
Allgem. Elsässische Bankgesellsch. 28 
Mittelrheinische Bank 29 
Magdeb. Bank-Verein 30 
Bk. f. Thür. vorm. B. M. Strupp Akte Pn |31 
Brschw. Bk. u. Kreditanst. A.-G. 32 
Chemnitzer Bank-Verein 33 
Osnabrücker Bank 34 
Danziger Privat-Actien-Bank 35 
Anhalt-Dessauische Landesbank 36 
Hildesheimer Bank 37 
Stahl & Federer Aktienges. 38 
Westholsteinische Bank 39 
Königl. Württ. Hofbank G. m. b. H. 40 
Königsberger Vereins-Bank 41 
Privatbank zu Gotha 42 
Schlesische Handels-Bank Aktienges 5) 43 
Württ. Bankaust. vorm. Pflaum & Co. 44 
Märkische Bank *) 45 
Mülheimer Bank 46 
Commerz-Bank in Lübeck 47 
Löbauer Bank 48 
Holsten-Bank 49 
Westfälisch-Lippische Vereinsbk. Aktges. 50 
Bank f. Handel u. Gewerbe 51 
Braunschweiger Privatbank Aktges. 52 
Elberfelder Bankverein 53 
Mannheimer Bank, Aktges. 54 


33 Zeil 39| 34137 | 7,6] 58, 74| 6,4 | 56 
2,6 30| 36| 235| 25| 38] 52| Sai 7,5| 55 
2,3, 2,9 3,6) 2,9| 3,2 | 6,1] 5,3 6,1) 8,2 6,4 
42 | 50| 78| 44 
26| %7| 42| 28/32 | 5,3] 46| 8,3] 7,4 | 48 
2,4 34| 39| 2,4129 | 5,61 4,6| Bäi 7,1 
3,6 49| 2,2, 2,3| 3,3 | 3,3[10,8| 14,0) 6,2| 755 
BI: 33| 48| 30| 44 | 5,3[10,7| 20,4) 15,1 | 93 
2,2 Zeil 3,7| 1,5) 1:9 | 4,9| 2,6) 2,8) 4,4 | 21 
2,6 10,7) 3,9) 2,2| 3,4 | 6,3] 7,4| 27,7) 10,5 | 0,6 
33 | 43| 8,2| 3,4 | +3 10,6] 51| 6,8 11,2| 50 
24 7°4| 48| 49) 43 | 6,5| 8,1 16,4) 10,2 | 12,7 
42 | 3| 43| 36| 3,6 | 7,5|15,9) 14,3) 13,5 | 150 
7,12 8,8 14,4| 6,7| 79 | 8,5 126,4 | 30,4| 54,0 | 19,0 
44 | 7,5 /10,8| 48| 5,3 110,6] ze 9,6| 15,0 | 74 
2,3 | 23| 0| 1,5) 56 | 2,41 3.4| 36| 10,0 | 43 
2,6| 2,9) 3,3| 
2,3 | 2,3) 35| 2334|27 | 47] 54| 54| Bol 52 
29| 41| 37| Sal zl „ol 551 74 68| %5 
1,9 | 2,2| 3,1| 2,8| 5,7 | 49] 52| 77| 11,4 | Bé 
28| 31| 41l 2,1] 3,0| 79| 40| 4,3 
2,7 | 2,5| 3,41 230| 31| 3,41 36) 3,3) 47| 36 
1,8 ' 1,9| 3,8| Tal 38 | 6,7 A) 33 68| 24 
ap 59| HI| 33| 32| 51f11,0| 12,5) 8,8| 7,0 
3,2 | 36l 4,2| 32| 33| 431 94| 98| 11,3| 90 
2,6 | 2,8 36| 332| 33| 53| 48| 53| 67| 62 
Zi 1,8; 2,9| 1,3| 21 | 36| 6,8| 5,6 g| 39 
50 28| Säi 37| 33| 9134| 71| 13,4 | 99 
53| #6) 53| 35| #6 | 70] 76| 64| al 50 
31| 5,7) 42| 36| 41| 45f BBI 16,2| 11,6 | 95 
3857| 35| 56| 29 151] Sal oui sel 87 
1,8| 2,2| 1,6| 2,9 | 3,5| 2,9| 2.9 3,5 2,8 
6,9) 97| 7,6| 5,6 | 90] 8,6| 8,91 12,3 | 10,2 
32 | 38| Seil 2,4|3,5| SI 78| 7,31 Bal 44 
44 | 6,7| 6,5 110,71 59 | Df Sail Bal zl 12,9 
7»4 | BI — | 7,1 | 8,6 | — |28,9| 25,61 _ | 27,0 
2,4 2,81 1,8| 2,0 | 42| 47| Aal 44| #5 
49| 44| 57| 48| 47 | Zil 91| 102| nal 94 
Së Sall 2,3| 1,5 3,8 | 361 61| 71| 82| 54 
5:1 | 58| 6,3| 5,01 5:3 | 7,0|14,8| 16,8| 19,1 | 13,5 
1,6 | 1,7| 29| 1,1| 1,7 | 37| 43| 44| Gel 32 


x 
Ò 
G 
AN 
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Si 
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bi 
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2 
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b 


x 
© 


| 55 
3-7 | 36| 6,8] 3,5| 3:8 | — baal 16,7| 26,5 | 13,3 Rostocker Bank 
2,7 | 42| 26| 35| 30| — | 53| 82| Aal 66 Vogtländische Bank 56 
3:6 | 2,6| 79| 31| 3,5 | — baal 11,4| 34,1 | 13,1 Mecklenburgische Bank 57 


2,8 | 2,9! 45| 2,9! 3,1 | 2,9'16,7| 16,1| 20,1 | 17,2 13,9| Mecklenburgische Spar-Bank 58 


240 


Beträge in Millionen Mark?) 


Miszellen. 


Passiva 


E Aktienkapital und Reserven 
E) 
Ki i k 
S EE Bilanzübersicht vom 
3 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. |31./12. 
1913 
1] 2 | 3 
59 | Vereinsbank in Zwickau 6,939 6,979 6,979 9,979| 6,979 
60 | Oberlausitzer Bank zu Zittau 3,480 5,000 5,000 5,000 5,000 
61 | Oldenburgische Spar- u. Leih-Bank 6,000] 6,0001 6,000] 6,000) 6,000 
62 | Plauener Bank Aktienges. 4,610 4,610 4,610 4,610 4,610 
63 | Vogtländische Credit-Anstalt Aktges. 4,193 4,748 4,743 4,743 4,143 
64 | Coburg-Goth. Credit-Ges. 4,889 4,889 4,889 4,889 4,889 
65 | Norder Bank Aktienges. 2,999|  2,999| 4,009| 4,009| 4,009 
66 | Bankverein Gelsenkirchen Akt.-Ges. 3,208 3,262 3,262 3,262 3,262 
67 | Creditverein Neviges 3,701 3,730 3,730 3,730 3,730 
68 | Krefelder Bank, Actien-Ges. 3,169 3,169 3,169 3,169 3,169 
69 | Oldenburgische Landesbank 3,725| 3,742 3,742) 3,742] 3,742 
70 | Niederlausitzer Bank, Aktienges. 2,725 2,765 2,765 2,765 2,765 
71 | Potsdamer Credit-Bank 3,062| 3,082| 3,082] 3,082] 3,082 
72 | Westdeutsche Vereinsbank 2,6661 2,7112] 2,712] 2,7182) 2,718 
73 | Kattowitzer Bankverein Aktienges. 2,248 2,268 2,268| 2,268 2,268 
74| Neuvorpomm. Spar- u. Credit-Bank A.-G. 1,080| 2,208] 2,203] 2,208] 2,208 
75| Weseler Bank Akt.-Ges. 2,810 2,810 2,810 2,810 2,810 
76 | Barmer Creditbank 2,045 2,045 2,045 2,045 2,045 
77 | Oberschlesischer Credit-Verein 2,180) 2,180] 2,180] 2,1801 2,180 
78 | Geestemünder Bank 2,245| 2,245 2,2451 2,245 2,245 
79 | Zentral-Bank Aktienges. 1,560 1,560 1,560 1,560 1,560 
80 | Heilbronner Gewerbekasse A.-G.*) 1,520 1,550 — 1,550 1,550 
81 | Bremer Bank-Verein 1,270) 1,270) 1,270) 1,270| 1,270 
82 | Emmericher Creditbank A.-G. 1,280) Lë 1,230| 1,280) 1,280| 
83 | Gronauer Bankverein 1,189 1,148 1,148 1,148 1,148| 
84 | Leipziger Vereinsbank *) 1,380| 1,399 — 1,399| 1,899, 
85 | Rheiner Bankverein 1,132 1,134 1,134 1,134 1,184] 
86 | Sauerländischer Bankverein A.-G. 1,014 1,024 1,024 1,024 1,024 
87 | Neustädter Bank 0,847] 0,847] 0,847 0,847] 0,847 
88 | Forbacher Bank Aktienges. 0,518] 0,518| 0,525] 0,525) 0,525) 
89 | Volksbank Geilenkirchen-Hünshoven 0,196| 0,501] 0,501] 0,501] 0,501 
90 | Osterholz-Scharmbecker Bank 0,260 0,260 0,260 0,260 0,260, 
91 | Radevormwalder Volksbank, Garschagen & Co. 0,250| 0,250) 0,2501 o,250| 0,230! 
Summe der inländischen Kreditbanken 3246,9 |3277,9 |3265,5 |3284,3 |3284,2 — 
Davon entfallen auf: 
8 Berliner Großbanken 1496,8 |1500,4 |1500,1 |1500,1 |1500,1 [1490,8 
die übrigen inländischen Kreditbanken 1750,1 |1777,5 1765, |1784,2 |1784,1 — 
II. Uebersee- 
1 | Deutsche Orientbank 33,6 33,8 33,8 33,8 33,8 33,8 
2| Deutsche Ueberseeische Bank 38,2 | 38,8 | 38,8 | 38,8 | 38,8 | 38,8 | 
3 | Deutsche Palästina-Bank 22,9 23,5 23,5 23,5 23,5 23,5 
Summe der Ueberseebanken I 947 | 961 | 91 | 9,1 | 961 |961 | 
IH. Hypotheken- 
1 Bayer. Hypotheken- & Wechselbank 118,9 131,0 131,2 | 131,2 131,4 |131,8 
2| Bayer. Vereinsbank 66,8 67,8 76,4 76,5 76,4 76,4 
3 | Bayerische Handelsbank 58,6 59,0 59,0 59,0 59,0 | 58,5 
4 | Württembergische Vereinsbank 53,4 53,7 53,7 53,7 53,7 53,7 
‚Summe der Hypothekenbanken | 297,7 | 311,5 | 320,3 | 320,4 | 320,5 |319,9 


Miszellen. 241 


(Fortsetzung). 
Kreditoren 
überhaupt innerhalb 7 Tage fällig 
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom 
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. | 28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. 31./12. 
1913 1913 z 
4 l ze i 5 


24,448| 23,158 23,000), 23,724| 24,723] 26,186] 13,462| 12,135 12,195| 12,802| 14,013) 15,005 
8,608 8,212 8,122 8,609 8,749 8,316 3,810 3,747 3,784] 4,208 4,057) 3,416 
58,316) 57,862 57,509) 58,538) 59,557) 63,808 8,869 8,604 8,866 9,530 9,889) 10,598 
11,063) 10,926 10,670 11,243) 11,386) 12,193 6,512 6,585 6,185. 7,294 7,548| 8,216 
9,249 9,373, 9,624 9,520| 10,287 _ 6,123 6,070 Sang 6,940 7,109 — 
2,538 2,684 2,554 2,552 2,504 2,552 1,078 1,161 1,051 1,156 1,126| 1,054 
10,502) IO,566 9,592) 10,242| 10,419| 10,736 2,190 2,038 1,813. 2,361 2,308, 2,270 
5,240 5,245 5,237 5,300 5,087 5,033 2,012 2,052 1,865 1,971 1,921| 1,993 
3,936 4,138 3,980 3,898 3,753 3,940 1,890 2,026 2,032 1,945 1,906) 2,039 
3,901 3,978 3,770 3,618 3,520| — 1,018 1,140 1,023) 1,017 1,061] — 
62,522! 60,409) 57,804| 56,873| 61,060| 63,584] 14,139| 11,546| 11,469 11,400| 12,846| 14,050 
5,860 6,038 7,109 6,918 6,554 6,850 3,378 3,759 3,549 3,828 4,090| 4,089 
6,881 7,622 7,173 7,447 7,120! 7,453 3,533 4,387 4,009 4,149 4,121] 3,302 
3,591 3,241 2,515 1,920 2,065 1,991 0,873 0,948 0,818 0,730 0,912| 0,799 
4,651) 5,489 4,599 4,983 5,136) 5,241 3,977 3,894 4,165 3,851 4,022| 4,292 
Bann 8,728 8,542 8,570 8,733) — 3,078 3,321 3,163 3,118 3106|) — 
3,841) 3,818 3,767 3,712 3,7381) 4,081 0,689 0,740 0,701 0,621 0,662| 0,737 
2,503 2,504 2,617 2,634 2,577 2,524 1,220 1,305 1,381 1,352 1,334| 1,313 
2,121 2,256 2,271 2,359 2,309 2,753 1,298 1,167 1,210 1,357 1,361| 1,767 
11,500) TII,148| 11,072| 10,985| 10,837| 11,118 4,134 3,806 3,856 3,949 3,870) 4,011 
3,193 3,293 3,643 3,638 3,557 3,711 0,246 0,292 0,301 0,398 0,246| 0,317 
4,712 4,882 _ 4,951 4,664 — 1,640 1,818 _ 1,772 1,901 — 
6,905 6,670 6,280 6,315 6,232 6,510 2,620 2,554 2,485 2,644 2,447| 2,557 
1,938 1,857 1,745 1,763 1,605 1,693 0,164 0,440) 0,35€ 0,328 0,434) 0,428 
4,044 4,204 2,824 2,863 3,050 2,895 2,396 2,104 1,859 1,978 1,9891| 1,829 


3183| 3,215 — 3,158|  3,155| 3,185] 0,429| 0,483 E 0,436) 0,440| 0,459 
3881| 3,612] 4,024) 3,158| 3,9831 4,700] 2,569) 2,591 2,729) 2,254 2,433) 2,741 
oeisl 0,652) 0,659| 0,592] 0,602 — 0,1751 oun 0,186) oun 0152 — 
4549| 4,567) 4721| 4,25] 4,507 — 0,335| 0,359| 0,502| 0,35 0,286) — 
2225| 2,240 2,478| 2,085] 2,843 — 0,452) 0,827 1,082 1,259 1436| — 
4335| 4184| 4,331) 4,346| 4,388) 4,562] 0,591| Gänn oan 0,5$2| oe 0,642 
0,905| 0,849| 0,866| 0,888) 0,823 — 0,064| 0,142| 0,080) 0,149] 0,087| — 
1,407 1,409 1,434 1,402 1,390 1,132| onge 0.25| 0,022] oun 0,009) 0,006 


7859,1 18181,0 |7991,2 |8133,9 |8224,8 — [3807,98 |4161,3 |3993,7 |3933,7 |3955,2 = 


4658,1 4950,98 14830,6 |4892,3 4926,72 |4851,8 
3201,0 |3230,1 3160,68 |3241,6 |3298,1 — 


2271,9 |2566,9 |2430,8 |2370,9 |2364,9 |2485,3 
1536,0 |1594,4 |1562,9 |1562,8 |1590,3 E 


261,0 265,8 255,2 257,0 250,3 241,6 131,3 131,4 123,3 123,6 119,4 |123,6 
56,3 68,4 72,6 63,0 63,9 34,7 9,2 10,9 11,9 8,2 9,2 9,4 


381,6 | 403,6 | 393,7 | 385,4 | 402,4 | 356,5 187,5 | 193,4 | 182,1 | 175,2 172,1 |180,4 


64,3 69,4 65,9 65,4 88,2 80,2 | 47,0 51,1 46,9 43,4 43,5 | 47,4 
| 


50,3 56,4 59,6 61,1 59,7 57,7 39,1 46,0 47,5 50,0 47,3 | 46,6 

608 | 67,9 67,1 72,4 69,6 73,5 45,6 51,4 50,6 54,0 51,0 | 541 

63,5 | 650 | 66,8 | 69,6 | 69,2 | 69,9 | 41,8 | 445 | 45,2 | 471 | 45,8 | 45,6 

55,6 66,9 60,7 62,3 54,7 61,6 31,6 41,4 | 36,3 35,3 33,9 39,8 

230,2 | 256,2 | 254,2 | 265,4 | 253,2 | 262,7 «| 158,1 183,3 | 179,6 | 186,4 178,0 |180,1 
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 16 


242 Beträge in Millionen Mark”) Passiva 
Akzepte und Schecks. Sonstige Passiva Rummo- der Patita 
P S 8 (übereinstimmend mit der Summe der Aktiva) 
Bilanzübersicht vom Bilanzübersicht vom 
28./2. | 30./4. | 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 28./2. 30./4. 30./6. | 31./8. | 31./10. | 31./12. 
1913 1913 
i 6 L 7 | 
r e = — ne s Së 
2,072 1,478 1,492 2,004 1,985 2,104 33, RA 31,615 31,471 32,707 33,687) 35,269 
0,635 0,474 0,554| 0,604 0,458) 0,600 12,723 13,686 13,676) 14,213 14,207| 13,919 
1,983 1,198 1,621 2,143 2,691 1,488 66, 299 65,055 65,130 66,681 68,248] 71,391 
1,500 1,073 1,209 1,102 1,488 1,467 17.173 16,609 16,489) 16,955 17,484| 18,263 
0,989 1,045 1,051| 1,17% 1,282 — 14,431| 15,161 15,418 15,435 16,312| — 
0,553 0,166 0,111; 0,255 0,285| 0,35% 7,780| 7,139 7,554 7,696 7,678 7,798 
0,300 0,240 0,420 0,444 0,643 0,440 13,801| 13,805 14,021 14,695 15,071| 15,185 
0,590 0,389 0,633 0,457 0,325 0,401 9,038 8,896 9,132| 9,019 8,674 8,696 
0,423 0,224 0,407| 0,438 0,493 0,416 8,060) 8,092 8, 117| 8,066 7,976 8,094 
0,461 0,363 0,530| 0,583| 0,559 — 7,531 7,510 7,460) 7,370 7248| — 
1,323 1,316 1,600 2,448 2,695 0,368 67,570 65,467 63,146] 63,063 67,497| 67,689 
0,301 0,139 0,175 0,208 0,290 0,278 8,886 8,936 10,049 9,891 9,609 9,893 
0,450 0,363 0,504 0,579| 0,747 0,417 10,393 11,067 10,759 II „108| 11,549| 10,906 
0,593 0,367 0,547 0,874 0,870 1,095 6, 840 6,320 5,774 5,506) 5,647 5,798 
0,718 0,545) 0,647 0,447 0,449 0,553 7,617 8,302) 7,514 7,698| 7,853 8,062 
0,265 0,205| 0,281 0,502 0,571 — 9,784 11,136) 11,026 11,275] 11,507 — 
0,241 0,081 0,100 0,257 0,270 0,282 6,892 6,709] 6,677, 6,779 6,861 7,183 
0,431| 0,279 0,325| 0,601 0,567 0,284 4,979, 4,828] 4,987} 5,280| 5,189 4,938 
0,145 0,041 0,050) 0,118| 0,135| 0,257 4,746 4,477 4,501 4,657) 4,624 5,190 
0,1389| 0,044 0,506 0,356) 0,561 0,282 13,884| 13,437 13,823 13,586 13,643] 13,645 
0,368 0,370| 0,19] 0,540) 0,787 0,454 5,121] 5,223 5,622 5,733| 5,904 5,732 
0,490 0,538 — 0,795 0,727 -— 6,722 6,970| — 7,296 6,941 — 
0,111 0,085| 0,196) 0,195 0,222 0,190 8,280) 7,975 7,746 7,780 7,724 7,970 
0,090 0,147| 0,224 0,222 0,276 0,136 ‚258 3,234 3,199 3,215) 3,111 3,089 
0,340 0,359| 0,382 0,528| 0,710 0,643 5,523 5,711 4,354| 4,539 4,908 4,688 
0,544 0,270 — Dänn 0,457 0,311 4,907 4,884| — 4,956 5,011 4,895 
0,347 0,146| 0,094| 0,157 0,431 0,963 5,360 4,892 5,252 4,749| 5,548 6,797 
0,107 0,066 0,081 0,129| 0,121 ES 1,739 1,742 1,764 1,745| 1,747| — 
0,103 0,054 0,128| 0,109| 0,095 _ 5,499 5,468 5,696 5,581| 5,449) — 
0,054 0,076 0,073| 0,127 0,127 —- 2,797 2,834 3,076 3,337 3495|) — 
0,062 0,026 0,143| 0,147 0,166 0,050 4,893 4,711 4,975 4,994 5,055 5,118 
— 0,002 0,020| 0,020| 0,025 -— 1,165 1,111 1,146 1,168 1,108) — 
0,018) 0,018| 0,016 0,047 0,043 0,033 1,675| 1,677| 1,700) 1,699 1,688 1,716 
2491,7 |2282,0 |2259,6 |2286,1ı |2442,5 | — [13 597,7 13 740,9 lı3 516,3 |13 704,3 13 951,5 — 
1438,6 |1309,8 (1288,1 [1257,1 |1373,5 |1496,2 | 7593,5 | 7761,1 | 76188 | 7649,5 | 7800,3 |7838,8 
1053,1 | 972,2 | 971,5 |1029,0 |1069,0 — | 6004,2 | 59798 | 5897,5 | 6054,8 | 6151,28 — 
II. Uebersee- 
7,1 5,8 3,0 5,0 5,3 5,7 105,0 109,0 102,7 104,2 127,3 119,7 
20,7 17,5 18,5 18,8 23,7 23,1 319,9 322,1 312,5 314,6 312,8 303,5 
8,4 5,5 6,7 4,8 2,5 3,1 87,6 97,4 102,8 91,3 89,9 61,3 
36,2 | 28,8 | 28,2 28,6 | 31,5 | 31,9 | 512,5 | 528,5 | 518,0 | soi | 530,0 | 484,5 | 
IH. Hypotheker 
1175,0 |1166,4 |1179,0 |1177,4 |1177,0 |1190,5 1 344,2 1 353,8 1 369,8 | 1369,7 | 1368,1 |1379,5 
518,1 | 514,6 | 516,5 | 520,6 | 523,6 | 532,8 645,7 650,3 660,0 669,5 | 669,6 | 682,7 
425,4 | 425,1 426,6 | 427,1 431,9 | 431,3 547,5 549,1 552,4 555,7 | 560,1 559,7 
73,9 70,1 78,7 71,3 72,2 | 74,3 182,9 190,7 185,1 187,3 | 180,6 189,6 
2192,4 |2176,8 |2192,8 |2196,4 |2204,7 |2228,9 | 2 720,3 2743,9 | 2767,3 | 2782,2 | 27784 |2811 | 


1) Nach den im Reichsanzeiger veröffentlichten Zweimonatsbilanzen zusammengestellt. Die Bilanzübersich 
nicht durchweg das für die Zweimonatsbilanzen vorgeschriebene Schema in Anwendung gekommen ist, so konnten de 
für den Schluß des Jahres 1913 nur für die 8 Berliner Großbanken gezogen worden. 

2) Bei den Banken mit einem Aktienkapital von über 10 Mill. M sind die Ziffern der Uebersichtlichkeit ha 

3) Die Jahresschlußbilanz fällt auf den 30. Juni 1913. 

4) Die Bilanzübersichten der Märkischen Bank in Bochum, der Heilbronner Gewerbekasse und der GE 
stellung nicht enthalten. 


(Fortsetzung). 243 
Durch Spalte 3 der Aktiva sind gedeckt: 
\ Die Kreditoren über- | Die innerhalb 7 Tage S 
H haupt (Sp. 4) | fälligen Kreditoren (Sp. 5) zZ 
| mit Prozent mit Prozent a 
Bilanzübersicht vom z 7 Bezeichnung der Bank E 
a aléiéläiëlazlalsélg ga È 
| ass slsisiëëlslsissg 3 
1913 1913 
| 8 ff: 9 I. 10 11 
3,61 2,4! 2,0| tal 2,1] 38| 6,5| 4.6 3,8 2,5| 3,7 Vereinsbank in Zwickau 59 
a ae 3,7) 3,6, 34| 39| 6f zer Sai 77| 69) Bai Oberlausitzer Bank zu Zittau 60 
9,9, 2,2| 1,3| 09| 19| 13| 60| 14,8; Bal 55| 21,7) Oldenburgische Spar- u. Leih-Bank 61 
Së 48) 47| 39| 40| 67| 99| 78, 77| Gol 6,0 Plauener Bank Aktienges. 62 
6,1) 76| 46| Së Gë — | 92| mt 66| 77| 95| Vogtländische Cred.-Anstalt Aktges, 63 
30) 3.3| 39| 2,9| 26| 57] 70| 7,6, 94| 6,4 | 57 Coburg-Goth. Credit-Ges. 64 
1,0| 1,1) 2,21 2,4| 17| 2,31 48| 5,9, 116 | 103| 715] Norder Bank Aktienges. 65 
17| 2,0 2,8| 19| tal 2,91 43| Säi 77| 50| 5&1 Bankverein Gelsenkirchen Akt.-Ges. 66 
1,5, 36| 2,0| 2,3| 2,7, 83] 32| 714, 39| 45| 54 Creditverein Neviges 67 
| 1,7| 2,2| 2,9| 1,6| 2321 — | 6,5| 75| 20,7) 5,6| 73 Krefelder Bank Actien-Ges. 68 
zl 26| 14| 13157 1,8 Säi 82] 71| 64| 80| Oldenburgische Landesbank 69 
Ap 27| 33| 2,81 33| 56| 52| 44| 65| 51| 52 Niederlausitzer Bank Aktienges. 70 
40) 35| 66| 32| 40| PÉ| 77| 60| 117| 57| 74| Potsdamer Credit-Bank 74 
281 1,8| 2,7| 2,4] 2,8; 40| zë 60| Bäi 6,3| 6al Westdeutsche Vereinsbank 72 
"Al Fr 36) 21| 25| 5f hr 39| 237| 59| Kattowitzer Bankverein Aktienges. 73 
El 31, 5:0) 4:3) 36| — f 8,5] Bä 13,5 | 11,8 | 10,1 Neuvorpom. Spar- u. Credit-Bank A.-G. 74 
2,71 3:7) 39| 233| 34| 55f15,1| 18,9| 20,7 | 13,5 | 193| Weseler Bank Akt.-Ges. 75 
1,4| 31| 5,6, 2,6| 2,4| 7:2] 2,9| 6o| 106| 5,12) 47 Barmer Creditbank 76 
1,5| 2,6| 4,8, 36| 3,7 58| 2,7| 51| 89| 6,2) 6,3, Oberschlesischer Credit-Verein 77 
i 214| 09| 1,7; 1,8| tal 1,61 6,1) 2,6) 48| 50! 38| Geestemünder Bank 78 
2,5 3,4, 6,0! 5,9| 49| 738 ]32,1| 38,4| 72,8 | 54,0 | 70,7] Zentral-Bank Aktienges. 79 
24 2,7) — | 37| 230| — | 70| 45| — | 1092| 6,1 Heilbronner Gewerbekasse A.-G. *) 80 
1,41 2,7! 2,4 17| 23| 34] 36| 72| Gol 41| 60 Bremer Bank-Verein 81 
Gë 04| 0,6, 0,5| gët Gäil tal 16) | 2,7| Gë Emmericher Creditbank A.-G. 82 
"e Gë 05| 59| tal 33| 30f 1,6] Te Bal z,6|.20 Gronauer Bankverein 83 
13,0 106| — | 5,2) 9,9110,5196,3 | 70,41 — | 37,4 | 751 Leipziger Vereinsbank *) 84 
oB 18| 2,0) 8| 5| 37f 25 30| 28| Zë Rheiner Bankverein 85 
Aë 6,4| Bäi 73| 15| — [14| 23,3] 29,0 | 243| 59 Sauerländischer Bankverein A.-G. 86 
09: 2,9| 2,1| obi 1,12) — f12,8| 36,8| 19,5 | 11,3 | 17,1) Neustädter Bank 87 
212 Bel Ae 5,1] 2,6) — |10,4| 21,6) 9,6 | ı10| Si Forbacher Bank Aktienges. 88 
08 0,9| 1,5, 99) rtl 48] 47| 71| mei 6,6 | 7,4 Volksbank Geilenkirchen-Hünshoven 89 
Zë 13| 2,0, 32| 32| — [391| 7,8] 28,3 | 18,8 | 29,9 Osterholz-Scharmbecker Bank 90 
11| 8| DÉI 1,2) 1,5| 1,3 [57,1 108,7) 50,0 |t13,3 |233,3/300,0| Radevormwalder Volksbank, Garschagen & Co. | 91 
36'431 sa| 37| prl — |73) 84 10,8| 76| sai — |Summe der inländischen Kreditbanken 
N Davon entfallen auf: 
39 451 6,1] 42! 4,6 7,4|80| Ba 12,2) 86| 9,6, 14,5] 8 Berliner Großbanken 
30. 39l 431 30] 32| — f 6,3| 80 87| 61) oi — [die übrigen inländischen Kreditbanken 
« banken. 
15,6/14,2 113,9 [11,7 110,6 |11,3 21,4 19,2] 19,6 | 17,6 | 21,6, 10,1 Deutsche Orientbank 1 
20,1 120,8 20,1 120,9 20,6 24,6140,0| 42,2) 41,6 43,5 | 43,3) 48,2] Deutsche Ueberseeische Bank 2 
2,5, 2,3 | 1,6) 19| 16| 7,7l15,3| 14,2| 9,8, 15,0 | 11,3| 28,5 Deutsche Palästina- Bank 3 
16,8 116,5 [15,7 116,3 |15,4 [29,0l341| 34,5! 33,9 | 35,8 | 36,1] 39,5] Summe der Ueberseebanken 
` banken. 
7:9| 71| 6,4| 6,6| 6,6| 8,7 10,1 | Sal 8,1| 8,0| 8,4| 10,8] Bayer. Hypotheken- & Wechselbank 1 
461 5,3l 62| 42| 42| aal 62| 70) 82| 57| 57| 12,3] Bayer. Vereinsbank 2 
P 53| 48| 54| 45! 53| 6,6] 8,7) zo 80| 66] Sol roi Bayer. Handelsbank 3 
4,7!10,0| so| 4,6, 5,5! 7,41 8,2| 16,1| 8,4 | 8,2 | 88| 11,8 Württembergische Vereinsbank 4 
s7] 68l 581 aol 531 zol 82l aal 82| 70| 7,6] zl Summe der Hypothekenbanken 


: vom 31. Dezember 1913 sind 


aus den Jahresberichten der Banken entnommen. Da indessen 


betreffenden Ziffern nicht für alle Banken ermittelt werden; aus diesem Grunde sind die Summen 


mur mit einer Dezimalstelle gegeben worden. 


"Vereinsbank für den 30. Juni 1913 sind in der im Reichsanzeiger veröffentlichten Zusammen- 


16* 


244 Miszellen. 


V 


Die japanische Statistik als wissenschaftliches 


Quellenmaterial. 
Von Heinrich Waentig. 


Die handelspolitische Expansion der europäischen Kulturvölker im 
fernen Osten hat sich bisher fast ganz auf der Oberfläche bewegt. Zu 
einer wissenschaftlichen Erschließung seines geistigen Wesens, seiner 
sozialen Einrichtungen, oder auch nur seines Wirtschaftslebens hat sie 
kaum geführt. Man lasse sich über diesen Tatbestand nicht durch 
das Anschwellen der Literatur hinwegtäuschen, in der übrigens die 
deutsche nur einen bescheidenen Raum einnimmt. Sie ist zum großen 
Teil ein Reden und Schreiben, ja gelegentlich geradezu ein Phanta- 
sieren über Dinge, die man nicht wirklich kennt, und deren Schattenbilder 
man nicht zu deuten weiß. Dies ist für uns verhängnisvoll; denn die 
mancherlei diplomatischen Mißgriffe unserer fernöstlichen Politik im 
Verlaufe der letzten Jahrzehnte sind im tiefsten Grunde auf solche Un- 
wissenheit zurückzuführen, die einer vorwiegend von Gefühlsmotiven ge- 
leiteten Taktik die Wege ebnen mußte. Es ist höchste Zeit, daß wir 
uns hiervon emanzipieren. 

Freilich begegnen alle Versuche, tiefer in das Wesen der Völker 
des fernen Ostens einzudringen, außerordentlichen Schwierigkeiten, die 
sich keineswegs in den rein sprachlichen erschöpfen. Wirklich er- 
schlossen wird uns der Orient dereinst nur durch die Orientalen selber 
werden, nachdem wir sie für unsere wissenschaftlichen Ideale gewonnen 
und in ihrem Sinne erzogen haben. Darin, nicht so sehr in den mittel- 
baren, immerhin fragwürdigen handelspolitischen Vorteilen, die sich 
möglicherweise daraus ergeben können, liegt das Interesse, das wir 
heute daran haben, einen möglichst großen Teil der Begabtesten unter 
ihnen als Schüler an unsere Hochschulen zu fesseln. Dennoch kann 
auch von unserer Seite schon heute einiges geschehen, indem wir uns 
bemühen, das bereits vorhandene und offen zu tage liegende Tatsachen- 
material sorgfältig zu sammeln, es auf seinen wissenschaftlichen Wert 
hin zu prüfen und methodisch zu verarbeiten. 

Verhältnismäßig am günstigsten hierfür liegen die äußeren Be- 
dingungen auf dem Gebiete der japanischen Kultursphäre. Als 
wissenschaftliche Einfallspforte des fernen Ostens wird Japan noch 
lange eine überragende Stellung behaupten, auch wenn es in seiner poli- 
tischen und wirtschaftlichen Bedeutung in Bälde durch China verdrängt 
werden sollte. Die vergleichsweise geringe Ausdehnung des ganzen 
Reiches, die Entwicklung eines weitverzweigten Verkehrswesens, der 


Miszellen. 245 


hohe Grad der persönlichen Sicherheit, die Einheitlichkeit in Sprache und 
Sitte, sie alle ermöglichen es schon heute dem Forscher, mit Leichtigkeit 
auch in die entferntesten Winkel des Landes vorzudringen und sich 
durch den Augenschein von den bestehenden Verhältnissen zu überzeugen. 
Endlich ist in den letzten Jahrzehnten hier auch eine Sozialwissenschaft 
entstanden, deren Vertreter allmählich mit wachsendem Erfolge die west- 
lichen Methoden zur Aufklärung der Zustände ihrer Heimat anzuwenden 
beginnen. 

Letzteres ist im besonderen auf dem Gebiete der Statistik ge- 
schehen. Aus dürftigen Keimen ist im Laufe der Jahre ein stattlicher 
Baum emporgewachsen, dessen Zweige sich über das ganze weite Feld 
sozialen Geschehens auszubreiten begonnen haben. Nicht, daß sich bis- 
her die japanische Statistik ernstlich mit derjenigen der großen west- 
lichen Kulturnationen messen könnte. Dazu fehlt es dem emporstreben- 
den Volke vorläufig ebenso sehr an den erforderlichen Geldmitteln wie 
an der nötigen Zahl gründlich geschulter Arbeitskräfte. Um so wichtiger 
dürfte es sein, sich einmal von der praktischen Bedeutung des bisher Ge- 
leisteten Rechenschaft zu geben, besonders auch die Zuverlässigkeit des 
verfügbaren Zahlenmateriales, soweit dies möglich, einigermaßen festzu- 
stellen. Dies soll im folgenden geschehen. Ich beginne mit einer 
Aufzählung der wichtigsten statistischen Publikationen, ohne auf Voll- 
zähligkeit meiner Liste Anspruch zu erheben, um daran später einige 
erläuternde Bemerkungen anzuknüpfen !). 


Amtliche Statistik. 


A. Ausgelöste Statistik (Publikationen selbständiger statistischer 
Aemter). 


I. Statistisches Zentralamt des Staatsministeriums. 


1) Nihon teikoku tokei nenkan (Statistisches Jahrbuch des Kaiser- 
reiches Japan). Allgemeinen Inhaltes. Erscheint jährlich seit Meiji 15 
(1882) ?). Sprache japanisch. 

2) Nihon teikoku tokei tekiyo. Mit dem Nebentitel Résumé Sta- 
tistique de l’Empire du Japon. Verkürzte Ausgabe der unter 1) genannten 


1) Die folgende Liste wurde mit Unterstützung von Herrn Prof. Takano, Ver- 
treter der Statistik an der Kaiserl. Universität Tokyo, entworfen und von diesem, so- 
wie Herrn Prof. Hanabusa, Direktor des Statistischen Zentralamtes, im Druck nachge- 
prüft, wofür ich den beteiligten Herren auch an dieser Stelle meinen verbindlichen 
Dank ausspreche. Ein solcher gebührt auch Herrn Dr. Hack in Tokyo für einige 
Beiträge. 

2) Die japanische Zeitrechnung deckt sich nicht mit der christlichen. Sie zählt 
nach nengo (Jahresnamen), Perioden von verschiedener Länge, die sich gelegentlich, 
seit Meiji aber immer, mit den Regierungszeiten der Kaiser decken, und deren Namen 
durch Kaiserliches Edikt bestimmt werden. Die hier in Betracht kommenden sind die 
Perioden Meiji (Aera der Erleuchtung) und Taisho (Aera der großen Gerechtigkeit), 
deren erstere die Zeit von 1868—1912, deren zweite die Jahre 1912 ff. umfaßt. Zu 
merken ist, daß Beginn und Ende der nengo nicht mit dem heute auch in Japan auf 
den 1. Januar verlegten Beginn des Kalenderjahres zusammenfallen, so daß z. B. das 
Jahr 1912 sowohl Meiji 45 (bis zum Tode des verstorbenen Kaisers) wie Taisho 1 zitiert 
wird. Taisho 2 umfaßt dann das ganze Kalenderjahr 1913. 


246 Miszellen. 


Publikation. Erscheint jährlich seit Meiji 20 (1887). Sprache japanisch 
und französisch. 

3) Nihon teikoku jinko tokei, seit Meiji 39 (1906) unter dem ver- 
änderten Titel Nihon teikoku jinko seitai tokei (Statistik des Bevölke- 
rungsstandes im Kaiserreich Japan). Erscheint seit Meiji 34 (1901) 
alle 5 Jahre. Sprache japanisch und mit dem 2. Bande auch französisch 
mit dem Nebentitel Etat de la Population de l’Empire du Japon. 

4) Nihon teikoku jinko dotai tokei. Mit dem Nebentitel Mouvement 
de la population de l’Empire du Japon. Erscheint seit Meiji 35 (1902) 
jährlich. Sprache japanisch und französisch. 

5) Nihon teikoku shi in tokei. Mit dem Nebentitel Statistique 
des Causes de Décès de l’Empire du Japon. Erscheint seit Meiji 42 
(1909) jährlich. Sprache japanisch und französisch. 

Außer diesen periodischen Publikationen des Statistischen Zentral- 
amtes verdienen eine Anzahl monographischer Darstellungen hervor- 
gehoben zu werden, und zwar im besonderen die folgenden !): 

1) Eisei tokei ni kwansuru byogazu narabini tokeihyo (Statistische 
Tabellen und graphische Darstellungen aus der Sanitätsstatistik). Meiji 44 
(1911). Sprache japanisch. 

2) Nihonjin no seimei ni kwansuru kenkyu (Untersuchung über die 
Lebensdauer der Japaner). Meiji 45 (1912). Sprache japanisch. 

3) Ishin igo teikoku tokei zairyo isan (Archiv für statistisches 
Material des Kaiserreiches seit der Restauration). Erscheint seit Taisho 2 
(1913) unregelmäßig in japanischer Sprache, und zwar wurden bisher 
die folgenden Hefte veröffentlicht: 

a) Minyuchi ni kwansuru tokei zairyo (Statistisches Material über 
das private Grundeigentum). Behandelt die Daten der Periode seit 
Meiji 13 (1880). Taisho 2 (1913). 

b) Genju jinko seitai ni kwansuru tokei zairyo. Furoku: Jinko 
tokei zairyo ni kwansuru hokirui (Statistisches Material über den Stand 
der Wohnbevölkerung. Anhang: Gesetzliche Bestimmungen über das 
Material der Bevölkerungsstatistik). Behandelt Daten der Periode 
seit Meiji 5 (1878) und enthält auch Material über die Berufsverteilung. 
Taisho 2 (1913). 

c) Keiji hikokumin ni kwansuru tokei zairyo (Statistisches Material 
über die im Strafprozeß Angeklagten). Behandelt Daten der Periode 
seit Meiji 15 (1882). Taisho 2 (1913). 

d) Jinko dotai ni kwansuru tokei zairyo (Statistisches Material 
über die Bevölkerungsbewegung). Behandelt Daten der Periode seit 
Meiji 5 (1872). Taisho 2 (1913). 

4) Kyusei dengen byo ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel 
Statistique des Décès par Maladies épidémiques aiguës pendant 1899—1908. 
Taisho 2 (1913). Sprache japanisch und französisch. 

5) Chiho jinko nenreibetsu shiboritsu oyobi sono kijitsu (Alters- 
Sterbekoeffizient in den einzelnen Verwaltungsbezirken). 

1) Aus früherer Zeit seien kurz erwähnt eine Krankheitsstatistik der Staatsdruckerei 


von Meiji 36 (1903) und eine Statistik der Berufssterblichkeit in Tokyo und Osaka von 
Meiji 37 (1904), beide japanisch. 


Miszellen. 247 


a) Do fu ken betsu (in den einzelnen Verwaltungsbezirken). 
Taisho 2 (1913). a 

b) Dai tokwai oyobi sonotano shudan betsu (in Großstädten und 
den anderen Teilgebieten der betreffenden Verwaltungsbezirke). 
Taisho 3 (1914). 

Sprache japanisch. 

6) Kokyuki shikkwan ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel 
Statistique des Décès par Affections de l’Appareil respiratoire pendant 
1899—1908. Taisho 3 (1914). Sprache japanisch und französisch. 

7) Icho byo ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel Statistique 
des Décès par Affections de l’Appareil digestif pendant 1899—1908. 
Taisho 3 (1914). Sprache japanisch und französisch. 

8) Jinzoen ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel Statistique 
des Décès par Néphrite pendant 1899—1908. Taisho 3 (1914). Sprache 
japanisch und französisch. 

9) Ninshin oyobi san ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel 
Statistique des Décès par Maladies puerp6rales pendant 1899—1908. 
Taisho 3 (1914). Sprache japanisch und französisch. 

10) Gan ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel Statistique des 
Décès par Cancer pendant 1899—1908. Taisho 3 (1914). Sprache ja- 
panisch und französisch. 

11) Mansei densen byo ni yoru shibo tokei. Mit dem Nebentitel 
Statistique des Décès par Maladies épidémiques chroniques. 

a) Rai ni yoru shibo tokei (Décès par Lèpre pendant 1899—1908). 
b) Baidoku ni yoru shibo tokei (Décès par Syphilis pendant 
1899—1908). 

Taisho 3 (1914). Sprache japanisch und französisch. 

Als geschichtlich bedeutungsvoll sei hervorgehoben: 

Kai no kuni genzai nimbetsu shirabe (Erhebung über dis Bevölke- 
rung der Provinz Kai). Meiji 15 (1882). Diese Statistik zeigt die 
Ergebnisse der im 13. Jahre Meiji (1879) vom Tokeiin, dem Vorgänger 
des jetzigen statistischen Zentralamts des Staatsministeriums, durch- 
geführten Zählung der Bevölkerung der Provinz Kai, eines der ersten 
derartigen Versuche in Japan. 


I. Statistisches Amt des Generalgouvernements 

von Formosa. 

1) Taiwan sotokufu tokeisho (Statistik des Generalgouvernements 
von Formosa). Allgemeinen Inhaltes. Erscheint seit Meiji 32 (1899) 
jährlich. Sprache japanisch. 

2) Rinji Taiwan koko chosa (Außerordentliche Volkszählung von 
Formosa). Enthält die Ergebnisse der Volkszählung in Formosa von 
Meiji 38 (1905). Meiji 39—41 (1906—1908). Sprache japanisch. Dazu: 

Rinji Taiwan koko chosa kijitsu hobun (Textliche Darstellung der 
außerordentlichen Volkszählung von Formosa). Meiji 41 (1908). Sprache 
japanisch. Dasselbe auch englisch unter dem Titel: 

The special Population Census of Formosa 1905. Report of the 
Committee of the Formosa Special Census Investigation. Tokyo 1909. 


248 Miszellen. 


3) Taiwan jinko dotai tokei (Statistik der Bevölkerungsbewegung 
auf Formosa). Erscheint seit Meiji 39 (1906) jährlich. Sprache japanisch. 
Dazu: 

Taiwan jinko dotai tokei kijitsu hobun (Textliche Darstellung der 
Bevölkerungsbewegung auf Formosa). Erscheint seit Meiji 39 (1906) 
jährlich. Sprache japanisch. 

4) Taiwan genju jinko tokei (Statistik der Wohnbevölkerung von 
Formosa). Erscheint seit Meiji 39 jährlich. Sprache japanisch. 


B. Nicht ausgelöste Statistik. 

I. Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten. 

1) Kaigai kakuchi zairyu hompojin shokugyo betsu hyo (Tabelle der 
an verschiedenen Orten des Auslandes wohnenden Japaner nach Be- 
rufen). Erscheint seit Meiji 42 (1909) unregelmäßig. Sprache japanisch. 

2) Tsusho isan (Sammlung von Handelsberichten). Erscheint seit 
Meiji 36 (1903) sechsmal monatlich, seit diesem Jahre zweimal wöchent- 
lich. Sprache japanisch. 


II. Ministerium des Innern. 


1) Naimu tokei hokoku (Statistischer Bericht des Ministeriums 
des Innern). Allgemeinen Inhaltes. Erscheint seit Meiji 20 (1887) 
jährlich. Sprache japanisch. 

2) Eisei kyoku nempo (Jahrbuch des Gesundheitsamtes). Erscheint 
seit Meiji 11 (1878) jährlich. Sprache japanisch und englisch. 

3) Doboku kyoku tokei nempo (Statistisches Jahrbuch des Bau- 
amtes). Erscheint seit Meiji 26 (1893) jährlich. Sprache japanisch. 

4) Nihon teikoku kowan tokei (Statistik der Häfen und Buchten 
im Kaiserreich Japan). Erscheint seit Meiji 40 (1907) jährlich. Sprache 
japanisch. 

IH. Finanzministerium. 

1) Okura nempo (Jahrbuch des Finanzministeriums). Allgemeinen 
Inhaltes. Erscheint seit Meiji 9 (1876) jährlich. Sprache japanisch. 

2) Financial (and Economic, seit 1902) Annual of Japan, seit 1903 
auch französisch unter dem Titel Annuaire financier et économiste du 
Japon, seit 1904 auch deutsch unter dem Titel Finanzielles und wirt- 
schaftliches Jahrbuch von Japan. Erscheint seit 1901 jährlich. 

3) Shuzei kyoku tokei nempo (Statistisches Jahrbuch des Steuer- 
amtes). Erscheint seit Meiji 18 (1885) jährlich. Sprache japanisch. 

4) Sembai kyoku nempo (Jahrbuch des Monopolamtes). Behandelt 
im besonderen das Tabak-, Salz- und Kampfermonopol. Erscheint seit 
Meiji 31 (1898) jährlich. Sprache japanisch. 

5) Ginkoka hokoku (Bericht des Bureaus für Bankwesen). Er- 
scheint seit Meiji 13 (1880) jährlich, seit Meiji 14 (1881) unter dem 
Titel Ginko kyoku hokoku (Bericht des Bankamtes), seit Meiji 26 
(1893) unter dem Titel Ginko eigyo hokoku (Berichte über das Bank- 
wesen), endlich seit Meiji 39 (1906) unter dem Titel Ginko oyobi 
tampotsuki shasai shintaku jigyo hokoku (Bericht über Bankwesen und 


Miszellen. 249 


Vermögensverwaltung in verpfändbaren Schuldscheinen). Sprache ja- 
panisch. 

6) Ginko soran (Ueberblick über die Banken). Erscheint seit Meiji 
27 (1894) jährlich. Sprache japanisch. 

7) Dai Nihon gaikoku boeki nempyo, mit dem Nebentitel Annual 
Return of the Foreign Trade of the Empire of Japan. Erscheint seit 
- Meiji 15 (1882) jährlich. Sprache japanisch und englisch. 

8) Dai Nihon gaikoku boeki geppyo, mit dem Nebentitel Monthly 
Return of the Foreign Trade of the Empire of Japan. Erscheint seit 
Meiji 16 (1883) monatlich. Sprache japanisch und englisch. 

9) Dai Nihon gaikoku boeki taishohyo, mit dem Nebentitel Return 
of the foreign trade of the Empire of Japan for the... years from 

. to... . Erscheint seit Meiji 18 (1885) unregelmäßig. Sprache 
japanisch und englisch. 

10) Dai Nihon gaikoku boeki gairan (Uebersicht über den japa- 
nischen Außenhandel). Erscheint seit Meiji 22 (1889) jährlich. Sprache 
japanisch. 

11) Kinyu jiko sankosho (Materialien über Fragen des Geldmarktes). 
Erscheint seit Meiji 35 (1902) unregelmäßig. Sprache japanisch. 

12) Osaka zohei kyokucho nempo (Jahrbuch des Direktors des Münz- 
amtes in Osaka). Erscheint seit Meiji 8 (1875) jährlich. Sprache 
japanisch. Gleichzeitig erscheint seit 1875 eine englische Ausgabe 
unter dem Titel Report of the Director of the Imperial Mint, Osaka. 

13) Kokusai tokei Aempo (Statistisches Jahrbuch des Staatsschulden- 
wesens.) Erscheint seit Meiji 40 (1907) jährlich. Sprache japanisch. 

14) Chihosai tokei nempo (Statistisches Jahrbuch des Kommunal- 
schuldenwesens). Erscheint seit Meiji 42 (1909) jährlich. Sprache ja- 
panisch. 


IV. Kriegsministerium. 
1) Dai Nihon teikoku rikugun tokei nempo (Statistisches Jahrbuch 
des Kriegsministeriums im Kaiserreich Großjapan). Allgemeinen In- 
haltes. Erscheint seit Meiji 24 (1891) jährlich. Sprache japanisch. 


V. Marineministerium. 


1) Kaigun nempo (Jahrbuch des Marineministeriums). Allgemeinen 
Inhaltes. Erscheint seit Meiji 18 (1885) jährlich. Sprache japanisch. 


VI. Justizministerium. 

1) Nihon teikoku shiho keiji tokei nempo (Statistisches Jahrbuch 
des Justizministeriums im Kaiserreich Japan über Kriminalsachen). 
Erscheint seit Meiji 8 (1875) jährlich. Sprache japanisch. 

2) Nihon teikoku shiho minji tokei nempo (Statistisches Jahrbuch 
des Justizministeriums im Kaiserreich Japan über Zivilsachen). Er- 
scheint seit Meiji 8 (1875) jährlich. Sprache japanisch. 

3) Nihon teikoku shiho toki tokei nempo (Statistisches Jahrbuch 
des Justizministeriums im Kaiserreich Japan über Registerwesen). Er- 
scheint seit Meiji 20 (1887) jährlich. Sprache japanisch. 


250 Miszellen. 


4) Shihosho kangoku kyoku tokei nempo (Statistisches Jahrbuch 
der Abteilung für Gefängniswesen im Justizministerium). Erscheint seit 
Meiji 36 (1903). Sprache japanisch. 


VII. Unterrichtsministerium. 


1) Mombusho nempo (Jahrbuch des Unterrichtsministeriums). All- 
gemeinen Inhaltes. Erscheint seit Meiji 8 (1875) jährlich. Sprache 
japanisch. 


VIII. Ministerium für Ackerbau und Handel. 


1) Noshomu tokei nempo. Mit dem Nebentitel Statistical Report 
of the Department of Agriculture and Commerce. Allgemeinen Inhalts. 
Erscheint seit Meiji 17 (1884) jährlich. Sprache japanisch und englisch. 

2) Noshomu tokei hyo (Statistische Tabellen des Ministeriums für 
Ackerbau und Handel). Allgemeinen Inhaltes. Erscheint seit Meiji 19 
(1886) jährlich. Sprache japanisch und englisch. 

3) Sangyo kumiai yoran (Uebersicht über die Erwerbs- und Wirt- 
schaftsgenossenschaften). Erscheint seit Meiji 37 (1904) jährlich. Sprache 
japanisch. 

4) Noshomu shoko iho (Berichte über Handel und Industrie). Er- 
scheint seit Meiji 38 (1905) monatlich. Sprache japanisch. 

5) Zenkoku seishi kojo chosa hyo (Tabellen über die Erhebungen 
in Textilfabriken des ganzen Landes). Erscheint seit Meiji 39 (1906) 
jährlich. Sprache japanisch. = 

6) Hompo kogyo ippan (Ueberblick über den japanischen Bergbau). 
Erscheint seit Meiji 40 (1907) jährlich. Sprache japanisch und eng- 
lisch. 

7) Tokkyo kyoku nenkan (Jahrbuch des Patentamtes). Erscheint 
seit Meiji 40 (1907) jährlich. Sprache japanisch. 

8) Sanrin tokei hyo (Statistische Tabellen über das Forstwesen). 
Erscheint seit Meiji 41 (1908) jährlich. Sprache japanisch. 

9) Hoken nenkan (Jahrbuch des Versicherungswesens). Erscheint 
seit Meiji 42 (1909) jährlich. Sprache japanisch. 

10) Suisan tokei nenkan (Statistisches Jahrbuch über die Meeres- 
produktion). Erscheint seit Meiji 43 (1910) jährlich. Sprache japanisch. 

11) Zenkoku kojo tokei (Fabrikstatistik des ganzen Landes). Er- 
scheint seit Meiji 31 (1898) unregelmäßig. Sprache japanisch. 

12) Kojo chosa tokei hyo (Statistische Tabellen der Erhebungen über 
die Fabriken). Erscheint seit Meiji 35 (1902) unregelmäßig. Letzte 
Publikation Taisho 2 (1913). Sprache japanisch. 

13) Kojo eisei oyobi saigai tokei hyo (Statistische Tabellen über 
den Gesundheitszustand und die Unfälle in Fabriken). Meiji 35 (1903). 
Sprache japanisch. 

14) Kojo saigai tokei (Fabrikunfallstatistik). Meiji 41 (1908). 
Sprache japanisch. 

15) Kojo oyobi shokko (Fabriken und Fabrikarbeiter). Erscheint 
seit Meiji 41 (1908) unregelmäßig. Letzte Publikation Meiji 43 (1910). 
Sprache japanisch. 


Miszellen. 251 


16) Chikusan tokei (Viehstatistik). Erscheint seit Meiji 42 (1909) 
unregelmäßig. Letzte Publikation Taisho 1 (1912). Sprache japanisch. 

17) Kojo tokei fu ken betsu hyo (Statistische Tabellen der Fabriken 
nach Verwaltungsbezirken). Meiji 44 (1911). Sprache japanisch. 


IX. Verkehrsministerium. 


1) Teishinsho nempo (Jahrbuch des Verkehrsministeriums). All- 
gemeinen Inhalts. Erscheint seit Meiji 21 (1888) jährlich. Sprache 
japanisch. 

2) Tetsudo kyoku nempo, später unter dem Titel Tetsudo sakugyo 
kyoku nempo, jetzt unter dem Titel Tetsudoin nempo (Jahrbuch des 
Eisenbahnamtes). Erscheint sei Meiji 20 (1887) jährlich. Sprache ja- 
panisch. 

3) Tetsudoin tokei zuhyo (Graphische Darstellung und Tabellen 
der Statistik des Eisenbahnamtes). Erscheint sei Meiji 33 (1900) jähr- 
lich. Sprache japanisch. 

4) Yubin chokin kyoku tokei nempo (Statistisches Jahrbuch des 
Postsparkassenamtes). Erscheint seit Meiji 24 (1891) jährlich. Sprache 
japanisch. 

5) Tsushin tokei yoran (Statistischer Ueberblick über das Nach- 
richtenwesen). Erscheint seit Meiji 31 (1898) jährlich. Sprache ja- 
panisch. 


X. Kolonialstatistik (mit Ausnahme derjenigen Formosas). 


1. Hokkaido. 

Hokkaido tokeisho (Statistik von Hokkaido). Allgemeinen Inhalts. 
Erscheint seit Meiji 25 (1892) jährlich. Sprache japanisch. 

2. Kwangtung. 

Kwanto sotokufu tokeisho (Statistik des Generalgouvernements 
Kwangtung). Allgemeinen Inhalts. Erscheint seit Meiji 40 (1907) jähr- 
lich. Sprache japanisch. 

3. Korea. 

a) Chosen tokwanfu tokei nempo, später unter dem Titel Chosen 
sotokufu tokei nempo (Statistisches Jahrbuch des Generalgouvernements 
Korea). Allgemeinen Inhalts. Erscheint seit Meiji 40 (1907) jährlich. 
Sprache japanisch. 

b) Kwankoku tetsudo kwanri kyoku nempo (Jahrbuch des korea- 
nischen Eisenbahnamtes). Erscheint seit Meiji 40 (1907) jährlich. Sprache 
japanisch. 

c) Chosen tokwanfu tsushin jigyo nempo, später unter dem Titel 
Chosen sotokufu tsushin jigyo nempo (Jahrbuch für das Kommunikations- 
wesen des Generalgouvernements Korea). Erscheint seit Meiji 41 (1908) 
jährlich. Sprache japanisch. 

d) Kwankoku shisei nempo (Jahrbuch der koreanischen Verwaltung). 
Erscheint seit Meiji 41 (1908) jährlich. Sprache japanisch. 

Dazu seit 1908 eine verkürzte englische Ausgabe mit dem Titel 
Annual Report on reforms and progress in Chosen. 


252 Miszellen. 


e) Zeimu tokei (Statistik des Steuerwesens). Erscheint seit Meiji 
43 (1910) jährlich. Sprache japanisch. 


XI. Statistik der Verwaltungsbezirke. 


Sämtliche Regierungsbezirke (Fu oder Ken)!) des japanischen Stamm- 
landes geben von Amts wegen statistische Jahrbücher (tokeisho, -nempyo, 
-zensho) allgemeinen Inhalts heraus. Diese sind fast ausnahmslos bloße 
Tabellenwerke ohne textliche Verarbeitung. Ihre Aufzählung im ein- 
zelnen darf unterbleiben. 

Für die neuere Zeit sei erwähnt: 

Keishicho jimu nempyo, später Keishicho tokeisho (Statistik des 
Polizeipräsidiums, d. h. von Tokyo). Allgemeinen Inhaltes für Tokyo 
Stadt und Regierungsbezirk. Erscheint seit Meiji 11 (1878) jährlich. 
Sprache japanisch. 

Außer diesen statistischen Jahrbüchern veröffentlichen die Regie- 
rungsbezirke unter entsprechendem Titel noch gelegentlich Sonderpubli- 
kationen über Polizei und Gefängniswesen, Schulwesen, Gesundheits- 
wesen, Industrie usw. 


XII. Städtestatistik. 

1. Tokyo. 

a) Tokyoshi tokei nempyo (Statistisches Jahrbuch der Stadt Tokyo). 
Allgemeinen Inhaltes. Erscheint seit Meiji 36 (1903) jährlich. Sprache 
japanisch, seit Meiji 40 (1907) japanisch und englisch mit dem Neben- 
titel Annual Statistics of the City of Tokyo. 

b) Tokyoshi shisei chosa (Allgemeine Volkszählung der Stadt Tokyo, 
und zwar von Meiji 41, d. h. 1908). Sprache japanisch. Im einzelnen: 

Gempyo (Tabellen), 5 Bände, Meiji 42—43 (1909—1910). 

Gaisu hyo (Allgemeine Zahlen), Meiji 42 (1909). 

Shokugyo betsu genzai jinko hyo (Tabellen der ortsanwesenden Be- 
völkerung nach Berufsklassen.. Meiji 44 (1911). 

Hirei hen (Verhältniszahlen), Meiji 45 (1912). 

2. Kyoto. 

a) Kyotoshi tokeisho (Statistik der Stadt Kyoto). Allgemeinen In- 
halts. Erscheint seit Meiji 42 (1909) jährlich. Sprache japanisch. 

b) Kyotoshi rinji jinko chosa yokei hyo (Allgemeine Tabellen der 
außerordentlichen Volkszählung der Stadt Kyoto, u. zw. von Meiji 44, 
d. h. 1911). Taisho 1 (1912). Sprache japanisch. Der die Berufs- 
zählung behandelnde 2. Band ist unterdessen (Taisho 2, d. h. 1913) 
ebenfalls erschienen, doch ist er noch nicht in meine Hände gelangt, 
so daß ich seinen genauen Titel nicht anzugeben vermag. 

3. Osaka. 

a) Osakashi tokeisho (Statistik der Stadt Osaka). Allgemeinen In- 
halts. Erscheint seit Meiji 33 (1900) jährlich. Sprache japanisch. 

Dazu eine verkürzte englische Ausgabe mit dem Titel Statistical 
Abstract for Osaka. Erscheint seit 1907 jährlich. 


: 1) Die Verwaltungsbezirke der drei großen Städte Tokyo, Kyoto und Osaka 
heißen Fu, die übrigen Ken. 


Miszellen. 253 


4. Yokahama. 

a) Yokohamashi tokeisho (Statistik der Stadt Yokohama). Allgemeinen 
Inhalts. Erscheint seit Meiji 36 (1903) jährlich. Sprache japanisch. 

Dazu eine verkürzte englische Ausgabe mit dem Titel Summary 
of the Yokohama City Annual Statistics. Erscheint seit 1903 etwa 
alle 2 Jahre. 

5. Kobe. 

a) Kobeshi tokeisho (Statistik der Stadt Kobe). Allgemeinen In- 
halts. Erscheint seit Meiji 42 (1909) jährlich. Sprache japanisch. 

b) Kobeshi rinji shisei chosa yokei hyo (Allgemeine Tabellen der 
außerordentlichen Volkszählung der Stadt Kobe, und zwar von Meiji 41, 
d. h. 1908). Meiji 42 (1909). Sprache japanisch. 

c) Kobeshi rinji shisei chosa jinko oyobi shokugyo tokei hyo 
(Statistische Tabellen der Bevölkerung und Berufe der außerordent- 
lichen Volkszählung der Stadt Kobe, und zwar von Meiji 41, d. h. 1908). 
Meiji 43 (1910). Sprache japanisch. 

6. Kumamoto. 

a) Kumamotoshi tokeisho, später unter dem Titel Kumamotoshi 
tokei nenkan (Statistisches Jahrbuch der Stadt Kumamoto). Allgemeinen 
Inhalts. Erscheint seit Meiji 32 (1899) jährlich. Sprache japanisch. 

b) Kumamotoshi shokugyo tokei (Berufsstatistik der Stadt Kumamoto, 
und zwar von Meiji 40, d. h. 1907). Meiji 41 (1908). Sprache japanisch. 

c) Kumamotoshi shoko eigyo tokei (Gewerbestatistik der Stadt 
Kumamoto, und zwar von Meiji 40, d. h. 1907). Meiji 42 (1909). 
Sprache japanisch. 

d) Kumamoto shimin nenrei oyobi enji mibun betsu ichiran hyo 
(Tabellarische Uebersicht über die Einwohner der Stadt Kumamoto nach 
Alter und Personenstand, und zwar von Meiji 40, d. h. 1907). Meiji 41 
(1908). Sprache japanisch. 

Außer den genannten veröffentlichen noch eine ganze Reihe anderer 
Städte alljährlich statistische Jahrbücher in japanischer Sprache, wie 
Shizuoka seit Meiji 34 (1901), Nagoya seit Meiji 36 (1903), Kofu seit 
Meiji 38 (1905), Fukui seit Meiji 41 (1908), Hakodate seit Meiji 41 
(1908), Kanazawa seit Meiji 42 (1909), Wakayama seit Meiji 43 (1910), 
Niigata seit Meiji 44 (1911) usw. 

Wegen ihrer Bedeutung für die Berufsstatistik seien in diesem Zu- 
sammenhange noch zwei Publikationen genannt: 

1) Sapporoku kusei chosa (Volkszählung der Stadt Sapporo, und 
zwar von Meiji 42, d. h. 1909). Meiji 43 und 44 (1910 und 1911). 
Sprache japanisch. 

2) Niigataken Sadogun gunsei chosa temmatsu oyobi gempyo (Text- 
liche Darstellung und Tabellen der Volkszählung des Bezirks Sado im 
Regierungsbezirk Niigata, und zwar von Meiji 42, d. h. 1909). Meiji 45 
(1912). Sprache japanisch. 


Private Statistik. 


‚ Neben der großen Zahl amtlicher Publikationen nehmen die mehr 
privaten Charakters einen verhältnismäßig bescheidenen Raum ein. Zu 


254 Miszellen. 


erwähnen wären die Statistischen Jahrbücher der Handelskammern, unter 
denen diejenigen von Tokyo und Kyoto, Osaka und Nagoya, Yokohama, 
Kobe und Nagasaki hervorragen. Weiter die regelmäßigen bzw. gelegent- 
lichen Veröffentlichungen der großen Banken, insbesondere der Nippon 
Ginko (Bank von Japan) und der großen Produkten- und Effektenbörsen, 
namentlich der in Tokyo und Osaka. Als beliebte Quelle der Infor- 
mation für Ausländer sei das vom Japan Year Book Office in Tokyo 
seit 1905 alljährlich herausgegebene Japan Year Book allgemeinen In- 
halts erwähnt. Als Zeitschriften die folgenden: 

1) Tokei shushi (Statistische Zeitschrift), herausgegeben von der Tokyo 
tokei kyokai (Statistischer Verein von Tokyo). Erscheint seit November 
des Jahres Meiji 13 (1880), zuerst unregelmäßig, seit Dezember 1881 
als Monatsschrift. Sprache japanisch. 

2) Statistic zasshi, später unter dem Titel Tokei gaku zasshi (Zeit- 
schrift für statistische Wissenschaft), herausgegeben von der Statistic 
sha, später Tokei gaku sha (Verein für statistische Wissenschaft). Er- 
scheint seit Meiji 19 (1886) als Monatsschrift. Sprache japanisch. 

3) Taiwan tokei kyokai zasshi (Zeitschrift des Vereins für for- 
mosanische Statistik), herausgegeben von der genannten Vereinigung. 
Erscheint seit Meiji 36 (1903) alle zwei Monate und seit Meiji (1909) 
allmonatlich. Sprache japanisch. 

Ueberblickt man diese Liste, so fällt zunächst geschichtlich in die 
Augen, daß die moderne japanische Statistik in ihren Anfängen kaum 
über die Mitte der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückreicht !). 
Die Begründung eines besonderen statistischen Amtes am 24. Dezember 
1871, das zunächst als Unterabteilung einer umfassenderen Behörde ins 
Leben trat, leitet die Entwicklung ein. Etwa um dieselbe Zeit be- 
ginnen dann auch einzelne Ministerien, so das Finanzministerium, das 
Justizministerium, das Unterrichtsministerium, statistische Jahrbücher 
herauszugeben. Ein am 17. Mai 1876 in Tokyo abgehaltener statistischer 
Kongreß sucht durch die Aufstellung gewisser leitender Grundsätze den 
gemeinsamen Arbeiten im ganzen Lande eine einheitliche Richtung zu 
geben. Aber erst die Errichtung des Tokei in als selbständiges 
statistisches Zentralorgan am 30. Mai 1881 bringt die entscheidende 
Wendung. Seitdem hat sich die japanische Statistik, die seit 1899 
auf den internationalen statistischen Kongressen auch durch eigene 
Repräsentanten vertreten ist, vor allem in die Breite entwickelt. Doch 
scheint die finanzielle Bedrängnis der letzten Jahre auch auf diese 
Bestrebungen lähmend eingewirkt zu haben. 

Sucht man sich nun über das bisher Erreichte ein Urteil zu 
bilden, so ist in formeller Hinsicht folgendes hervorzuheben: 


1) Genaueres darüber vgl. in einem Nihon teikoku chuo tokei kikwan enkaku 
ichiran (Ueberblick über die Geschichte des Statistischen Zentralamtes des Kaiserreichs 
Japan) betitelten Aufsatz von Jiro Takahashi in der Januarnummer der Tokei shushi 
von Meiji 44 (1911), welcher die geschichtliche Entwicklung des Amtes von 1871 
bis 1911 behandelt. 


Miszellen. 255 


Die herrschende Sprache ist die japanische, so daß die über- 
wiegende Mehrzahl der vorliegenden Publikationen direkt nur dem- 
jenigen zugänglich ist, der nicht nur die japanische Umgangssprache, 
sondern auch die chinesische Zeichenschrift versteht. Doch gibt es Aus- 
nahmen. Einige der wichtigeren Veröffentlichungen liegen auch in fremd- 
sprachigen Ausgaben vor, wobei für einige Aemter das Französische 
(z. B. Statistisches Zentralamt des Staatsministeriums), für andere das 
Englische (z. B. Finanzministerium, Ministerien für Ackerbau und Handel), 
das Deutsche nur verschwindend selten (z. B. im Jahrbuch des Finanz- 
ministeriums) als Vermittler dient. Und zwar handelt es sich dann ent- 
weder um durchaus fremdsprachige Veröffentlichungen (z. B. Financial 
and Economic Annual of Japan, Report of the Director of the Imperial 
Mint), die neben japanischen derselben Art herlaufen, oder um solche, 
die in Tabellen und Text das Japanische und eine der europäischen 
Sprachen gemischt enthalten (z. B. einige Publikationen des Statistischen 
Zentralamtes). Immer aber sind es dann solche Statistiken, welche die 
Japaner aus wissenschaftlichen oder praktischen Gründen dem Aus- 
land zugänglich zu machen wünschen, ein Moment, das unter Umständen 
ins Gewicht fallen kann. 

2) In der Gesamtmasse der statistischen Publikationen tritt bis auf 
die neueste Zeit die ausgelöste Statistik verhältnismäßig zurück. Neben 
dem Statistischen Zentralamt des Staatsministeriums kommt als selb- 
ständiges statistisches Amt nur noch dasjenige des Generalgouverne- 
ments von Formosa in Betracht. Das ist bedeutungsvoll, weil solche von 
anderen Behörden losgelöste statistische Aemter im allgemeinen ein 
höheres Maß von Objektivität gewährleisten, und wichtig besonders in 
Japan, wo eine gewisse Neigung, die Ergebnisse der Statistik, erforder- 
lichenfalls mit den erwünschten Modifikationen, in den Dienst der Politik 
zu stellen, noch längst nicht ausgestorben ist. 

3) Die vorliegenden statistischen Publikationen sind zum erheblichen 
Teile reine Tabellenwerke ohne textliche Darstellung. Darunter befinden 
sich erstaunlicherweise auch solche, wie die allgemeine Volkszählung der 
Stadt Tokyo von 1908, die eine gründliche Verarbeitung wahrlich ge- 
lohnt hätte, und viele statistische Jahresberichte, besonders städtische. 
Eingeweihte verweisen zur Erklärung auf den Mangel finanzieller Mittel. 
Doch ist das keineswegs der einzige Grund, wie dies z. B. das ent- 
gegengesetzte Vorgehen Kumamotos beweist. Jedenfalls erschwert der 
erwähnte Umstand nicht nur die Benutzung, sondern er hat die weitere 
unerwünschte Folge, daß viele Tabellenwerke so gut wie unkontrolliert 
bleiben. Bringt doch gerade ihre systematische Verarbeitung die vor- 
handenen Lücken oder Fehler am klarsten zu Tage. 

In materieller Hinsicht wären die folgenden Punkte zu betonen : 

1) So sehr sich, wie sogleich des weiteren zu erörtern sein wird, 
die japanische Statistik in die Breite entwickelt hat, so fehlt ihr bis- 
her doch jene solide Grundlage, wie sie allein durch regelmäßig wieder- 
kehrende Volkszählungen geschaffen werden kann. Eine im Jahre 1872 
durchgeführte Aufnahme der Bevölkerung hat noch immer keine Nach- 


256 Miszellen. 


folgerin gefunden. Bis auf die Gegenwart dient sie als Basis für die 
spätere Fortschreibung, die durch eine möglichst sorgfältige Registrierung 
der Bevölkerungsbewegung, verbunden mit periodischen Aufnahmen der 
Registerbevölkerung nach Verwaltungsbezirken auf Grund der amtlichen 
Register, ermöglicht wird. Eigentliche Volkszählungen haben seither nur 
in Teilgebieten des japanischen Reiches stattgefunden. So im Jahre 
1879 in der Provinz Kai, im Jahre 1905 auf der Insel Formosa, endlich 
besonders in einigen größeren Städten, wie Kumamoto im Jahre 1907, 
Tokyo im Jahre 1908, Kyoto im Jahre 1911. Und zwar sind mit diesen 
allgemeinen Volkszählungen begrenzter Gebiete zum Teil auch Berufs- 
und Gewerbezählungen verbunden worden, unter denen wegen ihrer 
Wichtigkeit wiederum die Berufszählung der Stadt Tokyo eine besondere 
Stellung einnimmt. 

2) Im übrigen hat die japanische Statistik die verschiedensten Ge- 
biete in den Bereich ihrer Betrachtungen einbezogen. Neben der Be- 
völkerungsstatistik hat das Statistische Zentralamt des Staatsministeriums 
im besonderen die Sanitätsstatistik gepflegt. Bei der nicht ausgelösten 
Statistik nimmt den breitesten Raum die Statistik des Finanzministeriums 
und die des Ministeriums für Ackerbau und Handel ein. Ersteres ver- 
öffentlicht außer der eigentlichen Finanzstatistik auch eine Reihe von 
statistischen Berichten über Geld- und Bankwesen und im Anschluß an 
die Zollerhebuug auch über die Bewegung des Außenhandels. Auffal- 
lend ist, daß unter den Sonderpublikationen des Ministeriums für Acker- 
bau und Handel die eigentlich landwirtschaftlichen eher zurücktreten. 
Um so kräftiger ist die Industrie- und Bergbaustatistik entwickelt, und 
in der neuesten Zeit beginnt die großindustrielle Arbeiterfrage auf die 
Richtung dieser Untersuchungen bedeutsam einzuwirken. 

3) Noch eine letzte wichtige Frage bleibt zu erörtern: Welches 
Maß von Glaubwürdigkeit ist dem uns mitgeteilten Ziffernmaterial und 
seiner textlichen Verarbeitung beizumessen? Eine allgemein gültige 
Antwort hierauf läßt sich nicht geben; sie wird sich von Fall zu Fall 
verschieden gestalten. Was nun zunächst die für alle Statistik grund- 
legenden Ergebnisse der amtlichen Bevölkerungsstatistik betrifft, so hat 
sich darüber Rathgen bereits 1887 ausführlicher verbreitet !). Und da 
das damals bestehende System der Erhebung des Bevölkerungsstandes 
und der Bevölkerungsbewegung zwar verfeinert, in seinen Prinzipien 
aber unverändert geblieben ist, so haben im wesentlichen seine damaligen 
Ausführungen noch heute ihre Richtigkeit. Zu ihrer Ergänzung möge 
folgendes dienen ?). 

Die japanische Bevölkerungsstatistik unterscheidet eine Rechts- und 
eine Wohnbevölkerung (honseki jinko und genju jinko), von welch letz- 


1) K. Rathgen, Ergebnisse der amtlichen Bevölkerungsstatistik in Japan, in den 
Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Bd. IV, 
S. 322 ff., bes. S. 323. 

2) Vgl. hierzu N. Hanabusa in Mouvement de la Population de l’Empire du Japon 
1899, Tokyo 1902, Préface; in État de la Population de l’Empire du Japon au 31. 12. 
1903, Tokyo 1906, Introduction; und in Mouvement de la Population de (Empire du 
Japon 1899—1908, Tokyo 1912, Preface und pp. 19*ff. (Abdruck der betreffenden 
Ministerialverordnung und der dazu gehörigen Reglements.) 


Miszellen. 257 


terer sie außer den Individuen auch die Haushalte (genju kosu) erhebt 1). 
Sie stützt sich dabei, wie gesagt, nicht auf eine eigentliche Volkszählung, 
wohl aber auf eine im Anschluß an die Reorganisation der Familienregister 
im Jahre 1872 erfolgte Aufnahme der Rechtsbevölkerung. „Ce registre“, 
sagt Hanabusa, „a été créé d'après le procédé d'un véritable recense- 
ment de la population. On releva alors la population présente en lin- 
scrivant sur le registre des familles dans chaque localité ou se trouvait 
le chef de famille. Ceux qui habitaient en dehors de leur propre domi- 
cile étaient inscrits sur le registre des familles et aussi sur un registre 
spécial comme émigrants temporaires (kiriu).“ Eine Wiederholung dieser 
Bevölkerungsaufnahme in irgend welcher Form hat, wie gesagt, nicht 
stattgefunden. Vielmehr erfolgt die Ermittlung des Bevölkerungsstandes 
späterer Jahre mit Hilfe eines Rechenverfahrens. „La population lé- 
gale“, heißt es weiter, „est calculée d’après les résultats des inscriptions 
ou des radiations faites par les déclarations de naissances et de décès 
de chaque année ainsi que des changements de domicile; depuis 1872 
jusqu’en 1898 (excepté 1877 et 1878) on a publié tous les ans le chiffre 
de la population de chaque commune, de chaque arrondissement et de 
chaque district (do, fu et ken), calculé de cette manière; depuis 1898 
on relève tous les cinq ans la population d'après le No. 1 des Instruc- 
tions du Cabinet Impérial de cette même année.“ 

Die statistisch wichtige Reform des genannten Erlasses vollzog sich 
in Verbindung mit einer grundsätzlichen Reorganisation des standesamt- 
lichen Registerwesens. Die bisherige Dezentralisation des Zählungs- 
prozesses bei den Ortsbehörden wurde durch eine Zentralisation desselben 
beim Statistischen Zentralamte ersetzt. Hatten die ersteren bis Anfang 
1899 für jede einzelne Gemeinde statistische Tabellen angelegt, so daß 
der Zentralinstanz nur deren Weiterverarbeitung verblieb, so wurden sie 
nunmehr angewiesen, die von ihnen geforderten Auskünfte über Ehe- 
schließungen, Ehescheidungen, Geburten, Todesfälle usw. nach den 
standesamtlichen Registern und anderen authentischen Dokumenten in 
eigens zu diesem Zwecke gelieferte Zählkarten einzutragen und diese 
in dreimonatlichen Zwischenräumen an die Zentralstelle einzusenden. 
Sicherlich war damit wenigstens die Statistik der Bevölkerungsbewegung 
auf eine neue Basis gestellt. 


1) „La population légale“, erklärt Hanabusa, „est celle qui a son domicile dans 
une ‚commune (shi, cho et son ou grande ville, ville et village); c’est-A-dire celle qui 
y est inscrite sur un registre appelé Koseki ou registre des familles. On inscrit sur ce 
registre, sauf des cas particuliers, chaque famille formée de ses propres membres. 
D’après lesprit de la loi sur le registre des familles, promulguée en 1871, il résulte 
que les inscriptions de tous les membres devront être faites, sauf des cas particuliers, 
sur le livre de lieu ou se trouve l'habitation du chef de famille, soit qu’il s’y trouve, 
soit qu'il habite une autre commune. Plus tard, par un changement apporté à lap- 
plication de cette loi, cette inscription a pu être faite en dehors du lieu de résidence 
du chef de famille. Mais tous les membres d’une famille doivent toujours être inscrits 
sur le même registre que leur chef. La population résidente est au contraire celle qui 
est fixée dans une localité. Le ménage de cette population mest pas non plus le même 
que la famille de la population légale. Il est l'unité d'un moyen d'existence et signifie 
feu dE TN On le relève dans le lieu où il se trouve. (Etat de la population ete., 
D . 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 17 


258 Miszellen. 


Was endlich die Wohnbevölkerung betrifft, so ist diese überhaupt nie- 
mals regelrecht erhoben worden. Seit dem Jahre 1885 hat man ihren Stand 
alljährlich oder in fünfjährigen Intervallen derart veröffentlicht, daß man 
der Zählung die berechneten Ziffern der Rechtsbevölkerung zugrunde legte 
und diese mit Hilfe der Zahlen der zeitweilig Zu- oder Abgewanderten 
und der in Kasernen, Gefängnissen und Kriegsfahrzeugen vorhandenen 
Effektivbestände korrigierte. 

Die Zuverlässigkeit all dieser Daten hängt demgemäß allein von der 
Genauigkeit der Listenführung und des Meldewesens, und soweit die 
Statistik des Bevölkerungsstandes in Frage steht, von der Solidität der 
ersten Grundlage ab, auf der sich das ganze weitere Kalkül aufbaut. Daß 
diese eine recht fragwürdige ist, wird von dem Leiter des Statistischen 
Zentralamtes keineswegs bestritten. „On n’a plus le moyen d'apprécier 
l’exactitude des chiffres de 1872; mais on y remarque plus ou moins 
les traces des doubles emplois et des omissions.“ Aber auch für die 
übrigen Zahlen möchte er sich nicht verbürgen. „De plus“, fährt er 
fort, „les résultats du mouvement quon emploie comme éléments de 
calcul ne sont pas toujours exacts, car on compte tous les ans un 
nombre assez considérable de naissances ou de décès déclarés tardive- 
ment par négligence ainsi que des radiations d'individus ayant deux 
domiciles et des inscriptions d’individus sans domicile.“ Und diese Un- 
sicherheit steigert sich eher noch bei der Wohnbevölkerung. „En géneral“, 
heißt es an anderer Stelle, „les chiffres incertains de la population ré- 
sidente proviennent de l'inexactitude des registres d’6migration en d’im- 
migration temporaires. Cette inexactitude résulte principalement de la 
fréquence des déplacements aussi bien que de lexécution du travail 
par le personnel des mairies.“ Neuere Ministerialverfügungen hätten 
dem Unwesen zu steuern gesucht; da ihnen aber die rückwirkende Kraft 
fehle, so sei man noch weit davon entfernt, exakte Verhältniszahlen der 
Zu- und Abgewanderten zu erhalten. Nach alledem versteht man es, wenn 
auch Hanabusa eine Volkszählung fordert, und wundert sich fast ein wenig, 
wenn er hinzufügt, der Unterschied zwischen Kalkül und Wirklichkeit 
sei doch nicht groß genug, um uns die allgemeine Lage der japanischen 
Bevölkerung nicht erkennen zu lassen. 

Besonders charakteristisch für den heutigen Zustand ist der Unter- 
schied zwischen Rechts- und Wohnbevölkerung. In manchen Bezirken 
mit starkem Bevölkerungswechsel, wie z. B. in Tokyo, durchaus natür- 
lich, müßte sich diese Differenz bei einigermaßen genauer Listenführung 
für das ganze Land ausgleichen, oder einen Ueberschuß zugunsten der 
Rechtsbevölkerung ergeben, weil diese ja außer den in der Heimat 
lebenden auch alle diejenigen Japaner umfaßt, die, obwohl in die Ko- 
lonien oder in das Ausland abgewandert, ihren rechtlichen Wohnsitz im 
Mutterlande behalten. Tatsächlich ergibt sich jedoch aus den erwähnten 
Gründen regelmäßig eine Differenz zugunsten der Wohnbevölkerung. Zu 
Rathgens Zeiten, d. h. im Jahre 1885, ziemlich unbedeutend, nämlich für 
ganz Japan 106082 (37868987 Rechtsbevölkerung gegen 37975069 
Wohnbevölkerung), hat sich dieser Zwiespalt im Laufe der Jahre derart 
gesteigert (2153682, nämlich 49588804 Rechtsbevölkerung gegen 


Miszellen. 259 


51 742486 Wohnbevölkerung im Jahre 1908) 1), daß diese Ziffern eigent- 
lich einen rein imaginären Charakter angenommen haben ?). 

Jedenfalls stehen für den Fall einer allgemeinen Volkszählung, die 
über kurz oder lang doch einmal kommen muß, allerhand Ueberraschungen 
bevor. Einen gewissen Vorgeschmack des zu Erwartenden gewähren 
die folgenden Zahlen). Es ergab die schon mehrfach erwähnte Volks- 
zählung vom 1. Oktober 1908 für die Stadt Tokyo eine tatsächliche 
Bevölkerungszahl von 1626103 Einwohnern. Für den 31. Dezember 
desselben Jahres bezifferte das städtische Statistische Amt die Rechts- 
bevölkerung auf 1139029, die Wohnbevölkerung auf 2168151; das 
Polizeipräsidium die Rechtsbevölkerung auf 894203, die Wohnbevölke- 
rung auf 1468068, und zwar in allen Fällen für die 15 inneren 
Stadtbezirke, zu deren Einwohnerzahl die zuerst genannte Volkszählung 
noch 37984 auf der Wasserfläche (suimen) hausende Personen hinzu- 
gerechnet hat, die in den beiden anderen Zählungen jedenfalls nicht be- 
sonders genannt sind. Ein Kommentar erübrigt sich. 

Wenn also Rathgen vor 30 Jahren noch mit einigem Rechte sagen 
konnte, im allgemeinen dürften die Bevölkerungszahlen richtig sein, 
obschon einiger Unterschied bestehe zwischen den großen Städten 
oder den straff verwalteten Bezirken der Mitte und des Nordens 
und den Landbezirken oder den entlegeneren Bezirken des Südens, 
so gilt das heute nicht mehr in demselben Maße. Die japanische 
Bevölkerung in allen ihren Teilen, immer weiter und schneller in den 
Wirbeltanz des kapitalistischen Produktions- und Verkehrsprozesses 
hineingezogen, widerstrebt dem altertümlichen Erhebungsverfahren, das 
sich unter stabileren Lebensverhältnissen sehr wohl bewähren mochte. 
Rechts- und Wohnbevölkerungsziffern, darauf berechnet, sich zu ergänzen 
und zu kontrollieren, klaffen immer weiter auseinander und führen 
sich wechselseitig ad absurdum. So ist denn die Durchführung 
einer allgemeinen Volkszählung nach modernen Prinzipien unumgäng- 
lich notwendig, wenn nicht in absehbarer Zeit die ganze japanische 
Statistik, soweit sie mit der Statistik des Bevölkerungstandes irgendwie 
in Zusammenhang steht, ein Wahngebilde werden soll. 

Dennoch wäre es verfehlt, dieses kritische Ergebnis zu verallge- 
meinern und unbesehen auf alle anderen Teilgebiete der japanischen 
Statistik zu übertragen. Denn nur eine eindringende wissenschaft- 
liche Detailforschung wird hier die Grundlage für ein abschließendes 
Urteil liefern können, wie Grünfeld das mit Erfolg für die Statistik 
der japanischen Auswanderung versucht hat?). Was ich selber dazu 
beizusteuern habe, wird zu gegebener Zeit am geeigneten Orte vor- 


1) Résumé Statistique de l’Empire du Japon, 27. Année, Tokyo 1913, pp. 10 ff. 

2) Uebrigens beschränkt sıch dies keineswegs auf die bloße Bevölkerungszahl. So 
erwähnt Hanabusa z. B., daß für 1903 das Verhältnis von Männern und Frauen bei 
der Rechtsbevölkerung 102 zu 100, bei der Wohnbevölkerung 103 zu 100 betrug. 

3) Tokyoshi shisei chosa, I., Gempyo, p. 4. The seventh Annual Statistics of the 
City of Tokyo, Tokyo 1910, pp. 113ff. Keishicho tokeisho, Tokyo 1909, pp. 63 ff. 

4) Ernst Grünfeld, Die japanische Auswanderung. Supplement zu den Mit- 
teilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, Bd. XIV, 
Tokyo 1913, 8. 11 ff. 


17* 


260 Miszellen, 


gebracht werden. Hier will ich dem bisher Gesagten abschließend nur 
noch einige allgemeine Betrachtungen anfügen. 

Der überspannten Japanbegeisterung vergangener Jahre ist heute 
eine ebensolche Japanskepsis gefolgt, und es ist Mode geworden, allen 
Lebensäußerungen des Inselvolkes mit Mißtrauen zu begegnen. Wenn 
nun für die Zuverlässigkeit einer Statistik neben der technischen Schu- 
lung des damit befaßten Personales im besonderen auch die Lauterkeit 
maßgebend ist, mit der sich alle Beteiligten die Lösung ihrer gemein- 
samen Aufgabe angelegen sein lassen, so ist zunächst zu betonen, daß 
die Japaner schon aus dem Bestreben heraus, von den Europäern auch 
auf diesem Gebiete als ebenbürtig anerkannt zu werden, gegen früher 
erhebliche Fortschritte gemacht haben. 

Allerdings ist einschränkend zu bemerken, daß die seminaristische, 
d. h. die eigentlich wissenschaftliche, Ausbildung des jugendlichen Nach- 
wuchses auf den japanischen Universitäten noch zu wünschen übrig läßt und 
im allgemeinen keinesfalls mit der in Deutschland erreichten auf gleiche 
Stufe zu stellen ist !). Wenn also von Männern, wie Hanabusa, Takano und 
ihresgleichen, geleitete und kontrollierte Arbeiten unser volles Vertrauen 
verdienen, so gilt das doch nicht ohne weiteres von allen anderen; 
auch scheint mir das häufige Fehlen einer textlichen Verarbeitung des 
gebotenen Tabellenmateriales darauf hinzudeuten, daß man sich hie und 
da im wissenschaftlichen Sattel noch nicht so recht zu Hause fühlt. 
Bedenklich ist es weiter, daß in der Masse des japanischen Volkes 
der strenge Wahrheitssinn noch unentwickelt ist. Man begnügt sich 
nur zu gern mit einem Ungefähr, wenn sich nur allenfalls dabei leben 
läßt. Gerade aber, daß dies in unserer modernen Welt, wo man doch auch 
eine Rolle spielen möchte, nicht mehr geht, diese wichtige Erkenntnis wird 
dem gelehrigen Volke durch seine wirtschaftlichen wie politischen Er- 
fahrungen mit unbarmherziger Härte eingehämmert. Genau, wie die 
Japaner also zu lernen im Begriffe sind, daß es sich auf die Dauer nicht 
zahlt, dem Auslande kontraktwidrige Waren zu liefern, da man dadurch 
seine Kunden verliert, so werden sie immer deutlicher einsehen und 
haben es bereits getan, daß es keinen Zweck hat, denen durch ge- 
färbte Statistiken Sand in die Augen zu streuen, auf deren Vertrauen 
man vielleicht einmal angewiesen ist, oder gar sich in wichtigen An- 
gelegenheiten selbst etwas vorzuspiegeln. Und weil das so ist, habe 
ich die Ueberzeugung, daß die japanische Statistik, alles in allem ge- 
nommen, heute schon besser ist als ihr Ruf. 


1) Um dem dringendsten Bedürfnis zu genügen, wurde 1882 unter dem Namen 
Kyoritsu tokei gakko eine statistische Schule gegründet, die von 1882—1885 im ganzen 
36 Statistiker ausbildete. Sie besteht meines Wissens heute nicht mehr. 


Miszellen. 261 


VI. 


Erklärung. 


Wie ich erfahre, hat Herr Major Haushofer einen Ausdruck meiner 
im Märzheft dieser Zeitschrift erschienenen Besprechung seines Buches 
Dai Nihon anders aufgefaßt, als er gedacht war, obwohl der darauf 
folgende Satz doch ausdrücklich dazu bestimmt ist, ihm alles Ver- 
letzende zu nehmen. Ich trage kein Bedenken zu erklären, daß mir 
nichts ferner gelegen hat, als den Verfasser persönlich verletzen zu 
wollen, und nehme daher den, wie es scheint, in seiner Tragweite miß- 
verständlichen Ausdruck „ein leiser Hauch der Unwahrhaftigkeit“ zurück. 
Dagegen halte ich meine sachlichen Ausstellungen, namentlich so- 
weit sie den nationalökonomischen Teil des Buches, insonderheit die 
Methode der Materialbeschaffung und Materialverarbeitung betreffen, 
in ihrem vollen Umfange aufrecht. 

Waentig. 


262 Literatur. 


Literatur. 


I. 


Verhandlungen des ständigen Arbeitsbeirates über 
den Entwurf eines Gesetzes betreffend die Regelung 
der Arbeitsverhältnisse in der Heimarbeit. 

Wien 1913. 416 SS. 

Besprochen von Prof. Dr. P. Arndt, Frankfurt a. M. 


Diese Veröffentlichung des k. k. Arbeitsstatistischen Amts in 
Wien enthält einen Bericht über die Verhandlungen des österreichi- 
schen Arbeitsbeirates und des von diesem eingesetzten Heim- 
arbeiterausschusses über den vom österreichischen Handels- 
ministerium im Jahre 1911 ausgearbeiteten Entwurf eines Gesetzes be- 
treffend die Regelung der Arbeitsverhältnisse in der Heimarbeit 
der Kleider-, Schuh- und Wäschewarenerzeugung. In 4 Plenar- und 
9 Ausschußsitzungen, die in einem Zeitraum von 11/, Jahren (Dez. 
1911 bis Mai 1913) stattfanden, wurde der Entwurf beraten. Der Bei- 
rat nahm an ihm wichtige Aenderungen vor und redigierte ihn neu. 
Der Hauptinhalt seiner Vorschläge war folgender (nach einer Zusammen- 
fassung des Obmanns des Heimarbeiterausschusses, Dr. M. Hainisch; 
vgl. S. 279 ff.): Zur „Evidenzhaltung“ der Heimarbeiter hat jeder 
Unternehmer, der ‚„Stückmeister‘‘ oder Heimarbeiter beschäftigt, diese 
Tatsache der Gewerbebehörde anzuzeigen und ihr eine Liste der be- 
schäftigten Personen vorzulegen; eintretende Aenderungen sind der Be- 
hörde von Zeit zu Zeit mitzuteilen. In den Räumen, in denen Heim- 
arbeit übergeben und übernommen wird, sind die Arbeitsbedingungen 
durch Plakat ersichtlich zu machen. Die Stückmeister sollen Lie- 
ferungsbücher, die Heimarbeiter Lohnbücher bekommen. Ferner 
ist eine Inspektion der Räume, in denen die Heimarbeit stattfindet, 
sowohl durch den Gewerbeinspektor wie auch durch den Amtsarzt vor- 
gesehen; unter Umständen — wenn die Räume besonders gesundheits- 
schädlich sind, oder wenn eine Epidemie herrscht — kann die Arbeit 
in den Räumen untersagt werden. Den Heimarbeitern wird verboten, 
fremde Hilfskräfte zu halten. Kinder unter 12 Jahren dürfen 
gar nicht, über 12 Jahren nur gelegentlich mitarbeiten. Der „Schwer- 
punkt des Entwurfes“ liegt nach Hainisch in dem „Eingriff in 
das Lohnverhältnis“. In allen Bezirken, in denen eine größere 
Zahl von Heimarbeitern beschäftigt wird, sollen vom Handelsminister 


Literatur. 263 


Heimarbeitskommissionen, sogenannte Distriktskommissionen — 
in Deutschland sagen wir „Lohnämter‘“ — bestellt werden, die sich 
aus 6 Gruppen (3 Unternehmergruppen und je 1 Gruppe der „Stück- 
meister“, der „Werkstattgehülfen der Stückmeister‘‘ und der „Heim- 
arbeiter“) von mindestens 3 und höchstens 6 Personen und ebenso- 
vielen Ersatzleuten zusammensetzen. Die Kommission „hat für die ihr 
zugewiesenen Produktionszweige Mindestlöhne für die Werkstatt- 
gehülfen der Stückmeister und die Heimarbeiter, Mindestpreise für 
die von den Stückmeistern ihren Auftraggebern zu liefernden Waren und 
sonstige Arbeitsbedingungen festzusetzen“. Zum Zustandekom- 
men solcher Satzungen ist die Zustimmung sämtlicher Gruppen erfor- 
derlich; innerhalb jeder Gruppe entscheidet die Mehrheit. Die Distrikts- 
kommissionen sollen ferner als Einigungsämter fungieren, unter Um- 
ständen Schiedssprüche fällen, Gutachten abgeben und Erhebungen ver- 
anstalten können. Ueber den Distriktskommissionen der einzelnen Er- 
werbszweige soll je eine Zentralkommission stehen, „der eine 
Ueberprüfung der Beschlüsse der Distriktskommissionen zufallen 
würde, die also auch solche Satzungen abändern dürfte, und deren 
Tätigkeit darauf gerichtet sein soll, daß keine Ungleichmäßigkeit statt- 
finde und nicht etwa ein Distrikt gegen den andern Lohnpolitik mache“. 
„Eine tief einschneidende "Bestimmung ist die, daß, falls die Zentral- 
kommission sich nicht einigen kann, der Vorsitzende derselben be- 
rechtigt ist, zu dirimieren und aus eigener Machtvollkommenheit eine 
Minirnallohnsatzung zu erlassen. Doch kann er dies wieder nur unter 
der Kontrolle des Handelsministeriums; denn dem Handelsminister 
steht das Recht zu, diese Satzung aufzuheben.“ Endlich werden die 
Heimarbeitskommissionen ermächtigt, „die zwischen Unternehmern und 
Arbeitern zustande kommenden Kollektivverträge nicht nur für 
diese Vertragsteile, sondern auch für alle Angehörigen der betreffenden 
Branche, also auch für die Außenseiter, rechtsverbindlich zu 
machen“ (S. 111). 

Die Beschlüsse dieser Berater des österreichischen Handelsministe- 
riums lassen also an Radikalismus nichts zu wünschen übrig: Staatliche 
Festsetzung von Mindestlöhnen und Rechtsverbindlichkeit der Kollektiv- 
verträge für alle Gewerbeangehörigen! Höchstens hätte man noch die 
sofortige Unterdrückung der Heimarbeit beschließen können! Tatsächlich 
bezeichneten mehrere einflußreiche Mitglieder des Arbeitsbeirates, na- 
mentlich der Gewerkschaftssekretär und Reichsratsabgeordnete Smitka, 
die „gänzliche Abschaffung der Heimarbeit“ als das zu erreichende Ziel 
und betonten, es „dürfe keinesfalls die Heimarbeit (durch Reformen) 
lebensfähiger gemacht werden“ (S. 138, 177, 191). Sie glaubten aber, 
daß ein gesetzliches Verbot der Heimarbeit einweilen noch nicht durch- 
führbar sei, und zogen es daher vor, die Heimarbeit durch scharfe 
„Schutz“-Maßregeln allmählich konkurrenzunfähig zu machen. 

Bemerkenswert ist, daß in den langen Sitzungen des Beirats und 
seines Ausschusses gegen die staatliche Festsetzung von Mindestlöhnen, 
die übrigens auch schon im Entwurf des Handelsministeriums vor- 
gesehen war, kein ernster grundsätzlicher Widerspruch erhoben 


264 Literatur. 


wurde; einige Unternehmervertreter äußerten nur gelegentlich ziemlich 
schüchtern dieses oder jenes Bedenken gegen die als wichtigstes Heil- 
mittel vorgeschlagene Maßregel, schickten sich dann aber bald in das, 
wie es schien, Unvermeidliche. Die Debatte betraf nicht den Grundsatz 
der autoritativen Festsetzung von Löhnen, sondern nur technische 
Einzelheiten der Anwendung des Grundsatzes (Zentralisation oder 
Dezentralisation, Befugnisse der lokalen und nationalen Kommissionen, 
Abstimmung, Geschäftsgang, Befugnis und Wahl des Vorsitzenden der 
Kommissionen, Anwendung des Gesetzes auf weitere Heimarbeitszweige 
usw.). Die sehr wohl aufzuwerfende Frage, ob die staatliche Fest- 
setzung von Mindestlöhnen den Heimarbeitern nicht mehr Schaden 
als Nutzen bringen würde, wurde überhaupt nicht gestellt, offenbar, 
weil man sie für überflüssig hielt. Der Ausschuß-Obmann Dr. Hai- 
nisch gestand in einem seiner Berichte (S. 146), er habe lange ge- 
braucht, um sich von der „Notwendigkeit“ des „autoritativen Eingriffes 
in den Lohnvertrag‘‘ zu überzeugen; was er aber in seinen Berichten 
zur Begründung seiner heutigen Meinung vorbrachte, ist äußerst dürftig. 
Am Schluß der Hauptberatung (S. 270) wies er „zur Begründung der 
Notwendigkeit der Festsetzung von Minimallöhnen‘“ auf die „ungeheure 
Verbreitung der Tuberkulose“ gerade in jenen Gegenden hin, „wo 
die schlechtesten Löhne gezahlt werden“. Da müßte doch zunächst der 
ursächliche Zusammenhang zwischen Tuberkulose, deren Ver- 
breitung wahrscheinlich auf eine ganze Reihe von Gründen zurückzu- 
führen ist, und Heimarbeit nachgewiesen werden, und es wäre weiter zu 
beweisen, daß die staatliche Festsetzung von Minimallöhnen das Lohn- 
niveau jener Gegenden erhöhen und dadurch eine Einschränkung der 
Tuberkulose hervorrufen kann, und außerdem, daß kein anderes 
wirtschaftliches Mittel zu diesem Zwecke verfügbar ist. 

Dies war nämlich das zweite Argument zur Begründung der 
Mindestlöhne: „Anders kann man dem Heimarbeitsprobleme nicht an 
den Leib rücken“ (Hainisch, S. 167). „Wer sich ernstlich mit dem 
Heimarbeiterproblem beschäftigt, wird sich der Einsicht nicht ver- 
schließen können, daß sich die Sozialpolitik hier in einer Zwangslage 
befindet, und daß die Gesellschaft von einer Art Notrecht Gebrauch 
macht, wenn sie Maßregeln auf einem Gebiet ergreift, das sonst dem 
Spiele widerstreitender Interessen voll und ganz überlassen wird“ (Hai- 
nisch, S. 146). Alle diese Gedankengänge sind anfechtbar. Wenn 
es feststeht, daß zwei Mittel (freier Wettbewerb und Organisation) nicht 
helfen, so ist damit noch nicht bewiesen, daß ein drittes Mittel (staat- 
licher Zwang) hilft. Die staatliche Erzwingung höherer Löhne zerstört 
in den Fällen, in denen die niedrigsten Stundenlöhne gezahlt werden, 
nämlich bei geringer individueller Leistungsfähigkeit (ungelernte Frauen, 
Greise, Krüppel, Jugendliche) und in technisch rückständigen In- 
dustrien wie der Handweberei einfach die Arbeitsgelegenheit, raubt 
also den Heimarbeitern auch noch das Wenige, was sie bis dahin haben; 
und in den übrigen Fällen, in denen es sich um lebensfähige Industrien 
und leistungsfähige Arbeitskräfte handelt, vermag sie das Lohnniveau 
nicht oder nur unwesentlich zu erhöhen. Ich glaube das deutlich an 


Literatur. 265 


dem Beispiel der Heimarbeiter des rhein-mainischen Wirtschaftsgebietes 
im Schlußbande unserer Frankfurter Monographiensammlung (, Die 
Heimarbeit im rhein-mainischen Wirtschaftsgebiet“, Bd. III, 2, S. 575 
—669, Jena, G. Fischer, 1914) gezeigt zu haben. i 

Das dritte Argument zugunsten der Mindestlöhne war das Bei- 
spiel Englands. Nun, wie die englischen Experimente ausfallen 
werden, weiß jetzt noch niemand. Wer aber den Autoritätenbeweis 
führen will, sollte sich neben England, dessen Sozialpolitik unter dem 
Druck der Arbeiterpartei, von der die liberale Regierung abhängig ist, 
in den letzten Jahren in ein sozialistisches Fahrwasser geraten ist, 
doch auch Deutschlands erinnern, in dem man sozialpolitische Pro- 
bleme wahrhaftig nicht leicht zu nehmen pflegt, wo aber die staatliche 
Festsetzung von Mindestlöhnen noch im Jahre 1911 mit Entschieden- 
heit akgelehnt worden ist, trotzdem das Zentrum, die Sozialdemokratie 
und einige Volksparteiler im Reichstag eifrig für sie eingetreten waren. 

Man darf sich auch nicht dadurch beirren lassen, daß in Oester- 
reich wie allerwärts „die Arbeiterschaft‘“ die Festsetzung von 
Mindestlöhnen für die Heimarbeiter befürwortet. Denn „Arbeiterschaft“ 
bedeutet doch hier im wesentlichen nur einige sozialistische Theoretiker 
und Führer der großstädtischen Fabrikarbeiter. Diese aber können als 
Vertreter der Heimarbeit ebensowenig anerkannt werden wie etwa 
Großindustrielle als Vertreter des Handwerks. Die Fabrikarbeiter sind 
ja vielfach die Konkurrenten der Heimarbeiter, und ihre Vertreter 
streben meistens auch offen nach der Vernichtung der Heimarbeit, wo- 
mit den Heimarbeitern der denkbar schlechteste Dienst erwiesen würde. 
In den weitaus meisten Fällen kann und will eben der Heimarbeiter 
— noch mehr vielleicht die Heimarbeiterin — nicht in die Fabrik gehen. 
Auch dieses wichtige Moment, das von so vielen Sozialpolitikern über- 
sehen wird, ergibt sich mit aller Klarheit aus unseren Untersuchungen 
der Heimarbeit des rhein-mainischen Wirtschaftsgebietes wie aus den 
Erhebungen Bittmanns über die Heimarbeit Badens. 

Ziemlich ausführlich wurde in den Wiener Beratungen die tech- 
nische Durchführbarkeit der Festsetzung von Mindestlöhnen be- 
Sprochen, Man kam zu dem Ergebnis, daß in der Kleider-, Schuh-, 
Wäsche-, Kürschnerwaren- und Kappenerzeugung die technischen 
Schwierigkeiten überwunden werden könnten. Mir scheint indessen, 
daß man die Hindernisse auch hier erheblich unterschätzt hat. Um wie 
viele oft wechselnde Muster handelt es sich in diesen Erwerbszweigen, 
und wie verschieden sind die Lebensverhältnisse in den Gegenden 
Oesterreichs, in denen sie bestehen! Da glaubt man mit einigen wenigen 
Sitzungen der Heimarbeitskommissionen in weiten Abständen durch- 
zukommen! Weder der Vorsitzende der Kommission noch die Behörde, 
sagte Smitka (S. 228), werde zugeben, daß etwa schon nach einem 
Jahre eine Abänderung der festgesetzten Löhne versucht werde; ebenso 
sprach sich Dr. Hainisch (S. 226) dahin aus, nicht nur die Unter- 
nehmer, sondern auch der Unparteiische (Vorsitzende) und das Handels- 
ministerium würden sich gewiß dagegen wehren, „daß jedes Jahr oder 
gar alle sechs Monate die Lohnfrage aufgeworfen werde“. Wie sollen 


266 Literatur. 


aber bei einer so schwerfälligen Handhabung die notwendigen An- 
passungen an die Erfordernisse der Konjunktur, der Mode usw. möglich 
sein? Schließlich stieß auch der Wiener Ausschuß bei seinen Beratungen 
auf eine Schranke, über die er trotz aller Zuversicht nicht hinweg 
konnte. Bei der Erörterung der Frage, ob es zweckmäßig sei, auch der 
Heimarbeit des Posamentiergewerbes den „Schutz“ des Gesetzes an- 
gedeiheu zu lassen, teilte ein „Experte“, ein Großhändler, mit, daß er 
37000 verschiedene Muster führe: Tressen, Hutfedern, Perlen usw. 
(S. 396). Bei dieser Angabe entfiel auch den Zielbewußtesten der Mut, 
für diese verschiedenen Warenarten in einigen Kommissionssitzungen 
„autoritative“ Mindestlöhne auszurechnen. Der Obmann Dr. Hai- 
nisch sagte in seinem Schlußwort resigniert, „es würde jedenfalls 
außerordentlich schwer sein, das Prinzip der Minimallöhne auf alle 
diese Muster auszudehnen‘, und der Ausschuß beschloß, von der An- 
wendung des Gesetzes auf das Posamentiergewerbe Abstand zu nehmen. 

Alles in allem, das Problem der staatlichen Festsetzung von 
Mindestlöhnen ist auch in Oesterreich trotz der Beschlüsse des „ständigen 
Arbeitsbeirates‘‘ noch lange nicht spruchreif. Alle Hauptfragen dieser 
„Reform“ bedürfen noch weiterer gründlicherer Prüfung. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 267 


Uebersicht über die neuesten Publikationen 
Deutschlands und des Auslandes. 


1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 

Haret, Sp. C., Mécanique sociale. Paris 1910. 80. 256 SS. 

Verf. sucht die Gesetze der theoretischen Mechanik auf die Er- 
scheinungen des gesellschaftlichen Lebens und die gesellschaftliche Ent- 
wicklung anzuwenden. Es kann sich dabei aber immer nur um eine 
Beschreibung der sozialen Vorgänge in den der Mechanik entnommenen 
Begriffen und Ausdrücken handeln. Gewiß ist es gestattet, bildlich die 
Ursachen der sozialen Aenderungen Kräfte und die Aenderungen selbst 
Bewegungen zu nennen, aber dabei ist nicht zu vergessen, daß diese 
Analogien nur in einem ganz abstrakten Sinne zutreffen und daß aus 
ihnen keinerlei neue Erkenntnisse über das Wesen und den inneren 
Zusammenhang der sozialen Erscheinungen abgeleitet werden können. 
Denn in Wirklichkeit sind diese ihrem ganzen Wesen nach von den 
theoretisch-mechanischen Vorstellungen verschieden. Die Dynamik kennt 
nur gegebene räumliche Bewegungsquantitäten und „Kräfte“ in dem 
Sinne vorgeschriebener Aenderungen von Bewegungsquantitäten und 
die Statik hat es nur mit der gegenseitigen Aufhebung von Be- 
wegungsquantitäten zu tun. Schlüsse aus solchen konkreten Begriffen 
lassen natürlich keine konkrete Anwendung auf soziale Zustandsände- 
rungen und Zustände zu. Verf. nimmt drei Gattungen von sozialen 
Kräften an, wirtschaftliche, intellektuelle und moralische, und läßt 
diese nach den drei Achsen eines Koordinationssystems wirken. Man 
kann nun noch zugeben, daß diese drei Aenderungsursachen sich im 
sozialen Leben zu einer gemeinschaftlichen Wirkung vereinigen, aber 
weiter besteht keine Vergleichbarkeit zwischen dieser Vereinigung und 
der Zusammensetzung in den gleichartigen und nur nach Richtung; 
und Größe verschiedenen mechanischen Bewegungen. Verf. selbst findet 
eine Schwierigkeit in der Anwendung des Prinzips der Trägheit auf 
die sozialen „Bewegungen“. Es müßte hiernach ja, wenn die auf ein 
Individuum wirkende „Kraft“ verschwindet, die demselben erteilte Be- 
wegung gleichmäßig und in gleicher Richtung fortdauern. Er nimmt 
diesen Satz nur „provisorisch“ an und erwartet seine Bestätigung von 
dem Fortschreiten der Wissenschaft. Die Schwierigkeit entsteht aber 
einfach aus der Bildlichkeit des Begriffs „Bewegung“ im Sinne von 
„sozialer Zustandsänderung“. Die durch irgendeine Ursache herbei- 
geführte Zustandsänderung bringt einen neuen Zustand, der fort- 
dauert, bis eine neue Aenderung eintritt, der aber selbst keine Be- 
wegung oder Aenderung ist. Wenn ein junger Mann unter dem Einfluß 
gewisser Motive ein Handwerk erlernt und nun imstande ist, selbständig 
Meister zu werden, so geht er in einen anderen Zustand über, in dem 
er möglicherweise stationär bleibt. Auch alle übrigen mechanischen 


268 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Prinzipien, wie das d’Alembertsche Prinzip, das Prinzip der Erhaltung 
der Energie, das Prinzip der kleinsten Wirkung usw., lassen sich nur in 
ganz abstrakten Verallgemeinerungen auf die sozialen Erscheinungen 
anwenden und die in ihren Formeln vorkommenden Geschwindigkeiten, 
Quadrate der Geschwindigkeiten und solche Größen enthaltenden Inte- 
grale haben für jene Erscheinungen keinerlei wirkliche Bedeutung, 
weil eben die sozialen Aenderungen keine wirklichen räumlichen Be- 
wegungen sind. Verf. hofft zwar viel von der Zukunft, aber tatsächlich 
begnügt er sieh mit einer gewissermaßen bildlichen Darstellung des 
sozialen Lebens und der sozialen Entwicklung nach dem Schema der 
Prinzipien der Mechanik. Für Leser, die mit diesen Prinzipien einiger- 
maßen vertraut sind, haben diese Ausführungen auch ohne Zweifel ein 
gewisses Interesse, und da Verf. Professor an einer technischen Hoch- 
schule ist, so hat er wohl zunächst an die Anschauungsweise der 
Ingenieure gedacht. In den letzten Abschnitten des Buches treten 
übrigens die mechanischen Formeln mehr und mehr zurück und der 
Inhalt besteht hauptsächlich aus soziologischen und kulturgeschicht- 
lichen Betrachtungen, die sich nur mehr oder weniger an die Termino- 
logie der Mechanik anlehnen. 


Göttingen. W. Lexis. 


Michels, Robert, Probleme der Sozialphilosophie. 
Bd. XVIII der Sammlung „Wissenschaft und Hypothese“. Leipzig und 
Berlin, 1914. 204 SS. 

Robert Michels ist eine interessante Persönlichkeit unter den mo- 
dernen Soziologen. In seinem Kopfe gährt eine Fülle von Ideen, eige- 
nen und fremden, und da er viel gelesen, mancherlei erlebt hat — seine 
Vergangenheit ist für einen Gelehrten sehr abwechslungsreich — und 
über eine große Fähigkeit der Darstellung verfügt, so weiß er in seinen 
zahlreichen Büchern und Aufsätzen die mannigfachsten Fragen, die 
das soziale Leben der Menschen stellt, in interessanter Weise zu formen 
und zu beleuchten. Ein Musterbild dieser Methode geistvoller Be- 
handlung gesellschaftlicher Phänomene bietet die vorliegende Schrift, 
die übrigens — schon mit Rücksicht auf die Sammlung, in deren Rahmen 
sie erscheint — mehr für ein großes Publikum als für engere Fach- 
kreise bestimmt ist, und daher mit vollem Bewußtsein jede syste- 
matische Gliederung des Stoffes ebenso vermeidet, wie jede auch nur 
halbwegs erschöpfende Erörterung der gestellten Probleme. Der Ver- 
fasser bescheidet sich von vornherein’ damit, „sachlich neue Streiflichter‘ 
auf alte Probleme geworfen zu haben. Es handelt sich also im Grunde 
um eine Sammlung von Essays über einzelne Fragen der Soziologie — 
— dieser Ausdruck wäre zweckmäßiger als der vom Verfasser gewählte 
„Sozialphilosophie“ —, deren jeder ein für sich bestehendes Ganzes 
darstellt; und nur bei aufmerksamer Lektüre lassen sich die Fäden 
verfolgen, welche die Aufsätze untereinander verbinden: den Essay über 
die Kooperation mit jenem über „Solidarität und Kastenwesen“; den 
letztgenannten mit jenem über die „zeitliche Widerstandsfähigkeit des 
Adels“, und diesen wieder mit jenem über Eugenetik usf. Besondere 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 269 


Erwähnung scheint uns der Aufsatz über die Kooperation zu verdienen, 
der vor allem eine logische Gliederung der Formen der Arbeiterkoopera- 
tion versucht, die historische Notwendigkeit des Entstehens neuer Ver- 
bände als Reaktion gegen die atomisierenden Tendenzen des Kapitalis- 
mus darlegt, die Bedeutung des ideellen Faktors in der modernen Ver- 
bandsbildung betont, und vor allem auf das in jeder Kooperation 
steckende negative Element — den Gegensatz der verbundenen Indi- 
viduen gegen die Antagonisten hinweist. Auch das Kapitel über die 
internationale Bourgeoisie ist sehr anregend; es beschäftigt sich vor- 
wiegend mit der verschiedenartigen Wertung sozial bedeutsamer Quali- 
täten — Besitz, Bildung, Herkunft — bei den verschiedenen Na- 
tionen und forscht nach den Gründen für das verschiedenartige Ver- 
halten ihrer Kaufleute im Welthandel. Allein jeder Versuch einer 
detaillierten Inhaltsangabe muß versagen, weil das Charakteristische 
der Schrift eben nicht in einer erschöpfenden Behandlung der gewählten 
Themen, sondern in geistreichen Bemerkungen besteht. Nicht selten 
entläßt freilich Michels den Leser am Schlusse eines Kapitels mit 
neuen Fragen, die eigentlich erst auf die Größe und Bedeutung der auf- 
geworfenen Probleme hinweisen. 
Wien. KarlPribram. 
Pesl (Rechtsanw.), Dr. D., Der Mindestlohn. München u. Leipzig, Duncker 
u. Humblot, 1914. gr. 8. VI—403 SS. M. 10.—. 


Spann, Prof. Dr. Othmar, Kurzgefaßtes System der Gesellschaftslehre. 
Berlin, J. Guttentag, 1914. gr. 8. XVI—354 SS. M. 9.—. 


Nogaro, (prof.) B., Éléments d'économie politique. T. 2: Répartition. Con- 
sommation. Doctrines. Paris, M. Giard et E. Brière, 1914. 18. 269 pag. fr. 4.—. 

Gini, prof. Corrado, L'ammontare e la composizione della ricchezza 
delle nazioni. Torino, fratelli Bocca, 1914. 8. 709 pp. 1. 10. (Biblioteca di 
scienze sociali, vol. 62.) 


2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 

Schneider, Oswald, Bismarcks Finanz- und Wirtschaftspolitik. 
Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen, hrsg. von Schmoller 
und Sering. Heft 166. 1912. 

Aus dem Problem „Bismarck als Nationalökonom“ gibt die Schrift 
einen Ausschnitt: die Finanzpolitik und die (äußere) Wirtschaftspolitik 
vornehmlich von. 1871—1890 wird übersichtlich und verständig ge- 
schildert. Da in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Quellen- 
schriften zur Aera Bismarck erschienen sind, vermag Verf. ältere 
Darstellungen in wertvoller Weise zu ergänzen. In seiner Kritik ist 
Verf. nicht immer glücklich. Die ungünstige Bewertung der Mit- 
arbeiter des Kanzlers ist etwas schematisch ausgefallen. Ob man Del- 
brück als „gerieben“ bezeichnen darf, will uns doch recht zweifelhaft 
erscheinen. Daß Bismarck Reichsministerien errichten wollte (nicht 
bloß Reichsämter, S. 51), ist eine Verkennung seiner Verfassungs- 
anschauungen. Wenn S. 252 gerügt wird, daß mit den Agrarzöllen 
nicht gleichzeitig eine Grundsteuerentlastung durchgeführt wurde, so 
schließt sich der Verf. der durchaus irrtümlichen Auffassung Bis- 
marcks von der Wirkung der preußischen Grundsteuer an. Anderer- 


270 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


seits heißt: es S. 275: „Im besonderen hat er in der Finanzpolitik das 
feste Fundament gelegt, auf dem die Reichsfinanzen immer ruhen 
werden, auf indirekten Steuern und Zöllen.‘“ Diese Versicherung kann 
heute niemand für alle Zukunft geben. Sind wir durchaus sicher, daß 
das Reich in abermals 35 Jahren noch immer allein aus Agrarzöllen 
eine viertel Milliarde Mark beziehen wird? Und wenn nicht — wird 
sich der Minderertrag immer aus indirekten Steuern ergänzen lassen ? 

Der Verf. hat seinem Buche den Untertitel gegeben: Eine Dar- 
stellung seiner (Bismarcks) volkswirtschaftlichen Anschauungen. So wert- 
voll und brauchbar die Schrift sonst ist, diese Darstellung ist sie 
uns vollkommen schuldig geblieben. Handlungen eines Staatsmannes 
lassen sich in zeitlicher Begrenzung und auf einzelnen Gebieten schildern, 
Anschauungen aber nicht. Bismarcks nationalökonomische Ge- 
dankengänge stammen zum guten Teil aus seiner Jugendzeit, und wer 
nicht genetisch hierauf eingeht, wird immer nur momentane Einzel- 
heiten erfassen. Vor allem aber wird Verf. in keiner Weise der genialen 
Totalität in Bismarcks wirtschaftlichem Wirken gerecht. Er kannte 
nur ein Ziel: Festigung des Reiches. Und deshalb will er Schutz- 
zölle, um die wirtschaftliche Sicherheit zu gewährleisten, die bedenk- 
lichen Folgen der Arbeitslosigkeit zu beseitigen, um die Massen von den 
direkten Steuern entlasten und ihnen umgekehrt die positiven Wohl- 
taten der Sozialpolitik zuwenden zu können. Wer deshalb Bismarcks 
Wirtschaftspolitik schildern will, ohne auf die Sozialpolitik einzugehen, 
kann, wie in diesem Falle, wertvolle Detailarbeit bieten, aber nie- 
mals ein Bild, das der überragenden Größe eines Bismarck entspricht. 

Halle a. S. Georg Brodnitz. 


Bikel, Dr. Herm., Die Wirtschaftsverhältnisse des Klosters St. Gallen 
von der Gründung bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Eine Studie. Mit 1 Plan 
des Klosters St. Gallen. Breisgau, Herdersche Verlagshandlung, 1914. gr. 8. XIV— 
351 SS. M. 7.—. 

Frank, Dr. S., München-Gladbach, die Stadt der Benediktiner, das nieder- 
rheinische Manchester. M.-Gladbach, L. Boltze, 1914. gr. 8. VIII—288 SS. mit 
Taf. und 2 Plänen. M. 7,50. 

Katona, B&la, Die Volkswirtschaft Ungarns. Finanzielles und national- 
ökonomisches Jahrbuch 1913. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. gr. 8. 
301 SS. M. 5.—. 


Godart, Felix, La Roumanie agricole. Bruxelles, Louis Vogels, 1914. 
21X 13,5. figg., cartes, diagramme. 42 pag. fr. 0,75. 

Ashley, William James, The economic organisation of England. An 
outline history. London, Longmans. Cr. 8. 222 pp. 2/.6. 

Griewe, W. F., History of South America, from the first human existence 
to the present time. Cleveland, Central Publishing House. 12. $ 2.—. 


3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung 
und Kolonisation. 
Grotjahn (Priv.-Doz.), Prof. Dr. A., Geburten-Rückgang und Geburten- 


Regelung im Lichte der individuellen und der sozialen Hygiene. Berlin, Louis 
Marcus, 1914. gr. 8. XIV—371 SS. M. 6.—. 


Le Pointe, H., La colonisation française au pays des Somalis. Ouvrage 
orné de 10 illustrations hors texte. Paris, Jouve et Cie., 1913. 8. 105 pag., carte 
et gravures. fr. 2,50. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 271 


%. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen. 

Pöller, Richard, Die Gefahren des Bergbaues und die Gruben- 
kontrolle im Ruhrrevier. München 1914. 

Der Verfasser hat sich mit großem Fleiß bemüht, in die äußerst 
schwierige Materie einzudringen; aber es ist ihm nicht gelungen, sie 
zu beherrschen, weil ihm die dazu nötigen technischen Kenntnisse und 
Erfahrungen fehlen. Von Mangel an Erfahrungen zeugt es vor allen 
Dingen, daß der Verfasser alle Aeußerungen der Tagespresse, nament- 
lich der „Bergarbeiterzeitung‘, des „Bergknappen“ und des „Techni- 
schen Grubenbeamten‘“, sowie der Broschüren von G. Werner, dem 
Vorsitzenden des gar nicht mehr existierenden Deutschen Steigerver- 
bandes, über Mißstände im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau 
kritiklos mitteilt, also von ihrer Wahrheit überzeugt zu sein scheint, 
während er amtliche Publikationen anzweifelt und herabsetzt. 

So wird auf Seite 29 und 30 eine Mitteilung der Bergarbeiter- 
zeitung vom 12. März 1910 über angebliche ungünstige Einflüsse der 
Bohrhämmer und Schrämhämmer auf das Nervensystem der Berg- 
arbeiter wiedergegeben und daran die Bemerkung geknüpft, ob eine 
Verbesserung an diesen Apparaten die Zerrüttung der Nerven der 
Bergleute verhindern würde, sei mehr als fraglich, denn auch geringe 
Stöße, in rascher Folge geführt, müßten das Nervensystem angreifen. 
Dann heißt es wörtlich: „Der Geschäftsbericht des Allgemeinen Knapp- 
schaftsvereins in Bochum pro 1910 bestreitet allerdings diesen un- 
günstigen Einfluß der Abbauhämmer auf die Bergleute, dem ist in- 
sofern aber keine entscheidende Bedeutung beizumessen, weilseine Grund- 
lage auf einer zu kurzen Beobachtungszeit beruht; denn in dem Be- 
richtsjahr standen die Abbauhämmer erst kurze Zeit (1—1!/, Jahre) 
und nur vereinzelt in Anwendung.‘ Nach Ansicht des Verfassers ist also 
dieser amtliche Bericht für das ganze Jahr 1910 weniger beweis- 
kräftig als die Zeitungsnotiz vom 12. März 1910, die sich nur auf 
einen kleinen Teil dieses Jahres bezieht. 

Ferner wird auf Seite 63 und 64 an dem amtlichen Bericht der 
Bergbehörde über das Schlagwetterunglück auf der Zeche Radbod, 
der als „diplomatisch geschickt abgefaßt‘ bezeichnet wird, eine Kritik 
geübt, die der Grenze des Zulässigen nahekommt. 

Von Mangel an Erfahrung zeugt es auch, wenn der Verfasser auf 
Seite 65 seiner Verwunderung darüber Ausdruck gibt, daß nur ein 
sehr geringer Prozentsatz der von der Bergarbeiterzeitung gebrachten 
Berichte über Mißstände der verschiedensten Art auf den einzelnen 
Gruben durch die Verwaltungen berichtigt worden ist. Der Verfasser 
bemerkt dazu: „Hier ist sicher ein großes Stück sozialer Arbeit zu 
leisten für die Bergbehörde. Geht man den Klagen behördlicherseits 
nach und die Arbeiter wissen das, dann werden sie in ihren Angaben 
von selbst vorsichtig werden.“ Man kann den Verwaltungen wirklich 
nicht zumuten, daß sie alle übertriebenen und entstellten Zeitungs- 
nachrichten berichtigen. Was die Stellung der Bergbehörde anbetrifft, 
so mag der Verfasser belehrt werden, daß diese Behörde jede Zeitungs- 
nachricht über angebliche Mißstände im Bergbau genau prüft und, 


972 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


sofern sie begründet ist, energisch Abhilfe schafft. Das pflegen dann 
aber die Zeitungen nicht zu bringen, weil keine Sensation damit ver- 
bunden ist. 

Der letzte Abschnitt der Schrift beschäftigt sich auf 35 Seiten 
sehr eingehend mit dem Institut der Sicherheitsmänner. Ueber das 
Resultat seiner Untersuchungen scheint der Verfasser aber selbst nicht 
ganz klar zu sein. Er empfiehlt, die Sicherheitsmänner dadurch un- 
abhängig von den Zechen zu machen, daß sie vom Staate bezahlt 
werden, und meint, als staatlich bezahlter Beamter würde der Sicher- 
heitsmanı zur unparteiischen Ausübung seiner Amtspflicht erzogen 
und somit Parteiwünsche beseitigt werden. Aus diesen Gründen emp- 
fiehlt der Verfasser eine staatliche Anstellung der gewählten Arbeiter, 
wogegen man, nebenbei bemerkt, die schwersten staatsrechtlichen Be- 
denken geltend machen muß. Dann aber fährt er wörtlich fort: „Wir 
sehen aber nicht ein, daß es unter allen Umständen Arbeiter sein 
müssen; es gibt so viele Kontrollorgane im Bergbau, wie wir erfahren 
haben, und wenn diese zur objektiven Ausübung ihrer Pflichten tatsäch- 
lich gelangten, würde dasselbe erreicht, wasdurch gewählte Arbeiter erreicht 
werden soll. Nicht auf das Mittel, sondern auf die Erfüllung des Zweckes 
kommt es an. Geht man, um die Grubenkontrolle zu verbessern, nicht 
dazu über, die Steiger zu Staatsbeamten zu machen oder die staat- 
lichen Kontrollorgane zu reformieren, so dürften sich staatlich be- 
soldete Arbeiterkontrolleure nach den Verhältnissen, wie sie heute liegen, 
empfehlen.“ 

Es braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden, daß 
gegen den Vorschlag, die Steiger, also die Beamten der Privatgruben, 
zu Staatsbeamten zu machen, ebenso schwere staatsrechtliche Bedenken 
geltend zu machen sind, wie gegen die staatliche Anstellung der ge- 
wählten Arbeiterkontrolleure. 

Den Zweifel an der objektiven Ausübung der Pflichten der Kon- 
trollorgane zu begründen, hält der Verfasser nicht für nötig. Wie er 
sich eine Reform der staatlichen Kontrollorgane denkt, sagt er nicht. 
Zum Schluß empfiehlt er noch Prämien für die Verhütung von Un- 
fällen, wie sie sich in 2 Fällen beim Kalisalzbergbau und beim Eisen- 
erzbergbau bewährt haben. 

Das Institut der Sicherheitsmänner ist vom preußischen Minister 
für Handel und Gewerbe am Schluß seiner Antwort auf die Inter- 
pellation über das Unglück auf der Zeche Minister Achenbach im 
Abgeordnetenhause am 3. Februar 1914 in geradezu klassischer Weise 
gekennzeichnet worden. ‘Dieses Institut wird man nicht weiter aus- 
bauen. 

Es kann nur wiederholt werden, daß die Frage der Verhütung 
und Verminderung der Unfälle im Steinkohlenbergbau zu den aller- 
schwierigsten gehört. Es bedarf des ernsten Zusammenarbeitens der 
Bergbehörde einerseits und der Bergwerksbesitzer, ihrer Beamten und 
Arbeiter andererseits, um die Gefahren des Bergbaues wirksam zu be- 
kämpfen. So einseitig abgefaßte Schriften wie die vorliegende tragen 
leider nicht dazu bei. 

Halle a. S. Schrader. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 273 


Perlmann, Louis, Die Bewegung der Weizenpreise und ihre 
Ursachen. München und Leipzig 1914. 73 SS. 

Die vorliegende Schrift gehört zu denen des Vereins für Sozial- 
politik, welche den Untersuchungen über die Preisbildungen gewidmet 
sind. Verf. gibt zunächst eine internationale statistische Uebersicht über 
die Entwicklung der Weizenpreise, um dann den Hauptabschnitt in 
in Angriff zu nehmen, die Ursachen der Preisbewegung näher zu unter- 
suchen, wobei er die täglichen, monatlichen, jährlichen Preisbewegungen, 
schließlick die Entwicklung der 10-jährigen Durchschnitte ins Auge 
faßt. Besonders gut durchgeführt ist die Untersuchung über den 
Einfluß der Börse, speziell des Terminhandels auf die Preisbewegung. 
Nicht zu folgen vermögen wir dem Verf. bei seiner Vergleichung der 
Weizenpreise mit dem gesamten Preisniveau, wobei er zu einer großen 
Uebereinstimmung derselben gelangt, die er uns zu überschätzen scheint; 
einmal schon nach den von ihm gegebenen Zahlen, noch mehr aber, 
weil die Indexzahlen, die er heranzieht, doch in hohem Maße gerade 
durch die Getreidepreise gemacht werden. Das ganze Schriftchen ist 
durchaus lesenswert. J. ©. 


Kubelka (Ober-Forstr.), Aug., Die Ertragsregelung im Hochwalde auf 
waldbaulicher Grundlage. Wien, Wilhelm Frick, 1914. gr. 8. V—37 SS. M. 2.—. 

Mommsen (Zuchtdir.), Christian, Stellung und Aufgaben der Viehzucht 
und Viehhaltung in der modernen, intensiven Ackerwirtschaft. (Arbeiten der 
deutschen Gesellschaft für Züchtigungskunde, Heft 17.) Hannover, M. u. H. 
Schaper, 1913. gr. 8. VII—145 SS. mit 5 farb. Karten. M. 4.—. 

Paulus, Gerh., u. (Bergassessor) A. Over, Berg-Recht und -Verwaltung. 
Hand und Lehrbuch für Praktiker und Studierende, sowie zum Selbstunterricht 
leichtfaßlich dargestellt. Potsdam, Bonneß u. Hachfeld, 1914. gr. 8. III, 255, 89, 
74 u. 6 SS. mit 4 Tab. M. 7.—. 

Rümker (Geh. Reg.-Rat), Prof. Dr. v., Die deutsche Landwirtschaft, ihre 
Bedeutung u. Stellung im In- und Auslande. Berlin, Paul Parey, 1914. gr. 8. 
58 SS. M. 1,20. 

Schönfeld, Dr. Rud., Die Kohlen- und Eisenerzfrage der Gegenwart und 
Zukunft. (Diss.) Dresden, E. Wulffen, 1914. gr. 8. XI, 101 u. 42 SS. mit 9 Fig. 
und 1 farb. Karte. M. 3,60. 

Siebenlist (Forstamtsassessor), Th., Forstwirtschaft in Deutsch-Ostafrika. 
Berlin, Paul Parey, 1914. gr. 8. VI—118 SS. mit 4 Taf. M. 4.—. 


Credit (le) agricole. Encouragements à la petite propriété rurale. Le 
crédit individuel à long terme en faveur des petites exploitations. Le bien de 
famille insaisissable. But. Organisation. Fonctionnement. Paris, Impr. nationale, 
1914. 8. 114 pag. (Ministère de l'agriculture. Service du crédit, de la coopération 
et de la mutualité agricoles.) 

Marcillac, marquis de, Les syndicats agricoles. Leur action économique 
et sociale. Paris, J. Gabalda, 1913. 18. IX—265 pag. (Économie soicale.) 

Cantrill, T. C., Coal mining. London, Cambridge Univ. Press. 12. 168 pp, 
1/.—. 
Livingston, @., Field crop production. London, Macmillan. Cr. 8. 6/.—. 
Enciclopedia (Nuova) agraria italiana, in ordine metodico, diretta 
dal dott. Vittorio Alpe, ing. Mario Zecchini, dott. Mario Soave. Disp. 
136 (fine della viticoltura, del prof. Domizio Cavazza). Torino, Unione tipo- 
grafico-editrice, 1914. 8. p. 513—563. 1. 1. la dispensa. 

Jaia, prof. Goffredo, La questione cotoniera e la coltura del cotone in 
Italia. Roma, tip. Unione ed., 1914. 8. 134 pp. 

Valenti, Ghino, Studi di politica agraria (Rimboschimento e proprietà 
collettiva, l’enfitensi, la campagna romana, il latifondo in Sicilia, l'Italia agricola 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 18 


274 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


nel cinquantennio. Roma, Athenaeum (Città di Castello, &. Lapi), 1914. 8. 
XLVII—570 pp. 1.6.—. 

Landbouw, Onze koloniale. Twaalf populaire handboekjes over Nederl.- 
Indische landbouwproducten, onder redactie van J. Dekker. Haarlem, H. D. 
Tjeenk Willink en Zoon. gr. 8. Per serie (6 dltjes) VII. J. Verhagen, De koffie- 
cultuur. 8 en 86 blz. m. 38 fig. tusschen tekst. fl. 1,50. 


5. Gewerbe und Industrie. 

Köhler, Walter, Die Deutsche Nähmaschinenindustrie. Mün- 
chen und Leipzig (Duncker u. Humblot) 1913. 330 SS. Preis geh. 8 M. 

Das Arbeitsgebiet der Industrie, insbesondere der Maschinen- 
industrie, hat in den letzten Jahrzehnten einen derartigen Umfang an- 
genommen und die einzelnen Zweige weisen derartige Verschieden- 
heiten unter sich auf, daß eine gesamte Darstellung vorläufig kaum 
möglich scheint. Es ist deshalb mit Freude zu begrüßen, daß in 
letzter Zeit eine Anzahl von Monographien über einzelne Industrie- 
zweige veröffentlicht worden sind. Diese Monographien, die bald die 
geschichtliche, bald die technische und wirtschaftliche Entwicklung 
eingehender verfolgen, werden für eine spätere zusammenfassende Be- 
handlung wertvolles Material darstellen. Die vorliegende Arbeit von 
Köhler über die deutsche Nähmaschinenindustrie hat den Vorzug, von 
einem Eingeweihten geschrieben zu sein; der Verfasser steht in naher 
Beziehung zu einer unserer größeren Nähmaschinenfabriken. Leider 
hat aber auch er dieselbe Erfahrung machen müssen, die bei derartigen 
Arbeiten sich immer wieder wiederholt, daß nämlich Angaben von 
manchen industriellen Unternehmungen nur sehr schwer und zum Teil 
gar nicht zu erhalten sind. 

Die Vertrautheit mit dem zu bearbeitenden Stoff kommt Köhler 
besonders bei der Darstellung der geschichtlichen Entwicklung zu- 
gute. Er konnte hier, gestützt auf die Berichte seiner persönlichen 
Bekannten, schildern, wie sich der Bau der Nähmaschine vom reinen 
handwerksmäßigen Betrieb bis zur modernen Massenfabrikation ent- 
wickelte. Auch die Darstellung der, zunächst recht kümmerlichen, finan- 
ziellen Verhältnisse ist von großem Interesse. 

Die darauf folgende Beschreibung der Konstruktion und der Fabri- 
kation hat den Vorzug des Strebens nach klarer und verständlicher 
Darstellung. Leider scheint dem Verfasser jedoch der Ueberblick über 
die technische Seite und insbesondere die Kenntnis der Arbeitsverfahren 
in ähnlichen Industrien zu fehlen. So kommt es, daß er häufig allge- 
mein Bekanntes mit Umständlichkeit neu beschreibt und häufig auch 
schief, zum Teil sogar unrichtig widergibt. Dieser technische Teil 
hätte ohne Schaden wesentlich kürzer gehalten werden können, denn 
für den Fachmann ist an keiner Stelle etwas Neues zu finden und für 
den Nichtfachmann dürfte die Beschreibung zu ausführlich sein. Da- 
gegen wäre es wohl angebracht gewesen, auf den technischen Zusammen- 
hang der Nähmaschinenfabrikation mit dem Bau von Schreibmaschinen, 
Fahrräderu und ähnlichen Fabrikaten etwas einzugehen. 

Die Besprechung der deutschen Gewerbe- und Berufszählungen 
zeigt, daß hieraus wertvolle Ergebnisse nicht, oder wenigstens vorläufig 
nicht zu erwarten sind und daß derartige allgemeine Statistiken be- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 275 


sonders dann, wenn die Fragestellung nicht unbedingt klar und ver- 
ständlich ist, sehr leicht irreführen können. Interessant sind die von 
einzelnen größeren Unternehmungen gelieferten Zahlen über die Zu- 
sammensetzung der Arbeiterschaft. Es geht aus diesen Zahlen unter 
anderem hervor, daß die Teilung in gelernte und ungelernte Arbeiter 
seit 1885 annähernd gleich geblieben ist. In diesen Jahren hat sich 
die Entwicklung zur ausgesprochenen Massenfabrikation vollzogen und 
doch beschäftigten z. B. Seidel u. Naumann 1885 44,6 Proz. gelernte 
Arbeiter und 1910 45,1 Proz. 

Die zahlenmäßige Behandlung der Lohnverhältnisse gibt auf Grund 
der denı Verfasser zugänglichen Lohnlisten recht wertvolles Material, 
besonders da die Entwicklung der Löhne bis zum Beginn der Näh- 
maschinenindustrie verfolgt wird. 

Den allgemeinen Ausführungen über die Lohnformen, insbesondere 
Akkordarbeit und das Kolonnensystem wird man jedoch kaum beistimmen 
können. Der Gruppenakkord ist nicht dadurch begründet, daß ein Arbeiter 
mehrere Maschinen bedienen muß, sondern er ergibt sich bei solchen Ar- 
beiten, die nicht gut von einem einzelnen Arbeiter, sondern besser von 
einer Arbeitergruppe erledigt werden. Läßt sich nicht der Anteil der 
einzelnen Arbeiter wohl aber die Gesamtarbeit in Akkord vergeben, so 
findet eben das Kolonnensystem Anwendung. Hierbei wird der Gesamt- 
verdienst der Gruppe aus dem Akkordvertrag berechnet, und die Ver- 
teilung unter die Arbeiter geschieht — regelmäßig nach Festsetzung der 
Fabrik — nach einem bestimmten Schlüssel. Daß der Gruppenführer 
der Fabrik gegenüber allein verantwortlich ist und die Verteilung nach 
eigenen Ermessen vornimmt, dürfte auch in der Nähmaschinenindustrie 
nur selten vorkommen. 

Im letzten Abschnitt wird der Vertrieb der Nähmaschinen behandelt 
und hier wendet sich der Verfasser nach einer Besprechung der üb- 
lichen Vertriebsarten an die deutsche Nähmaschinenindustrie mit der 
Aufforderung, gemeinsam den Kampf mit der amerikanischen Kon- 
kurrenz, d. h. mit der Singer Co., aufzunehmen. Er führt aus, daß 
auf dem Weltmarkt nur zwei Konkurrenten vorhanden sind, das ist 
die Singer Co. und die deutsche Nähmaschinenindustrie. Die Deutschen 
sind dadurch im Nachteil, daß hier 24 verschiedene Fabrikate unter 
verschiedenen Namen und mit verschiedenen Konstruktionen gegen die 
geschlossene Singer Co. zu kämpfen haben. Diesen Nachteil gleicht 
die technische Ueberlegenheit der deutschen Fabriken kaum aus und 
die einzige Möglichkeit, im Wettkampf nicht zu unterliegen, sieht der 
Verfasser in der Kartellierung. Er wünscht, daß bei aller Selbständig- 
keit der einzelnen Fabriken das deutsche Fabrikat unter einheitlichem 
Namen durch eine einheitliche Vertriebsorganisation verkauft werden soll. 

Berlin-Steglitz. Zitzlaff. 


Blattner, Dr. E., Lehrbuch der Elektrotechnik. II. (Schluß) Teil. 2. Aufl. 
Bern, K. J. Wyß, 1914. 8. VII—379 SS. mit 317 Fig. im Text und auf 3 Taf. 
M. 8.—. i L ATI) 
Brauer (Dipl.-Handelslehrer), Kurt, Die Organisation der Korbwaren- 
industrie und des Korbwarenhandels im Deutschen Reiche. München u. Leipzig, 
Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. V—68 SS. M. 2.—. 


18* 


276 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Braunkohlenindustrie, Die deutsche. I. Bd. Handbuch für den 
deutschen Braunkohlenbergbau, hrsg. v. G. Klein. 2. neubearb. Aufl. 16 u. 17. Lfg. 
Halle a. S.. Wilhelm Knapp, 1914. Lex.-8. 8. 641—720 SS, mit Abbildungen und 
4 Tafeln, je M. 2.—. 

Giessmann, Wilh., Die Unternehmerverbände in der deutschen Seifen- 
industrie. Leipzig, A. Deichert, 1914. 8. 123 SS. M. 3.—. 

Heimarbeit, Die, im rheinmainischen Wirtschaftsgebiet. Monographien, 
hrsg. im Auftrage des wissenschaftlichen Ausschusses der Heimarbeitausstellung 
Frankfurt a. M., 1908 v. Prof. Dr. Paul Arndt. III. Bd. 2. Teil. Mit einem Be- 
richt über die Heimarbeitausstellung v. J. H. Epstein. Jena, Gustav Fischer. 
1914. 8. VII u. 8. 261—696 mit 1 farb. Karte. M. 7.—. 

Industrie, Die, der Oberpfalz in Wort und Bild. Hrsg. von der Handels- 
kammer Regensburg, 1914. Regensburg, J. Habbel, 1914. 41,5X 29,5 cm. VIII— 
240 SS. mit Abbildungen. M. 6.—. 

Meerwein, Dr. Georg, Die Entwicklung der Chemnitzer bzw. sächsischen 
Baumwollspinnerei, von 1789—1879. Berlin, Emil Ebering, 1914. gr. 8. 106 SS. 
M. 2,80. 

Stöckle (Dipl.-Ing.), Dr. Gust., Der Eisenbau, eine volkswirtschaftliche 
Studie. Zürich, Speydel u. Wurzel, 1913. 8. VII—152 SS. mit 3 (1 farb.) Karten- 
skizzen, 5 Tab. und 3 (1 farb., 2 Kurven-) Taf. M. 4,50. 


Clouzot, H., Le métier de la soie en France (1466—1855), suivi d'un 
historiqua de la toile imprimée (1759—1815). Ouvrage orné de 62 planches et 
facsimile. Paris, impr.-edit. Devambez., 1914. Folio. 182 pag. 

Akers, C. E., The rubber industry in Brazil and the Orient. Illustrated. 
London, Methuen. Cr. 8. 336 pp. 6/.—. 

Falco, Aug., L’industria dello zucchero di barbabietola; tesi di laurea. 
Torino, A. Viretto, 1913. 8. 110 pp. 

Mastrangelo, dott. Vito, L’industria pugliese e i suoi prodotti. Roma, 
tip. Unione ed., 1914. 8. 59 pp. 


6. Handel und Verkehr. 

Hirsch, Julius, Die Filialbetriebe im Detailhandel (unter haupt- 
sächlicher Berücksichtigung der kapitalistischen Massenfilialbetriebe in 
Deutschland und Belgien). Heft I der „Kölner Studien zum Staats- 
und Wirtschaftsleben“. Bonn (A. Marcus u. E. Weber) 1913. XVI und 
295 SS. Preis broschiert 6 M. 

Vorliegende Arbeit ist eine treffliche Analyse des Filialsystems 
im Detailhandel, und zwar in den drei Handelszweigen der Nah- 
rungsmittel — hier besonders auch des Kaffees und der Schoko- 
lade —, des Tabaks und der Schuhwaren; außerdem wird auch 
das Filialsystem der Waren- und Kaufhäuser einer Würdigung 
unterzogen. 

Was das Buch von Anfang bis Ende fesselnd macht, ist die außer- 
ordentlich klare Systematik, mit der das gewaltige Material, das 
herangezogen werden mußte, aufgearbeitet worden ist, so daß man sich 
durch die vielgestaltige Materie mit Leichtigkeit hindurchfindet. Ich 
glaube das deswegen besonders hervorheben zu dürfen, weil diese 
Systematik dem Buch auch dann noch einen großen anderen als rein 
historischen Wert beläßt, wenn sein Zahlenmaterial veraltet ist: 
sie zeigt zukünftigen Bearbeitern ähnlicher Probleme deutlich den ein- 
zuschlagenden Weg. — 

Der Gang der Arbeit kann folgendermaßen skizziert werden: In 
einem I. einleitenden Teil setzt der Verf. sich zunächst mit dem Be- 
griff der Filiale im allgemeinen auseinander, der wie so manche 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 277 


wirtschaftswissenschaftliche Begriffe, die gleichzeitig im praktischen 
Leben eine große Rolle spielen, keineswegs eindeutig feststeht. Die 
Begriffsbestimmung des Detailhandelfilialbetriebs im speziellen 
dagegen ergibt sich dem Verf. dann leicht. Daran schließt sich eine Er- 
örterung über die Arten der Filialen (Voll-, Halb-, Schein-Filialen 
usw.) und eine Darlegung der „Entwicklungstendenzen im 
Handel als Vorbedingungen für das Filialwesen“. Hier 
erweckt besonderes Interesse der Abschnitt über den „Konzentra- 
tions- und Verschmelzungsprozeß im Gebiet des Handels‘, 
Hand in Hand mit dem eine Ersetzung der selbständigen kleinen Detail- 
handelsbetriebe geht: Konsumvereine; Angliederung der Handels- 
funktioner an den Produktionsbetrieb; großkapitalistischer 
Detailhandelsbetrieb; Einflüsse von seiten Unbeteilig- 
ter, wio Arbeitgeber (Werkkonsumanstalten) und öffentliche Körper- 
schaften (Versorgung der unteren Volksschichten mit wichtigen Lebens- 
mitteln durch Masseneinkauf durch die Kommunen). 


Teil II bringt dann die „Darstellung der Großfilialbe- 
triebe...‘ selbst — innerhalb der oben angegebenen Branchen. Hier 
wird regelmäßig erörtert die Entstehung und nach Möglichkeit 
(soweit Material zugänglich ist) die Ausbreitung des Filialwesens. 
Es findet die Organisation des Filialbetriebes ihre eingehende Be- 
schreibung (die Filiale selbst, der Revisionsbezirk, die Zen- 
tralverwaltung usw.). Soweit angängig, werden Angaben über 
Kalkulation der Unkosten und Gewinne und über das Per- 
sonal gemacht; Vorteile und Nachteile des Filialbetriebssystems 
werden an der Hand reichen Materials geschildert. Besonders zu 
danken ist es dem Verf., daß er für den Nahrungsmittelhandel 
und für die Tabakbranche die Bedeutung des Filialbetriebsystems 
für die Gesamtheit des jeweiligen Handelszweiges auseinanderzulegen 
sich bemüht hat. (In der Schuhwarenbranche liegen die Verhältnisse 
nach Aussage des Verf. noch zu undeutlich, als daß darüber zurzeit ein 
Urteil gefällt werden könnte.) Die betr. Ausführungen z. B. für den 
Nahrungsmittelhandel (Verschlechterung des Detailistennach- 
wuchses, Einwirkungen auf die Zahl der Konkurrenten, auf die Betriebs- 
formen, den Großhandel, die Industrie und die Konsumenten) geben ein 
treffendes Bild von den mit der Rationalisierung dieses Zweiges des 
Erwerbslebens verbundenen privat- und volkswirtschaftlichen Licht- 
und Schattenseiten. 

Teil III bringt zunächst statistische Angaben über die Ver- 
breitung. Größe usw. der Filialbetriebe; und zwar sowohl für das 
Reich, wie für einzelne Städte; die Angaben über letztere verdienen 
das größere Interesse, weil — die deutsche Reichsstatistik in diesem 
Punkt höchst undurchsichtig ist. (Hirschs Klagen über die Statistik des 
Handelsgewerbes stehen übrigens nicht allein; ef. z. B. Paul Behm 
„Der Handelsagent“, Berlin 1913.) 

In einem zweiten Abschnitt dieses Teiles wird dann noch einmal 
die prinzipielle Bedeutung dieses Handelsbetriebssystems erörtert: für 
Produktion, Handel und Konsumenten. 


278 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Letztlich auch die sozialpolitische Bedeutung: 1. Mittel- 
standsproblem und Filialwesen. — 2. Filialwesen und Angestellte. 
Unter Punkt 1 behandelt der Verf. die Bedrängung des Kleinkaufmänni- 
schen Handelsstandes durch das Filialwesen und spricht seine Ueber- 
zeugung dahin aus, daß ein Filialverbot hier nichts zu helfen ver- 
mag, im Gegenteil die Lage weiter Kreise der im Handelsgewerbe be- 
schäftigten Personen nur verschlimmern muß, weil die offene Filiale 
ja leicht umgangen werden kann, indem an Stelle des eigentlichen 
Filialleiters der Scheinselbständige tritt — unter weit schwereren 
Bedingungen und Sicherheitsleistungen. — Unter Punkt 2 erfahren 
vornehmlich ihre Behandlung „das Klasseninteresse der Ange- 
stellten“ und „die wachsende Differenzierung der Angestellten- 
schicht....“; hier kommt zum Ausdruck 1) daß zwar das ganze 
„Chargensystem‘ innerhalb der Großfilialbetriebe den Wunsch 
nach Unselbständigkeit, d. h. Beamtencharakter im Mittelstande 
stärkt, daß aber gleichzeitig mit zunehmender Ausbildung des Klassen- 
interesses in den Angestelltenkreisen selbst sich auch die Neigung 
zum Klassenkampf entwickelt; 2) daß aber mit der an der Hand 
des „Chargensystems‘‘ zunehmenden Differenzierung natürlich auch die 
Fähigkeit der Angestellten zum Klassenkampf wieder geschmälert wird, 
besonders auch auf dem Wege, daß eine Reihe von Chargen" beinahe 
wieder den Charakter der Abhängigkeit verlieren; so der Revisor und 
Rayonchef, die oft genug aus den unteren Stellen langsam aufsteigen. — 

Wenr im vorhergehenden kurz auf wichtige Seiten des Buches 
hingewiesen ist, so erschöpft sich mit diesen doch seine Bedeutung meines 
Erachtens nicht: Sondern ebenso wichtig als der tatsächlich gedruckte 
Text scheint mir das zu sein, was man zwischen den Zeilen lesen kann 
— lesen muß: In dieser Form des kapitalistischen Filialbetriebs- 
systems ist, wie heute die Dinge liegen, dem Konsumvereins- 
wesen ein Gegner erstanden, dessen Stärke und Bedeutung für die Zu- 
kunft zwar noch nicht ziffernmäßig abzuschätzen, aber doch schon 
deutlich zu ahnen ist. 

Man kann den Konsumverein als die wichtigste (mögliche) 
Maßnahme einer ernstgemeinten sozialen Bewegung bezeichnen, sofern 
er richtig verstanden wird, d. h. sofern die Erübrigungen des Konsum- 
vereins nicht als Dividenden wieder ausgezahlt, sondern gespeichert 
und zum weiteren Ausbau der Leistungen des Konsumvereins verwendet 
werden: Kauf von Grund und Boden zum Häuserbau und Einrichtung 
eigner Produktion. Wird der Konsumverein so gehandhabt, so wächst 
er mit jedem Jahr mehr aus der Sphäre des Konkurrenzkampfes heraus, 
da er den. Bedarf seiner Mitglieder immer vollkommener zu decken 
vermag, und da gleichzeitig seine Mittel zu möglicher Konkurrenz 
immer gewaltiger werden, so daß man nicht leicht versucht sein wird, 
ihn zum Kampf zu reizen. Anders hingegen, wenn die Erübrigungen 
des Konsumvereins als Dividende alljährlich wieder ausgeschüttet werden. 
Es werden dann nicht nur ihm Kräfte entzogen, sondern, indem die 
Kaufkraft der Mitglieder gestärkt wird, wird auch die kapitalistische 
Wirtschaftsordnung gestärkt, die der Konsumverein doch gerade ein- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 279 


schränker will. Aber diese augenblickliche Stärkung der Kaufkraft 
ist das Wenigste — das Wesentliche liegt im folgenden: das Funktio- 
nieren des Konsumvereins basiert auf der Ausschaltung der Zwischen- 
handelsgewinne — und nicht zum wenigsten der der kleinen Detaillisten. 
Je mehr nun bei gleichzeitiger Dividendenausschüttung des Konsum- 
vereins privatwirtschaftlich kapitalistische Handelsbetriebe entstehen, die 
wie der Konsumverein den kleinen Detailhandel ausschalten, also auch 
preisregulierend wirken, desto mehr versinkt der Konsumverein in 
die Sphäro des Konkurrenzkampfes; denn einmal wird der Konsumverein 
seinen Mitgliedern immer weniger direkte Vorteile durch billigere Preise 
bieten können; zum andern wird sein Ziel, Erübrigungen zu machen, 
immer schwieriger — und das alles, weil der momentane privatwirt- 
schaftliche Vorteil, den die Ausschüttung der Dividende bietet, durch 
ein Rabattsystem auch vom kapitalistischen Handelsbetrieb (wirklich 
oder scheinbar) geleistet zu werden vermag. — Anders ausgedrückt, je 
länger der Konsumverein dabei verharrt, Dividenden auszuschütten, 
und je mehr der rationelle Filialgroßbetrieb (mit eignener Produktion) 
gleichzeitig dem Konsumenten dieselben Dienste leisten oder doch zu 
leisten scheint, wie der Konsumverein, desto mehr nimmt dieser sich 
die Möglichkeit, überhaupt noch wesentliche Erübrigungen zu machen, 
desto schwerer muß mit fortschreitender Entwicklung also eine Re- 
organisation des Konsumvereinswesens im streng sozialen Sinne werden; 
d. h. der Konsumverein verliert dann immer mehr den Charakter, einer 
der wichtigsten oder sogar der wichtigste (weil natürlichste) Weg zum 
Sozialismus zu sein. 

Der Verf. hat nur ganz unter der Hand dies eben angedeutete 
Problem der Konsumvereine berührt (ef. z. B. p. 112/13); mit Recht: 
er mußte, sollte das Buch nicht seinen ursprünglich vorgesetzten, be- 
schreibenden Charakter verlieren, sich Grenzen ziehen. Aber das Pro- 
blem ist da — und selten wird man so stark daran erinnert, als bei 
der Lektüre des Buches von Hirsch; hier atmet jede Seite die Kraft 
des rationalen Prinzips, sich unbarmherzig durchzusetzen; und man 
fühlt deutlich: Nur, wenn der Sozialismus das rationale Prinzip un- 
bedingt und ganz zu seinem eignen macht, es also zu noch größerer 
Blüte bringt, als der Kapitalismus, kann er den Sieg über diesen er- 
ringen. 

Berlin. K. Marcard. 


Krakauer, Dr. V., Ueber den gerechten Preis für Eisenbahn- 
leistungen. Graz (Deutsche Vereins-Druckerei) 1913. 

Ueber das schwierige Thema hat der scharfsinnige, die ganze 
einschlägige Literatur beherrschende Verfasser — Sekretär und Bureau- 
vorstand der k. k. Nordbahndirektion — eine theoretische Abhand- 
lung von nicht geringer Qualität geschrieben. „Daß von einem ge- 
rechten Preis für die Gesamtheit von Eisenbahnleistungen..... ge- 
sprochen werden kann, wenn die.... innerhalb eines bestimmten 
Zeitraumes (Geschäftsjahres) erzielten Einnahmen nebst der Deckung 
der Betriebsausgaben auch die Verzinsung des Anlagewertes ermög- 


280 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


lichen“: diese einzig haltbare Theorie des gerechten Preises für Eisen- 
bahnleistungen stellt der Autor auf und beweist auch ihre Richtigkeit. 
Wie in jedem einzelnen Fall sich der gerechte Preis gestalten müßte, 
dafür könne keine Theorie Regeln aufstellen. Wenn nun aber als 
Aequivalent für die einzelne Eisenbahnleistung ein gerechter Preis 
theoretiscl: nicht gefunden werden könne, so lasse sich doch die Ge- 
samtheit der Eisenbahnleistungen theoretisch entsprechend bewerten. 

Nicht das Anlagekapital, sondern nur der Anlagewert käme aber 
bei dieser Theorie in Frage als eines der beiden Fundamente, auf 
denen die Tarifbildung der Eisenbahnen beruhen müsse. Da im Be- 
griff Anlagewert „implicite der Ausschluß der Leistung einer Tilgung 
enthalten‘ ist, verstehe es sich von selbst, „daß eine Belastung des 
Verkehrs mit einer Tilgungsquote.... mit den Erfordernissen einer 
gerechten Preisbemessung unvereinbar ist“. Der Eisenbahnanlagewert 
an sich bleibt sich ja auch tatsächlich durchaus gleich, ob und wieviel 
Passivvermögen getilgt wird. Wenn ich den Autor hier richtig ver- 
stehe, hätte z. B. die badische Staatsbahn (auch beim besten Willen 
dazu) schon deswegen nie einen theoretisch gerechten Preis einfordern 
können, weil sie das Institut der Eisenbahnschulden-Tilgungskasse zur 
Bereitstellung von Tilgungsquoten förmlich zwang. Der Anlagewert 
besteht für den Verfasser 1) aus dem Wert des „physischen Eisenbahn- 
besitzes“ und 2) aus der „Bewertung aller jener (immateriellen) Tat- 
sachen und Verhältnisse, welche auf die Verdienstmöglichkeit der Bahn 
von Einfluß sind“. 

Ueber die Selbstkostentheorie und die Werttheorie als Ausgangs- 
punkt für die Bemessung der Beförderungspreise ist wohl noch selten ein 
so vernichtendes Urteil wie hier gefällt worden. Werden diese zweifels- 
ohne falschen Theorien jetzt aber auch wirklich tot sein ? 

Wie verhalten sich nun — wenn Referent noch diese Frage auf- 
werfen darf — unsere deutschen Eisenbahnverhältnisse zur 'Theorie 
des Verfassers? Außer der preußisch-hessischen Eisenbahngemeinschaft 
steht es mit dem „Unternehmergewinn‘“ der übrigen deutschen Eisen- 
bahnverwaltungen nicht sonderlich gut. Diese Bahnen leben darum 
aber auch mehr oder weniger streng nach der Theorie des gerechten 
Preises. Die große norddeutsche Verwaltung dagegen? — Man sieht: 
„Eine vollständige Theorie über den gerechten Preis für Eisenbahn- 
leistungen ist daher in allen Fällen auch für die Praxis von außer- 
ordentlicher Wichtigkeit. 


München. Ernst Müller. 


Uhlich, Theodor, Die Vorgeschichte des Sächsischen Eisen- 
bahnwesens. Abhandlungen aus dem volkswirtschaftlichen Seminar der 
Technischen Hochschule zu Dresden. 6. Heft. München und Leipzig 
(Duncker u. Humblot) 1913. Preis geh. 3 M. 

Es ist erklärlich, daß der Gedanke der Schaffung von Dampf- 
bahnen, wie er um den Beginn des vorigen Jahrhunderts auftauchte, 
mit schier zahllosen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. Nur langsam 
überwand er all die Vorurteile und Bedenken, die sich ihm entgegen- 
stellten. Einen Einblick in die damaligen Verhältnisse, wie sie dem 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 281 


Bau der ersten sächsischen Eisenbahnen voraufgegangen sind, gewährt 
die vorliegende Abhandlung. Obwohl sie kaum mehr als eine bloße 
Aneinanderreihung der aus zahlreichen Werken, Akten und Aufzeich- 
nungen entnommenen Tatsachen ist, gibt sie doch über wirtschaftliche 
und technische Verhältnisse der ersten Eisenbahnanfünge Sachsens manch 
interessanten Aufschluß. In dieser Hinsicht können beispielsweise die 
Erörterungen über das seinerzeit nicht verwirklichte Projekt einer 
Salzbahn von Dürrenberg nach Leipzig, einer Bahn, die vornehmlich 
zur Beförderung des Salzes aus der preußischen Saline Dürrenberg 
nach Leipzig gebaut werden sollte, erwähnt werden. Auch die Kenn- 
zeichnung der Stellung Friedrich Lists zu den sächsischen Eisenbahn- 
plänen ist interessant. Der Verfasser gelangt zu dem Schlusse, daß den 
Eisenbahngedanken nicht List nach Sachsen gebracht, wohl aber daß 
er ihm im richtigen Zeitpunkt praktisch gangbare Wege gewiesen habe. 

Wirkungsvoller wäre die Arbeit, wenn die zahlreichen, gewiß mit 
Fleiß zusammengetragenen Tatsachen vom Verfasser mehr als ge- 
schehen verarbeitet und dann um so flüssiger und für den Leser fesseln- 
der dargestellt wären. Einem Hauptzweck derartiger Abhandlungen, 
das allgemeine Verständnis für das Verkehrsmittel Eisenbahn zu fördern, 
wäre damit in erhöhtem Maße gedient worden. 


Halle (Saale). Paul Ritter. 


Ajam (Unterstaatssekretär), Maurice, Das deutsch-französische Wirt- 
schaftsproblem. Ein Weg zur Verständigung. Ins Deutsche übersetzt von Fr. 
Schubert. Berlin, Carl Heymann, 1914. 8. VIII—128 SS. M. 3.—, 

Bildungswesen, Das kaufmännische, in der Schweiz. Dargestellt vom 
eidgenössischen Handelsdepartement und von den Handelslehranstalten für die 
schweizerische Landesausstellung in Bern 1914. Zürich, Orell Füßli, 1914. Lex.-8. 
VIII—650 SS. mit Abbildungen und 2 farbigen Kartenskizzen .M. 12.—. 

Calwer, Rich., Das Wirtschaftsjahr 1909. Jahresberichte über den Wirt- 
schafts- und Arbeitsmarkt. Für Volkswirte und Geschäftsmänner, Arbeitgeber- und 
Arbeiterorganisationen. II. Teil. Jahrbuch der Weltwirtschaft 1909. Statistik über 
den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt. Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. V—403 SS. 
M. 21—. 

Doerr (Handelsschul-Dir.), Alex, u. Johs. Buschmann, Der Kauf- 
mann in Beruf, Staat und Leben. Ausg. B. Leipzig, B. G. Teubner, 1914. 8. 
VIII—438 SS. M. 3.—. 

Drahn, Ernst, Geschichte des deutschen Buch- und Zeitschriftenhandels. 
Hrsg. von der Ausstellungskommission des Zentralvereins deutscher Buch- und Zeit- 
schriftenhändler aus Anlaß der „Internationalen Ausstellung für Buchgewerbe und 
Graphik in Leipzig“. Berlin, Geschäftsstelle des Zentralvereins deutscher Buch- 
und Zeitschriftenhändler, 1914. gr. 8. 80 SS. mit 5 Abbildungen. M. 1.—. 

Encyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. von v. Röll. 2. vollständig 
neubearbeitete Auflage. Wien, Urban u. Schwarzenberg, 1914. Lex.-8. öl. und 
52. Lieferung. 6. Bd. S. 1—96 mit Abbildungen. Je M. 1,60. 

Engelbrecht, Heinz, Die Dampfschiffahrt unserer Zeit. Berlin-Char- 
lottenburg, C. J. E. Volckmann, 1914. 8. 100 SS. mit 53 Abbildungen. M. 1,50. 

Großmann, Henryk, Oesterreichs Handelspolitik mit Bezug auf Galizien 
in der Reformperiode 1772—1790. (Studien zur Sozial-, Wirtschafts- u. Verwal- 
tungsgeschichte, hrsg. v. Prof. Dr. Karl Grünberg, Heft 10). Wien, Carl Konegen, 
1914. XVII—510 SS. M. 12.—. 

Hammerbacher, Die Konjunkturen in der deutschen Eisen- und Ma- 
schinengroßindustrie. Ein Beitrag zur Theorie und Praxis der Konjunkturen, unter 
hauptsächlicher Berücksichtigung der Zeit von 1892—1911. München, R. Olden- 
bourg, 1914. gr. 8. 120 SS. mit eingedruckten Kurven. M. 4.—. 


282 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Hammermann, Dr. Emil, Der Elbe-Trave-Kanal. (Probleme der Welt- 
wirtschaft Hrsg. von Prof. Dr. Bernh. Harms, Heft 20.) Jena, Gustav Fischer, 
1914. Lex.-8. IX—106 SS. mit 1 farb. Karte. M. 3,50. 

Hartrodt, Dr. Georg, Die rechtliche und wirtschaftliche Bedeutung der 
Buchführung für den praktischen Gebrauch dargestellt. Berlin, Puttkammer u. 
Mühlbrecht, 1914. gr. 8. 70 SS. M. 1,60. 

Jastrow, Prof. Dr. J., Textbücher zu Studien über Wirtschaft und Staat. 
1. Bd. Handelspolitik. 2. verm. Aufl. Berlin, Georg Reimer, 1914. kl. 8. X— 
193 SS. M. 3.—. 

Jüdel, Dr. Max, Der französische Getreidemarkt. (Volkswirtschaftliche 
Abhandlungen der badischen Hochschulen, hrsg. von Karl Diehl, Eberh. Gothein, 
Gerh. v. Schulze-Gävernitz, Alfr. Weber, Otto v. Zwiedineck-Südenhorst, Heft 26.) 
Karlsruhe, G. Braun, 1914. gr. 8. XI—195 SS. M. 3,80. 

Jürgens, Dr. Adolf, Zur Schleswig-Holsteinischen Handelsgeschichte des 
16. und 17. Jahrhunderts. (Abhandlungen zur Verkehrs- und Seegeschichte. Im 
Auftrage des Hansischen Geschichtsvereins hrsg. von Dietr. Schäfer, Bd. 8.) Berlin, 
Karl Curtius, 1914. 8. XVI—316 SS. M. 9.—. 

Kucklentz, Dr. Karl, Das Zollwesen der deutschen Schutzgebiete in 
Afrika und der Südsee. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. gr.8. VI— 
191 SS. M. 4,50. 

Rosemeyer (Ing.), Jos., Der Rheinseekanal. Vorschläge über die besten 
Ausführungsmöglichkeiten, erwachsenden Kosten sowie über die Vorteile dieser 
Seewasserstraße. Köln, J. G. Schmitz, 1914. Lex.-8. 77 SS. mit 1 Plan und 
4 Tafeln. M. 3.—. 

Rudorff, Dr. Eberh., Entwicklung und Aussichten des Stettiner Handels 
(1886—1912). Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. gr. 8. 64 SS. M. 1,60. 

Schär (Dir.), Prof. Dr. Joh. Friedr., Buchhaltung und Bilanz auf wirt- 
schaftlicher, rechtlicher und mathematischer Grundlage für Juristen, Ingenieure, 
Kaufleute und Studierende der Privatwirtschaftslehre. 2. stark erweiterte und 
völlig umgearb. Aufl. Berlin, Julius Springer, 1914. gr. 8. XVI—299 SS. M. 7.—. 

Signer, Dr. Hans, Die treibenden Kräfte der schweizerischen Handels- 
politik. Zürich, Gebr. Leemann u. Co., 1914. 8. 269 SS. M. 5,10. 

Wegener (Handelshochschul-Doz.), Prof. Dr. Georg, Der Panamakanal. 
Seine Geschichte, seine technische Herstellung, seine künftige Bedeutung. (Volks- 
wirtschaftliche Zeitfragen. Vorträge und Abhandlungen, hrsg. von der volkswirt- 
schaftlichen Gesellschaft in Berlin, No. 282.) Berlin, Leonhard Simion, 1914. 
gr. 8. 36 SS. M. 1. 

Zollkompaß, 1. Bd., Rumänien. 3. Teil: Der Zolltarif. 2. Ausg. Red. 
und hrsg. vom k. k. Handelsministerium. Wien, Manz, 1914. Lex.-8. VII—174 88. 
M. 4,70. 


Borgeaud, Lucien, L’avenir du commerce français au Maroc. Cou- 
lommiers, imp. Dessaint et Cie., 1913. 8. 35 pag. 

Lewin, Harry Grote, The British railway system: outlines of its early 
development to the year 1844. London, Bell. Cr.8. 76 pp. 2/.6. 

Galli Angelini, dott. Gius., La politica commerciale italiana nei ri- 
guardi della Francia. Roma, tip. Concordia, 1913. 8. 52 pp. 

Luzzatto, Gino, Le recenti tendenze della politica commerciale e le loro 
ragioni storiche. Scansano, tip. degli Olmi, di ©. Testori, 1914. 8. 26 pp. 

Kist, J. G., Beginselen van handelsrecht volgens de Nederlandsche wet. 
’s-Gravenhage, Boekhandel vrhn. Gebr. Belinfante. Deel III. Handelsverbintenissen 
uit evereenkomst. 3e herz. en verm. druk. Bewerkt door L. E. Visser. 12 en 646 blz. 
fl. 10,50. 


7. Finanzwesen. 

Käding, Emil, Beiträge zur preußischen Finanzpolitik in den 
Rheinlanden während der Jahre 1815—40. (Studien zur rheinischen 
Geschichte. 8. Heft.) Bonn (Marcus und Weber) 1913. 

Die vorliegende Schrift strebt die Lösung zweier Fragen an, die in 
dem Zeitraume von 1816—60 die politische Diskussion in den neu für 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 283 


Preußen gewonnenen Rheinlanden wiederholt stark bewegt haben. 
Einmal, ob die staatlichen Lasten hier zur Zeit der Franzosenherrschaft 
niedriger waren als nach der Besitzergreifung durch Preußen, und 
ferner, ob nicht in dem neuen Staatsverbande die westlichen Provinzen 
zugunsten der östlichen eine höhere Steuerlast aufbringen mußten. 
David Hansemann vor allem war als scharfer Kritiker des preußischen 
Systems aufgestanden, und hatte in seiner bekannten Schrift „Preußen 
und Frankreich" (1834) mit Geschick den Standpunkt seiner Heimat- 
provinz vertreten. In einer sorgfältigen Analyse der beiden in Ver- 
gleich gesetzten Steuersysteme kommt Verf. hinsichtlich des ersten 
Punktes zu einer Ablehnung der Behauptungen Hansemanns. Der 
Steuerdruck des französischen Regimentes ist sogar stärker gewesen. 
Auch an den von Hansemann zur zweiten Frage beigebrachten Zahlen 
nimmt Verf., der seine Berechnungen auf einer breiteren Basis aufgebaut 
hat, einige Abstriche vor, pflichtet ihm aber doch der Hauptsache nach 
bei. Die Rheinlande sind in dieser Periode, vornehmlich wegen ihrer 
abweichenden, zum Teil aus der französischen Zeit stammenden Grund- 
steuerverfassung und der Exemtionen der Rittergüter des Ostens stärker 
belastet gewesen. Man wird den Berechnungen des Verf., zumal er 
sich über ihren nur approximativen Wert keinen Illusionen hingibt, 
zustimmen, und der in Aussicht gestellten Fortsetzung der Untersuchung, 
vor allem ihrer Ausdehnung auf die Grundsteuerverhältnisse der ganzen 
preußischen Monarchie, mit Interesse entgegensehen dürfen. 


Halle. Gustav Aubin. 


Desloges, Dr. Fel., Vergleichende Darstellung der Schuldentilgung in den 
deutschen Staaten. Diss. Erlangen, Palm u. Enke, 1914. 8. VIII—91 S55. M. 1,50. 

Fernow (Geh. Ob.-Finanzrat, vortr. Rat), A., Ergänzungssteuergesetz. Text- 
ausgabe mit Anmerkungen und Sachregister. (Guttentags Sammlung preußischer 
Gesetze, No. 13.) 5. verm. und verb. Aufl. Berlin, J. Guttentag, 1914. kl. 8. 
365 SS. M. 4.—. 

Knebusch (Rechtsanw.), Dr., Die mecklenburgische Einkommen- und Er- 
gänzungssteuer. Systematisch dargestellt. Wismar, Felix Hedicke, 1914. 8. 168 SS.» 
M. 1,75. 

Loeck (Reichsbevollmächt., Geh. Reg.-Rat), P., Reichsstempelgesetz vom 
3. Juli 1913. Mit den gesamten Ausführungsbestimmungen, unter besonderer Be- 
rücksichtigung der Entscheidungen der Verwaltungsbehörden und des Reichs- 
gerichts. 12. umgearb. und verm. Aufl. (Guttentags Sammlung deutscher Reichs- 
gesetze. Textausgaben mit Anmerkungen, No. 18.) Berlin, J. Guttentag, 1914. 
8. X—658 SS. M. 8—. 

Pensch, Rud., Das Gesetz vom 25. Oktober 1896, betr. die direkten Per- 
sonalstenern samt den Nachtragsgesetzen, den Vollzugsvorschriften und sonstigen 
einschlägigen Gesetzen, Verordnungen und Erlässen. Mit Benutzung der Gesetzes- 
materialien und vornehmlich der Verwaltungsgerichtshofs-Judikatur erläutert und 
mit einem Inhaltsverzeichnisse, sowie einem alphabetischen Generalsachregister ver- 
sehen. Unter Mitwirkung von Franz Jaroš hrsg. 4. vollständig umgearb. Aufl. 
Wien, Moritz Perles, 1914. kl. 8. 2. Lieferung. S. 81—159. M. 1.—. 

Siegfried, Dr. Bernh., Repetitorium der Finanzwissenschaft. Bern, 
Stämpfli u. Cie., 1914. 8. 98 SS. M. 3.—. 

Wolf (Geh. R.), Prof. Dr. J., Die Steuerreserven in England und Deutsch- 
land. Ein Beitrag zur Frage der „Richtungsgrenzen‘‘ beider Staaten. (Finanz- 
wirtschaftliche Zeitfragen, hrsg. von Reichsrat Prof. Dr. G. v. Schanz und Geh. 


Reg.-Rat Prof. Dr. J. Wolf. Heft 13.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1914. Lex.-8. 
56 SS. M. 2.—. 


984 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Bigwood (prof.), Georges, Les finances belges en 1913. Paris, M. Giard 
et E. Brière, 1914. 25 X 16,5. 46 pag. fr. 1,50. 

Landry, A., et B. Nogaro, La crise des finances publiques en France, 
en Angleterre, en Allemagne. Paris, F. Alcan, 1914. 16. 272 pag. fr. 3,50. 

Marion (Marcel), Histoire financière de la France depuis 1715. T. I. 
1715—1789. Paris, A. Rousscau. gr. in-8. fr. 12,50. 

Seligman (prof.) Edwin R. A., Essais sur l’impöt. Traduction frangaise, 
d’après la 8e édition américaine par Louis Suret. T. 2: Problèmes fiscaux con- 
temporains; Evolution de l'impôt; Revenus d'État et revenus locaux; Finances 
d'État et finances fédérales; Précision dans les impositions; Classification des re- 
venus publics; Réformes récentes; Ouvrages récents; rapports américains sur 
l'impôt; l'Impôt fédéral sur le revenu de 1913. Paris, M. Giard et E. Brière 
1914. 8. VII—619 pag. 2 Vol. fr. 30.—. 

Bilancio (Il) del regno d'Italia negli esercizi finanziari dal 1862 al 
1912—13. (Ragioneria generale dello Stato.) Roma, tip. Unione ed., 1914. 8. 
662 pp. 

Prancis (De), Gerbino Giov., Le imposte sul trasferimento della 
proprietà immobiliare per atti tra vivi e la deduzione dei debiti ipotecari, con 
speciale riguardo al diritto tributario italiano. Milano, F. Vallardi, 1914. 8. VII— 
182 pp. 1.4.—. 

Ruggiero, Silvio, La imposta di ricchezza mobile nella teoria e nella 
pratica del credito. Milano, Società editrice libraria (tip. Indipendenza), 1914. 
8. VI—392 pp. 1.9.—. 


8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen. 

Lederle, K., Die Lebensversicherung, unter besonderer Berück- 
sichtigung ihrer rechtlichen Beziehungen zum ehelichen Güterrecht, 
Erb- und Konkursrecht, sowie ihrer Besteuerung. Heidelberg (Carl 
Winter) 1913. 228 SS. 


Der Titel des vorliegenden Buches ist trotz seiner Länge vielleicht 
etwas zu eng gefaßt, indem es sich nicht um eine allgemeine Dar- 
stellung der Lebensversicherung handelt, sondern um eine rein juristische 
Arbeit. Der Verfasser will dem in der Praxis stehenden Juristen das 
schwierige Gebiet der Lebensversicherung näher bringen und ihn über 
den Stand ihrer wichtigsten rechtlichen Probleme unterrichten. Diesem 
„Zweck dient eine überaus eingehende Behandlung aller Rechtsfragen, 
die sich aus dem Lebensversicherungsvertrag ergeben. Der Verfasser 
geht allgemein vom VVG. als der Rechtsordnung für die Lebensversiche- 
rung aus und behandelt exakt den Inhalt dieses Vertrages nach den 
Bestimmungen des VVG., sowie die möglichen Begleiterscheinungen, 
wie Aenderung und Beendigung des Versicherungsverhältnisses; ferner 
besonders ausführlich die recht schwere Materie der Bezeichnung eines 
bezugsberechtigten Dritten. Von den übrigen Abschnitten ist die Be- 
ziehung der Lebensversicherung zum ehelichen Güterrecht von beson- 
derem Interesse, da hierüber noch wenig publiziert ist. Dem kurzen 
Abschnitt über die Besteuerung ist eine Uebersicht über die einzelnen 
Abgabengesetze angefügt. Die beigegebene Erklärung der Berechnungs- 
weise von Prämienreserven ist für den Juristen wohl unverständlich, 
zumal die Darstellung von der sonst üblichen Bezeichnungsweise der 
Versicherungsrechnung abweicht. Im übrigen sind aber die Ausfüh- 
rungen so klar und mit genauer Angabe der Literatur und Rechts- 
sprechung versehen, daß sie nicht nur eine willkommene Unterstützung 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 285 


in der Rechtspraxis sind, sondern überhaupt eine beachtenswerte Be- 
reicherung der Bearbeitung des Privatversicherungsrechts bilden. 
Mannheim. H. Meltzer. 


Beusch, Dr. Paul, Das Bankwesen. (Staatsbürger-Bibliothek. Heft 39.) 
M.-Gladbach, Volksvereins-Verlag, 1914. 8. 72 SS. M. 0,40. 

Bunzl (Rat), Otto, Der Wiener Rentenmarkt 1884—1914. Wien, Manz, 
1914. ern VI—112 SS. m. 2 Tab. M. 2,10. 

Burckhardt, Dr. C. F. W., Zur Geschichte der Privatbankiers in der 
Schweiz. (Hrsg. aus Anlaß der schweizerischen Landesausstellung Bern 1914, von 
der Kommission der Abteilung ‚„Bankwesen“ der 38. Gruppe.) Zürich, Institut 
Orell Füßli, 1914. gr. 8. 35 SS. M. 1,60. 

Fäs, Dr. Emil, Die Berücksichtigung der Entwertung des stehenden Ka- 
pitals durch den Erneuerungsfonds bei den schweizerischen Ilauptbahnen vor ihrer 
Verstaatlichung (aus „Archiv f. Eisenbahnwesen‘“). (Mitteilungen aus dem handels- 
wissenschaftlichen Seminar der Universität Zürich, hrsg. von Prof. Dr. G. Bach- 
mann. Heft 24.) Zürich, Schultheß u. Co., 1914. gr. 8. 100 SS. M. 2.—. 

Forstreuter, Dr. Conr., Eine Reichsdepositenbank. (Volkswirtschaft- 
liche und wirtschaftsgeschichtliche Abhandlungen, hrsg. von Prof. Wilh. Stieda. 
III. Folge. Heft 9.) Leipzig, Veit u. Comp., 1914. gr.8. VII—162 SS. M. 5.—. 

Grigorovitza, Dr. Eudoxe, Der Betriebskredit der Großlandwirte in 
Frankreich und England. Berlin, H. Lonys, 1914. 8. 124 SS. M. 3.—. 

Helfferich, Emil, Die niederländisch-indischen Kulturbanken. (Probleme 
der Weltwirtschaft, hrsg. von Prof. Dr. Bernh. Harms. Heft 21.) Jena, Gustav 
Fischer, 1914. Lex.-8. IX—223 SS. M.7.—, 

Hilbert (Assist), Dr. Hans, Technik des Versicherungswesens (Ver- 
sicherungsbetriebslehre). (Sammlung Göschen. No. 741.) Berlin, G. J. Göschen, 
1914. kl.8. 157 SS. M. 0,90. 

Lindecke, Dr. Otto, Die Beschaffung der zweiten Hypotheken mit Hilfe 
der Gemeinden. Anhang: Städtische Grundrentenanstalten. Verfaßt im Auftrage 
des „Rhein. Vereins für Kleinwohnungswesen“. 3. ergänzte Aufl. Düsseldorf, 
Schmitz u. Olbertz, 1914. gr. 8. IV—216 SS. M. 4.—. 

Loosli, C. E., Die schweizerischen lHypothekenbanken. (Mitteilungen 
aus dem handelswissenschaftlichen Seminar der Universität Zürich. Heft 26.) 
Zürich, Schultheßd u. Co., 1914. erg 34 SS. M. 0,40. 

Lüscher-Burckhardt, R., Die schweizerischen Börsen. (Hrsg. aus An- 
laß der schweizerischen Landesausstellung Bern 1914, von der Kommission der Ab- 
teilung ‚„Bankwesen“ der 38. Gruppe.) Zürich, Institut Orell Füßli, 1914. gr. 8. 
165 SS. M. 4,80. 

Salings Börsenpapiere. Ein Handbuch für Bankiers und Kapitalisten. 
2. (finanzieller) Teil. Börsen-Jahrbuch für 1914/15. Bearb. von Ernst Heinemann, 
Dr. Georg Tischert, Joh. Weber, Th. Stegemann. 38. Aufl. Berlin, Verlag für 
Börsen- u. Finanzliteratur, 1914. 8. LXXIX—2360 SS. M. 20.— 


d’Avout, Bernard, Vers la petite propriété. Le crédit immobilier en 
Belgique et en France. Dijon, Darantiere, 1914. 24,5 x 16,5. 2ff.+275 pag. 
fr. 5,90. ` SE Zu 
Bechmann, René, La réforme bancaire aux États-Unis. Essai histori- 
que et critique. Paris, libr. Dalloz, 1914. 8. 237 pag. fr. 8.—. 

Gerard, Max-L., Les moyens financiers de l'industrie belge. Bruxelles, 
129, rue de la Victoire, 1914. 24 X 16, 1ff. + 26 pag. fr. 1.—. 

Kaufmann, Dr. E., La banque en France (considérée principalement au 
point de vue des trois grandes banques de dépôts. Traduit de l’allemand et mis 
à jour par A. 8. Sacker. Paris, M. Giard et E. Brière, 1914. 8. VII—50t pag. 
fr. 14. (Bibliothèque internationale d'économie politique). 

Mayor, André, Le développement des bourses en valeurs mobilières de 
la Suisse française. (Mitteilungen aus dem handelswissenschaftlichen Seminar der 
Universität Zürich, hrsg. von Prof. Dr. G. Bachmann. Heft 25.) Zürich, 
Schultheß u. Co., 1914. gr. 8. IV—72 SS. M, 1,20. 


286 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Sigrain, G., Les banques suisses. Paris, H. le Soudier. 8. fr. 1,50. 

Hart, Heber L., The law of banking. London, Stevens. 3rd ed. 8. 
1228 pp. 32/—. 

Falco, Alb., Corrispondenza bancaria. Milano, U. Hoepli, 1914. 24, 
338 pp. 1.3.—. 

Rossetti, Car, Il regime monetario delle colonie italiane. Roma, E. 
Loescher e C., 1914. 8. 143 pp. 1l. 3.—. 


9. Soziale Frage. 

Dewavrin und Lecarpentier, La Protection legale des tra- 
vailleurs aux Etats-Unis avec exposé comparatif de la Législation fran- 
çaise. Paris 1913. On 348 SS. 

Die Arbeitergesetzgebung der Vereinigten Staaten setzt dem Streben, 
sich mit ihr näher bekannt zu machen, die große Schwierigkeit ihrer 
territorialen Zersplitterung entgegen, da sie ganz überwiegend nicht 
vom Bunde, sondern von den Einzelstaaten ausgeht, diese aber (die 
auch für das gesamte bürgerliche und Verwaltungsrecht zuständig 
sind) einen quantitativ und qualitativ so verschiedenartigen Gebrauch 
von ihrer gesetzgeberischen Zuständigkeit gemacht haben, daß ein Bild 
von buntester Mannigfaltigkeit entstanden ist. Glücklicherweise be- 
schränkt sich die großindustrielle Entwicklung des Landes auf zehn 
Staaten, die 7—8 Zehntel der Gesamtproduktion und eine entsprechende 
Quote der Arbeiterschaft der Union repräsentieren. Dies erleichtert 
einigermaßen den Verfassern ihr Werk und auch dem Leser dessen 
Studium. Immerhin variiert der Entwicklungsgrad der sozialen Gesetz- 
gebung so stark, daß manche der Unionsstaaten darin noch auf dem 
Nullpunkt stehen, während andere hinter der gleichartigen Gesetz- 
gebung der großen europäischen Industrievölker keineswegs zurück- 
geblieben sind. Das hochentwickelte Wirtschaftsleben der Union ver- 
dient es aber in reichem Maße, auch von der sozialpolitischen Seite 
näher betrachtet zu werden. Die Verfasser haben sich der nicht ge- 
ringen Mühe unterzogen, diesen Einblick von dem grundsätzlichen 
Standpunkt aus, daß eine praktische Sozialreform den wirtschaftlichen 
Fortschritt nicht hindert, sondern fördert, durch ihre erschöpfende und 
sehr sorgfältige, dazu gut gegliederte und übersichtliche Arbeit zu er- 
schließen. Sie umfaßt den außerordentlich ausgedehnten Bereich dieses 
gesetzgeberischen Problems in allen seinen wesentlichen Teilen, jeden 
zwar ausgiebig, aber doch in verhältnismäßig knappem Rahmen be- 
handelnd. So bildet es eine Art Fortsetzung des älteren Werkes „L’ouv- 
rier américain“ von Levasseur, 1878, dessen Andenken es gewidmet ist, 
und eine Ergänzung zu Leroy-Beaulieus „Les Etats-Unis au 19 siöcle“, 
1909. Jedem Abschnitt ist am Schluß ein Vergleich mit der entsprechen- 
den französischen Sozialgesetzgebung beigegeben. 

Die Darstellung geht aus vom Arbeitsvertrag im allgemeinen, der, 
ganz wie bei uns, von den Gesetzgebern der Union nur unter dem Ge- 
sichtspunkte rein individueller Beziehungen zwischen dem einzelnen 
Arbeiter und Arbeitgeber geregelt ist. Namentlich stützt sich auch dort 
der sehr verbreitete Arbeitstarifvertrag lediglich auf die Kraft der beider- 
seitigen Organisationen. Weiter wird die Gesetzgebung über folgende 
Materien behandelt: die Arbeitszeit, den Arbeitslohn, die gesundheit- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 287 


liche und sonstige Sicherheit der Arbeit, die Heimarbeit, die Gewerbe- 
aufsicht, die Berufsunfälle, den Frauen- und Kinderschutz, die Ein- 
wanderung und Verwendung ausländischer Arbeitskräfte, die Arbeit 
in gewissen besonderen Gewerben (Bergbau, Eisenbahnen, öffentliche 
Betriebe), den Schutz der freien gegen die Gefangenen-Arbeit, die Or- 
ganisation des Arbeitsnachweises, den Schutz der moralischen und politi- 
schen Arbeiterrechte, die Wohlfahrtseinrichtungen, das gewerbliche Aus- 
bildungswesen, die Koalitionen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in 
ihrer vereinsrechtlichen Seite, ihrem Außen- und Innenleben, endlich 
die Arbeitskonflikte und ihre friedliche Beilegung. Im Schlußwort 
wird ein Vergleich zwischen der sozialen Gesetzgebung der Union nebst 
ihrer gerichtlichen Auslegung und derjenigen Frankreichs gezogen. 
Als Anhang ist ein Ueberblick über die neueste, die Jahre 1910—13 um- 
fassende Arbeitergesetzgebung des Bundes und der Einzelstaaten bei- 
gegeben. 

Aus dem reichen Inhalt sei das Folgende hervorgehoben. In 24 
Staaten ist ein Höchstarbeitstag, doch nur in einem von ihnen (Mon- 
tana) für die gesamte Industrie, sonst nur für einzelne Zweige derselben 
zwingend vorgeschrieben, während 17 Staaten zwar einen allgemeinen 
Höchstarbeitstag von 8—10 Stunden, doch gleichsam nur als frommen 
Wunsch festsetzen, da jeder Einzelarbeitsvertrag die Arbeitszeit ab- 
weichend festsetzen kann. Die organisierte Arbeiterschaft kämpft seit 
langem für die gesetzliche Einführung des allgemeinen obligatorischen 
Achtstunden-Arbeitstags.. Einige Staaten stellen die böswillige Ver- 
weigerung der Zahlung geschuldeten Lohnes unter Geld- und sogar 
Gefängnisstrafe. Ja, in Kalifornien wird sie gegenüber Arbeitern, 
öffentlicher Betriebe sogar als Verbrechen behandelt. Die in Amerika 
sehr übliche Verpfändung von Lohnforderungen für Gelddarlehen ist 
begreiflicherweise vielfach mit wucherischen Mißbräuchen verknüpft, 
gegen welche die Gesetzgebung einschreitet. Ebenso originell wie 
praktisch ist dabei die Bestimmung in Kolorado, daß solche Verpfän- 
dung sich rechtsgültig nicht über die nächstfolgenden 30 Tage hinaus 
erstreckt und für einen verheirateten Mann von der Zustimmung seiner 
Frau abhängt. Außer den Lohnzahlungen in Warenbons werden auch 
diejenigen in Form von Anweisungen mit bestimmten Fälligkeitstagen 
sowi2 die Einbehaltung von Lohnteilen zu späterer Austeilung als 
„Gratifikationen‘“ oder unter dem Deckmantel von allerhand Zwangsbei- 
trägen im Gesetzgebungswege bekämpft. Dagegen fehlt fast völlig die 
gesetzlicho Regelung der strafweisen Lohnabzüge und der sonstigen 
Verhängung von Geldstrafen durch den Arbeitgeber. Das sweating- 
System und ebenso die eigentliche Heimarbeit sind auf Grund der 
Feststellung erschreckender Zustände und Mißbräuche zunächst in Mas- 
sachusetts und nach dessen Beispiele von den elf bedeutendsten industri- 
ellen Staaten auf der Grundlage der Konzessionspflicht und der gewerbe- 
polizeilichen Aufsicht geregelt worden. Am besten durchgeführt ist diese 
Regelung in New York und Pennsylvanien. Mehrere Zehntausend 
der übelsten Arbeitsstätten dieser Arten sind dank diesem Vorgehen 
geschlossen worden, das die Verfasser als vorbildlich für die französische 


288 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Gesetzgebung anempfehlen. Gelobt werden auch die sehr verschieden- 
artig organisierte Gewerbeaufsicht und ihre Erfolge. Die Regelung 
der Unfallentschädigungen hat sich im Anschluß an das englische 
System der allmählich verschärften Haftung des Arbeitgebers, doch 
viel langsamer und schwächer als in England, bisher in 17 Staaten 
entwickelt. Im Staate New York ist die Haftung sogar noch vom 
Nachweise des Verletzten abhängig, daß er alle schuldige Sorgfalt auf- 
gewendet hat, und zudem auf bestimmte Verursachungsumstände be- 
schränkt. Im Schutze der arbeitenden Frauen fehlt wunderbarerweise 
überall und völlig der wichtige Wöchnerinnenschutz. Trotzdem und 
obwohl ferner das französische System in der Union nicht besteht, wo- 
nach die Arbeitszeit der Frauen auch auf „gemischte“ Betriebe (in 
denen Frauen und Männer zusammen arbeiten) Anwendung findet, wird 
die Regelung der Frauen- und Kinderarbeit im ganzen für besser als in 
den meisten Ländern Europas erklärt. Von besonderem Interesse, 
namentlich wegen des gegenwärtigen andauernden Konfliktes auf diesem 
Gebiete zwischen der Union und Japan, ist die Schilderung der Motive 
und der geschichtlichen Entwicklung der die Einwanderung fremder, 
namentlich rassenfremder Arbeitskräfte betreffenden Gesetzgebung. In 
der Darstellung des Verhaltens der Gesetzgebung gegenüber der organi- 
sierten Arbeiterbewegung, den Arbeitskämpfen und den Versuchen und 
Einrichtungen zu deren friedlicher Beilegung erreicht die Darstellung 
ihren Höhepunkt. 

Nach dem Gesamteindrucke vom Inhalt des Werkes kann man 
sagen, daß in zwei wichtigen Hinsichten die Gesetzgebung der Union 
ganz besonderen Anlaß zu ergiebiger Entfaltung gehabt hat und noch 
hat. Einmal durch die außerordentlich bunte Zusammensetzung der aus 
allen möglichen Ländern eingewanderten und nach Nationalität, Sprache, 
Sitte usw. nichts weniger als homogenen, vielmehr äußerst differen- 
zierten Arbeitermassen, die naturgemäß weit größere Gefahren auf 
allen Gebieten der Arbeitsbetätigung für deren einzelne Angehörigen 
in sich schließt als in national einheitlicheren und von Zuwanderungen 
weniger beeinflußten Volkswirtschaften. Sodann durch die große Rolle, 
welche dio beiderseitigen Organisationen und die Konflikte zwischen 
ihnen, vor allem die Streiks, in der Union spielen. Die Schwere, wie 
die eigenartigen, oft grotesken Erscheinungsformen der letzteren und 
die vielen mit ihnen verknüpften Mißbräuche bedingen eine ent- 
sprechende vielseitige Stellungnahme und Spezialisierung der Gesetz- 
gebung. Je mehr in den alten Kulturländern die Arbeitskonflikte an 
Zahl, Umfang und Schärfe zunehmen, um so interessanter und um so 
wichtiger wird das Studium der gleichzeitigen und gleichartigen Er- 
scheinungen schwereren und raffinierteren Charakters in der neuen 
Welt, für das dieses Werk eine vortreffliche Unterlage darbietet. 


Marburg a. d. Lahn. H. Köppe. 


Meyer, Paul, Die Notstandsarbeiten und ihre Probleme. Jena 
(Gustav Fischer) 1914. 112 SS. 

Verf. behandelt zunächst die Arbeitslosenbeschäftigung historisch 
und theoretisch, um dann festzustellen, was in den letzten Jahren 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 289 


namentlich von den Städten durch die Inangriffnahme von Notstands- 
arbeiten geschehen ist, und welche Ergebnisse dadurch erzielt sind. 
Auch wer sich mit der Frage näher beschäftigt hat, wird namentlich 
in dem zweiten Teile manches Neue und Interessante finden. Es wird 
festgestellt, daß die größeren Städte bei uns in dem Notstandsjahr 
z. B. 1908/09 sehr umfassende Notstandsarbeiten unternommen haben, 
unter Zusetzung sehr beträchtlicher Summen, doch vermißt Verf. ein 
einheitliches, zielbewußtes Vorgehen und verlangt ein planmäßiges wohl- 
geordnetes System in der städtischen Verwaltungstätigkeit. Er geht aber 
hierüber noch hinaus und fordert das Eingreifen des Staates, was unserer 
Ansicht nach doch nur ganz ausnahmsweise verlangt werden kann. Auch 
die vom Verf. verlangten sozialen Kommissionen in den Industriezentren 
mit staatlicher Unterstützung scheinen uns über das richtige Maß 
hinauszugehen, doch müssen wir hervorheben, daß Verf. ein Recht auf 
Arbeit nicht anerkennt. ` J. Conrad. 


Anstaltsfürsorge, Die, für körperlich, geistig, sittlich und wirtschaft- 
lich Schwache im Deutschen Reiche in Wort und Bild. IV. Abteilung. Deutsche 
Krüppelheime. Hrsg. von (Dir. Pfr.) Hoppe. Halle a. S., Carl Marhold, 1914. 
Lex.-8. VII—159 SS. M.5.—. 

Armenwesen, Das gesetzliche und organisierte freiwillige, in der Schweiz. 
Hrsg. von der ständ. Kommission der schweizerischen Armenpfleger-Konferenzen. 
2 Bde. M. 11,20. 1. Bd. Schmid, Dr. C, A., Das gesetzliche Armenwesen 
in der Schweiz. Das Armenwesen des Bundes, sämtl. Kantone und der schweizeri- 
schen Großstädte. Mit Sachregister X—369 SS. M. 6,40. — 2. Bd. Wild (Pfr.), 
A., Das organisierte freiwillige Armenwesen in der Schweiz. Mit Sachregister. 
VII—294 SS. M. 4,80. Zürich, Orell Füßli, 1914. gr. 8. 

Bittmann, Karl, Arbeiterhaushalt und Teuerung. Jena, Gustav Fischer, 
1914. gr. 8. XVII—181 SS. M. 5.—, 

Fischer (Reichstagsabgeord.) Edm., Frauenarbeit und Familie. (Aus: 
„Annalen für Sozialpolitik und Gesetzgebung.) Berlin, Julius Springer, 1914. 
gr. 8. 41 SS. M. 1.—. 

Güttler, Dr. Gerh., Die englische Arbeiterpartei. Ein Beitrag zur Ge- 
schichte und Theorie der politischen Arbeiterbewegung in England. Jena, Gustav 
Fischer, 1914. gr. 8. X—211 SS. MB 

Hanauer, Dr. W., Die hygienischen Verhältnisse der Heimarbeiter im 
rhein-mainischen Wirtschaftsgebiet. Mit Unterstützung des Frankfurter Vereins 
für Hygiene, und einer Einführung von Prof. Dr. M. Neißer. Jena, Gustay Fischer, 
1914. 8. 56 SS. M. 1.—. 

Heyde, Dr. Ludw., Der Samstags-Frühschluß in Industrie und Handel des 
Deutschen Reichs. Bericht für die 8. Hauptversammlung der internationalen Ver- 
einigung für gesetzlichen Arbeiterschutz. (Schriften der Gesellschaft für soziale 
Reform. 52. und 53. Heft.) Jena, Gustav Fischer, 1914. 8. 201 SS, M. 1,30. 

Hornek (Magistr.-Ober-Kommissär), Dr. Rud., Die Gewerkschaften und 
die öffentliche Arbeitslosenversicherung. Im Auftrag des Wiener Magistrats ver- 
faßt. Wien, Gerlach u. Wiedling, 1914. gr. 8. 51 SS. M. 0,50. 

Jahrbuch der sozialen Bewegung in Deutschland und Oesterreich 1913. 
Von Emil Lederer. (Aus: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik.) Tü- 
bingen, J. C. B. Mohr, 1914. gr.8. IV—234 SS. M. 4.—. 

Kundgebung, Oeffentliche, für Fortführung der Sozialreform. Ver- 
anstaltet am 10. Mai 1914 in Berlin von der Gesellschaft für soziale Reform. 
(Schriften der Gesellschaft für soziale Reform. 51. Heft.) Jena, Gustav Fischer, 
1914. 8. 66 SS. M. 0,50. 

Rusch (Reg.-Assess.), Dr. Max, Die gemeinnützige Bautätigkeit im König- 
reich Sachsen. (Freie Beiträge zur Wohnungsfrage im Königreich Sachsen, hrsg. 
von der Zentralstelle für Wohnungsfürsorge im Königreich Sachsen. Heft 2.) 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CI. 19 


290 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Dresden-A, Zentralstelle für Wohnungsfürsorge im Königreich Sachsen, 1914. 
Lex.-8. 128 und 27 SS. mit 2 farb. Taf. u. 1 Karte. M. 3,50. 

Totomianz, Dr. V., Theorie, Geschichte und Praxis der Konsumenten- 
organisation. Vom Verfasser bewirkte Umarbeitung des russ. Originals. Berlin, 
R. L. Prager, 1914. Lex.-8. V—280 SS. und 1 Tab. M.7.—. 

Wendt, Hans, Die Not des städtischen Grundbesitzes. Eine ernste Zeit- 
frage. Wismar, Hinstorffsche Verlagsbuchhandlung, 1914. 8. 82 SS. M. 1,20. 

Weyls Handbuch der Hygiene in 8 Bdn. 2. Aufl. Bearbeitet von (Kreis- 
arzt) Dr. Louis Ascher, Dr. ing. M. Berlowitz, (Dipl.-Ing.) Dr. W. Bertelsmann u.a. 
Hrsg. von (Geh. Med.-Rat) Prof. Dr. C. Fraenken. 26. Liefg. VII. Bd. 2. Abt. 
Gewerbehygiene. Bearb. von Agn. Bluhm, F. Curschmann, E. Günther u. a. 
Allgemeiner Teil. 3. Abt. Koelsch, Dr. Fr.: Allgemeine Gewerbepathologie und 
Gewerbehygiene. Leipzig, Johann Ambrosius Barth, 1914. Lex.-8. III und S. 205 
—424. M.11—. 


Kovalewsky (prof.), M., La Russie sociale. Paris, M. Giard et E. Briere, 
1914. 18. 180 pag. fr. 2,50. 

Waterkeyn, Jean, Le probleme de l'alcool en Belgique. La solution: 
Une société nationale concessionnaire du monopole. Suivi d'une consultation juridi- 
que, par Mre Alphonse Leclercq. Anvers, Aug. van Nylen, 1914. 22X 15,5. 
136 pag. fr. 2,50. 

Levine, L., Syndicalism in France. 2nd revised ed. of ‚The labour 
movement in France“. London, P. S. King. 8. 7/.6. 


10. Genossenschaftswesen. 

Bericht über das 19. Geschäftsjahr der preußischen Zentralgenossen- 
schaftskasse. Vom 1. April 1913 bis 31. März 1914 (Etatsjahr 1913). Berlin, 
Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. Lex.-8. 83 SS. M. 2.—. 

Jahresbericht des dGeneralverbandes ländlicher Genossenschaften für 
Deutschland, e. V., für 1913 mit Statistik der Raiffeisenschen Genossenschaften 
für 1912. Druckerei und Verlag in Neuwied, Landwirtschaftl. Zentraldarlehns- 
kasse für Deutschland, 1914. 31 X 23 cm. 96 und 368 SS. M. 8.—. 

Wuttig, Dr. Mart, Die Organisation des genossenschaftlichen Geldaus- 
gleichs. Ein Beitrag zur Zentralkassenfrage. Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. 
I1I—93 SS. M. 2,50. 


11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde. 


Anderssen (Privatdoz.), Dr. Walt., Vergleichendes Verfassungsrecht der 
Gegenwart im Grundriß. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. 8. W—114 SS. 
M. 3,60. 

Antoni (Oberbürgermeister), Dr. G., Landgemeindeordnung für die Provinz 
Hessen-Nassau vom 4. August 1897, nebst den Ausführungsanweisungen vom 
5. Oktober 1897 und 30. November 1897. Mit Erläuterungen versehen. A. verb. 
Aufl. Marburg, N. G. Elwert, 1914. gr.8. VIII—359 aa M. 4,40. 

Bergsträßer (Privatdoz.), Dr. Ludw., Geschichte der Reichsverfassung. 
(Archiv des öffentlichen Rechts, hrsg. von Paul Laband, Otto Mayer und Rob. 
Piloty. Heft 3.) Tübingen, J. O. B. Mohr, 1914. gr. 8. VII—121 SS. M. 3.—. 

Cahn (Geh. Legationsrat z. D.), Dr. Wilh., Reichs- und Staatsangehörig- 
keitsgesetz vom 22. Juli 1913 erläutert mit Benutzung amtlicher Quellen und 
unter vergleichender Berücksichtigung der ausländischen Gesetzgebung. 4. völlig 
neubearb. Aufl. Berlin, J. Guttentag, 1914. gr. 8. XVIII—608 SS. M. 13,50. 

Erler, Dr. Alfr., Fortschritte der Reichsversicherungsordnung. (Volks- 
wirtschaftliche und wirtschaftsgeschichtliche Abhandlungen, hrsg. von Prof. Wilh. 
Stieda. III. Folge. 10. Heft.) Leipzig, Veit u. Comp., 1914. gr. 8. VIII—145 SS. 
M. 5.—. 

Gemeinderecht, Berliner. Hrsg. vom Magistrat. 2. ergänzte Aufl. 
Fr Bd. Gewerbeangelegenheiten. Berlin, Julius Springer, 1914. 8. VII—221 SS. 
M. 3,80. 

Goldstein, Dr. Hans, Grundzüge des Staats- und Verwaltungsrechts der 
südafrikanischen Union. (Arbeiten aus dem jurist.-staatswissenschaftlichen Se- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 291 


minar der Universität Marburg, hrsg. von Prof. Dr. W. Schücking. Heft 18.) 
Marburg a. L., Adolf Ebel. 8. 59 SS. M. 2.—. 

Graeffner, Ernst, u. Erich Simm (Magistrats-Assessoren), Drs., 
Das Armenrecht. Eine systematische Darstellung sämtlicher das Armenrecht 
betr. Rechtsmaterien (Handbücher des preußischen Verwaltungsrechts VI). Berlin, 
Carl Heymann, 1914. gr.8. XV—461 SS. M. 12.— 

Heilfron (Amtsgerichtsrat), Prof. Dr. Ed., Das öffentliche Recht des 
Deutschen Reichs. 1. Teil. Lehrbuch des Staats- und Verwaltungsrechts. 1. und 
2. Aufl. der Neubearbeitung. 8. und 9. Aufl. von ‚Deutsche Rechtsgeschichte, 
Staatsrecht, Kirchenrecht“. Mannheim, J. Bensheimer, 1914. 8. XXII—752 SS. 
M. 7.—. 

Heinze, Wolfg., Reform im Vollzug des Reichstagswahlrechts. Berlin, 
Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. 8. 141 SS. M. 2.—, 

Hövermann (Reg.-Ref.), Otto, Kiautschou. Verwaltung und Gerichts- 
barkeit. (Abhandlungen aus dem Staats-, Verwaltungs- und Völkerrecht, hrsg. 
von Proff. Drs. Geh. Justizrat Herrenhausmitglied Philipp Zorn u. Fritz Stier- 
Somlo. Bd. 13. Heft 2.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 1914. gr.8. XV—118 SS. 
M. 4.—. 

Hue de Grais (Wirkl. Geh. Ober-Reg.-Präs. a. D.), Graf, Gegenstand und 
Methode des staatsbürgerlichen Unterrichts auf der Grundlage des Staatsge- 
dankens. Berlin, Julius Springer, 1914. 8. 26 SS. M. 0,60. 

Kaufmann (Reichsversicherungsamts-Präs.), Dr. Paul, Schadenverhüten- 
des Wirken in der deutschen Arbeiterversicherung. 2. verm. Aufl. Berlin, Franz 
Vablen, 1914. gr. 8. 214 SS. M. 5.—, 

Keller (Wirkl. Legat.-Rat, vortr. Rat), Dr. F. v., u. (Amtsrichter) Dr. P. 
Trautmann, Kommentar zum Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. 
Juli 1913. München, C. H. Beck, 1914. gr.8. XXVI—848 SS. M. 20.—. 

Köhler (Ministerialdir., stellvertr. Bundesratsbevollm.), Dr. L. v., (Ober- 
Reg.-Rat) J. Biesenberger, (Ministerialrat) H. Schäffer, (Oberamtmann) 
Dr. W. Schall, Reichsversicherungsordnung nebst Einführungsgesetz mit Er- 
läuterungen. Erg.-Bd. I. Teil. Vorschriften für das Reich. 1. Liefg. Aus- 
führungsbestimmungen zur Unfallversicherung. Bearb. von (Ministerialdir.) Dr. 
v. Köhler. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1914. 8. XII—165 SS. M. 2.—. 

Krebs (Gerichtsassess.), Dr. Johs., Heimarbeit und Gesetzgebung in Frank- 
reich. (Münchener volkswirtschaftliche Studien, hrsg. von Lujo Brentano und 
Walther Lotz. 132. Stück.) Stuttgart, J. OG Cotta, 1914. gr. 8. VII—96 SS. 
M. 2,80. 

Krukenberg, Dr. Siegfr., Die Konkurrenz von Verwaltungszwang und 
Strafverfolgung. Eine polizeirechtliche Studie auf der Grundlage des preußischen 
Verwaltungsrechts. (Arbeiten aus dem jurist.-staatswissenschaftl. Seminar der 
Universität Marburg, hrsg. von Prof. Dr. W. Schücking. Heft 19.) Marburg a L., 
Adolf Ebel, 1914. 8. 117 SS. M. 2,80. 

Küppers, Dr. Paul, Kommunalverwaltung und Presse. Vortrag. Leipzig, 
Gustav Fock, 1914. 8. 70 SS. M. 1,20. 

Kuziatin, Dr. Witaly, Die Unverantwortlichkeit der Abgeordneten 
rechtsvergleichend dargestellt. (Strafrechtliche Abhandlungen, begründet von Prof. 
Dr. Hans Bennecke, hrsg. von Geh. Hofrat Prof. Dr. v. Lilienthal. Heft 179.) 
Breslau. A. Kurtze, 1914. gr. 8. X—123 SS. M. 3,20. 

Ledl, Art., Studien zur älteren athenischen Verfassungsgeschichte. Heidel- 
berg, Carl Winters, 1914. 8. VII—422 SS. M. 10.—. 

Lüttich, Dr. Georg, Bundesrat und Reichstag bei der Kolonialgesetz- 
gebung. (Kolonialrechtliche Abhandlungen, hrsg. von Prof. Hub. Naendrup. Heft 5.) 
Münster, Franz Coppenrath, 1914. Lex.-8. X—114 SS. M. 3.—. 

Maier, Dr. Hans, Die geistesgeschichtlichen Grundlagen der konstitutio- 
nellen Theorie. Tübingen, J. ©. B. Mohr, 1914. gr. 8. VIII—83 SS. M. 2.—. 

Mayer, Otto, Deutsches Verwaltungsrecht. 1. Bd., 2. Aufl. (Systematisches 
Handbuch der deutschen Rechtswissenschaft. Hrsg. von Prof. Dr. Karl Binding. 


KE Se l. Bd.) München, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. XIV—401 SS. 


19* 


292 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Meyer (Sem.-Prorekt.), Dr. Friedr., Deutsche Staatsbürgerkunde auf ge- 
schichtlicher Grundlage. Verfassung, Verwaltung, Recht, wirtschaftliches Leben, 
geistiges Leben. In geschichtlicher Entwicklung dargestellt. Halle a. S., Buch- 
handlung des Waisenhauses, 1914. 8. VI—140 SS. M. 2,40. 

Neuhaus (Dir.), Dr. Georg, Uebersicht über die Verfassungsgeschichte 
der Stadt Cöln seit der Römerzeit und über ihre Verwaltung im 20. Jahrhundert. 
Im Auftrage des Oberbürgermeisters bearb. Köln, Paul Neubner, 1914. Lex.-8. 
VII—216 SS. mit eingedruckten Kartenskizzen, 6 (2 farb.) Plänen und 10 Taf. 
M. 3.—. 

Sachs, Loth., Die Entwicklungsgeschichte des bayerischen Landtags in 
den ersten 3 Jahrzehnten nach der Verfassungsgebung 1818—1848. Im Zusammen- 
hang mit der allgemeinen politischen Geschichte jener Zeit. Würzburg, Gebr. 
Memminger, 1914. 8. 166 SS. M. 2.—. 

Schmid, Dr. Matth., Verfassung und Verwaltung der deutschen Städte. 
(Aus Natur und Geisteswelt, 466. Bdchen.) Leipzig, B. G. Teubner, 1914. kl. 8, 
IvV—118 SS. M. 1—. 

Stieglitz, Dr. Leop., Die Staatstheorie des Marsilius v. Padua. Ein Bei- 
trag zur Kenntnis der Staatslehre im Mittelalter. (Beiträge zur Kulturgeschichte 
des Mittelalters und der Renaissance. Hrsg. von Walt. Goetz, Bd. 19.) Leipzig, 
B. G. Teubner, 1914. gr. 8. IV—56 SS. M. 2.—. 

Stier-Somlo, Prof. Dr., Kommentar zur Reichsversicherungsordnung 
und ihrem Einführungsgesetz. Vom 19. Juli 1911. 4. Lieferung. Berlin, Franz 
Vahlen, 1914. Lex.-8. S. 497—736. M. 4,50. 

Wolzendorff (Privat-Doz.), Dr. Kurt, Der Gedanke des Volksheers im 
deutschen Staatsrecht. (Recht und Staat in Geschichte und Gegenwart. Eine 
Sammlung von Vorträgen und Schriften aus dem Gebiet der gesamten Staats- 
wissenschaften, No. 4.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 1914. gr. 8. XII—63 SS. 
M. 1,60. ` 


Commercial laws of the world. Vol. 4. Brazil. Compiled by R. Octavio 
and de Langgaard Menezes. Translated by J. N. Marsden. London, Sweet and 
Maxwell. Royal 8. 490 pp. £. 2.—. 

Geldart, W. M., The present law of trade disputes and trade unions. 
London, Milford. 8. 61 pp. 6/.—. 

Jones, Tom Bruce, One hundred reasons against Home Rule. 2nd. ed. 
London, Oliver and Boyd. Cr. 8. 136 pp. 6/.—. 

Borsi, prof. Umb., Corso di diritto amministrativo e scienza dell’ammi- 
nistrazione. Fasc. I. Macerata, tip. F. Giorgetti e C., 1914. 8. p. 1—62. 

de Hoon, H., De kinderwetten in België en in Nederland. Antwerpen, De 
Nederlandsche Boekhandel. 25X 16,5. 96 blz. fr. 1,50. 


12. Statistik. 
Allgemeines. 


Herbst, Dr. Rich., Die Methoden der deutschen Arbeitslosenstatistik. 
(Deutsches statistisches Zentralblatt, Heft 6.) Leipzig, B. G. Teubner, 1914. gr. 8. 
VI—183 SS. M. 5.—. 

Mayr (Unterstaatssekr. z. D.), Prof. Dr. Georg v., Statistik und Gesell- 
schaftslehre. 1. Bd. Theoretische Statistik. 2. umgearb. und vermehrte Auflage, 
(Aus: „Handbuch d. öffentl. Rechts“, Einleitungsband.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 
1914. Lex.-8. VII—357 SS. M. 9.—. 


Deutsches Reich. 


Beiträge zur Statistik des Rigaischen Handels (Rigas Handel und Schiff- 
fahrt). Jahrg. 1912. Hrsg. von der handelsstatistischen Sektion des Rigaer Börsen- 
Komitees, unter der Leitung des Sekretärs desselben, Bruno v. Gernet. 2. Abteilung. 
Rigas Handelsverkehr auf den Eisenbahnen. Riga, E. Bruhns, 1914. 36X29 cm. 
XVIII—72 SS. M. 7.—. 

Grunenberg, Dr. A., Das Religionsbekenntnis der Beamten in Preußen. 
1. Bd. Die höheren staatlichen Beamten. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 
1914. gr. 8. 443 SS. mit 11 Taf. M. 11,20. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 293 


Jahrbuch, Statistisches, deutscher Städte. In Verbindung mit Drs. 
Badtke, W. Beukemann, Berendt u. a. hrsg. von (Dir.) Prof. Dr. M. Neefe. 20. 
Jahrgang. Breslau, Wilh. Gottl. Korn, 1914. gr. 8. XVI—907 SS. M. 17,50. 

Statistik des Deutschen Reiches. Hrsg. vom Kaiserl. Statist. Amte. 
264. Bd. Bestand der deutschen Binnenschiffe am 31. Dezember 1912. 29 und 
130 88. M. 2.—. — 271. Bd., Auswärtiger Handel im Jahre 1913. Der 
Verkehr mit den einzelnen Ländern im Jahre 1913, unter Vergleichung mit 
den 4 Vorjahren. 19. Heft. Canada, Vereinigte Staaten von Amerika. 80 S55. 
(Vollständig M. 14.—.) Einzelpreis M. 1.—. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 
1914. 33,5x 26,5 cm. 

Versicherungs-Statistik für 1912 über die unter Reichsaufsicht 
stehenden Unternehmungen. Hrsg. vom Kaiserl. Aufsichtsamt für Privatversiche- 
rung. Berlin, J. Guttentag, 1914. Lex.-8. 83 u. 402 SS. mit 1 Taf. M. 10.—. 


Oesterreich-Ungarn. 

Statistisches Handbuch des Königreiches Böhmen; 
II. Ausgabe (Deutsche Ausgabe). Zusammengestellt vom Statistischen 
Landesbureau des Königreiches Böhmen. Prag (Selbstverlag) 1913. 

Mitteilungen des Statistischen Landesamtes des 
Königreiches Böhmen, Bd. XVIII, Heft 2: Anbau- u. Ernte- 
statistik, sowie Statistik der wichtigsten Zweige der landwirtschaft- 
lichen Industrie im Königreiche Böhmen für die Betriebsperiode 1911/12. 
Erster Teil: Text. Deutsche Ausgabe. Prag (Selbstverlag) 1913. 

Ungeachtet des großen Arbeits- und Kostenaufwandes, den die 
jedesmalige Herausgabe eines Handbuches erfordert, hat das Statistische 
Landesbureau des Königreiches Böhmen der I. Ausgabe seines „Sta- 
tistischen Handbuches“ vom Jahre 1912 schon im Juli 1913 eine 
II. Ausgabe folgen lassen. Die in böhmischer und deutscher Sprache 
der Oeffentlichkeit übergebene II. Ausgabe will hinsichtlich ihres Um- 
fanges nicht nur eine Ergänzung der ersten sein, vielmehr dieser als 
ebenbürtiges, selbständiges und in einzelnen Teilen durch vollständig 
neue Tabellen erweitertes Ganzes gegenüberstehen und die erste Aus- 
gabe im wesentlichen entbehrlich machen. Beide Ausgaben zusammen 
stellen eine systematische Zusammenfassung der offiziellen Daten über 
das Königreich Böhmen überhaupt dar. 

In 18 Hauptabteilungen und zahlreichen Unterabteilungen bietet 
die vorliegende Ausgabe des Handbuches die Aufarbeitung eines reichen 
statistischen Materials in nahezu 400 Tabellen. Eine besonders ein- 
gehende Behandlung haben dabei die Abteilungen Gewerbe, Industrie 
und Handel, Landwirtschaft, Finanzen, Schülwesen und Bildungsan- 
stalten, Kredit und Versicherungswesen erfahren. Neben einer detail- 
lierten systematischen Inhaltsübersicht am Anfang des Tabellenwerkes, 
finden sich bei den einzelnen Uebersichten regelmäßig genaue Quellen- 
angaben für das in denselben verarbeitete Zahlenmaterial. Auch ist 
in der systematischen Inhaltsübersicht ein Zusammenhang der II. Aus- 
gabe des Handbuches mit der ersten hergestellt, insofern als jeweils auf 
die Aufschriften der entsprechenden Tabellen der ersten Ausgabe Bezug 
genommen ist, so daß hieraus der Wegfall alter und die Bereicherung 
der II. Ausgabe durch neue Tabellen leicht erkennbar wird. Zu ein- 
zelnen der im Handbuch behandelten Abteilungen gibt ein Anhang eine 
Vervollständigung, in dem ergänzend die Daten aus jenen Quellen zu- 


994 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


sammengestellt sind, welche während der Drucklegung des Handbuches 
erschienen waren. Auf diese Weise sucht das Handbuch auf den wich- 
tigsten Gebieten auch den neuesten statistischen Erhebungen Rech- 
nung zu tragen. — Ein Vergleich des „statistischen Handbuches‘“ des 
Königreiches Böhmen mit dem „statistischen Jahrbuch“ für den preußi- 
schen Staat in großen Zügen nach Inhalt und Gliederung des Stoffes, 
läßt — unter Berücksichtigung des Umstandes, daß es sich hier um ein 
Handbuch, dort um ein Jahrbuch handelt — nur unwesentliche Unter- 
schiede hervortreten. Dagegen sind letztere erheblicher mit Bezug auf 
äußere Form, Anordnung der Tabellen und Aufarbeitung des Zahlen- 
materials in den Tabellen. — 


Wio in den Vorjahren, werden in dem an zweiter Stelle genannten 
Band XVIII, Heft 2 der Mitteilungen des Statistischen Landesamtes 
des Königreiches Böhmen die Ergebnisse der Anbau- und Ernte- 
statisti: mitgeteilt. Die textliche Darstellung im ersten Teil des Heftes 
behandelt unter besonderer Berücksichtigung der Witterungs- und Vege- 
tationsverhältnisse in der Wirtschaftsperiode 1911/12, die Anbau- und 
Ernteflächen, die Ernteergebnisse des Feld- und Wiesenbaues und den 
böhmischen Hopfen-, Wein- und Obstbau im Jahre 1912. Von be- 
sonderem Interesse ist eine im Anschluß an die Anbau- und Ernte- 
statistik gegebene Darstellung der Produktionsergebnisse, Steuererträg- 
nisse u. a. der drei wichtigsten Zweige der landwirtschaftlichen In- 
dustrie Böhmens, der Bier-, der Spiritus- und der Rübenzuckerindustrie. 
Ein Anhang über die Ergebnisse der Bienenzucht in Böhmen im Jahre 
1912 (Angaben über die Zahl der Bienenstöcke, Honig- und Wachs- 
erträgnisse, Honig- und Wachspreise) und ein vorläufiger Bericht über 
die Ernte der Hauptgetreidearten im Jahre 1913 (Ernteflächen in Hek- 
taren, durchschnittlicher Hektarertrag und Gesamtertrag an markt- 
fähigen Körnern für die Hauptgetreidearten in den einzelnen natür- 
lichen Gebieten des Königreiches) beschließen den textlichen Teil des 
Heftes. — Der zweite Teil bietet in 4 Haupttabellen über die ursprüng- 
lichen Anbauflächen im Jahre 1912, die Ernteflächen des Jahres 1912, 
die Ernteergebnisse 1912 und die Rübenzuckerproduktion Böhmens in 
der Betriebsperiode 1911/12, die zahlenmäßigen Unterlagen für die 
textliche Darstellung. Dem Heft ist ein Bericht über die Tätigkeit 
des Statistischen Landesamtes für das Königreich Böhmen im Jahre 
1912 beigefügt. 


Halle. Thieme. 


Gebarung, Die, und die Ergebnisse der Unfallstatistik der im Grunde des 
Gesetzes vom 28. Dezember 1887, betr. die Unfallversicherung der Arbeiter, er- 
richteten Arbeiter-Unfallversicherungsanstalten im Jahre 1911. Vom Minister des 
Innern dem Reichsrate mitgeteilt in Gemäßheit des $ 60 des zitierten Gesetzes. 
Wien, k. k. Hof- u. Staatsdruckerei, 1914. Lex.-8. III—227 SS. M. 3.—. 

Koväcs (Minist.-Sekr.), Alois, Die Morbidität und Mortalität der Ar- 
beiter in Ungarn. (Schriften der ungarischen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiter- 
schutz. Ungarische Sektion der internationalen Vereinigung für gesetzlichen Ar- 
beiterschutz. Heft 11.) Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. 25 SS. M. 0,80. 

Statistik, Oesterreichische. Hrsg. von der k. k. Statist. Zentralkommission. 
92. Bd. 2. Heft. Statistik des Sanitätswesens in den im Reichsrate vertretenen 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 295 


Königreichen und Ländern für die Jahre 1907, 1908, 1909 und 1910. Bearbeitet 
von dem Bureau der k. k. Statist. Zentralkommission. Wien, Carl Gerolds Sohn, 
1914. 36xX26,5 cm. XXI—408 SS. M. 15.—. 


Schweiz. 


Entwicklung, Die, des schweizerischen Außenhandels in den Jahren 
1886—1912. (Schweizerische Handelsstatistik.) Hrsg. vom schweizerischen Zoll- 
departement. XXVIII—413 SS. M. 7.—. — Dasselbe. Graphische Darstellungen 
des Verkehrs mit den wichtigsten Handelsartikeln. Tableaux graphiques du mouve- 
ment des principaux articles de commerce. (In deutscher und französischer Sprache.) 
24. Bl. M.6. Bern, A. Francke, 1914. gr. 8. d 


Frankreich, 


Statistique generale de la France. Annuaire statistique. 32 vol. 1912. 
Paris, Impr. nationale, 1913. Grand in-8. LIX—600 pag. 

Statistique generale de la France. Statistique internationale du mouve- 
ment de la population d'après les registres de l'état civil. Second volume. Anndes 
1901 à 1910. Ouvrage accompagné de sept tableaux graphiques. Paris, Impr. 
nationale, 1913. Grand in-8. XXXVIII—463 pag. (Ministère du travail et de la 
prévoyance sociale.) 


13. Verschiedenes. 

Ewald, Walther, Dr. med., Privatdozent in Frankfurt a. M., 
Soziale Medizin, Ein Lehrbuch für Aerzte, Studierende, Medizinal- 
und Verwaltungsbeamte, Sozialpolitiker, Behörden und Kommunen. 
2. Bd. Mit 75 Textfiguren. Berlin, Julius Springer. 26 M., geb. 
28,50 M. 

Der erste Band dieses umfangreichen Lehrbuches der Sozialen 
Medizin ist in unserem Sammelreferat, oben Bd. 46, Heft 5, Seite 691, 
besprochen. Der zweite Band liegt jetzt vor und behandelt — außer 
einem kleinen Kapitel über den Arbeiterschutz — lediglich die soziale 
Versicherung. Ueber die systematische Anlage des Werkes habe ich in 
dem Sammelreferat gesprochen, und Näheres ist darüber noch in einem 
Aufsatz der Deutschen Vierteljahrsschrift für Oeffentl. Gesundheits- 
pflege, Bd. 46, S. 254 fg., nachzulesen. 

Der jetzt vorliegende zweite Band ist ein Werk von bewunderungs- 
würdigem Fleiße und großer Sachkenntnis. Es ist ein wahrhaft sozial- 
medizinisches Werk, weil es unter gründlicher Beherrschung der Ver- 
sicherungsgesetzgebung die Statistik ihrer Erfolge und ihres Gebarens 
heranzieht und diesen ganzen sozialwirtschaftlichen Komplex unter 
medizinischen, sozialversicherungsärztlichen Gesichtspunkten behandelt. 
Da werden also nicht bloß Gesetzesbestimmungen kommentiert, sondern 
mit der Medizinalstatistik und den Fragen der Heilbehandlung praktisch 
dargestellt. Ueberall zieht der Verfasser auch die Entscheidungen der 
Behörder: heran. Namentlich äußert er sich zu der schwierigen Arzt- 
frage, zu den Problemen der Simulation und Rentenhysterie, Dauer 
und Art der Behandlung, zu dem Begriff des Betriebsunfalles, der Be- 
urteilung einer Verminderung der Erwerbsfähigkeit, dem Heilverfahren. 
Der Arzt reicht hier dem Sozialstatistiker die Hand und es entsteht 
ein wirklich lebendiges Bild von den gesetzlichen und tatsächlichen 
Leistungen der Träger der Versicherung. Das umfangreiche Werk 
erfreut sich wohlgeordneter Gliederung und eines guten Sachregisters, 


296 Die periodische Presse des Auslandes. 


so daß es als Handbuch für Aerzte, Sozialstatistiker, Verwaltungs- 
beamte (namentlich der Versicherungsbehörden), für Juristen, die mit 
der Versicherungsgesetzgebung zu tun haben, von großer Wichtig- 
keit ist. 

Ein solches zusammenfassendes Werk auf Grund des neuesten 
Standes der Gesetzgebung — auch das Angestelltenversicherungsgesetz 
ist eingeschlossen — existiert meines Wissens noch nicht. Sehr in- 
struktiv ist auch der einleitende Ueberblick über die Entstehung der 
sozialen Versicherung mit einer geschickt gemachten graphischen Dar- 
stellung. 

Auf Einzelheiten einzugehen ist ganz unmöglich. Stichproben aus 
dem 700 Seiten starken Band zeigen seine Zuverlässigkeit. Nur scheint. 
die Literatur nicht bis in die allerneueste Zeit berücksichtigt zu sein, 
was mit der allmählichen und natürlich langsamen Fertigstellung dieses 
Buches zusammenhängt. Das gleiche gilt stellenweise von den sta- 
tistischen Ergebnissen. Das ist jedoch bei der Bewältigung dieses 
riesenhaften Stoffes, wenn ihn ein Einzelner von der volkswirtschaft- 
licheu wie von der medizinischen Seite aus erschöpft, nicht anders mög- 
lich. Daß Ewald die Sozialversicherung von diesen beiden Seiten aus 
zusammenfassend als ein einheitliches Ganzes darstellte, ist ein so 
großes Verdienst, daß man über das Fehlen der allerneuesten Angaben 
hinwegsehen muß und sich sehr wohl mit denen begnügen muß, die bei 
der Bearbeitung vollständig und zuverlässig vorlagen — das sind aber 
oftmals noch die Zahlen von 1910 und 1911. Dieser Band wird — 
weit mehr als der erste Band des ganzes Werkes — von dauernder Be- 
deutung gefunden werden und von dem Fleiß wie der Sachkunde des 
Verfassers hervorragendes Zeugnis ablegen. Alexander Elster. 


Bauer, Wilh., Die öffentliche Meinung und ihre geschichtlichen Grund- 
lagen. Ein Versuch. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1914. gr. 8. VII—335 SS. M. 8.—. 

Collier, Price, Deutschland und die Deutschen. Vom amerikanischen Ge- 
sichtspunkt aus betrachtet. Uebers. von E. v. Kraatz. Braunschweig, George 
Westermann, 1914. gr. 8. III—360 SS. M. 4,50. 

Tews, J., Ein Jahrhundert preußischer Schulgeschichte. Volksschule und 
Volksschullehrerstand in Preußen im 19. und 20. Jahrhundert. Leipzig, Quelle u. 
Meyer, 1914. 8. XII—270 SS. M. 3.—. 

Ziegler, Theob., Menschen u. Probleme. Reden, Vorträge und Aufsätze. 
Berlin, Georg Reimer, 1914. gr. 8. IX—424 SS. M. 7.—. 


Craik, Henry, The state in its relation to education. New and revised 
ed. London, Macmillan. Cr. 8. 210 pp. 3/.6. 


Die periodische Presse des Auslandes. 
A. Frankreich. 


Bulletin de Statistique et de Législation comparée. 37e Année, mai 1914: 
L'exploitation du monopole des allumettes en 1912. — L'exploitation du monopole 
des tabacs en 1912. — Les produits de l'enregistrement, des domaines et du timbre 
constatés et recouvrés, en France, pendant l’exercice 1912 (suite et fin.). — 
La caisse nationale d'épargne en 1912. — Le commerce extérieur. — etc. 

Journal de la Société de Statistique de Paris. 55e Année, juin 1914, No. 6: 
Les émissions et remboursements d'obligations des six grandes compagnies de 


Die periodische Presse des Auslandes. 297 


chemins de fer en 1913, par Alfred Neymarck. — La circulation de la monnaie 
en France, par G. Roulleau. — Chronique agricole, par Marcel de Ville-Chabrolle. 
— Chronique des questions ouvrières et des assurances sur la vie, par Maurice 
Bellom. — etc. 

Journal des Economistes. 73e Année, juin 1914: Les risques de guerre et 
les charges militaires, par Yves Guyot. — Le fisc et les societes, par Etienne 
Falk. — Les relations de l'État et des grandes compagnies de chemins de fer 
jasqu’ à la fin des concessions. — La production de l'or et les échanges inter- 
nationaux, par N. Mondet. — Société d’&conomie politique (Reunion du 5 juin 
1914): L’impöt et les titres étrangers. Communication de M. François Marsal. — etc. 

Mouvement Social, Le. 39e Année, juin 1914, No. 6: L'organisation 
scientifique du travail: Le système Taylor: I. Les principes, par M. Porton. — 
Autour de l’ide& syndicale: paroles de Rome, par J. Zamanski. — États-Unis: Trusts 
et tarifs, chömage, syndicalisme, travail des femmes, salaire minimum, accidents, 
par G. Desveaux. — etc. 

Réforme Sociale, La, 34e Année, mai 1914, No. 81: L'organisation de la 


bienfaisance aux Etats-Unis, par Paul Escard. — L’enfance malheureuse en France 
(suite). La protection legale de l’enfance, par Frédéric Charpin. — Société 
d'économie sociale (Séance du 9 mars 1914): Les crises d'essor économique et 
la situation actuelle. Communication de M. le baron Charles Mourre. — Le mou- 
vement économique et social, par F. Lepelletier. — ete. 

Revue d'économie politique. 28e Année, mai-juin 1914, No. 3: Les limites 
de l'association coopérative de consommation, par Prof. Dr. Totomianz. — La circu- 
lation monétaire française et le mouvement des prix, par Charles Rist. — Le 
blé et le pain. Coopération et intégration, par A. Dugarçon. — La prescription 


de la contribution patronale établie par la loi sur les retraites ouvrières et 
paysannes, par Pierre Moride. — etc. 

Revue internationale de Sociologie. 22e Année, juin 1914, No. 6: Le ca- 
ractère du peuble japonais, par Téruaki Kobayashi. — Société de Sociologie de 
Paris (Séance du 13 mai 1914): Le libéralisme religieux. Communication de l'abbé 
P. Naudet. Observations de Paul Raphael, Ch. Rabany, P. Grimanelli, Th. Joran, 
P. Naudet. — etc. 

Science Sociale, La. 29e Année, 116e fascicule, Mai 1914: Le Bauer 


du Münsterland, par H. Hemmer et P. Descamps. — 117e fascicule, juin 1914: 
Le remembrement de la propriété rurale à l'étranger, par G. Hottenger. 
B. England. 7 


Century, The Nineteenth and after. July 1914, No. 449. The principal 
lesson of the Balkan wars, by Max Waechter. — Throughts on the land question, 
by Henry Seton-Karr. — Is the House of commons just? by William Gascoyne- 
Cecil. — ete. 

Journal, The Economic. Vol. XXIV, June 1914, No. 94: The labour move- 
ment and the strike of 1913 in New Zealand, by Prof. J. Hight and G. G. 
Hancox. — Wages in Yorkshire in the seventeenth and eighteenth centuries, by 
H. Heaton. — The report on Indian finance and currency in relation to the gold 
exchange standard, by Prof. J. S. Nicholson. — etc. 

Journal of the Institute of Bankers. Vol. 35, Part VI, June 1914: Report 
of the council and proceedings at the annual general meeting (Session 1913-14). 
— Gold reserves, by the Right Hon. Frederick Huth Jackson. — Some disabilities 
affecting banks as trustees, by J. H. Philipps. — etc. 

Review, The Contemporary. July 1914, No. 583: The reconstruction of the 
constitution, by D. V. Pirie. — The insurance act at work, by Sydney Webb 
and Rose Gardner. — School children as wage earners, by Miss N. Adler. — 
The moral protection of the young, by Mary H. L. Bunting. — etc. 

Review, The Fortnightly. July 1914, No. 571: The Albanian tangle, by Dr. 
E. J. Dillon. — The lords and the bill, by Philalethes. — The Imperial muddle: 
admiralty and dominions, by Archibald Hurd. — The tribute of modern Britain, 
by L. G. Chiozza Money. — Why not two Irish parliaments?, by H. Hamilton 
Fyfe. — ete. 

Review, The National. July 1914, No. 377: Some impressions of the Ulster 
volunteers, by the Earl Percy. — The Unionist party and the general election, 


298 Die periodische Presse des Auslandes. 


by Lord Willoughby de Broke. — The cabinet et the Empire, by W. J. Courthope. 
— Notes on earned and unearned incomes, by W. H. Mallock. — etc. 


C. Oesterreich-Ungarn. 


Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österr. Handels- 
museums. Bd. 29, 1914, No. 25: Ernteaussichten, Geschäfts- und Wirtschaftslage 
in Rumänien, von Leopold Fischl. — Oesterreich-Ungarns Handelsbeziehungen zu 
Japan. — ete. — No. 26: Die temporäre Aufhebung der Getreidezölle, von (Reg.- 
Rat) Prof. Dr. Josef Gruntzel. — Die Organisation des Pariser Exporthandels. 
— etc. — No. 27: Die Geschäftslage in der Türkei, von Gustav Herlt. — Die 
französische Automobil- und Aeroplanindustrie. — etc. — No. 28: Chroniken über 
das Wirtschaftsjahr 1913. — Der Schiffahrtsverkehr in den französischen Häfen. 
— etc. 

Mitteilungen, Volkswirtschaftliche aus Ungarn. Hrsg. vom Königl. ungar. 
Handelsministerium. Jahrg. 9, April 1914, Heft 4: Handel und Industrie im Jahre 
1913. I. Die Tätigkeit des Ungarischen Kaufmännischen Landesverbandes. II. Die 
Tätigkeit des Bundes der Ungarischen Fabrikindustriellen. — Die ungarischen 
Genossenschaften im Jahre 1912. — Die öffentlichen Lieferungen der staatlichen 
Behörden, Munizipien und Gemeinden im Jahre 1912. — Die staatliche Industrie- 
förderung in Ungarn im Jahre 1912. — Die ungarischen Industrieunternehmungen 
in Form von Aktiengesellschaften. — Die ungarischen Eisenbahnen im Jahre 1912. 
— etc. 

Rundschau, Soziale. Hrsg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amt im Handels- 
ministerium. Jahrg. 15, Mai-Juni 1914, Heft 5: Sozialpolitische Bestimmungen 
der österreichischen Personalsteuernovelle. — Schutz des Lebens und der Sicher- 
heit der Arbeiter in industriellen Betrieben in den Niederlanden (Gesetze und 
königl. Erlaß). — Arbeiterschutz in der Großeisenindustrie (Deutsches Reich). — 
Staatliche Arbeiterfürsorge in Bayern. — Arbeitsbeirat (Oesterreich). — Schutz 
der Auswanderer (Italien). — Sozialversicherung (Oesterreich). — Gewerk- 
schaften in Ungarn 1912. — Gewerkschaften in Italien 1911 und 1912. — Arbeits- 
konflikte in Finnland und Schweden 1913. — Ergebnisse der Arbeitsvermittlung 
in Oesterreich im April 1914. — Staatliche Arbeitsvermittlung in England 1913. 
— Die Arbeitslosigkeit in Wien bei den der Gewerkschaftskommission Oesterreichs 
angegliederten Verbänden in den Jahren 1910—13 (Schluß). — Städtische Arbeits- 
losenfürsorge im Deutschen Reiche (Freiburg i. B. 1912 und 1912, Mannheim). — 
Arbeitslosenzählungen im Deutschen Reich (Freiburg i. B., Hannover). — Arbeiter- 
versicherung im Deutschen Reich 1912. — etc. 


F. Italien. 
Giornale degli Economisti e Rivista di Statistica. Vol. XLVIII, Maggio 


1914, No. 5: Lo sviluppo di Catania, di Ettore Inclimona. — Osservazioni critiche 
sul „metodo del Wolf‘ per lo studio della distribuzione dei redditi, di C. Bresciani- 
Turroni. — Il frumento in Italia, di Gaetano Pietra. — etc. 

Rivista della beneficenza pubblica. Anno 42, Marzo 1914, No. 3: La 
questione ospitaliera, di (Avv.) Giuseppe de Capitani d’Arzago. — Le questioni 
della pubblica assistenza in parlamento. — etc. 

G. Holland. 


Economist, De, opgericht door M. J. L. de Bruyn Kops. 63. jaarg, Juni 
1914, No. 6: Nog eens hervorming van de staats-begrooting (II), door A. van 
Gijn. — etc. 


H. Schweiz. 


Blätter, Schweizerische, für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. 21, 
1913/14, Heft 15/16: Die Alters-, Invaliden- und Hinterlassenen-Versicherung auf 
genossenschaftlich-sozialer Grundlage, von A. Drexler. — Staatsrechtliche Ent- 
wicklungstendenzen in Oesterreich-Ungarn, von Dr. Sigismund Gargas. — etc. 


Die periodische Presse Deutschlands. 299 


J. Belgien. 


Revue, Économique internationale. Vol. II, juin 1914, No. 3: L'industrie 
cotonniere, par W. A. Balmforth. — Le problème cotonnier, par Stephane De- 
craene. — Le projet de loi sur le credit populaire et sur le credit à long 
terme en France, par (Prof.) Bertrand Nogaro. — Le de@velloppement des contrats 
collectifs en France, par Roger Picard. — Production économique de l'électricité 
dans les regions industrielles, par Fernand Courtoy. — etc. 


M. Amerika. 


Journal, The American, of Sociology. Vol. XIX, May 1914, No. 6: The 
social gradations of capital, by Albion W. Small. — Functional industrial re- 
lationships and the wage rate, by Paul L. Vogt. — Assimilation in the Philippines, 
as interpreted in terms of assimilation in America, by Albert Ernest Jenks. — 
Effects of geographic conditions upon social realities, by Edward C. Hayes. — 
The sociology of recreation, by J. L. Gillin. — etc. 

Journal, The Quarterly, of Economics. Vol. XXVIII, May 1914, No. 3: 
The trust problem, by E. Dana Durand. (I. The necessity of prohibition or regu- 


lation. II The possibility of preventing combination.) — Davenport's economics 
and the present problems of theory, by Alvin S. Johnson. — Fire insurance rates 
and state regulation, by W. F. Gephart. — Rent under the assumption of 


exhaustibility, by L. C. Gray. — Home Rule in taxation, by Horace Secrist. 
— etc. 

Magazine, The Bankers. 68th year, Vol. 88, June 1914, No. 6: The federal 
reserve board. — Sobriety as an element of banking efficiency. — Stocks — as 
they are, by Franklin Escher. — Modern financial institutions and their equip- 
ment. — etc. 

Politicae Science Quarterly. Edited by the Faculty of Politicae Science 
Columbia University. Vol. 29, June 1914, No. 2: The position of parliament, by 
C. D. Allin. — The federal reserve system, by E. E. Agger. — Davenport’s 
economics, by J. Maurice Clark. — etc. 

Peview, The American Economic. Vol. IV, June 1914, No. 2: Movements 
of negro population as shown by census of 1910, by John C. Rose. — Present pro- 


blems in Canadian banking, by W. Swanson. — The proposed German petroleum 
monopoly, by Dana G. Munro. — Loans on life insurance policies, by W. F. 
Gephart. — The discount versus the cost-of-production theory of capital valuation, 
by Harry Gunnison Brown. — etc. 


Die periodische Presse Deutschlands. 


Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volks- 
wirtschaft. Jahrg. 47, 1914, No. 6: Die Vereins- und Versammlungsfreiheit der 
Beamten nach deutschem Vereins- und Beamtenrecht, von (Reg.-Assessor) Dr. 
Hans Pasquay. — Gedanken über die Möglichkeit von Modernisierungen der Staats- 
verwaltungstechnik (Fortsetzung), von (Bezirksamtsassessor) Max Zwiebel. — 
Der Fortschritt in der Regelung des öffentlichen Verdingungswesens, von Dr. Rich. 
Dohm. — Die Beistandspflicht der ordentlichen Gerichte gegenüber den Ver- 
waltungsbehörden und Verwaltungsgerichten. Mit besonderer Berücksichtigung der 
preußischen und reichsrechtlichen Bestimmungen (Schluß), von (Referendar) Dr. 
Heinz Maus. — etc. 

Archiv für Eisenbahnwesen. Hrsg. im Kgl. Preußischen Ministerium der 
öffentlichen Arbeiten. Jahrg. 1914, Juli und August, Heft 4: Die Zinspflicht 
beim Eisenbahnfrachtvertrage nach internationalem, deutschem und österreichischem 
Frachtrecht, von (Reg.-Rat) Dr. jur. Ernst Blume. — Erweiterung und Ver- 


300 Die periodische Presse Deutschlands. 


vollständigung des preußischen Staatseisenbahnnetzes im Jahre 1914. — Der Etat 
der preußisch-hessischen Eisenbahnverwaltung für das Etatsjahr 1914, von Tele- 
mann. — Die Eisenbahnen der asiatischen Türkei (Forts.), von (Dipl.-Ing.) M. 
Hecker (III. Geschichtliche Entwicklung. IV. Finanzielle und rechtliche Grund- 
lagen). — Deutschlands Getreideernte im Jahre 1911 und die Eisenbahnen. — Die 
Kgl. bayerischen Staatseisenbahnen in den Jahren 1911 und 1912. — Wohlfahrts- 
einrichtungen der Kgl. bayerischen Staatseisenbahnen im Jahre 1912. — Wohl- 
fahrtseinrichtungen der Kgl. württembergischen Verkehrsanstalten im Jahre 1912. 
— Die Eisenbahnen in Dänemark im Betriebsjahr 1912/13. — etc. 

Archiv für exakte Wirtschaftsforschung (Thünen-Archiv). 16. Erg.-Heft. 
Bericht über die 4. Hauptversammlung der Vereinigung für exakte Wirtschafts- 
forschung vom 21. März 1914. 

Archiv für innere Kolonisation. Bd. 6, Juni 1914, Heft 9: Die Vertrags- 
formen zwischen der dänischen Regierung und ihren Husmänd, von Dr. J. Frost. 
— Die polnischen Land- und Parzellierungsbanken in den Jahren 1911 und 1912 
(Schluß), von Dr. jur. et rer. pol. Reitzenstein. — Deutsche Arbeiterzentrale und 
innere Kolonisation. — etc. 

Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie. Bd. 7, Juli 1914, Heft 4: 
Altes und Neues zur Erkenntnistheorie, von (Geh. Justizrat) Prof. Dr. Josef 
Kohler. — Soziale Entwicklung der Neuzeit (Forts.), von Prof. Dr. Julius Makare- 
wicz. — Philosophie und politische Oekonomie bei den Merkantilisten des 16.—18. 
Jahrhunderts (Forts.), von (Wirkl. Staatsrat und ord. Prof.), Dr. Wladislaw 
Frencowič Zaleskij. — Probleme der Sozialphilosophie, von (Universitätsprof.) 
Dr. Stephan Bauer. — Der juristische Begriff der Trennung von Staat und Kirche, 
von Prof. Dr. J. K. J. Friedrich. — etc. 


Archiv für soziale Hygiene und Demographie. Bd. 9, 1914, Heft 3 u. 4: 
Krankheits- und Sterblichkeitsverhältnisse der österreichischen Arbeiter, von Dr. 
phil. Siegfried Rosenfeld. — Zur Reform der deutschen Irrenstatistik, von Dr. jur. 
Hans Roemer. — Rassenhygiene, von (Amtsgerichtsrat) Dr. E. Wilhelm. — Die 
Entwicklung der Bevölkerung in den Kulturstaaten in dem ersten Jahrzehnt dieses 
Jahrhunderts. Mit einem Rückblick auf die bisherige Entwicklung (Forts.), von 
Dr. med. E. Roesle. — etc. 


Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. Bd. 38, 1914, Heft 3: 
Objekt und Grundbegriffe der theoretischen Nationalökonomie, von Werner Som- 
bart. — Die englische Agrarreform (Schluß), von Prof. Hermann Levy. — Ko- 
pernikus’ Münz- und Geldtheorie, von Prof. J. Jastrow. — Die ökonomische und 
sozialpolitische Bedeutung des Taylorsystems, von Dr. E. Lederer. — Die Heim- 
arbeit in Frankreich und ihre gesetzliche Regelung, von Paul Louis. — Die soziale 
Funktion der Teuerung, von W. Eggenschwyler. — Politik und Oekonomie im 
Briefwechsel Marx-Engels, von Ed. Bernstein. — Die Gewerkschaftsbewegung 
in Oesterreich, die Kämpfe zwischen Unternehmern und Arbeitern und die sozial- 
politische Gesetzgebung im Jahre 1913/14. — etc. 

Archiv, Weltwirtschaftliches. Bd. 4, Juli 1914, Heft 1: Weltwirtschaft- 
liche Forschung und Lehre, von Prof. Dr. Bernhard Harms. —Weltpost und 
Welttelegraphie, ihre Entwicklung und völkerrechtliche Regelung (Forts.), von 
(Oberpostrat) Sieblist. — Die Durchführung des Weltpennyportos, von Arved 
Jürgenson. — Die Türkei in der Weltwirtschaft, von Gustav Herlt. — Sibirien. 
Unter besonderer Berücksichtigung der Befruchtung des internationalen Wirt- 
schaftslebens (Agrarprodukte) durch dieses Land, von Dr. Otto Goebel. — Nieder- 
ländisch-Ostindien im letzten Jahrhundert, von Prof. Dr. Fr. Hoffmann. — Die 
internationale Organisation des Bananenhandels, von Karl Fricke. — Die jüdische 
Kolonisation Palästinas, von Hirsch Weinberg. — etc. 


Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahrg. 
14, 1914, No. 11/12: Die deutsche Auslandshochschule (II.). — Eine handels- 
politische Erklärung des Bundes der Industriellen. — Russische Zollpolitik. — etc. 
Bank, Die. Juni 1914, Heft 6: Der Zusammenschluß der Privatbankiers, 
von Alfred Lansburgh. — Sinn und Aussichten einer Europäisierung des chinesi- 
schen Geldwesens (Schluß), von Dr. Hermann Schwarzwald. — Reform des 


Die periodische Presse Deutschlands. 301 


schweizerischen Bankwesens, von A. L. — Tochtergesellschaften, von Ludwig 
Eschwege. — etc. 

Blätter, für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre. 
Jahrg. 10, Juni 1914, No. 3: Internationale Jugendfürsorge, von (Zivilgerichtspräs.) 
Dr. Alfred Silbernagel. — Das internationale Finanzrecht, von (Reg.-Rat) Dr. 
Lauterbach. — Vergleichende Darstellung der Mitwirkung der Parlamente an der 
Staatsgesetzgebung. Vortrag von Prof. Dr. Adolf Arndt, gehalten am 25. April 
1914 in der Internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und 
Volkswirtschaftslehre zu Berlin. — etc. 

Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 5, Juni 1914, No. 6: Zur Neu- 
regelung der Besteuerung des Wertzuwachses in Preußen, von (Assess.) Dr. J. 
Schoelkens. — Steuerrechte der Wohnsitzgemeinden gegenüber Steuerpflichtigen 
mit mehrfachem Wohnsitz. — Die Aufgaben der Gemeinden im Kriegsfalle. — etc. 

Blätter, Volkswirtschaftliche. Jahrg. 13, Mai-Juni 1914, No. 9—12 
(Sonderheft: Presse und Volkswirte): Wirtschaftliche Interessenvertretungen und 
Tagespresse, von Paul Liman, Albert Haas, Arthur Dix u. a. — Der Volkswirt als 
Handelsredakteur, von A. G. Schulz-Winterfeld.e — Kaufmannschaft und Presse, 


von Arthur Norden. — Der Inhalt der Zeitung und die Wertung des journalisti- 
schen Standes, von Dr. Paul Stoklossa. — Die Entwicklung der deutschen Fach- 
presse, von Dr. P. — Reklamewesen (zum Thema: Wirtschaftspsychologie und 


praktische Volkswirte), von Dr. Rudolf Albrecht. — etc. 

Concordia, Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 21. 
1914, No. 12: Kritische Betrachtung zum Taylorsystem, von Dr. Gerhard Al- 
brecht. — Einige weitere Bemerkungen über Wesen, Bedeutung und Durchführung 
des Taylorsystems, von Dr. Altenrath. — ete. — No. 13: Das Wohlfahrtsamt der 
Mittelpunkt der öffentlichen und privaten Wohlfahrtspflege, von (Stadtrat) Paul. 
— Bestrebungen der Selbsthilfe zur Bekämpfung der Lebensmittelteuerung, von 
Dr. Gerhard Albrecht. — etc. 

Export. Jahrg. 36, 1914, No. 24: Der Panamakanal, seine Freunde und 
seine Gegner, von Dr. R. Jannasch. — Zur Frage der Gefährdung des Panama- 
kanals. Eine Erwiderung, von Dr. phil. Otto Lutz, mit den gleichzeitigen Ent- 
gegnungen von (Obering.) Ewald. — etc. — No. 25: Die Zukunft des Dreibundes, 
von Dr. Frhr. v. Mackay. — Zur deutschen Getreideausfuhr. — Die deutsche 
Presse und die weltwirtschaftlich-politischen Bestrebungen Deutschlands, von 
O. Sperber. — Der Wettbewerb um den ägyptischen Handel. — etc. — No. 26: 


Zur Vorbereitung der Handelsverträge. — Handelspolitisches aus den nordischen 
Ländern. — Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Die 
Wirtschaftslage in Südafrika. — Die Wirtschaftslage in Argentinien. — etc. — 
No. 27: Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — General- 
bericht über die wirtschaftliche Entwicklung Rußlands, von W. Ewald. — Die 
französischen Eisenbahnen in der Asiatischen Türkei. — etc. 

Gegenwart, Die. Jahrg. 43, 1914, No. 25: Chauvinismus, von Ingolf 
Askevold. — etc. — No. 26: Die Bugra, von (Bibliothekar) Dr. Willy Pieth. 
— etc. — No. 28: Orientalische Kulturelemente im abendländischen Milieu, von 


Dr. Max R. Funke. — etc. 

Industrie-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 33, 1914, No. 25: Delegierten- 
versammlung des Zentralverbandes Deutscher Industrieller am 4. und 5. Juni 1914 
in Köln (vorläufiger Bericht). — Kongreß für gewerblichen Rechtsschutz. — 
ete. — No. 26: Die Kommunalabgaben in Preußen und die öffentlich-rechtliche 
Belastung der deutschen Industrie. Vortrag, gehalten von Dr. rer. pol. R. Kind, 
gelegentlich der Versammlung der Delegierten des Zentralverbandes Deutscher In- 
dustrieller 5. Juni 1914. — Zur Entwicklung der britischen Volkswirtschaft (der 
Viehstand Großbritanniens und Irlands von 1872—1912). — Das Volksvermögen 
Oesterreich-Ungarns. — ete. — No. 27: Der sozialdemokratische Gewerkschafts- 
kongreß. — Die Kommunalabgaben in Preußen und die öffentlich-rechtliche Be- 
lastung der deutschen Industrie. Vortrag von Dr. Kind (Schluß). — Das 
Lebensalter der Industriearbeiter nach der Berufszählung vom 12. Juni 1907 
(Forts.). — etc. — No. 28: Zur Frage der Anwendbarkeit und Zweckmäßigkeit 
des Taylorsystems oder der wissenschaftlichen Betriebsführung für Deutschland, 


302 Die periodische Presse Deutschlands. 


von (Reg.-Rat) Dr. ing. Selter. — Großbritannien, die Vereinigten Staaten von 
Amerika und Deutschland in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung von 1893—1913. 
— Die steuerliche Gefährdung der Gesellschaften mit beschränkter Haftung. 
— ete. 

Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 46, 1914, Heft 4: Beobachtungen 
über die Unkrautbekämpfung durch Kainit. Nach Versuchen und unter Mit- 
wirkung von Prof. Dr. Th. Remy, bearb. von Dr. J. Vasters. — etc. 

Jahrbücher, Preußische. Bd. 157, Juli 1914, Heft 1: Neues über 1813, 
von Hans Delbrück. — Deutsche Volksernährung im Kriege, von (ord. Honorar- 
prof.) Dr. Carl Ballod. — etc. 

Kartell-Rundschau. Jahrg. 12, Mai 1914, Heft 5: Zur Frage des zi- 
vilistisch-organisatorischen Charakters der Kartellorganisation (Erwiderung auf 
die „Kartellrechtlichen Studien“ des Rechtsanwalts Dr. Rud. Wassermann), von 
Dr. S. Tschierschky. — etc. 

Kultur, Soziale. Jahrg. 34, Juli 1914, Heft 7: Die neueste Entwicklung 
des Finanzwesens und der Steuerlast in Deutschland, England und Frankreich, von 
Dr. Paul Beusch. — Produktionserhebungen, von Dr. Heinrich Pudor. — Partei- 
programm und sozialistische Gewerkschaften, von Dr. Fanny Imle. — Das Problem 
des Geburtenrückgangs, von Dr. Hans Rost. — Die Industrie und die zukünftige 
deutsche Handelspolitik, von Dr. Wohlmannstetter. — etc. 

Monatsblätter, Koloniale Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonial- 
recht und Kolonialwirtschaft. Jahrg. 16, Juli 1914, Heft 7: Dreißig Jahre Deutsch- 
Ostafrika, von Hans Zache. — Der wirtschaftliche Wert der deutschen Kolonien, 
von Dr. A. Schulte im Hofe. — Die Tanganjikabahn, von Hubert Henoch. — 
Die finanzielle Organisation der Lokalverwaltung im ostafrikanischen Schutzgebiet, 
von (Finanzdirektor a. D.) Dahlgrün. — Der Stand der Selbstverwaltung in 
Deutsch-Ostafrika, von Dr. Rülz. — Das Bergrecht Deutsch-Ostafrikas, von (Berg- 
assessor) Liesegang. — Die Einnahme-Gesetzgebung, von Deutsch-Ostafrika, von 
(Finanzdirektor a. D.) Dahlgrün. — Das Verordnungsrecht des Kaisers in den 
Kolonien, von Dr. Aloys Petri. — etc. ` 

Monatshefte, Sozialistische, 1914, Heft 12 und 13: Die Gewerkschaften 
und das Lohnproblem, von Eduard Bernstein. — Schutz dem Koalitionsrecht!, 
von Wolfgang Heine. — Politik in Gewerkschaften, die Bureaukratie und das 
Unternehmertum, von Max Schippel. — Die Volksfürsorge und ihre Gegner, von 
Adolph von Elm. — Gewerkschaften und Sozialpolitik, von Paul Umbreit. — Das 
Scheitern der staatlichen Förderung der Arbeitslosenversicherung in Bayern, von 
Johannes Timm. — Zur Frage des Arbeitsnachweises, von Hugo Poetzsch. — 
Landarbeiterverband und Landarbeiteransiedlung, von Dr. Arthur Schulz. — Or- 
ganisationsfragen der Gewerkschaften, von Robert Schmidt. — Die gegenseitige 
Unterstützung der Gewerkschaften bei Streiks und Aussperrungen, von Heinrich 
Stühmer. — Arbeitersekretariate und Behörden, von Rudolf Wissell. — Die fach- 
gewerbliche Ausbildung der Arbeiterin, von Paul Thiede. — etc. 

Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 32, 1914, No. 1642: Die Verteilung 
des Grundbesitzes in Preußen und das Fideikommißwesen. — Ueber die Vereinigung 
deutscher Privatbankiers. — Die knappschaftliche Krankenversicherung im deut- 
schen Bergbau. — Die Amortisation der ersten Hypothek vom Standpunkt des 
städtischen Hausbesitzes. — etc. — No. 1643: Ein neues Syndizierungsprogramm 
in der Eisenindustrie. — Die Stellung der Hypothekenbanken am Hypotheken- 
markte. — etc. — No, 1644: Die Barreserven der Kreditbanken. — Zur Ver- 
stadtlichung der Berliner Elektrizitätswerke. — Die Rangfolge von Hypotheken, 
von Dr. jur. Richard Kahn. — etc. — No. 1645: Die deutschen Emissionen im 
Halbjahr 1914. — Reichserbschaftssteuerstatistik. — etc. 

Plutus. Jahrg. 11, 1914, Heft 25: Stückzinsen, von B. G. — etc. — 
Heft 26: Barreserven. — Außenreklame, von Alfred Dambitsch. — ete. — Heft 27: 
Finanzwissenschaft. — Genußscheine der G. m. b. H., von C. Steiner. — etc. — 
Heft 28: Chamberlain. — B. E. W., von G. B. — etc. 

Rechtsschutz, Gewerblicher und Urheberrecht. Jahrg. 19, Juni 1914, 
No. 6: Die Rechtskraft im Patenterteilungsverfahren unter vergleichender Dar- 
stellung der Rechtskraft im Zivilprozeß, im Verfahren der freiwilligen Gerichts- 


Die periodische Presse Deutschlands. 303 


barkeit und im Verwaltungsstreitverfahren (mit Berücksichtigung des vorläufigen 
Entwurfs eines Patentgesetzes, von (Kammergerichtsrefr.) Dr. Walther Rasch. — 
Der Schutz des kinematographischen Urheberrechts in Rußland, von (Gerichtsass.) 
Dr. Albert Hellwig. — etc. 

Recht und Wirtschaft. Jahrg. 3, Juli 1914, No. 7: Kriegwirtschaftslehre — 
Kriegswirtschaftsrecht, von Dr. Arthur Blaustein. — Uebertragung der Verwal- 
tungsrechtsprechung an die ordentlichen Gerichte?, von (Öberlandesgerichtsrat) 
E. Becker. — Eine Schicksalsstunde des preußischen Staates, von (Magistratsrat) 
Paul Wölbling. — Die Angestelltenerfindung, von (Rechtsanw.) H. Marquardt. 
— Die österreichische Strafgesetzreform und der industrielle Streikschutz, von 
Dr. Franz Eidlitz. — Zur Psychologie und Ethik der Berufe und Stände. II. Der 
Börsianer, von Prof. Dr. S. P. Altmann. — etc. 

Revue, Deutsche. Jahrg. 39, Juli 1914: Die Macht des Goldes und der 
Krieg, vou (General der Infanterie z. D.) Frhr. v. Falkenhausen. — Reichsländi- 
sches, von M. v. Köller. — Die Entwicklung Rumäniens unter König Carol und 
der Balkankrieg (Forts.), von (Kgl. rumän. Ministerpräs. a. D.) Demeter A. 
Sturdza. — Zeitung, Publikum und öffentliche Meinung (Schluß), von Ernst 
Posse. — Die Psychologie der Massen und die Panik im Kriege, von H. Sartorius. 
— Die Vorteile einer Freihandelszone zwischen dem Schwarzen Meere und der 
Adria für Europa und den Welthandel mit dem Orient, von Prof. Dr. Max 
Eckert. — etc. 

Revue, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 13, Juli 1914, No. 4: Staat, 


Kirche, Gesellschaft in ihrem Verhältnis zueinander, vom Herausgeber. — Die 
Einheitsschule, eine dringende Gefahr für unser Volkstum, von Prof. Dr. H. G. 
Holle. — Rassennot — Rassenschutz, von O. Diethart. — Zur Frage der Herkunft 


und Ausbreitung der Indogermanen, von Hans Wolfgang Behm. — ete. 

Rundschau, Koloniale. Jahrg. 1914, Juni, Heft 6: Die sozialen und wirt- 
schaftlichen Verhältnisse Ruandas (Forts.), von (Pastor und Missionar) K. Roehl. 
— Tripolitanien, Italiens jüngste Kolonie. — Zur Frage der Enteignung der 
Duala, von P. Halbing. — ete. 

Sozial-Technik. Jahrg. 13, 1914, Heft 12: Berufsgenossenschaftstag in 
Leipzig, von Dr. jur. W. Brandis. — ete. — Heft 13: Die Rauchwarenzurichterei 
und -färberei und ihre Entwicklung im Bezirk der Kreishauptmannschaft Leipzig, 
von (Gewerberat) Reichhardt. — Bestrafung der Arbeiter wegen Verstoßes gegen 
die Unfallverhütungsvorschriften auf Grund der $$ 851 und 870 der RVO., von 
H. Zacharias. — etc. 

Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für Deutsche Beamte). Jahr- 
gang 4, Juli 1914, Heft 7: Liegt die heutige Verwertung der preußischen Staats- 
domänen im allgemeinen Interesse? (Schluß), von (Bürgermeister) Pipberger. — 


Einnahmen und Ausgaben des Reiches und der deutschen Bundesstaaten. — Die 
Wirkung des Reichsimpfgesetzes. — Frankreich und seine ausländischen Arbeiter, 
von Franz Xaver Ragl. — Die Tilgungshypothek in den Städten. — etc. 


Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom 
Kaiserl. Statist. Amte. 23. Jahrg., 1914, Heft 2: Auswärtiger Handel 1913 (und 
1909—1913). — Schlachtvieh- und Fleischbeschau 1913. — Die Finanzen des Reichs 
und der deutschen Bundesstaaten (1913 und 1911). — Zur Statistik der Preise 
(Viehpreise, Lebensmittelpreise, Kohlenpreise). — Kohlenversorgung einiger Städte 
(1913). — Streiks und Aussperrungen. 1. Vierteljahr 1914, vorl. Uebersicht (und 
Jahr 1913). — Schlachtvieh- und Fleischbeschau im 1. Vierteljahr 1914. — 
Kriminalstatistik (Heer und Marine) 1913. — Güterverkehr der deutschen Binnen- 
wasserstraßen 1913 (vorläufige Zahlen). — ete. 

Weltverkehr und Weltwirtschaft. Jahrg. 4, 1914/15, Juni 1914, No. $: 
Ein voraussichtlich schädlicher Einfluß des Panamakanals auf die nordamerikanische 
Schiffahrt, von Dr. Richard Hennig. — Die Entwicklung der Schiffahrt nach den 


deutschen Kolonien, von W. Ross. — Die Nationalisierung der russischen Aus- 
wanderung, von (Hauptmann) Rottmann. — Die natürlichen Vorbedingungen der 


weltwirtschaftlichen Zukunft Südamerikas, von Prof. Guillermo Supercaseaux. — 
Vergleichende Betrachtung über die Bodenertragsintensität ın verschiedenen Län- 
dern (Schluß), von Dr. Hans Bernhard. — etc. 


304 Die periodische Presse Deutschlands. 


Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 10, 1914, No. 12: Mehr Licht!, 


von (Geh. Reg.-Rat) Dr. v. Böttinger. — Eine praktische Aufgabe der Finanz- 
wissenschaft, von Dr. Hermann Deite. — Die Budapester Effektenbörse, von 
(Börsenrat) Felix Schwarz. — etc. — No. 13: Der Einfluß der Kommunalsteuern 


auf den Städtebau, von Prof. Dr. Carl Koehne. — Aufgaben und Tätigkeit der 
Handelskammern auf dem Gebiete des Außenhandels, von (Synd.) Dr. Arthur 
Blaustein. — etc. — Beilage. Scheck oder Reichskassenschein?, von Götz 
Martius. — etc. 

Zeit, Die Neue. Jahrg. 32, 1914, No. 12: Die Gewerkschaftstheorie des 
Marxismus, von Gustav Eckstein. — Die beste Gewerkschaftsorganisation, von Adolf 
Braun. — Ein deutsches Arbeitsnachweisgesetz?, von Theodor Leipart. — Christ- 
liche Gewerkschaften, Zentrum und Kirche, von H. Limbertz. — Die Reichs- 
versicherungsordnung in der Praxis, von Friedrich Kleeis. — etc. — No. 13: 
Die edlen und erlauchten Herren. — Der Briefwechsel zwischen Marx und Engels. 
Beiträge zu ihrer Biographie, von N. Rjasanoff. — Zur Geschichte der amerikani- 
schen Arbeiterbewegung, von Algernon Lee. — Kleinstaatliche Verpreußung, von 
Franz Filip. — ete. — No. 14: Handelspolitische Aussichten, von Spectator. — 
Banken und Depositengeld, von H. Ullmann. — etc. — No. 15: Massendemon- 
strationen vor Gericht, von K. Kautsky. — Die deutschen Gewerkschaften und 
ihr Kongreß, von Adolf Braun. — Neue Tendenzen in der englischen Arbeiter- 
bewegung, von August Mai. — etc. 

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Bd. 35, 1914, 
Heft 8: Bedingte Verurteilung der Trinker(,‚Pollardsystem“). Vortrag, gehalten in 
der Forensisch-psychiatrischen Vereinigung zu Dresden, von (Amtsrichter a. D.) 
Dr. Otto Bauer. — Der Antrag des Staatsanwalts auf Freisprechung, von (Rechts- 
anwalt) Siegfried Bleeck. — Der Allgemeine Fürsorge-Erziehungstag in Halle, 
15.—17. Juni 1914. — etc. 

Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft. Bd. 14, Juli 1914, 
Heft 4: Zur Frage der Belastung der deutschen Industrie durch die Arbeiter- 
versicherung, von (Reg.-Rat) Branchart. — Tilgungsversicherung, von Dr. Karl 
Kirchmann. — Die Geltung des Versicherungsaufsichts- und Versicherungsvertrags- 
gesetzes in den deutschen Schutzgebieten, von (Reg.-Rat) Dr. jur. Wegerdt. — 
Die Kollektiv-Unfallversicherung der Studierenden usw. an den deutschen Hoch- 
schulen, von Wilhelm Schmidt. — Landwirtschaftlich-genossenschaftliche Lebens- 
versicherungsunternehmungen, von Dr. jur. Wuttig. — etc. 

Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 7," Juli 
1914, Heft 4: Die amerikanische Bankreform, von Dr. Georg Obst. — Das Institut 
der Sicherungsübereignung und seine buchtechnische Behandlung (Schluß), von 
(Handelsschuldir.) Dr. R. Caleb. — Zur Frage der „Rentabilität des Unternehmens 
als Ganzes“, von Dr. Ernst Pape. Mit einem Nachwort von Prof. Dr. L.Nicklisch. 
— etc. — Beiblatt. Negerkultur, Negerbehandlung und afrikanische Wirt- 
schaft, von Dr. Paul Rohrbach. — Konkurrenzklausel und Kündigung, von Dr. 
Heinz Potthoff. — etc. 

Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 5, 1914, Heft 7 und 8: Die 
Untersuchungen des Vereins für Sozialpolitik zur Reallohnfrage, von (Bergwerks- 
direktor) Dr. jur. et phil. Herbig. — Die Weltwirtschaftslehre, von A. Sartorius 
Frhrn. v. Waltershausen. — Vogelschutzbewegung und Schmuckfederindustrie (I.), 
von W. Th. Linnenkohl. — Sozialhygiene und Eugenik (II.), von W. Schallmayer. 
— Die Preiskurve und das Teuerungsproblem, (2. Teil, III.), von Dr. Lorenz Glier. 
— Das Sparen bei den Sparkassen und den Kreditgenossenschaften, von D. Beusch, 
— Reaktionäre Nationalökonomie? — etc. 


Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. 


Unser treuer Mitarbeiter, der Geheime Oberregierungsrat 
Prof. Dr. Wilhelm Lexis, ist uns am 24. August d. J. in 
seinem 78. Lebensjahre durch den Tod entrissen worden, nachdem 
er 23 Jahre Mitherausgeber dieser Jahrbücher gewesen ist. Wir 
beklagen mit der ganzen wissenschaftlichen Welt den Verlust 
einer. unersetzlichen Kraft. Durch seine Vielseitigkeit, sein 
umfassendes, gründliches, stets präsentes Wissen stand er in 
der Gegenwart fast unerreicht da. Seine Studien haben sich 
außer auf Nationalökonomie auf Jurisprudenz, Mathemathik 
und Naturwissenschaften erstreckt. Er beherrschte die Haupt- 
kultursprachen, das Französische wie seine Muttersprache. Auf 
dem Gebiete der Statistik, des Geldwesens, des Handels gehörte 
er zu den ersten Autoritäten. Seine umfassenden Kenntnisse 
befähigten ihn aber auch über weit davon abliegende Fragen 
ein maßgebendes Urteil abzugeben, wie eine große Zahl der 
wertvollsten Artikel in diesen Jahrbüchern beweist. Seine all- 
gemeine Volkswirtschaftslehre, die sehr bald eine zweite Auflage 
erlebte, wird als reife Frucht jahrzehntelanger Arbeit auf Grund 
steter, sorgfältigster Verfolgung der wirtschaftlichen Vorgänge 
im In- und Auslande dauernd eine bedeutsame, gedankenreiche 
Fundgrube für jeden Nationalökonomen bilden. 

Dem liebenswürdigen, offenen, edeldenkenden Menschen 
werden wir stets ein treues, dankbares Gedenken bewahren. 


Die Redaktion. 


Blank, Fabrikantenkartelle d. Textilbranche im Konflikt mit d. Abnehmerverbänden. 305 


II. 


Die Fabrikantenkartelle der Textilbranche 
im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 


Von 
Dr. jur. Blank, Bonn. 


Die letzten Jahre haben in der Textilindustrie wie kaum in 
einem anderen Produktionszweig den Zusammenschluß der Inter- 
essenten zu Konventionen gezeitigt. Das ist um so auffälliger, als 
gerade in dieser Industrie ihrer inneren Struktur nach wohl am 
wenigsten die Voraussetzungen der Kartellierung gegeben sind. Man 
zählt gegenwärtig etwa 60 solcher Konventionen — die bloßen 
Konditionskartelle nicht mitgerechnet —, welche zwar nicht das 
feste Gefüge und die umfassende Regelung aufweisen, wie die be- 
kannten Kartelle unserer Schwerindustrie, aber doch als Interessen- 
gemeinschaften unter schweren Kämpfen mit der Abnehmerschaft 
ihre Existenzberechtigung erwiesen haben. Wenn der Kampf der 
Interessentenverbände in der Textilbranche gegenwärtig oft Formen 
annimmt, die eine objektive Betrachtung vermissen lassen, so ist 
daran vor allem der Umstand schuld, daß über die Entstehungs- 
gründe der Konventionen, sowohl der Produzenten wie der Abnehmer, 
die widerstreitendsten Ansichten bestehen. Bei genauerer Betrach- 
tung scheint es aber, daß für die Produzenten die Aufnahme des 
Kampfes nur ein Mittel zur Wahrung ihrer Existenz ist, die durch 
ihre Abhängigkeit vom Handel bedroht wird. Diese Gebundenheit 
liegt im Wesen der Industrie begründet; gerade darum verleiht sie 
dem Handel ein Uebergewicht, das nur mit dem Einsatz der ver- 
einigten Kräfte der Fabrikanten sich auf ein erträgliches Maß zurück- 
führen läßt. 

Mit dem Uebergang von der Kunden- zur Marktproduktion 
entfällt für den Fabrikanten die Möglichkeit, Produktionsfunktion 
und Verteilungsfunktion in einer Hand zu vereinigen. Das muß 


1) Das Material zu vorstehenden Ausführungen entstammt der Abhandlung von 
v. Beckerath, Die Kartelle der Deutschen Seidenwebereiindustrie, sowie den Mit- 
teillungen der Kartell-Rundschau, im übrigen den eigenen Erfahrungen des 
Verfassers in der Textilindustrie. 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CIIN. 20 


306 Blank, 


sich in erhöhtem Maße geltend machen, je mehr die Produktion sich 
von billiger Stapelware emanzipiert und sich dem feineren Genre zu- 
wendet. Die Hausindustrie der Textilbranche früherer Jahrzehnte 
hat dem Fabrikbetriebe Platz gemacht und unsere Industrie ist in 
erfolgreichen Wettbewerb insbesondere mit der französischen ge- 
treten. Crefeld konkurriert mit Lyon; Barmen, Eibenstock, Plauen 
mit den französischen Zentren der Besatzindustrie St. Etienne (Galons), 
Calais (Spitzen), St. Chamond (Litzen, Verschnürungen). Diese Ver- 
feinerung der Produkte bedingt eine Differenzierung des Produktions- 
prozesses, da man von der billigeren Stapelware trotz der zu- 
nehmenden Bedeutung höherwertiger Erzeugnisse nicht absehen kann, 
und damit auch eine Komplizierung des technischen Apparates. Das 
Gegenstück hierzu liegt in der Unbeständigkeit des Marktes, dem 
raschen Modewechsel. Selbst wenn es durch ein vervollkommnetes 
System von Vertretern und Reisenden einer Fabrik gelänge, über 
den Stand der Nachfrage jeweils zutreffend unterrichtet zu sein, so 
wäre damit nicht viel gewonnen, da für den Modewarenfabrikanten 
nicht so sehr der gegenwärtige Stand als vielmehr die zukünftige 
Gestaltung der Nachfrage von Bedeutung ist. 

Damit wird aber ein fast unberechenbarer Faktor in die Pro- 
duktion hineingetragen, ein Risiko, das nur derjenige zu tragen ver- 
mag, der den maßgebenden Faktoren der Nachfragebildung dauernd 
durch seinen Geschäftsverkehr nahegerückt ist: der Zwischenhandel. 
Mag auch für ihn im Einzelfall die Möglichkeit, die Mode monate- 
lang im voraus zu beurteilen, oft nur eine beschränkte sein, seiner 
gesamten Tätigkeit nach ist er jedenfalls hierzu viel eher imstande, 
als der vom Produktionsprozeß persönlich und wirtschaftlich völlig 
in Anspruch genommene Fabrikant. Man könnte einwenden, daß 
zuweilen die Fabrikanten selbst es in der Hand haben, die Richtung 
der Nachfrage zu bestimmen. Gerade zurzeit veranstaltet ein Kon- 
sortium französischer Besatzfabrikanten eine Sammlung — bisher 
sind 50000 frcs. eingegangen; auch die deutschen Interessenten 
werden jetzt zur Beteiligung aufgefordert — zu dem Zweck, durch 
geeignete Beeinflussnng der Pariser Modellhäuser und Publikation 
ihrer Modelle in Modezeitschriften eine Wiederkehr der im argen 
liegenden Besatzmode herbeizuführen. Solche Maßregeln, die übrigens 
schon früher mit Erfolg von den Seidenbandfabrikanten angewandt 
wurden, gehören aber zu den Ausnahmen, allein schon wegen der 
Kosten und der Schwierigkeit gemeinsamen Vorgehens. Der Erfolg 
ist auch nur sehr schwer im voraus zu beurteilen. 

Zur zeitlichen Unbeständigkeit der Nachfrage tritt die lokale 
Differenzierung des Marktes. Sie vor allem ist es, die eine Bildung von 
Verteilungszentren notwendig macht. Denn abgesehen davon, daß es 
die Kosten der Fabrikation über alle Maßen steigern würde, wollte der 
Fabrikant mit der zersplitterten Abnehmerschaft in direkte Verbindung 
treten, wäre es für ihn unmöglich die Vielheit der kleinen Bestellungen, 
welche ihm solche unmittelbare Bearbeitung der letzten Detailkund- 
schaft bestenfalls einbringen könnte, mit den technischen Voraus- 


Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 307 


setzungen seines Betriebes zu vereinigen. Die Kosten der Vor- 
richtung der Webstühle für kleine Orders, die mannigfachen Wünsche 
der Kundschaft hinsichtlich Qualität, Dessin, Farbenzusammen- 
stellungen u. a. verbieten größeren Betrieben eine solche Art des 
Geschäftsverkehrs von selbst. All das führt mit Notwendigkeit zur 
Abtrennung der Verteilungsfunktion von der Fabrikation. Damit 
ist auch die Macht gekennzeichnet, welche dem Zwischenhandel, 
soweit er in den Händen der Grossisten und Großdetaillisten liegt, 
heute innewohnt. 

Den Schlüssel zur Beurteilung der Ursachen der Konventions- 
bildung gerade in der Textilindustrie bietet demnach in erster Linie 
die überwiegende Machtstellung des Handels. Gegenstand seiner 
Politik ist heutzutage weniger die Preisbildung als das Konditionen- 
wesen. Dem entspricht es auch, daß in der Industrie, mit der wir 
es hier zu tun haben, die Kartellbewegung nicht so oft die Ueber- 
produktion an sich, als die Uebelstände in der Handhabung der 
Konditionen zum Ausgangspunkt nimmt. Gewiß wird damit indirekt, 
d.h. in ihrer Wirkung auch die planlose Produktionsweise getroffen, 
da durch sie gerade die Fabrikanten gezwungen werden, im Wett- 
bewerb um die Kundschaft jede Bedingung zu akzeptieren; das Ziel 
der Konventionsbildung ist aber zunächst meist die Regelung der 
Konditionen selbst. Dabei mag es von Bedeutung sein, daß ein 
Konditionskartell keine so feste Vereinigung der Produzenten dar- 
stellt wie die Syndikate unserer Schwerindustrie, und darum ihre 
Begründung in dem Selbständigkeitsdrang der Fabrikanten geringere 
Hindernisse findet. Der Vorteil aber, den der Handel aus möglichst 
kulanten Konditionen zu ziehen vermag, ist in erster Line weniger 
ein rein finanzieller als ein Machtzuwachs bei der Risikoverteilung. 
Durch lange, nicht fest umgrenzte Ziele, die Einrichtung der Kon- 
signationsläger, der Optionen!) u. a. ist es den Händlern möglich, 
das Geschäftsrisiko auf die Fabrikanten zurückzuwälzen, die nun- 
mehr den Schaden, der aus Abflauen der Mode in einem Artikel- 
genre, aus Abnahme der Kaufkraft des Publikums in Luxusartikeln, 
aus Veränderungen der Rohstoffpreise entsteht, zu tragen haben. 
Um so freier darf natürlich die Spekulationslust des Handels walten. 
Die Bedarfskäufe treten gegenüber den reinen Spekulationsbestellungen 
zurück, die durch den langen Kredit, den die Fabrikanten gewähren, 
angeregt werden; langfristigen Lieferungsaufträgen werden keine 
Bedenken entgegengesetzt; falls die Spekulation mißlingt, ist nicht 
der Handel der leidtragende Teil. Außerdem aber bildet ein derart 
spekulativ aufgebautes Geschäft den Boden für Existenzen ohne ge- 
sunde finanzielle Basis. Gerade diese lassen sich am leichtesten von 
den Fabrikanten zu Bestellungen auf Vorrat animieren, ohne im ge- 
ringsten zu wissen, ob sie die Waren werden absetzen können, da 
es sich doch letzten Endes um eine Ware handelt, die jederzeit ihren 


1) D. h. Festlegung der Preise für längere Zeiträume ohne Abnahmepflicht der 
Kunden. 


20* 


308 Blank, 


Wert verlieren kann. Das Bedenklichste aber ist, daß die Fabrikanten 
infolge der künstlich gesteigerten Nachfrage die Berührung mit dem 
tatsächlichen Marktbedürfnis verlieren nnd dadurch zur Ueber- 
produktion angeregt werden. Je stärker sich aber diese Nachfrage 
in der stillen Saison äußert, desto mehr wächst für die Fabrikanten 
die Versuchung, für die Hauptsaison auf Lager zu arbeiten. Er- 
füllen sich die Erwartungen nicht, so sind die Vorräte entwertet; 
sofern die Waren in Konsignation geliefert sind, strömen sie zurück 
und erhöhen die Kalamität; war die Spekulation aber richtig, so 
bleibt der Gewinn für den Fabrikanten doch hinter den Erwartungen 
zurück, denn die Ueberschwemmung des Marktes infolge der aus- 
gedehnten Lagerproduktion treibt zum Wettkampf um die Kund- 
schaft, zu einem Unterbietungsverfahren, das dem Engroshandel in 
erster Linie den Erfolg der ganzen Spekulation sichert, kann er doch 
den einen Fabrikanten gegen den anderen ausspielen. Nicht nur 
billigste Preise, sondern vor allem kulanteste Bedingungen verlangt 
der Grossist. Das muß er allein schon deswegen tun, weil er seinen 
Detailabnehmern in letzterer Beziehung weitestgehende Konzessionen 
machen muß, Welche Wirkung unter solchen Verhältnissen jede 
Anspannung am Geldmarkt haben muß, liegt auf der Hand; natur- 
gemäß konzentriert sie sich letzten Endes auf den Fabrikanten. 
Nun kann ja dieser, schon im Interesse der besseren Preise, direkten 
Anschluß an den Detailhandel suchen, sofern er nicht befürchten 
muß, hierdurch in Differenzen mit seiner Engroskundschaft zu ge- 
raten. Natürlich kommen aber für ihn nur die größeren Detaillisten 
in Frage, aus Gründen, die wir bereits erwähnten, vor allem die 
Warenhäuser und größeren Einkaufsvereinigungen; aber wenn hier 
die Preise an sich auch besser sind, so wird dieser Vorteil dadurch 
wieder ausgeglichen, daß diese Abnehmer mit Erfolg versuchen, ander- 
weitige Lasten auf den Produzenten abzuwälzen. So tritt z. B. bei 
den Warenhäusern zu dem gewöhnlichen Skonto, der zwischen 2 
und 10 Proz. schwankt, infolge der Warenhaussteuer noch eine Extra- 
belastung des Fabrikanten in Gestalt eines Warenhausskonto von 
jeweils 1—3 Proz., und zuguterletzt wird die Zubilligung einer 
Umsatzprämie verlangt. Auf die besonders rigorosen und für den 
Fabrikanten Zeit und Gewinn raubenden Vorschriften betreffs 
Packung, Etikettierung, Aufmachung u. a. kann hier nicht näher 
eingegangen werden. Unter diesen Umständen gewinnt auch der 
Vorteil des Geschäftsverkehrs mit den Grossisten an Bedeutung, 
der darin liegt, daß hier die Art der Aufträge sich besser den 
technischen Voraussetzungen des Fabrikbetriebes anpaßt. Um Be- 
triebsverluste zu vermeiden, ist erheblichere Größe des einzelnen 
Auftrags nach Muster, Farbstellung, Breite etc. erforderlich. Kurze 
Ketten und daher häufige Vorrichtung der Webstühle, jedesmal mit 
1—3-tägigem Stillstand des Stuhles verbunden, verbieten sich von 
selbst. Darum auch ist es für den Fabrikanten wünschenswert, auf 
Nachorders rechnen zu können, da er so die Stühle zur Lagerpro- 
duktion ausnutzen kann; im wesentlichen kommen hier natürlich 


Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 309 


Stapelartikel in Frage. Insbesondere in der Besatzindustrie macht 
nicht die einmalige größere Bestellung den Nutzen aus, sondern die 
Aufnahme des Artikels zur Nachbestellung. Auch liegen hier für 
den Fabrikanten Vorteile in der zeitlichen Verteilung der Orders 
der Grossisten; sie fallen in der Hauptsache auf Frühjahr und 
Herbst. Der Fabrikant kann danach seine „Musterung“!) auf diese 
beiden Saisons konzentrieren, während die Detailkundschaft sich in 
ihren Musterwünschen an eine derartige Einteilung weniger gebunden 
hält, eine fortlaufende Musterung aber die Generalkosten ganz 
wesentlich erhöht. Trotzdem ist die Umgehung des Großhandels 
besonders durch die neuerliche Entwickelung der Detailkundschaft 
gefördert worden. Das Hervortreten der Warenhäuser und Einkaufs- 
organisationen hat die Grenzen, welche früher Engros- und Detail- 
handel trennten, verwischt. Diese neuen Faktoren erfüllen in weit- 
gehendem Maße die Bedingungen, denen früher nur die Grossisten 
gerecht werden konnten: Anpassung an die technischen Erfordernisse 
der Fabrikation. Es gibt heute Einkaufsorganisationen der De- 
taillisten, welche imstande sind, größere Orders zu erteilen als 
mancher Grossist. . 

In dem Maße, wie Grossisten und Großdetaillisten für den 
Fabrikanten unentbehrlich geworden sind, wächst aber auch der 
Druck, den die Mißstände im Verhältnis von Produktion und 
Zwischenhandel auf die Fabrikanten ausüben: die fasche Risiko- 
verteilung infolge Ueberproduktion. So wächst aus der natürlichen 
Machtstellung des Zwischenhandels und seiner Konditionspolitik auch 
die Kartellierung der Textilindustrie hervor. Einen doppelten Wider- 
stand gilt es dabei zu überwinden, einerseits in der inneren Struktur 
der Textilindustrie überhaupt, andererseits in der geringen Eignung 
des Produkts zur Konventionsbildung. Bestimmend für die Art der 
Preisbildung ist der Umstand, daß es sich hier um einen Modeartikel 
handelt. Die unvermittelt einsetzende und ebenso plötzlich stag- 
nierende Nachfrage, ihre kurze Dauer, zwingt zu größtmöglicher 
Ausnutzung der Hochkonjunktur. Das raubt die Möglichkeit einer 
gleichmäßigen Kalkulation, auf der allein Preislisten, wie sie z. B. 
eine Preiskonvention voraussetzt, sich aufbauen könnten. Zudem 
ist es nicht gesagt, daß die Modelaune nur bestimmte Artikel eines 
Fabrikanten entwerten kann, vielmehr kommt es häufig vor, daß 
ganze Genres, die Gegenstand eines speziellen Betriebes sind, von 
der Nachfrage vernachlässigt werden. Die Schablonisierung, die 
jeder Kartellbildung mehr oder minder anhaftet, müßte also zu 
dauernden Unstimmigkeiten mit diesen Betrieben führen. Denn für 
sie hätte eine Preiskonvention nur die Bedeutung, daß sie durch 
eine zurückhaltende Preispolitik bei steigender Konjunktur in dem 
betreffenden Artikel ihren Gewinn beschränkte, ohne ihnen dafür 
bei dem meist schnell einsetzenden Abfall der Nachfrage irgendeine 
Entschädigung zu bieten. Denn wenn irgendwo, so ist es in einer 


1) Die Herstellung der Musterkollektionen. 


310 Blank, 


Modebranche wie der Textilindustrie ausgeschlossen, in der Preis- 
politik dem Rückgang der Nachfrage nicht sofort Rechnung zu 
tragen. Gewiß treten diese Schwankungen mit voller Schärfe nur 
in der Nouveautefabrikation auf. Der Grund liegt ohne weiteres 
zutage. Bei Artikeln dieser Art wird der Wert nicht so sehr durch 
das aufgewendete Stoff- und Arbeitsquantum bestimmt als durch die 
Originalität des Dessins und die Frage, ob dieses den jeweiligen 
Modegeschmack trifft. Damit ist aber nicht gesagt, daß bei Stapel- 
waren Preisschwankungen keine Rolle spielen. Wohl ist hier die 
Mode nicht in gleichem Maße wie bei Nouveautes wertbestimmender 
Faktor, dafür aber wird die Unsicherheit der Preisgebarung durch 
eine andere Tatsache bedingt, die unsere Textilindustrie wie kaum 
einen anderen Produktionszweig beeinflußt: die Abhängigkeit vom 
ausländischen Rohstoffmarkt. Ist es für den Fabrikanten nur in 
Ausnahmefällen möglich, auf die Mode bestimmenden EinfluB zu 
gewinnen, so tritt ihm hier ein Moment entgegen, welches seine 
Kalkulationen jeden Augenblick täuschen kann. Denn die Preise, 
welche er hier sans facon zu akzeptieren hat, sind das Ergebnis von 
Tatsachen, über die er keinen Ueberblick gewinnen kann, zumal sie 
meist auf unberechenbaren Spekulationen beruhen. Wenn gesagt 
wurde, daß auch die innere Struktur der Textilindustrie der Kar- 
tellierung widerstrebt, so steht auch dies im Zusammenhang mit der 
Eigenart der Modeware. Mit dem Uebergang der Industrie vom 
einfacheren Stapelgenre zum höherwertigen Nouveauteprodukt voll- 
zieht sich in der Struktur der Industrie eine Gewichtverschiebung 
zugunsten des Mittel- und Kleinbetriebes. Hochwertige Ware be- 
dingt feinere Differenzierung der Produktionstechnik. Im Rahmen 
des Großbetriebes würde das aber die Herstellung einer übergroßen 
Menge von Warenarten, Mustern und Qualitäten bedeuten, mit 
anderen Worten eine Verteuerung, welche die übrigen Vorteile des 
konzentrierten Betriebes in Frage stellen müßte. Daraus erklärt sich 
auch die Beobachtung, daß die Textilindustrie so wenig Neigung 
zur Aktienunternehmung hat. In der gesamten Wuppertaler Besatz- 
fabrikation existiert z. B. nur eine Aktiengesellschaft. Nicht die 
Kapitalzusammenballung ist entscheidend für den Produktionserfolg, 
sondern die individuelle Geschicklichkeit des Unternehmers in der 
Verwendung eines mittleren Kapitals. Eine Ausnahme macht die 
Sammet- und Sammetbandbranche, wo die höhere Qualität der Ware 
nicht in gleicher Weise ausschlaggebend für die Produktionstechnik 
ist!) Was in den anderen Textilzweigen aber die räumliche Zer- 
splitterung der Unternehmungsweise für die Ausbreitung des Kartell- 
gedankens bedeutet, wird klar, wenn man bedenkt, daß ein Kartell 
nichts anderes ist, als die Fixierung des Durchschnittswillens seiner 
Mitglieder?). Die Schwierigkeit einer Einigung in Anbetracht der 
Selbständigkeitsgelüste der einzelnen wird noch dadurch gesteigert, 


1) v. Beckerath, Die Kartelle der deutschen Seidenweberindustrie, S. 176/177. 
2) Tschierschky, Kartellrundschau, 1909, S. 770. 


Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 311 


daß die Absatzinteressen außerordentlich differenziert sind. Und 
ob, selbst nach Bildung einer Konvention, die Mitglieder die ihnen 
durch den Vertrag auferlegten Bedingungen einhalten, ist eine Frage, 
deren Beantwortung mit Steigen der Mitgliederzahl immer schwieriger 
wird. Eine Folge der Zersplitterung in den Produktions- und Absatz- 
interessen ist es auch, daß die Stellung gerade der kleineren Fabri- 
kanten zu einem Kartell, das auch Großunternehmer umfaßt, zu- 
nächst ablehnend ist. So sehr im Interesse der kleineren Produ- 
zenten ein Zusammenschluß zu wünschen ist, so oft ist bei ihnen 
die Empfindung maßgebend, sie dürften es nicht riskieren, sich einem 
von Großunternehmern beherrschten Kartell zu unterwerfen, schon 
aus dem Grunde, weil diese oft zur Preisgestaltung eine andere 
Stellung einnehmen als die kleineren Betriebe. Auch liegt für die 
kleineren Unternehmer, die meist durch Nachgiebigkeit in den Kon- 
ditionen allein ihre Kundschaft halten, der Gedanke nahe, daß die 
größeren durch Festlegung der Bedingungen sich von einer unan- 
genehmen Konkurrenz befreien wollen. Dennoch geht es zu weit, 
wenn behauptet wird, die Konventionen dienten in erster Linie den 
Interessen der großen Fabrikanten. Denn diese vermögen sich den 
übertriebenen Forderungen der Abnehmer gegenüber dank ihrer 
größeren Kapitalkraft besser zu wehren als die Kleinunternehmer. 
Für diese besteht aber auch nicht in dem Maße wie oft befürchtet, 
die Gefahr, innerhalb der Konvention ihre Kundschaft zu verlieren, 
die nun nicht mehr zu so kulanten Bedingungen bedient werden 
darf. Denn in Anbetracht der durch das Kartell geschaffenen Ein- 
heitlichkeit der Konditionen hat der Abnehmer vielmehr ein Interesse 
daran, den kleineren Fabrikanten zu bevorzugen, da bei diesem seine 
Aufträge eine individuellere Behandlung erfahren. 

Wenn trotz dieser Hemmungen der Kartellgedanke auch in der 
Textilindustrie siegreich vorgedrungen ist, so ist das in erster Linie 
den Ansprüchen der Abnehmer zuzuschreiben, denen das Ueberangebot 
ermöglichte, über die Wahrung berechtigter wirtschaftlicher Interessen 
hinaus ihre Macht zur Geltung zu bringen. Den unmittelbaren Anlaß 
zur Konventionsbildung in der Textilindustrie hat das Auftreten der 
Warenhäuser gegeben. Sofern sie noch größere Konzessionen ver- 
langten, als bisher üblich, fanden sie bald Nachahmung seitens der 
anderen Abnehmerkreise. Namentlich der kleine Fabrikant hatte am 
meisten zu leiden unter den Extrakonditionen, die seine sämtlichen 
Kunden nun verlangten. Während bisher ein Kassenskonto von 
2 Proz. bis zu 30 Tagen nach Schluß des Lieferungsmonats usance- 
mäßig war, forderte z. B. der Verband der Detailgeschäfte der Textil- 
branche einen solchen von 4 Proz., bei Nettoregulierung nach 120 Tagen. 
An sich ist ja schon ein Fortschritt erzielt, wenn es gelingt, eine 
Einheitskondition für eine ganze Branche festzusetzen. Auch kann 
man mit einigem Recht behaupten, daß der 4-proz. Skonto viel stärker 
auf pünktliche Kassaregulierung hinwirke, als der bisherige 2-proz. 
Damit sind aber die Vorteile, die nicht ausschließlich dem Zwischen- 
handel zugute kommen, erschöpft. Vor allem die Frage, wie ein 


312 Blank, 


solcher Skonto sich in der Kalkulation äußern müsse, ist von be- 
denklicher Tragweite für den Fabrikanten. Bei der Höhe eines 
solchen Skontos ist es ganz ausgeschlossen, denselben bei der Kalku- 
lation außer acht zu lassen. Ein 4-prozentiger Aufschlag läßt sich 
aber nicht bei allen Warenarten in gleicher Weise durchführen. 
Wohl ist es möglich, bei besseren Qualitäten den Skonto auf den 
Abnehmer abzuwälzen, Stapelware aber muß, um überhaupt auf Ab- 
nehmer rechnen zu können, aufs äußerste kalkuliert sein, da der 
Fabrikant einer sachverständigen Kundschaft gegenüber steht, die 
jede Ueberschreitung des Preisminimums zu kontrollieren vermag, 
und bei dem Wettkampf der Produzenten um die Kundschaft es 
nicht nötig hat, mehr als den Minimalpreis zu zahlen. Mit der 
Forderung des 4-proz. Skontos geht Hand in Hand das Verlangen 
nach Erweiterung des Zahlungsziels. Die Vertreter dieser Forderung 
meinen, durch scharf umgrenzte Ziele sei für die minder kapital- 
kräftigen Elemente des Detailhandels eine wesentliche Verschlechte- 
rung ihrer Lage gegeben. Von einer solchen Aenderung zum Nach- 
teil der Detaillisten kann aber schon deswegen keine Rede sein, 
weil bisher das Ziel von 3 Monaten das usancemäßige war und der 
Detailhandel dabei recht erfreulich gedeihen konnte. Für den Fabri- 
kanten im besonderen ist eine allgemeine Erweiterung des Zieles 
unannehmbar, da er in den meisten Fällen seinerseits von Lieferanten 
abhängig ist, die an der 3-monatigen Frist festhalten; muß er seinem 
Abnehmer ein längeres Ziel bewilligen, so wird ihm nichts weiter 
bleiben, als Barkredit in Anspruch zu nehmen, mit anderen Worten 
für die Zeit, die er seinem Kunden zinsfreien Kredit gewährt, selbst 
Zinsen zu zahlen. Eine solche Verteuerung bedeutet aber für den 
Fabrikanten viel mehr als die entsprechende Vergünstigung für den 
Kunden; denn der Fabrikant hat sowieso mit äußerst kalkulierten 
Preisen zu rechnen; außerdem aber ist sein Kapitalbedarf natur- 
gemäß ein ganz anderer als der des Abnehmers, allein schon in An- 
betracht der Lohnsummen, die wöchentlich bereit zu halten sind. 
Den gleichen Zweck, die zinsfreie Zahlungsfrist zu erweitern, ver- 
folgt auch die Forderung der Valutenverschiebung. Man wird nicht 
ohne weiteres eine solche Maßregel als einseitig die Abnehmer be- 
günstigend verwerfen können, da es ja schließlich auch für den 
Fabrikanten von Vorteil ist, sein Lager zu räumen. Entscheidend 
sind hier aber die besonderen Verhältnisse im Einzelfall. Zu diesen 
Hauptstreitpunkten treten noch mancherlei Extrabelastungen, die vor 
der Regelung durch die Fabrikantenkartelle verbreitet waren. Es 
war keine seltene Erscheinung, daß Kassenskonto noch nach In- 
anspruchnahme des ganzen Ziels abgezogen wurde, daß die Valuta 
der Lieferung je nach dem Belieben des Grossisten gestellt werden 
mußte. Vollends die Zahlungsweise bereitete den Fabrikanten die 
größte Verlegenheit; denn es war bei der Engroskundschaft üblich 
geworden, mit langsichtigen Wechseln ohne Diskontabzug zu regu- 
lieren. Zu alledem traten die Folgen, die das Retourenwesen für 
die Risikoverteilung hatte; der Abnehmer nahm die Ware gewisser- 


Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 313 


maßen nur in Konsignation, auch wo dies nicht besonders vereinbart 
war; der Fabrikant hatte letzten Endes zu sehen, wo er für unver- 
käufliche Retouren Abnehmer fand. Noch eine andere Forderung 
droht, nach dem Vorgang der Warenhäuser, Schule zu machen, die 
Umsatzprämie. Man ist davon ausgegangen, daß die Warenhäuser 
und großen Spezialgeschäfte erhöhte Kosten für ihre Büros zu decken 
haben. Wenn man all diese Ansprüche näher betrachtet, besonders 
auf die Stichhaltigkeit der Behauptung hin, es handle sich nur um 
Abhilfe gegenüber schwerer Notlage, so berührt es eigentümlich, 
daß sie gerade von denjenigen Faktoren erhoben werden, die heut- 
zutage eine bedeutende Machtstellung gegenüber den Produzenten 
einnehmen: Grossisten und Großdetaillisten. Es drängt - offenbar 
eine Machtfrage hier zur Lösung und die Stellung der Fabrikanten ist 
nicht die günstigste. Das bringt schon die Existenz der „Miniatur- 
fabrikanten“ mit sich, die um jeden Preis Bestellungen aufnehmen, 
um überhaupt beschäftigt zu sein. Von einer gesunden Kalkulation 
ist allzuoft keine Rede. Daß diese Kategorie von Produzenten über 
kurz oder lang an ihrem eigenen System zugrunde geht, ist kein 
Grund, darüber hinwegzusehen, daß sie die Gesamtinteressen der 
Fabrikanten durch Unterstützung der Abnehmerbestrebungen nach- 
haltig schädigt. Denn die Abnehmer betrachten diese Schicht von 
Fabrikanten als Faktoren der Preisbildung, wozu ihnen aber ihrer 
Entwicklung nach die Qualifikation fehlt. 

Als Gegengewicht gegenüber den vorhin gekennzeichneten An- 
sprüchen der Abnehmerkreise muß demnach die Kartellbewegung in 
der Textilindustrie beurteilt werden. Denn gegen solche Mißstände 
kann der einzelne nicht auftreten, da er in diesem Falle Gefahr 
läuft, seine Kundschaft an andere Fabrikanten zu verlieren, die in 
der Nachgiebigkeit gegen die Abnehmerforderungen weitergehen. 
Wo aber eine Konvention besteht, tritt der Abnehmer nicht so leicht 
mit übertriebenen Zumutungen an den einzelnen Fabrikanten heran, 
da er weiß, daß diese doch abgelehnt werden müssen. So läßt sich 
die in den letzten Jahrzehnten besonders stark wachsende Kartell- 
bildung in der Textilindustrie erklären; allerdings bietet der nume- 
rische Fortschritt keinen Gradmesser für die Konsolidierung. 
Tschierschkyt) zählte 1909 60 Kartelle unter Ausschluß der 
Konditionskartelle, während die Denkschrift der Reichsregierung 
1905/06 nur 31 Textilkartelle aufführt. Nach Tschierschkys Er- 
mittelungen darf man annehmen, daß die Mehrzahl der heutigen 
Textilkartelle sich nur mit der Konditionsregelung befaßt. Es ist 
unter diesen Umständen nicht wunderbar, wenn man beim Ver- 
gleich mit den Fabrikantenkonventionen anderer Branchen von dem 
bisherigen Stande der Entwicklung in der Textilindustrie keine allzu 
hohe Meinung hat. Die bloße Konditionsregelung hat aber jeden- 
falls ihre Berechtigung als Durchgangsstadium, das Ziel muß aller- 
dings die Weiterbildung in der Richtung der Preiskartelle bleiben; 


1) Kartellrundschau, 1909, 8. 763. 


314 Blank, 


dieser Notwendigkeit wird die wachsende Uebermacht der Abnehmer 
Geltung verschaffen. Den Anfang zu einer solchen Entwicklung 
zeigen unter anderem die Seidenbandkonvention, der Ver- 
band deutscher Juteindustrieller, ferner die Preisbindungen 
in der Krawattenstoff- und Krawattenfabrikation. Grundlage der 
Preisfestsetzung ist in der Regel eine Kalkulationsbasis, welche die 
Preise in Beziehung setzt zu einem gegebenen Stande der Material- 
preise, der Arbeitslöhne, sowie zu festen Sätzen für Arbeitsverlust, 
Spesen und Nutzen. Ein Beispiel aus neuerer Zeit bieten die Preis- 
normierungen des Barmer Verbandes von Hutartikelfabri- 
kanten (gegr. Dezember 1913). Wichtiger fast als bloße Preisrege- 
lung ist die Einflußnahme auf den Stand des Angebots, wie sie sich 
der Verband deutscher Juteindustrieller, G. m. b. H., zur Aufgabe 
gemacht hat. Da eine zahlenmäßige Kontingentierung mit Rück- 
sicht auf die Freiheit der Produktion sich nicht empfahl, hat dieses 
Kartell seinen Mitgliedern Beschränkungen auferlegt, hinsichtlich 
der Vergrößerung ihres Betriebes sowie der Arbeitszeit. Außerdem 
wird vierteljährlich im voraus durch Majoritätsbeschluß eine Ein- 
schränkungsquote festgelegt. 

Ihrem loseren Gefüge entsprechend haben die Konditionskartelle 
den Abnehmern mannigfache Konzessionen machen müssen. Nicht 
nur, daß der Warenskonto') in den meisten Fällen durchgedrungen ist, 
sei es auch öfters nur unvollkommen, in Gestalt einer Erhöhung des 
Kassenskontos, auch der letztere ist vielfach erheblich gesteigert 
worden, so z. B. bis auf 6 Proz. nach 30 Tagen in den Bedingungen 
der Vereinigung der Kragensamtfabrikanten. An dem 
für den Produzenten günstigsten Schema von 2 Proz. nach 30 Tagen 
und Nettoregulierung nach 90 Tagen haben unter anderen festhalten 
können der Verband der Seidenstofffabrikanten Deutsch- 
lands, der Bergische Fabrikanten-Verband, der Ver- 
band Sächsischer Wirkwarenfabrikanten. Der Verband 
Deutscher Samt- und Plüschfabrikanten hat sich gegen- 
über der Vereinigung der Deutschen Samt- und Seidenwarengroß- 
händler verpflichten müssen, keinem Abnehmer im deutschen Zoll- 
gebiet günstigere Konditionen als die genannten einzuräumen. Meist 
haben aber weitergehende Zugeständnisse gemacht werden müssen, 
die allerdings hier nicht im einzelnen aufgeführt werden können. 
Erwähnt sei noch die besondere Bedeutung des Warenskontos im 
Verhältnis zum Kassenskonto. Es erscheint ja an sich gleich, ob 
2 Proz. Kasseskonto und 2 Proz. Warenskonto oder 4 Proz. Kassa- 
skonto unter Ausschluß des Warenskontos berechnet wird; die Be- 
deutung der Maßregel liegt aber in der Hinausschiebung des zins- 
freien Ziels. Durch Hinausschiebung der Valuta kann außerdem 
noch ein ganz bedeutender Spielraum gewonnen werden. Ziemlich 
allgemeine Ablehnung haben die Ansprüche der Abnehmer hinsicht- 


a 1) Ein Abzug, der, im Gegensatz zum Kassenskonto, ohne Rücksicht auf den 
Zeitpunkt der Regulierung erfolgt. 


Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 315 


lich der Option und der Konsignationsläger erfahren, auch ist das 
Zahlungsmittel meist in einer Art und Weise geregelt worden, welche 
die früheren Gepflogenheiten der Grossistenkundschaft in bezug auf 
die Zahlung mit Wechseln ausschließt. Auch was das Musterwesen 
anlangt, ist eine für den Fabrikanten erträgliche Regelung im all- 
gemeinen durchgesetzt worden. Meist werden die Muster zum 
vollen Preise des betreffenden Artikels berechnet und nur ein 
zwischen 1 und 1!/, Proz. schwankender Musterskonto in Abzug 
gebracht. Zunehmende Bedeutung gewinnt gegenwärtig noch die 
Einrichtung der Umsatzbonifikation. Eine solche findet sich z. B. 
in den Verkaufsbedingungen des Verbandes Deutscher Samt- und 
Plüschfabrikanten, und zwar mit dem Charakter einer ausschließ- 
lichen Begünstigung der Vereinigung der Deutschen Samt- und 
Seidenwarengroßhändler; ferner gewährt die Vereinigung der Kragen- 
samtfabrikanten ganz allgemein eine Vergütung dieser Art, welche 
von 4 Proz. bei einem Maximalumsatz von 2500 M. bis auf 10 Proz. 
bei mehr als 20000 M. Umsatz steigt. Auch der Ende 1913 ge- 
gründete Verband von Barmer Hutartikelfabrikanten gewährt eine 
solche Vergütung. Die Berechnung der Umsatzprämie geschieht nun 
nicht in der Weise, daß jeder Fabrikant auf den Umsatz mit jedem 
seiner Kunden den entsprechenden Prozentsatz vergütet. Dies würde 
dazu führen, daß jeder Kunde möglichst alle Aufträge in einem 
Genre einem Fabrikanten zuwenden würde, um einen möglichst 
hohen Prämiensatz zu erhalten. Es wird daher der seitens eines 
Kunden zu beanspruchenden Prämie die Summe der sämtlichen Um- 
sätze zugrunde gelegt, die er mit Mitgliedern des Verbandes gemacht 
hat; den auf diese Weise ermittelten Prozentsatz hat der einzelne 
Fabrikant am Ende des Geschäftsjahres auf seinen Umsatz mit den 
betreffenden Kunden zu vergüten. Auch hält man im allgemeinen 
darauf, daß die zur Umsatzprämie berechtigenden Bezüge nur solche 
sein dürfen, welche für den eigenen Betrieb des Bestellers bestimmt 
sind. Es mag noch eine Bestimmung erwähnt werden, die sich 
häufig in den Verkaufs- und Lieferungsbedingungen der Konventionen 
findet und darum größeres Interesse gerade gegenwärtig beanspruchen 
kann, da die Rechtsprechung sich ausgiebig mit ihr beschäftigt hat, 
nämlich die Festsetzung eines Schiedsgerichts unter Ausschluß des 
Rechtsweges durch einseitige Erklärung in den Verbandskonditionen. 
Eine zum Verbande Deutscher Damen- und Mädchen- 
mäntelfabrikanten gehörige Firma hatte ihren Kunden durch 
eingeschriebenen Brief mitgeteilt, daß sie von einem angegebenen 
Zeitpunkte ab nicht mehr zu günstigeren als den in der Anlage mit- 
übersandten Bedingungen verkaufen würde. Die letzteren enthielten 
auch die Schiedsgerichtsklausel. Eine Kundenfirma weigerte sich 
nun, in einem später entstandenen Streitfalle sich dem Schieds- 
gericht zu unterwerfen, worauf die Konvention die Lieferungssperre 
über sie verhängte. Das Kammergericht hat durch Urteil vom 
12. Januar 1914 der Klage des Kunden auf Aufhebung der Sperre 
stattgegeben mit der Begründung, daß auf Grund der einseitigen 


316 Blank, 


Erklärung in den Konventionsbedingungen eine Verpflichtung des 
Kunden zur Unterwerfung unter das Schiedsgericht der Konvention 
nicht besteht. Es kann als erfreulich bezeichnet werden, daß in 
diesem Punkte, der in der Praxis eine so bedeutende Rolle spielt, 
eine Klarstellung der Rechtsverhältnisse stattgefunden hat, die be- 
gründeten Ansprüchen der Kundschaft gerecht wird. Denn es kann 
nur zu einer schweren Beunruhigung des Marktes führen, wenn eine 
einseitige Dekretierung seitens der Kartelle die Abnehmer dem 
Schutz der ordentlichen Gerichte entzieht. Gerade für den viel 
angefeindeten Ruf der Konventionen wäre es besser, wenn solche 
Versuche, den ordentlichen Rechtsweg zu umgehen, unterblieben. 
Wo dagegen die gemeinsamen Interessen von Fabrikant und Ab- 
nehmer eine möglichst rasche Entscheidung, wie sie nur ein solches 
aus Fachleuten zusammengesetztes Schiedsgericht treffen kann, 
wünschenswert erscheinen lassen, und wo infolgedessen vertragliche 
Festlegung erfolgt ist, wird man weder rechtlich noch wirtschaftlich 
die gleichen Bedenken erheben können. Das gleiche gilt auch da, 
wo durch Vertrag zwischen Fabrikant und Abnehmer der aus- 
schließliche Verbandsverkehr vereinbart worden ist. Ist doch gerade 
der Außenseiter eine der größten Gefahren jeder Kartellierung und 
hieße es, die Existenz der Konventionen in Frage stellen, wollte 
man grundsätzlich die Exklusivklausel und die Mittel zu ihrer 
Durchführung (Order-, Lieferungssperre, Schutzskonto) verwerfen. 
Bedenklicher, und zwar in Anbetracht des unsicheren Resultats, 
müssen solche Sperren erscheinen in den Fällen, wo es sich um den 
Kampf zwischen den Kartellen der Fabrikanten und der Abnehmer 
handelt, wie wir es soeben noch in der Tuchbranche erlebt haben !). 
Daß eine Mäßigung in den Ansprüchen am Platze ist, zeigt der 
Umstand, daß die Fabrikantenkartelle im allgemeinen bei solchen 
Sperren nicht günstig abschneiden; z. B. seinerzeit der Verband der 
Seidenwarenfabrikanten Deutschlands, der Verband der Blusen- und 
Kostümfabrikanten Deutschlands. Darum sollten auch Anlässe ver- 
mieden werden zu Streitigkeiten, welche, ohne daß es sich um 
Existenzfragen handelt, nur geeignet sind, die Mißstimmung gegen 
die noch nicht sehr widerstandsfähige Kartellbewegung der Textil- 
industrie zu steigern. Das gilt z. B. von Prozessen wegen Skonto- 
restbeträgen von 7 bzw. 13 Pfg., die seinerzeit der Bergische Fabri- 
kanten-Verband anstrengte. Es soll sich hierbei um eine Prinzipien- 
frage gehandelt haben; ohne die Rechtsfrage zu berühren, kann man 
feststellen, daß es für Verbände, die sich noch nicht in dominierender 
Position befinden, ein taktischer Fehler ist, dem Gegner so wirk- 
sames Agitationsmaterial zu liefern. Solche Maßregeln, wie diese 
Prozesse, überschreiten die Grenzen der Abwehr ganz entschieden. 
Derartige Fehlgriffe sind aber besonders dort zu vermeiden, wo die 
innere Struktur der Industrie mehr als anderswo die Aussichten der 
Kartellierung ungünstig beeinflußt, wie in der Wuppertaler Besatz- 


1) Näheres hierüber findet sich weiter unten. 


Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmeryerbänden. 317 


branche. Welche Schwierigkeiten sich hier ergeben haben, vermag 
ein kurzer Ueberblick über den Entwicklungsgang des Bergischen 
Fabrikanten-Verbandes zu zeigen. 

Die Tatsachen, welche zur Begründung dieses Konditions- 
kartells führten, sind zum größten Teile bereits oben unter den all- 
gemeinen Ursachen der Konventionsbildung berührt worden. 
Namentlich spielt hier die Abhängigkeit von der Engroskundschaft 
mit. Dieser Zusammenhang wird dadurch beleuchtet, daß, als durch 
Gründung des Bergischen Fabrikantenverbandes im Dezember 1906 
das Uebergewicht der Grossisten in Frage gestellt war, diese im 
Februar 1907 mit der Gründung des Großhändlerverbandes 
in Garnen, Besatz-, Kurz- und Wollwaren e V. ant- 
worteten. Im November 1907 trat der Großhändlerverband an die 
Mitglieder des Fabrikantenverbandes heran mit der Frage, ob sie 
geneigt seien, in Verhandlungen wegen eines Gegenseitigkeitsver- 
trages einzutreten. Die Rückwirkung dieses Schrittes auf die De- 
tailkundschaft, vereinigt im Verband Deutscher Detailge- 
schäfte der Textilbranche (Sitz Hamburg) blieb nicht aus, 
da diese ihren Ausschluß von der Lieferung befürchten mußten, 
falls die Verhandlungen zu einem greifbaren Ergebnis führten. In 
der Tat spielte auch hier der Geschäftsverkehr mit den Detaillisten 
keine unbedeutende Rolle, da schließlich der Unterschied in der 
Kaufkraft zwischen Grossisten und Großdetaillisten nur ein mini- 
maler geworden war. Um so stärker mußten sich aber die Bedenken 
der Fabrikanten gegen einen Exklusivvertrag mit dem Großhändler- 
verband geltend machen, zumal sie im Falle des Vertragsschlusses 
erst recht in die Abhängigkeit der Grossisten geraten würden. Die 
Verhandlungen über diesen Gegenseitigkeitsvertrag ließen die tiefe 
Spaltung erkennen, welche durch die Absatzfrage in den Reihen der 
Fabrikanten entstanden war. In der Tat hätte der Gegenseitigkeits- 
vertrag nur für diejenigen Fabrikanten von Wert sein können, 
welche im wesentlichen nur mit Grossistenkundschaft zu rechnen 
hatten. Für alle diejenigen aber, welche außer mit dem Engros- 
handel ein bedeutenderes Geschäft mit der Detailkundschaft machten, 
wäre eine Verminderung der Rentabilität infolge Einschränkung 
ihres Kundenkreises unvermeidlich gewesen; diese letztere Kate- 
gorie von Fabrikanten mag zur fraglichen Zeit wohl die Hälfte der 
Wuppertaler Besatzfabrikanten ausgemacht haben. Zwar stellte sich 
im Laufe der Verhandlungen heraus, daß es nicht Zweck der Ab- 
machungen sein sollte, die Gesamtheit der Mitglieder des Fabrikanten- 
verbandes in einen Exklusivvertrag mit dem Großhändlerverband 
hineinzutreiben. Wenn jedoch an maßgeblicher Stelle damals die 
Ansicht vertreten wurde, ebensowenig wie man einem einzelnen 
Fabrikanten verbieten dürfte, mit seiner Kundschaft vertragliche 
Abmachungen zu treffen, dürfe man eine Gemeinschaft daran hindern, 
so beruht dies auf einer Verkennung der Grundlage eines Kartells; 
denn es bedeutet in der Rückwirkung auf dieses ganz etwas 
„anderes, wenn ein einzelner Fabrikant unter Verzicht auf einen 


318 Blank, 


Teil seiner Kundschaft mit dem Rest einen Exklusivvertrag schließt, 
als wenn eine korporative Spaltung infolge des verschiedenartigen 
Charakters der Kundschaft das Kartell erschüttert. Man muß aller- 
dings berücksichtigen, daß der Gegenseitigkeitsvertrag mit dem 
Großhändlerverband auch für Fabrikanten mit anderer als reiner 
Engroskundschaft, insbesondere überwiegender Großdetaillistenkund- 
schaft, nicht ohne weiteres unannehmbar war. Denn es ließen die 
Bedingungen des Vertragsentwurfs außer dem Verkehr mit den ver- 
einigten Grossisten auch den Verkehr mit den außerhalb des Groß- 
händlerverbandes stehenden Grossisten zu, ferner mit der gesamten 
deutschen Fabrikation (inklusive Konfektion), sowie mit einer ge- 
wissen Zahl von Einkaufsvereinigungen, Warenhäusern, Spezial- und 
Detailgeschäften. Es muß jedoch fraglich erscheinen, ob unter diesen 
Verhältnissen der ganze Vertrag, den man hiernach ja kaum mehr 
als Exklusivvertrag bezeichnen kann, für die Großhändler von Wert 
gewesen wären; die Exklusivklausel hätte nur die Wirkung gehabt, 
daß die wegen ihrer besonderen Absatzverhältnisse am Beitritt ver- 
hinderten Fabrikanten ihre ganze im Großhändlerverband vereinigte 
Kundschaft, ferner einen großen Teil ihrer Detailkunden — sofern 
deren Verband den Abmachungen beigetreten wäre — verloren 
hätte. Eine Spaltung innerhalb des Fabrikantenverbandes wäre allzu 
leicht die Folge des Vertragsschlusses gewesen, und es kann nicht 
als ein Schaden für das Fabrikanteninteresse bezeichnet werden, daß 
die Verhandlungen wegen dieses Vertrages scheiterten. Die Lösung 
der Differenzen ist dann in der Weise erfolgt, daß im Juli 1908 
die Mitglieder der drei Abnehmerverbände: des Großhändler- 
verbandes, des Verbandes Deutscher Detailgeschäfte 
der Textilbranche und des Verbandes Deutscher Waren- 
und Kaufhäuser die Bedingungen des Fabrikantenverbandes 
anerkannten. Im übrigen wurde ihnen ein Regulierungsskonto von 
2 Proz. zugebilligt, welcher denjenigen Abnehmern, denen die Inne- 
haltung des 90-tägigen Ziels nicht möglich war, die andererseits die 
ihnen hierdurch zur Last fallenden Zinsen nicht einkalkulieren 
konnten, eine Entschädigung gewähren sollte In der Praxis stellt 
dieser Skonto allerdings keine besondere Vergünstigung für die Mit- 
glieder der genannten Abnehmerverbände dar, da fast jeder Kunde 
diesen Extraskonto verlangt, trotzdem nach den Bedingungen des 
Fabrikantenverbandes hierzu keine Verpflichtung besteht. Der 
Gruppe der Abnehmerverbände sind noch beigetreten der Verband 
Deutscher Krawattenfabrikanten sowie der Verband 
Deutscher Strohhut- und Damenfilzhutfabrikanten. 
Irgendein Abkommen bezüglich des ausschließlichen Geschäfts- 
verkehrs zwischen dem Fabrikantenverband einerseits und den 5 
Abnehmerverbänden andererseits wurde nicht getroffen. Jeder kann 
liefern, an wen bzw. kaufen, von wem er will. Wie verhängnisvoll 
eine Bindung der Fabrikanten hinsichtlich der Auswahl ihrer Kund- 
schaft für die Einigkeit unter den Verbandsmitgliedern hätte werden 
können, zeigt die im ersten Halbjahr 1908 einsetzende Tätigkeit 


Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 319 


der „Freien Fabrikanten-Vereinigung“, welche als ihr 
Ziel im Gegensatz zu den „übertriebenen Beschränkungen“ des 
Bergischen Fabrikanten-Verbandes die „Wahrung der Freiheit des 
geschäftlichen Eigenbetriebes der Mitglieder bei möglichster Zu- 
friedenstellung der Kundschaft durch kulante Bedingungen“ hin- 
stellte. Wenn auch die „Freie Fabrikanten-Vereinigung“ einen 
maßgebenden Einfluß nicht hat ausüben können, so bleibt sie als 
Symptom immerhin beachtenswert, da solche dezentralistische Ten- 
denzen für eine so stark differenzierte Industrie wie die Wupper- 
taler Branche typisch sind. Dem entspricht auch die Bildung be- 
sonderer Interessenverbände außerhalb des Bergischen Fabrikanten- 
Verbandes, ohne daß man dieselben durchweg geradezu als Kon- 
ventionen bezeichnen könnte Das gilt z. B. vom Verein der 
Wäschebandfabrikanten in Barmen, der sich in beschei- 
denem Maße nur mit der Preisbildung befaßt; eine spezielle 
Konditionsregelung kann er sich deshalb nicht zur Aufgabe machen, 
weil seine Mitglieder größtenteils dem Bergischen Fabrikanten- 
Verband angehören und dessen Bedingungen unterworfen sind. 
Eine selbständige Gruppe bildet ferner die Vereinigung der 
Wuppertaler Spitzenfabrikanten, sowie der Verein 
Wuppertaler Schnürriemenfabrikanten, welch letzterer 
sich im Januar 1909 vom Bergischen Fabrikanten-Verband getrennt 
hat, insbesondere aber der schon mehrfach erwähnte Verband 
von Barmer Hutartikelfabrikanten. Diese Vereinigung 
besteht erst seit Dezember 1913. Ihr Verhältnis zu den Abnehmern 
ist geregelt in einem Gegenseitigkeitsvertrag mit dem Verband 
Deutscher Strohhut- und Damenfilzhutfabrikanten, welcher für 
Deutschland den ausschließlichen Verbandsverkehr bei Strafe des 
Verfalls des Schutzskontos zur Bedingung macht. Der genannte 
Abnehmerverband, welcher früher zu den 5 oben erwähnten Kon- 
trahenten des Abkommens mit dem Bergischen Fabrikanten-Verband 
gehörte, ist demgemäß aus dieser Gruppe ausgeschieden. Gerade der 
Verband von Hutartikelfabrikanten ist als Beispiel einer scharf ab- 
gegrenzten Sondergruppe von Interesse, da durch seine Vereinbarung 
mit den Abnehmern es anderen Wuppertaler Fabrikanten, die u. a. 
auch die Maschinen zur Hutlitzenfabrikation besitzen, sich jedoch 
nicht entschließen konnten, dieser kleinen Sondergruppe (zurzeit zählt 
sie 18 Mitglieder) sich anzuschließen, unmöglich gemacht wird, 
Kunden zu finden. Die Dinge sind jedoch hier noch in Fluß, so 
daß eine definitive Stellungnahme zurzeit nicht angängig erscheint. 

Aus einem doppelten Grunde sind die Verhältnisse in der Tuch- 
branche von Interesse. Zunächst, weil hier erst in den letzten 
Monaten ein ausnehmend heftiger Kampf zwischen Fabrikanten- 
konvention und Abnehmerorganisationen stattgefunden hat; dann 
aber besonders, weil hier die Widerstände, gegen, welche sich der 
Konventionsgedanke durchsetzen mußte, in besonderem Maße der 
starken Differenzierung der Kundschaft zuzuschreiben sind. Im 
wesentlichen setzen sich die Abnehmer der Tuchfabrikanten zu- 


320 Blank, 


sammen aus Großkonfektionären, Tuchgrossisten und Tuchversendern !). 
Eine einheitliche Konditionsregelung gegenüber allen drei Kate- 
gorien begegnet besonderen Schwierigkeiten, da die beiden erstge- 
nannten Gruppen gezwungen sind, ihren Abnehmern sehr langen 
Kredit zu gewähren, die Tuchversender hingegen ihre Waren suk- 
zessive während der Saison beziehen und sie größtenteils gegen 
Nachnahme versenden, so daß sie oft schon erhebliche Beträge in 
Händen haben, die erst nach Monaten an die Lieferanten abzuführen 
sind. Wenn es dennoch gelungen ist, im Jahre 1912 eine Konven- 
tion der Fabrikanten, die „Deutsche Tuchkonvention“ ins 
Leben zu rufen, so erklärt sich das aus den besonderen Schäden, 
welche in dieser Branche den Verkehr der Fabrikanten mit den Ab- 
nehmern erschwerten. Man muß zwar berücksichtigen, daß der 
Zwischenhandel in vielen Fällen durch seine eigenen Kunden zu be- 
sonders weitgehenden Forderungen getrieben wird, da jene außer 
dem üblichen Kassenskonto Umsatzprämien, ja Geschenke verlangen. 
Tatsache ist aber, daß viele Zwischenhändler sich nicht mit den ihnen von 
den Fabrikanten zugestandenen Preisermäßigungen, ausgedehnter Valuta 
und erhöhter Rabattbewilligung begnügten, sondern darüber hinaus 
bei der Regulierung, abweichend von den Vereinbarungen willkürliche 
Abzüge machten, auch ihre Zahlungen in einer für die Fabrikanten 
verlustbringenden Weise leisteten. Es ist dabei eine alte Erfahrung, 
daß ein solches Gebaren einzelner Händler auch ihre an sich loyal 
an den Vereinbarungen festhaltenden Konkurrenten zur Nachahmung 
zwingt. Der Vorwurf eines einseitigen Vorgehens der Fabrikanten 
läßt sich nicht aufrecht erhalten, angesichts der Tatsache, daß zu 
diesen Verhandlungen Vertreter aus den Kreisen des Zwischenhandels 
hinzugezogen waren. Die unmittelbare Folge dieses Zusammen- 
schlusses der Fabrikanten war, wie schon in anderen Fällen beob- 
achtet, eine Konzentration der Abnehmer. Es wurde eine „Ver- 
einigung deutscher Tuchgroßhändler*“ in Berlin gegründet, welche 
in Besprechungen mit dem „Verband Deutscher Tuchgroßhändler und 
verwandter Branchen e. V.“ in München eintrat zum Zweck der 
Fühlungnahme mit der Tuchkonvention. Andererseits bildete sich 
auf seiten der Produzenten eine neue Vereinigung mit dem Zweck, 
in Uebereinstimmung mit der Tuchkonvention vorzugehen: der „Ver- 
band der Fabrikanten halbwollener (englischer) Stoffe“, Sitz Berlin. 
Mit diesem traf der „Arbeitgeberverband der Herren- und Knaben- 
kleiderfabrikanten Deutschlands e. V.“ ein Uebereinkommen, welches 
sich auf die Zahlungskonditionen, die Musterfrage, Valuta und 
Lieferung bezog, in dem insbesondere aber auch ein Kartellvertrag 
vorgesehen wurde, kraft dessen sich die Kontrahenten gegenseitig 
eine Liste der Außenseiter geben sollten, um deren Sperre zu er- 
langen. Der genannte Arbeitgeberverband leitete im November 1912 
auch Verhandlungen ein mit der Tuchkonvention zwecks Abänderung 
der Konditionen und Abschlusses eines Kartellvertrages. An diesen 


1) Letztere arbeiten mit den Schneidern. 


Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 321 


Besprechungen hatten auch die „Vereinigung Deutscher Tuchgroß- 
händler“ sowie die Tuchversender Anteil. Die Bedenken der Groß- 
abnehmer gegen die Konditionen der Tuchfabrikanten lassen sich im 
wesentlichen dahin zusammenfassen, daß die Zahlungsbedingungen 
in Anbetracht der im Handel eingebürgerten Kreditwirtschaft zu 
große Härten enthielten, ferner, daß eine Regelung des Musterwesens 
im Sinne einer vollen Berechnung der Musterlieferungen im Gegen- 
satz zum bisherigen Zustand zu wünschen wäre, da bisher einzelne 
Grossisten durch Gratislieferungen bevorzugt worden seien; aller- 
dings wurde anerkannt, daß diese Frage für die Fabrikanten wegen 
der ausländischen Konkurrenz besonders heikel sei. Insbesondere 
solle aber auch der direkte Verkehr der Fabrikanten mit den Detail- 
leuren ausgeschlossen werden; denn dieser trage um so mehr zur 
Schädigung der Grossisten bei, als diese im Verkehr mit den Detail- 
leuren durch Konventionen in der Festsetzung der Konditionen ge- 
bunden seien, die Fabrikanten hingegen nicht. Eine vorläufige 
Einigung zwischen obenerwähnten Zwischenhändler- und Konfek- 
tionsvereinigungen und der Tuchkonvention fand auch statt, so daß 
diese ihre Konditionen im Februar 1913 in Kraft setzte. Die 
Musterfrage war dahin geregelt worden, daß die Musterlieferungen 
voll berechnet werden sollten, wogegen eine Vergütung von 1 Proz. 
auf die Gesamtfaktur seitens der Fabrikanten zu berechnen wäre. 
Allerdings machte sich bald eine Spaltung im Kreise der Abnehmer 
geltend: die Grossisten — Tuchgrossisten und -Versender — ver- 
langten von der Tuchkonvention Begünstigung gegenüber den 
Konfektionären. Weiter aber löste die Tendenz der Großabnehmer, 
die Lieferung der Tuchfabrikanten ganz für sich in Anspruch zu 
nehmen, eine Gegenströmung im Lager der Detaillisten aus. Der 
„Verband deutscher Detailgeschäfte der Textilbranche* (Sitz Ham- 
burg) vereinbarte Mitte 1913 mit dem „Allgemeinen Deutschen 
Arbeitgeber-Verband für das Schneidergewerbe“ (Sitz München) ge- 
meinsame Stellungnahme zur Abwehr von Maßregeln der Grossisten- 
gruppe, welche die Nichtgrossistenabnehmer in der unmittelbaren 
Lieferung seitens der Fabrikanten beschränkten. Im November 
vorigen Jahres trat die „Interessengemeinschaft Deutscher Tuchgroß- 
abnehmer“, bestehend aus dem „Arbeitgeber-Verband der Herren- 
und Knabenkleiderfabrikanten Deutschlands e. V.“, dem „Verband 
Deutscher Kleiderfabrikanten* (Sitz Rheydt), dem „Fabrikanten- 
Verband der Berliner Knaben- und Burschenkonfektion“, der „Ver- 
einigung Deutscher Tuchgroßhändler“ zu Berlin und dem „Verband 
Deutscher Tuchversender und -Großhändler e. V.“ zu München, mit 
den Delegierten der Tuchkonvention in Berlin in Unterhandlungen, 
welche sich im wesentlichen um die Frage der Valutierung, der 
Mustervergütung, der Post- und Eilgutsendungen drehte. In einigen 
Punkten minderer Bedeutung sagten die Delegierten der Tuchkon- 
vention unter Vorbehalt Abhilfe zu, in der Kardinalfrage der Valuten- 
bestimmung hingegen wurde eine Einigung nicht erzielt. Das Gleiche 
gilt von der kaum weniger entscheidenden Frage der Mustervergütung, 
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID. 21 


322 Blank, 


welche die Abnehmer auf 2 Proz. festsetzen wollten, während die 
Tuchkonvention mit Rücksicht auf ihre kleineren Kunden, welche 
von einer Bezahlung der Musterlieferungen eine Bevorzugung der 
großen Abnehmer befürchteten, hiergegen Bedenken erhob. Die 
Weiterverhandlungen wurden einer Delegiertenkommission der Fabri- 
kanten und Abnehmer überlassen. Im Dezember 1913 schien eine 
endgültige Einigung zustande gekommen zu sein, doch waren die 
Nachrichten hierüber verfrüht. Die Verhandlungen traten vielmehr 
nun in ihr kritisches Stadium ein, das sie erst soeben verlassen 
haben. In den Reihen der Fabrikanten machten sich Bedenken 
gegen die unter Vorbehalt eingeräumten Zugeständnisse der Delegierten 
geltend, in erster Linie beim „Aachener-Tuchfabrikanten-Verein“, 
dem sich die Ortsvereine in Cottbus, Crimmitschau und Gera-Greiz 
anschlossen. Man wies insbesondere darauf hin, daß wichtige Tuch- 
versender, auf deren Kundschaft die Konvention nicht verzichten 
könne, den Verbänden der Tuchversender und Tuchgrossisten nicht 
angehörten. In einer Generalversammlung der Tuchkonvention im 
Dezember 1913 wurden die zugunsten der Abnehmer vorgeschlagenen 
“Aenderungen der Konditionen abgelehnt und die Angelegenheit zu 
weiterer Verhandlung bis Anfang 1914 vertagt. Die Beratungen 
der Tuchkonvention ließen deutlich die schroffen Gegensätze er- 
kennen, welche die Differenzierung des Absatzes in die Reihen der 
Fabrikanten hineinträgt. Während die Gruppe Forst und M.-Glad- 
bach in erster Linie mit Konfektionskundschaft arbeitet, sind die 
Hauptabnehmer der Gruppe Aachen, Gera-Greiz, Cottbus, Spremberg 
die Tuchgrossisten und -Versender. Die nächste Folge des ab- 
lehnenden Beschlusses der Tuchkonvention war die Erklärung der 
Ordersperre seitens der Abnehmerverbände. Diese Maßregel benach- 
teiligt die Fabrikanten in doppelter Richtung. Nicht nur daß die 
Bestellungen ausbleiben; das würde sich schließlich durch die nach 
Aufhebung der Sperre für die Abnehmer nötig werdenden Mehr- 
bestellungen in etwa ausgleichen, sofern die Saison nicht bereits 
verpaßt ist; aber dadurch, daß keine Orders erteilt werden, auch wenn 
die Ansicht der neuen Kollektionen nicht verweigert wird, verlieren 
die Fabrikanten den Anhaltspunkt für die Richtung der Nachfrage, 
so daß aus dem Kampf um Konditionen ein volkswirtschaftlich be- 
denklicher Zustand erwachsen kann, der in der Ueberfüllung des 
Marktes mit unkuranter Ware gipfelt. Die vorübergehende Absatz- 
stockung infolge der Ordersperre kann sich so zu einer Krise in 
der Produktion erweitern, und man darf im Zweifel sein, ob hier 
nicht Mittel und Zweck außer Verhältnis zueinander stehen. Trotz- 
dem die Tuchkonvention ihre Bereitwilligkeit zu erneuten Verhand- 
lungen erklärte — dieselben wurden am 11. Februar d. J. in Berlin 
eröffnet —, weigerten sich die Abnehmerverbände, die Ordersperre 
aufzuheben. Die Verhandlungen, die sich vor allem wieder mit der 
Valuta- und Musterfrage beschäftigten, wiesen, wie zu erwarten 
stand, nach wie vor eine erhebliche Divergenz der Meinungen auf. 
Ein Beschluß auf Aufhebung der Ordersperre erging auch nicht, 


Fabrikantenkartelle der Textilbranche im Konflikt mit den Abnehmerverbänden. 323 


solange die Verhandlungen dauerten; es war von vornherein un- 
wahrscheinlich, daß die Abnehmerverbände darauf verzichten würden, 
diesen Druck auf den Gang der Beratungen auszuüben. Am 
12. Februar ist in Berlin ein Kartellvertrag zwischen den gegneri- 
schen Gruppen unter Aufhebung der Ordersperre zustande gekommen. 
Die neuen Bestimmungen sollen von der Sommersaison 1915 ab in 
Kraft treten. Die Mustervergütung beträgt für die ersten 2 Jahre 
1 Proz., dann für gemusterte Ware 1!/, Proz. In der Valutafrage 
wurde für die nächsten 2 Jahre eine Verschiebung der Valuta zu- 
gunsten der Abnehmer bewilligt. Endlich hat die Tuchkonvention 
ihre Bedenken wegen der Außenseiter zurückgestellt, da man diese 
zum Eintritt in die Verbände zu zwingen hofft. Ob in diesem 
Kartellvertrag das Interesse der Fabrikanten durchweg gewahrt worden 
ist, kann nach allem, was bisher bekannt geworden ist, bezweifelt 
werden. Ein den Fabrikanten günstiger Ausgang des Streits würde 
jedenfalls als Ausnahmefall ganz besondere Beachtung verdienen. 


Oh 


324 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 


u 


Die wirtschaftliche Gesetzgebung der kleineren 
deutschen Bundesstaaten im Jahre 1913. 


Von Dr. Stöwesand. 


l. Bayern, 


Gesetz- und Verordnungsblatt fürdas Königreich Bayern 
1913. 


Bekanntmachung vom 13. Januar 1913, betr. die Abänderung der 
Rheinschiffahrts-Polizeiordnung. S. 5. 

Der Erlaß der neuen Polizeiordnung ist zwischen Bayern, Baden, Elsaß - Loth- 
ringen, Hessen, Preußen und den Niederlanden vereinbart worden. Sie tritt mit 
1. April 1918 an Stelle der vom 22. März 1905. 

Bekanntmachung vom 25. Januar 1913. Ausgabe von Schuld- 
verschreibungen auf den Inhaber betr. S. 79. 

Die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in München bringt 32000 auf den 
‚Inhaber lautende 4-proz. unverlosbare Hypothekenpfandbriefe im Betrage von 25 Millionen 
in den Verkehr. 

Bekanntmachung vom 11. März, den Vollzug des Zuwachssteuer- 
gesetzes vom 14. Febr. 1911 betr. 

Die Zuwachssteuer ist auf Antrag bei bestimmten Aufwendungen zu ermäßigen. 

Bekanntmachung vom 26. April 1913, betr. Ausführung der Be- 
stimmungen des Bundesrats über die Lohnbücher für die Kleider- und 
Wäschekonfektion. S. 171. 

Ortspolizeibehörde im Sinne des $ 14 der Bundesratsbestimmungen ist für München 
die Königl. Polizeidirektion. 

Bekanntmachung vom 21. Mai 1913, die Eisenbahnbau- und Be- 
triebsordnung für die Haupt- und Nebeneisenbahnen Bayerns betr. 
S. 198. 

Auf den am 29. Mai 1918 zur Eröffnung kommenden „elektrisch“ betriebenen 
Bahnlinien von Garmisch- Partenkirchen zur Landesgrenze bei Griesen finden die Be- 
stimmungen für Nebenbahnen Anwendung. 

Kgl. Verordnung vom 5. Juni 1913 über die Veterinärpolizeiliche 
Anstalt. S. 201. 


, Vom 1. Juli 1918 an wird für das Königreich eine Veterinärpolizeiliche Anstalt 
errichtet. Die Hauptaufgabe ist die Bekämpfung der Tierseuchen. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 325 


Bekanntmachung vom 4. Juni 1913, das Berggewerbegericht 
München betr. S. 205. 


Die Zuständigkeit des Gerichts wird dahin neu geregelt, daß ihm die Entscheidung 
von Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnisse zwischen den in den Bergwerken und in 
den unterirdischen Gruben und Brüchen des Regierungsbezirks Oberbayern beschäftigten 
Arbeitern einerseits und ihren Arbeitgebern andererseits obliegt. 


Abschied vom 15. Juni 1913 auf die Verhandlungen der Landräte 


für 193. S. 217. 


Die Kreisvoranschläge werden vom König genehmigt. Oberbayern 12 6783 140,64 M., 
Niederbayern 882188612 M., Pfalz 6433 592,89 M., Oberpfalz und Regensburg 
8418 922,36 M., Oberfranken 4089808,39 M., Mittelfranken 6 956 481,65 M., Unter- 
Jranken und Aschaffenburg 4 526 510,09 M., Schwaben und Neuburg 5 269 910,06 M. 


Kgl. Verordnung vom 27. Juni 1913, über das Apothekerwesen. 
S. 343. 


I. Bewilligung zum Betriebe von Apotheken. 
1. Erteilung der Bewilligung. $ 1—19. 
A. Selbständige öffentliche Apotheken, 
B. Zweigapotheken, 
C. Hausaporheken von Aerzten, 
D. Anstaltsapotheken. 
2. Inhalt der Bewilligung. $ 20. 
II. Sonstige Befugnis zur Bereitung oder Abgabe von Arzeneien. $ 21—24. 
V. Aufsicht. $ 58—56. 


Bekanntmachung vom 24. Juli 1913, über die Aenderung der 
Pferdeaushebungsvorschrift. S. 435—482. 

Bekanntmachung vom 24. September 1913, die Behandlung der 
Depositen bei den K. Bankanstalten betr. S. 520. 

Bekanntmachung vom 27. September 1913, Ausführungsbestim- 
mungen zum Reichsstempelgesetze vom 3. Juli 1913 betr. S. 523—742. 


2. Sachsen. 


Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich 
Sachsen vom Jahre 1913. 1.—23. Stück. 


Gemeindesteuergesetz vom 11. Juli 1913. S. 195—222. 


Als direkte Steuern sind anzusehen: Grund- und Gebäudesteuern, "allgemeine 
und Sondergewerbesteuern, die Einkommensteuer, Kopfsteuern, Vermögens- und Kapital- 
rentensteuern, Miet- und Wohnungssteuern und die Hundesteuer, als indirekte die Be- 
sitzwechselabgabe und die Zuwachssteuer. 

A. Indirekte Steuern. Die Erhebung von Abgaben auf Brennstoffe und Nahrungs- 
mittel ist unzulässig. Der Erwerber zahlt eine Besitzwechselabgabe von 1 Proz. des 
Grundstückswertes; sie ermäßigt sich bis auf IL Proz. in Gemeinden, wo der Grund- 
besitz mindestens 15 Proz. des Gesamtsteuerbedarfs aufbringt. Die Gesamtabgabe darf 
2 Proz. nicht übersteigen (einschl. der Schul- und Kirchgemeinde- Abgaben). 

Der Erwerber ist befreit von der Steuer oder nur zur Zahlung der Hälfte ver- 
pflichtet, wenn er auf den Nachlaß des bisherigen Eigentümers pflichtteilsberechtigt ist oder 
als Erbe, Miterbe, Nacherbe usw. beteiligt ist. Bei Zwangsversteigerungen ist der Er- 
werber ebenfalls ganz oder teilweise befreit, wenn er nachweist, daß er als Miteigentümer, 
Schuldner, Gläubiger oder Bürge beteiligt ist. 

B. Direkte Steuern. Die Gemeinde kann Personen, die sich länger als 8 Monate 
in ihr aufhalten, und im Reichsauslande Wohnende, die in der Gemeinde eine Erwerbs- 
tätigkeit zeitweilig ausüben, zu den Steuern heranziehen. Eine gewerbliche Umsatz- 
steuer darf nur da, wo sie schon besteht, bis Ende 1924 erhoben werden. 


326 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Das Einkommen aus Woartegeld, Pensionen und Unfall- (Invaliden-, Alters-, 
Hinterbliebenen-)Renten sowie die Einkommen der im Jahre 1908 angestellten Reichs-, 
Staats- und Gemeindebeamten werden mit nur t|, des Betrages versteuert. Einkommen 
von 200—400 M. können steuerpflichtig gemacht werden, andererseits kann die Steuer- 
pflicht erst bei einem über 400 M. betragenden Einkommen einsetzen. Die Klassen der 
Einkommensteuer bis zur 20. einschließlich können in je 2 Altersklassen gegliedert 
werden. 

7!/, Proz. des Gesamtsteuerbedarfs sind durch Grundsteuer aufzubringen; in Ge- 
meinden ohne Einkommensteuer aber 30 Proz. Der Wert, der als Maßstab der Grund- 
steuer dient, darf nicht die staatliche Brandversicherungssumme übersteigen. Der ge- 
meine Wert wird durch Selbsteinschätzung und nachfolgende Schätzung ermittelt. 

Eine Sondergewerbesteuer von Automaten ist zulässig. 

Die Wanderlager zahlen höchstens 200 M. wöchentlich. 

Kopfsteuern sind bis Anfang 1918 abzuschaffen. 

Nachzahlungsverpflichtungen aus direkten Gemeindesteuern verjähren in 5 Jahren, 
aus den genannten indirekten (2) in 10 Jahren, die etwaigen anderen indirekten 
Steuern in 8 Jahren. Die Strafverfolgung bei Hinterziehungen verjährt in 8 Jahren. 

Aufsichtsbehörden sind die Kreishauptmannschaften unter Mitwirkung des Kreis- 
ausschusses sowie die Amtshauptmannschaften (mit Bezirksausschuß). 

Das Gesetz tritt am 1. Januar 1915 in Kraft. 


Verordnung vom 2. Januar 1913 zur weiteren Ausführung des Ge- 
setzes über das höhere Mädchenbildungswesen (vom 16. Juni 1910). S.7. 


Die Reifezeugnisse der sächsischen Studienanstalten berechtigen zur Immatrikulation 
in Leipzig für das Studium der Medizin, Zahnheilkunde und Pharmazie, sowie an der 
technischen Hochschule zu Dresden. Im übrigen werden die Zeugnisse für gleichwertig 
mit denen eines Realgymnasiums bezw. Gymnasiums erkannt. 


Gesetz vom 21. Januar 1913 über die Tagegelder und Reisekosten 
der Staatsdiener. S. 44. 


Die Tagegelder zerfallen in 9 Stufen und betragen für den Tag 7—80 M.; wenn 
die Dienstreise unter 12 Stunden dauert, erhält der Betreffende nur den halben Satz. 
Dienstreisen unter 4 Stunden (mit Zugang oder Abgang) sowie Beschäftigung von nicht 
mehr als 2 Stunden an einem Tag der Dienstreise berechtigen nicht zum Bezug von 
Tagegeldern, im letzteren Falle werden vielmehr die Stunden der verschiedenen Dienst- 
reiselage zusammengerechnet. Die Stufen I—IV erhalten an Reisekosten den Fahrpreis 
I. Klasse, die Stufen V—VIII den II. Klasse, die IX, den Fahrpreis III. Klasse er- 
setzt. An Nebenkosten für Beförderung zum Schiff oder zur Bahn werden entsprechend 
1 M., 75 Pf, und 50 Pf. gewährt. Kosten für Gepäck werden besonders erstattet. Bei 
Reisen mit anderen Beförderungsmitteln werden 60 Pf., 40 Pf. und 25 Pf. für das 
Kilometer in Anrechnung gebracht. Das Gesetz tritt mit dem 1. Juli 1913 in Kraft. 


Verordnung vom 1. April 1913, die Vornahme einer statistischen 
Erhebung über die Getreidemühlen betr. S. 96. 


Die Erhebung bezweckt, genaue Nachweise über den Stand des Getreidemühlen- 
gewerbes zu erlangen, daher sind die an landwirtschaftliche Betriebe angegliederte 
Mühlen, die den eigenen Bedarf verarbeiten, nicht miteinbegriffen. Die Aufnahme 
wird vom statistischen Landesamt mit Hilfe der Stadträte, Bürgermeister und Ge- 
meindevorstände durchgeführt. 


Kirchensteuergesetz vom 11. Juli 1913. S. 223. 


Die Kirchengemeinden dürfen Besitzwechselabgabe, Einkommensteuer, Grundsteuer 
und bis Ende 1918 Kopfsteuer erheben, wenn dle Einnahmen aus Kirchenvermögen, 
Gebühren usw. nicht reichen. Die kirchlichen Vorschriften über ihren Haushalt be- 
dürfen der staatlichen Genehmigung. Die vor 1. April 1892 angestellten Geistlichen 
und Lehrer sind von den Steuern befreit, wenn sie nicht in eine andere Stelle über- 
gegangen sind oder keine Gehaltszulagen angenommen haben. 


Schulsteuergesetz vom 11. Juli 1913. S. 250. 


Es enthält dieselben einleitenden Bestimmungen wie das Kirchensteuergesetz. 
Beitragspflichtig zur Schuleinkommensteuer sind alle natürlichen Personen, die im 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 327 


Schulbezirke ihren Wohnsitz haben oder ein Grundstück besitzen oder ein Gewerbe be- 
treiben; jerner die im $ 28, 8—5 des Gemeindesteuergesetzes genannten juristischen 
Personen, Personenvereine und Vermögensmassen, sowie der sächsische Staatsfiskus aber 
mit gewissen Einschränkungen. Befreit von der Schuleinkommensteuer sind die bürger- 
lichen und Kirchengemeinden, die mit der Schulgemeinde ganz oder teilweise zusammen- 
fallen, sowie Kirchen-, Geistlichen- und Schullehen. Befreit von der Schulgrundsteuer 
sind Kirchen, Schulen sowie Gebäude milder Stiftungen und solche, in denen sich 
Dienstwohnungen von Geistlichen und Lehrern befinden. 

Die Steuerordnung bedarf der Genehmigung der Bezirksschulinspektion, für die 
Schul-Besitzwechselabgabe ist die Einwilligung des Ministeriums des Kultus und öffent- 
lichen Unterrichts erforderlich. Die Rittergutsbesitzer haben für die Hälfte des nach 
der Kopfzahl umgelegten Steuerbedarfs nur für ihre unter 14 Jahre alten Familien- 
angehörigen zu zahlen; die übrigen Gutskinder rechnen zur Kopfzahl des Gemeinde- 
bezirks. Im übrigen gelten meist die Bestimmungen des Gemeindesteuergesetzes. 


Gesetz vom 8. Dezember 1913, die vorläufige Erhebung der Steuern 
und Abgaben im Jahre 1914 betr. S. 520. 


Erhoben werden: 

a) Die Einkommensteuer mit den vollen gesetzlichen Beträgen (Normalsteuer) ; 

b) die Grundsteuer nach 4 Pfg. von jeder Steuereinheit; 

c) die Ergänzungssteuer ; 

d) die Steuer vom Gewerbebetrieb im Umbherziehen ; 

e) die Schlachtsteuer, sowie die Uebergangsabgabe von vereinsländischem, die 
Verbrauchsabgabe von vereinsausländischem Fleischwerke ; 

f) die landesrechtliche Erbschaftssteuer für Erwerb, der bereits am 1. Juli 1906 
begründet war; 

g) die landesrechtliche Stempelsteuer. 

Verordnung vom 12. September 1913 zur weiteren Ausführung 
des Gesetzes über die Anstaltsfürsorge an Geisteskranken (vom 12. No- 


vember 1912). S. 383. 


Die Verpjlegesätze betragen 2,50 M. und 4 M. (für Nichtsachsen 8,50 M. und 6 M.), 
die sächsischen Ortsarmenverbände und Gemeinden zahlen 1,25 M. für den Tag. 

Die Ansprüche der Anstalt gehen denen der Armenverbände und Gemeinden vor. 
Ein Erbrecht der Anstalt besteht nur bei Kranken, die ununterbrochen 1!/, Jahr in 
Behandlung waren und nicht den vollen Pflegesatz entrichteten. 


Verordnung vom 23. Dezember 1913, die Krankenfürsorge für 
staatliche Beamte betr. S. 567. 

Wenn ihr Einkommen 2500 M. nicht übersteigt, erhalten sie ihre Dienstbezüge 
26 Wochen fortgewährt. Die Dienstberüge müssen mindestens gleich dem I'/,-fachen 
Betrage des Krankengeldes (RVO. $ 152) sein. Die Universitätsbeamten Leipzigs stehen 
den staatlichen gleich. Zur Invaliden- und Hinterbliebenenversicherung Verpjlichtete 
gelten regelmäßig nicht als Beamte dieser Verordnung. 

Verordnung vom 14. August 1913 über das Lohndienstalter der 
Arbeiter im Staatsverwaltungsdienste. S. 369. 

Die Verordnung von 1911 wird hierdurch aufgehoben. 

Die Militärdienstzeit wird Arbeitern, auch wenn sie vorher nicht im Staats- 
dienst standen, angerechnet, aber nur wenn sie sich während oder sogleich nach der 
Militärzeit um Beschäftigung bewerben. Vor allem müssen sie erst nach dem 1. Sep- 
tember 1913 in den Staatsdienst eingetreten sein. 

Zwei Kirchengesetze vom 10. Juli 1913 über den Haushalt der 
evangelisch-lutherischen Gemeinden und über Kirchengemeindeverbände. 
S. 274 und 377. 

Verordnung vom 15. Dezember 1913 zur weiteren Ausführung des 
Handels- und Gewerbekammergesetzes (1900). 


Die Handelskammern dürfen Gewerbetreibende der in $ 36 RGO. bezeichneten 
Art, deren Tätigkeit in das Gebiet des Handels füllt, öffentlich anstellen und beeidigen. 


328 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Versteigerer, Handelsmakler, Kursmakler, Dispacheure, Feldmesser und Grundstücks- 
schätzer sind nicht miteinbegrifen. Die Vereidigung findet durch den Vorsitzenden 
oder seinen Stellvertreter statt. Das Recht der Anstellung wird hiermit anderen Be- 
hörden entzogen. 

Die Mitgliederzahl der Handelskammer zu Chemnitz wird ab 1. Januar 1914 auf 
80 erhöht. 


Verordnung vom 21. November 1913 zur Vollziehung des Gesetzes 
über einen einmaligen außerordentlichen Wehrbeitrag. S. 437. 


Veranlagungsbehörden sind die Bezirkssteuereinnahmen, Oberbehörden die Kreis- 
steuerrüte. Der Bezirkssteuerinspektor ist Vorsitzender der Einschätzungskommission. 
Für jeden Distrikt oder Ort werden zwei Wehrbeitragslisten ausgefertigt, in Liste A 
kommen alle natürlichen Personen, die vermutlich Vermögen über 10000 M. oder Ein- 
kommen über 4000 M. haben. Aktiengesellschaften sowie Kommanditgesellschaften 
auf Aktien sind in die Liste B aufzunehmen. 

Bei Berechnung des Ertragswertes landwirtschaftlich benutzter Grundstücke sind 
die bei der Einschätzung zur Einkommensteuer ermittelten Reinerträge zugrunde zu 
legen, der persönliche Arbeitsverdienst des Selbstwirtschafters (nebst Ehefrau) ist hierbei 
auszuscheiden. 

Der Grundsteuerreinertrag ist der Ermittelung des Ertragswertes vom Grund- 
besitze nicht zugrunde zu legen. Zwei Hilfslisten zur Berechnung liegen der Ver- 
ordnung bei. 


3. Württemberg. 


Regierungsblatt für das Königreich Württemberg vom 
Jahr 1913 No. 1—34. 


Gesetz vom 5. Februar, betr. die Verlängerung der Gültigkeits- 
dauer des Gesetzes über die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer. 
H 23. 


Die Gültigkeit des Gesetzes von 1908 (bzw. 1909) wird bis zum 31. März 1915 
begrenzt. 


Verfügung vom 15. März, betr. die Viehseuchenumlage für das 
Jahr 1913. S. 78. 

Sie beträgt für jedes Pferd (Esel, Maultier, Maulesel) 10 Pfg., für jedes Stück 
Rindvieh 50 Pfg. Da die Umlage mit den Viehzählungen verbunden werden soll, wird 
die nächste erst am 1. Dezember 1914 stattfinden. 


Verfügung vom 29. April betr. die land- und forstwirtlichen Auf- 
nahmen im Jahre 1913. S. 129. 

Bekanntmachung vom 30. Juni, betr. die Verpflegungsgelder der 
Staatsirrenanstalten. S. 144. 


Das Verpflegungsgeld für württembergische Staatsangehörige beläuft sich auf 
1600—8000 M. in der ersten Klasse 
800—1200 „ » „ zweiten „ 
600 5 a »„ dritten „ 
Der Satz für die dritte Klasse kann auf 470, 800 und 150 M. ermäßigt werden. 


Finanzgesetz vom 17. Juli für die Finanzperiode 1. April 1913 
bis 31. März 1915. S. 181. 


Der Staatsbedarf ist für 1918/14 auf 118669186 M., für 1914/15 auf 121907 154 M. 
festgesetzt, zusammen rund 240,5 Mill. M. Zur Deckung sind bestimmt: Reinertrag des 
Kammerguts rund 98,5 Mül., direkte Abgaben rund 72 Mill., indirekte rund 70,5 Mill. 
Der hiernach sich ergebende Ueberschuß von 681000 M. bleibt zu weiterer Verfügung. 

1. Die Einkommensteuer wird mit 105 Proz. der Einheitssätze (von 1903) erhoben. 

2. Der Steuersatz wird für Grund-, Gebüude- und Gewerbesteuer auf 2,10 Proz. 
Steuerkapitals, für die Kapitalsteuer auf 2,10 Proz. des steuerbaren Jahresertrags 

stimmt. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 329 


3. Die Umsatzsteuer beträgt 1,50 M. von 100 M. des steuerpflichtigen Wertes. 

4. Bei der Malzsteuer wird der Höchstbetrag auf 22 M. für den Doppelzentner 
ungeschrotenen Malzes festgesetzt; nach diesem Satze wird die Ueberganyssteuer von 
geschrotenem erhoben. 

5. Die Biersteuer (Uebergangs-) ist bis 80. September 1918 mit einem Mindestsatz 
von 4,84 M. für den Hektoliter, dann mit 4,78 M. zu erheben. 

6. Die Landeserbschafts- und Schenkungssteuer ist mit 2 Proz. (Mindestsatz) in 
den betreffenden Fällen noch fortzuerheben. 

7. Dsr Zuschlag zur Reichserbschaftssteuer beträgt 20 Proz. 

Das Vorratskapital der Staatshauptkasse wird auf 8 Mill. festgesetzt; zu seiner 
Verstärkung dürfen bis 20 Mill. Schatzanweisungen ausgegeben werden. 

Gesetz vom 18. Juli, betr. Aenderung des Lehrerbesoldungsgesetzes. 
S. 202. 

Die Lehrer erhalten vor Bestehen der zweiten Dienstprüfung ein Tagegeld von 
8,40 M., nach bestandener Prüfung 3,80 M. (Lehrerinnen 3,60 M.), nach weiteren 
12 Dienstjahren 4,20 M. Nach 20-jähriger Dienstzeit beträgt der Satz 5 M. 

Bei unständiger Verwendung wird ein Tagegeld von 2,80 M. gezahlt, das nach 
21 Dienstjahren bis auf 4,20 steigt. 

Bekanntmachung vom 15. Dezember, betr. den Prämientarif für 
die Versicherungsgenossenschaft der Privatfahrzeug- und Reittierbesitzer. 
H 354. 

Der Tarif bringt 8 Gejahrklassen. Die vom Hundert des Entgelts zu entrichtende 
Prämie beträgt 1,20, 1,80 und 2,40 M. 


4. Baden. 


Gesetzes- und Verordnungsblatt für das Großherzogtum 
Baden, Jahrgang 1912, No. 1—52. 


Gesetz vom 8. April, die Abänderung des Wassergesetzes betr. 
S. 233. 


Das Gesetz vom 26. Juni 1899 wird in wesentlichen Punkten abgeändert. Das 
Wassergesetz wird durch Bekanntmachung vom 12. Aprü 1918 in neuem Wortlaut 
herausgegeben. 

Gesetz vom 12. Dezember, die Steuererhebung in den Monaten 
Januar bis mit April 1914 betr. S. 595. 

Verordnung vom 13. Januar, die Abänderung der Landesbauord- 
nung betr. S. 61. 

Unter Kleinhäusern sind Wohngebäude mit höchstens 115 qm Bodenfläche und 
höchstens 2 Hauptgeschossen und 2 Wohnungen zu verstehen. 

Die Nebengebäude dürfen höchstens 25 qm bedecken. 

Wohn- und Arbeitsräume müssen mindestens 10 qm Fläche und Si m Höhe haben. 

Verordnung vom 28. Januar, die Wahlordnung für die Handwerks- 
kammern und deren Gesellenausschüsse betr. S. 103. 

Die Wahlen werden vom Landesgewerbeamt geleitet. . 

Verordnung vom 13. Februar, die Beiträge für die Landwirt- 
schaftskammer betr. S. 124. 

Der Mindestbetrag, den ein Beitragspflichtiger mit einem umlagepflichtigen Steuer- 
kapital von 2000 M. und mehr zu entrichten hat, beträgt 20 Pfg. 

Bekanntmachung vom 4. März, die Landwirtschaftskammer betr. 
S. 173. 


Die neuen Satzungen werden bekanntgegeben. Die Kammer hat ihren Sitz in 
Karlsruhe. Der Vorstand besteht aus 5 Mitgliedern und ebensoviel Stellvertretern. 


330 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Verordnung vom 18. März, die Steuerbefreiung des als Haustrunk 
bereiteten Weines betr. S. 206. 

Verordnung vom 7. August, die Zuwachssteuerverwaltung betr. 
S. 485. 

Bei einem Veräußerungspreis von bis 2000 M. einschließlich ist von einer Steuer- 


veranlagung abzusehen, es sei denn, daß das betreffende Grundstück von einem be- 
bauten Gesamtgrundstück mit über 20000 M. Wert abgetrennt ist. 


Verordnung vom 28. September, die Gemeindebiersteuer betr. 
S. 505. 
Die Gemeinden zahlen an die Zoll- und Steuerkasse für die Erhebung der Bier- 


steuer eine Vergütung von 80 Proz. der Roheinnahme (ohne Abrechnung der nach- 
gelassenen und erstatteten Beträge). 


Bekanntmachung vom 27. November, die Aufhebung der Beamten- 
witwenkasse betr. S. 573. 
Vom 1. Januar 1914 an gehen die Geschäfte dieser Kasse sowie der Militär- 


witwenkasse auf die Landeshauptkasse über, mit Ausnahme der auf die Vermögens- 
verwaltung bezüglichen. 


5. Hessen. 


Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt für das 
Jahr 1913. No. 1—29. 


Gesetz vom 22. Februar, die Heranziehung der Grundstückseigen- 
tümer im Gebiet der Süd- und Südostfront in Mainz zu den Kosten 
des Straßengelände-Erwerbs betr. S. 73. 


Bei der Heranziehung der Grundstückseigentümer zu den Straßenkosten kann die 
Stadt Mainz in die Berechnung der Gelände-Erwerbskosten 4 M. für den Quadratmeter 
erworbenen und zur Straßenanlegung erforderlich gewesenen Festungsgeländes anrechnen, 


Gesetz vom 19. März, die Dienstbezüge der Staatsbeamten und 
Volksschullehrer und ihrer Hinterbliebenen, sowie die Deckungsmittel 
und die Vereinbarung über die Mittel zur Aufbesserung der Hof- 
beamten usw. betr. H 91. 


Das entsprechende Gesetz vom 17. Juli 1912 gilt auch für das Etatsjahr 1913. 


Bekanntmachung vom 10. März, die Aufsicht über die staatliche 
Betriebskrankenkasse betr. S. 93. 


Bis zum Inkrafttreten der Bestimmungen der RVO. bleibt das Ministerium der 
Finanzen, Abteilung für Forst- und Kameralverwaltung, Aufsichtsbehörde. Doch werden 
die Aufgaben, die dem Spruchausschusse des Versicherungsamtes obliegen, schon jetzt 
von dem Vorsitzenden dieses Amtes wahrgenommen. 


Finanzgesetz für das Etatsjahr 1913 vom 19. März. S. 95. 


Von .den direkten Steuern werden die Einkommensteuer um 15 Proz. und die Ver- 
mögensteuer um 227 Proz. erhöht. 

Zur teilweisen Deckung der Ausgaben für das Vermögen soll eine Anleihe von 
6560194 M. aufgenommen werden, deren Zinsfuß nach dem Stande des Geldmarkts 
noch durch die Regierung zu bestimmen ist. Ein Kündigungsrecht steht nur dem Staate 
zu. Zur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals der Haupt-Staatskasse kann 
die Regierung bis zu 10 Mill. Schatzanweisungen, aber nur innerhalb der bereits be- 
willigten Anleihekredite, ausgeben. 

Es wurden bewilligt nach den ständigen Beschlüssen für die Verwaltung insgesamt 
rund 74 Mill. Davon entfallen auf: 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 331 


Ministerium des Innern über 21 Mil. M. 
Ausleihungen und Staatsschuld fast 17 GEN ER 
(Verhältnis zum Reich) Matrikularbeiträge usw. nahezu 6 Mill. M. 


Ministerium der Justiz über 5'/, Mill. M. 
Domänen des Großherz. Hauses über Ai, n» » 
Pensionem wer), n w 
Ausgleichs- und Tilgungsfonds rund 4 gie Aa 
Steuern und Regalien über SÉIL » m 
Ministerium der Finanzen rund 2 Ke 
Nachträge rund 2 Ina 
Staatsministerium FE ER: 
Indisponible und Reservefonds rund 150000 M. 
Landstände rund 150000 


LU 

Für das Vermögen (besonders Staatsdomänen und Reservefonds) wurden 12'/, Mill. 
bewilligt. 

Gesetz vom 31. März über die Aenderung des Gesetzes die Handels- 
kammern betr. (vom 6. August 1912). S. 105. 

Art. 8 erhält eine andere Fassung. Art. 18, wird abgeändert: für die Verteilung 
der Handelskammermitglieder auf diese Abteilungen sind die (Gewerbe-)Steuerwerte des 
gewerblichen Anlage- und Betriebskapitals der Wahlberechtigten maßgebend. Jede Er- 
werbsgruppe muß mindestens 1 Vertreter in der Kammer haben. 

Art. 28 wird ersetzt durch die Bestimmung: die Handelskammern haben einen 
jährlichen Voranschlag dem Ministerium des Innern zur Genehmigung vorzulegen. 

Die erforderlichen Summen werden durch Staatszuschuß und Beiträge der Wahl- 
berechtigten aufgebracht und entweder durch die kammer selbst oder Staats- und Ge- 
meindekassen eingezogen. Rückständige Beiträge werden wie Steuern beigetrieben. Die 
Finanzämter erhalten für Aufstellung der Umlageverzeichnisse usw. Vergütungen. 


Bekanntmachung vom 7. Mai, Unfallversicherung der Provinz Ober- 
hessen betr. S. 129. 

Ausführumgsbehörde der Unfallversicherung für Tätigkeiten der Provinz bei nicht 
gewerbsmäßigem Halten von Fahrzeugen (RVO. $ 628) ist die Großherzogl. Provinzial- 
direktion Oberhessen. - 

Bekanntmachung vom 30. Mai, die Ausführung der landwirtschaft- 
lichen Unfallversicherung betr. S. 131. 

Das Umlagekataster aller Grundsteuerpflichtigen bildet die Grundlage für die Bei- 
träge zur land- und forstwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft, des Trägers der Ver- 
sicherung. 

Gesetz vom 5. Juli, die Aufhebung des kurhessischen Gesetzes 
(vom 28. Juni 1865) über die Verwertung der Forstnutzungen aus den 
Staatswaldungen betr. S. 169, 

Gemeindeangehörige, die bisher Holz aus dem Staatswalde bezogen haben, werden 
mit Geld aus der Staatskasse entschädigt. 

Verordnung vom 20. August, die Enteignung von Gelände aus 
Anlaß der Erbauung einer zweiten Schiffahrtsschleuse bei Kostheim betr. 
S. 173. 


Der Kal. Preuß. Staat erhält das Recht, das in Frage stehende Gelände bei Gins- 
heim im Enteignungswege zu erwerben. 

Bekanntmachung vom 22. September, die Ausführung der Reichs- 
versicherungsordnung betr. S. 177. 

Zu $ 58. Die staatlichen (gemeindlichen) Versicherungsämter können die staat- 


lichen (gemeindlichen) Gesundheits-, Bau- und Gewerbeaufsichtsbeamten sowie technische 
Beamte als Beiräte mit beratender Stimme zum Beschlußverfahren zuziehen. Außerdem 


332 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Ausführungsbestimmungen zu Zë 122, 128, 249, 817—5819, 363, 876, 404, 454 — 456, 459 ff, 
616, 955, 1629. 


Bekanntmachung vom 26. September, die Anweisung für die Auf- 
stellung des Gemeindevoranschlages betr. S. 197. 

Bringt ein Muster für den Zahlenvoranschlag. 

Verordnung vom 26. November, die Beförderung von Personen 
mit Motorbooten auf dem Rhein betr. S. 293. 


Die Untersuchung der Motorboote erfolgt durch das zuständige Wasserbauamt. 
Wer Personen mit seinem Boot befördern will, bedarf eines Erlaubnisscheins, wer das 
Boot nur führen will, muß einen Fahrschein bei dem Wasserbauamt erwirken. 


6. Mecklenburg-Schwerin. 


Regierungsblatt für das Großherzogtum Mecklenburg- 
Schwerin. Jahrgang 1913. No. 1—62. 


Kontributions-Edikt für das Jahr Johannis 1913/14 vom 15. Januar. 
8. 19. 


Die Domanial-Iufensteuer beträgt 77 M., die ritterschaftliche 86 M. Außerdem 
wird die erbvergleichsmäßige landstädtische Steuer von Häusern und Ländereien er- 
hoben. Die ediktmäßige Kontribution (vom 12. Mai 1903) ist mit la des vollen Be- 
trages zu entrichten. 


Verordnung vom 6. Mai, betr. den Erlaß eines Einkommensteuer- 
gesetzes und eines Ergänzungssteuergesetzes nebst Anweisung zur Aus- 
führung dieser Gesetze. S. 121. 


Die beiden Gesetze nebst der Ausführungsanweisung treten mit 1. Juli 1914 in 
Kraft. Die Vorschriften betr. die Veranlagung der Steuerpflichtigen aber schon am 
1. Januar 1914. Die Steuern des Kontributionsedikts sind nur für Si Monate (bis 
1. Juli) noch zu erheben. Es wird eine allgemeine Einkommensteuer erhoben von dem 
gesamten jährlichen Einkommen des Pflichtigen. Steuerfrei bleibt das Einkommen bis 
500 M. bei Personen mit eignem Herd, bis 400 M. bei Personen ohne diesen, bis 200 M. 
bei juristischen Personen und Vereinen, bis 1050 M. bei Kriegsteilnehmern, ferner die 
auf Grund der Reichsversicherungsgesetze errichteten Kassen usw., sowie die kirchlichen, 
gemeinnützigen, wohltätigen und wissenschaftlichen Anstalten, Stiftungen und Vereine. 

Der Steuertarif beginnt mit der Stufe 200—500 M. Einkommen und 2 M. Steuer 
Für je folgende 200 M. steigt die Einkommensteuer um 1 M., bis sie bei 900 M. den Satz 
von 4 M. erreicht. Die nächsten Stufen sind dann um 150 M. voneinander entfernt, 
bis bei 2100 M. die Steuer 31 M. beträgt, dann folgen Stufen mit 300 M. Unterschied, 
bis bei 4500 M. 104 M. Steuer zu bezahlen sind, bis zum Einkommen von 10000 M. 
betragen die Stufen immer 500 M. Die Steuer der 80. Stufe (bis 10000 M.) beträgt 
800 M. S 

Für je weitere 100 M. kommen dann Z M. Steuer hinzu bis 11000 M., dann für 
je 100 M. 8,05 M., 8,10 M., 3,15 M. usw., bis bei Einkommen über 200000 für je 100 M. 
5 M. Steuer zu entrichten sind. Der Tarif bringt 71 Stufen. 

Die Steuer wird in halbjährlichen Beträgen entrichtet. 

Die Ergänzungssteuer beginnt bei 6000—8000 M. Vermögen mit 3 M., steigt dann 
immer um 1 M., wenn das Kapital um 2000 M. steigt, bei 28 000 M. beträgt sie 12 M. 
Dann steigt sie immer um 2 M., während das Kapital um 4000 M. steigt, bei 60000 M. 
beträgt sie 28 M. jährlich. Bis zu 200000 M. Vermögen werden für jede angefangenen 
10000 M. 5 M. Steuer entrichtet. Bei Vermögen von 200000—220000 M beträgt die 
Steuer 100 M. und steigt bei höherem Vermögen für jede begonnenen 20000 M. um je 
10 M. 


Verordnung vom 16. Juli, betr. Bauvorschriften für die Städte des 
Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin. S. 169. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 333 


Umfassungswände müssen mindestens 25 cm stark sein, IHohlmauern mit mindestens 
12 cm dicken Wandungen sind gestattet. In mehrstöckigen Gebäuden muß mindestens 
eine belastete Innenwand massiv sein in einer Stärke von 1 Stein durch alle Geschosse, 
mit Ausnahme des Dachgeschosses. 

Besondere Vorschriften sind erlassen für Bäckereien, Seifensiedereien, Branntwein- 
brennereien, Brauereien, Laboratorien, Töpferöfen, Rüucheranlagen, Werkstätten der 
Holzarbeiter, Kornmieten, Schwefelkammern. Alljührlich zu Ostern ist eine Feuerschau, 
von 10 zu 10 Jahren eine Revisitation der baulichen Einrichtungen der Stadt vorzu- 
nehmen. Diese Bestimmungen finden auj die Seestädte Rostock und Wismar keine An- 
wendung. 

Ausführungsverordnung vom 17. Januar zum Versicherungsgesetze 
für Angestellte (vom 20. Dezember 1911). S. 27. 

Verordnung vom 7. Februar, betr. Ergänzung des § 22 der Or- 
ganisation der Großherzoglichen Eisenbahnverwaltung. S. 35. 


Auf die Disziplinargewalt der Kapitäne der Füährschiffe findet die Seemanns- 
ordnung ($ 84—92) entsprechende Anwendung. 


Verordnung vom 14. März, betr. den Schutz von Strandgewächsen. 
S. 76. 

Verordnung vom 28. März, betr. Vogelschutz. S. 86. 

Verordnung vom 10. Mai, betr. die land- und forstwirtschaftlichen 
statistischen Erhebungen und die Obstbaumzählung im Jahre 1913. 
S. 117. 

Bekanntmachung vom 12. November, betr. Ergänzung der Satzungen 
der Mecklenburgischen Handwerkskammer. S. 281. 

Bekanntmachung vom 9. Dezember, betr. die Besteuerung des 
Wertzuwachses. S. 333. 


7. Mecklenburg-Strelitz. 


Großberzoglich Mecklenburg-Strelitzscher Offizieller 
Anzeiger für Gesetzgebung und Staatsverwaltung 1913. 
No. 1—66. 


Bekanntmachung vom 1. Juli, betr. die Normalpreise des Korns 
im Steuerjahr 1913/14. S. 190. 

Sie beziehen sich auf 1 Scheffel; der Preis für Weizen (84 Pfund) beträgt 7,48 M., 
für Roggen (80 Pfund) 6,40 M., für Gerste (70 Pfund) 5,77 M., für Hafer (48 Pfund) 
8,89 M., für Erbsen (88 Pfund) 7,79 M. 

Verordnung vom 6. Mai, betr. den Erlaß eines Einkommensteuer- 
gesetzes und eines Ergänzungssteuergesetzes nebst Anweisung zur Aus- 
führung dieser Gesetze. S. 229. 

Verordnung vom 10. Dezember, betr. die Besteuerung des Wert- 
zuwachses. S. 385. 

Verordnung vom 16. Juli, betr. Bauvorschriften für die Städte im 
Herzogtum Strelitz. S. 243. 

Bekanntmachung vom 13. August, betr. die Ausfuhr von Kartoffeln 
nach Südafrika. S. 267. 

Sie gibt Vorschriften für die Verpackung usw. 

Bekanntmachung vom 9. Dezember, betr. Erteilung von Wander- 
gewerbescheinen. S. 388. 


334 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Bekanntmachung vom 13. Juli, betr. Erhebung der Schiffahrtsab- 
gaben für den Schiffahrtsverkehr auf dem Kammerkanal und den zuge- 
hörigen Seen. S. 209. 


8. Oldenburg. 


Gesetzblatt für das Herzogtum Oldenburg. 38. Band 
(Stück 35—69). 

Finanz-Gesetz für das Jahr 1913 vom 4. Januar 1913. S. 337. 

Der Voranschlag für das Großherzogtum ergibt 980500 M. Einnahmen und Aus- 
gaben, der des Herzogtums 12311000 M. Einnahmen und 12743315 M. Ausgaben, der 
des Fürstentums Lübeck 1147000 M. Einnahmen und 1288760 M. Ausgaben und end- 
lich der des Fürstentums Birkenfeld 1070125 M. Einnahmen und 1141945 M. Aus- 
gaben. . 
Als Betriebsfonds der Zentralkassen gehen 300000 M., 600000 M., 150000 M. und 
250000 M., insgesamt 1800000 M. aus 1912 in das Jahr 1918 über. 

Die Gesamtsumme der Einnahmen beträgt 15508625 M., die der Ausgaben 
16154520 M. 

Bekanntmachung vom 11. Januar, betr. Bekanntgabe der geänderten 
Besoldungsordnung für den Zivildienst des Großherzogtums. S. 381. 

Bekanntmachung vom 11. Januar, betr. Bekanntgabe der geänderten 
Eisenbahngehaltsordnung. S. 431. 

Bekanntmachung vom 11. Januar, betr. Bekanntgabe der geänderten 
Bestands- und Aufwandsordnung für die Gendarmerie im Herzogtum 
Oldenburg und im Fürstentum Lübeck. S. 441. 

` Gesetz vom 15. März 1913, betr. Aenderung des Gesetzes über 


die Besoldung der Lehrer und Lehrerinnen an den Volksschulen. 
S. 478. 


$ 28 erhält einen dritten Absatz. Danach kann sich ein Lehrer nachträglich den 
Bestimmungen des Besoldungsgesetzes unterwerfen. 


Gesetz vom 15. März, betr. die Besteuerung kinematographischer 
Vorstellungen. S. 479. 


Die Gemeindeabgabe darf 15 Proz. des Eintrittspreises nicht übersteigen. Befreit 
sind Vorstellungen, bei denen ein höheres Interesse der Kunst oder Wissenschaft ob- 
waltet oder die ausschließlich Belehrungs- oder Unterrichtszwecken dienen, ferner solche, 
die der Genehmigung nach $ 60a RGO. bedürfen. 


Gesetz vom 25. März, betr. die Einrichtung eines Schuldbuches der 
Staatlichen Kreditanstalt des Herzogtums Oldenburg. S. 483. 

Für die 8-proz. und 4-proz. Anleihen werden getrennte Abteilungen des Schuld- 
buches angelegt. 


9. Sachsen-Weimar-Eisenach. 


Regierungsblattfürdas Großherzogtum Sachsen-Weimar- 
Eisenach auf das Jahr 1913. 97. Jahrgang. No. 1—43. 


Steuergesetz für 1914, 1915, 1916 vom 12. Juni 1913. S. 109—112. 


A. An indirekten Steuern, Aufwands- und Verkehrssteuern werden außer und 
neben den Reichssteuern erhoben: 

1) Die Kontrollabgabe von Vieh- und Gewerbesalz. 2) Die Steuer für die Haltung 
von Hunden. 8) Die Steuer vom Gewerbebetrieb im Umherziehen. 4) In einem Amts- 
gerichtsbezirk (Ostheim) der Malzaufschlag, die Uebergangsabgaben von Bier und ge- 
schrotenem Malze. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 335 


B. An Steuern vom Einkommen (nach Gesetz vom 11. März 1908 mit Nachtrag 
vom 80. März 1909): 
1) Die Einkommensteuer. 2) Die Abgabe vom Reinertrage der Eisenbahn. 8) Die 
Ergänzungssteuer. 
1) Die Steuer beginnt bei einem Einkommen von 500 M. mit 3,60 M., bei 900 M. 
erreicht sie 1 Proz. 
Bei 900— 8000 M. steigt sie in Stufen von 100 M. um je 8 M. 
Ui 3 000— 15 000 A8 Di » Li ”„ An 300 Hi n n 12 3 
a 15000—18 000 ,„ Hi a 0 HI H 500 n nnl, 
D 18 000—24 000 Hi Hi nm a DI DI 500 DH n» 21 Hi 
”» 24 000— 80 000 Di ” Hi k/ n LI 500 HI n Mi 24 Hi 
DI 80 000—40 000 Hi HI »» Hi HI LI 1000 LA Hi Di 40 n 
Die höheren Einkommen werden immer auf eine durch 10 teilbare Zahl ab- 
gerundet. 
Die Einkommen über 40 000—50 000 M. zahlen 4,25 Proz. Steuer 


nm b » 50 000—?0 000 » H 450 y H 
D „ » 70000—90 000 ,„ nm 5 y Pr} 
LO Di n 90 000 UI HI 5,00 ” UI 


Die niederen Einkommen unter 500 M. zahlen 0,60—8,60 M. Steuer, wenn sie 
aus Grund- und Gebäudebesitz, Gewerbe- und Handelsanlagen oder sonstigen Betriebs- 
stätten fließen. 

Ortsgesetz für die Residenzstadt Eisenach den Schlachthofzwang 
betr. vom 12. April 1913. S. 79—81. 

Nachtrag vom 19. Mai 1913 zum Gesetz vom 6. März 1878, die 
von den Armenverbänden im Großherzogtum zu erstattenden Armen- 
pflegekosten betr. S. 101—103. 

Nur für die Verpflegung eines erkrankten oder arbeitsunfähigen Hilfsbedürftigen 
haben die Armenverbünde einander zu erstatten für den Tag 60 Pfg. (unter 14 Jahren) 
und 90 Pfg. Beerdigungskosten dürfen höchstens 15 (unter 14 Jahren) und 25 M. be- 
tragen. Die Sätze sind dieselben wie in Preußen. 


10. Sachsen-Meiningen. 


Sammlung der landesherrlichen Verordnungen im 
Herzogtum Sachsen-Meiningen. 29. Band. No. 75—81. 


Gesetz vom 11. Juli 1913 betr. die Vermögenssteuer. H 391. 

Möbel, Hausrat und undere bewegliche körperliche Sachen bis zum Gesamtwerte 
von 10000 M. sind frei, aber nur dann, wenn sie nicht Zubehör eines Grundstücke 
sind oder als Bestandteil des Anlage- und Betriebskapitals zu besteuern sind. 

Gesetz vom 12. Dezember 1913 betr. die Zuwachssteuer nach den 
Reichsgesetzen vom 14. Februar 1911 und 3. Juli 1913. S. 397—401. 

Die Zuwachssteuer wird mit dem vollen Betrage erhoben; davon fließen 75 Proz. 
den Gemeinden und Gemarkungen zu, 25 Proz. der Staatskasse. Dem Erwerbspreis 
werden bei unbebauten Grundstücken 2\/, Proz., bei bebauten 1'|, Proz. des Erwerbs- 
vreises für jedes volle Kalenderjahr des Zeitraums, der für die Steuerberechnung maß- 
gebend ist. Wenn dieser Zeitraum nicht mehr als 5 Jahre beträgt, ermäßigt sich der 
Zuschlag bei unbebaut gebliebenen Grundstücken auf die Hälfte. 


LL. Sachsen-Altenburg. 


Gesetzsammlung für das Herzogtum Sachsen-Altenburg 
auf das Jahr 1913. Stück 1—11. 


Steuerausschreiben auf die Jahre 1914, 1915, 1916 vom 23. Dezember 
1913. S. 149. 


336 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Erhoben werden 1) Grundsteuer. 2'/, Pro, von der Reinertragseinheit, Grund- 
besitzer, die nicht Einkommensteuer zahlen, 5 Pfg. 

2) Die Einkommensteuer. 8) Ergünzungssteuer. 4) Steuer vom Gewerbebetrieb im 
Umbherziehen. 5) Eisenbahnsteuer. 6) Landeserbschaftssteuer. 7) Stempelsteuer. 8) Jagd- 
scheinabgabe. 9) Kohlenbergbauabgabe. 10) Reichs- und Landeszuwachssteuer. 11) Fleisch- 
steuer. 

Gesetz vom 18. Dezember 1913, betr. die Gewährung von Beihilfen 
aus der allgemeinen Schulkasse. S. 145. 

Die städtischen Schulgemeinden erhalten 12 M. jährlich für jedes der ersten 
500 Schulkinder, 10 M. für jedes weitere Kind, für jede Hilfsschulklasse 600 M. Zuschuß 
vom Staate. 

Die ländlichen Schulgemeinden erhalten laufende Beihilfen auch zur Erneuerung 
von Schulhäusern. 

Gesetz vom 21. Dezember 1913, die Erhebung einer Abgabe vom 
Kohlenbergbau betr. S. 146. 

Auker den allgemeinen Steuern ist eine Förderabgabe von 2'|, Pfg. für jede Tonne 
Kohlen oder Torf zu entrichten. Die Zahlung beginnt nach Ablauf eines Freijahres. 
Im Betriebe gebrauchte Kohle oder Torf bleiben frei. 


12. Sachsen-Coburg-Gotha. 


Gesetzsammlung für das Herzogtum Coburg. 
No. 1—32. Jahrgang 1913. 


Gesetz vom 21. Januar 1913, betr. Abänderung des Einkommen- 
steuergesetzes (vom 20. März 1900). S. 41. 

Außerhalb des Herzogtums Wohnende zahlen bei Einkommen von 60—1800 M. 
2 Proz. jährlich, von mehr als 1800—8200 M. 8 Proz. 

Abgabengesetz vom 30. März 1913 auf die Finanzperiode 1913 
—1915. S. 161. 

Erhoben werden 1) Grundstener mit 1'/, Steuereinheiten. 2) Einkommensteuer. 
3) Eisenbahnabgabe. 4) Malzaufschlag. 5) Anteil an der Hundesteuer. 6) Jagdschein- 
abgabe. 7) Abgabe vom Gewerbebetrieb und Umsatzsteuer vom Güterhandel. 8) Bergbau- 
abgabe. 9) Gebühren in Verwaltungssachen. 10) Anteilige Erbschafts- und Schenkungs- 
abgabe. 11) Anteil an der Reichs- Wertzuwachssteuer. 

Gesetz vom 30. März 1913 den Voranschlag für den Staatshaus- 
halt betr. S. 157. 


Einnahmen: Vom Staatsvermögen 53000 M., aus Domänen 258200 M., aus Steuern 
und Abgaben 954925 M. zusammen nebst vermischten Einkünften 1445800 M. 

Ausgaben: Innere Verwaltung und Finanzwesen 245690 M., allgemeine Ver- 
waltung 106850 M., Kirchen-, Schul- und Unterrichtswesen 382700 M., Passivkapitalien 
1183250 M., Zuschuß zur gemeinschaftlichen Rechnung 235110 M., Verkehrsanstalten 
99150 M., zusammen nebst vermischten Ausgaben 14465800 M. 


Gesetzsammlung für das Herzogtum Gotha. 
Jahrgang 1913. No. 1—43. 


Gesetz vom 7. März 1913, die Aufnahme einer Schuld der Staats- 
kasse von 1250000 M. betr. S. 115. 

Aufgenommen bei der Landeskreditanstalt in Gotha, zu verzinsen mit 4 Proz. und 
zu tilgen mit 1 Proz. Kündigung des vollen Betrages jederzeit. 

Gesetz vom 26. April 1913 die Aufnahme einer Schuld von 
340000 M. betr. S. 155. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 337 


Gesetz vom 7. März 1913, zur Abänderung des Gesetzes, betr. das 
Staatsschuldbuch (30. September 1903). S. 109. 


13. Braunschweig. 


Gesetz- und Verordnungssammlung für die Herzoglich 
Braunschweigischen Lande. 100. Jahrgang. 1913. 
No. 1—81. 


Verordnung vom 10. Februar wegen des Inkrafttretens des Ge- 
setzes, betr. die Rittergüter des Herzogtums. S. 37. 

Gesetz vom 5. April über die Gemeindeschulen. S. 91. 

Gesetz vom 28. März über die Ergänzung der Gehaltsordnung für 
die Staatsbeamten (17. Juni 1910) und des Gesetzes über die Gewährung 
von Wohnungsgeldzuschüssen (9. März 1911). S. 49. 

Gesetz vom 9. Mai über die Braunschweigische Landesbrandver- 
sicherungsanstalt. S. 171. 

Verordnung vom 24. September betr. Abänderung des Stempel- 
gesetzes. S. 287. 

Für die vom 1. Oktober ab ausgestellten Versicherungsverträge und -scheine und 
deren Verlängerungen kommt ein Landesstempel nicht zur Erhebung. 

Gesetz vom 9. Oktober über die Besteuerung des Wertzuwaclses. 
S. 303. 


Die laut Gesetzes von 1911 zu erhebende Zuwachssteuer fällt mit dem 1. Juli 1918 
Zort, doch können die Gemeinden durch Statut eine Abgabe einführen. Das Zuwachs- 
steueramt bleibt noch bis zum Erlaß einer entsprechenden Verordnung bestehen. 


14. Anhalt. 


Gesetzsammlung für das Herzogtum Anhalt. 
Jahrgang 1913. No. 1863—1388. 


Gesetz vom 16. März, betr. die Abänderung des Staatsschulden- 
verwaltungsgesetzes. S. 175. 

Gesetz vom 29. März, betr. die Abänderung des Witwenkassen- 
gesetzes. S. 181. 

Die Witwenpension beträgt mindestens 450 M. und höchstens 4000 M. Im den 
meisten Fällen A1, des letzten pensionsfähigen Diensteinkommens. Bei Einkommen unter 
3000 M. erhöht sich die Pension auf Ha, alle Gehälter zwischen 8000 M. und 4000 M. 
bedingen 1000 M. Witwenpension. 

Gesetz vom 16. Mai, betr. die anderweitige Regelung der Beamten- 
besoldung. S. 207. 


Es hebt das Gesetz von 1909 (bezw. 1911) auf. Die Aenderungen dieses neuen 
Gesetzes treffen vor allem die Anlagen B und E der Normalbesoldungstarife, d. h. die 
Gehälter der Verwaltungs- und nicht-richterlichen Beamten sowie der technischen Beamten 
der Salzwerksverwaltung. 

Zur Durchführung der Besoldungsvorlagen sind 700000 M. im Etat vorgesehen. 

Gesetz vom 23. Mai, den Hauptfinanzetat des Herzogtums Anhalt 
für das Jahr vom 1. Juli 1913/14 betr. S. 227. 

Der Etat schließt in Einnahme und Ausgabe mit 17,6 Mill. ab. 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID. 22 


338 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Die ordentlichen Ausgaben belaufen sich auf 15,5 Mill., wovon entfallen auf: 


I. Regierung rd. 5,7 Mill. VI. Pensionen rd. 0,9 Mill. 
II. Bergwerk E VII. Kultus ag, D ` om 
III. Allg. Staatsverwaltung „ 16 „ VIII. Bauwesen er DË. ep 
IV. Finanzverwaltung eur ACEL D IX. Hauptsteueramt TO Ze? 
V. Justizverwaltung an JN nm X. Staatsschuldenverwaltung „ 04 » 

Die eigenen Einnahmen setzen sich zusammen aus: 

I. Bergwerke 4,9 Mil. IV. Steuerverwaltung 2,9 Mill. 
II. Domanialverwaltung 39 a V. Sporteln u. ä. BEN 
III. Außerordentl. Einnahme 8,6 , VI. Staatsschuldenverwaltung 52000 M. 


Für das Reich wurden 16 Mill. vereinnahmt, davon entfielen über 10,1 Mill. auf 
die Rübenzuckersteuer. 


15. Schwarzburg-Sondershausen. 


Gesetzsammlung für das Fürstentum Schwarzburg- 
Sondershausen vom Jahre 1913. Stück 1—36. 


Gesetz vom 15. November 1913, betr. die Aufbesserung der Bezüge 
der Altpensionäre. S. 167. 

Das Wartegeld sowie das Ruhegehalt, das Witwen- und Waisengeld werden den 
Staatsbeamten, Geistlichen und Volksschullehrern um 10 Proz., 15 Proz. und 20 Proz. 
erhöht. Das Wartegeld auf ein Nebenamt bleibt dasselbe. Das Witwengeld und die 
Hinterbliebenenpensionen sind auf mindestens 300 M. festgesetzt. 

Gesetz vom 3. Dezember 1913, betr. die Unterbringung Heil- und 
Pflegebedürftiger. S. 183. 

Vom 1. April 1916 ab trägt die Kosten der Verpflegung, Erziehung und Aus- 
bildung zunächst die vorläufig unterstützungspflichtige Gemeinde, unbeschadet der Er- 
stattungspflicht des endgültig verpflichteten Armenverbandes. 

Gesetz vom 27. Dezember 1913 betr. die Aufnahme usw. von 
Staatsanleihen. S. 217. 


Zum Neubau eines Staatsschulgebäudes Anleihe von 300000 M. (Tilgung mit 1 Proz.) 
zur Straßeninstandsetzung 1 Mill. Anleihe und noch einmal 350000 M. 


16. Schwarzburg-Rudolstadt. 


Gesetzsammlung für das Fürstentum Schwarzburg- 
Rudolstadt 1913. Stück 1—30. 


Bauordnung vom 4. März 1913. S. 81—133. 


1. Abschnitt. Bauberechtigung und Bauvorschriften im allgemeinen. 

2. Abschnitt. A. Bebauungspläne, Straßen und Plätze. B. Umlegung von Bau- 
grundstücken. 

8. Abschnitt, Polizeiliche Bestimmungen für die einzelnen Bauwerke. 

A. Allgemeine Bestimmungen. B. Art, Lage und Umfang der Bauwerke, An- 
forderungen im Interesse der Umgebung und des öffentlichen Verkehrs. C. Anforde- 
rungen an die Bauwerke in bezug auf Sicherheit und Gesundheit. 

4. Abschnitt. Nachbarrechtliche Bestimmungen. 

5. Abschnitt. Verfahren in Bausachen. 

6. Abschnitt. Schluß- und Uebergangsbestimmungen. 


Gesetz vom 22. März 1913 betr. die Besoldung der Staatsbeamten. 
S. 135—144. 


Aufbesserung jedes Beamten um mindestens 8 Proz. Neue Besoldungsordnung. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 339 


Gesetz vom 25. März 1913 betr. die Besoldung der Volksschul- 
lehrer. S. 145. 

Grundgehalt 1800 M., steigt in 9 Alterszulagen um 1700 M. bis zum Höchstgehalt 
von 8000 M. 

Gesetz vom 3. März 1913 betr. die Zerschlagung von Grundbesitz. 
S. 151. å 


Die Besitzwechselabgabe besteht aus einer Grundabgabe von 8 Proz. des Wertes 
und einem Zuschlag, der nach dem Gewinn aus der Zerschlagung bemessen wird. 


Gesetz vom 23. März 1913 betr. den Staatshaushaltsetat für die 
Finanzperiode 1912 bis 1914. S. 159. 

Der Etat balanziert in Einnahme und Ausgabe mit 8377718 M. 

Einnahme: Forsterträge D, Mill., Einkommensteuer 675000 M., Gerichtssporteln 
230000 M., Gewerbe- und Betriebssteuer 100000 M., Bergregal 112700 M. 

Ausgaben: Finanzen 985666 M., Allgemeine Staatsverwaltung 781889 M., Kirche 
und Schule 591664 M., Innere Verwaltung 496763 M., Justiz 841086 M., zur Erhöhung 
der Besoldungen 180650 M. 

Einkommensteuergesetz vom 28. Juni 1913. S. 243. 


558 Steuerstufen beginnend bei einem Gehalt von über 200 M. mit 60 Pfg., bei 
1000 M. Einkommen mit 15 M., bei 3000 M. mit 72 M., bei 5000 M. mit 132 M., bei 
10000 M. mit 860 M., bei 20000 M. mit 768 M., bei 80000 M. mit 1200 M. Die höchste 
Stufe wird mit 998000 M. bis 1 Mill. Einkommen erreicht, hier beträgt die Steuer 
53460 M. 

Für jedes Kind, das nicht über 15 Jahre alt ist, soll von den Einkommen bis 
8000 M. einschließlich der Betrag von 60 M. abgezogen werden. Bei drei oder mehr 
Kindern dieses Alters findet eine Ermäßigung um mindestens eine Stufe statt. 


17. Waldeck. 


Fürstlich-Waldeckische Regierungsblätter vom Jahre 
1913. No. 1—37. 


Gesetz vom 6. Januar, betr. die Gebühren der Hebammen. S. 53. 

Ordnung der Prüfung für die endgültige Anstellung der Volks- 
schullehrer vom 28. Januar. 8. 14. 

Gesetz vom 9. Januar, betr. den Anschluß der in Waldeck-Pyrmont 
wohnhaften Aerzte an die Aerztekammer der preußischen Provinz 
Hessen-Nassau. S. 63. 

Drei Bekanntmachungen vom 19. Juni, 6. August und 3. November, 
betr. die Erhebung der Landeskirchensteuer. S. 131, 150 u. 187. 


17 Proz. der gesamten direkten Staatssteuern sind als Kirchensteuer erforderlich. 
Die Umlagerollen betragen in den 4 Kreisen zusammen 67 661 M. 


18. Reuß 3. L. 


Gesetzsammlung für das Fürstentum Reuß älterer Linie, 
1913. Nr. 1—10. 


Gesetz vom 19. April 1913, betreffend Gewährung von Staats- 
zuschüssen zur Besoldung der Volksschullehrer und -Lehrerinnen. S. 23. 

Gesetz vom 19. April 1913, die Unfallversicherung für Land- und 
Forstwirtschaft betr. S. 24. 


22+ 


340 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Sitz der Berufsgenossenschaft ist Greiz. Gefahrklassen werden nicht gebildet. 
Alle Unternehmer mit nicht mehr als 3000 M. Einkommen sind samt ihren Ehegatten 
versichert. Familienangehörige unter 10 Jahren sind frei. 

Gesetz vom 19. Mai, betreffend die Kosten des Berufungsverfahrens 
in Staatssteuersachen. S. 46. 

Für die Entscheidung der Berufungskommission eine Gebühr von 1—50 M. 

Gesetz vom 5. Mai zur Abänderung einiger gesetzlichen Bestim- 
mungen über die Pensionsverhältnisse der Hinterbliebenen von Staats- 
dienern, Geistlichen, Lehrern und Kirchendienern. 8 29. 


Die gesetzliche Witwenpension wird auf 1. des letzten Diensteinkommens erhöht. 
Bei mehr als 5 Dienstjahren beträgt die Pension mindestens 860 M., höchstens aber 
-80 Proz. des letzten Diensteinkommens. Die Waisenversorgung wird bis zum vollendeten 
21. Lebensjahre ausgedehnt. 


19. Reußj. L. 


Gesetzsammlungfür das Fürstentum Reuß jüngerer Linie. 
1913. No. 816—830. 


Verordnung vom 11. Januar 1913, betr. die Anlegung und Führung 
der Flurbücher, Flurkarten und Kataster, sowie ihre Verbindung mit 
dem Grundbuche. S. 27—66. 


1. Abschnitt. Kataster, Flurbücher, Flurkarten und ihre Führung. $$ 1—40. 
2. n Berechnung und Verteilung der Grundsteuer. Zë 41—52. 

8. F Die Aufstellung neuer Kataster. Zë 58—75. 

4. E Kosten. $$ 76—80. 

5. e Allgemeine und Schlußbestimmungen. Eë 81—84. 


Gesetz vom 24. Juni 1913, die Abänderung des Besoldungsgesetzes 
(1. Juni 1911) betr. S. 71. 

Gesetz vom 25. Juni 1913, eine Abänderung des Gesetzes (2. Juni 
1911) über die Besoldungen der Geistlichen und die Versetzung von 
Geistlichen in den Ruhestand betr. S. 73—74. 

An Alterszulagen werden gewährt: 

nach 3-jähriger Dienstzeit 400 M. 


Hi 6- A9 Hi 800 DI 
Hi 9- Hi H 1800 ” 
Hi 12- DI Hi 1800 Hi 
n»n 15- » HI 2200 ,„ 
H 18- Vi H 2600 Hi 
p fl- p» H 8100 


Gesetz vom 25. Juni 1913, eine weitere Abänderung des Gesetzes 
(30. März 1905) über die Besoldungen der Volksschullehrer. S. 75—76. 
Die Alterszulagen betragen: 


nach Sjähriger Dienstzeit 250 M. nach 15-jähriger Dienstzeit 1150 M. 
» 6- A DI 450 DI H 18- D DI 1850 Di 
HI 9- DI DI 700 DI DH 21- DI DI 1600 HI 
” 12- ” HI 900 DI DI 24- DI ” 1800 H 
20. Lippe. 
Gesetzsammlung für das Fürstentum Lippe 1913. 
No. 1—27. 


Gesetz vom 26. März zur Abänderung des Baufluchtliniengesetzes 
(von 1899). S. 19. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 341 


Gesetz vom 26. März wegen Aenderung des $ 42 des Ergänzungs- 
steuergesetzes (von 1912). S. 20. 

Gesetz vom 19. April, betr. die Genossenschaftsversammlung der 
landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft für das Fürstentum Lippe. 
S. 30. 

Nahrungsmittelverordnung vom 6. Oktober. S. 75. 

$2. Auf je 1000 Einwohner müssen jährlich mindestens 80 Kontrolluntersuchungen 
ausgeführt werden. 

Gesetz vom 6. Dezember, betr. die Wirkung des Steuererlasses 
auf das Gemeindebürgerrecht. S. 99. 

Durch die Steuerbefreiung wird das Bürgerrecht weder verloren, noch sein Erwerb 
gehindert. 

Gesetz vom 22. Dezember, die Besoldung der staatlichen Beamten, 
der Volksschullehrer und -Lehrerinnen betr. S. 103. 

Gesetz vom 22. Dezember, betr. Erhöhung der Ruhegehälter der 
Staatsbeamten und Volksschullehrer, der Witwen- und Waisenpensionen, 
sowie der Unterstützungen. S. 116. 


21. Lübeck. 


Sammlung der Lübeckischen Gesetze und Verordnungen. 
Jahr 1913. 80. Band. 


Zweiter Nachtrag vom 15. Februar zur Verordnung vom 16. Januar 
1895, die Gesindekrankenkasse betr. S. 33. 

Der Beitrag für jeden Dienstboten beträgt 12,80 M. jährlich, wovon die Herr- 
schaften 8,80 M. aus eigenen Mitteln zu zahlen haben; die übrigen 4 M. können sie 
ratenweise vom Lohn abziehen. 

Verordnung vom 5. April, betr. die Erhebung eines außerordent- 
lichen Zuschlages zur Einkommensteuer für das Rechnungsjahr 1913. 
8. 57. 

Der Zuschlag beträgt 18 Proz. für alle Einkommen über 1200 M. 

Gesetz vom 12. April, betr. die Erhebung einer Neupflasterungs- 
abgabe. S. 58. 

Die einmalige Abgabe beträgt 4°/,, des gemeinen Wertes. 

Gesetz vom 23. Mai, betr. besondere Bau- und Anbauvorschriften 
für das Strandgebiet des Stadtteils Travemünde. S. 92. 


Der Bauwich (Entfernung der Gebüude von der Nachbargrenze) muß mindestens 
2'|, Meter betragen. Die Gebäude dürfen nicht mehr als 2 Obergeschosse haben, und 
zwar muß das zweite schon als Dachgeschoß ausgebaut werden. Der First des Daches 
darf höchstens 14 Meter über der mittleren Höhe des vom Gebäude eingenommenen 
Platzes liegen. 


Einkommensteuergesetz vom 11. November. S.. 175. 


Einkommen unter 600 M. jährlich bleibt steuerfrei. 

Der Einheitssatz der Steuer beträgt bei Einkommen von 600—700 M. jährlich 
0,80 M.; bei 700—800 M. jährlich 1 M. Für je 100 M. über 800 M. Einkommen sind 
0,40 M., 0,60 M. usw. bis 1,80 M. mehr zu zahlen. Bei Einkommen über 40.000 M. 
beträgt die Steuer 1,6 Proz. 


Gesetz vom 18. November, betr. die Gesindekrankenkasse. S. 203. 


Der Beitrag beträgt 1,50 M. monatlich und wird zur Hälfte von der Herrschaft 
getragen. Das Gesetz beruht in den Hauptpunkten auf der RVO. 


342 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


22. Bremen. 


Gesetzblatt der freien Hansestadt Bremen, Jahr 1913. 
(No. 1—54.) 


Gesetz vom 25. Februar, betr. den Ausschluß von Landkranken- 
kassen für das Bremische Staatsgebiet. S. 67. 
Gesetz vom 11. März, betr. die Wassersteuer. S. 91. 


Sie beträgt 0,25°/,, des Gebüudesteuerwertes für den Eigentümer, 0,5 Proz. des 
Mietzinses für den Mieter. 


Gesetz vom 27. April, betr. die Einkommensteuer für das Rechnungs- 
jahr 1913. 8. 129, 


Die Einkommensteuer wird in der Stadt Bremen mit "7 im übrigen Staats- 
gebiete mit 7 Einheiütssätzen erhoben. 


Gesetz vom 18. Juli über den Bau von Kleinhäusern. S. 259. 
Gesetz vom 28. November, betr. die Firmen- und Gewerbesteuer. 


S. 339. 
Die steuerpflichtigen Betriebe werden in 5 Abteilungen eingeteilt. 


Die geringsten und höchsten Steuersätze sind: | Der mittlere Steuersatz beträgt: 
Abt. I. 2000 M. und 40000 M. Abt. I. 4600 M. 
„ I: 60, „ 199, „ II. 1200 „ 
zu, d, Je, 55 599 „ „ III. 850 „ 
e AER > 2 179 5 an ZE, Dë a 
» V. 10n p 59» » V. 28 y 


Wenn bei diesen Sätzen der Ertrag hinter 1150000 M. zurückbleibt, können diese 
Sätze erhöht werden. 


23. Hamburg. 


Gesetzsammlung der freien und Hansestadt Hamburg. 
50. Band. Jahrgang 1913. 


Gesetz vom 3. Januar über den Begriff „Etagenhaus“ im Sinne 
des Gesetzes, betr. den Bebauungsplan für die Vororte auf dem rechten 
Elbufer (vom 30. Dezember 1892). I. S. 3. 

Gesetz vom 27. Januar, betr. die Gewährung einer Anwartschaft 
auf Ruhegeld und Hinterbliebenen-Rente an staatliche Angestellte. 
-LS. 28. 

Ortsstatut vom 4. Juli, betr. die Sonntagsruhe im Handelsgewerbe 
in der Stadt Hamburg. I. S. 119. 

Die nach $ 105b II der GO. zulässige Beschäftigung wird eingeschränkt auf 
3 Stunden, im Blumenhandel und Speditionsgewerbe auf ZIL Stunden. 

Verordnung vom 10. November, betr. Forterhebung der Wert- 
zuwachssteuer. I. S. 133. 

Gesetz vom 3. Dezember. betr. Aenderung der Hamburgischen 
Erbschaftssteuer. I. S. 184. 


Der Zuschlag beträgt 80 Proz. für Abkömmlinge ersten Grades von Geschwistern, 
”„ HI Ui zweiten 13 Hi HI 
66?/, Proz. für uneheliche, vom Vater anerkannte Kinder 
und deren Abkömmlinge. 
Gesetz vom 12. Dezember, betr. Aenderung der Erbschaftssteuer- 
behörden. I, S. 188. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 343 


24. Elsaß-Lothringen. 
Gesetzblatt für Elsaß-Lothringen, 1913, No. 1—23. 


Gesetz vom 16. April, betr. Beteiligung des Staates an Kali- 
werken. S. 13. 


Das Ministerium darf zwecks Beteiligung an solchen Unternehmungen Anleihen 
bis zu 6 Mill. aufnehmen, deren Zinsfuß 4 Proz. nicht übersteigen darf. An Stelle 
von den üblichen Rentenbriefen können auch Schuldverschreibungen ausgegeben werden. 
Getilgt werden vom 1. April 1915 ab jährlich mindestens 2 Proz. des Nominalbetrags ; 
auch können diese Schuldverschreibungen ausgelost werden. 


Gesetz vom 9. Mai, betr. die Feststellung des Landeshaushaltsetats 
von Elsaß-Lothringen für 1913. S. 13. 


Der Gesamtetat schließt mit 76847822 M. ab, woron auf den ordentlichen 
73 360 922 M. und der Rest auf den außerordentlichen entfallen. Zur Verstärkung der 
Mittel der Landeshauptkasse können Schatzanweisungen bis zu 14 Mill. ausgegeben 
werden, die bis zum 30. September 1914 umlaufen dürfen. Den Vorschußkassen sind 
bis zu 8 Mill. Darlehen als Betriebsmittel durch die Staatsdepositenverwaltung zu ge- 
währen. 

Die Schiffahrtsabgaben betragen 0,18 M. für ein Tonnenkilometer. Der Zuschlag 
zu den Verkehrssteuern und Gerichtsgebühren wird auf Te festgesetzt. Die Förder- 
abgabe beläuft sich auf 1 Proz. des mittleren Verkaufswertes der Mineralien; die Zusatz- 
steuer auf 1'|, Proz. der gesamten Ertragsfähigkeit. 


Gesetz vom 8. Juli, betr. die Abänderung des Berggesetzes (vom 
16. Dezember 1873). S. 77. 


Der Erwerb von Bergwerken durch Mutung bleibt prinzipiell dem Staate vor- 
behalten; Ausnahmen sind zulässig durch Erlaubniserteilung der Oberbergbehörde nach 
Anhörung der Bergbaukommission. Das Schürfen von Eisenerzen, Steinkohlen, Bitumen, 
Stein-, Kali-, Magnesia- und Jodsalzen ist entsprechend nur dem Staate oder er- 
mächtigten Personen gestattet. 


Gesetz vom 27. Juni, betr. die Besoldung der Lehrer und Lehre- 
rinnen an öffentlichen Elementarschulen. S. 73. 


An Dienstalterszulagen werden bewilligt für festangestellte Lehrer nach je 8 Jahren 
bis zum 15. Dienstjahr je 200 M., nach 18 Dienstjahren 100 M., nach 21 und 24 Dienst- 
jahren je 200 M.; für festangestellte Lehrerinnen nach ji 3 Jahren bis zum 15. Dienst- 
jahr je 100 M., nach 16 Dienstjahren 100 M. Die Mietsentschädigung wird nach den 
örtlichen und persönlichen Verhüllnissen bemessen und vom Gemeinderat festgesetzt. 
Die Dienstwohnung wird mit 500 M., bei Lehrerinnen mit 400 M. angerechnet. Lehr- 
kräfte, die in deutscher und französischer Sprache zu unterrichten haben, erhalten eine 
jährliche, nicht pensionsfähige Zulage von 200 (Lehrerinnen 150) M. 

Besoldungsgesetz vom 9. Juni. S. 41. 

Es tritt gleichzeitig mit dem Lehrerbesoldungsgesetz in Kraft vom 1. April 1915 ab, 
bringt eine neue Besoldungsordnung. 

Gesetz vom 28. Mai, betr. Abänderung des Gesetzes über die Berg- 
werksbesteuerung (vom 14. Juli 1908). S. 67. 

Das abgeänderte Gesetz tritt als Bergwerkssteuergesetz mit bem 28. Mai 1918 in 
Kraft. Neu ist die Bestimmung, daß die Bergwerksunternehmer verpflichtet sind, über 
die der Abgabe unterliegenden Fördermengen und deren Werte auf besondere Auf- 


farderung binnen 2 Wochen eine Erklärung abzugeben, auf die die $$ 18 und 27—81 
des Kapitalsteuergesetzes (1901) Anwendung finden. 


344 Miszellen. 


Miszellen. 


VII. 
Wohnungsfürsorge in England. 


Von Dr. phil. Käte Winkelmann. 


Inhalt: 1) Die Wohnungsgesetzgebung. 2) Die praktische Durchführung. 3) Die 
Aufgaben der Wohnungsinspektion. 4) Die Herstellung von Kleinwohnungen. 


1. Die Wohnungsgesetzgebung. 


Das britische Volk wurde, wie alle emporstrebenden Kultur- und 
Industrieländer im Laufe der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts 
aus einer zum großen Teil Landwirtschaft treibenden Bevölkerung mehr 
und mehr zu einem in der Stadt lebenden und industriell arbeitenden 
Volk. Während vor ungefähr 60 Jahren noch 75 Proz. der Bevölkerung 
in ländlichen Distrikten und Ortschaften wohnte, haben sich in der 
neuesten Zeit diese Verhältnisse fast umgekehrt. Der Ansturm der 
Bevölkerung nach der Stadt, den Industriezentren, die durch höhere 
Löhne und die scheinbare Wohlhabenheit angelockt, nach der Stadt 
drängte, war so plötzlich und so unaufhaltsam, daß es weder dem 
Einzelunternehmer noch den Behörden möglich war, mit dieser Nach- 
frage nach Wohnungen auch nur annähernd gleichen Schritt zu halten 
und dem eintretenden Mangel zu begegnen. 

In dem gleichen Fall befand sich die Gesetzgebung; obgleich 
dem Parlament wohlbekannt war, daß es in dem Königreiche, vor 
allem aber in dem großen Verkehrszentrum London, viele überfüllte, 
schmutzige und ungesunde Wohnungen für die arbeitenden Klassen 
gab, wurden doch bis zum Jahre 1851 keine entscheidenden Schritte 
unternommen, diesem Uebelstande abzuhelfen. Erst in diesem Jahre 
entstander. für das ganze Reich zwei Gesetze: „the Common Lodging 
Houses Act und the Labouring Classes Lodging Houses Act (1851). 

Das erste Gesetz befaßte sich im besonderen mit der Erstellung 
und Verbesserung der Arbeiterwohnhäuser. Für jeden Bezirk mußte 
ein vollständiges Verzeichnis aller vorhandenen Arbeiterwohnungen ein- 


Literatur. 

Forty-Second Annual Report of the Local Government Board 1912/13, Part II. Hous- 
ing and Town Planning. London 1913. 

London County Council. Housing of the Working Classes 1855—1912. Prepared, under 
the Direction of the Housing of the Working Classes Committee of the Council, by 
the Clerk of the Council, 1913. 

Housing, Town Planning etc. Act, 1909. 

Building Societies, by Sir Edward Brabrook, C. B. London 1906. 


Miszellen. 345 


gereicht werden; ferner wurde darauf hingewiesen, daß die Beamten 
auf einen sauberen und gesunden Zustand der Häuser zu achten und 
vor allem auch die Geschlechtertrennung nach Möglichkeit durch- 
zuführen hätten, um die traurigen, entsittlichenden Verhältnisse, die 
durch solche Ueberfüllung immer mehr um sich griffen, zu beseitigen. 
Dieses Gesetz wurde durch den Common Lodging Houses Act 1853 
ergänzt und verbessert, nach welchem die Bewohner, welche eine 
Wohnung schnell verwohnten und verwahrlosen ließen, der Behörde 
gemeldet werden sollten. Die Eigentümer der Häuser wurden ver- 
pflichtet, ein genaues Verzeichnis der Bewohner ihres Hauses anzugeben. 


Das zweite Gesetz, the Labouring Classes Lodging Houses Act 
1851, bezweckte mehr die Errichtung einer größeren Zahl von Arbeiter- 
wohnhäusern in den bevölkerten Distrikten, um dort angemessene und 
gesündere Wohnungen zu schaffen. 

Im Jahre 1866 kam ein weiteres Gesetz zustande, the Artisans 
and Labourers Dwelling Act, auf Grund eingehender Untersuchungen 
einer Kommission, die die Zustände genau zu prüfen hatte. Das 
Gesetz schrieb das Einzelwohnhaus vor und machte den Eigentümer 
verantwortlich, das Haus in einem guten Zustand zu erhalten. Die 
Medical Officers of Health wurden veranlaßt, jede Wohnung, die sie 
als ungeeignet zum menschlichen Wohnen erachteten, diesen Behörden 
zu bezeichnen. Die Ueberwachung der Bestimmungen lag in den Händen 
der einzelnen Bezirksbehörden. Diesen lag es dann ob, die geeigneten 
Schritte für die Instandsetzung des Hauses zu tun; auch hatte man den 
Fall vorgesehen, daß, falls der Zustand des Hauses so schlecht war, 
daß nur noch der Abbruch verlangt werden konnte, dem Eigentümer 
eine Entschädigung gezahlt wurde; freilich wurde vorläufig nur ein 
sehr niedriger Satz, 2 d für £ 1=1 Proz. angenommen. 

Es stellten sich aber bald Unzuträglichkeiten heraus und der 
geringe Entschädigungssatz wurde als empfindliche Härte angesehen. 
Diese Erkenntnis führte im Jahre 1879 zu einer Erweiterung des 
vorhergehenden Gesetzes. Man befaßte sich ganz besonders damit, 
eine angemessene Vergütung zu bewilligen, dann aber den Wieder- 
aufbau der abgerissenen Häuser nach Möglichkeit zu erleichtern. Der 
Eigentümer eines zum Wohnen für untauglich erklärten Hauses konnte 
die Behörde ersuchen, sein Grundstück aufzukaufen; das Gesetz be- 
stimmte jedoch, daß jedes so erworbene Grundstück nur wieder zum 
Bau für Arbeiterwohnhäuser verwendet werden dürfe. 


Einige Jahre früher (1875) war ein anderes Gesetz, the Cross 
Act1) angenommen worden. Der grundlegende Unterschied zwischen 
diesem Gesetz und dem vorhergehend genannten, liegt darin, daß dieses 
sich mit dem Abbruch und dem Wiederaufbau von ungeeigneten, un- 
gesunden Häuserkomplexen befaßt, jenes sich nur mit der Beseitigung 
eines einzelnen schlechten Hauses beschäftigt. 


1) Der Name „Cross Act“ rührt von Sir Richard Assheton Cross her, einem 


Manne, der hauptsächlich dazu beigetragen hat, daß der Gesetzantrag durchgebracht 
wurde. 


346 Miszellen. 


Das einleitende Verfahren lag entweder bei den Medical Officer 
of Health der einzelnen Distrikte oder es konnte auch auf Verlangen 
von 12 Steuerzahlern, die eine offizielle Anzeige über die Verhältnisse 
eines Häuserkomplexes machten, in Gang gebracht werden. Das Lon- 
doner Generalbauamt (Metropolitain Board of Works) hatte dann nach 
Empfang dieser Anzeige die Sachlage genau zu prüfen. Ergaben die 
Untersuchungen den ungesunden Zustand der Häuser, so hatte dieses 
Amt für so viel Personen, wie die zum Abbruch bestimmten Häuser 
verlassen mußten, in der nächsten Umgebung geeignete Wohnungen 
bereitzustellen. Freilich war das Amt nicht berechtigt, ohne die aus- 
drückliche Genehmigung des Staatssekretärs selbst den Wiederaufbau 
der Häuser zu unternehmen. In dem zustimmenden Fall aber konnten 
die Grundstücke 10 Jahre nach ihrer Fertigstellung verkauft werden, 
mit der Billigung des Staatssekretärs. 

Die Erfahrung lehrte doch schon nach einigen Jahren, daß diese 
Art des Geschäftsganges recht zeitraubend, zugleich aber auch kost- 
spielig war. Das Gesetz wurde daraufhin abgeändert, daß die be- 
stätigende Behörde die Erlaubnis bekam, die Personen, welche die 
Häuser verlassen mußten, auf ihre Veranlassung hin, auch anderswo, 
als in dem gleichen Stadtteil oder in dessen unmittelbarer Nähe, unter- 
zubringen. 

Immer mehr kam man aber zu der Ueberzeugung, daß mit den 
beiden Gesetzen tatsächlich wenig erreicht wurde. Man setzte daher 
nochmals eine Kommission ein, die beauftragt wurde, Mittel und 
Wege zu finden, den Landkauf zum Wiederaufbau von Häusern zu 
erleichtern und die Ausgaben dafür zu mindern. Die Ergebnisse dieser 
Kommission führten zu einem weiteren Gesetz, zu dem Artizans Dwellings 
Act, 1882, welches sich sowohl mit dem Abbruch und Wiederaufbau 
ganzer Häuserkomplexe als auch des Einzelhauses befaßte. 

Lange vorher schon hatte man gefühlt, daß auch weitere Schritte 
unternommen werden mußten, die Uebelstände, die durch überfüllte 
und ungesunde Wohnungen entstanden, herabzusetzen oder möglichst 
gänzlich zu beseitigen. Die eingesetzte Kommission fand, daß ein 
großer Teil der Schuld an den unglaublichen Zuständen, denen sie 
begegneten, den Behörden selbst zuzuschreiben seien, die die bestehen- 
den Gesetze wenig oder gar nicht beachtet hatten; freilich mußten 
auch diese, um Verbesserungen einführen zu können, durchgreifend 
abgeändert werden. Als ein gutes Mittel, die Ueberfüllung zu be- 
heben, wurde die Ansiedlung der Arbeiterbevölkerung an der Peripherie 
der Städte empfohlen, wo gesündere und billigere Wohnungen ge- 
schaffen werden konnten. Die weite Entfernung der Arbeitsstätte 
sollte durch Einrichtung billiger und passender Fahrgelegenheiten be- 
hoben werden. 

Während die verantwortliche Behörde bis 1889 die einzelnen 
Bezirksbehörden gewesen waren, wurde von diesem Jahre ab das 
Generalbauamt an die Stelle des Gemeinderates und Kreisamtes ge- 
setzt. Eine Verschmelzung der verschiedenen Gesetze schien geboten, 
und führte zu dem Housing of the Working Classes Act 1890, eines 


Miszellen. 347 


der wichtigsten und ausführlichsten Wohnungsgesetze, welches in den 
Jahren 1900, 1903 und 1909 durch eingreifende Aenderungen noch 
verbessert wurde. 

Das Gesetz besteht aus sieben Teilen, von denen zwei (Teil 5 
und 6) sich auf die Anwendung des Gesetzes in Schottland und 
Irland beziehen. Teil 1 und 2 besteht aus Zusammenlegungen und 
Verbesserungen der Gesetze, die sich mit dem Abbruch und Wiederauf- 
bau von Häusergruppen und Einzelhäusern beschäftigen. Im Teil 3 
wird die Erbauung von Einzelhäusern vorgesehen. Für London sind 
dafür die Ratsversammlung, die städtischen Kommissäre und die Be- 
zirksbehörden verantwortlich. Teil 4 enthält finanzielle Bestimmungen 
und Teil 7 bezieht sich auf Aufhebung früherer Gesetze und gibt 
Uebergangsbestimmungen an. 

In einigen weiteren Gesetzen, die in den nächsten Jahren folgten, 
wie the Public Health Act (1891) und Ergänzungen zu den Housing 
of Working Classes Act (1894 und 1900) wird den zuständigen Be- 
hörden vor allem zur Pflicht gemacht, Unzuträglichkeiten, die durch 
Ueberfüllung, schlechten und verwahrlosten Zustand der Wohnungen 
usw. entstehen, durch eine geordnete Inspektion zu verhüten. Die 
Gesundheitsbehörden können gesetzlich die Anzahl der Personen, welche 
ein Haus bewohnen dürfen, festlegen, von denen nur Logierhäuser 
ausgenommen sind. 

Kurz darauf folgten zwei weitere Gesetze; das eine (the Housing 
of the Working Classes Act) verbesserte die finanziellen Bedingungen 
des Teil 2 des Gesetzes von 1890, und das zweite, the Housing of 
the Working Classes Act (1900), ermächtigte die Behörden, Land 
für Bebauungszwecke, außerhalb des Arcals ihres Bezirks zu erwerben. 
Im Jahre 1903 wurde dieses Gesetz dann dahin erweitert, daß es den 
Behörden sowohl wie auch den Privatunternehmern untersagt wurde, 
eine Wohnung, die von mehr als 30 Personen der Arbeitervölkerung 
belegt werden sollte, zu vermieten, ohne daß diese von der Zentral- 
gesundheitsbehörde vorher geprüft worden war. Weitere Maßnahmen, 
wie die zwangsweise Durchführung einiger Bestimmungen durch die 
untergeordneten Behörden, die Verbesserung im Geschäftsgange, be- 
sonders bei Schließung und Abbruch ungeeigneter und ungesunder 
Häuser, sind diesem Gesetz angefügt. 

Ungeachtet aller dieser gesetzlichen Maßnahmen, bildete dennoch 
die Frage der Wohnungsfürsorge für die arbeitenden Klassen, die 
Handhabung der Gesetze, die Wirkungen auf die Allgemeinheit einen 
wesentlichen und ständigen Punkt in den Verhandlungen des Par- 
laments, hervorgerufen durch fortwährende Klagen und Fragen aus 
den Kreisen der Bevölkerung selbst. Darauf wurde endlich 1908 ein 
Gesetzantrag eingebracht, the Housing, Town Planning ete. Bill, der 
durch den Präsidenten der Zentralbehörde für Gesundheits-, Bau- usw. 
polizei folgendermaßen näher begründet wurde: „Der Zweck dieses 
Antrages ist, günstige häusliche Bedingungen für das Volk zu schaffen, 
bei welchen seine physische Gesundheit, seine Sitten und sein Cha- 
rakter, sowie seine ganze soziale Lage gebessert werden kann. Man 


348 Miszellen. 


hofft dadurch das Heim gesund, das Haus schön und das Aussehen 
der Stadt gefällig und freundlich zu gestalten. Man hofft ferner durch 
die Erstellung einer großen Anzahl besserer Wohnungen und ange- 
nehmerer Straßen verbessernd auf die Lebensbedingungen der unteren 
Klassen zu wirken und dadurch die elenden, verwahrlosten Stadt- 
viertel gänzlich beseitigen zu können. Eine ausgedehntere Inspektion, 
mit der eine genauere Ueberwachung der einzelnen Familien auch in 
gesundheitlicher Beziehung verbunden sein soll, genauere Berichte an 
die Zentralbehörden sollen dazu verhelfen, das Wohnungsproblem seiner 
Lösung näher zu führen.“ 

Der Antrag wurde angenommen und wurde unter dem Namen 
Housing Town Planning etc. Act 1909 Gesetz. Die einzelnen Teile 
enthalten wichtige Bestimmungen. Der erste Teil befaßt sich fast 
durchweg mit dem Versuch der Lösung der Wohnungsfrage für die 
Arbeiterbevölkerung, er gibt Mittel an die Hand, den Ankauf von 
Land für diese Zwecke nach Möglichkeit zu erleichtern, ebenso Maß- 
nahmen zum Abbruch und Wiederaufbau verwahrloster, ungeeigneter 
Häuser und Wohnungen. Es werden ferner die gegenseitigen Ver- 
pflichtungen des Vermieters und des Mieters geregelt. Wird ein Haus 
in London zu einem Mietspreis von weniger als 40 £ = 800 M. ab- 
gegeben, so ist der Besitzer verpflichtet, diese Wohnung in einem 
sauberen und guten Zustand zu übergeben, der in jeder Hinsicht zum 
menschlichen Wohnen geeignet ist. Die Instandhaltung der Wohnung 
ist dann aber Angelegenheit des Mieters. Die Behörde hat das Recht, 
gegen den Vermieter bzw. Mieter einzuschreiten, falls diese ihren 
Verpflichtungen nicht nachkommen. Jeder Kellerraum, mag er auch 
allen Bedingungen, wie Höhe, Lüftung, Belichtung usw. entsprechen, 
wird als ungeeignet zum Schlafen für Menschen erachtet und ist daher 
verboten. Das Gesetz verbietet ferner die Neuerrichtung ‚von back to 
back houses. Es sind dies meist längere, parallel laufende Straßen- 
züge, bei denen die Rückfronten der Häuser zusammenstoßen, so 
daß Höfe oder auch nur Luftschächte vollständig wegfallen, wodurch 
naturgemäß auch die Lüftung der einzelnen Wohnungen sehr be- 
einträchtigt wird. Ganze Stadtteile solcher Häuser finden sich noch 
in Leeds, dem großen Zentrum der Spinnereien und Webereien, und es 
mutet den Fremden ganz sonderbar an, wenn er die Wäschestücke auf 
den Leinen, die quer über die Straßen gespannt sind, lustig im Winde 
flattern sieht, und manche deutsche Hausfrau würde mit Entsetzen 
die Kohlenwagen oder andere Gefährte betrachten, die unter der Wäsche 
entlang fahren müssen. Trotz der ungesunden Verhältnisse, die eine 
solche Bauart in sich schließt, ist es natürlich nicht möglich, diese 
Straßenzüge auf einmal zu beseitigen. Das Gesetz verbietet aber den 
Bau solcher Häuser und behält sich vor, diejenigen, die nach Ansicht 
des Medical Officer of Health gänzlich ungeeignet zum menschlichen, 
Wohnen sind, abreißen zu lassen. 

Das Gesetz gibt weiterhin Mittel und Wege an, die Bildung und 
Ausdehnung von Baugenossenschaften für Kleinwohnungen zu erleich- 
tern. Ferner wird in einem anderen Abschnitt die Anstellung opd 


Miszellen. 349 


Ausbildung der Inspektionsbeamten klargelegt. Der letzte Teil ver- 
pflichter die Behörden, für offene freie Spielplätze, Parks usw. Sorge 


zu tragen. 
2. Die praktische Durchführung. 


Hatte so das Wohnungsproblem für die arbeitenden Klassen Eng- 
lands die Oeffentlichkeit sowohl als auch das Parlament in Anbetracht 
seiner unzweifelhaft ernsten, sozialen Bedeutung beschäftigt, hatten 
die statistischen Erhebungen und die Arbeiten der Spezialkommission 
zu dem Wohnungsgesetz des Jahres 1909 (Housing Town Planning ete. 
Act) geführt, so lassen sich erst nach Verlauf einiger Jahre die Wir- 
kungen feststellen, welche das Gesetz hatte. Ganz allgemein läßt sich 
sagen, daß das Gesetz eine bemerkenswerte Aktivität der Behörden 
auslöste, die wiederum dazu führte, die Hauseigentümer zu einem 
stärkeren Verantwortlichkeitsgefühl ihren Mietern gegenüber anzuregen. 
Die Vorschriften der Behörden, selbst sich an der Bereitstellung der 
kleinen Wohnungen zu beteiligen, haben einen guten Schritt vorwärts 
getan, und immer mehr läßt sich eine behördliche Inangriffnahme durch 
Bauen von Kleinwohnungen erkennen. 

Will man das ganze Problem der Wohnungsfürsorge sachlich 
gliedern, so wären folgende drei Teile anzunehmen: 

1) Die Instandhaltung und Verbesserung der vorhandenen Häuser. 

2) Die Beschaffung neuer Häuser. 

3) Die Beseitigung der schlechten und ungesunden Wohnungen. 

Eine wichtige Voraussetzung der ganzen Wohnungsaufsicht und 
-fürsorge ist, daß die, welche sich mit der Verbesserung dieser ganzen 
Frage beschäftigen, eine vollständige und möglichst restlose Einsicht 
in die Natur und Ausdehnung des ganzen Problems haben, denn nur 
auf einer solchen Basis ist eine gedeihliche Arbeit gewährleistet. 

Obwohl schon einige Distrikte und Behörden sich bemüht hatten, 
sich über die Beschaffenheit der Wohnhäuser zu orientieren und gute 
Inspektionssysteme eingeführt hatten, gab es doch vor der Veröffent- 
lichung des Housing Town Planning ete. Act keine einheitliche Me- 
thode, Aufschlüsse in dieser Richtung zu bekommen. Ein unendlich 
wichtiges Ergebnis des Gesetzes von 1909 ist es, dieses auf eine ein- 
heitliche Basis gestellt, und das Interesse allgemeiner größerer Kreise 
erweckt zu haben; nicht allein führte dies dazu, die tatsächlichen Zu- 
stände, deren Erforschung eine unbedingte Notwendigkeit war, zu 
erkennen, sondern es entsprang daraus auch die Erkenntnis, durch 
Bereitstellung vermehrter und besserer Wohnungen der Wohnungsnot 
zu begegnen. 

Die Schritte, die unternommen wurden, eine möglichst reichhaltige 
und doch systematische Sammlung von Aufschlüssen über die be- 
stehenden Verhältnisse zu bekommen, sind recht verschiedener Art 
und es wird alles versucht, um allmählich ein lückenloses, einheit- 
liches Bild über die Beschaffenheit der Häuser von ganz England und 
Wales zu erhalten. Die Zentralbehörde hat die Aufgabe, die jährlichen 
und auch Spezialberichte der Medical Officer of Health genau durch- 


350 Miszellen. 


zusehen und zu ordnen; weiterhin sind Zeitungsagenturen verpflichtet 
worden, alle Abschnitte, die in den Tagesblättern diese Fragen behandeln, 
der zuständigen Stelle zuzuschicken, so daß dadurch alle Berichte über 
Sitzungen, Ansichten von Beamten und aus dem Volk in vollständiger 
Sammlung der Behörde vorliegen, was von nicht unterschätzbarem 
Wert für sie ist. Mehr noch, jede Gelegenheit wird von den Inspek- 
toren wahrgenommen, in Verbindung mit Hausbesichtigungen oder 
anderen örtlichen Untersuchungen, den in den einzelnen Ge- 
genden herrschenden und üblichen Hausbau und die Wohnungshaltung 
dem Zentralamt zur Kenntnis zu geben. Es ist einzusehen, daß solche 
Aufschlüsse mit gutem Erfolg verwendet werden können. So ist 
beispielsweise der Inspektor immer verpflichtet, bei einem Versuch 
einer Kommunalverwaltung seinen Rechtskreis zu vergrößern oder Stadt 
zu werden, Untersuchungen über die Beschaffenheit der Häuser der 
Stadt anzustellen. Zeigt der Bericht, daß Verbesserungen notwendig 
sind, so wird die Gelegenheit benutzt, die Behörde zu zwingen, sich 
damit zu befassen. Ein Marktflecken (Wakefield), der darum ein- 
gekommen war, Stadt zu werden, bei welchem die Untersuchungen 
aber einen großen Mangel an Kleinwohnungen ergeben hatten, konnte 
durch diese Bestimmungen gezwungen werden, ohne Verzögerung, eine 
größer Anzahl (100) von Arbeiterwohnhäuser zu erbauen. 

Nach dem Gesetz von 1909 ist jede Ortsbehörde verpflichtet, sich 
von Zeit zu Zeit zu vergewissern, ob in ihrem Bezirke der Zustand: 
der Häuser und Wohnungen derartig ist, daß sie als gänzlich un- 
geeignet und gesundheitsgefährlich bezeichnet werden müssen ; in diesem 
Falle sind sie und die Inspektoren verpflichtet, den Vorschriften nach- 
zukommen und besonders der Zentralbehörde laufend Bericht über die 
vorgenommenen Maßnahmen zu erstatten. 

Das Gesetz von 1909 legt ferner die Punkte genau fest, welche 
in den Berichten der Ortsbehörden und Inspektoren ganz besonders 
beachtet und behandelt werden müssen; es sind anzugeben: 

a) die Zahl der untersuchten Wohnungen; 

b) die Zahl der Wohnungen, die von den Inspektoren als gesund- 
heitsgefährlich und zum Wohnen untauglich erachtet wurden; 

c) die Zahl der an die Ortsbehörde gelangten Berichte, um 
Schließung der Räume zu bewirken; 

d) die Zahl der Schließungsbefehle; 

e) die Zahl der Wohnungen, die ohne Schließungsbefehl wieder in 
einen zum Wohnen geeigneten Zustand versetzt wurden; 

f) die Zahl der Wohnungen, die, nachdem ein Schließungsbefehl 
erlassen war, wieder in einen tauglichen Zustand gebracht wurden; 

g) allgemeiner Charakter der gefundenen Mißstände. 

Alljährlich wird den Inspektoren ein Memorandum zugestellt, das 
ihnen kurz die Richtlinien angibt, die sie bei ihrer Tätigkeit und beim 
Zusammenstellen ihres Berichtes zu beachten haben. Es heißt dort 
u. a.: Der Wohnungsbericht soll sowohl Aufschluß über den Charakter, 
als auch über das Vorhandensein von Wohnungen für die Arbeiter- 
bevölkerung enthalten. Die Beschaffenheit der Wohnungen, verbunden 


Miszellen. 351 


mit Einzelbeobachtungen, wie Ueberfüllung, mangelnde Geschlechter- 
trennung usw., welche während des letzten Jahres gefunden wurden, 
die vorgenommenen Maßnahmen, sollen in dem Bericht enthalten sein. 
Ferner soll der Bericht die Zahl der neuerbauten oder noch in Bau be- 
findlichen Häuser angeben, das Wachstum der Wohnungen für die un- 
teren Klassen im Verhältnis zur Zunahme der Bevölkerung in dem 
Distrikt. 

Es ist hieraus schon ersichtlich, daß man sich bemüht hat, ein 
möglichst vollständiges Bild über den Stand der Wohnungen für die 
Arbeiterbevölkerung zu erhalten; bilden diese Untersuchungen doch 
die Unterlage, ein Gesamtbild der Zustände für das ganze Königreich 
zu geben, zugleich aber erhalten die Ortsbehörden und jede lokale Be- 
hörde einen vollständigen Einblick über den baulichen und gesund- 
heitlichen Stand der Häuser ihres Bezirks. 

Wenn auch im ersten Jahre nach dem Inkrafttreten des Gesetzes 
mancher Bericht noch unvollkommen war und den gewünschten Auf- 
schluß über die Wohnungsverhältnisse nicht erschöpfend brachte, so 
zeigten die Berichte des Jahres 1912 schon einen bedeutenden Fort- 
schritt in der Ausgestaltung. Daß eine genaue Uebersicht nicht auf 
einmal und lückenlos gegeben werden kann, liegt in der oft recht schwie- 
rigen Art der Erlangung des Materials. So ist beispielsweise die 
Grenze zwischen Wohnungen der Arbeiterbevölkerung und denjenigen 
einer höheren Stufe oft nicht ganz einwandfrei festzustellen, ebenso 
ist es schwierig, eine ungefähre Uebersicht über die in einem Bezirk 
gezahlten Mieten zu bekommen. 

Lassen auch die Berichte im allgemeinen erkennen, daß eine 
Besserung in den Wohnungsverhältnissen durch die gesetzlichen Maß- 
nahmen, die den Behörden durch das Gesetz 1909 gegeben wurden, 
stattgefunden hat, so stellte sich nach den Aussagen einiger Inspektoren 
bald heraus, daß der Mangel jeglicher gesetzlichen Handhabe gegen 
schmutzige Mieter, die in kurzer Zeit der Wohnung vollständig den 
Charakter einer solchen nehmen, recht empfindlich bemerkt wird. Es 
kann vorläufig den Mietern keine Strafe auferlegt werden, die aus Nach- 
lässigkeit oder Mutwillen die Wohnung in den denkbar schlechtesten 
Zustand bringen und den Hauswirten durch die vielen Reparaturen. 
einen nicht unb'edeutenden Schaden zufügen. 

Während vor dem Inkrafttreten des Gesetzes das Vorhandensein 
von Arbeiterwohnhäusern als ausreichend betrachtet worden war, deckte 
doch die gründlichere Inspektion einen Mangel an solchen auf, der frei- 
lich auch noch durch die Schließung ungeeigneter und gesundheits- 
schädlicher Wohnungen verstärkt wurde. Es ist leicht einzusehen, daß 
für die lokalen Behörden mancherlei Schwierigkeiten entstanden, um 
diesem Wohnungsmangel zu begegnen. Meist ergeht an sie von der 
Zentralbehörde die Weisung, zu der Frage des städtischen Eigen- 
baues ernstlich Stellung zu nehmen; manche Behörden bemühten sich, 
das Haupthindernis zu beseitigen durch Bau von Wohnungen unter 
Teil III des Gesetzes von 1890, wobei ihnen gestattet wurde, zur 
Durchführung des Baues von Arbeiterwohnhäusern Anleihen aufzu- 


352 Miszellen. 


nehmen. Es zeigte sich hier in vielen Fällen, daß durch diesen städti- 
schen Eigenbau der Privatunternehmer zum Bauen angeregt wurde. 

Durch Teil III des Gesetzes von 1890 ist den städtischen Behör- 
den umfangreiche polizeiliche Gewalt gegeben worden, die Schließung 
ungeeigneter Wohnungen und den Abbruch ganzer Häuser zu bewirken; 
doch erst nach dem Gesetz von 1909 läßt sich eine größere Tätigkeit 
der Behörden erkennen; der Bericht eines Medical Officer of Health für 
das Jahr 1911 gibt an, daß in drei ländlichen Distrikten des Kreises 
143 Häuser auf Veranlassung der Kreisbehörde geschlossen oder ab- 
gerissen wurden, da die Ortsbehörden es versäumt hatten, irgendwelche 
Schritte zur Erstellung von Wohnungen zu unternehmen. 

Es ist nicht zu leugnen, daß gerade durch die Berichte der In- 
spektoren, die nützlichen und eingehenden Aufschluß über die Woh- 
nungsverhältnisse ihres Bezirks geben können, wertvolles Material für 
die Zentralbehörde geliefert wird. Viele Fragen, die mit den Orts- 
behörden behandelt werden müssen, könnten brieflich kaum ausreichend 
beantwortet werden, wären nicht durch die Inspektoren, die die ört- 
lichen Verhältnisse am besten beurteilen können, Informationen und 
Aufschlüsse zu erhalten. Die Zentralbehörde ist aber zuständig für die 
Bezirke, wo eine ungenügende Inspektion, eine Gleichgültigkeit in der 
Durchführung der gesetzlichen Bestimmungen zu sein scheint, wo man 
bemerkte, daß die gefundenen Uebelstände gar nicht oder nur zum Teil 
beseitigt wurden, eigene Inspektoren zu senden und geeignete Schritte zu 
unternehmen, die Bestimmungen des Gesetzes von 1909 durchzuführen. 

Die Zentralbehörde hat sich auch einen gewissen Einfluß in der 
Wahl des Platzes für neu zu erbauende Arbeiterwohnhäuser vorbehalten, 
ebenso auch für den Ausbau derselben. Es kann eine Stadtverwaltung 
nicht ohne weiteres den Grund und Boden, den sie der Zentralbehörde 
für den Bau von Kleinwohnungen angegeben hat, aus geschäftlichen 
Rücksichten an industrielle Unternehmungen usw. verkaufen. Viel- 
mehr hat ein Regierungsbeamter sich eingehend über die Lage, die Ver- 
kehrsmöglichkeiten, überhaupt über die Geeignetheit des neu gewählten 
Platzes zu informieren; er kann, wenn das neue Terrain ungünstiger 
und schlecht geeignet zum Bau von Kleinwohnungen erscheint, die 
Abgabo des früher vorgeschlagenen Platzes ganz oder teilweisg unter- 
sagen. Ebenso werden die Bebauungspläne eingehend durchgesehen 
und Verbesserungen in bezug auf geeignete Ausnutzung des Grund und 
Bodens, dann auch des Hausbaues an sich, den Ortsbehörden zur Aus- 
führung empfohlen. 

So hatte der Magistrat von Leeds ein Gesuch eingereicht, die von. 
der Zentralbehörde gemachten Entwürfe zu modifizieren. Es war der 
Stadt aufgegeben worden, für ungefähr 8000 Personen geeignete Woh- 
nungen in verschiedenen Teilen der Stadt zu erstellen. Nachdem für 
2000 Personen Wohnungen gebaut worden waren, machte die Stadt 
eine Eingabe an die Zentralbehörde, die Entwürfe dahin zu ändern, 
daß sie von dem weiteren Bau von Arbeiterwohnungen befreit würden. 
Eine nochmalige Untersuchung stellte fest, daß eine große Anzahl guter 
leerstehender Wohnungen in unmittelbarer Nähe des projektierten Bau- 


Miszellen. 353 


platzes vorhanden waren, die zu angemessenen Mieten gesunde, ge- 
eigneso Räume boten. Der Bebauungsplan wurde also dahin abgeändert, 
daß der für die Wohnhäuser bestimmte Grund und Boden für einen 
großen Platz verwendet wurde. 

In Liverpool wurden planmäßige Versuche gemacht, Familien, 
deren ungesunde, ungeeignete Wohnungen von der Behörde geschlossen 
worden waren, in bessere Wohnungen unterzubringen. Im Jahre 1896 
war beschlossen worden, daß alle von der Gemeindebehörde errich- 
teten Wohnungen einzig diesen Familien zugute kommen sollten. Im 
Jahre 1912 waren 2727 solcher Wohnungen vorhanden mit einer Be- 
wohnerzahl von 10099 Personen; von diesen Wohnungen waren 2171 
für solche Familien reserviert, die wegen gesundheitsschädlichem Wohnens 
oder wegen Ueberfüllung aus ihren Wohnungen entfernt worden waren. 
Ist durch eine solche planmäßige Beseitigung ungeeigneter und gesund- 
heitsschädlicher Stadtviertel eine günstige Wirkung auf den allgemeinen 
Gesundheitszustand nicht zu unterschätzen, so hat man auch eine 
merkbare Verbesserung in den Lebensgewohnheiten und Gebräuchen, 
was das innere und äußere Ansehen der Wohnungen betrifft, feststellen 
können. Freilich, und hier wird auch die beste Wohnungsgesetzgebung 
Halt machen müssen, sind an diesem Fortschritt die ärmsten und ver- 
wahrlosesten Schichten der Bevölkerung immer ausgeschlossen. Es 
scheitern die besten Vorschriften einer Wohnungsgesetzgebung an dem 
Menschenmaterial, das zäh und hartköpfig sich den Besserungsvorschlä- 
gen widersetzt, dem die Einsicht und das Urteil fehlt, Beziehungen 
zwischen Mensch und Wohnung zu erkennen und denen helle, luftige 
Wohnungen, wo das Sonnenlicht den Schmutz und die verwahrloste 
Wirtschaft unbarmherzig beleuchtet, ein wenig erstrebenswertes Ideal 
bedeuten. 

Dieser kleine Prozentsatz freilich hält Fortschritte nicht auf, die 
gerade in hygienischer Hinsicht gemacht worden sind. Der Inspektor 
von Liverpool berichtet, daß unter den verbesserten Wohnungsverhält- 
nissen die allgemeine Sterbeziffer um mehr als die Hälfte gefallen sei 
und daß die durchschnittliche Sterbeziffer an Tuberkulose in diesen 
Wohnungen während der Jahre 1909—12 um 1,9 Proz. gesunken sei. 

Auch die Annahme, daß die Beseitigung schlechter Häuserkom- 
plexe zu einem Anwachsen der überfüllten Wohnungen und zur Ver- 
größerung des Schlafgängerwesens führen würde, hat sich nicht be- 
wahrheitet, vielmehr zeigt ein Vergleich solcher beanstandeter Häuser 
von 1904 mit 22488 zu 16475 im Jahre 1912 einen recht beträcht- 
lichen Rückgang. 

Die Artikel 17 und 18 des Housing, Town Planning etc. Act 1909 
geben den Ortsbehörden Mittel und Wege an, um Häuser, die sich in 
einem so gefährlichen und gesundheitsschädlichen Zustand befinden, 
daß sie ungeeignet zum menschlichen Wohnen sind, zu schließen und 
abzureißen. 

Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes von 1909 lag das ganze ein- 
leitende Verfahren dem obersten Gerichtshof ob, was immer einen um- 
ständlichen, kostspieligen und langwierigen Geschäftsgang bedeutete; 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 23 


354 Miszellen. 


das Gesetz von 1909 änderte dies Verfahren und ermächtigte die 
Ortsbehörde, solche Befehle zu erlassen; ist das Haus, nachdem ein 
Schließungsbefehl erlassen wurde, wieder in einen sauberen und zum 
Wohnen geeigneten Zustand gebracht worden, so kann die Behörde ihre 
Verfügung zurückziehen. Wird jedoch nichts zur Wiederinstandsetzung 
des Hauses von seiten des Eigentümers getan, so kann nach einer ge- 
wissen Zeit, in welcher auch der Eigentümer Einspruch erheben kann, 
der Niederreißungsbefehl gegeben werden. Fühlt sich der Eigentümer 
des Hauses durch den Niederreißungsbefehl oder durch die Schließung 
der Räume in seinem Rechte beeinträchtigt, so hat er das Recht, beim 
Gericht Berufung einzulegen. 

Die Zahl der Distrikte, in welchen in bezug auf unzulässige Woh- 
nungen Schließungs- oder Niederreißungsbefehle erlassen wurden, waren 


folgende: 
im Jahre 1909 458 Distrikte, das sind 25 Proz. der Gesamtzahl 
» » 1910 474 D » n 2 „ » ” 
” H 1911 850 Mi Wi HI 47 HI Hi HI 
» » 1912 1192 a ih DÉI ag am D 3) 


Das Anwachsen der Zahl der Distrikte, in welchen man sich mit 
den ungesunden Wohnverhältnissen befaßte, ist ein guter Beweis von 
der Brauchbarkeit, zugleich aber auch von der großen Notwendigkeit 
des Gesetzes. Der Fortschritt mag durch folgende Zahlen noch weiter- 
hin ergänzt werden: 


1909 1910 1911 1912 
Zahl der Wohnungen, über welche ent- 
sprechend den Bestimmungen in Sek- 
tion 30 des Gesetzes von 1890 und 
Sektion 17 des Gesetzes von 1909 
berichtet wurde 6312 6429 24429 47429 
Zahl der Fälle, in welchen die Orts- Gesetz zu kleine Zah- 
behörden nach Sektion 15 des Ge- noch nicht len, daher un- 
setzes von 1909 vorgingen in Kraft genau 5221 12568 
Zahl der Wohnhäuser, die ohne Schlie- 
Bungsbefehl wieder in einen zum 
Wohnen geeigneten Zustand gebracht 


wurden 3731 3056 7042 13417 
Wohnhäuser, die freiwillig geschlossen 

oder abgerissen wurden 1510 1389 1419 1935 
Schließungsbefehle 587 1511 4870 9 761 
Niederreißungsbefehle 196 170 495 1423 


Die Statistik zeigt recht deutlich eine mit jedem Jahr wachsende. 
Zunahms der amtlichen Arbeit, ein durch das Wohnungsgesetz be- 
günstigtes, straffes und einheitliches Handeln, das gegen die un- 
gesunden Zustände in den Kleinwohnungen energisch und zielbewußt 
zu Felde zieht. Daß durch das Arbeiten der Behörden auch der Privat- 
eigentümer angeregt wurde, seine Häuser selbst ohne das Einschreiten 
der Behörden abzuwarten, wieder in einen tauglichen Zustand zu ver- 
setzen, erhellt aus der Tatsache, daß in den Jahren 1910—12 nicht 
weniger als 20459 Häuser der 54069, welche als untauglich gemeldet 


1) 42% Annual Report of the Local Government Board 1912—1913, 8. 25. 


Miszellen. 355 


worden waren, von dem Eigentümer ohne einen Schließungsbefehl 
wieder instandgesetzt worden waren. 

Weiter ist durch das Gesetz von 1909 angeordnet worden, daß 
ein Schlafraum, der mehr als 3 Fuß=1 m unter der Straßenkante 
liegt, als gesundheitsgefährlich und zum Wohnen untauglich angesehen 
werden muß, wenn der Raum nicht eine Mindesthöhe von 2,30 m hat. 

Den Teil II des Gesetzes von 1890, welcher sich mit dem zum 
Wohnen gänzlich untauglichen Behausungen befaßt, sind die §§ 14 
und 15 des Gesetzes von 1909 nahe verwandt. Diese Paragraphen. 
bestimmen, daß Wohnungen, deren Mieten in London unter 40 £ = 
800 M., unter 26 £ = 520 M. in Provinzstädten mit 50000 Einwohnern 
und 16 £ = 320 M. in ländlichen Gemeinden und kleineren Städten 
betragen, von dem Hauseigentümer in einem ordnungsgemäßen und 
sauberen Zustand übergeben werden müssen, aber, und dies scheint 
eine etwas empfindliche Härte zu sein, der $ 15 verpflichtet den Haus- 
eigentümer, die Wohnungen auch während des Mietverhältnisses in 
einem zum menschlichen Wohnen geeigneten Zustand zu erhalten. 

Die folgende Tabelle gibt Einzelheiten über die Tätigkeit der 
Wohnungsinspektion für das Jahr 1912 an. 

England ohne Wales und 
Monmouth- Monmouth- zusammen 
shire shire 
1. Zahl der Wohnungen, die während des 
Jahres Anzeigen erhielten - 39 273 4508 43 781 
2. Zahl der Wohnungen, bei denen der 
Eigentümer vorzog, sie zu schließen 
als den Anzeigen nachzukommen 1127 142 1269 
3. Zahl der Wohnungen, die nach der 
Anzeige in guten Zustand gebracht 
wurden 28 524 2765 31 289 
4. Zahl der Wohnungen, bei denen die 
zwangsweise Instandsetzung durch- 
geführt wurde 154 22 176 
5. Zahl der Wohnungen, die bei Jahres- 
schluß den Anordnungen noch nicht 
nachgekommen waren 13 764 2035 15 799!) 
6. 2—5 zusammen: 43 569 4964 48 533 

Diese Tabelle zeigt recht deutlich, daß durch die Arbeit der In- 
spektion eine große Zahl von Wohnungen, die gesundheitsschädlich, 
verwahrlost oder zum Wohnen ungeeignet waren, wieder in einen 
ordnungsgemäßen Zustand versetzt wurden. 

Was nun die Herstellung und den Bau von Kleinwohnungen be- 
trifft, so läßt sich im allgemeinen sagen, daß dies fast ausschließlich 
dem Privatunternehmer überlassen gewesen ist, und daß nur in dem 
Fall, wo dieser gänzlich versagte, die Behörden sich genötigt sahen, 
dem Mangel zu begegnen. Die Furcht aber, es möchte der Privatbau 
durch das Bauen öffentlicher Körperschaften zu einem Stillstand ge- 


1) Die Differenz zwischen den Zahlen der Reihen 2—5 zu derjenigen von 1 ist 
hauptsächlich dadurch verursa>ht, daß die Zahlen der Reihen von 2—4 eine größere 
Anzahl von Wohnungen mit einschließen, die während des Jahres 1910—1911 Anzeigen 
erhalten hatten, aber bis zum Jahresschluß noch nicht erledigt werden konnten. 


23% 


356 Miszellen. 


bracht oder zurückgedrängt werden, kann nicht als berechtigt an- 
erkannt werden. Haben doch die Behörden, wie schon erwähnt, sich 
mit dem Bau von Kleinwohnungen eben nur dann erst befaßt, wenn 
die Privatunternehmer völlig versagten, so daß von einer eigentlichen 
Konkurrenz nicht gesprochen werden kann. 

Man kann umgekehrt eigentlich von einem recht günstigen Ein- 
fluß sprechen, der durch das Bauen öffentlicher Körperschaften auf 
den Privatunternehmer ausgeübt wurde; baut eine Stadtgemeinde ein 
Kleinwohnhaus, oder, wie es meistens der Fall ist, ganze Häusergruppen, 
so wird ihr in erster Linie die Zweckmäßigkeit der Wohnungen, be- 
queme, für die Gesundheit der Bewohner berechnete Einrichtungen. 
und das freundliche, angenehme Straßenbild maßgebend sein, während 
seine Rentabilität gewiß ein wichtiger Punkt, dennoch aber erst in 
zweiter Linie berücksichtigt werden wird. Werden nun solche Häuser 
von der Stadt gebaut, so ist auch der Privatunternehmer gezwungen, 
um nicht bei einem Vergleich ungünstiger dazustehen, bei dem Bau 
nicht nur seinen pekuniären Vorteil als oberstes Grundprinzip walten 
zu lassen, sondern eine zweckmäßige Einrichtung und freundliches 
Aussehen der Wohnungen nicht unbeachtet zu lassen. 

Andererseits aber wird eine Behörde, die als Bauherrin auch die 
Bauordnungen zu beachten und einzuhalten hat, einen Einblick be- 
kommen in die oft nicht mehr zeitgemäßen und daher für die heutige 
Bauweise recht lästigen Vorschriften; sie kann dadurch bessernde Aen- 
derunger in den Ortsstatuten vornehmen und auf diese Weise dem 
Privatunternehmer Erleichterungen beim Bau und Ansporn zum Klein- 
wohnungsbau geben. 

Der Bericht über die Zählung im Jahre 1911 bringt im Teil IV 
recht interessante Einzelheiten über die Zahl der bewohnten Häuser 
und der durchschnittlichen Bewohnerzahl. Während es im Jahre 1901 
6260852 bewohnte Häuser gab, waren sie nach 10 Jahren auf 
7141781 angewachsen. Die durchschnittliche Bewohnerzahl eines Hauses 
betrug im Jahre 1911 5,01 gegen 5,20 im Jahre 1901. Diese Zahlen 
ändern sich, wenn man die städtischen Distrikte (London und die 
Kreisstädte inkl.) gesondert von den ländlichen Bezirken betrachtet; 
es war die durchschnittliche Bewohnerzahl 


1901 1911 
in den Städten 5,40 5,23 
in den ländlichen Bezirken 4,58 4,51 


Es muß auch noch hinzugefügt werden, daß im allgemeinen wäh- 
rend dieser 10 Jahre keine wesentliche Aenderung in der Größe und 
Beschaffenheit der Häuser eingetreten ist, so daß diese Durchschnitts- 
zahlen ein Anwachsen des Luftraumes in den Wohnungen pro Kopf 
der Bevölkerung anzeigen, der in den Städten größer gewesen ist, als 
in den ländlichen Bezirken. 

Die verhältnismäßig niedere Bewohnerzahl eines Hauses in Eng- 
land ist durch die allgemeine Sitte bedingt, daß jede Familie, wenn 
irgend möglich, ein Haus allein bewohnt. Sind in London zwar große 
Mietskasernen nicht selten, und sind viele Familien gezwungen, eine 


Miszellen. 357 


Etagenwohnung zu beziehen, so findet man aber auch in London gerade 
ganze Straßenzüge, ja große Flächen mit Einfamilienhäusern be- 
setzt, und zwar nimmt diese Bauart, je mehr man der Peripherie der 
Stadt sich nähert, mehr und mehr zu; wir werden weiter unten aus- 
führlicher auf diese Häuser, seine Mieten und Bewohner zurückkommen. 

Geben die obigen Zahlen ein verhältnismäßig günstiges Bild über 
die Abnahme der Wohndichtigkeit, so ist es doch ganz klar, daß durch 
diese Durchschnittszahlen oft der. wahre Zustand verschleiert wird. 
Die Berichte der Medical Officer of Health zeigen, daß in manchen 
Gegenden die Vorsorge mit Häusern ungenügend ist und nicht mit 
dem Wachsen der Bevölkerung Schritt hält; auch scheint oft die Be- 
hörde durch den Eigenbau so in Anspruch genommen zu sein, daß sie 
die unzulässigen und schlechten Häuser dann gänzlich außer acht läßt. 

Die Probleme, denen man bezüglich des Hausbaues durch die Be- 
hörden gegenüber steht, sind in Stadt und Land verschiedener Art. 
Wenn man auch hauptsächlich in den ländlichen Bezirken einer wirk- 
lichen Schwierigkeit und Schwerfälligkeit der Behörden begegnet, sich 
selbst mit der Vorsorge für Kleinwohnungen zu befassen, so ist dies 
keineswegs nur an diese Bezirke gebunden. Den gleichen Widerstand, 
selbst das Bauen zu unternehmen, findet man auch in einigen städti- 
schen Bezirken, wo es an Wohnungen mangelt, die sehr wohl ohne 
große Schwierigkeit erbaut und zu einem Preis vermietet werden 
könnten, den die Arbeiterbevölkerung ohne weiteres zahlen könnte 
und auch würde. Es unterliegt keinem Zweifel, daß dem Wohnungs- 
bau in Landgemeinden größere Schwierigkeiten entgegenstehen als 
in den Städten. Die Landbevölkerung an sich ist daran gewöhnt, 
einen nur ganz geringen Mietspreis, der mit dem, was verdient wird, 
meist nicht in richtigem Verhältnis steht, auszugeben. Baut aber eine 
Behörde, so hat sie die Vorschriften des Gesetzes von 1909 zu be- 
achten, und wird, auch wenn sie nur die billigsten Wohnungen erstellt, 
doch mit dem Mietspreis, um nicht Verluste zu haben, über die land- 
läufigen Preise gehen müssen. Weiter ist die Möglichkeit zu beachten, 
daß Industrien, die sich in ländlichen Bezirken ansiedelten, und deren 
Arbeiterschaft den Mangel an Kleinwohnungen hervorruft, zurück- 
gehen oder sich an anderen günstigeren Orten ansiedeln können, so 
daß diese Häuser überflüssig und unnütz werden, und den Behörden 
daraus ein großer Schaden erwächst. Alle diese Schwierigkeiten treten 
in den Städten nicht so schroff hervor; besonders ist das Risiko wegen 
der viel rascher fluktuierenden Bevölkerung, der stärkeren Nachfrage 
bei weitem nicht so bedeutend, wie in den ländlichen Bezirken. Viel- 
mehr bildet in den Städten der Ankauf von geeignetem Grund und 
Boden eine Hauptschwierigkeit bei dem Bau von Kleinwohnungen ; 
doch hat das Gesetz von 1909 die Wege, Land für diese Zwecke 
durch das Enteignungsverfahren zu erlangen, bedeutend vereinfacht. 
Trotzdem werden nur ganz vereinzelte Fälle berichtet, wo die Behörden 
aus zwingendsten Gründen zu diesem Mittel greifen mußten. 

Eine weitere Schwierigkeit, die oben schon kurz angedeutet wurde, 
und der daraus entstehende Widerstand, Wohnungen zu bauen, findet 


358 Miszellen. 


sich dort, wo die Industrien mehr und mehr zurückgehen. Es wider- 
strebt dort dem Privatunternehmer sowohl als auch den Behörden, 
Wohnungen zu erbauen; und selbst die Voraussicht, daß durch Er- 
stellung günstigerer Wohnbedingungen die Abwanderung aufgehalten 
wird und dadurch die Ausgaben sich teilweise bezahlt machen werden, 
wird schwerlich allein ausschlaggebend für die Behörden sein. 

Umgekehrt wird ein großer Wohnungsmangel dort eintreten, wo 
neue Industrien entstehen, größere Unternehmungen auf das Land ver- 
legt werden, und nun der plötzlichen Nachfrage nach Kleinwohnungen 
kein entsprechendes Angebot gegenübersteht, und wo auch der Unter- 
nehmer selbst nicht die notwendigen Schritte tut, um seine Arbeiter- 
schaft einigermaßen unterzubringen. Meist hat er bei dem Bau der 
Fabrikgebäude, Maschinen usw. sich selbst so erheblich belastet, daß 
es für ihu für den Anfang ganz unmöglich ist, weitere Summen zum 
Bau von Arbeiterwohnungen flüssig zu machen. Oft aber ist auch die 
Entfernung von der nächsten Stadt nicht groß, und der Arbeiter kann 
zu Fuß oder mittels billiger Transportmittel seine Arbeitsstätte er- 
reichen. Dieser ziemlich plötzlich einsetzende Zuzug einer größeren 
Zahl von Arbeiterfamilien löst aber dann in dieser Stadt, die vorher 
vielleicht nur über einen kleinen Prozentsatz von leeren Arbeiter- 
wohnungen verfügte, einen empfindlichen Mangel an solchen Woh- 
nungen aus. Der private Unternehmer wird nicht sofort das Risiko 
übernehmen, solche Kleinwohnungen zu bauen, und so fällt die Sorge 
dafür den Behörden zu, die natürlich aus dem Grunde widerstreben, 
sofort zu handeln, da ihnen oft die Möglichkeit fehlt, die Wahr- 
scheinlichkeit der dauernden Existenz des Unternehmens abzuschätzen. 
Zweifellos würde ein Gesetz, das den Unternehmer in ländlichen Be- 
zirken verpflichtete, beim Bau der Fabrikgebäude zugleich Wohnungen 
für seine Arbeiter bereitzustellen, nicht unbillig sein und dem Wohnungs- 
mangel abhelfen. 4 


Freilich wird dies nicht in der Weise geschehen dürfen, daß der 
Unternehmer zugleich als Hausbesitzer auftritt und die Sorgen und vielen 
Mühen, die die Verwaltung der Kleinwohnungen mit sich bringt, allein 
auf seine Schultern nimmt. Man hat aber in anderer Weise versucht, 
diesem Uebelstande abzuhelfen und die Wohnungsnot nicht nur zu 
mildern, sondern auch die wirtschaftliche Lage des Arbeiters durch 
den Bau gesunder, luftiger Wohnungen, die entweder vermietet oder 
verkauft werden, zu bessern. Wir werden auf die verschiedenen Arten 
der Systeme im folgenden Abschnitt näher eingehen. 


3. Die Aufgaben der Wohnungsinspektion. 


Das bisherige Recht war davon ausgegangen, daß man in bezug 
auf Erbauung von Wohnhäusern, deren Benutzung usw., einem jeden 
vollə Freiheit lassen müsse. Mit der zunehmenden Bevölkerungsdichtig- 
keit in den Städten machten sich die Schattenseiten dieses Systems 
bald bemerkbar; zu verderblich wurden seine Folgen; ungesunde Zu- 
stände, eine mehr und mehr zutage tretende Unmoral, verheerende 


Miszellen, 359 


Volkskrankheiten entsprangen dieser fast schrankenlosen Willkür in der 
Handhabung der Erstellung und Benutzung von Wohnungen. Waren auch 
anfänglich, nach dem Zustandekommen des ersten Wohnungsgesetzes 
von 1851, die Beschränkungen, die vom Gesetz dem Einzelnen auferlegt 
wurden, nicht streng, so bedeuteten sie, die vor allem eine hygienisch 
einwandfreie Wohnung verlangten, einen starken Eingriff in die be- 
stehendo Freiheit; auch war die Obrigkeit befugt, Bauerlaubnis zu 
geben und zu verweigern, wo immer es ihr nach diesen Richtungen 
hin angemessen erschien. Hatte man doch früher allerdings Wohnungs- 
verhältnisse gestattet, die den einfachsten Gesetzen der Hygiene gänz- 
lich widersprachen, und hatte man die Straßen so eng und winklig 
angelegt, daß den Bewohnern in keiner Weise die nötige Luftzufuhr 
zukam. Nun wurde es anders, die Hygiene und allgemeine Sicherheit 
stellten höhere und weitgehendere Anforderungen. 

Lag anfänglich die Handhabung der Inspektion bei den Bezirks- 
behörden, und war es jeder einzelnen Verwaltung überlassen, viel oder 
wenig zu leisten, so waren doch die daraus sich ergebenden Mißstände 
derart, daß man sich gezwungen sah, eine eigene Behörde zu schaffen. 
The Public Health Act 1875 legte zum erstenmal den einzelnen Be- 
zirken und Distrikten die Verpflichtung auf, für die Einsetzung und 
Unterhaltung einer Wohnungsinspektion zu sorgen; dieses Gesetz wurde 
durch Zusätze in den Jahren 1890 und 1907 erweitert, oder es wurden 
bestehende Bestimmungen durch neue ersetzt. Die Aufsicht und Ver- 
arbeitung des gesamten Materials liegt einer Zentralbehörde, dem 
Generalbauamt (Metropolitain Board of Works), einer Unterabteilung 
des Ministeriums des Innern (Home Office), ob. 

Die Wohnungsinspektion jedes Bezirks zerfällt in drei Unterabtei- 
lungen, die aber alle das Recht haben, Wohnungen zu besichtigen; alle 
drei unterstehen der Gemeindebehörde, zwei von ihnen außerdem der 
Gesundheitsbehörde (Publie Health Department), welche einen Teil 
der Gemeindebehörde bildet. 

Die drei Unterabteilungen sind folgende: 

Der Bauinspektor (Building Inspector); er sieht alle Pläne neu 
zu erbauenden Häuser durch und hat darauf zu achten, daß diese 
Pläne den Baugesetzen entsprechen. Ist das Haus fertig gebaut, so 
hat er zu prüfen, ob der Bau den Plänen entsprechend ausgeführt 
wurde. Weiterhin unterstehen seiner Aufsicht alle baulichen Verände- 
rungen und Reparaturen an den Häusern, er hat in seinem Bezirk be- 
sonders auf den guten Zustand der Kamine, sowie auch des äußeren 
Hauses zu achten. 

Die zweite Unterabteilung ist durch den Gesundheitsinspektor 
(Sanitary Inspector) vertreten; dieser ist für den guten Zustand der 
Kanalisation und Entwässerungsanlagen, für die Wasserversorgung, 
ihren Zu- und Abfluß verantwortlich; er hat ferner der Ueberfüllung 
der Wohnung, der mangelnden Geschlechtertrennung in den Schlaf- 
räumen Beachtung zu schenken und nach Möglichkeit entgegenzuarbeiten. 

Die dritte Unterabteilung wird von der Gesundheitsinspektorin 
(Woman Sanitary Inspector) verwaltet; sie hat ganz besonders auf 


360 Miszellen. 


einen guten inneren Zustand der Wohnung, auf die Reinlichkeit, Lüf- 
tung und gute Instandhaltung der Wohnung zu achten; weiterhin liegt 
ihr ob, sich über den augenblicklich bestehenden Gesundheitszustand 
der Bewohner zu orientieren. 

Will man die Aufgaben der 3 Abteilungen mit einigen knappen 
Worten festlegen, so kann man sagen, daß dem Bauinspektor die Be- 
obachtung der Bauweise, dem Gesundheitsinspektor die Beobachtung 
der Kanalisation, und der Gesundheitsinspektorin die Beobachtung der 
Reinlichkeit der Wohnungen und der Gesundheit der Bewohner als 
Arbeitsfeld übertragen wurde. 

Alle 3 Abteilungen arbeiten Hand in Hand und berichten sich 
gegenseitig über ihre Beobachtungen; besonders eng berühren sich 
die Gebiete der Gesundheitsinspektoren und der weiblichen Inspek- 
toren. Der Geschäftsgang bringt es mit sich, daß diese beiden Ab- 
teilungen die gleichen Untersuchungen resp. Besichtigungen der Woh- 
nungen vornehmen. Findet nun die Gesundheitsinspektorin bei einer 
Besichtigung, daß die Kanalisation in schlechtem Zustand ist, so be- 
richtet sie dem Gesundheitsinspektor ihres Distrikts; fällt diesem ein 
Haus auf, in dem die Räume verwohnt und schmutzig, die Kinder 
vernachlässigt sind, so übergibt er seine Beobachtung zu weiterer 
Bearbeitung an die Inspektorin. 

In einigen Bezirken, in welchen die Frau als weiblicher Gesund- 
heitsinspektor angestellt ist, hat sie auch ihre eigenen Fälle, die eine 
gerichtliche Auseinandersetzung verlangen, vor Gericht selbst zu ver- 
treten; doch ist das nur noch bei einigen wenigen der Fall. Meistens 
übernehmen jetzt die Gesundheitsinspektoren die Vertretung vor der Be- 
hörde, und die weiblichen Inspektoren erscheinen nur, wenn es not- 
wendig ist als Zeuge aufzutreten, also beim Beweisverfahren. Dies 
scheint auch der bessere und geeignetere Weg zu sein, denn man kann 
eine Mieterin nicht einmal vor Gericht wegen Unsauberkeit, Ueberfüllung 
usw. verklagen, und anderen Tags freundlich mit ihr wieder plaudern, 
ihr Verhaltungsmaßregeln geben, wie sie ihr Kind kräftig ernähren 
soll, oder wie sie die Wohnung besser ausnützt u. a. m. 

Es ist nicht zu leugnen, daß gerade die weibliche Inspektion das 
interessanteste, lebendigste, wenn auch schwierigste Arbeitsgebiet der 
Wohnungsinspektion ist. Während die beiden anderen Inspektoren 
sich hauptsächlich mit dem Haus an sich, mit der richtigen Verwendung 
des Materials, der Innehaltung der Bauvorschriften, der Instandhaltung 
des Gebäudes beschäftigen, hat es die weibliche Inspektorin mit dem 
lebendigen, aber ungleich schwierigeren Material, dem Menschen selbst, 
zu tun; ihre Aufgaben liegen tiefer, ihre Erfolge sind weniger sinnfällig. 
Sie soll durch die Ueberwachung der wirtschaftlichen und gesundheit- 
lichen Zustände in den einzelnen Familien eine Aenderung in den 
schlechten Lebensgewohnheiten herbeiführen, durch Aufklärung und 
Unterweisung den allgemeinen Gesundheitszustand der Bevölkerung 


bessern helfen; dies bedarf aber langer, unerschrockener, geduldiger 
Kleinarbeit. 


Miszellen. 361 


Aus diesen kurzen Bemerkungen geht hervor, daß die Arbeit der 
Gesundheitsinspektorin eine ungeheuer vielseitige ist, so daß eine etwas 
ausführlichere Besprechung ihres Arbeitsgebietes interessant erscheint. 

Die Gesundheitsinspektorin hat bei einem Besuch der Wohnungen 
in erster Linie auf den sauberen, ordentlichen Zustand der Räume 
zu achten, ferner, ob der gesetzlich verlangte Luftraum in dem Schlaf- 
raum vorhanden und die Geschlechtertrennung durchgeführt ist. Findet 
sie Mißstände vor, so muß sie von der Inhaberin der Wohnung in 
freundlicher, doch energischer Weise die Beseitigung der Schäden ver- 
langen; sie muß ihr einige Winke geben, auf welche Art sie diesen 
Pflichten nachkommen, wie sie die Räume besser ausnützen kann, und 
muß ihr eindringlich die Vorteile einer sauberen und ordentlichen Woh- 
nung vor Augen führen. Zeigen mehrmalige, nach einer gewissen Frist 
durchgeführte Nachbesichtigungen, daß die mündlichen Besprechungen 
zu keinem Resultat führten, so erhält die Inhaberin der Wohnung 
einen Brief, in welchem sie nochmals aufgefordert wird, die Mißstände 
zu beheben. Der Brief hat folgenden Wortlaut: 

„An den Eigentümer oder Mieter Herrn oder Frau X. 
Street No. .. Ich habe das obenbenannte Grundstück besucht und ge- 
funden, daß folgende Schäden, die mit Nummer .... in dem Ver- 
zeichnis auf der Rückseite angeführt sind, und zu deren Beseitigung 
Sie verpflichtet sind, vorhanden sind. 

Ich benachrichtige Sie daher durch diese schriftliche Mitteilung 
von dem Vorhandensein der obengenannten Schäden in meiner amt- 
lichen Eigenschaft, und ich ersuche Sie, diese Schäden innerhalb .... 
Tagen zu beseitigen. 

Nach Ablauf dieser Frist werde ich Ihr Grundstück nochmals 
besichtigen, und ich werde mich, bei Nichtbeseitigung der Mißstände, 
gezwungen sehen, der Bezirksbehörde, als der in diesem Distrikt zu- 
ständigen Gesundheitsbehörde, Mitteilung davon zu machen, welche 
dann gegen Sie mit einer gerichtlichen Aufforderung vorgehen wird. 
Die Kosten dieses Verfahrens fallen nach § 104 des Public Health Act 
1875 Ihnen zur Last.“ 

Von den auf der Rückseite aufgeführten 67 verschiedenen Arten 
von Schäden, welche bei der Besichtigung zu berücksichtigen sind, 
seien einige bemerkenswerte hervorgehoben: das Haus oder einzelne 
Räume in schmutzigem, baufälligem, feuchtem Zustand; das Wasser- 
kloset ohne Wasserspülung, unsauber angelegt, vernachlässigt, unge- 
nügend entlüftet, überfüllte Räume, das Pflaster des Hofes in ver- 
wahrlostenı Zustand usw. 


Man hat die Beobachtung gemacht, daß die bloße Zuschickung 
des Briefes recht oft erfolgreich war, und man schreibt diesen Erfolg 
zu einem großen Teil seiner blauen Farbe zu, besonders in den Fällen, 
wo es sich um Abstellung und Beseitigung verwahrloster Räume und 
Wohnungen handelte und die Schuld meist in dem mangelnden Ord- 
nungs- und Reinlichkeitssinn der Frau lag. Nach Versicherungen 


362 Miszellen. 


einer Inspektorin wirkt dieser „blaue Brief“ oder nur die Androhung 
eines solchen oft Wunder und unterstützt die Inspektorinnen in ihrer 
erzieherischen Tätigkeit außerordentlich. Ist es doch einer Frau nicht 
angenehm, von den lieben Nachbarn als unsauber und nachlässig an- 
gesehen zu werden, denen der „blaue Brief“ nicht verborgen bleibt, 
denn das seltenere Erscheinen eines Briefträgers verursacht in diesen 
Kreisen, wo einer den andern gut kennt, schon ein gewisses Auf- 
sehen. Ferner aber ist die Furcht vor dem Gatten, der sehr zornig 
werden kann, wenn sein Name auf der Liste der unsauberen, vernach- 
lässigteun Wohnungen steht, recht groß, und veranlaßt die Frau, die 
Schäden zu beseitigen. Eine Frau, die vergeblich versucht hatte, den 
erhaltenen Brief ihrem Manne zu verbergen, sagte später einmal zu 
der Inspektorin, „das ist doch nicht recht, Sie bringen ja Unfrieden in 
die Familie.“ Bemüht man sich somit, die Bewohner zur besseren 
Instandhaltung der Wohnungen zu erziehen, so ist es ferner die Auf- 
gabe der Gesundheitsinspektorinnen, die gesundheitlichen Bedingungen 
und Zustände zu berücksichtigen, und auch hier belehrend und auf- 
klärend zu wirken. Denn die Erfahrung zeigt immer von neuem, daß 
die einfachsten hygienischen Bedingungen, Luft, Licht und Reinlichkeit, 
ferner die Säuglingspflege, die Verhütung der Uebertragung anstecken- 
der Krankheiten noch unbekannte Gebiete sind, daß Aberglaube und 
Kurpfuscherei noch eine recht bedeutende, unheilvolle Rolle spielen. 
Das Publie Health Department ist für jeden Bezirk die Stelle, in welcher 
alle Berichte über den gesundheitlichen Zustand der Bewohner zentral 
zusammenlaufen. Die Organisation dieses Amtes scheint eine außer- 
ordentlich gute und einheitliche zu sein. Während bis vor kurzem 
der Mensch als solcher nur als Zahl (Geburt und Tod) aufgefaßt wurde, 
sind die Einrichtungen jetzt so getroffen, daß das ganze Leben eines 
Menschen, was seine Gesundheit betrifft, in vollständigem Zusammen- 
hange zu ersehen ist. Aufzeichnungen, von der Geburtsanzeige an, über 
die Art und Dauer einer ansteckenden Krankheit, über das Seh- und 
Hörvermögen während der Schulzeit, Unfall usw. während der Er- 
werbstätigkeit, sind über jeden einzelnen Bewohner des Bezirks aus 
den Akten im Gesundheitsamt zu ersehen. Jeder Arzt, jede Behörde, 
wie Schule, Krankenkasse u. a. m., sind verpflichtet, dem Gesundheits- 
amt Mitteilung von allen vorkommenden Krankheitsfällen zu machen. 
Die Gesundheitsinspektorinnen haben alle ihnen vorkommenden Fälle 
auch zu berichten und dafür zu sorgen, daß bei ansteckenden Krank- 
heiten die Erkrankten möglichst sofort in das Hospital gebracht 
werden, in welchem Kinder gänzlich kostenlos aufgenommen werden, 
um ein Umsichgreifen von Infektionskrankheiten zu verhüten. Um 
die Büroarbeit zu erleichtern und übersichtlicher zu machen, hat man 
für die Karten, die über verschiedene Krankheiten ausgestellt werden, 
verschiedene Farben gewählt; auf diese Karten wird neben dem Namen, 
Alter, Geschlecht und Wohnung die Dauer der Krankheit vermerkt, 
welche Familien wahrscheinlich in nahe Berührung mit dem Kranken 
kamen, ob in nächster Nähe die gleiche Krankheit war u. a. m. Dies 
Material zu sammeln ist eine weitere Aufgabe der Gesundheitsinspek- 


Miszellen. 363 


torin. Ferner muß jede Geburt auch dem Amt gemeldet werden; dies 
antwortet damit, daß es an die Mutter ein kleines Schriftchen ‚‚with 
the compliments of the Medical Officer of Health“ schickt, in welchem 
in kurzen Worten die nötigsten Verhaltungsmaßregeln für die Mütter 
und das Kind, seine Ernährung, die Bedeutung des täglichen Badens 
usw. gegeben werden. Die Gesundheitsinspektorin besucht die Mutter 
ungefähr 8 Tage nach der Geburt und sucht sie nur dann nochmals 
auf, wenn der Gesundheitszustand der Mutter oder des Kindes kein 
guter war. 

Außerdem wurde seit April 1911 in einem Distrikt durch eine 
Gesundheitsinspektorin „the Babies Welcome“ ins Leben gerufen, eine 
Anstalt, in welche junge Mütter ihre Säuglinge bringen können und 
Rat und Hilfe in den Fragen der Säuglingspflege erhalten. ‚The 
Babies Welcome“ ist in einem der ärmsten Teile des Distrikts gelegen, 
und ist einmal wöchentlich zum Zweck der Konsultation geöffnet. Die 
Zahl der Mütter, welche diese Einrichtung gebrauchen, ist in ständigem 
Steigen begriffen, ja einige Mütter bringen nun schon den zweiten 
Säugling. Die Methode ist folgende: Die Säuglinge werden gewogen, 
und den Müttern wird Anweisung gegeben, wie sie die Kleinen kleiden 
und ernähren sollen; wenn es irgend die Zeit erlaubt, plaudert die 
Inspektorin noch ein wenig mit den Müttern, hält sie an, in ihrer 
freien Zeit einfache Kleidungsstücke selbst herzustellen, oder gibt ihnen 
ein gutes, passendes Buch zum Lesen. Die wachsende Beliebtheit 
dieser Einrichtung wird voraussichtlich dazu führen, daß an den Kon- 
sultationsstunden sich noch einige Inspektorinnen beteiligen müssen. 

Die Vorbildung der Gesundheitsinspektorinnen ist vorläufig noch 
eine recht verschiedene. Besitzen die schon länger Angestellten meist 
die Qualifikation einer Hebamme, so ist man in neuester Zeit dazu über- 
gegangen, Frauen anzustellen, die die 3-jährige Lehrzeit mit ab- 
schließendem Examen als „nurse‘‘ durchgemacht haben. Die Leiterin 
der Abteilung eines Bezirks, eine hochgebildete, kluge Frau, die ein 
Hebammenexamen abgelegt hatte, hält aber die Ausbildung einer ‚‚nurse‘ 
für unzweckmäßig und falsch. Durch die 3-jährige Lehrzeit, während 
welcher die Mädchen nur die Anweisungen des Arztes zu befolgen und 
sich seinen Anordnungen zu fügen haben, geht den meisten Absol- 
ventinnen das Gefühl der Selbstverantwortung und der Sicherheit, die 
schnelle Entschlußfähigkeit, verloren, welche bei den Gesundheitsin- 
spektorinnen von so ungemein großer Wichtigkeit ist. 

Ferner erscheint es notwendig, daß die weibliche Inspektorin eine 
den besseren Ständen angehörende Frau ist, die eine gute, vertiefte 
Bildung besitzt und Takt und sicheres Auftreten in sich vereint. Die 
Inspektorin hat die Erfahrung gemacht, daß die Leute die Frau aus 
ihrem Stande nicht schätzen; sie wollen bei einer gebildeten Frau 
Verständnis in ihren mannigfachen Nöten, Rat in häuslichen Ange- 
legenheiten finden. Auch darf die Inspektorin nicht zu jung sein; 
fehlt ihr die notwendige Erfahrung und das Verständnis für wichtige 
Fragen, so kann man auch sogleich bemerken, daß die Bevölkerung 
ihr nicht nur kein Vertrauen schenkt und die gegebenen Ermahnungen 


364 Miszellen. 


unbeachtet läßt, sondern sie nur als störenden Eindringling betrachtet, 
dem es nicht zukommt, sich in die häuslichen Verhältnisse zu mischen. 

Ein weiterer wichtiger Faktor, Ansehen und Achtung bei den 
Leuten zu erhalten, ist das Tragen einer gut aussehenden, netten Klei- 
dung; so erzählte mir eine Inspektorin, daß sie fühlt, wie sie etwas 
von ihrer Autorität den Leuten gegenüber verliert, hat sie einmal bei 
schlechtem Wetter ältere Kleider angezogen. Die Tendenz, die gerade 
in der letzten Zeit mehr Anhänger gefunden hatte, daß nämlich die 
„nurses“ auch in ihrer Tätigkeit als Gesundheitsinspektorinnen ihre 
Tracht weiter tragen, scheint nicht von Vorteil für die Arbeit zu sein. 
Es erregt immer Aufsehen in einem meist von Arbeiterbevölkerung 
bewohnten Viertel, wenn eine ,nurse“ in eins der Häuser geht. Man 
vermutet sofort Krankheit, wo doch nur besichtigt werden soll; oder 
aber, die Inspektorin, von weitem schon an der Kleidung kenntlich, 
findet verschlossene Türen, besonders dort, wo eine Besichtigung 
dringend notwendig wäre. 


4. Die Herstellung von Kleinwohnungen. 


Das Sprichwort „my house is my castle“ ist so recht aus der Eigen- 
art des Engländers heraus geprägt; gibt es doch wohl kaum ein 
modernes Volk, welches sein Heim so vollständig den Blicken Fremder 
abschließt. als dieses. Unterstützt wird dies Gefühl des Stolzes und 
der Macht im eigenen Heim durch das Gesetz, welches nicht zuläßt, daß 
jemand ohne weiteres in seinem Haus verhaftet werden kann, ihm also 
darin eino Freistatt gewährt!). 

Diesem Abgeschlossensein entsprechend, entstand die in England 
typische Bauart des Einfamilienhauses, und zwar für alle Schichten der 
Bevölkerung. Finden sich naturgemäß auch Mietskasernen vor, die in 
London, der großen "Metropole, eine entsprechend höhere Zahl als in 
anderen Städten erreichen, so sind sie dennoch nicht geeignet, den herr- 
schenden, überall hervortretenden Typus des Einfamilienhauses zu ver- 
drängen. 

Die Erstellung dieser kleineren Wohnhäuser war ungemein segens- 
reich für die ganze Entwicklung des Volkes, namentlich in gesundheit- 
licher Beziehung. Lange, einförmige, mit hohen Mietskasernen be- 
setzte Straßenzüge, in die oft kaum ein Sonnenstrahl fällt, finden sich 
nur selten; damit fallen auch zu einem großen Teil die engen, licht- 
losen Höfe fort, dunkle, unbelichtete Kammern usw. Man findet viel- 
mehr recht oft kleine Vorgärten, und mit Grün bewachsene Häuser ge- 
hören nicht zu den Seltenheiten. Hat man aber Gelegenheit, das Innere 


1) Als typisches Beispiel diene folgendes: Der Haftbefehl gegen Mrs. Pankhurst 
war ausgesprochen; eine Anzahl von Detektiven bewachte Tag und Nacht alle Aus- 
gänge, Fenster usw. ihrer Mietswohnung in Westminster. Ihre Freunde gingen ab und 
zu, und es gelang ihnen, trotz der sorgfältigen Bewachung, die Polizei zu täuschen. 
Mrs. Pankhurst verließ das Haus in der Verkleidung eines alten Mütterchens, das un- 
gehindert passieren durfte, während eine Freundin, in den Kleidern der Mrs. Pankhurst, 
sofort beim Verlassen des Hauses verhaftet wurde, schließlich jedoch, als man den Fehl- 
griff bemerkte, freigelassen werden mußte, 


Miszellen. 365 


dieser Arbeiterwohnhäuser zu sehen, so ist zweierlei immer wieder ‘neu 
ünd überraschend: die zu allen Tageszeiten saubere und freundliche 
Küche und die ausgiebige Verwendung der vorhandenen Räume zu 
Schlafzimmern. Diese Sauberkeit und Ordnung in der Küche war immer 
von neuem verblüffend, war es doch möglich, zu allen Tageszeiten in 
die Häuser hineinzukommen, wo man doch einmal eine etwas un- 
saubere Küche hätte vorfinden können. Die sehr praktische Anlage 
einer Abwaschküche — scullery — in der alle Schmutzarbeiten gemacht 
werden, und in welcher sich meist ein großer Kessel für die Warm- 
wasserversorgung, sehr oft auch zugleich die Badeeinrichtung befindet, 
verhindert, daß die Küche, die meist als Wohnküche benutzt wird, ein 
unfreundliches, unwirtliches Aussehen erhält. Von der sogenannten 
„kalten Pracht‘ findet man kaum einmal etwas in den englischen 
Arbeiterwohnungen; die Möbel sind praktisch und einfach hergestellt, 
unnütze Plüschmöbel, billige, imitierte Holzschnitzereien an Schränken, 
Stühlen usw. fehlen fast vollständig, und der Gesamteindruck eines 
Wohnraumes ist behaglich und zweckentsprechend. 

Man kann in England zwei große Systeme unterscheiden, nach 
denen das Mietverhältnis sich richtet: freehold und leasehold houses, 
d. h. solche mit freiem Grundbesitz und andere, bei denen der Grund 
und Boden gegen Zahlung einer Grundrente abgegeben wird. Dem- 
entsprechend haben sich auch verschiedene Formen ausgebildet, Wohn- 
häuser zu kaufen, für eine längere Zeit zu pachten oder zu mieten. Die 
Ansichten über die Güte jedes einzelnen Systems gehen naturgemäß 
weit auseinander, doch scheint es neuerdings, als ob das System des 
eigenen Hausbesitzes mehr und mehr festen Fuß faßt, dank der immer 
feiner und besser ausgebildeten Formen der Baugesellschaften, wie 
später näher ausgeführt werden soll. 

Als Vorteile der gepachteten und gemieteten Häuser führt man an, 
daß einmal die Beweglichkeit des Mieters, die Möglichkeit, den Wohn- 
sitz aus pekuniären oder anderen Rücksichten zu wechseln, eine un- 
gleich größere sei, als bei dem Eigenbesitz. Die Anhänger dieses 
Systems betonen außerdem, daß die ganze Bauweise solider ist und 
alles aus bestem Material hergestellt wird. Ferner kann es nicht ge- 
schehen, daß der Inhaber des Hauses nach seinem eigenen Ermessen 
darin schalten und walten kann, daß er vielleicht durch Einbauen 
eines Ladens das Gesamtbild eines Straßenzuges plötzlich stört oder 
den Nachbar auf irgendeine Art belästigt. Er hat sich den Bedingungen 
der Gesellschaft zu fügen, und dies wird oft als recht lästige Beigabe 
betrachtet. Es scheint aber, als ob das leasehold-System das ältere 
der beiden ist; finden sich doch in London Gesellschaften, die 40 
Jahre und mehr bestehen; es sei hier beispielsweise the Artizans 
Labourers and General Dwellings Company genannt. Diese kaufte in 
den 70er Jahren große Landflächen an der Peripherie, und zwar in den 
verschiedenen Richtungen Londons zu einem verhältnismäßig niedrigen 
Preis auf. Man errichtete nach und nach, je nachdem der Bedarf sich 
zeigte, Einfamilienhäuser in drei verschiedenen Typen, die entsprechend 
der Größe und Zahl der Räume zu verschiedenen Mietspreisen abge- 


366 Miszellen. 


geben werden. Der größte Teil des damals angekauften Landes ist 
schon bebaut worden, es finden sich nur im Norden Londons noch 
kleinere Freiflächen. Einen Begriff von der Ausdehnung und Größe 
der Gesellschaft geben die folgenden Zahlen. Die Gesellschaft besitzt 
in London 218,5 acres = 88022 ha Landfläche, auf der sich 

5042 Einzelhäuser, 

360 Doppelhäuser (2 Mieter), 

3723 Wohnungen in Häusern mit mehreren Stockwerken 
befinden. Innerhalb der Häuserkomplexe sind 251 Läden eingerichtet 
worden. Außerdem besitzt die Gesellschaft ca. 62 acres = 251 ha Grund 
und Boden, auf welchen Häuser mit größeren Wohnungen stehen, für 
die vierteljährlich, teilweise sogar jährlich Miete gezahlt wird. Die 
immer mehr und mehr sich ausdehnende Großstadt hat jetzt die damals 
an der Peripherie liegenden Flächen weit überholt; ganze Stadtteile 
und Vorstädte haben sich davor gelagert. Dementsprechend ist der 
Wert des Grund und Bodens von Jahr zu Jahr gestiegen. Der große 
Vorteil liegt nun darin, daß die Gesellschaft sich gut rentiert (4 Proz. 
Dividende), obwohl sie die Mieten nicht der Wertsteigerung des Grund 
und Bodens entsprechend gesteigert hat. Die Nachfrage nach diesen 
Wohnhäusern ist eine ungemein starke, und es tritt selten der Fall ein, 
daß ein Haus leer steht. 

Die Mieter dieser Arbeiterwohnhäuser setzen sich zum größten 
Teil aus Straßenbahn- und Postangestellten, gelernten Arbeitern, Schrei- 
bern, unteren FEisenbahnbeamten usw. zusammen. Die Gesellschaft 
nimmt nur Mieter an, die ihnen selbst als ordentliche Leute bekannt 
sind, oder die einen Ausweis eines glaubwürdigen Dritten bringen 
können; sie behält sich vor, Mieter, deren Personenzahl so groß ist, 
daß die Wohnung zu klein, also überfüllt, sein würde, nicht anzunehmen, 
oder sie zu veranlassen, in ein etwas größeres Haus zu ziehen. Die 
Miete muß wöchentlich gezahlt werden, was für die Arbeiterbevölke- 
rung bei der wöchentlichen Lohnzahlung eine große Erleichterung be- 
deutet. In jedem Haus ist Koch- und Leuchtgas vorhanden, wobei 
die Leitung und Beleuchtungskörper von der Gesellschaft gestellt und 
eingerichtet werden. Der Mieter hat dann 0,10 M. in den Gasautomaten 
zu werfen und bekommt ein gewisses Quantum (1 cbm) dafür. Für die 
Gasgesellschaft ist diese Art der Bezahlung sehr bequem, zugleich 
ist sie immer sicher, den richtigen Betrag für das gebrauchte Gas 
pünktlich zu erhalten. Für die Bewohner aber liegt in dieser Art Bar- 
zahlung ein erzieherisches Moment und enthebt sie der Sorge, große 
Summen auf einmal zahlen zu müssen. Jedes Haus besitzt einen kleinen 
Garten, der zum Bau von Gemüsen oder auch nur für einige Blumen- 
beete verwendet werden kann. Die Straßen sind mit Bäumen bepflanzt, 
und die, wenn auch schmalen, Vorgärten geben dem Ganzen ein freund- 
liches Aussehen. 

Die Mieten sind entsprechend der verschiedenen Bauart auch ver- 
schieden hoch. Die geringste Miete für ein Haus, das 2 Schlafzimmer, 
1 Wohnzimmer, Küche, Abwaschküche, Kohlengelaß und Wasserklosett 
enthält, beträgt 9,50 M. wöchentlich, wobei die Kommunalabgaben, die 


Miszellen. 367 


in London ungefähr ein Drittel der Miete ausmachen, einbegriffen 
sind 1); bei den größeren Häusern steigen die Mieten auf 12 M. wöchent- 
lich; in manchen Teilen Londons sind sogar 15 M. zu zahlen, doch ist 
der letztere Typus der seltenere. 

Die Gesellschaft besitzt ihre eigenen Handwerker, die die Repara- 
turen an den Häusern ausführen und ständig beschäftigt werden. 
Wechseln die Bewohner eines Hauses, so wird das Haus gereinigt, die 
Tapeten abgewaschen und die vorhandenen Schäden sofort ausge- 
bessert, auch alle während des Wohnens eintretenden Reparaturen 
führt dio Gesellschaft aus. Genau wird Buch geführt, welche Re- 
paraturen, Veränderungen usw. in jedem Haus vorgenommen worden 
sind; es läßt sich dadurch auch sofort feststellen, ob die Mieter viel- 
leicht mutwillig die Wohnung zerstört haben oder verwahrlosen ließen, 
denen dann, wenn eine Ermahnung nicht hilft, gekündigt wird. 

Auch die meisten Gartenstädte, die in der neueren Zeit mehr und 
mehr angelegt werden, beruhen auf dem leasehold-System, wenn sich 
auch Unterschiede nach den verschiedensten Richtungen hin bemerkbar 
machen. Während bei obengenannter Gesellschaft die Mieter sich aus 
der, man kann sagen „gehobeneren‘‘ Arbeiterschaft zusammensetzen, 
also ein verhältnismäßig einheitliches Gebilde darstellen, herrscht bei 
den Gartenstädten das gemischte System vor. Namentlich zwei Momente 
werden geltend gemacht, dies System als begründet und berechtigt hin- 
zustellen: eine bessere Rentabilität und eine Vermischung und Auf- 
hebung der Klassengegensätze. Der Bau größerer, also teurerer Woh- 
nungen stellt sich verhältnismäßig billiger, als der der kleineren Ein- 
familienhäuser. Durch das gemischte System können aber die kleinen 
Einfamilienhäuser billig vermietet werden, und der eigentlich ent- 
stehende Mietsverlust wird durch die Einnahme aus den größeren Ein- 
familienhäusern gedeckt. 

Die Häuser der Gartenstädte werden fast durchweg von Cooperative 
Building Societies (Mietsgenossenschaften mit Gewinnbeteiligung) er- 
baut; das Mitglied einer solchen Gesellschaft mietet dann das ihm im 
Preis und Anlage zusagende Wohnhaus. Der Grund und Boden gehört 
meist einer Gesellschaft, welche große Landflächen zu diesem Zweck 
an geeigneten Plätzen Englands aufkauft. Der leitende Gedanke einer 
solchen Terraingesellschaft ist, Baustellen an einen einzelnen oder 
an Mietsgenossenschaften abzugeben; niemals aber kann der Grund 
und Boden Eigentum eines Bewohners oder einer Baugesellschaft werden, 
sondern immer muß eine Grundrente von etwa 5 Proz. gezahlt werden. 
Die Terraingesellschaft behält sich vor, damit das Land zweckmäßig 
und richtig verwendet wird, den Grund und Boden einzuteilen, genau 
festzulegen, welcher Teil des Grundstückes, ob mehr nach der Straße 
zu oder mit einem größeren Vorgarten, bebaut werden soll; jede Haus- 
zeichnung muß, um ein gutes und harmonisches Gesamtbild zu er- 
zielen, der Gesellschaft vorgelegt werden. 


1) Die Mieten ohne Kommunalabgaben würden wöchentlich betragen 6,50 M. bzw. 
9,50 M. und 12,25 M.; übersteigt der jährliche Mietspreis eine bestimmte Höhe (650 M.), 
so dürfen die Abgaben nicht in die Miete einbezogen werden, 


368 Miszellen. 


In dem Vorort im Norden Londons, Hampstead, ist dieses System 
durchgeführt worden; ein großer Teil des von der Terraingesellschaft 
angekauften Grund und Bodens ist an eine Cooperative Society ab- 
gegeben worden. Jedoch sind Bestimmungen getroffen worden, daß 
größere Plätze und Gartenanlagen von der Gesellschaft in dem Gebiet 
angelegt werden müssen, ferner mußte sie sich verpflichten, ein Alters- 
heim, „den Hafen des Friedens“, für eine bestimmte Zahl von Be- 
wohnern zu erbauen, in dem alte Leute (augenblicklich sind 56 Männer 
und Frauen dort untergebracht) für ein geringes Entgelt (3,25 M. 
wöchentlich) Stube, Kammer und Küche mieten können. Auch mußte 
eine Kirche, für deren Baufläche die Grundrente erlassen wurde, er- 
baut werden. 

Trotzdem von der Cooperative Society und anderen Baugesell- 
schaften kleinere Einfamilienhäuser erbaut wurden, deren Mieten 9 bis 
11 M. ohne Kommunalabgaben betragen, scheint es doch, als ob die Ent- 
wicklung dahin gegangen ist, größere Wohnungen zu erstellen, den Bau 
kleinerer Wohnhäuser hingegen mehr und mehr einzuschränken. Näch 
der Meinung des Vorsitzenden der Terraingesellschaft ist es unmöglich, 
auf einem Grund und Boden, der sich so nahe (2 Meilen von Kings 
Cross), dem Zentrum Londons, befindet, mit kleinen billigen Wohnungen 
nur einigermaßen auf die Kosten zu kommen. Sie wollen mit dem Bau 
dieser Wohnungen und den ganzen Anlagen den Behörden und Kom- 
munen ein Vorbild geben, wie man zweckmäßig und künstlerisch, zu- 
gleich auch billig, Arbeiterwohnungen erbauen kann. Diese Gesell- 
schaften können nicht Wohltätigkeitsanstalten sein, und kleine Ein- 
familienhäuser erbauen, die die Gesellschaft ungewöhnlich hoch be- 
lasten. Wenn es in Hampstead noch einzelne Wohnhäuser gibt, die an 
die Arbeiterbevölkerung zu einer wöchentlichen Miete von nur 6,50 M. 
abgegeben werden, so kann die dadurch entstehende Unterbilanz für 
diese Häuser nur durch sich besser rentierende, größere Einfamilien- 
häuser ausgeglichen werden. Man hatte versucht, die Baukosten der 
Einfamilienhäuser dadurch billiger zu gestalten, daß man einen Häuser- 
komplex baute, dessen Vorderfronten nach einem großen viereckigen, 
an drei Seiten bebauten Platz hingingen, während jedes Haus seinen 
eigenen Hintergarten besaß. Man "machte jedoch die Erfahrung, daß 
diese Häuser trotz der billigen Miete sich bedeutend schwerer ver- 
mieteten; der konservative Sinn und das ausgeprägte homelife des 
Engländers verlangt, bewohnt er ein Einzelhaus in einer Gartenstadt, 
daß er um sein Haus herumgehen kann. 

Für die angestellten Arbeiter der Gesellschaft, Straßenarbeiter, 
Gärtner usw., sind zweistöckige Häuser erbaut worden, worin sie ein 
Stockwerk, das 3 Schlafzimmer, 1 Wohnküche, Abwaschraum und Bad 
enthält, für 7,25 M. wöchentlich mieten können. 

In manchen Gartenstädten ist das genossenschaftliche Prinzip auch 
auf den Verkauf der notwendigsten Nahrungsmittel innerhalb des Dorfes 
ausgedehnt worden. Humberstone, eine Gartenstadt dicht bei Leicester, 
hatten einen Materialwarenladen, eigene Schlächterei (beides auf genossen- 
schaftlicher Basis errichtet), und war mit den Erfolgen recht zufrieden. 


Miszellen, 369 


Die kleinen Einfamilienhäuser konnten hier schon zu einem wöchent- 
lichen Mietspreis von 6 M. abgegeben werden; sie bestanden aus Wohn- 
küche, Abwaschraum, Bad, Speisekammer, 3 Stuben und hatten alle 
elektrisches Licht (Keller und Dachgeschoß fehlen fast durchweg bei 
den englischen Wohnhäusern). 

Diə ganze Anlage einer Gartenstadt ist ungemein malerisch, und 
die reizenden, mit Kletterrosen oder anderen rankenden Gewächsen 
verzierten Häuschen und mit den mit Blumen bepflanzten Vor- 
gärten, von denen die schönsten bei dem jährlichen Sommerfest prä- 
miiert werden, bieten ein überaus reizvolles Gesamtbild. Und die 
Bedingung, daß die einzelnen Hintergärten nur durch Hecken, niemals 
durch Mauern abgeteilt werden dürfen, fördern den Gedanken, daß eine 
Verschmelzung der einzelnen Klassen, eine gute Kameradschaft zwischen 
arın und reich mehr und mehr festen Fuß fassen soll; zugleich aber 
wird der Eindruck eines großen, gemeinsamen Gartengeländes her- 
vorgehoben 

Wenn auch das immer stärkere Anwachsen und die Zunahme der 
Zahl der Gartenstädte eine erfreuliche Aussicht eröffnet, und der Ge- 
danke des „Wohnens im Garten“ mehr und mehr in der Bevölkerung 
Platz greift, so kann man sich bei der Besichtigung solcher Anlagen 
des Gefühls nicht erwehren, daß sie immer nur einer gut situierten 
Bevölkerungsklasse vorbehalten bleiben. Der Gedanke, Gartenstädte 
für die unteren Klassen anzulegen, wird m. E. immer eine Utopie blei- 
ben; der Preis des Grund und Bodens allein ist schon zu hoch, als 
daß man Wohnhäuser mit Garten in der Nähe großer Industriezentren 
zu einem Preis herstellen könnte, den die arbeitende Bevölkerung‘ 
zu zahlen vermag. Die auf genossenschaftlicher Basis beruhenden Bau- 
gesellschaftlichen können, um sich zu rentieren, nur zu einem ver- 
schwindend kleinen Teil der Nachfrage nach billigen Einfamilien- 
häusern entsprechen. Und, darin liegt ein bedeutsames Moment, auch 
die unteren Schichten der Bevölkerung müssen es erst lernen, bei der 
Verteilung des Einkommens den rechten Anteil für die Miete, von der 
meist angenommen wird, daß sie nur zum Wohle des Wirtes vorhanden 
sei, in Rechnung zu bringen; sie müssen einsehen lernen, welch segens- 
reichen Einfluß auf Gesundheit und Sitte, auf das ganze Familienleben 
ein gutes, zweckmäßiges und behagliches Wohnen hat. 

Haben wir so gesehen, daß die auf genossenschaftlicher Grund- 
lage errichteten Gartenstädte einem großen Teil der Bevölkerung ver- 
schlossen bleiben, so ist in der neuesten Zeit das System der Baugesell- 
schaften, die auf Grund eines von ihr gewährten Darlehns den Mieter 
innerhalb eines bestimmten Zeitraumes zum Eigentümer werden läßt, 
mehr und mehr in Aufnahme kommen. Alle die verschiedenen Un- 
stimmigkeiten, die sich zwischen Wirt und Mieter so oft ereignen, 
und bei denen jede Partei die andere für die entstandenen Schäden 
verantwortlich machen will, werden sofort behoben, wenn der Mieter 
sein eigner Wirt wird, wenn die Eigenschaften des Eigentümers und 
Benutzers in einer Person vereinigt sind. Nicht nur das; er wird 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CILI). 24 


370 Miszellen. 


als Mann, der etwas vor sich gebracht hat, von seinen Nachbarn mehr 
geachtet werden; er bekommt ein Gefühl der Zugehörigkeit zu einem 
großen Ganzen und wird die allgemeinen Fragen des Öffentlichen Lebens 
mit mehr Interesse betrachten, als vorher. 

Freilich kann der Mann der unteren Gesellschaftsklassen nicht 
ohne weiteres, auch wenn er noch so sehr danach verlangt, Eigentümer 
eines Hauses werden; denn da er gerade nur auf seinen Lohn ange- 
wiesen ist, hat er kein Kapital an der Hand, und, borgt er zu diesem 
Zweck Geld, so ist er meist durch die Zahlung der Zinsen noch 
schlimmer daran als vorher, wo er seine Miete zu zahlen hatte. 

Um diese Uebelstände abzuschaffen und Kapitalvorsorge zu treffen, 
wurden Baugesellschaften errichtet. Hierzu ist erforderlich, daß eine 
Anzahl Menschen in gleicher geschäftlicher (pekuniärer) Lage, ihre 
Spareinlagen zusammentun, so daß jeder für seinen Anteil ein Dar- 
lehn erhalten kann, welches ihm gestattet, ein Haus zu kaufen oder zu 
bauen. Freilich ist ein kleines Kapital erst notwendig, um Mitglied 
einer solchen Baugesellschaft zu werden, und zwar dem Sicherheits- 
koeffizienten gleich, den die Gesellschaft für sich in Anspruch nimmt. 
Ist dieser z. B. ein Fünftel, und die Kosten des Hauses betragen 
10000 M., so müßte das Mitglied, um ein Darlehn zu erhalten, in der 
Lage sein, 2000 M. einzahlen zu können. 

Diese Art der Geldverleihung ist für den Schuldner ungleich vor- 
teilhafter, weil er immer mit der ratenweisen Zinszahlung einen Teil 
des geliehenen Geldes zurückzahlt. Während bei einer gewöhnlichen 
Hypothek kein bestimmter Zeitpunkt festgesetzt ist, nach welchem die 
Schuld zurückgezahlt sein muß, und der Gläubiger das Geld so lange 
leiht, als er seine Zinsen regelmäßig bekommt oder er das Geld nicht 
für andere Zwecke benötigt, ist die Hypothek der Baugesellschaft dann 
vollständig getilgt, sobald die jährlichen Zinsen, die in der Hypotheken- 
urkunde festgesetzt wurden, während einer Reihe von Jahren voll bezahlt 
worden sind. 

Dies mag am einfachsten durch ein Beispiel erläutert werden. Bei 
einer Hypothek durch die Baugesellschaft von 2000 M., die für einen 
Zeitraum von 5 Jahren überlassen wird, ist eine monatliche Rück- 
zahlung von 38,50 M. oder 462 M. jährlich erforderlich; dies ent- 
spricht einem Zinseszinsfuß von 5 Proz. Am Ende des ersten Jahres 
würde der Schuldner 100 M. Zinsen für ein Jahr zahlen, und der 
Ueberschuß der Zahlung von 362 M. würde zur Verringerung seiner 
Schuld verwendet werden. Es würde sich für die einzelnen Jahre fol- 
gendes Schema ergeben: 


Abschlagszah- hlend noch beste- 
Jahre Zinszahlung lung auf Dar- zu zan ender ende Schuld- 
lehn Gesamtbetrag forderung 
erstes 100,00 362,00 462,00 1638,00 
zweites 81,90 380,10 462,00 1257,90 
drittes 62,90 399,10 462,00 858,80 
viertes 42,90 419,10 462,00 439,70 
fünftes 22,00 440,00 462,00 + 0,30 


2310,00 


Miszellen. 371 


Man könnte nun auch die Frist der Rückzahlung beliebig ver- 
längern und dadurch die einzelnen Teilzahlungen so niedrig berechnen, 
daß sie die ursprünglich zu zahlende Miete nicht oder nur um ein 
weniges übersteigen und der Schuldner dann, entsprechend den ein- 
zelnen Zahlungen, sein Haus nach 10 oder 15 Jahren als Eigentum, 
frei von jeder Abgabe, besitzen würde. 

Doch auch ein anderer Punkt mußte berücksichtigt wer- 
den; man weiß wohl, was man ist, nicht aber, was man 
sein wird, und wohin die ewig wechselnden Geschicke den Menschen 
führen, wo Fälle eintreten, die nicht erwartet und vorgesehen waren, 
und die es notwendig erscheinen lassen, seinen Wohnsitz zu ändern 
und sein Haus zu verlassen. Dies kann schon während der Zeit der 
Rückzahlung eintreten. Während die früheren Bestimmungen die Rück- 
zahlung des Geldes sehr erschwerten, und diese für den Schuldner mit 
erheblichen Verlusten verknüpft war, ging man in neuerer Zeit dazu 
über, dies wesentlich zu erleichtern und nur so viel in Anrechnung 
zu bringen, um gerade die gehabte Mühe und Auslagen während der 
Zeit der Einzahlungen zu decken. 

Auf dem Kongreß der Building Societies Association, der Ende 
Mai 1912 in Cardiff stattfand, führte der Chairman der Building So- 
cieties Association, Mr. Edward Wood, unter anderem aus, daß augen- 
blicklich ungefähr zwei Drittel Millionen Menschen mit Geldeinlagen 
in den Gesellschaften beteiligt sind, und daß über 280000 Häuser durch 
wöchentliche, monatliche und andere periodische Einzahlungen mit 
Hilfe der Baugesellschaften gekauft werden konnten!). * 

Man könnte sagen, daß die Grundsätze und Richtlinien, die die 
Baugesellschaften von dem einzelnen verlangen, einen Menschenschlag 
voraussetzen, der gelernt hat, die Zukunft ins Auge zu fassen, für sie zu 
leben, also eine Erziehung zur Sparsamkeit durch immerwährende Vor- 
sorge; „a provision for old age better than a pension“. Dringt das 
System durch, findet es eine wachsende Zahl von Anhängern in den: 
unteren Bevölkerungsschichten, tritt der junge Arbeiter zur Zeit seiner 
größten Leistungsfähigkeit in eine solche Gesellschaft ein, so muß 
allmählich das Proletariat, die Menschenklasse, die nur aus der Hand 
in deu Mund lebt, aussterben. Hier findet sich ein Mittel, die große, 
unüberbrückbar scheinende Kluft zwischen dieser Bevölkerungsschicht 
und den besser gestellten Klassen zu schließen, die Gegensätze zu 
mildern und eine Vermischung der einzelnen Klassen durchzuführen. 

Es erübrigt sich, auf die Erstellung von guten Arbeiterwohnungen 
durch Großindustrielle näher einzugehen, deren Systeme ausführlich in 
meiner Abhandlung „Wohlfahrtseinrichtungen in englischen Fabriken“ 2) 
geschildert wurden. Während in Port Sunlight das Arbeiterdorf auf 
dem Prinzip des Anteilhaberschaftssystems errichtet wurde, und die 
Häuser nur von der Arbeiterschaft des Unternehmens gemietet werden 


1) S. Building Societies Association, Report of Proceedings at Annnal Meeting held 
at Cardiff, May 1912, S. 87. 

2) In den Jahrbüchern für Nationalökonomie u. Statistik; herausgegeben von 
Dr. J. Conrad, 3. F. Bd. 47 S. 337 ff, 


24* 


372 Miszellen. 


können, steht das Arbeiterdorf Bourneville einem jeden offen, und die 
Statistik zeigt, daß unter den Einwohnern sich nur ungefähr 40 Proz. 
Arbeiter der Schokoladenfabrik Bourneville befinden, alle anderen in 
Unternehmungen in Birmingham oder umliegenden Ortschaften be- 
schäftigt sind. Die gute Verzinsung von 31/, Proz. beweist die Mög- 
lichkeit, gesunde und billige Wohnungen in ländlicher Umgebung für 
die Arbeiterbevölkerung zu erstellen. 

Wir haben uns bemüht, in kurzen Zügen die Mittel und Wege an- 
zugeben, die man in England eingeschlagen hat, um besonders der Ar- 
beiterbevölkerung gesunde und billige Wohnungen zu geben; wir sind 
uns wohl bewußt, keinen erschöpfenden Bericht zu bringen, und haben 
uns begnügt, uns während der Zeit, die uns für die Studienreise zur Ver- 
fügung stand, auf bestimmte Gebiete zu beschränken, um diese gründlich 
kennen zu lernen. 

Das eine läßt sich wohl aus dem Gesagten entnehmen, daß man die 
Wichtigkeit der Wohnungsfrage für die Arbeiterbevölkerung mehr und 
mehr erkannt hat. „Die Arbeiterwohnung“, so führte der Vorsitzende 
der Internationalen Konferenz über die Wohnungsfrage!) aus, „bildet 
die Basis eines Volkes, und je mehr wir daher das Wohlsein und die Be- 
haglichkeit des Familienlebens zu heben imstande sind, auf eine um so 
höhere Stufe werden wir die Tüchtigkeit und Leistungsfähigkeit der 
ganzen Nation bringen. Das Volk wird imstande sein, sich am längsten 
unter den glücklichsten und behaglichsten Verhältnissen zu erhalten, 
dessen Einwohner sich der größten Gesundheit und physischen Kraft 
erfreuen. Der Hochdruck des modernen Lebens wird immer intensiver, 
braucht aber deshalb nicht zum Rückgang eines Volkes zu führen; im 
Gegenteil, eben der Kampf ums Dasein wird auch in der Zukunft die 
größere Leistungsfähigkeit einer gesunderen, stärkeren Rasse fördern, 
wenn für das gesunde Familienleben in gesunder Umgebung gesorgt 
wird. Vernächlässigt aber ein Volk die Wohnungsfrage seiner Bürger, 
steht es deren Bedürfnissen für vernünftige und passende Erholung 
nach getaner, harter Arbeit gleichgültig gegenüber, so wird diese 
Nation sicherlich einen langsamen, aber sicheren Rückgang der Körper- 
bildung und Lebensfähigkeit erfahren.“ Zu lange hat man gezögert, 
der Wohnungsfrage die Beachtung zu schenken, die sie verdient. Erst 
der neueren Zeit blieb es vorbehalten, mit den verschiedensten Mitteln 
eine Besserung in den Wohnungsverhältnissen herbeizuführen. Dennoch 
sind wir von der Lösung der Wohnungsfrage noch weit entfernt, 
sprechen dabei doch noch ganz andere Umstände mit, von denen die 
Lohnfrage wohl mit der bestimmendste ist. 


1) Visit of International Housing Conference to Port Sunlight, August Ok 1907. 
Chairman’s Address. 8. 29. 


Miszellen. 373 


VIII. 


Verhandlungen des Zweiten Deutschen Soziologen- 
tages (vom 20. bis 22. Oktober 1912 in Berlin)'). 


Von Prof. Br. L. v. Wiese in Düsseldorf. 


Als ich in diesen Jahrbüchern über den Ersten Deutschen Soziologen- 
tag berichtete, konnte ich mich nicht nur auf den ersten Band der 
Schriften stützen, sondern auch darauf, daß ich den Frankfurter Ver- 
handlungen selbst beigewohnt hatte. Während des Berliner Kongresses 
im Oktober 1912 befand ich mich außerhalb Europas und war bei den 
Verhandlungen nicht anwesend. Ich kann diesmal meinen Bericht nur 
auf die wiederholte Lektüre der „Reden und Vorträge“ aufbauen, wie 
sie in Band II der Schriften wiedergegeben sind. 

Zweckmäßigerweise lag diesmal den Verhandlungen ein einheitliches 
Thema, das Wesen der Nationalität, zugrunde. Abgesehen 
vom Redner des Begrüßungsabends, Alfred Weber, der über „den sozio- 
logischen Kulturbegriff“ sprach, hatten sich alle Vortragenden mit diesem 
Begriff oder dem nicht allzu fern liegenden der Rasse zu beschäftigen. 
Jedoch ist schon bei der Programmaufstellung eine Unklarheit unter- 
gelaufen, die sich im Laufe der Tagung als verhängnisvoll herausstellte. 
Es wurde nämlich offenbar nicht deutlich zwischen den teilweise ver- 
schiedenen Begriffen „Nation“ und „Nationalität“ geschieden ?). Leider 
scheint auch während der Verhandlungen nur wenigen zum Bewußtsein 
gekommen zu sein, daß viele Schwierigkeiten und Mißverständnisse der 
Debatte darauf zurückzuführen sind, daß diese beiden Begriffe bisweilen 
miteinander vermengt wurden. Vieles jedoch, was für das Wesen der 
Nation zutrifft, paßt absolut nicht für die Erklärung der Nationalität 
und umgekehrt. Die Folge davon, daß niemand auf diese Divergenz 
hingewiesen hat, war, daß der Nationalitätenbegriff noch viel schwerer 
faßbar erschien, als er an sich ist. Die rein im Wortgebrauche liegenden 
Schwierigkeiten werden ja schließlich noch dadurch vermehrt, daß das 


1) Schriften der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. 1. Serie: Verhandlungen 
der Deutschen Soziologentage. 2. Band. Tübingen (J. C. B. Mohr [Paul Siebeck]) 1913. 
192 S. Geh. 4,40 M., Leinwandband 6 M. 

2) Ich habe nur zwei Stellen in dem Bericht finden können, bei denen eine 
Scheidung gemacht ist, nämlich (auf S. 183) in Michels’ Vortrag, wo es heißt: „Es bilden 
sich, wenn auch nicht nationale Staaten, Nationen, so doch Nationalitäten...“ und bei 
Tönnies Diskussionsbemerkungen (S. 49): „Ich begnüge mich deshalb, darauf aufmerk- 
sam zu machen, daß die großen sozialen Körper, die sich Nationen nennen, wohl ohne 
Ausnahme aus mehreren Nationalitäten zusammengesetzt sind.“ 


374 Miszellen. 


Eigenschaftswort national weitere Bedeutungselemente in sich auf- 
genommen hat, die sich bei den Hauptwörtern Nation und Nationalität 
nicht finden. 

Gewiß kann man den Begriff Nationalität so anwenden, wie es 
Barth getan, gleich „Bewußtsein zu einer bestimmten Nation zu ge- 
hören“. Dann braucht man keine Scheidung zwischen Nation und 
Nationalität vorzunehmen. Aber schon der folgende Vortrag Schmids, 
des Juristen, brauchte Nationalität im modernen Sinne, bei dem Natio- 
nalität immer einen Volksbruchteil darstellt, während das Wort Nation 
fast ganz gleichbedeutend mit Volk oder Volkstum geworden ist. 

Bei der Aufstellung der Themen hat man anscheinend an diese 
Schwierigkeiten nicht gedacht. Jedenfalls macht hier die Wortwahl den 
Eindruck der Zufälligkeit. Zuerst sprach Paul Barth über „Die Natio- 
nalität in ihrer soziologischen Bedeutung“. Tatsächlich sprach er über 
die Entwicklung des Nationalbewußtsein. Dann folgte Ferdinand 
Schmids Vortrag über „Das Recht der Nationalitäten“. Hier deckte 
sich Thema und Inhalt. Ludo Moritz Hartmann redete über „Die 
Nation als politischen Faktor“. Dabei wäre eine strengere Scheidung 
der beiden Substantiva wünschenswert gewesen. Ihm folgte der um- 
kämpfte Vortrag Oppenheimers über „Die rassentheoretische Geschichts- 
philosophie“. Den Schluß machten Robert Michels’ Ausführungen über 
„Die historische Entwicklung des Vaterlandsgedanken“. 

Ehe ich versuche, auf diese Beiträge zur Soziologie der Nation und 
Nationalität einzugehen, möchte ich etwas über Alfred Webers einleitenden 
Vortrag „Der soziologische Kulturbegriff“ sagen: Er gab in seiner Rede 
einen Beitrag zu dem auch von älteren Soziologen (besonders von Fran- 
zosen und Amerikanern) gern behandelten Problem des Gegensatzes von 
Zivilisation und Kultur, wobei es ihm um eine Verfeinerung des Kultur- 
begriffes zu tun war. Nach Weber ist Zivilisation das Objektive, auf 
psychischem Gebiete das Geistig-Begriffliche, Intellektuelle; sie gehöre 
zu dem großen Anpassungsprozesse des Lebens an die Natur und sei 
ein Glied des biologischen Entwicklungsprozesses, nachdem die Kette 
der Lebewesen im Menschen die Höhe des Gesellschaftslebens erreicht 
habe. Kultur sei demgegenüber das Subjektive, das Kunstwerk, die 
Idee und das gefühlsmäßige Erleben. 

Wie die moderne Kunst hinter den Erscheinungen das tiefere Leben 
zu erfassen versucht, so wird Weber zum Kulturphilosophen des Ex- 
pressionismus. Er wendet sich gegen die einseitige Auffassung des ge- 
schichtlichen Geschehens als einer stufenweisen Verwirklichung eines 
oder mehrerer kontinuierlicher Prinzipien, wie sie so häufig in der Ge- 
schichtsphilosophie — etwa bei Augustin, Hegel, St. Simon, den Posi- 
tivisten, Marx, Lamprecht — gegeben worden ist. Bei ihr würden die 
Einzeltatsachen nur als Unterglieder und Teilmechanismen des Gesamt- 
verlaufs angesehen, während doch diese Einzeltatsachen ihren Eigenwert 
und ihre Einzigkeit besäßen. 

Diesen Willen Webers, ähnlich wie es Philosophen der Bergsonschen 
Richtung tun, nun auch als Soziologe über die mechanistisch-intellek- 
tualistische Auffassung des Lebens hinauszudringen, wird man freudig 


Miszellen. 375 


und dankbar anerkennen müssen. Besonders die Absicht, das Indivi- 
duelle als selbständigen Wert zu erfassen, scheint mir begrüßenswert. 
Sein Streben, das innere Erleben als eigentliche Kultur zu betrachten, 
entspringt dem Künstlerisch-Genialischen, das in seiner Natur schlummert, 
und das sich nun auch in der Richtung der wissenschaftlichen Erkenntnis 
Bahn brechen will. 

Aber mit Soziologie hat das alles wenig Berührungsmöglich- 
keiten. Das einzige Soziologische, was ich in seinen programmatischen 
und notwendigerweise mehr aphoristischen Darlegungen zu entdecken 
vermochte, war def — leider nicht weiter ausgeführte — Satz, daß wir 
zu erkennen versuchen müßten, wie auch die Einzeltatsachen dessen, 
was er Kultur nennt, „aus dem Leben“ (also aus der Gesellschaft) 
„herauswüchsen“. Da aber nicht der geringste Versuch gemacht wird, 
uns hierfür Fingerzeige zu geben, so kann man seinen Kulturbegriff 
nicht als soziologischen, sondern nur als expressionistisch-personalistischen 
bezeichnen. Er ruht völlig auf individualistischer Basis und hat mit 
Soziologie wenig gemeinsam. Gewiß kann man Soziologe sein und doch 
die Kultur so ansehen, wie es Weber tut; aber man ist dabei nur so 
weit Soziologe, als man es als seine Aufgabe betrachtet, eben die Tat- 
sachen der Kultur aus den gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen 
abzuleiten. Soziologen Weberscher Observanz — ich selbst würde mich 
gern zu ihnen rechnen — werden niemals die Kultur nur aus gesell- 
schaftlichen Tatsachen ableiten, werden jedoch, wenn sie Soziologen 
bleiben wollen, ihre soziale Bedingtheit anerkennen müssen. Ein sozio- 
logischer Kulturbegriff kann sich von jedem anderen nur dadurch unter- 
scheiden, daß er die gesellschaftlichen Anordnungsverhältnisse der 
Menschen als mitbestimmende Faktoren der Kultur aufweist. Nur aus 
einer flüchtigen Andeutung in Webers Vortrag konnte man entnehmen, 
daß er diesen Satz auch anerkennt; was er im übrigen gab, war die 
— an sich fesselnde und tiefdringende — erste Einleitung zu einer Be- 
trachtung über den soziologischen Kulturbegriff, die aber bis zum Nach- 
weis ihres soziologischen Gehalts nicht mehr gelangt ist. Das mußte 
aber Verwirrung stiften, an der wir doch in unserer Disziplin wahrlich 
genug haben. Es geht nicht an, daß unter der Etikette Soziologie jeder 
geistvolle Mensch willkürlich das vorträgt, was ihm gerade das Herz 
bewegt. Diese strenge Disziplin darf nicht auf dem Boden der Wissen- 
schaft zu einer Parallelerscheinung des Futurismus in der Malerei werden. 

Wenn Webers eindrucksvolle Ausführungen zur Herausarbeitung 
eines eigentlich soziologischen Kulturbegriffes nicht gelangen, so kann 
man in Barths völlig anders gearteten Darlegungen über die „Natio- 
nalität“ und ihre soziologische Bedeutung eine Stelle finden, die man 
wohl mit Recht als Aufstellung eines soziologischen Kulturideals be- 
zeichnen könnte. Es heißt da: „Dieses Ideal“ (der Gesellschaft) „ist 
eine Gesellschaft, in der jedes einzelnen Selbständigkeit aufs höchste 
gewachsen ist, die aber dennoch zusammenhängt und gedeiht, ohne 
Zwang und ohne Strafe, weil jeder den guten Willen hat, d. h. den 
Willen, immer das zum Frieden und zur Wohlfahrt Nötige zu tun, 
sei es mit, sei es ohne Selbstüberwindung“ (S. 45/46). Ohne mir 


376 Miszellen. 


dieses Gesellschaftsideal zu eigen machen zu wollen, möchte ich doch 
diese These als Beispiel für einen spezifisch soziologischen Kultur- 
begriff hinstellen, bei dem also unter Kultur stets ein gesellschaftlicher 
Zustand verstanden ist. 

Barth wollte offenbar sein Thema in zwei (auch im einzelnen 
überaus klar und harmonisch angeordneten) Teilen behandeln. Er unter- 
suchte zunächst die geschichtliche Entwicklung des Nationalbewußtseins 
und ging nach der historischen Untersuchung zur Frage nach dem 
Werte dieses gefühlsmäßigen Zusammenhangs für die Gesellschaft über. 
Als er dabei die nationale und die internationale Staatsidee miteinander 
vergleichen wollte, wurde er durch den (höchst anfechtbaren) Eingriff 
des Vorsitzenden Tönnies genötigt, seinen Vortrag abzubrechen. Da 
also sein Referat ein Torso bleiben mußte, ist es um so seltsamer, daß 
in der Diskussion derselbe Vorsitzende ihm vorwarf, er sei gerade an 
dem eigentlich soziologischen Problem vorbeigegangen. 

Dem ersten Teile seines Vortrags gegenüber hätte ich mannig- 
fachen Widerspruch zur Darstellung der vorgeschichtlichen Zeit zu er- 
heben. Um so wertvoller erscheinen mir seine Darlegungen über die 
Hellenen, das Mittelalter, die 'Aufklärungsepoche und das Zeitalter 
Napoleons. Die Bausteine seines großen Wissens sind vorwiegend 
universalgeschichtlichem und philologischem Material entnommen; gute 
deutsche humanistische Schulung spricht aus seinen Darlegungen; da- 
gegen vermißt man die (den Engländern so geläufige) Verwertung 
ethnographisch-anthropologischer Studien für seine Geschichtsphilosophie. 
Nicht richtig scheint es mir, zu den drei Urinstinkten der Menschen 
die elterliche (auch väterliche?) Liebe zum Nachwuchs zu rechnen. 
(Hier scheint mir Ratzenhofer mehr Recht zu haben.) Noch mehr Wider- 
spruch möchte ich gegen die Behauptung erheben, daß „der Krieg doch 
in früheren Zeiten seltener ist als der Friede“, ja unter den primitivsten 
Stämmen sehr selten sei. Die entgegengesetzte Ansicht, wie sie vor 
allem von Spencer, Gumplowiez, Ratzenhofer, Steinmetz usw. aufs ent- 
schiedenste vertreten wird, schien mir inzwischen Gemeingut aller Sozio- 
logen geworden zu sein. Ich war recht erstaunt, daß Barth den Krieg 
als wichtigsten Faktor im Aufbau der ältesten Staatswesen ablehnt. 

Fraglich ist mir ferner, ob man zur Erklärung der Entstehung der 
Sippenverfassung die bei den Kamilaroi vorhandene Exogamie so ver- 
allgemeinern darf. Jedenfalls steht ihr bei anderen Stämmen gerade 
die Endogamie als sippenbildendes Element gegenüber. Daß die Gentil- 
verfassung das Vorhandensein einer ihr übergeordneten Volkseinheit 
voraussetzt, scheint mir zu sehr der griechisch-römischen Entwicklung 
abgelesen zu sein. Daß ferner in homerischer Zeit „Einzelwille und 
Gesamtwille noch ungetrennt sind, da der bewußte Einzelwille noch 
nicht vorhanden ist, wie auch das Schuldbewußtsein darum fehlt“, ist 
doch wohl eine zum mindesten in der Wahl der Ausdrücke recht an- 
fechtbare Behauptung. 

Daß schließlich die alten Stammesgottheiten Naturgötter wären, die 
Naturgewalten darstellten, sollte man wirklich heute nicht mehr aus- 


Miszellen. 377 


sprechen. Kann man diesen längst überwundenen Aberglauben nicht 
dem seligen Max Müller überlassen ? 

Um so wertvoller müssen dem Leser Barths Darlegungen über den 
nationalen Charakter der antiken Religion und Kunst und über das 
(freilich schon recht oft eingehend dargestellte) Aufkommen des Welt- 
bürgertums von den Stoikern an erscheinen. 

Im engsten Zusammenhange mit Barths Referat stand Michels’ 
Vortrag, der eigentlich genau dasselbe Thema behandelte. Er bildete 
insofern eine willkommene Ergänzung zu jenen Darlegungen, als er von 
der Antike, die bei Barth im Vordergrunde gestanden hatte, ganz ab- 
sah, dafür aber die moderne Entwicklung ‘zumal in Frankreich und 
Italien) eingehender behandelte. Das große Verdienst der fesselnden 
Ausführungen des Baseler Soziologen liegt in dem überzeugenden Nach- 
weis, daß das, was wir Patriotismus nennen, in seinem Ideen- und 
Gefühlsinhalte großen Veränderungen unterworfen gewesen ist. Einen 
beträchtlichen Teil solcher Nuancen des Vaterlandsgedankens eindrucks- 
voll nachgewiesen zu haben, wird man Michels zubilligen müssen. Es 
hat für uns Preußen einen besonderen Reiz, daß uns hier so lebendig 
die fremden Spielarten des Patriotismus (z. B. die demokratische der 
französischen Revolution) in ihren historischen Zusammenhängen vorge- 
führt werden. Freilich ist dafür die eigentlich preußische Art der 
Vaterlandsliebe, die, aus der Vasallentreue erwachsen, vorwiegend mon- 
archischen Charakter trägt und mit Königstreue in einem sehr engen 
Zusammenhang steht, unberücksichtigt geblieben. Das bringt mich 
darauf, diejenigen Punkte anzuführen, in denen ich Michels’ Ausfüh- 
rungen nicht folgen kann: Es ist zunächst sicher richtig, daß die 
religiösen Interessen des Mittelalters die nationalen nicht recht auf- 
kommen ließen. Trotzdem bin ich im Zweifel, ob es nicht doch falsch 
ist, zu sagen, daß die Ideologie des Mittelalters „von dem modernen 
Begriff der Nation oder gar des Vaterlandes keine Vorstellung 
besaß“. Richtig scheint mir der Satz nur, wenn man auf das Attribut 
„modern“ den Nachdruck legt. Sicherlich unterschätzt M. ferner die 
Bedeutung der Vasallentreue für die Entstehung des Vaterlandsgedankens; 
ich glaube nicht, daß das Städtebewußtsein hierfür die größere be- 
wegende Kraft war. 

Ein Mangel der Untersuchungen des Vortragenden scheint mir ferner, 
daß die Heimatliebe (abgesehen von dem eben erwähnten, verwandten 
Städtebewußtsein) fast gar nicht als eine den Vaterlandsgedanken 
zeugende Kraft betrachtet, bei den Darlegungen über die modernen 
Kolonialvölker sogar sicherlich unterschätzt wird !\. Daß der Sozialismus 
dadurch, daß er an die Stelle des Volkes die Klasse setzt, den Vater- 
landsgedanken verinnerlicht, vermag ich nicht zuzugeben. Auch daß 
„Demokratien immer in weit höherem Grade als Aristokratien patrio- 
tisch sind“, ist einseitig der Geschichte der romanischen Völker ent- 


1) Allerdings findet sich in der Schlußzusammenfassung die Erwähnung der „An- 
hänglichkeit an das Land“ als eines der zwei Grundelemente der Vaterlandsliebe. 


378 Miszellen. 


nommen. Hätte Michels dem französischen Patriotismus den preußisch- 
deutschen gegenübergestellt, wäre das Gesamtbild noch richtiger 
geworden. Das, was er über die Bedeutung der friderizianischen Siege 
sagt, reicht nicht aus. 

Jedoch diese Zweifel sind unbedeutend gegenüber dem Umstande, 
daß Michels’ Vortrag spezifisch soziologischen Charakter trug, da der 
Zusammenhang zwischen den wechselnden Formen und Stärkegraden 
der Vaterlandsliebe und den geschichtlichen Notwendigkeiten der ein- 
zelnen Epochen deutlich aufgewiesen wurde, ohne daß nach dem Rezept 
der materialistischen Geschichtsauffassung die „Ideologie“ des Patrio- 
tismus nur als Ausfluß der wirtschaftlichen Zeitbedingungen 
erschien. 

Ferd. Schmid begründete in seinem Referat einen Antrag, eine 
umfassende Untersuchung über die gegenwärtige Gestaltung der natio- 
nalen Verhältnisse und des Nationalitätenrechts in die Wege zu leiten. 
Diesem Zwecke gemäß suchte er in Ausführungen, deren tatsächliche 
Grundlage die österreichisch-ungarischen Verhältnisse waren, zu zeigen, 
wie eine Lösung der Nationalitätenfrage nur auf dem Boden des Rechtes 
möglich, und daß gegenwärtig der Zeitpunkt gekommen wäre, um für 
den zukünftigen Nationalitätenrechtsstaat das wissenschaftliche Funda- 
ment zu legen. 

Eine rechte Enttäuschung bereitete Hartmanns Vortrag über „Die 
Nation als politischen Faktor“. Er erbrachte lediglich den Beweis, daß 
ihn seine sozialistische Grundanschauung daran hindert, gerade über 
dieses Thema reden zu können. Wer in den Mittelpunkt seiner Aus- 
führungen den Satz stellt: „Es ist aber durch die Wandlung der Stel- 
lung der Bourgeoisie innerhalb des Staates, aus ihrer Entwicklung vom 
aufstrebenden zum herrschenden Stande durchaus erklärlich, daß sie die 
nationale Idee ihrerseits durch Vermengung mit den rudimentären Ideen 
des autarken Staates zur nationalistischen umgebildet hat, während es 
heute im wesentlichen der aufstrebende vierte Stand sein muß, der der 
Träger der nationalen Idee in seiner reinen Form ist“, wer scharf 
zwischen Machtstaat und nationalem Staat sondert und den letzteren 
fast völlig mit dem sozialistischen identifiziert, wird sich nicht wundern 
können, daß man der wissenschaftlichen Objektivität seiner Ausfüh- 
rungen mit Mißtrauen begegnet. Sein Vortrag ist in der Hauptsache 
ein geschicktes Plaidoyer für das Nationalitätenprogramm des revisio- 
nistischen Flügels der österreichischen Sozialdemokratie. Nimmt man 
es als solches, wird man dem geistvollen Politiker seine Anerkennung 
nicht versagen; man wird freilich vielleicht den Kopf schütteln, daß ein 
Mann, der am öffentlichen Leben regen Anteil nimmt, noch so hinter- 
wäldlerische Anschauungen von der Diplomatie hat, daß er in der Volks- 
versammlung — ach nein, auf dem Soziologentage — ausruft: „Wer 
hätte schon gehört, daß ein Diplomat auf historische Tendenzen Rück- 
sicht nimmt?“ Aber selbst den Schluß seiner Rede hätte man eben 
als parteiprogrammatisch vorgeschrieben hingenommen: „Inwieweit dies“ 
(die Neigung zum Intriguieren bei den Diplomaten) „auf die Struktur 
des aristokratisch-kapitalistischen Staates zurückgeht, dies zu unter- 


Miszellen. 379 


suchen ist hier nicht der Ort — wohl aber zu konstatieren, daß die 
offizielle Politik sich im Gegensatze befindet zu allem, was soziologische 
Wissenschaft genannt werden kann.“ 

Dies auf demselben Soziologentage, wo man einen anderen Redner 
in demselben Augenblicke am Weiterreden hinderte, als er die Frage 
aufwarf: „Wäre es nun für den Fortschritt ... besser, wenn der Staat 
nicht national, sondern international wäre?“ Die von demokratisch- 
sozialistischen Werturteilen geradezu durchtränkten Ausführungen Hart- 
manns wurden nicht als ein Verstoß gegen die Satzungen empfunden, 
während Barths unvergleichlich viel objektivere Darlegungen abge- 
brochen werden mußten! 

Das muß gerügt werden. Die Mehrzahl der Mitglieder hat anfangs die 
prinzipielle Verpönung der Werturteile hingenommen als einen Versuch, den 
man einmal trotz entgegenstehender Bedenken machen mußte. Ablehnen- 
der muß sie sich jedoch gegenüber der Durchführung dieses Grund- 
satzes verhalten, wonach die Vorsitzenden mit einer Art unbeschränkter 
Polizeigewalt ausgestattet sind und jeden Redner wie einen Schulbuben 
rektifizieren dürfen, wenn er etwas äußert, was der Vorsitzende für ein 
Werturteil hält. Aber wenn man schließlich diese Praxis handhaben 
will, muß es mit einer peinlichen Korrektheit geschehen, deren gerechte 
Handhabung alle Teilnehmer überzeugt. Nun ist nicht daran zu zweifeln, 
daß der Wille zur unparteiischen Handhabung der (höchst anfechtbaren) 
Vorsitzendengewalt bestand; aber der Vorsitzende Tönnies hegte am 
ersten Tage eine andere Auffassung über die Grenze des Zulässigen 
als der Vorsitzende Sombart am zweiten Tage. Dadurch wird aber das 
ganze System der Erzwingung wertfreier Verhandlungen ad absurdum 
geführt; der Kampf gegen das Subjektive muß an der Subjektivität der 
Richter scheitern. 

Oppenheimers lebhafte Polemik gegen die rassentheoretische Ge- 
schichtsphilosophie vermag ich nicht so ohne weiteres als „ein über 
40 Seiten fortgezetztes Raisonnement, dem jede Spur von Begründung 
fehlt“, abzutun, wie es Walther Köhler in Schmollers Jahrbuch getan 
hat. Freilich setzen mich seine Schlußausführungen in einige Verlegen- 
heit. In ihnen werden nicht nur die Rassen, sondern auch die Rassen- 
anlagen als bewegende Kräfte des Gesellschaftslebens anerkannt. Das 
steht aber im Widerspruch zu seinen gesamten vorausgehenden Aus- 
führungen, in deren Kern die Sätze stehen: „Die causa causans ist das 
Milieu, die gesamte natürliche und soziale Verumständung und ihre 
Veränderungen; dadurch ist streng determiniett die Gruppen- 
strömung nach Richtung und Tempo, dadurch streng determiniert 
die Gruppenideologie nach Wertung und Ueberzeugung, und da- 
durch schließlich ebenso streng determiniert ist Wertung, Ueber- 
zeugung und Handlung des Individuums“ (S. 135). Diese 
einseitige Milieutheorie ist ebenso falsch wie die einseitige Rassen- 
theorie. Im neuesten Heft des „Archivs für Rassen- und Gesellschafts- 
Biologie“ habe ich versucht in dem Aufsatz „Die Rodias auf Ceylon“ 
eine Widerlegung der Milieulehre an einem sehr eindringlichen Einzel- 
beispiel zu geben. Diese Rodias sind unter den traurigsten Umständen 


380 Miszellen. 


lebende  „Outcasts“, die seit Jahrhunderten dem schlimmsten Boykott 
der übrigen Gesellschaft ausgesetzt sind. Wären sie in ihren Eigen- 
schaften nur vom Milieu abhängig, müßten sie körperlich und seelisch 
völlig verkommen sein. Unter ihnen befinden sich auch die Nach- 
kommen von verstoßenen Fürstinnen und adligen Frauen des Singalesen- 
hofes. Die Folge ist, daß der eine Teil der heutigen Rodias Abkömm- 
linge einer tiefstehenden Gruppe umfaßt, der andere Teil jedoch seine 
Herkunft teilweise (durch die späteren Blutvermischungen freilich im 
abgeschwächten Grade) von biologisch hochwertigen Menschen herleitet. 
Beide Gruppen sind den gleichen fürchterlichen und schwächenden 
Lebensumständen unterworfen. Trotzdem trifft man unter ihnen neben 
minderwertigen Elementen die schönsten, kräftigsten Menschen der 
Insel, die anscheinend auch geistig gut begabt sind. Die ererbten 
Qualitäten sind in ihnen stärker als das Milieu gewesen. 

Indessen glaube ich, daß sich auch Oppenheimer, durch die Ueber- 
treibungen seiner Gegner gereizt, hat hinreißen lassen, mehr zu be- 
haupten, als im Grunde seiner Ansicht entspricht. Er wendet sich in 
der Hauptsache gegen die wertenden Uebertreibungen und gegen die 
Versuche, die Bedeutung der eigenen Rasse durch pseudowissenschaft- 
liche Argumente zu erhöhen. Er polemisiert ferner gegen die Lehre 
von der Unveränderlichkeit der Rassenmerkmale. Ich würde demgegen- 
über sagen, daß Rassenmerkmale schwer veränderlich sind, teilweise 
aber durch lange wirkende Milieueinflüsse abgeschwächt werden können. 
Bisweilen ist das Milieu, bisweilen (wie im obigen Falle) die Erb- 
qualität stärker. 

Wenn jedoch Oppenheimer der Rassenpsychologie seine Klassen- 
psychologie entgegenstellt und dieser größere Bedeutung beimißt als 
jener, so kann ich ihm nicht folgen. Rassen- und Klassenanlagen 
wirken beide; will man wirklich einer von beiden den größeren Wirkungs- 
grad zubilligen, so kommt er meines Erachtens der Rassenanlage zu, 
weil sie biologisch und zeitlich tiefer reicht. 

Das Beobachtungsfeld des Anatomen Gustav Fritsch, der die Be- 
hauptung aufgestellt hat, daß die harmonische Entwicklung des mensch- 
lichen Körpers nur unter dem Einfluß der Kultur möglich sei und gut ent- 
wickelte, plastisch schöne Körper bei den Primitiven seltener seien als bei 
uns „angeblich abgelebten Kulturmenschen“, muß übrigens recht eng ge- 
wesen sein. Hottentotten und Buschmänner reichen — vielleicht, Herr 
Oppenheimer, wegen ihrer Rasseneigenschaften! — zu solcher Schluß- 
folgerung nicht aus. Dagegen würde ich Herrn Fritsch empfehlen, 
indische, ceylonische, malayische, javanische und chinesische Kulis mit 
den Leibern europäischer Globtrotter zu vergleichen. Die Schönheit des 
männlichen Körpers hat sich mir am eindringlichsten an nackten Ta- 
milen der untersten Kasten, die in einer Graphitgrube Ceylons ar- 
beiteten, dargestellt. 

Die Diskussionsreden sind diesmal nach einem Vorstandsbeschlusse 
nur in knappem Auszuge veröffentlicht. Die Folge ist, daß sie in dem 
Buche etwas kümmerlich wirken. Doch hat die Erörterung im Zu- 
sammenhange mit den Referaten gelehrt, daß die Faktoren, die das 


Miszellen. 381 . 


Nationalgefühl bewirken, überaus zahlreich sind und sehr wechseln: 
viel Einfluß übt die gemeinsame Sprache aus, die aber nicht immer 
dort vorhanden zu sein braucht, wo sich eine Nation oder Nationalität 
als Einheit fühlt; wirtschaftliche Faktoren, der Gegensatz zu einer 
herrschenden oder bezwungenen Gruppe und manches andere noch 
können in Betracht kommen. 

Wenn man trotz mancher wertvollen Anregung und wissenschaftlich 
bedeutenden Einzelleistung doch im ganzen keinen besonders nach- 
haltigen Eindruck vom zweiten Soziologentag nach der Lektüre seines 
Berichtes gewinnt, so liegt es daran, daß sich die Unterbindung der 
freien Meinungsäußerung sicherlich für solche Kongresse nicht bewährt 
hat. Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie würde gut tun, wenn sie 
den hemmenden Satzungsparagraphen einer Revision unterzöge, da er in 
der Praxis zu einer bedenklichen Auslegung geführt hat, die nur viel 
Verstimmung erzeugt und der Sache nichts nützt. 


382 Miszellen. 


IX. 


Die Tarifverträge im Deutschen Reiche am Ende 
des Jahres 1912. 


Bearbeitet im Kaiserl. Statistischen Amte, Abteilung für Arbeiterstatistik. 
Berlin 1913. Quartformat. 8,80. M. 


Von Professor Dr. H. Köppe in Marburg a. d. Lahn. 


Die als 7. Sonderheft zum Reichsarbeitsblatte unter dem obigen 
Titel Ende Januar 1914 erschienene amtliehe Statistik der Arbeitstarif- 
verträge im Deutschen Reiche trägt einen ganz besonderen, wichtigen Cha- 
rakter. Inı Unterschiede von ihren Vorgängern enthält sie nämlich eine 
erstmalige vollständige und erschöpfende Bestandsstati- 
stik aller Arbeitstarifverträge in Deutschland. Die frühe- 
ren Veröffentlichungen über denselben Gegenstand!) gaben zwar über 
die in dem betreffenden Berichtsjahre neu hinzugekommenen Tarif- 
verträge einen genauen Aufschluß, indem deren Inhalt nach allen Rich- 
tungen eingehend erörtert und durch zuverlässige detaillierte Zahlen- 
angaben veranschaulicht wurde. Allein von den Tarifverträgen der 
früheren Jahre konnte nach dem bisherigen Erhebungsverfahren nur 
ihre Anzahl sowie diejenige der von ihnen erfaßten Betriebe und Per- 
sonen, und noch dazu ohne Vermeidung von Doppelzählungen ange- 
geben werden, die dadurch entstanden, daß aus den Angaben der be- 
richtenden Verbände nicht zu entnehmen war, wie weit eine und dieselbe 
Tarifgemeinschaft sich auf mehrere, von verschiedenen Verbänden ab- 
geschlossene Tarifverträge gründete. Nachdem nunmehr, wie in der 
letzten Tarifvertragsstatistik angekündigt, die Erhebungsmethode so 
umgestaltet worden ist, daß derartige Doppelzählungen ausgeschlossen 
werden können, ergibt die vorliegende, vom Regierungsrat Dr. Poens- 
gen bearbeitete Tarife ertragsstatistik von sämtlichen Ende 1912 im 
Reiche in Kraft stehenden Tarifverträgen sowohl ihre genaue Zahl als 
eine erschöpfende Darstellung ihres Inhalts. Sie bietet mithin ein 
vollständiges und umfassendes Bild aller tariflich ge- 
regelten Arbeitsbedingungen in Deutschland. Sowohl in 
methodologischer Hinsicht wie nach dem Umfang und der Bedeutung der 
in ihm dargestellten Erhebungsergebnisse stellt der neue Band also einen 
ebenso erheblichen wie erfreulichen Fortschritt in der sozialstatistischen 
Erfassung und Klarlegung des Tarifvertragproblems dar. Je dringender 


1) Vgl. meinen letzten Bericht im Juniheft 1913 dieser Jahrbücher, 8.819 ff., 
über die amtliche Statistik der Tarifverträge des Jahres 1913. 


Miszellen. 383 


sich das Bedürfnis geltend macht, auf Grund möglichst zuverlässiger, 
umfassender und tiefgehender Tatsachenmaterialien die sozialen Pro- 
bleme zu erfassen und zu analysieren, um so willkommener und dankens- 
werter muß der hier erreichte Fortschritt erscheinen. Dies gilt hier 
um so mehr, als, wie namentlich die Beschäftigung mit der Frage der 
rechtlichen Regelung des Tarifvertrags ergibt, wohl auf keinem Auf- 
gabengebiete eine derartige Kompliziertheit der Vorbedingungen für 
die Inangriffnahme einer befriedigenden Lösung besteht wie auf dem des 
Arbeitstarifvertrags. 

Was zunächst die methodologische Seite betrifft, so waren erst- 
malig für das Berichtsjahr 1910 neue Formulare eingeführt worden, 
die sich von den früheren hauptsächlich dadurch unterschieden, daß 
für jeden einzelnen in diesem Jahre in Kraft getretenen Tarifvertrag 
ein besonderes Zählblatt auszufüllen war, in dem der Inhalt des Ver- 
trags ausführlicher und deutlicher als bisher dargestellt ward. Da- 
durch konnte das Zusammenstellungsformular eine entsprechende Kür- 
zung erfahren. Die jetzige neue Methode bedingte eine nochmalige 
zweckgemäße Aenderung des Inhalts der (nebst Gebrauchsanweisung 
und Musterausfüllung abgedruckten) Formulare, zu denen als drittes 
eine Liste der aus früheren Jahren noch gültigen Tarifverträge hin- 
zugekommen ist. 

Die neue Statistik enthält in ihrem ersten Teile 77 Seiten mit er- 
läuternden konzentrierten Tabellen durchsetzten Text, in ihrem zweiten 
Teile auf 246 Seiten die ausführlichen zahlenmäßigen Uebersichten, 
außerdem einen Anhang von 25 Seiten, in dem wiederum die Tarif- 
gemeinschaften im Handwerk, außerdem aber noch diejenigen in den 
Großstädten je eine zahlenmäßire Darstellung gefunden haben. Die 
erstere gibt ein anschauliches Bild der im Handwerk üblichen tarif- 
lich geregelten Arbeitsbedingungen, die letztere umfaßt natürlich auch 
Tarifgemeinschaften, deren Geltung über den Großstadtbereich hinaus- 
geht. Besonders wichtig sind in diesen die großstädtischen Löhne und 
täglichen sommerlichen Arbeitszeiten. Das Material ist, wie bisher 
stets, ganz überwiegend von Arbeitnehmer-Verbänden (12437 Verträge) 
und Gewerbegerichten, äußerst dürftig dagegen von Arbeitgeberseite 
(836 Verträge) eingegangen. Die Statistik mußte daher wiederum im 
wesentlichen aus dem ersteren aufgebaut werden, das nur unbedeutende 
und zuden: insofern entschuldbare Lücken aufweist, als manche Verträge 
den Verbänden selbst erst nachträglich bekannt wurden. Auch inhalt- 
lich warer die Angaben in den Nachweisen dieser Seite trotz der ihr 
durch die Erweiterung auf eine vollständige Bestandsstatistik erwachse- 
nen erheblichen Mehrbelastung so sorgfältig und erschöpfend, daß das 
Material einen recht zuverlässigen Boden für den Aufbau bot. Diese 
Sorgfalt beruht, wie hier eingeschaltet werden darf, hauptsächlich auf 
entsprechenden Anweisungen der Zentralverbands-Vorstände an die An- 
gestellten. So enthält z. B. das mir gerade vorliegende „Handbuch für 
die Bevollmächtigten des Deutschen Buchbinderverbandes“ eine ein- 
gehende und sachgemäße Belehrung über deren Pflichten betreffs der 
laufenden tarifstatistischen Berichterstattung an das Statistische Amt. 


384 Miszellen. 


Vorausgeschickt ist der textlichen Darstellung diesmal ein kurzer, soweit 
möglich vergleichender Ueberblick über die Ergebnisse der Tarif- 
statistik anderer Länder (Großbritannien, Schweden, Oesterreich und 
Frankreich), ferner eine Erörterung über den Begriff des Tarifvertrags 
und ein Rückblick auf die Entwicklung der deutschen Tarifstatistik. 

Was nun die wesentlichsten Ergebnisse der neuen, ein 
Gesamtbild des deutschen Tarifvertragwesens am Ende des Jahres 1912 
vorführenden Statistik betrifft, so gipfeln sie in drei außerordentlich 
wichtigen Feststellungen. In erster Linie ist „das außerordent- 
lich rasche Vorwärtsschreiten des Tarifgedankens be- 
merkenswert‘“!). In den sechs Jahren seit Ende 1907, seit 
welcher Zeit erst eine Vergleichung richtiger Zahlen möglich ist, hat 
sich die Zahl der Tarifverträge und der von ihnen erfaßten Arbeiter 
mehr als verdoppelt. Beseitigt man, nachdem dies jetzt möglich 
geworden, die aus der Zusammenzählung der einzelnen Tarifverträge 
sich ergebenden Doppelzählungen von Betrieben und Personen, so gab 
es Ende 1912: 

10739 Tarifgemeinschaften für 159930 Betriebe und 
1574285 Personen. 

Will man die Entwicklung der Tarifverträge in diesen sechs 
Jahren übersehen, so steht dem allerdings zweierlei im Wege. 
Erstens, daß bis einschließlich 1911 immer nur die im Berichts- 
jahr in Kraft getretenen Tarifverträge frei von Doppelzählungen 
ermittelt worden sind. Ferner, daß die Eingliederung der Tarif- 
verträge in das der Berufs- und Betriebszählung von 1907 zugrunde 
liegende Verzeichnis der Gewerbegruppen seit 1910 für die im Be- 
richtsjahre in Kraft getretenen Verträge, dagegen erst in der vor- 
liegenden neuesten Statistik auch für den Gesamtbestand aller 
Verträge erfolgt ist. Infolgedessen darf man für jenen Zweck nicht 
den jetzt als besser erkannten Modus der Zugrundelegung der Tarif- 
gemeinschaft wählen, sondern muß sich mit dem älteren Verfahren 
der einfachen Zusammenzählung aller berichteten Verträge ohne ihre 
Zurückführung auf die Zahl der durch sie begründeten Tarifgemeıin- 
schaften begnügen. Mit anderen Worten: man muß die Summe der für 
jedes Jahr berichteten Verträge ohne Ausschluß der darin ent- 
haltenen Doppelzählungen nebeneinanderstellen. Alsdann ergibt 
sich folgendes Bild: 


Bestand Tarifverträge Betriebe Personen 
Ende 1907 5324 111050 974 564 
» 1908 5671 120 40I 1 026 435 
„ 1909 6578 137 214 1 107 478 
„ 1910 8 293 173 727 1 361 086 
a. "204 10 520 183 232 1552827 
in 2912 12437 208 307 1 999 579 


Nach den Erfahrungen der letzten Jahre nimmt das Statistische 
Amt an, daß das Verhältnis, in dem sich die Anzahl der berichteten 
Tarifverträge nebst Betrieben und Personen bei der Zusammenziehung 
in Tarifgemeinschaften vermindert, nicht sehr erheblich ändert. Das 


1) So wörtlich in der Besprechung und auszugsweisen Wiedergabe des Werkes 
im Reichsarbeitsblatt, 1914, Januarheft, S. 6l ff. und Februarheft, S. 142 ff. 


Miszellen. 385 


zweite Hauptergebnis ist, daß, wie diese Zahlen gleichfalls dar- 
tun, der Anteil der durch den Abschluß von Tarifver- 
trägen vermittelten friedlichen Verständigungen zwi- 
schen den beiden Parteien an der Gesamtheit der gewerb- 
lichen Streitigkeiten in erfreulichem ständigem Wachs- 
tum begriffen ist. Immer mehr wird der Weg friedlicher Verein- 
barung dem des Kampfes, der Ausstände und der Aussperrungen, vor- 
gezogen. Drittens sind die Tarifverträge bei uns in Betriebe 
jeder Größe, in kleine, mittlere und Großbetriebe, ein- 
gedrungen und verstärkt sich namentlich ihr Eindringen 
in Großbetriebe der allerverschiedensten Branchen fort- 
gesetzt. 

Sieht man näher zu, wie die Entwicklung des Tarifvertrags- 
gedankens sich vergegenständlicht, so ergibt sich zunächst eine erheb- 
liche Verschiedenheit der einzelnen Gewerbe in ihrer Aufnahmebereit- 
schaft. Am stärksten von ihm durchdrungen sind die polygraphischen 
Gewerbe, demnächst (und zwar erheblich stärker als in Großbritannien) 
das Baugewerbe, sodann das Bekleidungsgewerbe, die Papier-, Leder- 
und Holzindustrie, während der Bergbau bei uns und auch in Oesterreich 
im Gegensatz zu Großbritannien, Frankreich und Schweden, sich aus 
den in den früheren gleichartigen Besprechungen erörterten Gründen 
noch immer vollständig ablehnend verhält. In der Gesamtzahl aller 
tariflich beschäftigten Arbeiter übertrifft Großbritannien mit 2,4 Mill. 
Deutschland erheblich. Die starke Beteiligung des Verkehrsgewerbes 
an den britischen Tarifverträgen ergibt sich daraus, daß die Eisenbahnen 
dort Privatbetriebe sind. Läßt man die nur in sehr geringer Zahl von 
Tarifverträgen erfaßten Arbeiterinnen außer Betracht, so sind im ganzen 
etwa 1/, aller deutschen Arbeiter durch Tarifverträge gebunden. Weit 
größer ist aber die nicht feststellbare Zahl der indirekt von Tarif- 
verträgen beeinflußten Arbeiter, da die tariflichen Arbeitsbedingungen 
auch für die Arbeitsverhältnisse der nicht tarifgebundenen Arbeiter 
in vielfachen Hinsichten maßgebend werden. Es entfielen (ohne Doppel- 
zählungen): 


Tarif Betriebe Personen 
gemeinschaften 
auf die polygraphischen Gewerbe 80 9723 85 319 
„ das Baugewerbe 2466 56 980 596 273 
» »„» Bekleidungsgewerbe 719 19916 139 767 
» die Papierindustrie 166 2 492 41039 
»  » Lederindustrie 245 4 842 32057 
» a Holzindustrie 1264 18 912 155 109 
» » Metallverarbeitung und Maschinendustrie 1291 17 678 199 156 
» p Industrie der Steine und Erden 610 4 000 59 528 
„on nm ‚„ Nahrungs- und Genußmittel 2167 11754 120 284 
» das Verkehrsgewerbe 336 5 228 59 595 
» » Handelsgewerbe 637 2723 39 073 


Relativ schwach vertreten ist die Textilindustrie (in der bekannt- 
lich über die Hälfte der Arbeiter weibliche sind) mit 206 Verträgen, 
577 Betrieben und 15895 Personen und noch mehr die Landwirtschaft 
mit 90 Verträgen, 532 Betrieben und 4243 Personen. Von den übrigen 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 25 


386 Miszellen. 


Gruppen sei hier noch die Gast- und Schankwirtschaft mit 218 Ver- 
trägen, 1596 Betrieben und 6174 Personen genannt. Die Vertretung 
des Tarifvertraggedankens ist also sehr verschieden, je nachdem man 
die Zahlen der Tarifgemeinschaften, der Betriebe oder der Personen 
ansieht. Will man wissen, bis zu welchem Grade ein Gewerbe taritlich 
geregelt ist, so muß man die Zahlen seiner sämtlichen Betriebe 
und der sämtlichen in ihnen beschäftigten Personen vergleichen mit 
den Zahlen der von Tarifverträgen eriaßten Betriebe und Personen 
desselben Gewerbes. Nach der gewerblichen Betriebsstatistik von 1907 
gab es im ganzen 9608615 Arbeiter und Gehilfen gegen 1574285 
Ende 1912 tariflich gebundene, so daß diese 16,4 Proz. von jenen be- 
tragen. Legt man nur die Zahlen der männlichen Personen aus jener 
Betriebsstatistik (insgesamt rund 7,7 Mill.) zugrunde, so sind danach 
tarifgebunden: in den polygraphischen Gewerben 66,9, im Bekleidungs- 
gewerbe 50, im Baugewerbe 47,4, in der Papierindustrie 33,9, in der 
Holzindustrie 31,8, in der Lederindustrie 26,2, im Verkehrsgewerbe 
22,1, in der Nahrungs- und Genußmittelindustrie 21,3, in der Metall- 
verarbeitung und Maschinenindustrie 13, in der chemischen Industrie 
5,4, in der Textilindustrie 4 Proz. aller Arbeiter. 

Nach dem örtlichen Geltungsbereiche betrachtet gab es 
11 für das ganze Reich geltende Tarifgemeinschaften für 9239 Be- 
triebe und 80945 Personen. Die polygraphischen Gewerbe sind an 
ihnen hauptsächlich beteiligt. Doch ist dabei zu beachten, daß auch 
viele örtliche Tarifgemeinschaften teils auf zentralen Tariffestsetzungen 
(wie im Holz-, Schneider- und Baugewerbe, besonders 356 Verträge 
im Malergewerbe auf einem Reichs-Rahmentarife), teils auf einem 
zentral vereinbarten Vertragsmuster (wie im Steindruck- und im Handels- 
gewerbe) beruhen. Die größte Zahl von Tarifgemeinschaften (72,7 
Proz. mit 26,6 Proz. aller tariflich gebundenen Personen) ist auf je 
eine Unternehmung beschränkt, dagegen sind die, welche die Mehr- 
zahl aller tariflich gebundenen Arbeiter (50,2 Proz.) umfassen, für 
ganze Bezirke abgeschlossen. Etwa !/; aller Tarifgemeinschaften be- 
ruhen auf Ortstarifverträgen. 

An den Vertragschlüssen sind auf Arbeiterseite nur Ver- 
bände beteiligt. Bei 72,8 Proz. aller Verträge ist auf Arbeitgeberseite 
kein Verband beteiligt. Sie umfassen aber nur 31,5 Proz. aller Per- 
sonen, während fast ?/ der letzteren unter zweiseitig korporative Ver- 
träge fallen. An 5,7 Proz. aller Verträge waren Innungen beteiligt. 
Man sieht daraus, daß die Tarifgemeinschaften durchaus auf der Kraft. 
und dem Willen der beiderseitigen Organisationen beruhen. Zum ersten 
Male. sind die Tarifgemeinschaften auch nach dem Prozentsatze ge- 
ordnet, den die organisierten Arbeiter von den überhaupt erfaßten Ar- 
beitern ausmachen. Danach gehören, soweit den Verbänden Angaben 
darüber möglich waren, 54,1 Proz. aller tarifgebundenen Arbeiter den 
berichtenden Verbänden an. Dieser Durchschnittssatz wechselt aber 
zwischen. 29,9 im Bau- und 93,8 im polygraphischen Gewerbe. 

Die wichtige Frage der Verbreitung des Tarifvertrags nach der 
Größe der Betriebe, also namentlich nach seinem Eindringen in die 
Großbetriebe, ist immer noch deshalb nicht strikt zu beantworten, 


Miszellen. 387 


weil sich nicht überall feststellen läßt, wieviele Arbeiter jeder tariflich 
geregelte Betrieb umfaßt. Es läßt sich nur für jeden Tarifvertrag die 
Gesamtzahi der in allen von ihm umfaßten Betrieben beschäftigten 
Arbeiter feststellen und daraus die Durchschnittszahl der auf den 
einzelnen Betrieb entfallenden. Arbeiter ziehen. Danach sind zwar 
69 Proz. aller Tarifgemeinschaften solche, die durchschnittlich nur bis 
20 Arbeiter beschäftigen, aber die Mehrzahl aller tarifgebundenen Ar- 
beiter (50,3 Proz.) gehört Tarifgemeinschaften an, bei denen auf einen 
Betrieb durchschnittlich mehr als 20 Arbeiter kommen. Das Sta- 
tistische Amt schließt daraus, daß die Mehrzahl aller durch die 
Ende 1912 bestehenden Tarifverträge gebundenen Per- 
sonen zu Betrieben gehört, die keinen handwerksmäßigen 
Charakter mehr tragen. Bei 471 Tarifgemeinschaften mit 1027 
Betrieben und 221446 Arbeitern (= 14,2 Proz. aller tarifgebundenen) 
fallen auf einen Betrieb durchschnittlich mehr als 100 Arbeiter. Am 
stärksten ist dabei die Metallverarbeitung nebst Maschinenindustrie 
vertreten. Von diesen 471 fallen 300 Tarifgemeinschaften für 714 Be- 
triebe und 99481 Arbeiter auf Betriebe mit mehr als 100 bis einschließ- 
lich 200 Arbeitern und 171 Tarifgemeinschaften für 313 Betriebe und 
121965 Arbeiter auf Betriebe mit mehr als 200 Arbeitern. Die größte 
Arbeiterzahl in einem tariflich gebundenen Betriebe findet sich in einer 
Stuttgarter elektrotechnischen Fabrik, in der für 4730 Arbeiter ein 
Tarifvertrag bestand. Dann folgen Tarifverträge je für 3960, 1479, 
1280, 1200, 1175 und 1008 Arbeiter. Im ganzen umfaßt die Metall- 
verarbeitung und Maschinenindustrie 58 Tarifgemeinschaften der zweiten 
Art für 85 Betriebe mit 42395 Personen, darunter zahlreiche in der 
eigentlichen Großeisenindustrie. Aus anderen Gewerbegruppen seien 
eine Zellstoffabrik mit 2000 und 1118 Personen, eine Nahrungsmittel- 
fabrik mit: 1325, ein Zeitungsunternehmen mit 1510 tarifgebundenen 
Personen erwähnt. Ausdrücklich wird dabei hervorgehoben, daß alle 
diese Personenzahlen nur die unmittelbar tarifgebundenen Ar- 
beiter erfassen, also nur Mindestzahlen sind, da jene Großbetriebe weit 
mehr Personen als diese letzteren beschäftigen können. Bemerkt sei 
auch noch, daß in der chemischen Industrie, die nur Großindustrie 
ist, 61 Tarifgemeinschaften für 66 Betriebe mit 5814 Arbeitern (= 5,4 
Proz. aller im Jahre 1907 in dieser Industrie beschäftigten Arbeiter) 
bestehen. Dagegen entfallen auf Tarifgemeinschaften im Handwerk (er- 
mittelt nach der Art der Erzeugnisse und zugleich nach der Betriebs- 
größe) 3826 Verträge für 110900 Betriebe und 450928 Personen. 
Was Arbeitszeit und Arbeitslohn betrifft, so wird unter 
ersterer die kürzeste reine Arbeitszeit (ohne Pausen) verstanden, die 
nach Sommer und Winter getrennt sowie als tägliche und wöchentliche 
dargestellt wird. Leider ist es nicht allen berichtenden Verbänden mög- 
lich, die Zahlen der unter die verschiedenen Arbeitszeiten fallenden 
Arbeiter getrennt anzugeben, ebensowenig für jeden Lohnsatz in den 
verschiedenen Bezirken und Berufsarten innerhalb einer Tarifgemein- 
schaft die Zahl der darunter fallenden Arbeiter. Es mußte daher einer- 
seits bei der bisherigen Einreihung des ganzen Tarifs mit allen Ar- 
25* 


388 Miszellen. 


beitern unter die kürzeste Arbeitszeit (die freilich regelmäßig auch 
die Arbeitszeit für die große Mehrheit aller tarifgebundenen Arbeiter 
ist), anderseits bei der Gruppierung nur eines Bruchteils aller tarif- 
gebundenen Arbeiter nach den verschiedenen Lohnstufen bewenden. 
Danaclı fallen im Sommer unter eine Arbeitszeit von 91/,—10 Stunden 
46,6 Proz. der Tarifgemeinschaften und 37,1 Proz. der Arbeiter. Die 
meisten Arbeiter (57,7 Proz.) arbeiten zwischen mehr als 9 bis ein- 
schließlich 10 Stunden. Im Winter halten die niedrigeren Zeitstufen 
den höheren die Wage; unter 8 Stunden arbeiten 34,4 Proz. der Arbeiter. 
Als Arbeitslohn ist durchgängig der niedrigste tariflich vereinbarte 
Zeitlohnsatz für erwachsene Arbeiter angegeben. Alle Tariflöhne sind 
bekanntlich Mindestlöhne. In der Tarifstatistik werden sie zur Er- 
möglichung einheitlicher Darstellung in dem besonderen engeren Sinne 
desjenigen Lohnes verstanden, den ein erwachsener Arbeiter mindestens 
beziehen muß, auch wenn er neu in den Betrieb eintritt oder der 
niedrigst gelohnten Arbeiterart des ihn bindenden Tarifvertrags an- 
gehört. Bei den gelernten Arbeitern ist die Stufe über 45—55 Pfg. 
am stärksten (mit 34,7 Proz. der Tarifgemeinschaften und 37 Proz. 
der Arbeiter) besetzt, bei den ungelernten die über 35—45 Pfg. (mit 
47 Proz. der Tarifgemeinschaften und 44,4 Proz. der Arbeiter). Sonach 
beträgt für gelernte Arbeiter bei der Mehrzahl aller Tarifgemeinschaften 
(58,9 Proz.) und Arbeiter (72 Proz.) der niedrigste Mindestlohn über 
45 Pfg., für ungelernte bei der großen Mehrzahl aller Tarifgemein- 
schaften (74,2 Proz.) und Arbeiter (61,7 Proz.) 45 Pfg. und weniger. 
Im Wochenlohn ist bei den gelernten Arbeitern die Stufe über 20 bis 
25 M. von den meisten Tarifgemeinschaften (30,5 Proz.), dagegen die 
Stufe über 25—30 M. von den meisten Arbeitern (52,6 Proz.) besetzt. 
Bei den ungelernten ist die Mehrzahl (57,4 Proz.) zu einem Wochenlohn 
von 25 M. und weniger beschäftigt. Sonntags- und Nachtarbeit wird 
in der Regel höher als gewöhnliche Ueberarbeit bezahlt. 

Fast alle Tarifverträge (98,3 Proz.) enthalten Bestimmungen über 
die Entlöhnungsformen. In 4888 Tarifgemeinschaften (46,3 Proz.) 
für 41721 Betriebe und 328199 (21,1 Proz.) Personen ist nur Zeitlohn, 
in 585 (5,6 Proz.) für 3464 Betriebe und 53923 (3,4 Proz.) Personen 
nur Akkordlohn, in den übrigen 5079 (48,1 Proz.) für 112372 Betriebe 
und 1175344 (75,5 Proz.) Personen beides vorgesehen. Mindestlohn- 
Gewährleistung bei Stücklohn haben 1637 Tarifgemeinschaften (28,9 
Proz. aller mit Stücklohn) für 43667 Betriebe und 311965 (25,4 Proz.) 
Personen. 

Wir bisher werden ferner die tariflichen Bestimmungen über 
Jahreszeit des Abschlusses, Dauer, Kündigung und Ver- 
längerung der Tarifverträge, Schlichtungs- und Eini- 
gungsorgane und ein- oder zweiseitige Arbeitsnachweise 
dargestellt. Beachtenswert ist, daß in unverhältnismäßig vielen Fällen. 
(für 48,3 Proz. aller tarifgebundenen Arbeiter) durch den Tarifvertrag 
jede Kündigungsfrist für den Einzelarbeitsvertrag ausgeschlossen ist. 
Schließlich wird wiederum eine Vergleichung der ortsüblichen Tage- 
löhne mit den tariflichen Lohnsätzen für männliche erwachsene Arbeiter 


Miszellen. 389 


gegeben, doch diesmal unter Erweiterung auf den Gesamtbestand aller 
Ende 1912 bestehenden Tarifverträge, so daß sie ein im wesentlichen 
vollständiges Bild von den Löhnen der hauptsächlichsten Berufsarten 
gelernter und ungelernter männlicher Arbeiter in den verschiedenen 
Verwaltungsbezirken des ganzen Reiches gibt. Angeschlossen ist ihr 
eine Uebersicht über die auf die verschiedenen Stundenlohnstufen ent- 
fallenden Zahlen der männlichen gelernten und ungelernten Arbeiter. 
Mit dem neuen Bande hat die deutsche Tarifvertragsstatistik einen 
hohen Grad der Vervollkommnung erreicht. Zu wünschen bleibt, wie 
das Statistische Amt selbst hervorhebt, eine erheblich frühere Ein- 
sendung der Materialien, womöglich schon im ersten Monat des dem 
Berichtsjahre folgenden Jahres, damit die Verarbeitung- und Veröffent- 
lichung rascher als bisher erfolgen kann. Inwieweit hinsichtlich der 
Spezialisierung der Löhne und der Arbeitszeiten sowie der Größe der ein- 
zelnen Betriebe Verbesserungen auch dem Statistischen Amte wünschens- 
wert sind, wurde bereits erwähnt. Es bliebe dann noch die wichtige 
internationale Vergleichbarkeit anzustreben. Der Gesamteindruck von 
der Entwicklung des Tarifvertragsystems selbst läßt sich dahin charak- 
terisieren, daß sie durch ihre Stetigkeit ebenso wie durch ihre Stärke 
den Tarifvertraggedanken zu steigender Bedeutung im sozialen Leben 
emporhebt und immer aufs neue Kräfte von ihm ausgehen läßt, die, 
ob gewollt oder nicht, aufbauende, den zerstörenden Wirkungen des 
Klassenkampfes entgegenwirkende und daher friedenfördernde sind. 


390 Miszellen. 


X. 


Zur Ordnung unserer Wissenschaft. 
Von Rud. Dietrich. 


Inhalt: 1. Wirtschaft-Wissenschaft, Privatwirtschaft-Lehre und Technik. 
— 2. Eine Neu-Ordnung der Wirtschaft-Wissenschaft. — 3. Schluß-Fragen, die 
besonders deu Inhalt der Betrieb-Wissenschaft betreffen. 


1 


In der Grundlegung zu meinem Werke Betrieb-Wissenschaft (das 
zurzeit gedruckt wird) habe ich mich um eine — wie mich dünkt, dring- 
liche — Neuordnung unserer Wissenschaft bemüht. Einer vorläufigen 
Veröffentlichung in Schmollers Jahrbuch (1913, S. 595—653), welche 
den größten Teil jener Grundlegung bringt, hat Prof. K. Diehl-Frei- 
burg in seiner Abhandlung über „Privatwirtschaft-Lehre, Volkswirt- 
schaft-Lehre, Weltwirtschaft-Lehre“ (Jahrbücher III. F. 46. Bd., S. 433 
bis 482) eine Seite gewidmet (467). 

Es lag für eine Abhandlung, welche sich mit Privatwirtschaft- 
Lehre befaßt, nahe, meine Arbeit heranzuziehen; weil diese den Privat- 
wirtschaft-Lehren entgegentritt. Es ist aber nicht gut möglich, daß 
ein vollständiger Bericht über Zweck und Inhalt meiner Arbeit mit 
einer Seite nur auskommt. Ich bitte deshalb um Aufmerksamkeit für die 
folgende knappe Darstellung, die ich, da mich die Abschluß-Arbeiten 
an meinem Werke während der letzten Monate ganz in Anspruch 
nahmen, nicht früher bieten konnte. Ihrem sachlichen Wert tut dies, 
scheint mir, keinen Abbruch. — 

Mein Urteil über die Möglichkeit einer „Privatwirtschaft-Lehre“ 
wurde vorhin berührt. Ich beschränke mich hier auf die folgenden 
grundsätzlichen Bemerkungen. Schon der Name ist unhaltbar, eine 
verfehlte Bildung, aus falschen sachlichen Voraussetzungen entstanden, 
obendrein in verschiedenem Sinne gebraucht. Und was die Sache be- 
trifft: man hat keinen Grund, für die wissenschaftliche Pflege der 
Wirtschaften (Betriebe und Haushalt), die man ungeschickterweise 
„Privatwirtschaften‘“ nennt, innerhalb der Wirtschaft-Wissenschaft (Volks- 
wirtschaft-Lehre) eine besondere Abteilung, oder außerhalb eine selb- 
ständige Haupt- oder Nebenwissenschaft zu bilden. 

Folglich kann ‚„Privatwirtschaft-Lehre‘“ als wissenschaftliche Wirt- 
schaft-Lehre weder in noch neben der Wirtschaft-Wissenschaft (Volks- 
wirtschaft-Lehre) bestehen; es ist logisch und sachlich unmöglich. Eine 
Verwechslung aber jenes organischen Teils der Wirtschaft-Wissenschaft, 
den ich versucht habe auszubilden (vgl. Abschn. 2 u. 3) und Betrieb- 


Miszellen. 391 


Wissenschaft nenne, mit einer „Privatwirtschaft-Lehre“ irgendwelchen 
Sinnes, ist ausgeschlossen. 

Diese gedeiht heute in den „Handels-Hochschulen“. Deren Be- 
gründer und Leiter, mehr noch manche ihrer Lehrer als Vertreter ge- 
wisser Fächer, haben einen bedauerlichen, ja peinlichen, leider wenig 
beachteten Wirrwarr der Begriffe verschuldet. Man nehme sich ein- 
mal die Mühe und vergleiche die Verzeichnisse ihrer Vorlesungen und 
Uebungen. 

Ich habe in diesen Wirrwarr Klarheit zu bringen gesucht. Die 
fraglichen Begriffe oder vielleicht nur Worte sind — außer Privatwirt- 
schaft-Lehre — Handel-Wissenschaft, Betrieb-Lehre. Ich lehne alle 
drei (und einige ähnlich lautende verwandte) ab, scheide die ver- 
schiedenen, willkürlich zusammengefügten Einheiten und Gesamtheiten, 
die jene Begriffe oder Worte umfassen oder bezeichnen (sollen), und 
stelle sie au ihren Ort: Weise das Wirtschaftliche der Wirtschaft-W issen- 
schaft. das Technische den Technikern zu. Damit wird nicht allein 
Klarheit. sondern auch Vereinfachung erwirkt. 

Diese Untersuchung und Scheidung, wie auch schon die Durch- 
sicht der vorhin erwähnten Handels-Hochschul-Verzeichnisse lassen nun 
deutlich erkennen, was die „Privatwirtschaft-Lehre‘‘ heute willkürlich 
enthält: hauptsächlich Handels- oder kaufmännische Techniken weiteren 
und engeren Sinnes oder eines äußeren und inneren Kreises. Unter 
den Größen des inneren Kreises verstehe ich die Kontor-Techniken: 
Korrespondenz, Preisberechnung (Kalkulation), Buchführung, Bilanz- 
Technik, Kassen-Dienst, Registratur. Nebenbei: ich bestreite nicht, 
daß diese Techniken wissenschaftlich begründet und gepflegt werden 
können. Kalkulation und Registratur z. B. müssen in Großbetrieben 
wissenschaftlich geordnet sein, und sind es nicht selten. Aber Techniken 
bleiben sie wie die anderen; Teile einer Wirtschaft-Lehre können sie 
nicht sein oder werden, und einen anderen (Gattung- oder Art-) Namen 
brauchen sie auch nicht. 

Der Sachverhalt ist also einfach dieser: wir sehen (außer dem 
Recht, das nicht strittig ist und, wenn es nicht als geschlossene Gruppe 
für sich bestehen soll, hier oder dort zweckmäßig angefügt wird) nur 
Wirtschaft und Technik. Einen Mischling aus beiden irgendwelchen 
Namens gibt es wissenschaftlicherweise nicht: weder auf der einen 
noch auf der anderen Seite noch zwischen beiden. Freilich müssen 
Wirtschaft und Technik sehr lebhaft und mannigfach miteinander ver- 
kehren, denn die Techniken dienen (sollen und wollen dienen) der Wirt- 
schaft. Das können sie nur, wenn sie selbst wirtschaftlich be- oder 
gestimmt sind: der Geist der Wirtschaft beherrscht die Techniken, 
setzt ihnen Maß und Ziel. Möglich, daß diese klare Bedingung und 
Tatsache zu irrtümlichen Auffassungen und theoretischen Mischungen 
oder Verquiekungen und zu einem „System“ solcher geführt, das man 
glaubte Privatwirtschaft-Lehre nennen zu dürfen. 

Aus dem natürlichen Verhältnis zwischen Wirtschaft und Technik 
folgt weiter — und die Bedeutung der Tatsache springt in die Augen — 
daß die Techniken nach Sachgebieten der Volkswirtschaft geordnet 


392 Miszellen. 


werden. Leben und Leisten jedes Gebiets besteht ja im Zusammenwirken 
seiner wirtschaftlichen und technischen Kräfte, die nicht sachlich, 
höchstens persönlich getrennt tätig sind; denn sie arbeiten im Dienste 
der eigentlich und verantwortlich schaffenden Einheiten, der Betriebe, 
deren jeder wirtschaftliche und technische Wesenheiten besitzt. Mög- 
lich, daß auch diese Tatsache das Aufkommen jener unklaren ge- 
mischten „Lehren“ oder „Wissenschaften“ gefördert hat. 

Aber wie gesagt: die wissenschaftliche Betrachtung scheidet, um 
der Sicherheit und Klarheit des Erkennens willen; sie scheidet das 
Wirtschaftliche vom Technischen. Weiter tut sie nichts. Sie bildet 
nicht ein drittes Reich, in das sie eine gemischte Gesellschaft wissen- 
schaftlicher Einheiten setzt. Man könnte Sinn und Zweck solchen Ge- 
barens nicht verstehen, und vor allem: es würde ihrem Wesen wider- 
streben. Folglich: was im Reiche des Wirtschaftlichen keinen Platz 
erhalten. muß sicher im anderen Unterkunft finden: und umgekehrt. 
Es wäre nicht schwer, dies im einzelnen nachzuweisen. 

Immer jedoch wiederholen wir, ist allein von wirtschaftlich be- 
stimmten Techniken die Rede. Selbstverständlich sind sie in ihrem 
vollen Inhalt zu denken. Aber wird nun die prüfende Beobachtung 
wirklich jede weitere Tatsache (wenn sie nicht klar rechtlicher Art 
ist) im wissenschaftlichen Bereiche der Wirtschaft vertreten sehen ? 
Nein. Doch sind die unversorgt gebliebenen nicht wirtschaftliche, son- 
dern technische Einheiten: nämlich Bestandteile technischer Erkenntnis, 
welche eine wohlgefügte Gesamtheit für sich bilden, die man, etwas 
unbestimmt, allgemeine Technik nennen könnte. Sie vereinigt gemein- 
same Wesenheiten und Angelegenheiten aller Techniken. 

Ihren: in sich geschlossenen Haupt-Teile dürfte man die Bezeich- 
nun; Verbrauchstechnik geben. Technik selbstverständlich des wirt- 
schaftlichen Verbrauchs; denn jeder Verbrauch steht unter dem Gesetz 
der Wirtschaftlichkeit. Natürlich hätte man sich die kurze Bezeichnung 
für eine große Gesamtheit, wie immer in solchen Fällen, weiter, je- 
doch nur einfach folgerecht auszumalen. Das gälte hier für den Sinn 
des bestimmenden Wortes, also: Verbrauch der „Güter“, nämlich der 
Stoffe unc Kräfte (auch Kraft-Träger) und ihrer Leistungen — und Ver- 
brauch im weitesten Sinne: Gebrauch, Benutzung, Ausnutzung ein- 
schließend. 

Voigt (Frankfurt) nennt die Sache „Technische Oekonomik‘“t). 
Der Name ist nicht glücklich gewählt, nicht nur unklar, sondern auch 
unverständlich für den, der sich an gegenständliches Denken gewöhnt. 
Sachlich klar ist nur, daß wesentlich Technik, nicht Oekonomik den 
Inhalt der fraglichen Gesamtheit bildet. Was v. Gottl. Ottlilienfeld 
(München) unter derselben Marke bietet, wird ähnlicher Art sein; er 
rechnet zur Technischen Ockonomik, „z. B. die Prinzipien der produk- 
tivsten Gestaltung der Produktion-Prozesse“. Eine Bearbeitung der 
Sache liegt von ihm nicht vor. Andere haben sich über den Gegen- 
stand bisher nicht vernehmen lassen. 


1) Wirtschaft und Recht der Gegenwart (Tübingen 1912), Bd. 2, S. 219 ff. 


Miszellen, 393 


2. 


Den folgenden Darlegungen stellt sich von vornherein die zweifelnde 
Frage entgegen: Aber besteht denn ein Bedürfnis nach Ordnung un- 
serer Wissenschaft selbst? In dem maßgebenden Kreise? Auf diese 
Frage geho ich hier ebensowenig ein wie auf einen bestimmten, sehr 
erheblichen, leider bisher kaum beachteten Gegensatz der wissenschaft- 
licheu Grundsätze und Anschauungen, den sie andeutet. Ich vertrete 
die Tatsache des Bedürfnisses, berichte aber nur über meine Neu- 
ordnung (von mir zuerst angeregt in den Volksw. Blättern 1910, S. 17 ff.). 

Die Begründung geht von der herrschenden Einteilung und den 
Bezeichnungen der Abteilungen aus und deckt die beträchtlichen 
Schwächen jener wie dieser auf. Die neue Ordnung bildet zwei Haupt- 
abteilungen, deren Inhalt (A. Begriffe und Grundsätze des Wirtschaftens 
— B. Wirtschaft-Leben) zunächst in möglicher Knappheit beschrieben 
wird; später folgt die Angliederung einer weniger bedeutenden dritten 
Abteilung (C. Geschichte der Wirtschaft-Wissenschaft). Die größte, 
die zweite Abteilung (B) bedingt weitere Gliederung in drei Unterab- 
teilungen. 

Als treffende kurze Bezeichnungen werden vorgeschlagen: für A. 
Grund-Wissenschaft, für die drei B. Haushalt-, Betrieb-, Verkehr-Wissen- 
schaft. Dabei empfehle ich für die mündliche Lehre (wie für die 
schriftliche Darstellung) den eben gegebenen Aufbau der drei B-Teile. 
der überdies geschichtlich begründet ist. Ueber das Verhältnis zwischen 
Betrieb- und Verkehr-Wissenschaft möchte ich noch bemerken: den 
Inhalt jener bilden Wesen, Bau- und Innenleben, den Inhalt dieser 
das Außenleben, der orts-, bezirks-, volks-, weltwirtschaftliche Dienst 
und Wettbewerb der Betriebe als bedürfender und Bedarf deckender, 
nehmender und gebender Wirtschaften. 

Aus der letzten Andeutung erhellt die Richtigkeit der Bezeichnung 
Verkehr-Wissenschaft. Der Begriff versteht Verkehr in dem gewöhn- 
lichen weiteren Sinne (daß es sich nur um wirtschaftlichen Verkehr 
handelt, wäre, weil selbstverständlich, im Namen nicht besonders an- 
zudeuten). Zwar sind an jenem vielfältigen Verkehr auch die Haus- 
halte beteiligt. Das erschüttert jedoch nicht das sachliche Recht, die 
Wissenschaft vom Außendienst der Betriebe Verkehr-Wissenschaft zu 
nennen. Zu dem Außendienst gehört eben selbstverständlich mit die 
Bedienung der Haushalte (oder ihrer Vertreter), und nur als Bediente, 
als Dienste Fordernde treten diese in den Verkehr. Mit einigem Recht 
könnte man die Verkehr-Wissenschaft auch Volkswirtschaft-W issenschaft 
engsten Sinnes heißen; denn wenn man sich die Volkswirtschaft als ein 
Ganzes vorstellen darf — und die Vorstellung ist gestattet — so sieht 
man in ihr nicht die inneren Tätigkeiten der Wirtschaft-Einheiten, 
sondern eben nur das bunte Flechtwerk des Verkehrs: zwischen Be- 
trieb und Betrieb, zwischen Betrieb und Haushalt. 

Die „Finanz-Wissenschaft“ (heute ein alter Zopf) verschwindet 
als selbständiger Teil: Gemeinde- und Staats-Wirtschaft, als Ganze, ge- 
hören in die Haushalt-, ihre Betriebe aber selbstverständlich in die 


394 Miszellen. 


Betrieb-Wissenschaft. Aehnlich „aufgeteilt“ wird die „Wirtschaft-Po- 
litik“; als Begründung genügt die Erinnerung an eine der ersten 
Regeln wissenschaftlicher Arbeit: überall jeglichen Zusammenhängen 
nachzugehen. Dasselbe gilt, in sachgemäßer Anwendung, für „Wirt- 
schaft-Recht, -Geschichte, -Geographie“. Gelegenheiten zur Befriedi- 
gung des Bedürfnisses nach äußerst gedrängten Zusammenfassungen 
unter dem oder jenem Gesichtspunkte gibt es genug. 

Offenbar ist meine Neuordnung der gesamten Wirtschaft-Wissen- 
schaft eine Vereinfachung, und mit ein paar erklärenden Worten jeder- 
mann (auch außerhalb der im engeren und weiteren Sinne wissen- 
schaftlicher Kreise) rasch verständlich zu machen. Ich betone, daß 
ich im allgemeinen nichts weiter getan, als eben geordnet. 

Mit der Betrieb-Wissenschaft allerdings hat es eine besondere Be- 
wandtnis: sie ist zwar ungefähr vorhanden, aber, bildlich gesprochen, 
in der Diaspora, folglich nicht als vollständig ausgebildetes Ganze. 
Mit anderen Worten: es mußten verschiedene Dinge, die hier und 
dort standen oder lagen, von ihrem Orte entfernt, aus ihrer (meist will- 
kürlichen, mehr persönlich als sachlich geschlossenen) Verbindung ge- 
löst hat, da ihre Zusammengehörigkeit offenbar war, vereinigt werden. 
Da zeigte es sich nun, daß manche recht ansehnliche Gebilde, allesamt 
aber doch Bruchstücke waren, die nach grundsätzlich-planmäßiger Er- 
gänzung, teilweise auch nach Umbildung riefen. Beides ist geschehen, 
mit dem Endzweck, ein Werk zu schaffen, dem Einheit und Ganz- 
heit eignet. 

Und das Ganze habe ich als in sich selbständiges Glied zurückge- 
führt und eingesetzt in seinen großen organischen Zusammenhang, 
in das Gesamt-Gebiet der Wirtschaft-Wissenschaft. Auch der gewählte 
Name und seine beiden Bestandteile sind sachlich hinreichend ge- 
rechtfertigt worden. Eins aber wäre noch hervorzuheben: die Be- 
trieb-Wissenschaft ist es, welche den früher betonten notwendigen Ver- 
kehr mit den Techniken als berufene Vermittlerin, sozusagen im Auf- 
trag der Gesamt-Wissenschaft unterhält. Nur den Verkehr. Irgend- 
welche jener Techniken können nicht in ihren Arbeit-Bereich fallen 
(vgl. den vorigen und den nächsten Abschnitt). 


3. 

Zur Verhandlung dürften nun — für diejenigen Berufenen, welche 
die erste Veröffentlichung in Schmollers Jahrbuch (und später das ganze 
Werk) gelesen — folgende Fragen stehen: 

Ist die neue Ordnung der Betrieb-Wissenschaft, die ich vorschlage, 
eine Verbesserung? Mich dünkt, die Antwort kann nicht zweifelhaft 
sein für den, der sich einmal in die Logik der alten Einteilung und 
der Teil-Bezeichnungen vertieft. Aber selbst wenn eine Verbesserung 
im ganzen nicht anzuerkennen wäre, so wäre doch nicht zugleich schon 
die Entscheidung in der zweiten Hauptfrage gefallen. 

Diese betrifft das Lebensrecht der Abteilung Betrieb-Wissenschaft. 
Ich empfehle: die wissenschaftlich erfaßten und erfaßbaren Einheiten 
wirtschaftlicher Art in Wesen, Bau und Innenleben der Betriebe zu 
sammeln, wo nötig auszugestalten (zu ergänzen, zu vollenden) und 


Miszellen. 395 


zu vereinigen zu einem in sich geschlossenen Ganzen, und diesem dasselbe 
Recht zu gönnen an den Hochschulen und im Schrifttum, wie den 
anderen Teilen der Gesamt-Wissenschaft — seine Pflege nicht mehr 
dem Zufall oder dem persönlichen Belieben zu überlassen. 

Daß alles schon vorhanden und aufs beste versorgt und geordnet, 
nur eben in verschiedene Hauptteile der Wirtschaft-Wissenschaft ver- 
legt, wird man so unbedingt nicht behaupten wollen. Dagegen wären die 
beiden Einwände zu vermuten: ein organischer Teil Betrieb-Wissen- 
schaft (unter diesem oder einem anderen Namen), der mit allen inneren 
und äußeren Eigenschaften eines selbständigen Gliedes ausgerüstet wäre, 
ist nach genauester Prüfung und Ordnung aller Einzelheiten (der 
Gesamt-Wissenschaft) in sachlich folgerechter Arbeit nicht zu schaffen. 
Oder: ja, man könnte zwar eine solche Teil-Wissenschaft bilden, aber 
nur auf Kosten anderer Teile und des Ganzen, nur durch Störung einer 
bestehenden guten Ordnung; Einheiten oder Gesamtheiten, die längst 
ihren festen Platz haben, müßten grundlos aus ihrem Zusammenhange 
gerissen werden, und während man eine, die „neue“ Abteilung aus- 
baut. verstüimmelt man andere. Ich erwarte, daß, wenn die beiden 
Einwände auftreten, sie auch mit sorgfältigen Beweisen versehen sind. 

Der zweite könnte drei Stücke (der Betrieb-Wissenschaft) als an- 
geeigneten alten Besitz längst bestgepflegter Wissenschaft-Teile be- 
zeichnen: Geschichte des deutschen Betriebwesens; dessen gegenwärtiger 
Stand (die räumlich-sachlich-persönlichen Verhältnisse statistisch er- 
faßt); staatsgesetzliche Regelungen. Ich habe die Einreihung dieser 
Unterteile hinreichend begründet. Uebrigens betrachte ich sie, ver- 
gleichsweise, als Seitenbauten, die so in den Plan des Ganzen ein- 
gestellt sind, daß der Hauptbau in keiner Weise beeinträchtigt wäre, 
wenn die Errichtung jener aus sachlichen Gründen unterlassen oder 
zeitlich verschoben würde. 

Außerdem wäre es ein Irrtum, anzunchmen, die drei Stücke seien 
schon irgendwo vorhanden. Es handelt sich, bitte ich zu beachten, nicht 
um das Wirtschaft-Leben (die Volkswirtschaft) überhaupt, sondern um 
das Betriebwesen, und weder eine knappe Bearbeitung des betrieb- 
wissenschaftlichen Gehalts in der wirtschaft- und sozialpolitischen Ge- 
setzgebung, noch eine Geschichte des deutschen Betriebwesens von den 
ersten Anfängen (d. h. von der Römerzeit) an, noch eine vergleichende 
Beschreibung des gegenwärtigen Betriebslebens in allen Gebieten der 
heimischen Volkswirtschaft ist bisher durch den Druck veröffentlicht 
worden. Wahrscheinlich findet sich auch in ungedruckten Hochschul- 
Vorlesungen keine jener Arbeiten. 

Nun kann doch ihr nächst gegebener Zusammenhang nicht zweifel- 
haft sein, und entschließt man sich, die drei Wissenschaften vom Wirt- 
schaft-Leben in der fast natürlichen Steigerung Haushalt-, Betrieb-, 
Verkehr-Wissenschaft vorzutragen, so wäre wiederum den besprochenen 
drei Stücken der Platz in der zweiten gesichert, weil das wissenschaft- 
liche Bedürfnis sie eben dort fordert — wenn man sie nicht aus allem 
Zusammenhange lösen wollte. 

Aber — das scheinen wir bisher übersehen zu haben — der vermut- 
bare Einwand gegen die Bestandteile der Betrieb-Wissenschaft erfaßt 


396 Miszellen. 


auch die Betriebs-Ethik: nicht zunächst wegen ihres Daseins überhaupt 
oder ihres Inhalts, sondern wegen ihrer Stellung. Die Ethik, dürfte die 
Meinung lauten, gehört zur Politik; folglich müßte entweder eine Ver- 
schmelzung mit jenem verwandten Stück vollzogen werden, oder beide 
als eng verbundene Unterteile auftreten. Oder wir hören etwa die 
Ansicht: das Natürliche, und das naturgemäß Bestimmende in Wesen, 
Bau und Innenleben der Betriebe ist das Wirtschaftliche. Die beiden 
fremden Mächte, die von außen her ebenfalls bestimmend eingreifen, 
sind die staatliche Gesetzgebung und die Ethik. Die beiden sind wenn 
nicht gleicher Art, so doch gleichen Ranges, und sollten deshalb in der 
Ordnung der Wissenschaft gleich und einander nächstgestellt sein. 

Diese Auffassung entspricht nicht dem wirklichen Sachverhalt. 
Einmal bestehen zwischen staatlicher Gesetzgebung und Ethik keine 
verwandtschaftlichen Beziehungen; sie gehören nicht zusammen, und ` 
nach ihrer Bedeutung im Betriebsleben überragt die zweite die erste 
weit. Zum andern ist das Gesellschaftlich-Ethische dem Wirtschaft- 
lichen so wenig wesensfremd, daß jenes im Aufbau der Betrieb-Wissen- 
schaft gar nicht sichtbar hervorzutreten brauchte. Es durchzusetzen ist 
— sogar zum Teil wirtschaftliche — Obliegenheit der Betriebs-Leitung. 
Also Verschmelzung der Teile Leitung und Ethik könnte erwogen 
werden. Daß die Ethik trotzdem als Größe für sich, und zwar als 
Hauptteil auftritt, hat seine guten Gründe, welche die einleitenden 
Stellen der Ausführung vortragen. Und den gewählten Platz begründen 
die eben gegebenen Erklärungen. 

Die Leitung aber erinnert uns an eine letzte Tatsache, die Wider- 
spruch hervorrufen könnte. Nur wäre er leicht zu entkräften. Nämlich 
die Betrieb-Wissenschaft, der organische Teil der Wirtschaft-Wissen- 
schaft, enthält doch — Technik! Und welche? Nicht Technik der 
Art, an die man gewöhnlich bei dem Worte denkt. Nichts von Techniken 
der Massen-Arbeiten, der unteren und mittleren Teil- und umfassenden 
Arbeiten in Fischerei, Landwirtschaft, Gärtnerei, Waldbau, in Werk- 
wesen (weiten Sinnes), in Handel, Sachen- und Personen-Bewegung ; 
nichts auch von den besonderen kaufmännischen Kontor-Techniken. 
Sondern Technik der Leitung: der Statistik, und der Leitung engeren 
Sinnes. Und das ist erlaubt, ja geboten, unvermeidlich. 

In der Reihe der vorhin genannten Techniken ist für sie kein 
Platz, weil sie zwei Arten für sich bilden; was jedermann sofort er- 
kennt* denn jene alle dienen, kurz gesagt, der Güter-Beschaffung oder 
Vermittelung oder Arbeiten, die mit der einen oder andern eng ver- 
bunden sind — unsere beiden aber offenbar nicht. Uebrigens sind es 
nach Umfang und Inhalt sehr bescheidene Arten, darum nicht so be- 
deutend, daß sie Gegenstände besonderer wissenschaftlicher Behandlung 
sein könnten. Und eben darum treten sie an ihrem Orte, in dem Unter- 
teile der Betrieb-Wissenschaft, welcher der Leitung (weiteren Sinnes) 
gewidmet ist, nicht breit hervor. Ihretwegen also brauchte die Betrieb- 
Wissenschaft gewiß nicht auszuscheiden aus der Wirtschaft-Wissen- 
schaft, der sie angehört mit Leib und Seele. 


Miszellen, 397 


XI. 


Der Personenverkehr in Berlin und Paris. 
Von Dr. Johannes Müller, Halle-Berlin. 


Berlin und Paris werden als die beiden größten Hauptstädte des 
europäischen Festlandes oft und gern miteinander verglichen; um so eher, 
als der immer geringer werdende Unterschied der Einwohnerzahlen beider 
Städte schon rein äußerlich zu einer gegenseitigen Vergleichung heraus- 
fordert. Hatte doch Berlin mit allen seinen Vororten !) am 31. Dezember 
1911 eine Einwohnerzahl von 3852047 Einwohner, das Seine-Departe- 
ment im gleichen Jahre eine solche von 4154042 Einwohnern. Ist nun 
die französische Hauptstadt der deutschen an Schönheit, historischen 
Erinnerungen, Kunstschätzen und Sehenswürdigkeiten aller Art zweifel- 
los überlegen, so ist es in Berlin der außerordentlich rasche Aufschwung 
und das rege wirtschaftliche Leben, das zur Bewunderung herausfordert, 
und es wird deshalb nicht uninteressant sein, einmal an der Hand des 
Personenverkehrs, den man als einen guten Maßstab des wirtschaft- 
lichen Lebens ansehen darf, festzustellen, inwieweit wenigstens hier von 
einer Gleichheit der beiden Millionenstädte gesprochen werden darf. 

Allerdings ist es nicht ganz einfach, auch nur einigermaßen ver- 
gleichbare Zahlen zu erhalten. So wenig Schwierigkeiten die Fest- 
stellung der Zahl der Fahrgäste auf den Straßenbahnen, Omnibussen 
und Hoch- und Untergrundbahnen macht, so viel Hindernisse legt die 
Eisenbahnverkehrsstatistik in den Weg, und zwar deshalb, weil für Paris 
keine Aufzeichnungen über den Vorortsverkehr gemacht werden. Da 
nun für Berlin vor dem Jahre 1906 Fernverkehr, Vorortsverkehr und 
Stadtverkehr der großen Bahnhöfe statistisch nicht auseinandergehalten 
worden sind, so sind vergleichbare Zahlen für die Jahre bis 1905 
einschließlich überhaupt nicht aufzustellen. Vom Jahre 1906 ab wäre 
allerdings also für Berlin wohl eine Statistik des gesamten Verkehres der 
großstädtischen Bevölkerung erhältlich gewesen, nun versagt aber Paris, 
das nur die Gesamtzahl der auf den großen Bahnhöfen abgefahrenen 
und angekommenen Personen zählt. Es wird also der gesamte zwischen 
dən einzelnen Vororten vorhandene Verkehr nicht erfaßt, und da es sich 


1) Es sind alle in den statistischen Monatsberichten „Groß-Berlin“ angeführten 
Orte als Vororte von Berlin gerechnet worden. 


398 Miszellen., 


hier, wie das Beispiel Berlins zeigt, um ganz erhebliche Ziffern handelt, 
durfte das Wagnis einer Schätzung nicht unternommen werden, ohne den 
Wert der ganzen Aufstellung in Frage zu stellen. 

Ein anderer Ausweg wäre gewesen, bloß den Verkehr des eigent- 
lichen Paris und des eigentlichen Berlin in diese Statistik einzubeziehen. 
Dies wäre für Paris möglich gewesen, das in seinem „Annuaire“ für 
die Straßenbahnen und Omnibusse den Verkehr innerhalb und außerhalb 
der eigentlichen Stadtgrenze unterscheidet, aber nicht für Berlin, wo 
die Straßenbahn- und Omnibuslinien von einem Vorort quer durch Berlin 
gehen und in einem anderen endigen, ohne daß die Fahrgäste von Berlin 
selbst besonders gezählt werden. Es blieb also, um vergleichbare Zahlen 
zu erhalten, nur übrig, einerseits den ganzen Straßenbahn- und Omnibus- 
verkehr in die vorliegende Statistik einzubeziehen, dagegen den ganzen 
Eisenbahnverkehr, soweit er nicht ausdrücklich bloß die innere Stadt 
betrifft, fortzulassen. Die kleine Inkonsequenz, daß dadurch der Vor- 
ortsverkehr in dem einen Falle berücksichtigt wird, im anderen nicht, 
wiegt deshalb nicht so schwer, weil innerhalb derjenigen Vororte, in 
denen die Straßenbahnen und Omnibusse noch ihr Hauptverkehrsgebiet 
haben, die Eisenbahnen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Da der 
Eisenbahnverkehr der inneren Stadt in beiden Fällen mitgezählt worden 
ist, handelt es sich also bloß um denjenigen der an den eigentlichen 
Stadtkern unmittelbar angrenzenden Vororte, der bei beiden Städten fort- 
gelassen worden ist und daher zu Fehlern in der Vergleichung führen 
könnte. Innerhalb dieser Zone kann der Unterschied zwischen Berlin 
und Paris aber nicht groß sein, und selbst wenn er 50 Millionen Fahr- 
gäste im Jahre betrüge, was sicherlich zu hoch gegriffen ist!), würde 
er doch das Bild, das die beiden folgenden Tabellen geben, nicht wesent- 
lich ändern können. 


Der Personenverkehr in Berlin 


(in Millionen Fahrgästen) ?). 


Hoch- und 
Stadt- und x Straßen- } Verkehr auf 
Jahr Ringbahn en bahnen Omnibus Wasserstraßen Insgesamt 
ahnen‘) | 2 
1906 139 .44 437 135 = | 255 
1907 149 48 457 141 = 795 
1908 149 45 480 122 — 796 
1909 159 54 495 139 Sa 847 
1910 164 59 543 146 -— 912 
1911 197 7I 581 157 = 1006 


1) Der Gesamteisenbahnverkehr zwischen den Vororten Berlins unter sich betrug 
im Jahre 1911 etwa 65—70 Millionen Fahrgäste (nach den Zahlen in den Monats- 
berichten „Groß-Berlin‘). 

2) Die Zahlen für die Jahre 1906—1910 sind dem „Statistischen Jahrbuch deut- 
scher Städte‘ entnommen, für 1911 aus den Statistischen Monatsberichten „Groß-Berlin‘“ 
ausgerechnet. 

3) „Hoch- und Untergrundbahn“ und „Schöneberger Untergrundbahn“. 


Miszelien 399 


Der Personenverkehr in Paris 
(in Millionen Fahrgästen)), 


r Hoch- und 
Eisen- IL r y Straßen- a Verkehr auf | 
Jahr bahnen °?) | en bahnen Omnibus | Wasserstraßen| Insgesamt 
1906 51 165 376 115 2 | 709 
1907 50 195 371 119 2 737 
1908 44 230 393 115 2 734 
1909 43 254 405 115 2 819 
1910 43 257 406 129 2 837 
1911 36 346 538 2 922 


Von dem Verkehr auf Wasserstraßen, der für Berlin und angrenzende 
Vororte gänzlich wegfällt, und auch für Paris selbst sehr geringfügig ist, 
kann wohl abgesehen werden. Es ergeben sich dann als die vier Haupt- 
verkehrsmittel: Straßenbahnen, Omnibus, Hoch- und Untergrundbahnen 
und Eisenbahnen. 

Die ersteren sind sowohl in Berlin wie in Paris weitaus am wich- 
tigsten, sie beförderten in Berlin stets weit über die Hälfte, in Paris 
ungefähr die Hälfte aller Fahrgäste. Ein großer Unterschied liegt aber 
darin, daß ihr Anteil am Gesamtverkehr in Berlin stets gleich geblieben 
ist, während er in Paris langsam, aber stetig fällt, wie folgende kleine 
Tabelle zeigt: 


Berlin Paris 

Jahr 

Gesamt- | Straßen- | . Gesamt- | Straßen- | , 

verkehr | bahnen | "D Proz. verkehr | bahnen | "H Proz. 
1906 755 437 57,9 709 376 52,0 
1907 795 457 57,5 737 371 50,8 
1908 796 480 60,3 784 393 50,1 
1909 847 495 58,4 819 405 49,4 
1910 912 543 59,5 837 406 48,5 
1911 1006 581 57,5 922 ? ? 


In Berlin vermögen also die Straßenbahnen ihre Vormachtstellung zu 
behaupten und haben sich bis jetzt gegen jede Konkurrenz der 
Eisenbahnen und namentlich der Hoch- und Untergrundbahnen halten 
können. Anders in Paris: Hier ist den „Tramways“ in der Unter- 
grundbahn („Metropolitain*) ein Feind entstanden, dem sie sich 

1) Die Zahlen sind den Jahrgängen 1906—1910 des „Annuaire statistique de la 
ville de Paris“ entnommen. Im Jahrgange 1910 waren auch fast sämtliche Zahlen für. 
das Jahr 1911 enthalten. Nur der Verkehr auf der Seine und auf der ligne d’Auteuil 
sind geschätzt worden. Der erstere wurde ebenso wie in den letzten 5 Jahren mit etwa 
2 Millionen eingesetzt, der letztere der absteigenden Tendenz des Verkehrs in den letzten 
Jahren entsprechend (1906: 22,4 Mill.; 1907: 21,9; 1908: 20,3; 1909: 20,0; 1910: 
19,3) auf etwa 19 Mill. geschätzt. Die Beförderungsziffer der Ceinture — 17 Mill. — 
ist bereits im Annuaire von 1910 enthalten. 

2) „Ceinture“ und „ligne d’Auteuil“, 

3) „Métropolitain“ und Nord-Sud“, 


400 Miszellen. 


nicht gewachsen zeigen, und der sie Schritt für Schritt zurück- 
drängt. Auch das Jahr 1911, für das leider noch keine nach Omnibus 
und Straßenbahnen getrennten Zahlen vorliegen, zeigt einen vollständigen 
Stillstand der absoluten Zahl nach, das ist gleich einem weiteren Rück- 
schritte dem Anteile am Gesamtverkehre nach. Der Grund hierfür liegt 
in der zu geringen Geschwindigkeit der Pariser Straßenbahnen, die 
den Verkehrsbedürfnissen längst nicht mehr genügt. Die Wagen werden 
fast durchweg mit Preßluft betrieben, die die Entwicklung größerer 
Geschwindigkeiten nicht gestattet, und es werden die Straßenbahnen 
darum wohl auch in Zukunft immer weiter an Bedeutung verlieren, wenn 
man sich nicht dazu entschließt, zum elektrischen Betrieb überzugeben. 

Der Omnibusverkehr weist dagegen in beiden Hauptstädten die 
gleiche Bewegung auf: erst eine kleine Steigerung von 1906 auf 1907, 
darauf ein, namentlich in Berlin, starker Rückschlag, der erst im Jahre 
1910 wieder eingeholt werden konnte; das Jahr 1911 bringt dann für 
Berlin einen kleinen Zuwachs, für Paris Stillstand. Auch relativ be- 
trachtet, ist in Berlin wie in Paris dieselbe Entwicklung zu beobachten: 
nämlich ein allmählicher Rückgang, und zwar in Berlin von 17,9 auf 
15,6 Proz. des Gesamtverkehrs, in Paris von 16,2 auf 15,4 Proz. im 
Jahre 1910. Doch wird das Jahr 1911 noch einen weiteren empfind- 
lichen Rückgang gebracht haben. Auch hier ist es die für groß- 
städtische Verhältnisse meist zu geringe Schnelligkeit, die den Omnibussen 
die Konkurrenz mit den schneller fahrenden anderen Verkehrsmitteln 
sehr erschwert. Erst die allgemeine Einführung des Automobilbetriebes 
wird hier Wandel schaffen können. 

Die Eisenbahn als Vermittlerin des Personenverkehrs hat sich 
ebenso wie die Straßenbahn wiederum nur in Berlin den Verhält- 
nissen gewachsen gezeigt und hat hier von Jahr zu Jahr stark an- 
wachsende Personenmassen befördern können. Charakteristisch ist aber, 
daß der Anteil am Gesamtverkehr mit Ausnahme einer kleinen Steige- 
rung im Jahre 1911 der gleiche geblieben ist: 1906: 18,4 Proz., 
1907: 18,7 Proz., 1908: 18,7 Proz., 1909: 18,8 Proz., 1910: 18,0 Proz., 
1911: 19,6 Proz. Dies zeigt, daß die Stadt- und Ringbahn für eine 
ganz bestimmte Anzahl von Verkehrsströmen, die mit dem Gesamt- 
verkehr von Jahr zu Jahr wachsen, das geeignetste Verkehrsmittel ist 
und vermöge ihrer Schnelligkeit auch bis auf weiteres bleiben wird. 
Ganz anders liegen die Verhältnisse in Paris. Hier ist wohl gleich- 
falls eine Ringbahn vorhanden, die Ceinture, aber der der Stadtbahn 
entsprechende Mittelast fehlt, und wir haben es bei ihr somit mit einer 
reinen Gürtelbahn zu tun. Da aber die Vergrößerung einer Stadt nur 
wachsende Verkehrsbeziehungen von innen nach außen und umgekehrt 
schafft, so kommt von dem großen alljährlichen Zuwachs an beförderten 
Personen einer Gürtelbahn, die durch bereits bebautes Gelände führt, 
nicht das Geringste zugute, sondern sie hat jahraus jahrein nur das 
gleiche Verkehrsbedürfnis zu befriedigen. Kommt nun aber, wie in 
Paris in Gestalt der Metropolitain, eine Konkurrentin und verkürzt 
viele Kreisabschnitte durch Strecken, die die Peripherie als Sehnen 
schneiden, so wird einer solchen Gürtelbahn auch noch ein Teil des 
an sich gleichbleibenden Verkehrs entzogen. Die Ceinture hat dies 


Miszellen. 401 


in sehr bitterer Weise erfahren müssen, denn ihr Verkehr ist in den 
Jahren 1906 bis 1911 von 29 bis auf 17 Millionen Fahrgäste gesunken, 
und es besteht nicht die geringste Aussicht, daß er sich wieder in 
nennenswerter Weise heben könnte. Die andere für den inneren Pariser 
Verkehr in Betracht kommende Linie ist die Strecke vom Bahnhof 
St. Lazare nach Auteuil, gleichfalls keine Radial-, sondern eine Tan- 
gentiallinie. Sie hat deshalb aus den gleichen Gründen wie die Ceinture 
einen, wenn auch langsameren, Rückgang an Fahrgästen zu verzeichnen 
(1906: 22 Mill., 1910: 19 Mill.). 

So haben in Paris weder Straßenbahnen noch Omnibus noch Eisen- 
bahnen ihre ursprüngliche Stellung behaupten können, sie sind alle, 
und zwar außerordentlich rasch, von dem modernsten Verkehrsmittel, 
der Hoch- und Untergrundbahn („Metropolitain“ und „Nord-Sud“, die 
in Betriebsgemeinschaft stehen) überflügelt worden. Mit großem Ge- 
schick hat die letztere die günstigsten Linienführungen auszuwählen 
gewußt, und da das geplante Netz auch mit großer Schnelligkeit aus- 
gebaut wird und jedes Jahr mehrere neue Linien dem Verkehre über- 
geben werden, so ist auch die Zahl der von ihr beförderten Fahrgäste in 
den 6 Jahren von 1906 bis 1911 so schnell gestiegen, wie bei keinem 
anderen Pariser oder Berliner Verkehrsinstitut. Waren es 1906 erst 
165 Mill. (= 23,3 Proz. des Gesamtverkehrs), die sich von der Métro- 
politain befördern ließen, so ist ihre Zahl im Jahre 1911 bereits auf 
346 Mill. (= 37,5 Proz. des Gesamtverkehrs) gestiegen, und sie hat 
somit von dem Gesamtverkehrszuwachs der 6 Jahre von 213 Mill. 
(922—709 Mill. beförderte Personen) nicht weniger als 181 Mill. 
= 85 Proz. an sich gerissen. Es ist kein Zweifel, daß die Unter- 
grundbahnen, wenn sie mit dem gleichen Eifer wie bisher fortfahren, 
neue Linien zu eröffnen, binnen wenigen Jahren alle Hauptverkehrs- 
ströme den übrigen Verkehrsmitteln abgenommen und auf sich über- 
geleitet haben werden. Diesen bleiben dann nur noch die minder- 
wichtigen, weniger einträglichen übrig, bei denen die hohen Kosten, 
die ein unterirdischer Bahnkörper verursacht, sich nicht mehr würden 
einbringen lassen. 

Wie steht es dagegen mit den Berliner Hoch- und Untergrund- 
bahnen? 1906 beförderten sie 5,6 Proz., 1907: 6,0 Proz., 1908: 
5,7 Proz., 1909: 6,4 Proz., 1910: 6,5 Proz., 1911: 7,1 Proz. Der Ge- 
winn der 6 Jahre von 1905—1911 beträgt also ganze 1,3 Proz., gleich 
der Hälfte dessen, was die Omnibusse in derselben Zeit verloren haben. 
Dies ist schließlich auch nicht verwunderlich, da die Hoch- und Unter- 
grundbahn größere Neubauten seit ihrer erstmaligen Betriebseröffnung 
nicht vorgenommen hat und nur die Schöneberger Untergrundbahn hinzu- 
gekommen ist. Das Pariser Schwesterunternehmen zeigt aber, welche 
Zukunft einer kapitalkräftigen Hoch- und Untergrundbahn beschieden 
ist, die ihr Netz planmäßig unterhalb und oberhalb des ganzen Stadt- 
gebietes ausbaut. 

Es ist also der Personenverkehr der inneren Stadt und der un- 
mittelbar angrenzenden Vororte in Berlin bereits etwas größer als in 
Paris, und es soll nun, um eine Beurteilung des gesamten haupt- 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 26 


402 Miszellen. 


städtischen Personenverkehres zu ermöglichen, auch noch dem bisher 
vernachlässigten Eisenbahn-Vorortsverkehr ein kurzes Wort gewidmet 


werden. 
Er nahm von 1906 bis 1911 folgende Entwicklung (wieder in 


Millionen Fahrgästen): 


Berlin Paris 
Jahr Insgesamt be- Große Bahnhöfe Lokalbahnen 
förderte Personen !) | angekommene u. abge- | beförderte Per- 
fahrene Personen sonen 
1906 131 170 30 
1907 140 178 31 
1908 145 181 33 
1909 157 190 33 
1910 167 196 32 
1911 194 | 195 33 


Während bei Berlin mit diesen Zahlen bereits der gesamte Verkehr 
erfaßt ist, fehlt, wie oben gesagt, in Paris noch der Verkehr zwischen den 
einzelnen Vororten, der bei Berlin im Jahre 1911 immerhin schätzungs- 
weise 65—70 Mill. Fahrgäste betragen hat. Es ist also der Pariser 
Eisenbahnverkehr dem Berliner augenblicklich noch bedeutend über- 
legen, und es ist sehr wohl möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich, 
daß der gesamte Pariser Personenverkehr den Berliner jetzt noch um 
ein kleines übertrifft. Das Wesentliche ist aber die verschiedene 
Schnelligkeit, mit der beide anwachsen. Während nämlich der Zuwachs 
in den 6 Jahren bei Paris bloß 14 Proz. (auf 1906 bezogen) beträgt, 
hat er bei Berlin die ansehnliche Höhe von 48 Proz. erreicht. Da nun 
in den Pariser Zahlen die eine Hälfte des Vorortsverkehres, der von 
Paris nach den Vororten und umgekehrt bereits enthalten ist, so ist 
der Rückschluß, daß auch der andere Teil, der zwischenvorortliche 
Verkehr, dieselbe Entwicklung genommen haben wird, durchaus erlaubt. 
Denn beide Teile des Verkehres sind ja doch keine getrennten Größen, 
sondern gehen durchaus ineinander über, bedingen sich gegenseitig und 
sind nur für den Zweck dieser Untersuchung auseinandergehalten worden. 
Die wirtschaftliche Lage ist es, die von bestimmendem Einfluß auf 
beide ist und daher auch bei beiden die gleichen Folgeerscheinungen 
hervorrufen muß. l 

Mag also auch für den Augenblick der Pariser Gesamtverkehr dem 
Berliner noch voraus sein: derjenige Faktor, dem Paris seinen Vor- 
sprung vor Berlin verdankt, der Eisenbahnverkehr, steigt nur sehr schwach 
und es kann der Zeitpunkt nicht mehr fern sein, wo auch er von dem 
weit rascher wachsenden Berliner Eisenbahn-Vorortsverkehr eingeholt 
sein wird. Dann aber ist die Ueberlegenheit von Groß-Berlin auf 
diesem Gebiete zweifelhaft. 


1) Die Zahlen des Berliner Fernverkehres sind, um auch die Zahl der ange- 
kommenen Fahrgäste zu erhalten, verdoppelt worden, was ungefähr den tatsächlichen 
Verhältnissen entspricht. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 403 


Uebersicht über die neuesten Publikationen 
Deutschlands und des Auslandes. 


1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 


C. Gini, Variabilità e Mutabilita. Contributo allo studio delle 
distribuzioni e delle relazioni statistiche. Fascicolo I. Bologna 1912. 
80, 155 SS. 

Es handelt sich in dieser Schrift nicht etwa um Variation und 
Mutation in dem verschiedenen Sinne, wie diese Worte von Darwin 
und de Vries aufgefaßt werden. Der Verfasser stellt vielmer seine 
eigenen Definitionen auf und nennt Variabilität die Tatsache, daß eine 
gleichartige Erscheinung im einzelnen quantitative Unterscheidungen 
eines bestimmten Merkmals darbietet, während er unter Mutabilität 
das Auftreten qualitativer Unterscheidungen eines Merkmals ver- 
steht. So beruht also z. B. die Verschiedenheit der Körpergröße der 
erwachsenen Männer eines Volksstammes auf der Variabilität, die Ver- 
schiedenheit der Haarfarbe auf der Mutabilität dieses Stammes. Der Ver- 
fasser untersucht nun zunächst die zur Charakterisierung der Variabilität 
geeigneten Indexzahlen und sucht dann so weit wie möglich auch die 
Mutabilität auf denselben Schematismus zu bringen. Bekanntlich haben 
zuerst die durch zufällige Fehler entstehenden verschiedenen Beobach- 
tungswerte derselben objektiven Größe Veranlassung gegeben, solche 
Indexzahlen zur Kennzeichnung der Veränderlichkeit dieser Werte aufzu- 
stellen: es sind dies namentlich die wahrscheinliche Abweichung vom 
Mittel (als dem wahrscheinlichsten Wert), die absolute mittlere Abweichung 
vom Mittel oder vom Medianwert und die mittlere quadratische Ab- 
weichung, d. h. die Quadratwurzel aus dem Mittel der Quadrate der Ab- 
weichungen der Einzelwerte von ihrem Mittelwert. Seit Quetelet wurden 
diese Indexzahlen auch auf statistische Beobachtungsreihen angewandt, 
und zwar in solchen Fällen, in denen anzunehmen war, daß die be- 
obachteten Einzelwerte sich um ihren Mittelwert annähernd in der Weise 
gruppieren, als wenn sie mit zufälligen Fehlern behaftete Darstellun- 
gen einer bestimmten typischen Größe wären. Aber bei den meisten nach 
einem gewissen Merkmal veränderlichen Beobachtungszahlen trifft eine 
solche symmetrische Verteilung nicht zu, und der Verfasser empfiehlt 
für diese Fälle als Veränderlichkeitsindex die mittlere Differenz jedes 
der gegebenen Werte gegenüber allen anderen. Die Zahl der möglichen 
Differenzen ist also n (n—1), für gewisse Rechnungen aber ist es auch 
vorteilhafter, die Zahl der Variationen mit Wiederholung, nämlich n? 
einzuführen. Nun haben, wie der Verfasser ausdrücklich hervorhebt, 
schon vor längerer Zeit Andrae, Jordan und Helmert gezeigt, daß der 
wahrscheinliche oder mittlere Fehler von astronomischen Beobachtungs- 
ergebnissen, die sich der Gaußischen Kurve entsprechend verteilen, sich 


26* 


404 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


aus dieser mittleren Differenz der Einzelwerte ableiten läßt. Hieraus 
aber kann man schließen, daß dieser Index überhaupt eine zweckmälßige 
Charakteristik auch für die Veränderlichkeit der Glieder einer beliebigen 
Reihe bildet, für die das Gaußische Fehlergesetz nicht in Betracht 
kommt. Demnach gibt Gini eine Formel zur bequemen Berechnung 
der mittleren Differenz der Einzelwerte irgendeiner Reihe, vergleicht 
diese Indexziffer mit der mittleren absoluten und quadratischen Ab- 
weichung vom Mittel- bzw. Medianwert, untersucht die theoretischen Be- 
ziehungen, die sich in gewissen Fällen für diese verschiedenen Indices 
ergeben, und die praktische Bedeutung ihrer Abweichungen in den übrigen 
Fällen und zieht daraus Schlüsse auf die jedesmalige Zweckmäligkeit 
der Anwendung des einen oder anderen Index. Auch führt er zur Er- 
läuterung seiner Darstellung verschiedene Beispiele an, unter anderem die 
Pariser Preise verschiedener Fleischarten in den Jahren 1867 bis 1910, 
aus denen sich ergibt, daß die mittleren Differenzen der Preise der dritten 
Qualitäten durchweg größer sind, als die der beiden besseren. Um 
auch die Mutabilität im Sinne des Verfassers, also die nach einem 
qualitativen Merkmal abgestuften Glieder einer Reihe nach diesem 
Schema zu behandeln, muß die qualitative Abstufung durch eine Zahlen- 
reihe ausgedrückt werden, was natürlich nur annähernd möglich ist. 
Der Verfasser unterscheidet „geradlinige“ Reihen, die von einer ex- 
tremen Ausprägung der Merkmale zu einem anderen Extrem übergehen, 
wie z. B. von einem flachsfarbigen zu einem tiefschwarzen Haar (oder 
auch umgekehrt), „zyklische“ Reihen, in denen das bestimmende Merk- 
mal sich bei den Beobachtungen immer regelmäßig wiederholt, wie z. B. 
bei der Gruppierung der Trauungen nach den Wochentagen, und un- 
geordnete“ Reihen, die er bei der quantitativen Abstufung als „nicht 
konnexe“ Reihen bezeichnet hat. Bei diesen ist die Ordnung mehr oder 
weniger willkürlich zu bestimmen. So erhält man allgemein für quali- 
tative wie für quantitative Abstufungen rationell begründete Indices 
der Veränderlichkeit, die für viele statistische Vergleichungen von Inter- 
esse sind, wenn sie auch nicht die besonders wichtige Bedeutung besitzen, 
die sie in dem Fa le haben, in dem die beobachteten Einzelwerte als 
mit zufälligen Fehlern behaftete Bestimmungen einer und derselben 
sachlich oder typisch vorhandenen Größe erscheinen. 
Göttingen. W. Lexis 7. 


Albrecht, Dr. Gerh., Eugen Dürings Wertlehre. Nebst einem Exkurs 
zur Marxschen Wertlehre. Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. III—66 SS. M. 1,80. 

Lebensmittel-Teuerung und Lebensmittel-Versorgung. Vor- 
trag des Generalsekretärs A. Stegerwald, nebst Aussprache auf dem 3. deutschen 
Arbeiterkongreß zu Berlin. Cöln, Christl. Gewerkschafts-Verlag, 1914. gr. 8. 4088. 
M. 0,50. 

Schriften des Vereins für Sozialpolitik. 142. Bd., V. Teil. Untersuchungen 
über Preisbildung. Abteilung B. Preisbildung für gewerbliche Erzeugnisse. Hrsg. 
von Frz. Eulenburg. V. Teil. Die Preisentwicklung in der Steinkohlengasiudustrie. 


Von Walter le Coutre. 150 SS. M. 4.—. — 143. Bd., II. Teil. Steinkohlenpreise 
und Dampfkraftkosten. Von (Dr. ing.) Manuel Saitzew. VIII—429 SS. mit 7 Diagr. 
M. 11.—. — 144. Bd., I. Teil. Untersuchungen über Preisbildung. Preisbildung 


gewerblicher Erzeugnisse in Belgien. Mit Beiträgen von Prof. De Leener, (Ing.) 
Max L. Gerard, L. Lobet, (Gen.-Insp.) Ed. Mathus und (Ing.) P. Stevart. Im 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 405 


Auftrage des Vereins für Sozialpolitik hrsg. von Prof. Dr. Ernest Mahaim. XVIII— 
349 SS. mit Kurven und 7 Kurventafeln. M. 9. München u. Leipzig, Duncker 
u. Humblot, 1914. gr. 8. 

Unternehmung, Die private, und ihre Betätigungsformen. Sozialökonomi- 
sche und juristische Abhandlungen auf privatwirtschaftlicher Grundlage, hrsg. von 
Proff. Drs. Heinr. Hoeniger, Rob. Liefmann, Paul Mombert, Hans Schönitz, (Geh. 
Hofr.) Gerb. v. Schulze-Gaevernitz. 1. Heft. Der privatwirtschaftliche Gesichts- 
punkt in der Sozialökonomie und Jurisprudenz. 5 Aufsätze von Hans Schönitz, Gerh. 
v. Schulze-Gaevernitz, Rob. Liefmann, Paul Mombert u. Heinr. Hoeniger. Mann- 
heim, J. Bensheimer, 1914. 8. VIII—212 SS. M. 4.—. 

Wagner, Prof. Adolph, Lehr- und Handbuch der politischen Oekonomie. 
In einzelnen selbständigen Abteilungen. In Verbindung mit (Finanzminister) A. 
Buchenberger und Prof. H. Dietzel u. a. bearb. und hrsg. Neue Aufl. 3. Haupt- 
abteilung: Praktische Volkswirtschaftslehre. II. Teil (in 2 Bdn.). II. Teil. Buchen- 
berger, A.: Agrarwesen und Agrarpolitik. 2. Aufl., bearb. von W. Wygodzinski. 
l. Bd. Leipzig, C. F. Winter, 1914. gr. 8. XVI—535 SS. M. 15.—. 

Allevi, Giov., La crisi del socialismo. Bari, casa ed. Humanitas, 1913. 
16. 322 pp. 

Corte-Enna, G., Elementi di economia politica. Milano, Società Editr. 
Libraria. 16. 1. 6.—. 

Curvio, dott. Stef., Il caro dei viveri e provvedimenti annonari. Cal- 
tanissetta, tip. Ospizio prov. di beneficenza, 1914. 16. 7—260 pp. 1l. 5,50. 

Gobbi, prof. Ulisse, Elementi di economia politica. Seconda edizione. 
Milano, Federazione italiane delle bliblioteche popolari. (Varese, tip. coop. Vare- 
sina) 1914. 16. 89 pp 

Labriola, Arturo, Economia, socialismo, sindicalismo; alcuni scritti. 
2a edizione, aggiuntovi ciò che la scienza economica ha imparato dall’ unionismo 
operaio. Napoli, soc. ed. Partenopea (F. Razzi), 1913. 16. VIII —255 pp. 1. 2.—. 


2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 

Roth, Paul, Die Neuen Zeitungen in Deutschland im 15. und 
16. Jahrhundert. (Preisschriften der Fürstlich Jablonowskischen Gesell- 
schaft zu Leipzig, Bd. 43.) Leipzig (B. G. Teubner) 1914. 5 M. 

Der Verfasser hat auf Grund sorgfältiger archivalischer Studien 
die Anfängo des Zeitungswesens in Deutschland studiert, und, soweit 
sich nach dem vorliegenden Buche beurteilen läßt, die Frage erschöpfend 
behandelt. Auf Grund des Materials der Bibliotheken in 15 deutschen 
Städten, die er zam Teil persönlich besucht hat, stellt er zunächst den 
Begriff der Neuen Zeitungen fest, den er im modernen Sprachgebrauch 
etwa durch die Bezeichnung „Aktuelle Nachrichten“ wiedergeben würde. 
Diese Neuen Zeitungen sind bestimmt, eine Berichterstattung über wich- 
tige Tagesereignisse von allgemeinem Interesse zu bieten, und zwar nicht 
einzelnen bestimmten Personen, sondern dem großen Publikum. Die 
ersten dieser Zeitungen weist er unzweifelhaft für das Jahr 1486 nach. 
Er führt ferner den Nachweis des Briefcharakters der echten Neuen 
Zeitungen, die vorzugsweise drei besondere Gruppen von Berichterstat- 
tern zu Verfassern hatten, nämlich 1. vornehme Hof-, Militär- und 
Kirchenbeamte, 2. Vertreter der bürgerlichen Intelligenz und 3. be- 
rufsmäßige Korrespondenten. Von besonderem wissenschaftlichen In- 
teresse ist die von dem Verf. gezogene sorgfältig durchgeführte Par 
rallele der Neuen Zeitungen mit den historischen Volksliedern, die das 
Wesen gereimter Neuer Zeitungen haben. Wir erfahren weiter in- 
teressante neue Angaben über die Zensur, die schon vor 1500 nach- 


406 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


gewiesen werden kann, über die Auflage, den Preis und den Vertrieb 
der Neuen Zeitungen. Die Auflageziffer wird in den meisten Fällen 
etwa 1000 Exemplare gewesen sein, und im Durchschnitt kostete ein 
Exemplar einer solchen Ausgabe ungefähr 6 Pf. Dem Buchhandel 
wurde dabei vielfach eine unzünftige Konkurrenz gemacht, indem 
mancher Kaufmann neben jeglicher anderer Handelsware eben auch 
Bücher und Zeitungen verkaufte, und namentlich Buchdrucker, Buch- 
binder und Formschneider kommen neben den eigentlichen Buchhändlern 
als Vertreiber der Neuen Zeitungen in Betracht. Auch ein Kolportage- 
buchhandel läßt sich nachweisen, da alle Stände Interesse für die 
Neuen Zeitungen beweisen und der Hausierhandel, auch auf dem 
Wege des sogenannten Gassensanges und Zeitungssanges, sich lohnend 
erwies. Nach diesen sorgfältigen Darlegungen kommt der Verfasser zu 
dem Ergebnis, daß die neue Zeitungsliteratur nicht eine für sich da- 
stehende Erscheinung, sondern ein Zweig der überaus verbreiteten Flug- 
schriftenliteratur des 15. und 16. Jahrhunderts ist, weiter, daß es sich 
überwiegend um briefliche Nachrichten handelt und schon eine or- 
ganisierte berufsmäßige Berichterstattung vorhanden war, daß das ge- 
samte Buchgewerbe an der Herstellung und dem Vertrieb beteiligt waren. 
Die große Bedeutung dieser Neuen Zeitungen für jene Zeit zeigt sich auf 
allen Wegen. Sie sind als ein wichtiges Produkt und als ein mächtiges 
Werkzeug der öffentlichen Meinung anzusehen, und die Ansicht, die 
ihnen nur einen untergeordneten Raum anweist, ist mach der vorliegenden 
Untersuchung nicht mehr haltbar. — Das Buch wird einen ehrenvollen 
Platz in der Geschichte des Zeitungswesens und des Buchgewerbes ein- 
nehmen. 
Berlin. Alexander Elster. 


Dorno, Friedr., Der Fläming und die Herrschaft Wiesenburg. Agrar- 
historische Studien aus den nördlichen Aemtern des sächsischen Kurkreises. (Staats- 
und sozialwissenschaftliche Forschungen, hrsg. von Gust. Schmoller u. Max Sering. 
178. Heft.) München u. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. VIII—111 58. 
mit 1 Kartenskizze. M. 3.—. 

Floer, Dr. Franz, Das Stift Borghorst und die Ostendorfer Mark. Grund- 
herrschaft und Markgenossenschaft im Münsterland. Mit einem Vorwort des 
Hrsgs. (Tübinger staatswissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von Car! Johs. Fuchs 
in Verbindung mit Ludwig Stephinger, Heft 5.) Stuttgart, W. Kohlhammer, 
1914. gr. 8. X—107 SS. M. 4.—. 

Herrmann, Dr. Aug., Die Allmenden im Bezirk Unter-Elsaß. Eine sozial- 
wirtschaftliche Studie. (2 Teile in 1 Bd.) Straßburg, Straßburger Druckerei und 
Verlagsanstalt vorm. R. Schultz u. Co., 1914. gr. 8. XIV, 248 u.’ 155 SS. 
M. 12.—. 

Hofmann, Dr. H. L., Die Rittergüter des Königreichs Sachsen. Eın 
Abriß ihrer Geschichte und rechtlichen Stellung, nebst topographischen und 
statistischen Nachrichten über sämtliche Rittergüter pp. Neubearb. und ergänzt 
von Alfr. Burgmann und Wilh. Feldmann. 2. Aufl. Dresden-Blasewitz, Erich 
Leonhardi, 1914. 8. 416 SS. M. 12.—. 

Müller-Brandenburg, H., Rußland und wir. Volkswirtschaftliche, 
politische und militärische Schlaglichter. (Gegenwartsfragen 1913/14, No. 3.) 
Berlin, „Politik“, Verlagsanstalt u. Buchdruckerei G. m. b. H., 1914. gr. 8. 
48 SS. M. 1.—. 

Levine, V., Colombia. Physical features. Natural resources, means of 
communication, manufactures and industrial development. (South American hand- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 407 


books.) With introduction by B. Sanin Cano. London, Pitman: Cr. 8. XII— 
220 pp. 6/—. 

Perris, George Herbert, The industrial history of modern England. 
London, K. Paul. Cr. 8. 624 pp. 6/.—. 

Vinogradoff, P., and F. Morgan, Records of the social and economic 
history of England and Wales. Vol. I. London, H. Milford. 8. 16/.—. 

Vivian, E. C., Peru: Physical features, natural resources, means of com- 
munication, manufactures and industrial development. (South American hand- 
books.) Illustrated. London, Pitman. 8. VII—235 pp. 6/.—. 


3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung 
und Kolonisation. 


Fischer-Dückelmann, Dr. Anna, Der Geburtenrückgang. Ursachen 
und Bekämpfung vom Standpunkt des Weibes. Unter Mitwirkung von Arnold 
Fischer. Stuttgart, Süddeutsches Verlags-Institat, 1914. 8. 89 SS. M. 1,80. 

Noske, Gustav, Kolonialpolitik und Sozialdemokratie. Stuttgart, J. H. 
W. Dietz, 1914. 8. 229 SS. M. 1,50. 


Romanato, Enr., L’elemento storico-sociologico nella politica coloniale. 
Rocca S. Casciano, L. Cappelli, 1913. 8. 224 pp. 1. 3,50. 

Stefani, De prof. Car, Il Canadà e l'emigrazione italiana. Firenze, 
tip. M. Ricci, 1914. 8. 13 pp. 


&. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen. 


Borchard, Kurt, Die Wirkung der Getreidezölle auf die Ge- 
treidepreise; mit einem Anhang: Die Gregory-Kingsche Regel. Ber- 
lin 1913. 

Die vorliegende Abhandlung, vermutlich Dissertation, zerfällt in 
zwei nur lose miteinander verbundene Teile. Auf den ersten 38 Seiten 
wird die schwierige Frage zu lösen versucht, ob die Schutzzölle der 
Getreideimportstaaten den Weltmarktpreis herabgesetzt und beeinflußt 
hätten; der zweite Teil, S. 39—67, mit einem starken Anhang von 
Tabellen, ist dem Nachweis gewidmet, daß die Kingsche Regel, wonach 
bei Fehlernten der Getreidepreis in schnellerer Progression steigt, als 
das der Differenz zwischen Angebot und Nachfrage entsprechen würde, 
heute nicht mehr zutrifft. 

Natürlich gelingt es dem Autor nicht, auf 38 Seiten das viel- 
umstrittene Problem der Einwirkung der Agrarzölle auf den Welt- 
marktpreis der Lösung näherzubringen. Wenn er gelegentlich Brentano 
gegenüber, der in dieser Frage ausnahmsweise mit Ruhland darin über- 
einstimmt, daß der Schutzzoll zum Teil auf das Ausland abgewälzt 
werde, S. 17 wohlwollend begönnernd bemerkt: „So einfach, wie Bren- 
tano annimt, ist nun dieser Zusammenhang nicht“, so hätte das B. 
besser selbst beherzigen sollen. Ein Zusammenwerfen aller Freihandels- 
länder und ihre Gegenüberstellung mit den Zollstaaten, wie Autor 8.17 
beliebt, ist absolut nicht imstande, uns über die Wirkungen des Zoll- 
schutzes irgendwelchen Aufschluß zu geben. Dazu sind die Produktions- 
verhältnisse der einzelnen räumlich über den ganzen Erdball verstreuten, 
zu verschiedenen Jahreszeiten erntenden Exportstaaten, ihre Boden- und 
klimatischen, ihre Bevölkerungs-, Regierungs-, Besiedlungs- und Ver- 
schuldungsverhältnisse, also ihre Abhängigkeit von den Import- und 
Gläubigerstaaten, viel zu verschieden. 


e 


408 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Dagegen ist bezüglich der Gregory-Kingschen Regel apriorisch 
zuzugeben, daß sie heute nicht mehr dieselbe Wirkung haben kann wie 
zur Zeit Kings. Denn worauf beruht das schnelle, überproportionale 
Steigen der Getreidepreise bei Teuerungen ? Lediglich auf psycho- 
logischen Motiven, dem Angstkoeffizienten, d. h. der Furcht, mit einem 
so wichtigen und lebensnotwendigen Stoff, wie es das Brot namentlich 
früher war, künftig zu knapp versorgt zu werden. Heute aber hat uns 
der Weltverkehr, der wie eine Versicherung wirkt, in so starke Sicher- 
heit gewiegt, daß wir uns eine wirkliche Hungersnot in Kulturländern 
gar nicht mehr vorstellen können. Die Getreideversorgung kann wohl 
einmal etwas kurz und knapp werden, aber kaum jemals derart versagen, 
wie in autarken oder wenigstens territorial geschlossenen Gegenden ; 
zudem leben wir nicht mehr so einseitig von Brotgetreide wie zur Zeit 
Kings. Aus diesen Gründen ist die Angst vor mangelnder Versorgung 
und die aus ihr entspringende preistreibende Torschlußpanik fast ver- 
schwunden, und es hätte zum Nachweis dieser Tatsache kaum eines so 
ausführlichen Tabellenwerks bedurft. Hier hätten einmal ausnahms- 
weise deduktive Erwägungen genügt. 


München. Leonhard. 


Arndt, (Geh. u. Ober-Bergr.) Prof. Dr. Adolf, Allgemeines Berggesetz 
für die Preußischen Staaten in seiner jetzigen Fassung, nebst vollständigem Kom- 
mentar, den Ergänzungsgesetzen und Auszügen aus den einschlägigen Neben- 
gesetzen. 8. stark verb. Aufl. Freiburg (Baden), J. Bielefeld, 1914. 8. VIII— 
317 SS. M. 5,50. 

Dalcke’s, A., Preußisches Jagdrecht. Zum praktischen Gebrauch dargestellt 
und erläutert. 6. vollständig umgearb. und wesentlich verm. Aufl., bearb. von 
(Kammerger.-Rat) Dr. H. Delius. Breslau, J. U. Kerns Verlag, 1914. gr. 8. 
VIII—463 SS. M. 11.—. 

Eheberg, Karl Theodor v., Die Reichswälder bei Nürnberg bis zum 
Anfang der Neuzeit. (Neujahrsblätter, hrsg. von der Gesellschaft für fränkische 
Geschichte, No. 9.) Würzburg, Königl. Universitätsdruckerei H. Stürtz, 1914. 
gr. 8. VIII—185 SS. M. 4.—. 

Freise, (Dipl.-Ing.) Friedr., u. (Dipl.-Berging.) Hans Bansen, Berg- 
männische Auf- und Untersuchungen, mit besonderer Berücksichtigung der Tief- 
bohrung. Hand- und Lehrbuch für Praktiker und Studierende sowie zum Selbst- 
unterricht, leichtfaßlich dargestellt. Potsdam, Bonneß u. Hachfeld, 1914. gr. 8. 
III, 176, 28, 106 und 8 SS. mit Abbildungen und 2 Tafeln. M. 8,50. 

Jahresberichte der königl. sächsischen Gewerbe-Aufsichtsbeamten für 
1913. Nebst Berichten der kgl. sächs. Berginspektoren, betr. die Verwendung 
weiblicher und jugendlicher Arbeiter beim Bergbau, sowie die Beaufsichtigung 
der unterirdisch betriebenen Brüche und Gruben. Sonderausgabe nach den vom 
Reichsamt des Innern veröffentlichten Jahresberichten der Gewerbe-Aufsichts- 
beamten. Dresden-A., F. A. Schröer, 1914. gr. 8. XLIV—509 SS. M. 4.—. 

Jowanowitsch, Dr. Milutin, Die serbische Landwirtschaft. Eine Dar- 
stellung ihrer gegenwärtigen Verhältnisse. München, Ernst Reinhardt. 98 SS. 
M. 2,50. 

Schwarz, (Bergassess., Dipl.-Ing.) Fel., Entwicklung und gegenwärtiger 
Stand der Grubenbeleuchtung beim Steinkohlenbergbau. Gelsenkirchen, Carl Berten- 
burg, 1914. gr. 8. 193 SS. mit Fig. M. 6.—. 


Bourdon, M., Comment développer et mainteir la petite propriété rurale? 
Les mesures capables d'assurer le maintien et le développement de la propriété 
rurale. Thèse pour le doctorat (sciences politiques et économiques). Paris, 
A. Rousseau, 1914. 8. 160 pag. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 409 


Congrès de la propriété minière, du travail, de l’ygiene et de la sécurité 
dans les mines. 6 e congrès. Gand, 15, 16 et 17 septembre 1913. Lille, L. Danel, 
1914. 25X 16,5, plan, 148 pag. fr. 10.—. 

Hiorns, A. H., The principles of metallurgy. 2nd. ed. London, Macmillan. 
Br: 8. Biz 

Redmayne, R. A. S., Modern practice in mining. Vol. 3, methods of 
working coal. London, Longmans. 8. 222 pp. 6/.6. 

Pratt, E. A., Agricultural organization: Its rise, principles and practice 
abroad and at home. London, King and Son. Or. 8. 163 pp. 1/.—. 

Montefusco, Mich., Appunti di agronomia e agricoltura moderna, ad 
uso degli studenti e degli agricoltori pratici. Galatina, tip. Mariano, 1913. 8. 
342 pp. 1. 5.—. 


5. Gewerbe und Industrie. 

Heber, E. A., Japanische Industriearbeit. Eine wirtschaftswissen- 
schaftliche und kulturhistorische Studie. Jena 1912. VIII u. 282 SS. 
Preis 9 M. 

Das vorliegende Buch stellt sich als Band 7 der von Prof. Harms 
in Kiel herausgegebenen „Probleme der Weltwirtschaft‘ vor, und der 
Verf. bemüht sich sorgar im Vorwort, die Aufnahme seiner Arbeit in die 
genannte Sammlung zu rechtfertigen, indem er ‚„weltwirtschaftliche“ 
Zusammenhänge für sein im Züricher volkswirtschaftlichen Seminar 
entstandenes Buch sucht. Vielleicht ist er dadurch zu einer Formulierung 
seiner Aufgabe gelangt, die dem Nationalökonomen als eine Verschleie- 
rung der Problemstellung erscheinen muß. Das „Weltwirtschaftliche‘“ 
ist nämlich die Leistungsfähigkeit und Konkurrenzmöglichkeit der 
japanischen Industrie. 

Der aufmerksame Leser merkt aber leicht, nicht nur aus der 
Anlage des Buches, sondern auch aus des Verf.s eigenen Worten (S. 246), 
daß es ursprünglich seine Absicht war, „eine Beschreibung und Er- 
klärung des Standes der japanischen Arbeiterfrage zu geben,“ und 
daß erst der Wunsch, sich dem Rahmen der Sammlung „Probleme der 
Weltwirtschaft“ anzupassen, ihn veranlaßt hat, das Kapitel über die 
internationale, also wohl „weltwirtschaftliche‘“‘ Wettbewerbsfähigkeit des 
japanischen Proletarieers einzuschieben, beziehungsweise darin den Kern 
seiner Arbeit zu sehen. Man täte ihm unrecht, wollte man das Buch 
nicht nach seiner eigentlichen Problemstellung beurteilen. 

Es bringt zunächst in der ersten, größeren Hälfte (S. 1—162) 
eine hübsche Darstellung der japanischen Gewerbegeschichte und eine 
Beschreibung der wichtigsten Arbeitsarten. Die zweite Hälfte gibt nach 
einem kurzen Kapitel über die Leistungsfähigkeit japanischer Industrie- 
arbeiter, das nicht ganz an seinem Platze ist, einen Ueberblick über die 
japanische Arbeiterfrage. Der erste Teil der Arbeit ist entschieden ab- 
gerundeter. Der zweite leidet ein wenig darunter, daß im ersten manches 
vorweggenommen ist, aber auch unter dem Umstande, daß die Darstel- 
lung der japanischen Arbeiterfrage notgedrungen fragmentarisch sein 
muß. Die ganze Sozialpolitik, ja überhaupt die Bildung eines 4. Standes, 
steckt in Japan noch in den Kindurschuhen;; die Anläufe zur Selbsthilfe 
sind von der Regierung gewaltsam unterdrückt, Statistik oder andere 
wissenschaftliche Vorarbeiten fehlen beinahe ganz, so daß dem Verf. 
kein Vorwurf daraus gemacht werden kann, wenn er den besonderen 


410 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Teil seiner Arbeit kürzer gehalten hat als die geschichtliche Einleitung, 
die er zu einer „kulturhistorischen Studie‘ erweitert hat. Immerhin hätte 
ein weiteres Kapitel, etwa mit der Ueberschrift: „Der Staat als Arbeit- 
geber“, eine Lücke ausgefüllt. Dabei hätte sich auch Gelegenheit er- 
geben, die von der japanischen Staatseisenbahnverwaltung eingeführte 
Krankenversicherung ihrer Arbeiter zu besprechen. 

Auch so aber muß Hebers Buch als willkommene Erscheinung be- 
grüßt werden, denn es bietet die erste zusammenfassende Darstellung 
in ihrer Art, und der Verf. hat es recht gut verstanden, das lücken- 
hafte und überaus verstreute Material zu sammeln und zu verarbeiten. 
Dazu war er um so befähigter, als er nicht nur Land, Leute und Um- 
gangssprache wirklich kennt, sondern auch kaufmännische, technische 
und volkswirtschaftliche Bildung in sich vereinigt. So darf man seinen 
Ausführungen getrost folgen und sich seine Schlußfolgerungen und Er- 
gebnisse zu eigen machen. 

Daß die japanischen gewerblichen Arbeiter den Wettbewerb mit 
denen der europäischen und amerikanischen Produktionsstätten vorder- 
hand nicht aufzunehmen vermögen, ist Eingeweihten längst bekannt. 
Aber die psychologischen und physiologischen (mangelhafte Ernährung!) 
Ursachen für diese Erscheinung sind von Heber sehr gut geschildert, 
und fügen sich glatt in das Bild des Lebens japanischer Proletarier 
ein, das wir in seinem Buche finden. Wer etwa bisher über den großen 
äußeren Erfolgen Japans übersehen haben sollte, wie schweren inneren 
Kämpfer: es entgegengeht, der kann sich an der Hand des vorliegenden 
Werkes leicht darüber orientieren. Das Wohlwollen, das der Verf. den 
japanischen Verhältnissen entgegenbringt, ist durchaus am Platze; aber 
verführt ihn sein Optimismus nicht, sich die Lösung all der Fragen der 
inneren Verwaltung zu leicht vorzustellen ? Gerade eine Vertiefung in die 
Aufgaben seines besonderen Studiengebiets, der Arbeiterfrage, hätte ihn 
eines besseren belehren können. Vor allem wäre auch eine Erwägung 
darüber angebracht gewesen, wie denn die führenden Kreise der ja- 
panischen Politik, Regierung, Parteien, Intelligenz über ihren Beruf zu 
sozialen Reformen denken, und welche Voraussetzungen für ihre Wirk- 
samkeit vorhanden sind. Hier wären gründlichere Untersuchungen 
erwünscht. 

Bei der großen Schwierigkeit, die stets dem ersten auf seinem 
Gebiet entgegentritt und die insbesondere bei Arbeiten über japanische 
Fragen ins Gewicht fällt, muß man für das Gebotene dankbar sein und 
darf sich nicht auf Kleinigkeiten versteifen. Gerade zu dem zuletzt be- 
rührten Problem müssen aber zwei Berichtigungen gemacht werden: 
Das Arbeiterschutzgesetz von 1911 sollte erst durch Kaiserliche Verord- 
nung in Kraft gesetzt werden. Bis zum Augenblick ist die entsprechende 
Kaiserliche Verordnung aber noch immer nicht ergangen! Die Partei- 
kämpfe um Verfassungsfragen, die sich jetzt in Japan abspielen, sind 
auch nicht geeignet, die Voraussetzungen für ernste innerpolitische 
Arbeit entstehen zu lassen. Auch die Berufung Geheimrat Wied- 
feldts nach Japan bedeutete keinen Anlauf für sozialpolitisches Wir- 
ken, denn obwohl der genannte Herr auch Gelegenheit finden sollte, sich 
zu sozialpolitischen Fragen zu äußern, erfolgte doch seine Berufung nicht 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 411 


durch das japanische Ministerium des Inneren; er war zu einer Tätigkeit 
als Ratgeber des Eisenbahnministeriums und der südmandschurischen 
Bahn eingeladen. Der Schluß, den der Verf. aus dieser Berufung zieht, 
ist daher nicht zutreffend. 

Doch genug der Ausstellungen! Trotz kleiner Irrtümer, unvermeid- 
licher Schwächen und der gerügten Verwischung des Problems, die 
sich schon in dem ungeeigneten Buchtitel ausdrückt, ist die vorliegende 
Untersuchung eine erfreuliche Erscheinung unserer Japanliteratur. 

Nur ein formelles Bedenken muß noch geltend gemacht werden: 
Der Verf schiebt in seinen Text fast auf jeder Seite englische und fran- 
zösische Zitate ein, die an und für sich meist entbehrlich wären. Der 
fortwährende Wechsel zwischen deutscher, französischer und englischer 
Sprache wirkt aber auch außerordentlich ermüdend und macht das Buch 
für viele Deutsche unlesbar und unverständlich. Wenn schon überhaupt 
so viel zitiert werden muß, so sei wenigstens daran festgehalten, daß 
deutsche Bücher auch deutsch geschrieben sein müssen. 


Halle a. S. Ernst Grünfeld. 


Zürn, Walther, Die deutsche Zündholzindustrie. (Zeitschrift 
für die gesamte Staatswissenschaft. Ergünzungsheft 47.) Tübingen 
(H. Laupp) 1913. 185 SS. 


Die deutscheZündholzindustrie findet in dieser Schrift eine gute 
und gründliche Darstellung. Wenn es auch nicht richtig ist, daß sie 
in kurzer Zeit einen Aufschwung erlebte „wie keine zweite Branche“ 
(S. 182), so bietet ihre Entwicklung doch manches besonders Inter- 
essante. Außer der starken Umgestaltung des Gewerbes durch den 
maschinellen Betrieb sind hier vor allem eine Reihe von staatlichen 
Maßnahmen zu erwähnen, die die Zündholzindustrie in besonderer 
Weise beeinflussen: das Phosphorverbot, die Zündwarensteuer und 
die damit in Verbindung stehende Zwangskontingentierung der Pro- 
duktion 

Zürn gibt zunächst einen Ueberblick über die geschichtliche Ent- 
wicklung und stellt dann die heutige deutsche Zündholzindustrie in 
3 Hauptabschnitte dar: Rohstoffe und Technik, Produktions- und Ab- 
satzverhältnisse, Arbeiterverhältnisse. Wer sich über die Zündholz- 
industrie informieren will, findet hier eine erschöpfende Auskunft. 


Aachen. Richard Passow. 


Bangert, Dr. Hugo, Die Montanindustrie des Lahn- und Dillgebietes. 

Ihre geschichtliche Entwicklung, wirtschaftliche Lage und Bedeutung. Wetzlar, 
Schnitzlersche Buchhandlung, 1914. gr. 8. VII—119 SS. M. 1,80. 
S Bühler, Dr. Friedr., Die Entwicklung der Tuchindustrie in Lambrecht. 
(Wirtschafts- und Verwaltungsstudien mit besonderer Berücksichtigung Bayerns. 
Hrsg. von Prof. Dr. Georg v. Schanz, No. 50.) Leipzig, A. Deichertsche Verlags- 
buchhandlung Werner Scholl, 1914. gr. 8. X—146 SS. M. 3,50. 

Greineder, Dr. ing. Friedr., Die Wirtschaft der deutschen Gaswerke. 
Denkschrift anläßlich der deutschen Ausstellung „Das Gas“ München 1914. 
München, R. Oldenbourg, 1914. gr. 8. V, 61 SS. mit 11 Abbildungen, Titelbild und 
24 eingedruckten Tabellen. M. 3.—. 

Slokar, Dr. Joh., Geschichte der österreichischen Industrie und ihre 
Förderung unter Kaiser Franz I. Mit besonderer Berücksichtigung der Groß- 


412 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


industrie und unter Benützung archival. Quellen verf. Leipzig, G. Freytag, 1914. 
gr. 8. XIV—674 SS. M. 25.—. 

Vockert, Dr. Rich., Das Baugewerbe in Leipzig vom 15. Jahrhundert 
bis zur Gegenwart. (Tübinger staatswissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von 
Carl Johs. Fuchs in Verbindung mit Ludw. Stephinger, Heft 6.) Stuttgart, 
W. Kohlhammer, 1914. gr. 8. VIII—126 SS. M. 3,50. 

Keppen, A. de, L'industrie minérale de la Tunisie et son rôle dans l’evo- 
lution économique de la Régence. Paris, H. Dunod et E. Pinat. 8. fr. 6.—. 

Jones, J. H., The tinplate industry. With special reference to its relations 
with the iron and steel industries: A study in economic organization. London, 
P. S. King. 8. 302 pp. 7/.6. 

Capocei, Oscar, Industria a domicilio e minimo obbligatorio di salario. 
Napoli, L. Pierro e figlio, 1914. 8. VI—165 pp. 1. 3,50. 


6. Handel und Verkehr. 

Denkschrift zu dem technischen Entwurf einer Main- 
Donau-Wasserstraße mit Anschluß der Städte München 
und Augsburg, bearbeitet von Theodor Gebhardt, verlegt von 
dem Verein für Hebung der Fluß- und Kanalschiffahrt in Bayern. 
Nürnberg 1913. 

Wohl in keinem deutschen Bundesstaate sind in den letzten Jahr- 
zehnten die Fragen der Wasserstraßenpolitik so lebhaft erörtert worden 
wie in Bayern. Diese Erscheinung ist eine Folge der mehr und mehr 
zur Geltung kommenden Erkenntnis, daß der zweitgrößte deutsche 
Bundesstaat, wohl nicht zuletzt infolge Mangels an wichtigen Rohstoffen, 
wie Kohlen, nicht durchweg diejenige industrielle Entwicklung auf- 
weist. wie sie in anderen deutschen Landesteilen zu finden ist, und daß 
die Schaffung billiger Verkehrswege, insbesondere nach dem deutschen 
Nordwesten, zur Belebung der Industrie Bayerns dringend erforderlich 
ist. Zu dieser Erkenntnis tritt die innerpolitische Sorge Bayerns, daß 
infolge verlangsamter Ausbreitung der Industrie die Steuerkraft 
des Landes mit der anderer deutscher Staaten nicht gleichen 
Schritt gehalten hat. Es ist deshalb eine wahrhaft hohe Aufgabe, 
die sich der bayerische Verein für Hebung der Fluß- und Kanalschiff- 
fahrt gestellt hat, das Verkehrsgebiet der Donau und des Mains mit 
dem Fluß- und Kanalnetz Mittel- und Norddeutschlands zu verbinden 
und für die Häfen der deutschen Nordsee zu erschließen. 

Zwei Wege, um dieses Ziel zu erreichen, sind ins Auge gefaßt 
worden. So hat einmal der Gedanke eines Main-Werra-Kanals in Bayern 
und ebenso in verschiedenen thüringischen Staaten Boden gewonnen. 
Dieses Projekt aber, das die vielfach erwogene interessante Idee eines 
„Kanals über den Thüringerwald‘“ in sich schließt, ist das entfernter 
liegende, es tritt zurück vor den Bestrebungen, den Main von Aschaffen- 
burg aufwärts staffelweise, zunächst bis Würzburg, zu kanalisieren und 
von denı südlichsten Mainknie (Ochsenfurt-Marktbreit oder auch Bet- 
tingen-Kreuzwertheim) einen Kanal etwa nach Süden bis München 
mit Stichkanälen für Nürnberg und Augsburg zu bauen. Dieser Wasser- 
weg allerdings wäre sehr geeignet, die Entwicklung der Industrie Bayerns 
zu fördern. Ausschlaggebend wäre dabei die Verbilligung der Zu- und 
Abfuhr der Güter des Massenbedarfs im Verkehr mit dem Rheinland 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 413 


und Westfalen. Einem solchen Güteraustausch steht der Verkehr Bayerns 
mit den nördlichen Gebieten, z. B. der Provinz Sachsen und den EIb- 
häfeu weit nach. Es ist deshalb natürlich und richtig, daß man in 
Bayern den Bestrebungen nach Schaffung eines Main-Werra-Kanals 
wohl fördernde Aufmerksamkeit widmet, im übrigen aber der Er- 
schließung Bayerns für den deutschen Nordwesten das Hauptaugen- 
merk zuwendet. 

Zur Bearbeitung des Projekts einer hierfür geeigneten Wasser- 
straße, dic also vom Main abzweigend nach Nürnberg, München, 
Augsburg führen soll, hat der Verein für Hebung der Fluß- und Kanal- 
schilfahrt in Bayern im Jahre 1908 ein besonderes technisches Amt 
gegründet. Das Ergebnis der Arbeiten dieses Amts wird in der vor- 
liegenden Denkschrift zusammengefaßt. Sie stellt ein interessantes Werk 
dar, das die Grundlage für die Weiterarbeit auf dem Wege zur Schaffung 
der bayerischen Wasserstraßen bilden wird. 262 km wird die Kanal- 
linie von München bis zum Main (ÖOchsenfurt) betragen. Auf seinem 
Wege hat der Kanal ein Gesamtgefälle von fast 318 m zu überwinden. 
Die Kosten der Wasserstraße von München nach Ochsenfurt-Marktbreit 
stellen sich auf 188 Mill. M.; die Fortführung des Kanals bis Bettingen- 
Kreuzwertheim erfordert weitere 60 Mill. M. Auch kostspielige Kunst- 
bauwerke kommen, abgesehen von den erforderlichen Gefällstufen, in 
Betracht, so die Kanalbrücke über die Donau bei Stepperg und die 
Kanalbrücke über das Biberttal, westlich von Nürnberg. Größere 
Unischlagsplätze sind geplant in München, Augsburg, Stepperg, Nürn- 
berg, Ochsenfurt-Marktbreit. Für diese Städte sieht die Denkschrift 
sorgfältig bearbeitete Uebersichtspläne für die Umschlagsanlagen vor, 
so daß die Stadtverwaltungen schon jetzt in der Lage sind, die Hand 
auf den für die Hafenanlagen in Betracht kommenden Boden zu legen 
und so der zweifellos einsetzenden Spekulation zuvorzukommen. 

Die Denkschrift, die einem deutschen Kulturwerke größten Stils 
in sehr wirksamer, anschaulicher Weise vorarbeitet, verdient die größte 
Beachtung. Ist doch die wirtschaftliche Tragweite des bayerischen 
Unternehmens heute kaum zu übersehen. Es sei nur daran erinnert, 
daß die Rohstoffe Südrußlands, des Balkans usw. vom Schwarzen Meer 
bis beispielsweise Frankfurt a. M. und weiter schwimmen könnten, daß 
also in der Tat ein Wasserweg von der deutschen Nordsee durch Europa 
hindurch bis nach dem Schwarzen Meere und Kleinasien geschaffen 
wäre. Einem solchen Werk allerdings ist im Interesse der wirtschaft- 
lichen Weiterentwicklung Deutschlands die tatkräftigste Förderung zu 
wünschen. Es ist daher erfreulich, daß die Aussichten auf Verwirk- 
lichung der bayerischen Projekte günstig sind, zumal bekanntermaßen 
kein anderer als König Ludwig III. von Bayern selbst ihnen das aller- 
. größte Interesse entgegenbringt. 

Halle (Saale). Paul Ritter. 


Calwer, Rich., Das Wirtschaftsjahr 1910. Jahresberichte über den Wirt- 
schafts- und Arbeitsmarkt. Für Volkswirte und Geschäftsmänner, Arbeitgeber 
und Arbeiterorganisationen. II. Teil. Jahrbuch der Weltwirtschaft 1910. Statistik 
über den Wirtschafts- und Arbeitsmarkt. Jena, Gustav Fischer. 1914. gr. 8. V— 
407 SS. M. 21—. 


414 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Encyklopädie des Eisenbahnwesens, hrsg. von v. Bol 2. vollst. neubearb. 
Auflage. 53.—56. Lieferung. Wien, Urban u. Schwarzenberg, 1914. Lex.-8. 
S. 97—288 mit Abbildungen und 3 Tafeln. Je M. 1,60. 

Gruntzek, Prof. Dr. Jos., Handels-, Zahlungs- und Wirtschaftsbilanz 
(Publikationen der Exportakademie). Wien, Export-Akademie des k. k. österr. 
Handelsmuseums, 1914. gr. 8. 59 SS. M. 0,80. 

Kulmiz, Paul Helmuth v., Das Absatzgebiet der schlesischen Kohle. 
(Probleme der Weltwirtschaft. Hrsg. von Prof. Dr. Bernh. Harms, No. 19.) Jena, 
Gustav Fischer, 1914. Lex.-8. V, 120 8S. mit 1 'Fig., 6 farb. Karten und 6 Tafeln, 
M. 15.—. 

Ledebur, F. Frhr. v., Der Panamakanal, seine wirtschaftliche, politische 
und militärische Bedeutung. (Probleme unserer Zeit. Beiträge zur Geschichte der 
Gegenwart, hrsg. von F. W. Schroeter.) München, Hans Sachs-Verlag, 1914. 8. 
63 SS. mit 1 Karte. M. 1,30. 

Rintelen, Prof. Dr. Max, Untersuchungen über die Entwicklung des 
Handelsregisters. (Zeitschrift für das gesamte Handels- und Konkursrecht. Bei- 
lageheft.) Stuttgart, Ferdinand Enke, 1914. gr. 8. XII—366 SS. M. 10,80. 

Schmidt, Dr. Franz, Der Weltverkehr. (Staatsbürger-Bibliothek, Heft 
41.) M.-Gladbach, Volksvereins-Verlag, 1914. 8. 64 SS. mit 1 Karte. M. 0,40. 

Senckpiehl (Landrichter), Dr. Richard, Verkehrsrecht. 3. Bd. Das 
Lagergeschäft nach deutschem Recht. Berlin, Gilbert Everth, 1914. gr. 8. XV— 
498 SS. M. 9.—. i 

Zach, Dr. Lor., Die deutschen Handelskammern. (Staatsbürger-Bibliothek, 
Heft 49.) M.-Gladbach, Volksvereins-Verlag, 1914. 8. 40 SS. M. 0,40. 


Kickaldy, A. W., British shipping, its history, organisation and impor- 
tance. London, K. Paul, Trensch, Trübner and Co. 8. 6/.—. 

Luzzatto, Gino, Storia del commercio. Vol. I: dall’ antichità al rinasci- 
mento. Firenze, G. Barbèra (Alfani e Ventari), 1914. 16. IX—399 pp. 1. 4.—. 

Viti (De), A. De Marco e G. Salvemini, Il regime daganale della 
Libia. Firenze, stab. tip. Aldino, 1914. 16. 31 pp. 

Smit, H. J., De opkomst van den handel van Amsterdam. Onderzoekingen 
naar de economische ontwikkeling der stad tot 1441. (Proefschrift, univ. Amster- 
dam.) Amsterdam, A. H. Kruyt. gr. 8. l4 en 318 blz. fl. 3,50. 


7. Finanzwesen. 


Birnbaum, Dr. Bruno, Die gemeindlichen Steuersysteme in Deutsch- 
land. Berlin, Franz Siemenroth, 1914. gr. 8. IX—440 SS. mit 4 Tab. M. 10.—. 

Geller, Dr. Leo, Oesterreichische Finanzgesetze über Einzelmaterien, mit 
Erläuterungen aus den Materialien und der Rechtsprechung. 1. Gesetze und Ver- 
ordnungen betr. die direkten Personalsteuern samt allen an den betreffenden 
Stellen eingefügten Vollzugsvorschriften in letzter Fassung. Mit Einleitungen und 
Erläuterungen aus den Materialien. Wien, Alfred Hölder, 1914. 8. XIX— 
704 SS. M. 6.—. 

Greiff, (Reg.-Rat) Dr. Erich, Reichsstempelgesetz vom 3. Juli 1913 
mit sämtlichen Ausführungsbestimmungen für das Reich und die größeren Bundes- 
staaten nebst den Reichsstempel-Nebengesetzen (Rennwettgesetz etc.), erläutert. 
2. vollständig umgearbeitete Auflage. Berlin, Franz Vahlen, 1914. gr. 8. XXVIII— 
1251 SS. M. 24.—. 

Hoyer, (Ratsassessor) Dr. Paul, Die Praxis des Zuwachssteuergesetzes vom 
l4. Februar 1911, unter Berücksichtigung der Bestimmungen des Reichsgesetzes 
über Aenderungen im Finanzwesen vom 3. 7. 1913 und der in Sachsen-Meiningen, 
Sachsen-Altenburg, Anhalt und in Elsaß-Lothringen ergangenen Landesgesetze 
über die Erhebung der Zuwachssteuer. Gemeinverständliche Erläuterung mit Ge- ` 
setzestext (einschließlich der oben angeführten Landesgesetze), Beispielen für die 
Berechnung der Steuer und einem Sach- und Paragraphen-Register. Leipzig, 
Felix Meiner, 1914. 8. VIII—176 SS. M. 3,80. 

Keller, Franz, Deutschlands finanzielle Kriegsbereitschaft und Krieg- 
führung. Betrachtung über die Widerstandskraft der deutschen Wirtschaftsorgane 
gegen politische Krisen und die Beschaffung der Kriegsmittel. Ravensburg, Dorn- 
sche Buchhandlung, 1914. 8. 31 SS. M. 0,60. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 415 


Knöpfelmacher, (Finanzrat) Dr. Jul., Das neue Personalsteuergesetz. 
Anhang: Die wesentlichsten und für den Steuerträger wichtigsten Bestimmungen 
aus der Vollzugsvorschrift hinsichtlich der Einkommensteuer, der Bucheinsicht, 
des Strafverfahrens, der Tuntiemeabgabe. Mit 2 Musterformularen. M.-Östrau, 
R. Papauschek, 1914. 8. VII—l44 S5. M. 1,50. 

Pensch, Rud., Das Gesetz vom 25. Oktober 1896, betr. die direkten 
Personalsteuern samt den Nachtragsgesetzen, den Vollzugsvorschriften und sonstigen 
einschlägigen Gesetzen, Verordnungen und Erlässen. Mit Benutzung der Gesetzes- 
materialien und vornehmlich der Verwaltungsgerichtshof-Judıkatur erläutert und 
mit einem Inhaltsverzeichnis sowie einem alphabetischen Geueral-Sachregister ver- 
sehen. Unter Mitwirkung von Franz Jaros hrsg. 4. vollst. umgearb. Auflage. 
Wien, Moritz Perles, 1914. kl. 8. 3. Lieferung. S. 160—320, und 4, Lieferung, 
S. 321—480. Je M. 2.—. 

Rentensteuer, Die.(mit einem Verzeichnis, enthaltend jene ausländischen 
Wertpapiere, deren Erträgnisse rentensteuerpflichtig bzw. rentensteuerfrei sind). 
Das durch die Personalsteuernovelle vom 23. 1. 1914 abgeänderte Personalsteuer- 
gesetz vom 25. Oktober 1896. Für jedermann leichtfaßlich — in Frage und 
Antwort — dargestellt, durch zahlreiche Beispiele erläutert und mit einem alpha- 
betischen Sachregister versehen. (Oesterreich. Steuergesetze.) Brünn, Georg Kara- 
fiat, 1914. 8. 72 SS. M. 0,80. 

Singer, J., Die mexikanischen Finanzen und Wilsons panamerikanische 
Politik. Mit 1 Karte von Mexiko. Berlin, Franz Siemenroth, 1914. gr. 8. XIV— 
123 SS. M. 3.—. 

Vusio, E. M. u. F. H. v. Meyer, Wie soll man die schwere Last der 
österreichischen Staatsschulden regeln? Wien, C. Konegen, 1914. 8. 24 SS. M. 0,50. 


Situation (la) financière des communes de France et d'Algérie en 1913, 
présentée par M. H. Richard à M. Malvy, ministre de l'intérieur. (Trente-sixicme 
publication annuelle.) Melun, Impr. administrative, 1914. grand-in 4. XXLLI— 
736 pag. : 

Higgs, Henry, The financial system of the United Kingdom. London, 
Macmillan. 8. 228 pp. 6/.—. 

Einaudi, prof. Lu., Corso di scienza delle finanze, tenuto nella r. uni- 
versità di Torino e nella università commerciale L. Bocconi di Milano. Seconda 
edizione, curata dal dott. Achille Necco. Torino, tip. E. Bono, 1914. 8. L— 
1010 pp. 1. 20.—. — La finanza della guerra e delle opere pubbliche. Torino, 
tip. E. Bono, 1914. 8. XXXI—350 pp. l. 7.—. 

Wet (De) tot heffing eener algemeene ,„inkomstenbelasting“ en tot wijziging 
van art 10 (het tarief) der vermogensbelasting („Wet op de inkomstenbelasting 
1914“), zooals deze wet door de Tweede Kamer der Staten-Generaal is vastgesteld. 
Met, als bijlagen, uitgewerkte tarieven van beide belastingen. Tekstuitgaave door 
E. J. Eggink. Zutphen, W. J. Thieme en Cie. 8. 61 blz. fl. 0,30. 


8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen. 

Dittmer, Hans, Depositenbanken eines Agrarlandes. Eine ver- 
gleichende Untersuchung der Banken Mecklenburgs. Jena (Gustav 
Fischer) 1913. (Archiv für exakte Wirtschaftsforschung. 10. Heft.) 

Die Arbeit des Verf. ragt unter den in den letzten Jahren er- 
schienenen Bankmonographien unzweifelhaft hervor. Der Erfolg liegt 
einesteils in dem zur Behandlung stehenden Stoffe selbst; die bank- 
wissenschaftliche Literatur hat neuerdings nur solche Banken einseitig 
bevorzugt, deren Lebenswurzeln in Handel und Industrie liegen, so daß 
eins Untersuchung der Bankbetriebe eines reinen Agrarlandes, wie es 
Mecklenburg ist, eine wesentliche Bereicherung unserer Literatur be- 
deutet. Ein Weiteres trägt zur Bedeutung des Buches die Art und Weise 
des Verf. bei, den zur Verfügung stehenden Stoff zu verarbeiten (Me- 
thodik). Er hat sich von dem Fehler (so kann man es wohl nennen) 
freigehalten, nur reine Monographien zu schreiben und etwa die bank- 


416 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


wissenschaftlichen Untersuchungsresultate der neueren Zeit einfach zu 
negieren; den Unterbau seiner Arbeit bilden vielmehr die modernen 
Bankprobleme, wodurch die Arbeit eine gewisse Großzügigkeit erhält. 
Er operiert nicht nur mit toten Zahlen, sondern er berücksichtigt auch 
psychologische Momente, Land und Leute, ein Zeichen, daß der Verf. 
nicht nur Bilanzen lesen kann, sondern auch in das praktische Wirt- 
schaftsleben eingedrungen ist. Eine klare, frische und offene Darstel- 
lungsweise erhöht weiterhin den Wert des Buches. 

Nach einleitenden theoretischen und methodischen Betrachtungen 
gibt der Verf. im ersten Abschnitt zunächst die Monographien der meck- 
lenburgischen Banken an Hand der Bilanzen und Jahresberichte. In 
einem zweiten Abschnitt kommt er zur Vergleichung der einzelnen 
Geschäftszweige der Banken, getrennt nach Passivgeschäften (ver- 
antwortliches Kapital der Banken, Depositengeschäft, sonstige Passiv- 
geschäfte) und Aktivgeschäften (Kassenbestand und Bankguthaben, 
Diskontgeschäft, Lombardgeschäft, Kontokorrentgeschäft, Effektenge- 
schäft, Beteiligungen und Konsortialgeschäfte). Ein besonderes Ka- 
pitel räumt er dem Liquiditätsproblem ein. Da er — wie gesagt — 
seine Untersuchung darauf eingestellt hat, nicht nur die Banken unter 
sich zu vergleichen, sondern sie in ihren Betätigungsäußerungen in das 
gesamte Gebiet der Bankprobleme einzufügen, so bietet die Ausbeute 
für den Banktheoretiker — und auch Bankpraktiker — sehr viel In- 
teressantes und Wissenswertes, namentlich schon deswegen, weil es sich 
um eine Darstellung handelt, die uns ein Bild von einer im übrigen 
Deutschland schon entschwundenen Entwicklungsstufe des Bankwesens 
gibt. 

Die Eigentümlichkeiten der mecklenburgischen Bankbetriebe leiten 
sich aus der ländlichen Struktur ihres Arbeitsgebietes her, dessen Wesen 
sich wirtschaftlich weniger in einem dringenden Kreditbedürfnis als 
vielmehr in einem Anlagebedürfnis der Bevölkerung äußert, und wo 
bei wirklichem Kreditbedürfnisse der Bedarf an langfristigem Kredit 
vorherrscht. Rein psychologisch kommt noch der konservative Cha- 
rakter der Bevölkerung in Betracht: Abneigung gegen jede spekulative, 
börsenmäßige Anlage. Hieraus ergibt sich einmal, daß die mecklen- 
burgischen Banken mehr den Typ der Sparkasse zeigen. Verf. stellt 
fest, daß die befristeten Kapitaleinlagen im Durchschnitt weit länger 
als 6 Monate den Banken belassen werden, so daß ca. 2/, aller De- 
positengelder als Spargelder zu betrachten sind. Interessant ist der 
Nachweis des Zusammenhanges der Zahlungstermine eines Landes und 
der Befristung der Gelder. In Mecklenburg gibt es zwei Landestermine, 
an denen Zahlung erfolgt; die Wirtschaftsüberschüsse müssen also 
entsprechend bis zu diesen allgemeinen Zahlungsterminen notwendiger- 
weise aufgespeichert werden. 

Auf der anderen Seite: Mangels jeder industriellen Tätigkeit im 
Zusammenhang mit der Abneigung der Bevölkerung gegen alle Börsen- 
geschäfte wird das Akzeptkreditgeschäft von den Banken fast 
gar nicht und das Effektengeschäft nur in geringem Umfange ge- 
pflegt, ebenso ragt das Kontokorrentgeschäft nicht besonders 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 417 


hervor. Beim Wechseldiskontgeschäft kommt das landwirtschaft- 
liche Moment insofern zum Ausdruck, als die „Prolongationen“ vor- 
herrschen, besonders bei den Platzwechseln, wobei außerdem berück- 
sichtigt werden muß, daß Darlehen unter Zuziehung von Bürgen in 
die Form des Ankaufs von Solawechseln der Kunden gekleidet werden, 
und daß diese ihre Grundlagen nicht wie die Rimessenwechsel in Waren- 
umsätzen haben, sondern im Hypothekarkredit. (Eine Trennung der 
Platz- und Rimessewechsel in den Bilanzen der Banken würde aus 
diesen Grunde also immerhin eine gewisse Unterlage für die qualitative 
Sichtung abgeben.) Auch im Lombardgeschäft tritt das börsen- 
mäßige Lombard (tägliches Geld, Ultimogeld, Reports) zurück, dafür 
nimmt aber das Hypothekengeschäft einen breiten Raum ein. Mit Recht 
kommt Verf. zu dem Resultat, daß die Verwendung der Depositengelder 
deren Ursprung, Art und Zweck im großen ganzen entspricht. Be- 
sonderes Interesse (für die Frage des „Depositenproblems‘“) erheischen 
jedoch die weiteren Ausführungen des Verf., die sich auf neuzeitliche 
Aenderungen in dieser Hinsicht beziehen, Aenderungen, die ihren Ur- 
sprung in der Konzentrationsbewegung haben. Die Banken werden in 
die Machtsphäre der Großbanken gedrängt, womit bei mehreren ein 
Abfließen der dortigen Depositengelder nach der Zentrale Berlin ein- 
setzt und hier sehr leicht diese Depositengelder Zwecken zugeführt. 
werden, die ihrem Wesen widersprechen; andererseits werden die in 
Berlin gültigen Geschäftsmaximen nach dort übertragen. Er weist als 
praktisches Beispiel auf die Rostocker Bank hin, die auf den Berliner 
Bau- und Hypothekenmarkt ging und hierdurch bedeutende Verluste 
erlitt. 

Die Liquidität der mecklenburgischen Banken kann nach alledem, 
rein zahlenmäßig genommen, nicht günstig sein. Man muß aber dem 
Verf. darin beistimmen, daß man bei der Liquiditätsabmessung nicht nur 
Prozentzahlen sprechen lassen darf, sondern auch andere Momente mit 
berücksichtigen muß, in diesem Falle z. B. psychologische. Und diese 
liegen in dem ruhigen, konservativen Volkscharakter, die nach den bis- 
herigen Erfahrungen eine Panik verhindert haben. 

Nicht ohne Interesse ist es, daß die Banken seit ungefähr 20 Jahren 
kartellartige Vereinbarungen geschlossen haben, die Ueberbietungen der 
gewährten Depositenzinsen und Unterbietungen der Zinssätze in den 
Aktivgeschäften ausschließen sollen. Hierdurch wird zweifellos eine 
Stabilisierung der Zinssätze für längere Zeit hervorgerufen, daß aber 
hiermit zugleich die Diskontpolitik der Reichsbank „mehrfach durch- 
kreuzt“ werden soll, dem können wir nicht ohne weiteres zustimmen. 
Denn die vereinbarten Mindestsätze sind doch nur dadurch möglich, 
daß sie teilweise auf dem Hypothekarkredit basieren, dessen Zinssätze 
naturgemäß stets und überall eine schwerfälligere Bewegungstendenz 
haben, und — was für unseren Zweifel der Hauptstützpunkt ist 
— die Mittel der Reichsbank kommen für diese Art der Kredit- 
gewähr bekanntlich gar nicht in Betracht. Doch ist nicht zu leugnen, 
daß in der vom Verf. zum Ausdruck gebrachten Tendenz auch ein Kern 
steckt, an dem man gerade jetzt, wo die Konditionskartellierungsbestre- 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID. 27 


418 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


bungen der Banken mehr in den Vordergrund gerückt sind, nicht 
ohne Beachtung vorübergehen kann. Sicherlich bedeutet die Kar- 
tellierung eine ideelle Stärkung der Kapitalkraft der Banken insofern, 
als ihr Zusammenschluß noch fester wird; und der Annahme, daß sich 
die Wirkung dermaleinst in der Richtung geltend machen kann, daß 
der Reichsbank „die Beherrschung des deutschen Geldmarktes‘‘ (Verf. 
hat diesen Ausdruck von Plenge übernommen) dadurch erschwert wird, 
kann eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden. 

In einem besonderen Kapitel beschäftigt sich Verf. mit dem 
aktuellen Publizitätsproblem. Er steht auf dem Standpunkte, 
daß die häufigere Publizierung gutgegliederter Ausweise meistens 
ohne Wirkung ist, wenn eine sachverständige Kritik und Kontrolle 
fehlt. Hier hat Verf. nun beobachtet, daß die Lokalpresse von den 
Veröffentlichungen der mecklenburgischen Banken (fünf veröffentlichen 
monatliche Bilanzen) niemals Notiz nimmt. Andererseits weist Dittmer 
jedoch mit Recht darauf hin, daß die Geschäftsbeziehungen und Kredit- 
gewährungen bei diesen Banken mit kleinerem Arbeitsgebiet der in 
Betracht kommenden Geschäftswelt immerhin soweit bekannt sind, um 
ein Urteil über Sicherheit und Liquidität auch ohne weitgehendere 
Veröffentlichungen zu ermöglichen. Wo dies nicht möglich ist, wie bei 
Großbanken, größeren Provinzbanken, schlägt er eine interne Bilanz- 
kritik der Großbanken durch den Zentralverband für das Deutsche 
Bank- und Bankiergewerbe vor, während diese wiederum für die Banken 
ihres Konzerns gleichsam eine Kontrollinstanz darstellen könnten. Diese 
Vorschlägo sind teilweise durch die von der Reichsbank besorgten Ver- 
öffentlichungen der Zweimonatsbilanzen in der Praxis überholt worden, 
ob sie aber nicht doch ergänzend hinzutreten könnten, ist mindestens 
diskutabel. 

Berlin H Hilbert. 


Agahd, E., Großbanken und Weltmarkt. Die wirtschaftliche und poli- 
tische Bedeutung der Großbanken im Weltmarkt, unter Berücksichtigung ihres 
Einflusses auf Rußlands Volkswirtschaft und die deutsch-russischen Beziehungen. 
Berlin, Haude und Spenersche Buchhandlung Max Paschke, 1914. Les 8 XXIV— 
290 SS. M. 10.—. 

Bericht des eidgenössischen Versicherungsamtes. Die privaten Versiche- 
rungs-Unternehmungen in der Schweiz im Jahre 1912. Veröffentlicht auf Beschluß 
des schweizerischen Bundesrates vom 17. Juni 1914. 27. Jahrgang. Bern, A. 
Francke, 1914. Lex.-8. II, XCIX, 202 SS. mit 4 farb. Tafeln. M. 3.—. 

Diehl, Karl, u. Paul Mombert, Ausgewählte Lesestücke zum Studium 
der politischen Oekonomie. Bd. 10. Zur Lehre vom Geld. II. Währungssysteme, 
Kredit-, Papiergeld- und Banknotenwesen. Karlsruhe, G. Braun, 1914. 8. VII— 
193 SS. Je M. 2,60. (10 Bde. in Karton M. 20.—.) 

Gockel, Dr. Hermann, Welche Vorteile und Nachteile ergeben sich aus 
der beabsichtigten Zwangsanlage der Vermögensbestände von Lebensversicherungs- 
anstalten in Staatspapieren? Gera, A. E. Fischer, 1914. gr. 8. VIII u. 80 SS. 
M. 2,50. 

Gomberg, Prof. L., Die Kontrolle der Banken. (Aus: Neue Zür. Ztg.) 
Genf, R. Burkhardt, 1914. kl. 8. 32 SS. M. 0,50. 

Handbuch der deutschen Aktien-Gesellschaften, Jahrbuch der deutschen 
Börsen. Ausg. 1914/15. Nebst einem Anhang, enthaltend: Deutsche und auslän- 
dische Staatspapiere, Provinzial-, Stadt- und Prämien-Anleihen, Pfand- und Renten- 
briefe, ausländische Eisenbahn- und Industrie-Gesellschaften, sowie deutsche Ge- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 419 


werkschaften und Kolonial-Gesellschaften. Ein Hand- und Nachschlagebuch für 
Bankiers, Industrielle, Kapitalisten, Behörden etc. 19. umgearb. und vermehrte 
Auflage. 1. Bd. Berlin, Verlag für Börsen- und Finanzliteratur, 1914. Lex.-8. 
CXXX, XIII, 2368 u. 700 SS. M. 30.—. 

Jahre, 25, Kreditreform. Festschrift des Verbandes der Vereine Kredit- 
reform e. V. in Leipzig. Aus Anlaß der 25-jährigen Wirksamkeit der Vereine 
Kreditreform. Leipzig, Emil Gräfe, 1914. gr. 8. 72 SS. M. 1.—. 

Meyer (Red.), Dr. A., Zur Frage eines eidgenössischen Bankgesetzes. Vor- 
trag. (Schweizer. Zeitfragen, Heft 42.) Zürich, Orell Füssli, 1914. gr. 8. 44 SS. 
M. 2.—. 

Oelert, Realkredit und Feuerversicherung. (Das gesamte Versicherungs- 
wesen in Einzeldarstellungen .Bd. VI.) München, Max Steinebach, 1914. M. 2,50. 

Schwätzer, J., Die Praxis der Emission von Wertpapieren nach den 
österreichischen und deutschen Rechtsverhältnissen. Wien, Alfred Hölder, 1914. 
gr. 8. V11—220 SS. M. 4,20. 

Stampfli, Dr. Arth., Die schweizerischen Kantonalbanken. Mit 5 farb. 
graph. Tabellen. Hrsg. aus Anlaß der schweizerischen Landesausstellung Bern 
1914, von der Kommission der Abteilung „Bankwesen“ der 38. Gruppe. Zürich, 
Orell Füßli, 1914. gr. 8. 106 SS. M. 4,80. 

Weber-Schurter (Dir.), J., Die schweizerischen Hypothekenbanken. 
(Hrsg. aus Anlaß der schweizerischen Landesausstellung Bern 1914, von der Kom- 
mission der Abteilung „Bankwesen“ der 38. Gruppe.) Zürich, Orell Füßli, 1914. 
gr. 8. 126 SS. mit Tabellen und 3 farb. Tafeln. M. 4,80. 

Wetter, Dr. Ernst, Die Lokal- und Mittelbanken der Schweiz. (Hrsg. 
aus Anlaß der schweizerischen Landesausstellung Bern 1914, von der Kommission 
der Abteilung „Bankwesen‘“ der 38. Gruppe.) Zürich, Orell Füßli, 1914. gr. 8. 
114 SS. mit 3 farb. Tafeln. M. 4,80. 


Grandes (les) banques d'émission. Les banques d'émission, par Raphaël 
Georges Lévy. La banque de France, par Paul Dellombre. Les banques des États- 
Unis, par. A. Arnauné. La banque d'Allemagne, par Maurice Lair. La banque 
de Russie, par A. Raffalovich. La banque d'Angleterre, par Sir Iglis Palgrave. 
Paris, Félix Alcan, 1914. 8. 131 pag. 

Frijda, H., De theorie van het geld en het Nederlandsche geldwezen. 
Haarlem, De Erven F. Bohn. gr. 8. 16 en 197 blz. fl. 2,50. 


9. Soziale Frage. 


Glocker, Theodore W., The government of american trade 
unions. Baltimore 1913. 80. 242 SS. 


— Das Verfassungswesen der nordamerikanischen Gewerkvereine bildet 
den Gegenstand der gründlichen und wohlgegliederten Arbeit. Sie ist 
eine dankenswerte Ergänzung der Werke über die Geschichte und die 
Politik dieser Vereine, um die Rolle, welche diese im sozialen Leben 
Amerikas spielen, und insbesondere die von ihnen ausgehenden Wir- 
kungen ganz verstehen zu können. Begreiflicherweise schließt die Dar- 
stellung auch ein gutes Stück der äußeren und inneren Geschichte der 
amerikanischen trade unions mit ein, da, wie deren gesamtes Leben, so 
auch ihre Verfassungsformen das Ergebnis einer durch vielerlei poli- 
tische und wirtschaftliche, rechtliche und soziale Tatsachen bedingten 
Entwicklung sind. Dadurch gewinnt die Darstellung Farbe und Leben 
und treten die Fäden, die sie mit den übrigen Teilen des Gewerkvereins- 
problems verbinden, klar hervor. 

Im ersten Teile sehen wir die korporative Einheit sich von der 
einfachen Werkstattversammlung über den Ortsverein, der mitunter 
auch Filialen hat, zum Distrikts- oder staatlichen Verband, weiterhin 

27* 


420 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


zum nationalen Verband der Ortsvereine und schließlich zur inter- 
nationalen Föderation entwickeln. Nicht immer und überall geht Jieser 
Prozeß gleichmäßig und einheitlich vor sich. Namentlich ist die Ver- 
einigune zu Distrikts- oder staatlichen Verbänden nur in wenigen 
Gewerben, wie z. B. im Kohlenbergbau, den beiden höchsten Stufen 
vorausgegangen. Aber die treibenden Kräfte drängen nach dieser 
Richtung. Die Urformen sind die Versammlungen der Arbeiter eines 
Betriebes oder der Mitglieder eines Ortsvereins. Alle höheren Formen, 
vom Distriktsverband aufwärts, sind nur Kombinationen beider. Ein- 
geleitet werden diese Urformen gewöhnlich von Perioden unorganisierten 
Widerstandes gegen die Herabdrückung der Löhne und sonstigen Ar- 
beitsbedingungen. Sie haben beide eine lange Vorgeschichte. Jetzt ist 
die erstere so gut wie völlig überlebt. Die allgemeine Tendenz geht 
gegenwärtig auf große nationale Industrieverbände, in denen die Masse 
der Ortsvereine eines jeden möglichst weit begrenzten Gewerbes zu- 
sammengefaßt wird. Die Rolle der Vereinigung mehrerer Ortsvereine 
verschiedener Gewerbe am selben Orte, also unserer Gewerkschafts- 
kartelle, ist nur eine verhältnismäßig unbedeutende. Die Art der Zu- 
sammensetzung dieser großen Industrieverbände ist sehr mannigfach. 
Die Frauen werden möglichst in Sondervereinigungen organisiert. Auch 
Rasse (Neger) und Nationalität bedingen in vielen Gewerben getrennte 
Ortsvereine. Die höchste Form der Föderation ist die internationale 
mit Gerichtsbarkeit über alle ihr angeschlossenen Vereine, nicht nur in 
den Vereinigten Staaten, sondern auch in Kanada, zum Teil sogar in 
Mexiko und den Schutzgebieten der Union, nämlich Alaska, der Kanal- 
zone, auf Portorico, Hawaii und den Philippinen. Sie wird gefördert 
durch die von den Verhältnissen der Gegenwart, besonders der Ausbil- 
dung des Verkehrswesens, begünstigte Unrast der Arbeiterschaft, die 
anderseits den Bemühungen der Organisationen um Begrenzung der 
Zahl der lernenden Kräfte nachteilig ist. In Kanada stehen sich frei- 
lich zwei Richtungen ziemlich schroff gegenüber: das französische Ele- 
ment in der Bevölkerung mit der Vorliebe für reine nationale (kana- 
dische) Organisationen und das angelsächsische mit der Tendenz auf 
internationale Organisation. Die erstere herrscht in den Provinzen 
Quebee und Montreal, unterstützt namentlich von der Geistlichkeit und 
den Arbeitgebern, die letztere in der Provinz Ontario. Doch hat im 
ganzen die nationale Bewegung eine erheblich geringere Bedeutung. 
Das bei der Wanderlust der Arbeiter begreifliche Streben nach 
Erleichterung der Möglichkeit, in einem anderen Ortsvereine desselben 
Gewerbes unter Erhaltung der bisher erworbenen Unterstützungsan- 
sprüche Mitglied zu werden, sowie die Tendenz auf Vereinheitlichung 
der Arbeitsbedingungen und Festhaltung erzielter Fortschritte wirken 
ebenso wie die Notwendigkeit, das Unterstützungswesen auf eine mög- 
lichst breite finanzielle Grundlage zu stellen, und das Verlangen, sich 
gegen das Einströmen fremder Arbeiter, besonders von Streikbrechern, 
zu schützen, ganz besonders förderlich auf den Zusammenschluß der 
Örtsvereine. Zwei Zentralverbände, die vereinigten Tischler und Zimmer- 
leute sowie die Maschinenbauer, erstrecken sich sogar, um ihre Mit- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 421 
glieder in möglichst weitem räumlichen Umfange die Wohltaten der 
Unterstützungen für Notfälle genießen zu lassen, auf alle Länder der 
englischen Sprache. Dagegen sind Versuche amerikanischer Gewerk- 
vereine in der Richtung einer Föderation mit europäischen erfolglos 
geblieben. Gleichwohl hält der Verfasser es für möglich, daß mit der 
wachsenden gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit aller Länder 
der Welt eines Tages hochzentralisierte Welt-Arbeiterverbände zur Tat- 
sache werden. Durch das Wechselspiel der wirtschaftlichen Konjunk- 
turen ist, wie die Entwicklung der amerikanischen Arbeiterbewegung 
überhaupt, so insbesondere die Tendenz zur nationalen und inter- 
nationalen Förderung in wechselndem Sinne beeinflußt worden. Mehr 
als 130 Verbände dieser beiden Arten sind in der auf die Krisis von 
1893 folgenden großen Aufschwungsperiode entstanden. Auch die ameri- 
can federation of labour, diese große, wenn auch nur lose Vereinigung 
der Arbeiterschaft der Union, die Nachfolgerin der „knights of labour“, 
geschaffer: und kontrolliert von den nationalen Arbeiterverbänden, hat 
höchst fördernd auf die Bildung dieser letzteren und der internationalen 
Verbände zurückgewirkt, da ihre Agenten unter den unorganisierten 
Arbeitern nicht nur für deren Organisierung in Ortsvereinen, sondern auch 
für deu föderativen Zusammenschluß der letzteren agitieren. Nur in 
wenigen Gewerben sind daher heute die Ortsvereine noch nicht föde- 
riert. Die Distriktsverbände sind durch den Uebergang zu den höheren 
Organisationsstufen keineswegs untergegangen. Denn selbst in Ge- 
werben, die für den nationalen Markt produzieren, bedingen die großen 
örtlichen Verschiedenheiten der wirtschaftlichen Verhältnisse eine ent- 
sprechend gegliederte Interessenvertretung, die auch für Streikfälle 
praktischer Wert haben kann. 

Der zweite Teil geht auf den unter langen und bitteren Kämpfen 
in nunmehr fast allen Gewerben vollzogenen Zentralisationsprozeß näher 
ein. Namentlich seit 1898 ist die Macht der nationalen Organisationen 
gewaltig gewachsen. Die Zahl der von den Ortsvereinen an die Zentrale 
übertragenen Funktionen ist außerordentlich gestiegen. Die Gründe 
dafür sind zahlreiche. Vor allem geht die Kontrolle über die Streiks 
und überhaupt die gesamte Streikpolitik unter heißen Kämpfen zwischen 
Ortsvereinen und Nationalverbänden immer mehr von jenen auf diese 
über. Grad und Art dieser Kontrolle sind freilich recht verschieden. Bald 
ist die Erklärung eines Streiks schlechthin, bald nur seine Unter- 
stützung von der Zustimmung der Zentrale abhängig gemacht. 

In dritten Teil wird die Verwaltungsmaschinerie der amerika- 
nischen Gewerkvereine analysiert und eingehend beschrieben. Interessant 
ist bei der Erörterung der Verfassungsquellen der Nachweis, wie die 
Entstehungsformen dieser Vereine, besonders des Buchdruckerverbandes, 
durch dic geheimen oder brüderlichen Vereinigungen, wie namentlich 
die bekannte (freimaurerartige) der Odd Fellows, beeinflußt worden 
sind. In weitem Umfange haben die amerikanischen Gewerkvereine, 
besonders die der Textil- und der Bergarbeiter, aus den Erfahrungen 
der europäischen, namentlich der englischen, Nutzen gezogen. Doch 
tragen die ersteren in ihrer Struktur nur in beschränktem Maße das 


422 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Gepräge der letzteren. Im ganzen sind die amerikanischen Gewerk- 
vereine viel dezentralisierter als die englischen. Namentlich werden bei 
jenen die Arbeitsbedingungen gewöhnlich von den Ortsvereinen ge- 
regelt, die eifersüchtig jeder weiteren Vermehrung der Funktionen 
ihrer Zentralorganisationen widerstreben. Hierfür kommt wesentlich 
in Betracht, daß die englischen trade unions den Vorzug größerer 
Kompaktheit haben, weil ihre Mitgliedermasse sich auf ein Gebiet er- 
streckt, das nicht größer ist als durchschnittlich das eines Unions- 
staates. Lebenshaltungskosten, Produktionsmethoden, Verkehrsverhältnisse 
und andere Bedingungen variieren in Großbritannien nur wenig, so 
daß die Einheitlichkeit der Arbeitsbedingungen von ihnen viel leichter 
durchgeführt werden kann. Die amerikanischen Gewerkvereine sind 
darin durch ihre internationale Expansionstendenz noch schwieriger 
gestellt 

Während beim Ortsverein das Schwergewicht der Verwaltung in 
der Mitgliederversammlung liegt, ist im Verwaltungsmechanismus der 
nationalen und internationalen Verbände die Versammlung der Orts- 
vereinsvertreter das Hauptorgan. Diese übt verwaltende, gerichtliche 
und weitestgehende gesetzgeberische Funktionen aus, trotz der darin 
liegenden Verletzung des politischen Prinzips der Trennung dieser Ge- 
walten. Namentlich liegen ihr die Erhebung von Abgaben, die Ver- 
wendung der Einkünfte, die Erklärung des wirtschaftlichen Krieges 
und die Genehmigung von Verträgen ob. Wo der Verband und daher 
auch die Vertreterversammlung zu groß ist, werden deren Funktionen 
großenteils besonderen Vertreterausschüssen übertragen. Das Wahlrecht 
zur Vertreterversammlung ist sehr verschiedenartig gestaltet, vom gleichen 
Stimmrecht eines jeden Ortsvereins bis zur Abstufung nach der Mit- 
gliederzahl, sei es streng proportional oder nach Einheiten mit oder 
ohne Begrenzung nach unten oder oben. Im ganzen wird dabei an- 
gestrebt, daß die großen Vereine nicht die Uebermacht über die kleinen 
erlangen. Mit der Erweiterung des Tätigkeitsgebietes der Nationalver- 
bände sinkt aber die Macht der Vertreterversammlung rasch. Es wird 
zunächst eine immer größere Anzahl von Beamten und von Verwaltungs- 
ausschüssen erforderlich, auf die immer mehr und immer wichtigere 
Funktioner übergehen. Schließlich tritt die Entscheidung durch Ur- 
abstimmung (popular vote) für alle wichtigen Fragen hinzu. Immerhin 
gibt es noch eine beträchtliche Zahl von Vereinen, welche diese nicht 
kennen, und in ihnen ist die Vertreterversammlung noch das primäre 
Verwaltungsorgan. Die Organisation und die Tätigkeit der Vereins- 
beamtenschaft, ebenso des zur Eindämmung von deren Macht oft ein- 
gesetzten Verwaltungsrates (national execution board) werden weiterhin 
eingehend geschildert. Die große Mehrheit der Gewerkvereine hat als 
weiteres konstitutionelles Schutzmittel noch die Initiative und das Re- 
ferendum nach dem politischen Verfassungsmuster der Schweiz einge- 
führt, deren Wesen und Erfolge im Schlußkapitel des verdienstvollen 
Werkes näher beleuchtet werden. 


Marburg a. d. Lahn. H. Köppe. 


TP a  — 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 423 


Bauarbeiterschutz, Der, in Deutschland. Hrsg. von der Zentralstelle 
für Bauarbeiterschutz beim Generalsekretariat des Gesamtverbandes der christlichen 
Gewerkschaften Deutschlands. Cöln, Christlicher Gewerkschafts-Verlag, 1914. 8. 
240 SS. M. 1,50. 

Fuß (Red.), Max, Die Landflucht. Ihre Ursachen, ihre Wirkungen und 
ihre Bekämpfung. Gemeinverständlich dargestellt. Brixen, Verlagsanstalt Tyrolia, 
G. m. b. H., 1914. gr. 8. 151 SS. M. 3.—. 

Meisel-Hess, Grete, Betrachtungen zur Frauenfrage. Berlin, Pro- 
metheusVerlagsgesellschaft, 1914. 8. 252 SS. M. 3,50. 

Rupprecht (Landger.-Rat), Karl, Handbuch der Jugendfürsorgepraxis 
in Bayern, unter besonderer Berücksichtigung der Jugendgerichtshilfe. Ein Weg- 
weiser für alle zur Mitarbeit Berufenen, insbesondere für Jugendgerichts- und Ver- 
waltungsbeamte, Gemeindebehörden, Geistliche, Lehrer, Aerzte, Waisenräte, An- 
staltsleiter, Jugendfürsorge- und Frauenvereine. Hrsg. vom bayerischen Landes- 
ausschuß des Verbandes für soziale Kultur und Wohlfahrtspflege (Arbeiterwohl). 
M.-Gladbach, Volksvereinsverlag, 1914. 8. 106 SS. M. 1,20. 

Siquet (Gewerbeinspektorin), Dr. Angelika, Der Hausarbeiter. Die ge- 
setzlichen Bestimmungen über den Schutz und die Kranken-, Unfall-, Invaliden- 
und Hinterbliebenen-Versicherung der Hausarbeiter. Hrsg. vom badischen Ge- 
werbeaufsichtsamt. Mit Vorwort und ausführlichem Sachregister. Karlsruhe, 
G. Braun, 1914. kl. 8. VIII—97 SS. M. 1,20. 

Weyls Handbuch der Hygiene in 8 Bdn. 2. Auflage. Bearb. von (Kreisarzt) 
Dr. Louis Ascher, Dr. ing. M. Berlowitz, (Dipl.-Ing.) Dr. W. Bertelsmann u. a. 
Hrsg. von (Geh. Med.-Rat) Prof. Dr. C. Fraenken. 21. Lieferung. IV. Bd. 5. Ab- 
teilung. Bau- und Wohnungshygiene. Bearb. von M. Berlowitz, W. Bertelsmann, 
J. Brix u. a. Das Wohnungswesen. Bearb. von (Landeswohnungsinspektor) Gust. 
Gretzschel. Leipzig, Johann Ambrosius Barth, 1914. Lex.-8. X, IV, 474 SS. mit 
9 Abbildungen. M. 20,25. 

Zahnbrecher (Synd.), Franz Xaver, Die Arbeitgebernachweise in 
Deutschland. Nürnberg, J. L. Schrag, 1914. gr. 8. XII—356 SS. M. 4.—. 

Zimmermann, Prof. Dr. Waldemar, Ausbau und Vervollkommnung 
des gewerblichen Einigungswesens. Auf Grund einer Erhebung des Arbeitsrechts- 
Ausschusses der Gesellschaft für soziale Reform. (Schriften der Gesellschaft für 
soziale Reform, Heft 47 und 49.) Jena, Gustav Fischer, 1914. 8. 177 SS. M. 1,20. 


Read, A. B., Social chaos and the way out. London, Hendersons. Cr. 8. 
364 pp. 

Conflitti del lavoro e legislazione sociale: relazione della presidenza 
della confederazione italiana dell’ industria all’assemblea dei delegati, del 13 feb- 
braio 1914. Torino, tip. ditta eredi Botta, 1914. 8. 39 pp. 

Olivetti, A., Cinque anni di sindacalismo e di lotta proletaria in Italia. 
Napoli, soc. ed. Partenopea (F. Razzi), 1914. 16. 382 pp. 1. 3.—. 

Verzekering tegen werkloosheid. Rapport betreffende den stand en de 
ontwikkeling der werkloosheidsverzekering en over eene van rijkswege te treffen 
regeling, uitgebracht door eene commissie, ingesteld door het bestuur van het 
Ned. Verbond van vakvereenigingen. Mei 1914. Amsterdam, Joh. Müller. gr. 8. 
244 blz. fl. 2—. 


10. Genossenschaftswesen. 

Jacobsohn, Dr. Paul, Die landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften 
in Frankreich unter dem Einfluß der staatlichen Förderung. (Tübinger staats- 
wissenschaftliche Abhandlungen, hrsg. von Carl Johs. Fuchs, in Verbindung 
mit Ludw. Stephinger, Heft 4.) Stuttgart, W. Kohlhammer, 1914. gr. 8. XIV— 
154 SS. M. 3,80. 


11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde. 
Baum (Rechtsanw.), Dr. Georg, Das vertragliche Wettbewerbsverbot 
(Konkurrenzklausel). Nebst Kommentar zum Gesetz vom 10. Juni 1914. (Gutten- 


424 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutechlands und des Auslandes. 


tags Sammlung deutscher Reichsgesetze. Textausgaben mit Anmerkungen, No. 115.) 
Berlin, J. Guttentag, 1914. kl. 8. XII—231 SS. M. 3.—. 

Bruck u. Dersch (Reg.-Räte), Drs., Versicherungsgesetz für Angestellte. 
Handausgabe mit Erläuterungen. 2. vollkommen neu bearb. Auflage. (Sammlung 
deutscher Gesetze. Hrsg. von Rechtsanwalt Dr. Heinr. Wimpfheimer, No. 37.) 
Mannheim, J. Bensheimer, 1914. kl. 8. XXXIII—294 SS. M. 3.—. 

Galm (Offiziant), Corbinian, Die Nutzbarmachung der Reichsversiche- 
rungsordnung und Angestellten-Versicherung durch die Gemeinden und Armen- 
verbände. Aschaffenburg, C. Krebs, 1914. gr. 8. IV—104 SS. M. 1,60. 

Handbuch des gesamten Handelsrechts mit Einschluß des Wechsel-, 
Scheck-, See- und Binnenschiffahrtsrechts, des Versicherungsrechts sowie des Post- 
und Telegraphenrechts, bearb. von Karl Adler, (Geh. Justizrat) Ludw. v. Bar, 
Proff. Drs. (Reichsger.-Rat) Erich Brodmann u. a., hrsg. von Prof. Dr. Vict. 
Ehrenberg. 2. Bd., I. Abteilg. Leipzig, O. R. Reisland, 1914. gr. 8. VI—ö44 SS. 
M. 14.—. S SER, 

Handbuch der inneren Verwaltung für Bayern rechts des Rheins. Auf 
Grund der Werke von Dr. v. Krais sowie von Frhrn. v. Pechmann u. Dr. v. Brett- 
reich neu bearb. Hrsg. von (Minist.-Dir.) Jul. v. Henle. (In 8—9 Lieferungen.) 
l. und 2. Lieferung. München, C. H. Beck, 1914. Lex.-8. VIII np 1—224. 
Je M. 2,50. 

Hartung (Priv.-Doz.), Dr. Fritz, Deutsche Verfassungsgeschichte vom 
15. Jahrhundert bis zur Gegenwart. (Grundriß der Geschichtswissenschaft. Zur 
(Einführung in das Studium der deutschen Geschichte des Mittelalters und der 
Neuzeit, hrsg. von Aloys Meister. II. Reihe, 4. Abteilg.) Leipzig, B. G. Teubner, 
1914. Lex.-8. IV—174 SS. M. 3,40. 

Holtz (Geh. Ober-Reg.-Rat, vortr. Rat), Dr. L., und (Geh. Reg.-Rat) 
F. Kreutz, Das preußische Wassergesetz vom 7. April 1913, nebst Ausführungs- 
verordnungen. 2. Bd. Berlin, Carl Heymanns Verlag, 1914. gr. 8. XII—649 SS. 
M. 15.—. i PREET 

Lenhard (Landrichter), A., und (Amtsrichter) Dr. W. Reichau, Preußi- 
sches Wassergesetz. Vom 7. April 1913. Mit Kommentar und den Ausführungs- 
verordnungen. (In 4 Lieferungen.) 1. Lieferung. Berlin, Franz Siemenroth, 1914. 
Lex.-8. S. 1—160. M. 4.—. 

Ossergelt, Dr. Franz, Die Staatslehre des Heiligen Augustinus nach 
seinen sämtlichen Werken. Bonn, P. Hanstein, 1914. gr. 8. VIII—86 SS. M. 1,50. 

Steiner, Dr. Alfons, Der Fiskus der Ptolemäer. Ein Beitrag zum ptole- 
mäischen Verwaltungs-, Staats- und Prozeßrecht. Leipzig, B. G. Teubner, 1914. 
gr. 8. VIII—158 SS. M. 6,40. 

Stengel, Karl, Frhr. v., Wörterbuch des deutschen Staats- und Ver- 
waltungsrechts. Begründet von Stengel. 2. völlig neu bearb. und erweit. Auflage, 
hrsg. von Max Fleischmann. 32. und 33. Lieferung. Tübingen, J. C. B. Mohr, 
1914. Lex.-8. 3. Bd. S. 641—800. Je M. 2.—. 

Wiest (Landger.-Rat), Wilh., Das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz 
und das Gesetz zur Abänderung des Reichsmilitärgesetzes, sowie des Gesetzes be- 
treffend Aenderungen der Wehrpflicht vom 11. Februar 1888, beide vom 22. Juli 
1913 mit den Ausführungsbestimmungen der Bundesstaaten. (Sammlung deutscher 
Reichs- und Landesgesetze mit Erläuterungen.) Leipzig, C. L. Hirschfeld, 1914. 
8. VI—248 SS. M. 3,50. 


Brulle, Roger, De la responsabilité de l’Etat à raison des actes legis- 
latifs (thèse). Bordeaux, Y. Cadoret, 1914. 8. 108 pag. 

Groussier, A., La réglementation legale de la convention collective de 
travail. Rapport présenté à l’association nationale française pour la protection 
legale des travailleurs. Paris, F. Alcan, 1913. 16. 147 pag. fr. 1,50, 

Dawson, William Harbutt, Municipal life and government in Ger- 
many. With appendices. London, Longmans. 8. 524 pp. 12/.6. 

Masterman (Rev.), Canon, The importance of local government to the 
British people. London, Women’s Local Government Association. 8. 2/.—. 

Strahan, J. A. and Oldham, N. H., The law of partnership. London, 
Sweet and Maxwell. Cr. 8. 288 pp. 10/.—. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 425 


Wilson, Woodrow, Congressional government; a study of the American 
constitution. London, Constable. Cr. 8. 362 pp. 5/.—. 

Molengraaff, W. L. P. A., De faillissementswet verklaard. 2e druck. 
’s-Gravenhage, Gebr. Belinfante. gr. 8. 16 en 730 blz. fl. 13,50. 

Struycken, A. A. H., De grondwet, haar karakter en waarde. Eene 
studie. Arnhem, 8. Gouda Quint. gr. 8. 6 en 53 blz. fl. 1.—. 


12. Statistik. 
Deutsches Reich. 


Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat. 
1913. Bd. 11. Berlin 1914. 693 SS. 


Preußen hat erst verhältnismäßig spät, nämlich 1903 mit der Aus- 
gabe eines statistischen Jahrbuches begonnen. Dankbar ist aber an- 
zuerkennen, wie schnell seitdem der Inhalt mehr und mehr be- 
reichert ist, so daß der gegenwärtige Band bereits den dreifachen 
Umfang des ersten erlangt hat. Sehr dankenswert ist anzuerken- 
nen, daß der jetzige Herausgeber, Herr Präsident Evert, wieder 
der Quellenangabe besondere Aufmerksamkeit zugewendet hat, um das 
Zurückgreifen auf frühere Arbeiten zu erleichtern. Eine besondere 
Sorgfalt ist der Unterrichtsstatistik gewidmet, dann den Einkommens- 
und Vermögensverhältnissen, dem Finanzwesen, auch den meteorologi- 
schen Erscheinungen ete. 


Bei dem sich mehr und mehr anhäufenden statistischen Material 
ist es von wachsender Bedeutung, daß dasselbe in solch verarbeiteter, 
übersichtlicher Weise dem Publikum vorgelegt wird. Die Ergebnisse hat 
der Leser freilich allein, ohne eine jede erleichternde Anleitung vor- 
zunehmen. Daß deshalb namentlich graphische Darstellungen sehr 
wichtig sind, wird nicht zu leugnen sein, vielleicht nimmt das vor- 
liegende Jahrbuch dieselben allmählich auch auf, wie es in anderen 
Jahrbüchern bereits geschieht. J. Conrad. 


Beiträge zur Forststatistik von Elsaß-Lothringen. Hrsg. vom Ministerium 
für Elsaß-Lothringen, Abteilung für Finanzen, Handel und Domänen. 31. Heft. 
Wirtschafts- und Rechnungsjahr 1912. Straßburg i. E., Straßburger Druckerei 
und Verlagsanstalt vorm. R. Schultz u. Co., 1914. gr. 8. III—98 SS. mit 1 Tab. 
M. 3,50. r 

Krause, Dr. Arthur, Statistische Geographie. Tabellen aus allen Gebieten 
der physikalischen und politischen Erdkunde, über Verkehrswesen, Handel und 
Gewerbe, Heer und Marine. Leipzig, Otto Börner, 1914. 8. 146 SS. M. 3.—. 

Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom Kaiserl. Statist. Amte. 
240. Bd., II. Teil. Volkszählung, Die, im Deutschen Reiche am 1. Dezember- 
1910. II. Teil. Tabellenwerk. 1914. 254 und 151 SS, mit 6 farb. Karten. 
— 271. Bd. Handel, Auswärtiger, im Jahre 1913. Der Verkehr mit den einzelnen 
Ländern im Jahre 1913 unter Vergleichung mit den 4 Vorjahren. Vollständig 
M. 14; einzelne Hefte M. 1.—. III. Heft. Oesterreich - Ungarn. 67 SS. — 
VII. Heft. Bulgarien, Griechenland, Kreta, Montenegro, Türkei. 91 SS. — 
XVIII. Heft. Brasilien, Peru. 57 SS. — Bd. 265, II. Teil. Verkehr und Wasser- 
stände der deutschen Binnenwasserstraßen im Jahre 1912. XXX—449 SS. M. 8.—. 
Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. 33,5%X 26 cm. 

Teleky (Priv.-Doz.), Dr. Ludw., Vorlesungen über soziale Medizin. 1. Teil. 
Die medizinal-statistischen Grundlagen: Sterblichkeit, Todesursachen, Geburten, 
Körperbeschaffenheit in Stadt und Land und in verschiedenen Wohlstandsstufen. 
Einfluß des Berufes auf Sterblichkeit und Erkrankungshäufigkeit, Krankenkassen- 


426 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


statistik. Jena, Gustav Fischer, 1914. Lex.-8. VIII—282 SS. mit 14 eingedruckten 
Kurven. M. 8.—. 


Oesterreich-Ungarn. 


Statistik, Oesterreichische. Hrsg. von der k. k. statist. Zentralkommission. 
4. Bd. 1. Heft. Ergebnisse, Die, der Volkszählung vom 31. Dezember 1910 in den 
im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern. I. Heft. Häuseraufnahme. 
Bearb. von dem Bureau der k. k. statist. Zentralkommission. Wien, Carl Gerolds 
Sohn, 1914. 32,5X25 cm. 57 und 85 SS. M. 4,50. 

Statistik des auswärtigen Handels des Vertragszollgebietes der beiden 
Staaten der österreichisch-ungarischen Monarchie im Jahre 1913. Hrsg. vom handels- 
statistischen Dienste des k. k. Handelsministeriums. (4 Bde.) 1. Bd. Spezial- 
handel. XXVIII—1195 SS. 2. Bd. Vormerkverkehr — Durchfuhr. VI—498 SS 
Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1914. Lex.-8. Je M. 8.—. 


Schweiz. 

Fuss-Suter, Historische und statistische Mitteilungen über die Berufs- 
arten der beiden Städte Basel und Zürich, nebst allgemeinen Illustrationen über 
die Entwicklung von Industrie, Handel und Gewerbe der Stadt Basel 1862—1912. 
Zürich, Rascher u. Cie., 1914. 8. 138 SS. M. 1,25. 

Mitteilungen des kantonalen statistischen Bureaus. Jahrg. 1914, 1. Liefe- 
rung. I. Lebensmittelpreise auf dem Markte Bern seit 1878, speziell von 1910—13. 
II. Die überseeische Auswanderung aus dem Kanton Bern, speziell pro 1900—1913. 
III. Statistische Korrespondenz. 1. Die amtliche Statistik an der schweizerischen 
Landesausstellung. 2. Zur Organisation und Förderung der amtlichen Statistik. 
3. Fremdenverkehr und Statistik. 4. Ueber die Entwicklung der Weltwirtschaft. 
Bern, A. Francke, 1914. 8. II—93 SS. M. 1,20. 

Strüby (Sekr., Prof.), A., Die Alp- und Weidewirtschaft in der Schweiz. 
Hrsg. vom schweizerischen alpwirtschaftlichen Verein. (Schweizerische Alpsta- 
tistik, Schlußbd.) Solothurn, A. Lüthy, 1914. gr. 8. VIII-378 SS. mit Ab- 
bildungen und Tafeln. M. 7.—. 


Frankreich. z 
Statistique agricole annuelle 1912. Paris, Impr. nationale, 1914. Grand 
in-8. XXVII—421 pag. fr. 2,50. (Ministère de l'agriculture. Direction de len- 
seignement et des services agricoles. Office de renseignements agricoles.) 


England. 


Board of agriculture and fisheries. Agricultural statistics, 1913. Vol. 48. 
Part 3. Prices and supplies of corn, live stock, and other agricultural produce 
in England and Wales. London, Wyman. 8. 5/—. 


Italien. 

Censimento della popolazione del regno d'Italia al 10 giugno 1911. Vol. 
I—II. (Ministero di agricoltura, industria e commercio: direzione generale della 
statistica e del lavoro, ufficio del censimento.) Roma, tip. Nazionale, di G. Bertero 
e C., 1914. 4. 2 vol. VII—656; V—638 pp. l. 11.—. 

Frumento (Il) in Italia: produzione, consumo, prezzi (ministero di 
agricoltura, industria e commercio; ufficio di statistica agraria). Roma, tip. Nazio- 
nale, di G. Bertero e C., 1914. 8. VII—98 pp. con dieci tavole. 

Notizie statistiche sul risparmio in Italia negli anni 1911—12. Parte II: 
società ordinarie e cooperative di credito. (Ministero di agricoltura, industria 
e commercio: direzione generale del credito e della previdenza.) Roma, tip. Nazio- 
nale, di G. Bertero e C., 1914. 8. IX—245 pp. 1. 3.—. 

Statistica dell esercizio, anno 1912. Parte I: statistica generale, e parte 
III: navigazione di stato. (Ferrovie dello Stato: servizio segretariato, ufficio 
centrale di statistica.) Roma, tip. Nazionale, di OG. Bertero e O., 1914. 4. 2 vol. 
IV—413. 23 pp. con due tavole. 


Die periodische Presse des Auslandes, 427 


13. Verschiedenes. 


Dunkmann, Prof. D. theol. K., Idealismus oder Christentum? Die Ent- 
scheidungsfrage der Gegenwart. Leipzig, A. Deichertsche Verlagsbuchhandlung 
Werner Scholl, 1914. 8. VII—165 S55. M. 3,60. 

Eltzbacher, Prof. Dr. Paul, Die deutsche Auslandshochschule. Ein Or- 
ganisationsplan. Berlin, Georg Reimer, 1914. 8. 122 SS. M. 2.—. 

Seidel (Priv.-Doz.), Rob., Demokratie, Wissenschaft und Volksbildung. 
Ihr Verhältnis und ihr Zusammenhang. Zur Weihe der neuen Universität in Zürich. 
Zürich, Orell Füßli, 1914. 8. 75 SS. M. 1.—. 

Völker (Rektor), Paul, Ueber Erziehung im 20. Jahrhundert. Langen- 
salza, F. G. L. Greßler, 1914. Lex.-8. III—179 SS, M. 2,50. 


L L LU 
Die periodische Presse des Auslandes. 
A. Frankreich. 

Journal de la Société de Statistique de Paris. 55e Année, Juillet 1914, 
No. 7: Sur les méthodes de statistique médicale. La mortalité par Syphilis à 
Paris, par Dr. Leredde. — La statistique et la paix en Orient, par Gaston Cadoux. 
— Chronique de démographie: Mouvement de la population de la France en 1913, 
par Michel Huber. — etc. 

Journal des Economistes. 73e Année, juillet 1914: J. Chamberlain et son 
rôle économique, par Yves Guyot. — Essai de philosophie économique. La loi 
du rendement décroissant sa signification et ses conséquences, par Pierre Aubry. 
— Le développement économique de l'Algérie; par Auguste Pawlowski. — Les 
atteintes au système monétaire de l'Allemagne en 1913, par Hermann Schwarz- 
wald. — La crise du caoutchouc et nos colonies africaines, par Francis Mury. 
— Société d'économie politique (Réunion du + juillet 1914): Le développement 
du rôle des municipalités quelques années. Communication de M. E. Payen. — ete. 

Réforme Sociale, La. 34e Année, juin 1914, No. 83: L'enseignement pro- 
fessionnel des masses agricoles (I.), par Paul Doin. — L'enfance malheureuse en 
France (suite). L’enfance abandonnée (II.), par François de Witt-Guizot. — Po: 
ciété d’&conomie sociale (Séance du 18 mai 1914): Le malaise capitaliste. Les 
cours et le placement des valeurs mobilières. Communication de M. Parisy. — 
ete. — No. 84: L'enseignement professionnel des masses agricoles (suite), par 
Paul Doin. — Société d'économie sociale (Séance du 18 mai 1914). Le malaise 
capitaliste. Les cours et le placement des valeurs mobilières (suite et fin), par 


Parisy. — etc. — No. 85 et 86: Compte rendu général de la réunion annuelle 
(83e session, 6—12 juin 1914): La crise du logement à la ville et à la cam- 
pagne. — 


Science Sociale, La. 29e Année, 118 Fascicule, juillet 1914: Le journal 
de l'école des Roches, par les professeurs et les élèves. 


B. England. 

Edinburgh Review, The. Vol. 220, July 1914, No. 449: The referendum 
at work, by Dr. Horace Micheli. — Servia irredenta, by Francis Gribble. — The 
expansion of Italy, by Algar Thorold. — The English universities and national 
life, by J. E. G. de Montmorency. — The comparative study of Empire, by 
Siduey Low. — etc. 

Journal, The, of the board of agriculture. Vol. 21, July 1914, No. 4: On 
the loss in a stack of unthreshed corn, by E. J. Russell. — Agricultural education 
in 1913—14. — Agricultural credit problems. — etc. 

Journal of the Royal Statistical Society. Vol. LXXVII, Part 7, June, 
1914: Suggestions for recording the life history and family connections of every 
individual, by Walter Hazell. (With discussion.) — On the use of analytical geo- 
metry to represent certain kinds of statistics. (Continuation), by Prof. F. Y. 
Edgeworth. — ete. 


428 Die periodische Presse des Auslandes. 


Magazine, The Bankers. 68th year, Vol. 89, July 1914, No. 1: Centrali- 
zation of the credit under the new banking law. — Tremendous power of the 
new money trust. — A bitter labor conflict. — Municipal banking. — The menace 
of socialism, by Martin W. Littleton. — The future of foreign trade, by James 
J. Hill. — Operation of the new banking law, by John Skelton Williams. — New 
York savings banks under the new law. — Origin and development of the safety 
deposit, by Milton W. Harrison. — etc. 

Review, The Economic (Published for the Oxford University Branch of the 
Christian Social Union). Vol. XXIV, July 1914, No. 3: The agricultural labourer 
in Lincolnshire, by H. Norman Nash. — People’s banks in the province of Quebec, 
by Prof. H. Michell. — Further notes on some fundamental notions of economics: 
Labour, by prof. J. H. Smith. — etc. 

Review, The Quarterly. July 1914, No. 440: The beginnings of the East 
India Company, by H. Dodwell. — Syndicalisın in New Zealand, by W. H. Triggs. 
— The settlement movement in England and America, by E. J. Urwick and R. A. 
Woods. — The home rule crisis. — etc. 


C. Oesterreich-Ungarn. 


Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österr. 
Handelsmuseums. Bd. 29, 1914, No. 29: Die Wirtschaftslage in Italien. — Der 
Handel Tripolitaniens, von Dr. v. Bilguer. — Die Pforzheimer Schmuckwaren- 
industrie. — etc. — No. 30: Die kaufmännische Ehre, von (Hof- u. Gerichts- 
advokat) Dr. Gustav Scheu. — Die wirtschaftliche Krise in Brasilien. — Die Kali- 
produktion in Böhmen. — Die wirtschaftliche Lage der deutschen Seeschiffahrt. 
— etc. — No. 31: Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen. — Schiffsbrände und 
der Transport gefährlicher Waren, von Prof. Giulio Morpurgo. — etc. 

Mitteilungen, Volkswirtschaftliche, aus Ungarn. Jahrg. 9, Mai 1914, 
Heft 5: die Industrieförderung im Staatsvoranschlag für das Jahr 1914/15. — 
Die Tätigkeit der kgl. ungarischen Postsparkasse im Jahre 1913. — Die ungarische 
Post, der Telegraph und Telephon im Jahre 1912. — Die ungarischen städtischen 
und Gemeindebahnen im Jahre 1912. — Die ungarische Schiffahrt im Jahre 1912. 
— etc. 

Monatsschrift, Statistische. Hrsg. von der k. k. Statistischen Zentral- 
Kommission. Jahrg. 19, 1914, Mai-Heft: Zur volkswirtschaftlichen Wertung des 
Buchforderungseskomptes, von Dr. Max Sokal. — Eine Schwierigkeit bei der 
familienstatistischen Erfassung des Geburtenrückganges, von Dr. Wilhelm Feld. 
— Die alten „Mitteilungen aus dem Gebiete der Statistik“ (1850—1874), von 
Dr. E. Palla. — etc. — Juni: Die berufliche und soziale Gliederung der Bevölke- 
rung, von Dr. Eugen Ritter v. Humbourg. — etc. 

Rundschau, Soziale. Hrsg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amt im Handels- 
ministerium. Jahrg. 15, Juli 1914, Heft 6: Neuregelung der Sonntagsruhe im 
Gewerbebetriebe (Salzburg, Tirol und Bukowina, Verordnungen). — Neuregelung 
der Sonn- und Feiertagsruhe (Ungarn). — Errichtung von neuen Lohnämtern 
in Großbritannien und Irland. — Internationale Regelung der Jugendlichen- und 
Frauenarbeit (Oesterreich, Industrierat und Gewerbeausschuß des Arbeitsbeirates). 
— Städtische Arbeitslosenfürsorge im Deutschen Reiche. — Tätigkeit des arbeits- 
statistischen Amtes im Handelsministerium im Jahre 1913. — Internationale Ge- 
werkschaftsbewegung 1912. — Arbeitskonflikte in Belgien 1913 und ‘in Italien 
1912. — Ergebnisse der Arbeitsvermittlung in Oesterreich im Mai 1914. — Anzahl 
und Durchschnittsverdienst der erwachsenen männlichen Arbeiter beim öster- 


reichischen Bergbau 1912. — Unfälle im österreichischen Bergbau 1912. — 
Krankenversicherung in Oesterreich 1911. — Unfallversicherung in Oesterreich 
1911. — etc. 


F. Italien. 


Giornale degli Economisti e Rivista di Statistica. Vol. XLVIII, Giugno 
1914, No. 6: Sulla teoria economica delle crisi, di Gustavo del Vecchio. — La 
colonizzazione e l'organizzazione agraria in Siberia, die Jenny Griciotti-Kretsch- 
colonizzazione e l'organizzazione agraria in Siberia, di Jenny Griziotti-Kretsch- 


Die periodische Presse Deutschlands. 429 


mann. — Sulla ripartizione territoriale della ricchezza privata in Italia, di Aldo 
Contento. — etc. 

Rivista della Beneficenza pubblica. Anno 42, Maggio 1914, No. 5: La assi- 
curazione per le malattie degli operai, di dott. Vincenzo Magaldi. — etc. 


M. Amerika. 

Journal, The, of Political Economy (Published by the University of Chi- 
cago). Vol. XXII, June 1914, No. 6: Fundamental principles of Parcel-post ad- 
ıininastration, by Daniel C. Roper. — Davenport's competitive economics, by Frank 
A. Fetter. — The origin of the bill of exchange, by Abbot Payson Usher. — etc. 


Die periodische Presse Deutschlands. 


Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volks- 
wirtschaft. Jahrg. 47, 1914, No. 7: Ausweisungen aus den deutschen Schutz- 
gebieten (Schluß), von Dr. Egon Kruckow. — Die neuen österreichischen Vor- 
schläge über die Neuordnung der Rechtsstellung der Handelsagenten, von Dr. 
Paul Kompert. — Die Reform des preußischen Kommunalabgabengesetzes und 
das Problem des Steuerausgleichs, von (Stadtsteuersekretär) Gerling. — Die 
Vereins- und Versamınlungsfreiheit der Beamten nach deutschem Vereins- und 
Beamtenrecht (Forts.), vou (Reg.-Assessor) Dr. Hans Pasquay. — etc. 

Archiv für exakte Wirtschaftsforschung (Thünen-Archiv). Bd. 6, 1914, 
2. Heft: Das „Walzwerk“. Betrachtungen über Kunst und Arbeit, von Prof. Dr. 
Richard Ehrenberg. — Raubwirtschaft und Kraftkultur, von Prof. Dr. Richard 
Ehrenberg. — Erfahrungen mit dem Taylor-System, von Prof. A. Wallichs. — 
Neuere Tagesfragen auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Buchführung und 
Betriebslehre, von Prof. Dr. Howard. — Die Mitwirkung der ländlichen Ge- 
nossenschaften bei der Kleinsiedlung und der Befestigung des Bauernstandes, von 
(Verbandsdircktor) Erich Scelmann. — ete. 

Archiv für innere Kolonisation. Bd. 6, Juli 1914, Heft 10: Zur Geschichte 
der Rentengutsgesetzgebung, von Dr. Fritz Darmstaedter. — Zwei Vorschläge 
zur Förderung der inneren Kolonisation, von Dr. Erich Keup. — ete. 

Archiv für Rassen- und Gesellschafts-Biologie. Jahrg. 11, 1914, Heft 1: 
Die Herrschaft der Schwachen und der Schutz der Starken in Deutschland. 
Kritische Betrachtungen eines Arztes über soziale Fürsorge, von Dr. J. Paulsen. 
— Die Abnahme der Knabenziffer bei in männlicher Linie aussterbenden und er- 
haltenen Geschlechtern, von (Sanitätsrat) Dr. W. Weinberg. — ete. 

Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahr- 
gang 14, Juli 1914, No. 13/14: Die deutsche Auslandshochschule (I1I.). — 
Freihandelskongreß Mailand. — Wie Italien die Handelsverträge vorbereitet, von 
Leo Hempel Chuchul. — ete. 

Bank, Die. Juli 1914, Heft 7: Die Erziehung zur Liquidität, von Alfred 


Lansburgh. — Eine Denkschrift, von Ludwig Eschwege. — Die „Zentralkasse 
der deutschen Privatbankiers“, von A. L. — Neuartige Emissionsmethoden, von 
Dr. E. Hirt. — Der Sturmlauf gegen die französischen Großbanken. — Die Kurs- 


verluste der Sparkassen. — Güterhandel auf Aktien. etc. 
Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. V, Juli 1914, No. 7: Die Dülkener 
kommunalen Streitfragen vor dem Richterstuhl der Jurisprudenz, von (Rechtsanw.) 


Dr. Karl Görres. — Armenpfleger im Ehrenamt und Berufspfleger, von Hans 
Grundei. — Arbeiterschaft und Gemeindepolitik. — Der Verband Rheinisch- 
Westfälischer Gemeinden. — etc. 


Blätter, Volkswirtschaftliche. Jahrg. 13, Juli u. August 1914, No. 13-16 
(Landwirtschaftsheft): Zur neuesten Entwicklung der Raiffeisen-Organisation, von 
(Generalsekr.) Dr. C. Neumann. — Organisationsbestrebungen in der englischen 
Landwirtschaft. — Zur Wanderbewegung der ländlichen Arbeiter, von Dr. D. 
Kupperberg. — Außerdeutsche Grundbesitzstatistik, von A. G. Schulz-Winterfeld. 
— Die Landwirtschaft im Rahmen moderner Wirtschaftsänderungen (Vortrag), 
von Dr. rer. pol. Dr. jur. Klaus Wagner-Roemmich. — Agrarpolitik, von Prof. 


430 " Die periodische Presse Deutschlands. 


Dr. W. Wygodzinski. — Zur Entwickelungsgeschichte des Bauernstandes, von 
(Oekonomierat) Dr. v. Altrock. — etc. 

Concordia, Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 21, 
1914, No 14: Notwendigkeit und Wege erweiterter Darlehnsgewährung für die 
gemeinnützige Bautätigkeit, von Dr. Altenrath. — etc. — No. 15: Der Groß- 
einkauf von Lebensmitteln und Bedarfsartikeln für die Arbeiterschaft, nament- 
lich auch die Fabrikkonsumanstalten. Eine Konferenz der Zentralstelle für Volks- 
wohlfahrt. — Notwendigkeit und Wege erweiterter Darlehnsgewährung für die 
gemeinnützige Bautätigkeit (Schluß), von Dr. Altenrath. — etc. 

Export. Jahrg. 36, 1914, No. 28: Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von 
Dr. R. Jannasch. — Oesterreich-Ungarn und die Balkanländer. — Die französischen 
Eisenbahnen in der Asiatischen Türkei (Forts.). — etc. — No. 29: Zur Welt- 
wirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Der Export Norwegens, von 
(Dir.) Nils Voll. — Die Ergebnisse der Kaufınannsbildung in Deutschland und 
Oesterreich, von Mil. Richter. — Die französischen Eisenbahnen in der Asiatischen 
Türkei (Forts. u. Schluß). — Zur wirtschaftlichen Lage in Südafrika. — etc. 
— No. 30: Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — 
Zur politischen und wirtschaftlichen Lage in den Levante-Ländern. — etc. — 
No. 31: Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Das , heilige“ 
Rußland, von Dr. Frhr. v. Mackay. — Die Wirtschaftskrisis in der Schweiz und 
deren Ursachen. — etc. — No. 32—34: Heil Dir, Du deutsches Land und Volk), 
von Dr. R. Jannasch. — England und seine Lebensmittelversorgung. — Das 
heutige Schweden als Industrie- und Handelsland. — Generalbericht über die 
wirtschaftliche Entwicklung Rußlands, von W. Ewald. — Zur Weltwirtschaft 
hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. 

Gegenwart, Die. Jahrg. 43, 1914, No. 29: Der Wirtschaftskrieg mit 
Rußland, von Sergei. — etc. — No. 31: Rußland und der Balkan, von E. C. Leh- 
mann. — etc. — No. 32: Was haben wir von Frankreich zu erwarten?, von Wil- 
helm Bolze. — etc. 

Industrie-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 33, 1914, No. 29: Zur Neuregelung 
unserer Handelsbeziehungen. — Die Zölle auf Baumwollwaren. — Die Weltaus- 
stellung für Buchgewerbe und Graphik in Leipzig, von Ernst Collin. — ete. — 
No. 30: Die deutsche Glasindustrie und die Nachtarbeit jugendlicher Arbeiter. 
— Streiks und Aussperrungen im Jahre 1913. — Die Erhöhung der italienischen 
Eisenbahntarife. — etc. — No. 31: Der deutsche Werkbund in seiner Bedeutung 
für die Industrie. — Reichsversicherungsanstalt und private Ersatzkassen. — 
Das Lebensalter der Industriearbeiter nach der Berufszählung vom 12. Juni 1907 
(Forts.). — No. 32: Im Zeichen des finanziellen Kriegsbedarfs. — Der britische 
Außenhandel im ersten Halbjahr 1914. — etc. 

Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 46, 1914, Heft 5: Ist die Lehre 
vom Kalkfaktor eine Hypothese oder eine bewiesene Theorie?, von Prof. Oscar 
Loew. — Zur Verarbeitung der Ernteergebnisse von Massenanbauversuchen, von 
Eilh. Alfred Mitscherlich. — Das schleswig-holsteinsche Sparkassenwesen, von Max 
Louis. — etc. 

Jahrbücher, Preußische. Bd. 157, August 1914, Heft 2: Joseph Görres, 
der Rheinische Merkur und der preußische Staat, von Prof. Dr. Otto Tschirch. 
— Der Unternehmer als Erzieher des Juristen, von Dr. Roland Behrend. — 
Russische Finanzen unter Alexander II. und der Ursprung des Türkenkrieges von 
1877, von Dr. Emil Daniels. — Noch einmal: ‚Das Problem der Volksernährung‘“, 
von (Wirkl. Geh. Reg.-Rat) Graf Otto v. Moltke. — Die Kriegsgefahr, von 
H. Delbrück. — etc. 

Kartell-Rundschau. Jahrg. 12, Juni 1914, Heft 6: Zum Alter der 
Kartelle, von Dr. Max Metzner. — etc. 

Kultur, Soziale. Jahrg. 34, Aug.-Sept. 1914, Heft 8/9: Die wirtschaft- 
liche und soziale Bedeutung der Zünfte im Mittelalter, von Dr. phil. Georg Hogen. 
— Die neueste Entwicklung des Finanzwesens und der Steuerlast in Deutschland, 
England und Frankreich, von Dr. Paul Beusch. — etc. 

Monatshefte, Sozialistische. 1914, Heft 14: Keine Stimmungspolitik, von 
Eduard Bernstein. — Chamberlain, Manchestertum und Imperialismus, von Max 


Die periodische Presse Deutschlands. 431 


Schippel. — Zum Massenstreikproblem, von Paul Kampffmeyer. — lIeimarbeiter- 
elend und soziale Gesetzgebung, von Hermann Mattutat. — Das Verkehrswesen 
auf der Werkbundausstellung 1914, von Felix Linke. — ete. — Heft 15: Ver- 
fehlte Beschlüsse, von Karl Severing. — Textilarbeiter und koloniale Rohstoff- 
versorgung, von Max Sehippel. — Die Angestellten der Krankenkassen als Beamte, 
von Johannes Heiden. — etc. — Heft 16: Das Schicksal unseres Volkes, von 
Dr. Ludwig Quessel. — Der Krieg, sein Urheber und sein erstes Opfer, von Eduard 
Bernstein. — Der Krieg und die Sozialdemokratie, von Dr. Joseph Bloch. — 
Krieg, Gewerkschaften und Genossenschaften, von Max Schippel. — Die Eltern- 
schaftsversicherung, von Edmund Fischer. — etc. 

Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 32, 1914, No. 1646: Petroleum und 
kein Ende. — Die Rentabilität der Aktiengesellschaften. — etc. — No. 1647: Die 
deutschen Banken im Jahre 1913 (I.), von Robert Franz. — Die Emissionen in 
England im 1. Halbjahr 1914. — etc. — No. 1648: Die deutschen Banken im Jahre 
1913 (II.), von Robert Franz. — Aktiengesellschafts-Statistik. — ete. — No. 1649: 
Die Schicksalsstunde Deutschlands, von W. Christians. — Die deutschen Banken 
im Jahre 1913 (III.), von Robert Franz. — etc. — No. 1650: Unsere Kriegs- 
bereitschaft, von W. Christians. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (IV.), 
von Robert Franz. — Die Finanzen des Reichs und der deutschen Bundesstaaten. 
— ete. 

Plutus. Jahrg. 11, 1914, Heft 29: New Yorker Geschäftsleben. VII. 


Finanzierte Vergnügungssucht, von Hermann Max Boldt. — etc. — Heft 30: 
Auskunfteien, von Hans Goslar. — etc. — Heft 31: Krieg. — Chemische Patente, 
von (Diplom-Kaufmann) Walter Le Contre, — etc. — Heft 32/33: Schimmernde 
Wehr. — etc. 


Rechtsschutz, Gewerblicher, und Urheberrecht. Jahrg. 19, 1914, No. 7: 
Die Rechtskraft im Patenterteilungsverfahren unter vergleichender Darstel- 
lung der Rechtskraft im Zivilprozeßd, im Verfahren der freiwilligen Gerichts- 
barkeit und im Verwaltungsstreitverfahren. Mit Berücksichtigung des vorläufigen 
Entwurfs eines Patentgesetzes. (Forts.), von (Kammergerichtsreferendar) Dr. Walther 


Rasch. — Grundsätzliches zur Lizenzlehre, von Dr. jur. Fr. Wodtke. — Das 
französische Patentgesetz (Forts.), von Dr. G. Horn. — Entspricht das Gebrauchs- 
mustergesetz einem Bedürfnis der Industrie?, von Dr. Ludwig Fischer. — etc. 


Revue, Deutsche. Jahrg. 39, August 1914: Die Entwicklung Rumäniens 
unter König Carol und der Balkankrieg (Forts.), von (Kgl. rumän. Ministerpräs. 
a. D.) Demeter A. Sturdza. — Reichsländisches, von M. v. Köller. — Soldatischer 
Gehorsam, von (General der Infanterie) v. Beseler. — etc. 

Revue, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 13, August 1914, No. 5: Staat, 
Kirche, Gesellschaft in ihrem Verhältnis zueinander (II.), vom Herausgeber. — 
Wirtschaftspolitik, von A. Poltnigg. — Nährvolk, Zehrvolk oder Wehrvolk?, von 
Dr. F. Solger. — etc. 


Revue, Soziale. Jahrg. 14, 1914, Heft 4: Um die gewerkschaftliche Or- 
ganisationsform, von Th. Brauer. — Gewerkschaft und Volkswirtschaft (Schluß), 
von Dr. A. Retzbach. — Die deutschen Arbeitgeberverbände nach dem neuesten 
Stand, von Dr. H. Purpus. — Der Stand der Arbeitslosenversicherung und des 
Arbeitsnachweiswesens im In- und Ausland, von Margarethe v. Gottberg. — Die 
Gründe der rückläufigen sozialdemokratischen Bewegung, von Prof. D. Dr. F. X. 
Eberle. — ete. 

Rundschau, Deutsche. Jahrg. 40, August 1914, Heft 11: Das Vik- 
torianische England, von Charlotte Lady Blennerhasset. — Die geologischen Grund- 
lagen der Kulturentwicklung in den Balkanländern, von B. Mendelsohn. — etc. 

Rundschau, Koloniale. Jahrg. 1914, Juli, Heft 7: Eisenbahnen und 
Menschen. — Angola, von M. Abeking. — Mehr Verantwortlichkeitsgefühl in und 
für Südwestafrika, von Dr. L. Scheben. — etc. 

Rundschau, Masius’. Blätter für Versicherungswissenschaft. Jahrg. 26, 
1914, Heft 7: Ueber Lebensversicherung und Wassermannsche Reaktion, von Dr. 
E. Jacobsthal. — Ein Bilanzierungsgrundsatz einer öffentlichen Lebensversiche- 
rungsanstalt, von (Geh. Justizrat) Dr. Paul v. Krause. — Amtliche Versicherungs- 
Statistik für 1912. — etc. 


432 Die periodische Presse Deutschlands. 


Sozial-Technik, Jahrg. 13, 1914, Heft 15: Die Verleihung nach dem 
Wassergesetz vom 7. April 1913, von (Gewerbeinsp.) Dr. Tittler. — Die Siche- 
rung der Seeschiffe. — etc. — Heft 16: Der Arbeiterschutz auf der Internationalen 
Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik in Leipzig, von (Gewerbeinsp.) Dr. 
Tittler. — Praktisches zur Gewinnbeteiligungsfrage. — etc. 

Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg.4, 
August 1914, Heft 8: Wie groß ist die mit Landwirtschaft zusammenhängende 
Bevölkerung’, von (Geh. Reg.-Rat) Prof. Dr. Petersilie. — Das Lebensalter der 
deutschen AIndustriearbeiter, von Dr. M. Kupperberg. — Liegt die heutige Ver- 
wertung der preußischen Staatsdomänen im allgemeinen Interesse? (Erwiderung), 
von (Domänenrat) Hering. — Ergebnis der Schweinezählung vom 2. Juni 1914 
im Deutschen Reiche. — Langfristige Schulden der preußischen und französischen 
Gemeinden mit über 10000 Einwohnern. — etc. 

Weltverkehr und Weltwirtschaft. Jahrg. 4, 1914/15, Juli 1914, No. 4: 
Weltwirtschaftliche Bodenpolitik, von Prof. Dr. Alexander Backhaus. — Die stra- 
tegische Bedeutung der Fertigstellung des Mittellandkanals, von (Oberst a. D.) 
v. Kurnatowski. — Der Ausbau der russischen Seehandelshäfen, von (Ing. a. D.) 
A. Pabst. — Persiens Petroleumfelder und ihre Ausbeute, von Fr. Köhler. — 
Das wirtschaftliche Vordringen der Japaner in Amerika; Japan und die Monroe- 
lehre, von Karl Nuese. — Das Problem des Massenverkehrs bei der Reichspost, 
von (Postinsp.) Peitgen. — etc. 

Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. X, 1914, No. 14: Aussichten 
und Ziele der künftigen Entwicklung des Gesellschaftsrechts, von (Wirkl. Geh. Rat) 
Prof. Dr. Franz Klein. — Städtische Industrieämter. Eine Erwiderung, von 
Dr. Helmut Bartsch. — Zur Naturgeschichte der Reklame, von Prof. Wittschewsky. 
— etc. — No. 15: Finanzielle Kriegsbereitschaft der Privatversicherung, von Dr. R. 
Mueller. — Die Konjunkturperiode 1907—1913 in Deutschland, von (Redakteur) 
Arthur Feiler. — Die deutsche Spielwarenindustrie, von Dr. B. E. Westenberger. 
— ete. — Beilage: Zwei Zeitfragen. 1. Parteiische Volkswirtschaftslehre?, von 
Rud. Dietrich. — etc. 

Zeit, Die Neue. Jahrg. 32, 1914, No. 16: Der soziale Katholizismus, von 
A. Erdmann. — Zur Bekämpfung des Landarbeitermangels, von Karl Marchionini. 
— Kleinwohnungsbau in Oberschlesien, von R. Andersch. — „Wirtschaftsfriediiche“ 
Industriebeamte, von Hermann Lüdemann. — etc. — No. 17: Die Maifeier, von 
H. Laufenberg. — Die Entstehung des neudeutschen Reiches, von Fr. Mehring. 
— Vom Wirtschaftsmarkt, von Heinrich Cunow. — etc. — Ergänzungsheft 
No. 19: Der britische Imperialismus, von J. B. Askew. — No. 18: Europa in 
Feuersgefahr! — Die Entstehung des neudeutschen Reiches (Forts.), von Fr. Meh- 
ring. — Zur Einwanderungsfrage, von Hermann Schlüter. — etc. 

Zeitschrift des Kgl. Preuß. Statist. Landesamts. Jahrg. 54, 1914, II. Ab- 
teilung: Zahlen für das Gewicht der Landwirtschaft und ihrer Betriebsgrößen- 
klassen, von (Geh. Reg.-Rat) Prof. Dr. A. Petersilie. — Die Steuern und Schulden 
der Städte und größeren Landgemeinden Preußens im Rechnungsjahre 1912 und 
ihre Zuschläge zu den staatlich veranlagten direkten Steuern im Rechnungsjahr 
1913, von Dr. Oskar Tetzlaff. — etc. — Ergänzungsheft 41: Mitteilungen 
zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1912, von (Geh. Reg.-Rat) Prof. Dr. 
A. Petersilie. — f 

Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 7, August 
1914, Heft 5: Der Plan eines internationalen Goldclearings, von Dr. Walter Conrad. 
— Das Nochgeschäft in seiner allgemeinsten Fassung, von Prof. Dr. O. Juzi. — 
Was versteht man unter Selbstkostenpreis?, von R. Beigel. — ete. — Beiblatt: 
Die Budapester Waren- und Effektenbörse, von Prof. Eugen Krisch. — Das 
Kredit- und Bankwesen in den deutschen Kolonien, von Ed. Ladenburg. — ete 


Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. 


Arthur Friedmann Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 433 


IV. 
Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 


Von 


Dr. Arthur Friedmann. 
Mit 1 graphischen Darstellung. 


Während sich die Wissenschaft noch im Anfang des 19. Jahr- 
hunderts gegen die Aufnahme von Staatsanleihen im allgemeinen ab- 
lehnend verhielt, hat sich, besonders in der zweiten Hälfte des Jahr- 
hunderts, ein erheblicher Wandel der Anschauungen vollzogen. Es 
lag dies an der zunehmenden Sicherheit der öffentlichen Anleihen 
und an den neuen Verwendungszwecken derselben; man sah, daß die 
als Folge der Schuldenwirtschaft prophezeiten Schädigungen der 
Volkswirtschaft ausblieben, daß sich im Gegenteil mit der zunehmen- 
den erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit des Staates, die durch neue 
Schuldenaufnahmen ermöglicht wurde, ein gewaltiger Aufschwung 
vollzog. Es gewann demgemäß in der Theorie und mehr noch in der 
politischen Praxis die Anschauung Geltung, daß für die Berechtigung 
einer Anleihe in erster Linie ihr Verwendungszweck ent 
scheidend sei. 

Es wird von den neueren Schriftstellern fast ausnahmslos betont, 
daß die Aufnahme von Anleihen zur Deckung eines normalen Be- 
darfs nicht in Frage käme; neben außergewöhnlich hohen einmaligen 
Aufwendungen werden nur Ausgaben, die werbenden Zwecken dienen, 
oder die vorzüglich der Nachwelt zugute kommen oder endlich auch 
solche Leistungen, die eine wesentliche Hebung des Wohlstandes 
versprechen, der Deckung durch eine Anleihe empfohlen. Es wird 
allerdings hervorgehoben, daß die Deckung eines derartigen Bedarfs 
nicht auf alle Fälle zweckmäßig durch Inanspruchnahme des Kredites 
erfolge, daß vielmehr der allgemeine volkswirtschaftliche Zustand 
und die finanziellen Verhältnisse des Staates zu berücksichtigen 
seien. Viele Theoretiker weisen darauf hin, daß die jeweilige 
Leistungsfähigkeit der Steuerzahler in Betracht zu ziehen sei. Die 
Schuldenaufnahme wird dann für bedenklicher gehalten, wenn Ka- 
pitalien produktiven Zwecken entzogen werden oder durch die Ka- 
pitalinanspruchnahme des Staates eine Steigerung des allgemeinen 
Zinsfußes zu erwarten ist. 

Ich beabsichtige nun, in dieser Arbeit im Gegensatz zu jenen 
Autoren, die die Berechtigung einer Anleihe nach ihrem Verwen- 
dungszwecke bestimmen, vorzüglich die allgemeinen volks- 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 28 


434 Arthur Friedmann, 


wirtschaftlichen Bedingungen zu studieren, die die Inan- 
spruchnahme des Kredites rechtfertigen können. Es ist zwar richtig, 
daß bei Aufnahme von Anleihen auch die Art des zu deckenden Be- 
darfs Berücksichtigung verdient: Findet eine Ausgabe zu werbenden 
Zwecken Verwendung, so besteht die Möglichkeit, die Zinsen der 
aufzunehmenden Schuld aus den Erträgnissen des betreffenden Unter- 
nehmens zu decken — und wenn durch irgendeine Aufwendung eine 
merkliche Hebung der Volkswirtschaft zu erwarten steht, so sind 
die Mittel zur Verzinsung und Tilgung in künftigen Jahren häufig 
leichter als in der Gegenwart aufzubringen. Aber wichtiger scheint 
es, ob unabhängig von solchen einzelnen staatlichen Aufwendungen 
eine derartige Entwicklung des allgemeinen Volkswohl- 
standes und speziell eine solche Hebung der Staatsfinanzen 
zu erwarten steht, daß die betreffenden Mittel trotz der erforderlichen 
Verzinsung von der Zukunft eher als von der Gegenwart bestritten 
werden können. Es soll darum in dem ersten Teile dieser Arbeit ge- 
zeigt werden, ob heute in Anbetracht der voraussichtlichen Entwick- 
lung des Volkswohlstandes und im besonderen der Staatsfinanzen die 
Verschiebung einer steuerlichen Belastung auf die Zukunft berechtigt 
erscheint. In einem zweiten Abschnitte soll dann untersucht werden, 
wieweit die durch die Aufnahme einer inneren Anleihe bewirkte 
Kapitalentziehung die Volkswirtschaft ungünstig beeinflußt; d.h. in 
welchem Umfange werden durch die Aufnahme einer Anleihe Kapi- 
talien anderen, produktiven Zwecken entzogen, und wieweit wird 
durch Erhöhung des allgemeinen Zinsfußes die Einkommens- 
verteilung in unerwünschter Weise geändert? Wirkt in dieser 
Hinsicht die Kontrahierung einer Staatsschuld erheblich ungünstiger 
als die Erhebung einer gleich hohen Steuer? In einem dritten Teil 
wäre dann die Frage zu behandeln, ob die Aufnahme von Anleihen 
im Interesse der Staatsgläubiger erwünscht ist. Da für Deutsch- 
land und die großen westeuropäischen Staaten äußere Anleihen kaum 
in Betracht kommen, beschränken wir uns bei der Darstellung wesent- 
lich auf die Besprechung innerer Anleihen (die besonderen Ver- 
hältnisse der auswärts Kredit suchenden Staaten werden nur kurz 
in einem späteren Abschnitte behandelt werden). — Erst wenn so 
die allgemeinen Gesichtspunkte entwickelt sind, die für die Aufnahme 
einer Anleihe wesentlich scheinen, soll in einem besonderen Teile der 
Arbeit die Frage erörtert werden, wieweit spezielle Verwen- 
EES die Deckung durch eine Anleihe rechtfertigen 
önnen. 


Was die erste Frage anbelangt, ob mit Rücksicht auf die voraus- 
sichtliche Entwicklung des Volkswohlstandes und die vermutliche 
künftige Gestaltung der Staatsfinanzen die Verschiebung einer Steuer- 
leistung auf die Zukunft durch Aufnahme einer Anleihe angezeigt 
ist, so ließe sich dieselbe unter Zugrundelegung des heute für Staats- 
anleihen üblichen Zinssatzes von 4 Proz. auch genauer so formu- 
lieren: Bedeutet die Aufbringung einer bestimmten Steuersumme eine 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 435 


geringere Belastung für die Gegenwart als die Aufbringung einer 
pro Jahr um 4 Proz. anwachsenden Summe für die Zukunft? 
Bei dieser Betrachtung hätten wir die jährliche Zahlung der Schuld- 
zinsen als Tilgung eines entsprechenden Teiles des Kapitals anzu- 
sehen. Es ist gleichbedeutend, ob für ein Kapital von 100 M. jährlich 
4 M. Schuldzinsen gezahlt werden oder ob jährlich 4 M. des auf 
104 M. angewachsenen Kapitals (das sind 3,86 Proz.) getilgt werden. 


Für die Beurteilung einer zweckdienlichen Verteilung der steuer- 
lichen Lasten auf Gegenwart und Zukunft ist in erster Linie die 
voraussichtliche Entwicklung des Volkswohlstandes entscheidend. Je 
günstiger die vermutliche Entwicklung des Wohlstandes ist, um so 
eher wird man die Zukunft auf Kosten der Gegenwart belasten 
dürfen. Wofern sich in den folgenden Jahren die wirtschaftlichen 
Verhältnisse voraussichtlich nicht wesentlich ändern werden, wird 
man kaum eine heute zu leistende Steuer auf einen späteren Termin 
verschieben wollen. In Deutschland liegen nun die Verhältnisse tat- 
sächlich so, daß für die kommenden Jahre mit einer wenn auch nur 
mäßigen Steigerung des Wohlstandes gerechnet werden kann. Es 
ist natürlich schwer, über die künftige Entwicklung etwas einiger- 
maßen Sicheres vorauszusagen; man wird sich im wesentlichen dar- 
auf beschränken müssen, aus der Wohlstandsentwicklung der jüngst 
vergangenen Jahre einen Schluß auf die zukünftige Entwicklung zu 
ziehen. Es soll darum zuerst untersucht werden, in welchem Maße 
sich in den letzten beiden Jahrzehnten der Volkswohlstand in Deutsch- 
land gehoben hat; im Anschluß daran sollen dann die Momente be- 
trachtet werden, die eventuell eine günstigere oder ungünstigere Ent- 
wicklung in den nächstfolgenden Jahren im Gegensatz zu den jüngst 
zurückliegenden wahrscheinlich machen. 

Die Wohlstandsentwicklung läßt sich einigermaßen nach der 
Gestaltung des Nationaleinkommens in der betreffenden Epoche 
— unter gleichzeitiger Berücksichtigung der jeweiligen staatlichen 
Leistungen — beurteilen. Wir können auf Grund der Steigerung 
des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung und der Wandlungen 
der Preise für die wichtigsten Lebensbedürfnisse ermitteln, ein wie- 
viel höherer Konsum in einem gewissen Jahre im Vergleich zu 
früheren möglich war. Die wirkliche Größe des Konsums entspricht 
allerdings nicht genau der Höhe des Einkommens, sondern bleibt je 
nach der Menge der gemachten Ersparnisse hinter demselben zurück ; 
für die Bestimmung des Wohlstandes aber mag das Durchschnittsein- 
kommen (die Summe des tatsächlichen Konsums und der Ersparnisse) 
EE mindestens ebenso guten Maßstab wie der Durchschnittskonsum 
geben. 

Ich hatte in meiner Arbeit: Die Wohlstandsentwicklung in 
Preußen von 1891—1911!) die Einkommenentwicklung in der ge- 
nannten Periode speziell für Preußen untersucht. Ich stellte dort eine 


1) Erschienen in Bd. 48, Heft 1 von Conrads Jahrbüchern. 
28* 


436 Arthur Friedmann, 


Steigerung des Nominaleinkommens (abzüglich aller Steuerleistungen) 
von 396 M. auf 566 M. — oder um 43 Proz. und eine Steigerung des 
Realeinkommens von 22 Proz. fest. Das Realeinkommen nahm inner- 
halb dieser Periode einigermaßen gleichmäßig zu. Bei diesen Be- 
rechnungen wurde zwar ein Teil des Vermögenszuwachses (speziell 
die Erbschaften) nicht in Betracht gezogen und ebenso wurde für die 
Nutzung des Gebrauchsvermögens kein entsprechender Betrag dem 
Einkommen hinzugezählt. Doch sind diese Momente für das Er- 
gebnis von keiner wesentlichen Bedeutung. 

Neben dem Vergleiche des privaten Aufwands in den Jahren 
1891 und 1911 bedarf es noch einer Gegenüberstellung der in den 
beiden Jahren von den öffentlichen Körperschaften gewähr- 
ten Leistungen. Dieselben berechnen sich nach den Angaben in der 
genannten Arbeit für Reich, Staat und Kommunen in Preußen 1891 
auf 32,40 M. pro Kopf, 1911 auf 59,90 M. pro Kopf und die Zu- 
nahme auf 85 Proz., wobei nur die ohne spezielles Entgelt erfolgenden 
Leistungen berücksichtigt sind. Auch die Ausgaben der Schulden- 
verwaltung sind nicht mitgezählt. Die Schuldzinsen erscheinen für 
die inländischen Besitzer von Anleihen bereits in ihrem Einkommen. 
Ebenso sind die Ausgaben für Heer und Marine bei dieser Gegen- 
überstellung außer acht gelassen: Soweit durch den militärischen 
Aufwand eine Sicherstellung der heimischen Volkswirtschaft und so 
indirckt eine Steigerung des Wohlstandes erzielt wurde, sind solche 
bereits in der Zunahme des privaten Konsums und in der Mehrung 
der sonstigen staatlichen Leistungen berücksichtigt. Rechnet man 
die Ausgaben der öffentlichen Versicherungsanstalten den staatlichen 
Aufwendungen hinzu, so betrüge die Zunahme derselben statt 85 
Proz. etwas mehr als 100 Proz. Die relative Steigerung der staat- 
lichen Leistungen ist mithin sehr viel erheblicher als die Mehrung 
des privaten Konsums, aber die absolute Höhe der unentgeltlichen 
staatlichen Verrichtungen ist doch gegenüber den privaten Aufwen- 
dungen nicht bedeutend. — Ebenso wie die Kaufkraft des Geldes 
für den privaten Konsum abnahm, sind auch gleichwertige staatliche 
Aufwendungen vielfach teurer geworden; trotzdem ist die Steige- 
rung der staatlichen Leistungen in mancher Hinsicht erheblicher, als 
dies bei einer zahlenmäßigen Gegenüberstellung den Anschein hat, 
denn während bei einer Steigerung des Einkommens und gleich- 
bleibenden Preisen aller Bedarfsartikel im allgemeinen solche Güter 
konsumiert werden, die pro Kosteneinheit einen geringeren sub, 
jektiven Wert haben als die letzten bereits bei dem früheren 
Einkommen verzehrten Güter, sind die in den letzten 20 Jahren neu 
hinzugekommenen staatlichen Leistungen — wiederum bezogen 
auf die Kosteneinheit der Aufwendungen — subjektiv wertvoller 
als viele der bereits früher bewirkten Leistungen (so die vermehrte 
Fürsorge der Kommunen für Arme und Kranke). 

Wenn der Volkswohlstand unter Mitberücksichtigung der staat- 
lichen Leistungen stärker vermehrt worden ist, als dies bei alleiniger 
Betrachtung des privaten Konsums der Fall scheint, und für die Zu- 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 437 


kunft eine ähnliche Entwicklung in Aussicht steht, so darf man 
hieraus kaum die Berechtigung zu einer stärkeren steuerlichen Be- 
lastung der Zukunft ableiten. Denn gerade, wenn mit einer starken 
Steigerung der Steuerleistungen gerechnet werden muß, ist eine Be- 
lastung der Zukunft mit Schulden nach Möglichkeit zu vermeiden 
(siehe später S. 440). g 

Wir können aus dem bisher Gesagten schließen, daß sich die 
Lebenshaltung vom Jahre 1891 bis zum Jahre 1911 auch unter Mit- 
berücksichtigung der staatlichen Leistungen nicht sehr viel mehr 
als entsprechend einer 22-proz. Steigerung des Durchschnittsein- 
kommens verbessert hat. Die Zunahme um 22 Proz. in 20 Jahren 
würde einer durchschnittlichen jährlichen Steigerung des Einkommens 
um genau 1 Proz. entsprechen. Wir müssen nun versuchen, aus der 
Wohlstandsentwicklung dieser kurz zurückliegenden Epoche einen 
Schluß auf die Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten zu ziehen. 
Wir wiesen schon früher darauf hin, daß so unsicher irgendwelche 
Schätzungen der zukünftigen Entwicklung auch sind, doch bei der 
Entscheidung, auf welche Art die Steuerlasten auf Gegenwart und 
Zukunft verteilt werden sollen, eine Abschätzung der künftigen 
Wohlstandsentwicklung erforderlich ist. Wir dürfen wohl annehmen, 
daß sich unter normalen Verhältnissen die Einkommenssteigerung 
in den nächsten Jahren in ähnlichem Sinne wie in den letzten Jahr- 
zehnten fortsetzen wird. — Einige Umstände lassen allerdings eine 
langsamere Steigerung des Wohlstandes für die Zukunft möglich er- 
scheinen: Die einheimische Landwirtschaft wird vielleicht den Be- 
darf an Nahrungsmitteln bei steigender Bevölkerungszahl, selbst 
wenn die Steigerung langsamer als bisher erfolgen sollte, nur unter 
einer Verteuerung der Produktionskosten decken können. Weiter 
werden die heutigen außereuropäischen Agrarländer bei zunehmender 
Industrialisierung möglicherweise eine wirtschaftliche Ueberlegen- 
heit über die europäischen Industrieländer gewinnen, da sie weniger 
auf die Zufuhr von Industrieprodukten als letztere auf die Einfuhr 


von Agrarprodukten angewiesen sein werden. — Dagegen darf man 
wohl vermuten, daß sich die industrielle Technik weiterhin in ähn- 
lichem Sinne wie bisher vervollkommnen wird. — Wie sich die Ver- 


hältnisse in der Tat entwickeln werden, im besonderen auch, wie sich 
die Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten gestalten wird, 
das hängt wesentlich auch von der künftig befolgten Politik ab. 
Eine erheblich ungünstigere Entwicklung des Wohlstandes als bisher 
ist für die nahe Zukunft wohl nur für den Fall kriegerischer Er- 
eignisse wahrscheinlich. 

Wir rechnen also, entsprechend der Entwicklung der jüngsten 
Vergangenheit mit einer künftigen jährlichen Einkommenssteigerung 
von ca. 1 Proz. Unter dieser Voraussetzung scheint es nicht be- 
rechtigt, eine Belastung auf die Zukunft zu verschieben, denn die 
sofortige Besteuerung eines Einkommens scheint vorteilhafter als 
die Besteuerung eines nur 1 Proz. höheren Einkommens mit einer 


438 Arthur Friedmann, 


4 Proz. höheren Steuer. Wäre dies nicht der Fall, sondern würde 
in den Einkommensgruppen, die wesentlich für die Aufbringung 
der Steuern in Betracht kommen, beispielsweise in den Einkommens- 
gruppen von 5—20000 M. die sofortige Besteuerung für ein nie- 
deres Einkommen eine größere Belastung darstellen als eine 4 Proz. 
höhere Besteuerung eines jeweils nur um 1 Proz. höheren (künfti- 
gen) Einkommens, so würde die Besteuerung eines Einkommens von 
5000 M. mit 1 M. empfindlicher sein als die Besteuerung eines 
Einkommens von 5050 M. mit 1,04 M., und es würde weiter auch, 
wie eine einfache Berechnung ergibt, die Steuer von 1 M. bei 
einem Einkommen von 5000 M. eine größere Belastung bedeuten als 
eine Steuer von 15 M. bei einem Einkommen von 10000 M. oder eine 
Steuer von 237 M. bei einem Einkommen von 20000 M.!). Gewiß 
nimmt mit steigendem Einkommen der subjektive Wert eines dem 
Geldwerte nach gleich hohen Aufwandes stark zu, aber die Unter- 
schiede sind doch nicht so bedeutend, daß der subjektive Wert des 
mit der letzten Mark des Einkommens bestrittenen Konsums bei einem 
Einkommen von 5000 M. dem subjektiven Wert des mit den letzten 
200 M. bestrittenen Konsums bei einem Einkommen von 20000 
gleichzusetzen wäre. Es scheint so die Verzinsung und Tilgung 
der Anleihe für die Zukunft eine erheblich höhere Belastung dar- 
zustellen als die Aufbringung der entsprechend geringeren Summe 
in der Gegenwart; man wird daher unter normalen Verhältnissen 
von der Aufnahme einer Anleihe Abstand nehmen und im Gegenteil 
für eine beschleunigte Tilgung der vorhandenen Schulden Sorge 
tragen müssen. — Würde man aber selbst bei einer voraussichtlichen 
Steigerung des Einkommens um jährlich 1 Proz. die Verschiebung 
einer steuerlichen Belastung auf die Zukunft gerechtfertigt finden, 
so ist doch noch Folgendes zu bedenken: Wir sprachen bisher nur 
von der voraussichtlichen Steigerung des Durchschnittsein- 
kommens, während für die Aufbringung der Steuern hauptsächlich 
diehöheren und mittleren Einkommen in Frage kommen werden. 
Es ist sehr wohl möglich, daß gerade die höheren Einkommen in Zu- 
kunft sehr viel weniger als das Durchschnittseinkommen ansteigen 
werden. Nach meiner Berechnung in der obengenannten Arbeit 
haben in der Zeit von 1891—1911 die höheren und niederen Ein- 
kommen fast gleichmäßig zugenommen, doch läßt sich gerade in 
diesem Punkte aus der Vergangenheit nicht gut ein Schluß auf die 


1) Unter der angeführten Voraussetzung wäre eine Steuer von 


M. M. M. M. 
1,04 bein Eink. v. 5 050,— eine gering. Belast. als eine Steuer v. 1,— b. ein. Eink. v. 5000,— 
1,082» » on on 510050 » » o nn on as Läit wn » vw 5050,— also auch 
nm D , an Lı— u» nm ’ 5000, — 
1,125, » nm „» 5151,5 DI nm DI DI DI D DI 1,082 nm P Di DI 5100,50 „mo 
» » D Lee. a D 5000, — 
Ent rr N E Ee EE ae eg EEN Zr ei ee ae eg 8 À 
ge E a DE Én ee AR ac a a DE Ba Et G a aa er d ue ER A E 
15,4 Di D » 10000,— un nm ” nm nm nm „IL, vn» DH 5000, — 
2366 „ » »„20000,— 5 » orrn m nnm nm 5009 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 439 


Entwicklung kommender Jahre ziehen. Ob wirklich in den nächsten 
Jahrzehnten ein stärkerer Ausgleich der Einkommen erzielt wird, 
das hängt wiederum zum guten Teile von der in Zukunft befolgten 
staatlichen Politik, besonders auch von der Steuerpolitik ab. Auch 
eine Tilgung der vorhandenen Anleihen würde, wie wir später etwas 
ausführlicher zeigen, speziell eine Verminderung der Kapitalein- 
kommen (also auch der größeren Einkommen) zur Folge haben. 
Wenn man für die kommenden Jahre mit einer geringen Steigerung 
der höheren Einkommen zu rechnen hat, so ist es erst recht nicht an- 
gezeigt, eine Steuer auf die Zukunft zu verschieben, denn dann 
würde sich in noch höherem Maße, als es schon bei einer voraus- 
sichtlichen Steigerung der betreffenden Einkommen um jährlich 
1 Proz. der Fall wäre, die zukünftige Belastung fühlbar machen. 

Es wäre noch zu bemerken, daß die Zinsverpflichtung des 
Staates in Anbetracht der sich mit der Zeit vollziehenden Aende- 
rung des Geldwertes nicht genau dem Zinsfuße der Anleihen ent- 
spricht. Würde der Staat ein zu 4 Proz. entliehenes Kapital inner- 
halb der nächsten 20 Jahre tilgen, indem er jedes Jahr t/s% der ur- 
sprünglichen Schuldsumme zurückzahlt, und würde in dieser Zeit 
der Geldwert gleichmäßig — insgesamt um 15 Proz. — sinken!), 
so würden einschließlich der Zinsen nominell 140 Proz. der ent- 
liehenen Summe zurückzuzahlen sein, dem Realwerte nach aber 
nur reichlich 130 Proz. Wahrscheinlich wird die Kaufkraft des 
Geldes in den kommenden Jahren weiter abnehmen; wenigstens 
wird die Tatsache, daß die Arbeiter stark an einer Erhöhung der 
Löhne interessiert sind, während die Unternehmer eine Lohnerhöhung 
relativ leicht durch eine Preissteigerung der gelieferten Waren aus- 
gleichen können, immer auf eine Minderung des Geldwertes hin- 
wirken. 

Die voraussichtliche Steigerung des Wohlstandes (speziell also 
die Einkommenssteigerung der wesentlich für die Steuerzahlung in 
Betracht kommenden höheren und mittleren Einkommen) erscheint 
mithin nicht so bedeutend, daß man im allgemeinen eine heute er- 
forderliche Belastung auf einen späteren Termin verschieben dürfte; 
immerhin sind die Schwankungen in den wirtschaftlichen Verhält- 
nissen einzelner Jahre so erheblich, daß in einem besonders un- 
günstigen wWirtschaftsjahre eine teilweise Verschiebung der 
Steuerlasten in Form einer Anleihe auf die folgenden Jahre gerecht- 
fertigt sein kann. In schlechten Jahren wird eine bestimmte Be- 
lastung stärker als in guten Jahren empfunden. Es kommt hinzu, 
daß in ungünstigen Zeiten die vorhandenen Einnahmequellen des 
Staates oft geringere Erträgnisse liefern, während die Ausgaben 
leicht noch eine Steigerung erfahren: Der Staat soll nach Möglich- 
keit der zu Zeiten wirtschaftlicher Depression herrschenden Arbeits- 
losigkeit dadurch entgegentreten, daß er diejenigen öffentlichen Ar- 

1) Ich stellte in der oben angeführten Arbeit für die letzten 20 Jahre der durch- 
schnittliche Steigerung der Preise um 17 Proz. fest, was eine Abnahme eine Kaufkraft 
des Geldes um 14,5 Proz. bedeuten würde, 


440 Arthur Friedmann, 


beiten, deren Ausführung nicht an einen bestimmten Termin gebunden 
ist, ausführen läßt. Es können in schlechten Jahren um so eher 
Anleihen begeben werden, als das Geld zu diesen Zeiten im allge- 
meinen billiger zu sein pflegt. Die Schulden wären innerhalb der 
folgenden besseren Wirtschaftsjahre in entsprechend kurzer Zeit 
zu tilgen. 


Wir beurteilten bisher die zweckdienliche Verteilung der 
Steuerlasten auf Gegenwart und Zukunft allein nach der voraus- 
sichtlichen Wohlstandsentwicklung. Es ist nun weiter festzustellen, 
ob mit Rücksicht auf die voraussichtliche Gestaltung der Staats- 
finanzen die Verschiebung einer Steuerleistung auf die Zukunft 
mittels einer Anleihe zulässig ist. Bei einer ungenügenden Aus- 
bildung des Finanzwesens, bei der nur ein geringer Teil des Volks- 
einkommens ohne Schwierigkeit den Staatszwecken zugeführt werden 
kann, wird man überhaupt bei Bestreitung der Staatsausgaben sehr 
viel weniger an die künftige Entwicklung der wirtschaftlichen Ver- 
hältnisse im allgemeinen als speziell an die Entwicklung der Staats- 
finanzen denken (siehe später S. 461). Aber auch bei uns kann eine 
voraussichtliche Zunahme des Nationaleinkommens der Möglichkeit, 
höhere Steuereinnahmen zu erzielen, durchaus nicht gleichgesetzt 
werden. Erstens sind, soweit die Staatseinnahmen aus eigentlichen 
Steuern fließen, die Erhebungskosten derselben mit in Rechnung zu 
setzen. (Dieselben sind nicht allzu hoch, sie betragen heute in 
Preußen für die direkten Steuern 6 Proz., für die indirekten Steuern 
4—5 Proz.; eine Erhöhung der Steuersätze würde eine relativ ge- 
ringere Mehrung der Erhebungskosten mit sich bringen.) Und weiter- 
hin kann auch bei einem ausgebildeten Finanzwesen doch immer nur 
ein beschränkter Teil des Nationaleinkommens in Form von Steuern 
den Staatszwecken dienstbar gemacht werden; insbesondere sind bei 
sehr hohen direkten Steuern Hinterziehungen zu befürchten. — 
Bei der tatsächlichen Größe des heutigen Staatsbedarfs bestehen 
kaum Schwierigkeiten, die Staatsausgaben vollständig aus Steuer- 
mitteln zu decken. Es ist zu bedenken, daß, wenn nicht in Zukunft 
ein größerer Teil der Ausgaben aus den Einkünften erwerbswirt- 
schaftlicher Unternehmungen bestritten wird, nach Aufnahme einer 
Anleihe später noch entsprechend höhere Steuern aufzubringen sind, 
nicht nur absolut, sondern auch im Verhältnis zum Nationalein- 
kommen. (Das Nationaleinkommen nimmt, wie wir zeigten, nicht 
entsprechend der Verzinsung der Anleihen zu.) Da die Bestreitung 
der Staatsausgaben aus Ueberschüssen staatlicher Erwerbsunter- 
nchmungen gewisse Vorzüge vor der Erhebung direkter Steuern hat, 
so werden für die Zukunft in Aussicht stehende höhere Einnahmen 
aus privatwirtschaftlichen Unternehmungen des Staates eventuell 
zur Verschiebung einer Steuerleistung auf die Zukunft berechtigen 
(siehe später S. 458). 

‚Es ist oft als Vorzug der Anleihen gerühmt worden, daß die 
freiwillige Darbietung des Kapitals nicht als Belastung empfunden 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 441 


wird, während die Erhebung einer entsprechenden Steuer einen er- 
heblichen Eingriff in die Lebensverhältnisse der Steuerzahler dar- 
stellt. Diese Tatsache ist aber für die vorliegende Betrachtung von 
keiner Bedeutung; es soll nicht entschieden werden, ob die Steuer 
oder die Anleihe eine empfindlichere Belastung bedeutet, sondern ob 
die jetzige Steuer oder die im Falle der Aufnahme einer Anleihe 
erforderliche höhere Steuer in künftigen Jahren unange- 
nehmer empfunden wird. 


Wie wir früher sagten, daß in wirtschaftlich ungünstigen Jahren 
eine Anleihe zulässig sein kann, wenn für die folgenden Jahre eine 
erhebliche Besserung der Einkommensverhältnisse erwartet werden 
darf, so ist auch unter Umständen eine Schuldaufnahme in Jahren 
gerechtfertigt, in denen die Staatsfinanzen einen ausnahmsweise un- 
günstigen Stand zeigen, sei es, daß die Staatseinnahmen auf 
Grund einer ungünstigen Konjunktur geringer sind, oder sei es, 
daß die Ausgaben infolge außergewöhnlicher Aufwendungen eine 
abnorme Höhe aufweisen. Wenn durch die Kreditinanspruchnahme 
ein Ausgleich der Differenzen der in verschiedenen Jahren aufzu- 
bringenden Steuern erreicht wird, so ist dies einmal deshalb erwünscht, 
weil eine außergewöhnlich hohe in einem Jahr zu entrichtende Steuer 
schwerer empfunden wird als eine insgesamt gleich hohe auf mehrere 
Jahre verteilte Steuer, dann aber auch deshalb, weil die Einführung 
einer neuen Steuer auf relativ kurze Zeit mehr technische Schwierig- 
keiten bietet und relativ hohe Kosten verursacht. Bei Existenz einer 
beweglichen Steuer käme die letztere Erwägung nicht in Frage. Die 
Deckung einer außerordentlichen Ausgabe in einem bestimmten Fi- 
nanzjahre scheint aber eben nur dann gerechtfertigt, wenn in diesem 
Jahre höhere Steuern als voraussichtlich in folgenden Jahren erforder- 
lich sind. Es darf nicht etwa jede größere Ausgabe, die vermutlich 
in absehbarer Zeit nicht wiederkehrt, auf Anleihe genommen werden, 
da ja in jedem Jahre Aufwendungen erforderlich sind, die in anderen 
Jahren nicht auftreten, also tatsächlich die Gesamtausgaben in dem 
einen Jahre nicht höher als in den folgenden zu sein brauchen. 
Schäffle wies darauf hin, daß die außerordentlichen Ausgaben, vom 
Gesichtspunkte des ganzen Budgets angesehen, zum größten Teil 
gar keine sind. — Wenn man davon absieht, daß eventuell aus an- 
deren Gründen, etwa aus der voraussichtlichen allgemeinen Hebung 
der wirtschaftlichen Lage die Berechtigung einer Anleihe gefolgert 
werden kann, so würde bei einer außerordentlichen Höhe der Staats- 
ausgaben in einem bestimmten Jahre höchstens die Deckung des- 
jenigen Teils der Ausgaben durch Anleihen erlaubt sein, der über 
die voraussichtliche Höhe der Ausgaben in den folgenden Jahren 
hinausragt, und weiter müßten diese Anleihen bereits in denjenigen 
Jahren getilgt werden, denen gegenüber allein die Ausgaben des 
laufenden Jahres außerordentlich hoch sind. Würden z. B. in einem 
Lande, in dem sich die wirtschaftlichen Verhältnisse im übrigen im 
Laufe der Jahre nicht änderten, die Staatsausgaben in dem ersten 


442 Arthur Friedmann, 


ersten Jahre 120, im zweiten Jahre 110, im dritten Jahre 100, im 
vierten wieder 120 usw. betragen, so dürfte nicht etwa im ersten 
Jahre eine langfristige Anleihe von 20, im zweiten Jahre von 10 
aufgenommen werden, sondern im Höchstfalle im ersten Jahre eine 
nach 2 Jahren zu tilgende Anleihe von 10. In den Etats werden nun 
nicht nur höhere Beträge als diejenigen, die über die voraussicht- 
liche Durchschnittshöhe der Ausgaben in den folgenden Jahren hin- 
ausgehen, auf Anleihen genommen, sondern die Tilgung der Anleihe- 
summen erfolgt auch nicht innerhalb einer entsprechenden Zeit- 
spanne. 

Zur Erläuterung der besprochenen Verhältnisse wollen wir zeigen, 
um wieviel anders sich im Reiche die Entwicklung des Anleihe- 
standes gestaltet hätte, wenn allein diejenigen Beträge, die den 
Gesamtetat gegenüber den kommenden Jahren in außerordentlicher 
Weise belasteten, auf Anleihe genommen wären und bereits in einer 
Zeitspanne getilgt worden wären, in der die Höhe der erforderlichen 
Ausgaben um eine entsprechende Summe hinter der Durchschnitts- 
höhe der jährlichen Ausgaben zurückblieb. Da wir hier allein fest- 
zustellen beabsichtigen, wie weit die außerordentliche Höhe einer 
Ausgabe die Inanspruchnahme des Kredites rechtfertigen kann, so 
wollen wir voraussetzen, daß bei gleichmäßig Jahr für Jahr 
steigenden Staatsausgaben weder die Aufnahme einer Anleihe noch 
die Tilgung einer solchen hätte bewirkt werden sollen. Wir zeigen 
in der anliegenden graphischen Darstellung in Kurve I die tatsäch- 
liche Höhe der jährlichen Gesamtausgaben des Reichs von 1889 bis 
1912. In der Linie Ia sind die Werte verzeichnet, die sich unter 
der Voraussetzung ergeben, daß die Gesamtsumme der Staats- 
ausgaben von 1889—1912 gleich groß gewesen wäre, die Aus- 
gaben sich aber von Jahr zu Jahr in geometrischer Progression ge- 
steigert hätten (die jährliche Steigerung berechnet sich unter dieser 
Voraussetzung auf 3,92. Proz.). Die Kurve III zeigt die Höhe des 
außerordentlichen Etats an, Kurve Illa die Ausgaben des 
außerordentlichen Etats mit Ausnahme der Summe für Eisenbahn-, 
Post- und Telegraphenverwaltung. Es sind also hier die meisten 
derjenigen Beträge in Abzug gebracht, die wegen ihrer werbenden 
Natur auf Anleihe genommen wurden. Die Linie IIIb gibt das Bild 
des außerordentlichen Etats wieder, wie er sich unter der Voraus- 
setzung dargestellt hätte, daß nur die die normale Größe der 
Gesamtausgaben überschreitenden Summen auf den außer- 
ordentlichen Etat gesetzt worden wären. (Da in diesem Falle we- 
niger Anleihen aufgenommen und somit die Ausgaben der Schulden- 
verwaltung geringer gewesen wären, so hätten wir eigentlich bei 
Berechnung der Kurve entsprechende Summen von den Gesamtaus- 
gabeı: in Abzug bringen müssen, es würde sich aber auch bei einer 
solchen Darstellung wesentlich dasselbe Bild ergeben haben.) — 
Endlich verzeichnet die Kurve II die Entwicklung des Anleihestandes 
vom Jahre 1889 bis zum Jahre 1912, während die Kurve ILa anzeigt, 
wie sich der Anleihestand unter der Annahme gestaltet hätte, daß 


443 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 


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Inanszen 
des 


von 1889 bis 1912., 


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EARREERNERRNEEREERERESEERER 


444 Arthur Friedmann, 


nur die jährlichen Schwankungen in der Größe der Gesamtausgaben 
durch die Aufnahme entsprechend kurzfristiger Anleihen ausge- 
glichen wären. Während in der Tat der Anleihestand von noch nicht 
1MilliardeM. im Jahre 1889 fast ständig bis zu etwa 5MilliardenM. 
im Jahre 1912 anstieg, hätten zum Ausgleich der jährlichen 
Schwankungen des Bedarfs nur ungleich niedrigere und 
kurzfristigere Anleihen aufgenommen werden dürfen. Die 
Kurve IIa zeigt, daß in den Jahren 1890—1892 im ganzen etwa 300 
Mill.M. Schulden hätten kontrahiert werden dürfen, die bereits bis zum 
Jahre 1897 größtenteils getilgt werden mußten. In einzelnen dazwischen- 
liegenden Jahren, in denen die Gesamtausgaben etwas größer waren, 
wären geringere Summen, in anderen Jahren entsprechend höhere 
Summen zu tilgen gewesen, oder was das Gleiche besagen will, es 
hätten in den entsprechenden Jahren neue in noch kürzerer Zeit zu 
tilgende Anleihen aufgenommen werden dürfen. Im übrigen wäre 
bis zum Jahre 1899 die Aufnahme jeder Anleihe unterblieben ; 1900 
bis 1903 wären 600 Mill. M. neue Schulden aufgenommen, die wieder- 
um schon im Jahre 1906 amortisiert gewesen wären, in den Jahren 
1907 und 1909 nochmals ca. 500 Mill. M., deren Tilgung bis zum 
Jahre 1912 erfolgt wäre. — Diese Auseinandersetzungen sollen 
natürlich nicht besagen, daß es möglich gewesen wäre, vor 20 Jahren 
auch nur annähernd den in späteren Jahren erforderlichen Staats- 
bedarf zu schätzen und demgemäß die jährlichen Lasten zu verteilen; 
wenn aber in der Tat so sehr viel mehr und so viel langfristigere An- 
leihen aufgenommen wurden, als dies die spätere tatsächliche Ent- 
wicklung rechtfertigte, so liegt dies keineswegs daran, daß man vor 
20 Jahren nicht ein so starkes Steigen der Staatsausgaben vermutet 
hätte, sondern diese Erscheinung hat ihre Ursache zum guten Teile 
darin, daß Ausgaben, die an sich zwar außergewöhnlich waren oder 
den betreffenden Etatposten außerordentlich belasteten, die aber doch 
kein ungewöhnliches Anschwellen des Gesamtbudgets bewirkten, auf 
Anleihe genommen wurden. 

In den Denkschriften zum Reichsetat der Jahre 1901 und 1907 
wurden feste Grundsätze darüber aufgestellt, welche Ausgaben auf 
Anleihe genommen werden dürfen. Die detaillierten Bestimmungen 
zeigen, daß neben Ausgaben zu werbenden Zwecken auch solche Aus- 
gaben berücksichtigt wurden, die nicht das Gesamtbudget sondern 
nur die betreffende Verwaltung ungewöhnlich belasten. So heißt 
es z. B. für das Reichsamt des Innern: Etwaige größere bauliche 
Aenderungen am Kaiser-Wilhelm-Kanal, ‚die schon wegen des erheb- 
lichen Aufwandes über den Begriff der laufenden Unterhaltung ... 
hinausgehen“, sind auf Anleihe zu überweisen. — Neuerdings sind 
auch die Aufwendungen für den Kaiser-Wilhelm-Kanal und die 
Kosten der Reichseisenbahnen, soweit sie strategischen Zwecken die- 
nen, aus dem Extraordinarium in das Ordinarium hinübergenommen. 
Im Etat von 1913 stehen von nicht werbenden Ausgaben nur noch 
13 Mill.M. für Festungen und 51 Mill. M. für die Marineverwaltung 
auf dem außerordentlichen Etat. 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 445 


Während in früheren Jahren die Anleihen im Reiche praktisch 
überhaupt nicht getilgt wurden, wurden in dem Gesetze betreffend 
Aenderung im Finanzwesen vom 15. Juli 1909 verhältnismäßig weit- 
gehende Bestimmungen über die Schuldentilgung gegeben: Die bis- 
herigen Schulden sollten zu 1 Proz. jährlich getilgt werden, neu 
aufgenommene werbende Anleihen zu 1,9 Proz., nicht werbende 
Anleihen zu 3 Proz.; zugleich sind die ersparten Zinsen zur Tilgung 
zu verwenden. Nach dieser Bestimmung würden neu aufgenommene 
nicht werbende Anleihen innerhalb 22 Jahren getilgt sein. Wofern 
durch die Benutzung des Kredites nur ein Ausgleich der Schwan- 
kungen des jährlichen Bedarfs bezweckt werden soll, würde nach 
unseren früheren Ausführungen auch diese Frist erheblich zu lang 
sein. 

Der hier vertretenen Auffassung über die zweckdienliche 
Deckung des außerordentlichen Staatsbedarfs entspricht ungefähr der 
im Jahre 1908 von der Budgetkommission des Reichstags ange- 
nommene Antrag Erzberger und Paasche!), der in seinem zweiten 
Teile folgendermaßen lautet: „Auf den außerordentlichen Etat sind 
sonstige einmalige Ausgaben zu nehmen, die durch ihre Höhe das 
Gleichgewicht des Etatsjahres erheblich stören würden.“ Die in 
diesem Antrage vorgesehene Tilgungsfrist von ungefähr 23 Jahren 
wäre allerdings noch zu lang gewesen (siehe oben). 

Wenn nun auch die jährlichen Schwankungen des Reichsbedarfs 
in den letzten 20 Jahren nicht so erheblich waren, daß sehr hohe 
Anleihen hätten aufgenommen werden müssen, so ist doch der Fall 
denkbar, daß in Zukunft bei außergewöhnlich hohen Aufwendungen 
die Kontrahierung hoher Schulden erforderlich wird. Vor allem wäre 
dies im Kriegsfalle nötig, weiter (speziell in den Einzelstaaten) bei 
ungewöhnlich hohen Aufwendungen für die Verstaatlichung privater 
Unternehmungen oder für den Ausbau der Staatsbetriebe. 


In den bisherigen Ausführungen wurde festzustellen versucht, 
ob und unter welchen Verhältnissen die durch die Benutzung des 
Kredites erzielte Verschiebung einer steuerlichen Belastung auf die 
Zukunft erwünscht ist. Nun erschöpfen sich die Wirkungen von 
Steueru und Anleihen auf die Volkswirtschaft nicht in der jetzigen 
oder späteren Belastung der Steuerzahler, sondern sowohl bei Er- 
hebung einer Steuer als auch bei Aufnahme einer inneren Anleihe 
ist eine ungünstige Einwirkung auf die Volkswirtschaft dadurch mög- 
lich, daß Kapitalien produktiven Zwecken entzogen werden 
und der allgemeine Zinsfuß gesteigert wird. Diese Wirkungen 
sollen hier ihrem Umfange nach betrachtet werden. 

Es ist kein Zweifel, daß die Inanspruchnahme von Kapital in 
Form einer Anleihe eine erheblichere Steigerung des Zinsfußes und 


1) Berkum, Das Staatsschuldenproblem im Lichte der klassischen Nationalökonomie, 
Leipzig 1911, 8. 235. 


446 Arthur Friedmann, 


eine stärkere Verminderung der produktiven Zwecken dienenden 
Kapitalien mit sich bringt als die Erhebung einer gleich hohen 
Steuer: Bei Aufnahme einer Staatsschuld wird der allgemeine Zins- 
fuß soweit ansteigen (eventuell auch um so viel weniger sinken, 
als es sonst geschehen wäre), daß ein Kapitalbetrag in der Höhe der 
Anleihesumme zur Verfügung steht. In Aussicht der höheren Ver- 
zinsung wird einerseits Geld, das sonst Konsumzwecken gedient hätte, 
als Kapital verwandt, und andererseits werden Kapitalanlagen un- 
rentabel, die bei einem niederen Zinsfuße noch lohnend gewesen 
wären. Insbesondere werden auch Kapitalien, die sonst im Auslande 
angelegt waren, bei dem höheren Zinsfuße Anlage im Inlande suchen. 
Während so bei Aufnahme einer Staatsschuld eine Mehrung des 
gesamten Kapitalangebots erst auf Grund der durch die größere 
Kapitalnachfrage erzielten Steigerung des Zinsfußes bewirkt wird, 
wird bei Erhebung einer Steuer auch unabhängig von einer Steige- 
rung des Zinsfußes das Kapitalangebot nicht um den ganzen Betrag 
der Steuer vermindert, sondern es wird mindestens ein Teil der Steuer 
auch bei gleichbleibendem Zinsfuße aus dem Einkommen bestritten, 
indem entweder der Konsum eingeschränkt wird oder, was weniger 
wahrscheinlich ist, die Einnahmequellen vermehrt werden. Es bedarf 
also im Falle der Erhebung einer Steuer einer geringeren Steigerung 
des Zinsfußes und einer geringeren Inanspruchnahme sonst ander- 
weitig angelegter Kapitalien als bei Aufnahme einer Anleihe, um 
den gesamten vorhandenen Kapitalbedarf zu befriedigen. Ein wie 
großer Teil der Steuer aus dem Vermögen und ein wie großer Teil 
durch Einschränkung des Konsums bestritten wird, das hängt durch- 
aus von der Art der Steuer ab. Eine Steuer, die auch in erheblichem 
Maße de niederen Einkommen trifft, kann nur zum geringen Teile 
aus dem Vermögen bestritten werden. Eine Vermögenssteuer wird 
eher als eine Einkommenssteuer aus dem Vermögen aufgebracht. 
Aber auch solche Steuern, die ausschließlich die Besitzenden treffen, 
werden, wofern sie regelmäßig in einer Reihe von Jahren erhoben 
werden, vermutlich zum größten Teile dem Einkommen entnommen. 
Besonders diejenigen Personen, die eine Rente von gleichbleibender 
Höhe aus ihrem Kapitalbesitz ziehen, werden bei einer jährlich 
gleich hohen und mit den Jahren ansteigenden Belastung die Steuern 
aus den Zinsen des Kapitals aufbringen. Weit*eher als das bereits 
vorhandene Vermögen werden die Ersparnisse oder der sonstige Ver- 
mögenszuwachs zur Deckung eines Steueraufwandes herangezogen. 
Wie bei steigendem Einkommen die Ersparnisse stärker als der Ver- 
brauch wachsen, so werden auch bei einer Verminderung des Ein- 
kommens eher die Ersparnisse als der Konsum eingeschränkt. Nun 
ist aber bei fast sämtlichen Steuerzahlern der dem Konsum dienende 
Anteil sehr viel größer als der ersparte Teil des Einkommens, so daß 
bei einer Erhöhnug der Steuerleistung trotz der relativ starken Ver- 
minderung der Ersparnisse der Konsum im allgemeinen absolut 
mehr eingeschränkt wird. Da am ehesten solche Personen, die einen 
Vermögenszuwachs erfahren haben, eine Steuer aus dem Vermögen 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 2 447 


bestreiten, so wird eine Vermögenszuwachssteuer mehr als eine 
andere Steuer die Menge der produktiv angelegten Kapitalien be- 
schränken; besonders leicht wird die Erbschaftssteuer ausschließ- 
lich aus dem Vermögen gezahlt, so daß die Deckung eines Bedarfs 
durch eine Besteuerung des Nachlasses eine fast gleiche Steigerung 
des Zinsfußes wie die Aufnahme einer entsprechend hohen Anleihe 
zur Folge haben kann. — Zusammenfassend kann daher gesagt 
werden: So verschiedenartig auch die Verhältnisse je nach der Wahl 
der Steuer sind, so wird immer die Aufnahme einer Anleihe eine 
stärkere Steigerung des allgemeinen Zinsfußes bewirken, in ver- 
mehrtem Maße die Menge der anderweitig produktiv angelegten 
Kapitalien beschränken, als die Erhebung einer gleich hohen Steuer, 
da bei Aufnahme einer Staatsschuld unabhängig von einer Steige- 
rung des allgemeinen Zinsfußes keine Mehrung der überhaupt vor- 
handenen Kapitalien erfolgen würde, während bei Erhebung einer 
Steuer wenigstens ein Teil des Steuerbetrages nicht aus dem Ver- 
mögen, sondern aus dem Einkommen bestritten wird. 

Unter einer Voraussetzung, die wir bisher noch nicht berück- 
sichtigten, wäre auch bei einer Aufnahme von Anleihen eine Ver- 
mehrung des Kapitalangebots unabhängig von einer Steigerung des 
Zinsfußes möglich, wenn diejenigen Personen, die voraussichtlich 
in Zukunft die Steuern zur Verzinsung und Tilgung der Anleihen 
zu zahlen haben, in Erwartung der kommenden Steuern größere Er- 
sparnisse machen würden. Diese Annahme würde der Schlußfolgerung 
Soetbeers entsprechen, daß „die Unterschiede zwischen Steuern 
und Anleihen verschwinden würden, wenn in einem Lande alle Ein- 
wohner gleich wohlhabend wären und sich alle in gleichem Maße 
sowohl an einer zur Bestreitung von Staatsausgaben ausgeschrie- 
benen Anleihe beteiligten, wie die zu demselben Zwecke etwa be- 
liebten Steuern tragen würden“. (Ein jeder würde einen der auf- 
genommenen Schuld entsprechenden Anteil seines Vermögens für die 
Zinszahlung in kommenden Jahren reservieren.) — Nun sind aber 
diejenigen Personen, die später tatsächlich die Zinsen der heute 
aufgenommenen Anleihen in Form von Steuern aufzubringen haben, 
durchaus nicht mit denen identisch, die heute über das größere Ein- 
kommen oder Vermögen verfügen. Vielfach sind die jetzt aufge- 
nommenen Staatsschulden bis zum Tode der heutigen Steuerzahler 
noch nicht getilgt. Es ist auch unbekannt, durch welche Steuern 
die Zinsen der Anleihen in Zukunft aufgebracht werden, ob durch 
Steuern, die mehr die Reicheren oder mehr die Aermeren treffen etc. 
Und endlich werden viele Personen auch in der sicheren Aussicht 
auf eine künftige Belastung keine entsprechenden Ersparnisse 
machen. — Praktisch spielt jedenfalls eine etwaige Einschränkung 
Ss Konsums in Voraussicht einer kommenden Steuer kaum eine 

olle. ; 


Die durch die Aufnahme einer Anleihe (in stärkerem Maße 
als durch die Erhebung einer gleich hohen Steuer) bewirkte Steige- 


448 e Arthur Friedmann, 


rung des allgemeinen Zinsfußes bedeutet eine Einkommensver- 
schiebung zugunsten der Kapitalbesitzenden und zuun- 
gunsten der übrigen Bevölkerung und erscheint darum unerwünscht. 
Man darf die Steigerung des Zinsfußes in diesem Zusammenhange 
nicht insofern als günstig betrachten, daß dadurch eine Mehrung des 
Kapitalangebotes erzielt würde, denn die letztere bildet, wie wir 
dies oben ausführten, nur einen teilweisen Ausgleich für die Min- 
derung des Kapitalangebotes, die durch die Aufnahme von Staats- 
anleihen anstelle der Erhebung von Steuern verursacht wurde. 

Um die Bedeutung der Zinserhöhung infolge der Aufnahme 
einer Staatsschuld zu würdigen, wäre es vor allem wichtig zu wissen, 
wieviel Kapitalien eine Zinssteigerung erfahren und wie 
hoch dieselbe ist. Die Erhöhung des Zinsfußes bezieht sich in erster 
Linie auf die nach Aufnahme der Anleihe neu entliehenen Kapi- 
talien. Wenn der Staat zu einem gewissen Zeitpunkte Kapitalien 
beansprucht, so stehen zuerst relativ wenig Gelder zu neuen In- 
vestierungen zur Verfügung. Die Zinssteigerung wird also zuerst 
am erheblichsten sein, aber auch nur geringere Vermögensteile be- 
treffen. Mit der Zeit suchen mehr Gelder eine neue Anlage, 
für die dann ebenfalls eine höhere Verzinsung gefordert wird. — 
Auch für die bereits investierten Kapitalien wird eine höhere Ver- 
zinsung erstrebt, beispielsweise werden industrielle Unternehmungen 
durch Preissteigerung der von ihnen hergestellten Waren, eventuell 
auch durch Reduktion der Arbeitslöhne einen höheren Gewinn 
zu erzielen trachten, ebenso wie die Hausbesitzer durch Miets- 
steigerung die Verzinsung ihrer Kapitalien zu erhöhen suchen. 
Würden bei einem allgemeinen Anziehen des Zinsfußes die Divi- 
denden der Aktiengesellschaften nicht in die Höhe gehen, so würde 
der Kurswert der Aktien sinken, und ebenso würde der Kaufpreis 
eines Mietshauses heruntergehen, wenn nicht bei steigendem Zins- 
fuß der Mietertrag entsprechend anstiege. Die kapitalistischen Unter- 
nehmungen sind insofern bei dauernd teurem Gelde eher in der Lage, 
die Preise ihrer Produkte oder Leistungen zu erhöhen, als neue 
Konkurrenzunternehmungen ihre Kapitalien entsprechend höher ver- 
zinsen müssen. — Unternehmungen, die auf fremdes Kapital an- 
gewiesen sind, werden dann, wenn Geld nur zu höherem Preise zu 
beschaffen ist, ihr eigenes Kapital unter Umständen nur niedriger 
als bisher verzinsen können. Die durchschnittliche Verzinsung des 
gesamten in einem Betriebe investierten (eigenen und fremden) 
Kapitals wird jedoch bei teurem Gelde mindestens ebenso hoch wie bei 
billigem sein. Zuweilen werden sich auch industrielle Unternehmungen, 
die sich bei einer Erhöhung des Zinsfußes fremdes Geld nur schwer 
beschaffen können, mit weniger Kapital begnügen müssen, und dann 
— bei einer weniger rationellen Betriebsführung — nicht mehr so 
rentabel wie früher arbeiten. — Auch städtische Grundbesitzer, die 
fremdes Kapital in Anspruch nehmen, erzielen bei steigendem Zins- 
fuße einen niedrigeren Gewinn, wenn sie eine entsprechende Steige- 
rung des Mietpreises nicht durchsetzen können. Die Verzinsung 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 449 


des gesamten (fremden und eigenen) Kapitals wird aber auch hier 
bei steigendem Zinsfuß im Durchschnitt höher als bei niederem Zins- 
fube sein. 

Es ist nun kaum möglich abzuschätzen, wie hoch die in dem ein- 
zelnen Falle bewirkte Steigerung des Zinsfußes ist und auf wieviel 
Kapitalien sie sich bezieht. Die Wirkung einer einzelnen Anleihe 
auf den Zinsfuß läßt sich durchaus nicht verfolgen. Die Verhältnisse 
des Geldmarktes unter dem Einfluß der Emission einer Anleihe geben 
uns in dieser Hinsicht keinen Aufschluß, denn eine eventuelle Steige- 
rung des Diskonts auf Ankündigung einer Anleihe hin oder an den 
einzelnen Einzahlungsterminen ist von der Menge der im Augenblick 
zur Verfügung stehenden Kapitalien abhängig; auf die dauernde Be- 
einflussung des Zinsfußes ist daraus kein Schluß möglich. — Man 
glaubt vielfach, daß der relativ hohe Zinsfuß in Deutschland im 
Vergleich zu England und Frankreich und speziell der niedere Kurs- 
stand der Anleihen (die höhere Realverzinsung derselben) wesent- 
lich durch die starke Inanspruchnahme des Marktes durch Reichs-, 
Staats- und Kommunalanleihen bewirkt ist. So sagt Schwarz!) 
speziell inbezug auf die niedrige Verzinsung der Staatspapiere, die 
große Schuldenvermehrung des letzten Jahrzehntes habe zweifellos 
die Rentenkurse besonders ungünstig beeinflußt. Er bemerkt aber 
zugleich, man dürfe der Tatsache der Schuldenvermehrung eine zu 
große oder gar ausschlaggebende Bedeutung für die Kurse der Renten 
nicht beimessen. Er beruft sich darauf, daß die Senkung der Kurse 
nicht immer der Menge der Neuemissionen von Anleihen entsprach. 
— Für die Höhe des Zinsfußes ist auf der einen Seite der Kapital- 
reichtum des Landes und die Menge der jährlichen Ersparnisse maß- 
gebend (man nimmt an, daß der Kapitalreichtum Deutschlands auch 
heute noch etwas geringer als in den westlichen Ländern ist), auf 
der anderen Seite die Kapitalbedürfnisse der Landwirtschaft, der In- 
dustrie und vor allem des Baumarktes, die in Deutschland, insbe- 
sondere wegen seiner rasch wachsenden Bevölkerung, größer als 
speziell in Frankreich sind. In der Reichstagsdenkschrift zur Reichs- 
finanzreform, An der die Beziehungen zwischen Anleihe und Diskont 
untersucht werden, wird betont: „Es sei wesentlich der außerordent- 
lich starke Geldbedarf der deutschen Volkswirtschaft für die Zwecke 
ihres weiteren Ausbaus, der es rechtfertige, wenn von dem Kredit 
suchenden Reiche oder den Einzelstaaten oder den Kommunen ein 
höherer Zinsfuß gefordert wird, als einige ausländische Staaten zu 
zahlen haben.“ Immerhin wird auch hier zugegeben: „Die Zu- 
spitzung der Geldverhältnisse in Deutschland im letzten Jahrzehnt 
sei zum guten Teil herbeigeführt durch die enorm gewachsenen Ka- 
pitalbedürfnisse von Reich, Staat und Kommunen. Insbesondere 
habe die immer umfangreichere Inanspruchnahme des Marktes durch 


1) Der Kurs der deutschen Reichs- und Staatsanleihen, Handbuch der Politik, 
Bd. 2, S. 204. 
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 29 


450 Arthur Friedmann, 


kurzfristige unverzinsliche Schatzanweisungen einen ungünstigen Ein- 
fluß auf den Kapitalmarkt und demgemäß auf die gesamte Volks- 
wirtschaft ausgeübt“ 1). 

Die Bedeutung der Kreditansprüche von Staat und Gemeinden 
im Vergleich zu den sonstigen Kapitalbedürfnissen der Volkswirt- 
schaft wird einigermaßen aus der Tatsache ersichtlich, daß von den 
in den letzten 5 Jahren zum Handel an den deutschen Börsen zuge- 
lassenen Wertpapieren "je auf inländische Staats- und Kommunal- 
anleihen kamen. Von dem gesamten deutschen Kapitalvermögen 
mögen heute 12—15 Proz. in inländischen öffentlichen Anleihen 
investiert sein. — Diese Daten machen es wahrscheinlich, daß die 
Menge der in einem Jahre emittierten Staatspapiere von erheblichem 
Einfluß auf den allgemeinen Zinsfuß ist. Aber einen näheren Auf- 
schluß darüber, wieviel niedriger der herrschende Zinsfuß wäre, 
wenn ein gewisser Betrag Anleihen weniger aufgenommen wäre, 
können wir natürlich aus den gegebenen Daten nicht gewinnen. 


Wenn nun auch die Wirkung einer Schuldenaufnahme auf die 
Höhe des herrschenden Zinsfußes und damit auf die Einkommens- 
verteilung nur schwer abzuschätzen ist, so lassen sich wenigstens 
darüber einige Angaben machen, unter welchen Verhältnissen bei 
Begebung von Anleihen eine geringere oder eine stärkere Erhöhung 
des Zinsfußes zu erwarten steht: Zu Zeiten, in denen bereits die An- 
sprüche an den Geldmarkt stark sind, oder in denen eine geringere 
Menge Kapitalien eine neue Anlage sucht, ist die augenblickliche Er- 
höhung des Zinsfußes erheblicher. Weiter ist die anfängliche Steige- 
rung des Zinsfußes bei größeren Anleihesummen häufig unver- 
hältnismäßig bedeutender als bei kleinen Beträgen. — Bei einem 
bereits vorhandenen höheren Zinsfuße wird durch eine bestimmte 
Kapitalnachfrage ein absolut stärkeres Anziehen des Zinsfußes 
herbeigeführt (die Steigerung von 2 Proz. auf 21/, Proz. bewirkt eine 
bedeutendere Vermehrung des Kapitalangebots als eine Steigerung 
von 6 auf Dis Proz.). — Eine wie große und wie lang anhaltende 
Erhöhung des Zinsfußes durch die Kreditinanspruchnahme des Staates 
bewirkt wird, das hängt endlich auch in hohem Maße davon ab, ob 
in dem einzelnen Falle ein mehr oder minder großer Zufluß von Ka- 
pitalien aus dem Auslande zu erwarten steht. — 

Jedenfalls darf man vermuten, daß die ungünstige Wirkung der 
Kreditbeschaffung durch den Staat auf die Höhe des Zinsfußes und 
damit auf die Einkommenverteilung stark ins Gewicht fällt neben 
dem von uns früher besprochenen Nachteile einer zu hohen steuer- 
lichen Belastung der Zukunft. Da die Zinssteigerung leicht eine be- 
deutende Menge von Kapitalien betrifft (einen beträchtlichen Teil 
des insgesamt vielleicht 200 Milliarden M. betragenden Kapitalver- 
vermögens der Nation), so ist schon die Wirkung einer, wenn auch 
geringen Zinssteigerung auf die Einkommensverteilung bedeutungsvoll. 


1) Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 4, 8. 251. 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. - 451 


Inı Anschluß an die Betrachtungen über die schädlichen Wir- 
kungeu der Schuldenaufnahme auf die Einkommensverteilung sind 
die durch die Entziehung produktiver Kapitalien verur- 
sachten Nachteile zu besprechen. Schon oben wurde betont, daß die 
bei Aufnahme innerer Anleihen in Anspruch genommenen Kapi- 
talien drei verschiedenen Quellen entstammen: Es handelt sich ent- 
weder um infolge der Zinssteigerung neu ersparte Kapitalien oder um 
Kapitalien, die auch anderenfalls Anlage im Inlande gefunden hätten, 
oder endlich um solche Gelder, die indirekt dem Auslande ent- 
stammen. — Es ist nicht wahrscheinlich, daß allein in Aussicht der 
höheren Verzinsung erheblich mehr Summen erspart werden. Viele 
Personen veranlaßt nicht so sehr die Aussicht auf eine höhere Ver- 
zinsung zum sparen als der Wunsch, die ihnen jetzt zur Verfügung 
stehenden Mittel einem künftigen Verbrauche vorzubehalten. Wenn 
allerdings infolge der Inanspruchnahme von Kapitalien seitens des 
Staates der Zinsfuß absolut ansteigt, so werden manche Personen, 
die in erheblichem Maße fremdes Kapital benutzen, um überhaupt 
ihren Verpflichtungen nachkommen zu können, zu eigenen Erspar- 
nissen gezwungen!). Wahrscheinlich ein größerer Teil der vom 
Staate beanspruchten Kapitalien wird dadurch aufgebracht, daß ander- 
weitige inländische Kapitalanlagen, die bei dem höheren Zinsfuße 
unrentabel sind, unterlassen werden. — Was endlich die Zuwande- 
rung von Kapitalien aus dem Auslande anbetrifft, so wird solche 
nicht allein dadurch ermöglicht, daß von Inländern erworbene Staats- 
schuldscheine an das Ausland verkauft werden, sondern bei der all- 
gemeinen Erhöhung des inländischen Zinsfußes werden auch sonst 
Kapitalien, die anderenfalls im Auslande investiert worden wären, 
Anlage im Inlande suchen. Bei dem ausgedehnten internationalen 
Geldverkehr ist es schwer abzuschätzen, ein wie großer Teil der 
Kapitalien so indirekt dem Auslande entstammt. 


Wagner bespricht in Uebereinstimmung mit einigen anderen 
Autoren auch die Möglichkeit, daß bei Kreditinanspruchnahme des 
Staates disponible (sonst müssig liegende) Kapitalien zur Ver- 
fügung gestellt werden. Mögen nun auch zu manchen Zeiten etwas 
größere Goldvorräte im Besitze von Privaten oder Banken sein, so 
hätten dieselben doch auch im Falle der Nichtaufnahme einer Anleihe 
bereits nach kurzer Zeit Anlage gefunden; diejenigen Privatpersonen 
aber, die auch heute noch ihr erspartes Geld zu Hause bewahren, 
ohne es als Kapital zu verwenden, werden auch durch die Veraus- 
gabung einer neuen Anleihe kaum zu einer Investierung ihrer Er- 
sparnisse veranlaßt werden. Wagner selbst gibt zu, daß die Deckung 


1) Beispielsweise muß sich ein Hausbesitzer, dem eine billigere Hypothek ge- 
kündigt wurde, und der bei einem gleichbleibenden Mietertrag seines Hauses eine teuere 
Hypothek von nur geringerer Höhe aufnehmen kann, einen Teil der auszuzahlenden 
Summe aus anderweitigen Mitteln beschaffen. Wenn er unter diesen Verhältnissen seine 
Lebenshaltung einschränkt, um die betreffende Summe zu ersparen, so werden Gelder, 
die andernfalls Konsumzwecken gedient hätten, als Kapital verwandt. 


29* 


452 Arthur Friedmann, 


des Anleihebedarfs aus disponiblen Kapitalien keine große Rolle 
spielt). 

Bei den in Fortfall kommenden inländischen Kapitalinvestie- 
rungen handelt es sich meist um produktive Anlagen; der Kon- 
sum kredit ist relativ selten. Von der Möglichkeit, daß bei Erhebung 
einer Anleihe weniger Kapitalien in anderweitigen Reichs-, Staats- 
oder Kommunalanleihen Anlage finden, sehen wir ab, da wir die 
gesamten inländischen Anleihen einheitlich betrachten und nur fragen, 
wie eine Vermehrung derselben auf den Kapitalmarkt wirkt. Soweit 
nun Kapitalien einer inländischen produktiven Anlage entzogen 
werden, wäre zu unterscheiden, ob es sich um bereits früher in- 
vestierte (Betriebs-)Kapitalien handelt, oder ob die betreffenden 
Gelder nur im Falle der Nichtaufnahme der Anleihe anderweitig an- 
gelegt worden wären. Bezüglich der volkswirtschaftlichen Nach- 
teile des Unterbleibens produktiver Kapitalanlagen kommt es nicht in 
Frage, daß der Kapitalist auf seinen Kapitalgewinn verzichtet, denn 
er legt seine Gelder ebenso vorteilhaft anderweitig — in Staats- 
papieren — an. (Es ist in diesem Zusammenhange gleichgültig, daß 
der Kapitalist bei Anlage seines Geldes in Staatspapieren den 
Zinsgewinn nur auf Kosten der Allgemeinheit erzielt, denn es wurde 
bereits früher die stärkere Belastung der Steuerzahler infolge der 
Zinsverpflichtung des Staates in Betracht gezogen.) Das Unter- 
lassen produktiver Kapitalanlagen bedeutet aber insofern leicht einen 
volkswirtschaftlichen Verlust, als sich der Nutzen der Investierungen 
nicht ganz in dem Gewinne der Kapitalisten erschöpft. Bei Anlage 
von Kapitalien in der Industrie, im Handel oder in der Landwirt- 
schaft kommt vielfach nicht der gesamte Mehrertrag, der durch diese 
Kapitalien erzielt wird, dem Kapitalbesitzenden zugute. Werden 
etwa durch vermehrte Verwendung von Produktionsmitteln die Her- 
stellungskosten von Waren herabgesetzt, so erfolgt der Verkauf oft 
zu einem niedrigeren Preise als früher; einmal sind die Produktions- 
kosten bei niederem Preise und größerem Umsatze häufig geringer, 
und ferner drückt die Konkurrenz leicht einen abnorm hohen Ka- 
pitalgewinn herab. Allerdings werden gerade diejenigen Kapital- 
anlagen, die bei einer Steigerung des allgemeinen Zinsfußes in Fort- 
fall kommen, im allgemeinen keine erhebliche, über die Verzinsung 
des Kapitals hinausgehende Verbilligung der Produktion bewirken; 
es wäre sonst auch bei einem allgemein höheren Zinsfuße eine höhere 
Verzinsung dieser Anlagen erzielt worden. 

Bedeutender scheint die nachteilige Wirkung der Kapitalent- 
ziehung in den Fällen, in denen bereits investierte (Betriebs-)Kapi- 
talien ihren Zwecken entzogen werden. Dieser Fall würde eintreten, 
wenn die Kapitalnachfrage von seiten des Staates nicht nur ein Herab- 
gehen des allgemeinen Zinsfußes verhindert, sondern eine absolute 
Steigerung desselben bewirkt. Durch eine solche Entziehung bereits 
angelegter Kapitalien würden diejenigen Personen geschädigt, die, 


1) Schönbergs Handbuch, Bd. III 1, 4. Aufl., S. 786. 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 453 


wie beispielsweise die Landwirte, in stärkerem Maße auf den Kredit 
angewiesen sind. — Diejenigen industriellen Betriebe, die sich bei 
teurem Gelde mit weniger Kapital begnügen müssen, würden, wie 
bereits früher angeführt, unter Umständen weniger rationell ar- 
beiten. — Die Einstellung oder Einschränkung von Betrieben in- 
folge Kapitalmangels wird auch leicht zu einer Vermehrung der 
Arbeitslosigkeit führen. Es ist zwar nicht richtig, daß die Zahl der 
zu beschäftigenden Arbeiter durchaus von der Menge der zur Ver- 
fügung stehenden Kapitalien abhängt: kamen doch in früheren 
Zeiten sehr viel weniger Produktionsmittel auf den einzelnen Ar- 
beiter als heute; es paßt sich im Produktionsprozeß die auf das 
einzelne Produkt verwandte Kapital- und Arbeitsmenge der Größe 
des zur Verfügung stehenden Kapitals und der Zahl der vorhandenen 
Arbeitskräfte an. Wenn aber einmal dauernd mehr Kapitalien und 
dementsprechend größere Mengen von Produktionsmitteln für die 
Beschäftigung einer bestimmten Zahl von Arbeitern zur Verfügung 
standen, so kann bei einer nur zeitweisen Verminderung der vor- 
handenen Kapitalien nicht so leicht die Beschäftigung von Arbeitern 
mit einem geringeren Aufwand von Produktionsmitteln durchgeführt 
werden. 

Die zuweilen vertretene Auffassung, daß es unter gewissen Ver- 
hältnissen für die der Volkswirtschaft zur Verfügung gestellten Ka- 
pitalien keine produktive Verwendung gäbe, ist irrig. Der Ansicht 
Dietzels, daß beispielsweise im Kriegsfalle privates Kapital ver- 
geudet würde, widersprach bereits Nasse mit dem Hinweise, daß 
das Selbstinteresse der Kapitalisten in der Regel eine unrentable An- 
lage verhindert!). — Bei einem Heruntergehen des Zinsfußes werden 
jederzeit neue Kapitalanlagen wieder rentabel, und zwar wird bei 
einem schon vorhandenen niederen Zinsfuße eine absolut geringere 
Ermäßigung des Zinsfußes genügen, um für eine gewisse Menge 
Kapitalien produktive Verwendung zu schaffen. Mögen auch die 
Banken zeitweise um eine nutzbringende Verwendung ihrer Gelder 
verlegen sein, so bezieht sich dies doch nur auf die Anlage zu einem 
bestimmten Zinsfuße. Es kommt heute nicht vor, daß auch bei einem 
niedersten Zinsfuße keine Verwendungsmöglichkeit der Gelder exi- 
stiert. Schon die Tatsache, daß verschiedene Betriebe des gleichen 
Produktionszweiges heute sehr bedeutende Unterschiede in ihrer 
Kapitalausstattung zeigen, weist auf die Möglichkeit einer Vermeh- 
rung der produktiven Kapitalanlagen hin. 

Ist es also auch nicht zutreffend, daß unter Umständen für neu 
ersparte Kapitalien keine passende Verwendung besteht, so ist es 
doch möglich, daß unter gewissen Verhältnissen (zu Zeiten starker 
Spekulation) eine unzweckmäßige Verwendung der vorhandenen Ka- 
pitalien erfolgt. Unter solchen Verhältnissen mag der Staat gut tun, 
einen Teil der zur Verfügung stehenden Kapitalien durch Kontra- 
hierung kurzfristiger Schulden an sich zu ziehen und so einer 


1) Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Jahrg. 1868, S. 6. 


454 Arthur Friedmann, 


drohenden Krise vorzubeugen). Solche Fälle mögen allerdings selten 
sein, und es fragt sich, ob der Staat besser imstande ist, die jeweilige 
Konjunktur zu beurteilen, als die Kapitalisten, die er vor einer Ver- 
schwendung ihrer Kapitalien schützen will. Auch würden durch 
eine derartige Anleihe nicht nur unerwünschte Kapitalinvestie- 
rungen (eventl. im Auslande), sondern auch an sich zweckmäßige 
Anlagen verhindert werden. — Es wäre falsch zu glauben, daß 
immer dann, wenn viel Kapitalien zur Verfügung stehen, der Zins- 
fuß niedrig ist, eine Ueberspekulation und eine Vergeudung von Ka- 
pitalien zu befürchten ist. Roscher bezeichnet es beispielsweise 
als einen Nachteil eines niederen Zinsfußes, daß viele Personen ihr 
Geld in gewagte Spekulationen stecken. Volkswirtschaftlich schädlich 
sind nicht diejenigen spekulativen Unternehmungen, die bei richtiger 
Abschätzung aller Aussichten mit mehr oder weniger großer Wahr- 
scheinlichkeit einen positiven Erfolg versprechen, sondern nur 
solche Unternehmungen, bei denen die Gewinnmöglichkeiten geringer 
als die Verlustmöglichkeiten sind. Zu solchen Unternehmungen 
lassen sich die Kapitalisten vor allem dann verleiten, wenn die allge- 
meine wirtschaftliche Lage die Gewinnaussichten zu günstig er- 
scheinen läßt. Wenn plötzlich viel Kapitalien zur Verfügung stehen, 
der Zinsfuß sinkt, und Unternehmungen möglich werden, an die vor 
kurzer Zeit noch nicht gedacht wurde, so werden leicht die Ge- 
winnaussichten neuer Unternehmungen überschätzt. Das gleiche 
kann aber auch zu Zeiten aufsteigender Konjunktur bei einem bereits 
höheren Zinsfuße geschehen. Bei dauernd niedrigem Zinsfuße 
liegt kein Anlaß vor, die Aussichten optimistischer als bei höherem 
Zinsfuße zu beurteilen. — Ist der Zinsfuß vorübergehend niedrig, so 
werden allerdings solche Personen, die mit einer höheren Verzinsung 
ihrer Kapitalien rechneten, zu unsicheren Anlagen greifen. Im all- 
gemeinen werden aber auch diese gewagteren Anlagen unter Ab- 
schätzung der Gewinn- und Verlustmöglichkeiten noch aussichtsvoll 
erscheinen. Bei einem dauernd niederem Zinsfuße würden auch 
derartige spekulative Anlagen kaum häufiger als bei einem dauernd 
höheren Zinsfuße gemacht werden. 


Die früheren Ueberlegungen hatten bereits gezeigt, daß mit Rück- 
sicht auf die voraussichtlich geringe Steigerung des Wohlstandes die 
Verschiebung einer heute erforderlichen Steuerleistung auf die Zu- 
kunft nicht gerechtfertigt ist, daß im Gegenteil eine Tilgung der vor- 
handenen Schulden anzustreben ist. Da sich nun die schädlichen 
Wirkungen einer Anleihe nicht nur auf die stärkere Belastung der 
Zukunft beziehen, sondern infolge der Steigerung des allgemeinen 
Zinsfußes eine Einkommensverschiebung zugunsten der Kapitalisten 
und zuungunsten der übrigen Bevölkerung herbeigeführt wird, deren 
Umfang sich allerdings schwer abschätzen läßt, die aber möglicherweise 
noch nachteiliger wirkt als die Verschiebung einer heute erforderlichen 
Besteuerung auf die Zukunft, und da weiter bei Inanspruchnahme 


1) Vgl. Wagner, Finanzwissenschaft I, 1883, 3. Aufl., S. 157. 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 455 


von Kapital seitens des Staates Kapitalien anderen produktiven 
Zwecken entzogen werden, so ist in normalen Zeiten, in denen 
weder die allgemein wirtschaftlichen Verhältnisse be- 
sonders ungünstig, noch die Staatsausgaben besonders 
hoch sind, erst recht eine Tilgung der bereits vorhan- 
denen Anleihen zu befürworten. In welchem Umfange die 
Tilgung der Anleihen erfolgen soll, das hängt einmal davon ab, ob 
eine mehr oder minder günstige Entwicklung des allgemeinen Wohl- 
standes und im besonderen der Staatsfinanzen in Aussicht steht und 
weiter davon, eine wie günstige Wirkung auf die Volkswirtschaft 
durch Ermäßigung des allgemeinen Zinsfußes und durch Vermehrung 
der produktiven Zwecken dienenden Kapitalien infolge der Rück- 
zahlung der Schulden zu erwarten ist. Ist nun auch gemäß den 
früheren Ausführungen gerade über den letzten Punkt nur schwer 
ein Urteil möglich, so muß doch in der Praxis versucht werden, 
unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Verhältnisse die 
Höhe der in einem bestimmten Jahre vorzunehmenden Tilgungen ab- 
zuschätzen. Man wird etwa bei Feststellung eines Tilgungsplanes zu- 
nächst eine jährlich gleich hohe Tilgungssumme in Aussicht nehmen, 
dann aber in Zukunft, bei der endgültigen Festsetzung der Tilgungs- 
raten, auf die Schwankungen der wirtschaftlichen Verhältnisse im 
allgemeinen als auch auf die Schwankungen der Staatseinnahmen und 
Staatsausgaben im besonderen Rücksicht nehmen: es wird in wirt- 
schaftlich ungünstigeren Jahren eine geringere Summe, in wirtschaft- 
lich günstigeren Jahren eine höhere Summe zu tilgen sein. In Jahren, 
in denen durch Rückzahlung einer Anleihe eine Ermäßigung eines 
zu hohen Zinsfußes und dadurch eine günstige Beeinflussung der 
Eınkommensverteilung, sowie eine Vermehrung der produktiven 
Zwecken dienenden Kapitalien zu erwarten ist, würden höhere 
Summen amortisiert werden. ` 


Nachdem wir die Wirkung von Anleihen auf die Steuerbelastung 
von Gegenwart und Zukunft und auf die Volkswirtschaft im allge- 
meinen betrachtet haben, fragt es sich noch, ob die Aufnahme der 
Anleihe im Interesse der Kapitalisten (der Erwerber der 
Staatsschuldscheine) zu erstreben ist. Es ist vielfach behauptet 
worden, die Zinsverpflichtung, die der Staat bei Aufnahme einer 
inneren Anleihe auf sich nimmt, sei darum weniger erheblich, weil 
die Zinsen des entliehenen Kapitals doch wieder einzelnen Staats- 
angehörigen zugute kämen. Wie wir nun früher zeigten, wird bei 
Aufnahme einer Anleihe wahrscheinlich nur ein kleinerer Teil der 
Kapitalien durch Ersparung, ein größerer Teil aber dadurch aufge- 
bracht, daß andere Kapitalien einer sonstigen inländischen Anlage 
entzogen werden oder vom Auslande zuwandern. Es würden also 
diejenigen Erwerber der Staatsschuldscheine, die im Falle der 
Nichtaufnahme der Staatsanleihe ihre Gelder anderweitig angelegt 
hätten, aus dem Besitze der Anleihen nur insofern Gewinn ziehen, 
als sie etwas höhere Zinsen erhalten. Da nun aber nach den früher 


456 Arthur Friedmann, 


angeführten Gründen die Kontrahierung einer Staatsschuld im allge- 
meinen auch schon zu dem Zinsfuße, wie er vor Aufnahme der An- 
leihen existierte, unerwünscht ist, so würde bei der Begebung der 
Anleihe zu einem höheren Zinsfuße nur noch zu dem bereits sonst 
vorhandenen nachteiligen Wirkungen eine an sich unerwünschte 
Einkommensverschiebung zuungunsten des Staates und zugunsten 
der Kapitalisten hinzukommen. Denjenigen Personen aber, die 
sich erst infolge des gestiegenen Zinsfußes zu einer Kapitalanlage 
veranlaßt sehen, ist relativ wenig an der Verzinsung ihrer Kapi- 
talien gelegen: sie hatten früher die Möglichkeit, einen nur wenig 
niedrigeren Kapitalgewinn als jetzt zu erzielen, sie zogen es aber 
vor, einen entsprechenden Betrag zu konsumieren. 

Wenn man eine Vermehrung der Ersparnisse im eigenen 
Interesse der Sparer wünscht, so denkt man besonders an die 
Personen mit niedrigem und schwankendem Einkommen. Es liegt 
auf der Hand, daß in diesen Fällen die Erhöhung des Zinsfußes 
von geringerer Bedeutung ist, da, wie schon früher ausgeführt, die 
kleineren Sparer nicht so sehr an den Zinsgewinn aus ihrem Ka- 
pital denken als daran, sich für Zeiten dringenderen Bedarfes etwas 
zurückzulegen. 

Auch in der gesicherten Verzinsung der Staatsanleihen 
kann ein erheblicher Vorteil für die Sparer nicht erblickt werden, 
denn es besteht heute vielfach Gelegenheit, Kapitalien annähernd so 
sicher wie in Staatspapieren anzulegen, in mündelsicheren Pfand- 
briefen, Hypotheken etc. Für die große Masse der Bevölkerung ist 
die Benutzung der Sparkassen oder die Deponierung des Geldes bei 
Banken im allgemeinen geeigneter als der Kauf von Staatspapieren, 
die zwar eine etwas höhere Verzinsung gewährleisten, aber Kapital- 
verluste nicht ausschließen. Die Sparkassen ihrerseits sind nur in 
geringerem Grade auf den Erwerb von Staatsanleihen angewiesen, 
sie müssen zur Erhaltung ihrer Liquidität nur einen Teil ihrer Ein- 
lagen in Inhaberpapieren anlegen. Die preußischen Sparkassen hatten 
im Jahre 1911 nur 23 Proz. ihres Vermögens in Inhaberpapieren 
angelegt, etwa 12 Proz. entfielen auf Anlagen bei öffentlichen In- 
stituten und Korporationen (zum größten Teil Gemeinde-, Schul- 
verbände etc. und Kreisverwaltungen). 1908 betrugen die Anlagen 
in Schuldverschreibungen des Reiches und Preußen nur reichlich 
1 Milliarde M. oder 101/, Proz. des Vermögens!). Die Sparkassen 
in den nichtpreußischen Bundesstaaten (mit Ausnahme von Hessen 
und Braunschweig) hatten im Jahre 1907 nur 171/, Proz. ihres Ver- 
mögens in Reichs-, Staats- und Kommunalanleihen angelegt oder 
direkt an Kommunen ausgeliehen?). Die Anlagen aller deutschen 
Sparkassen absorbierten in demselben Jahre nur 81/, Proz. der 
Reichsanleihen und 8 Proz. der bundesstaatlichen Anleihen 3). — 


1) Zeitschrift des Preußischen statistischen Landesamtes, 1910, Bd. 50, S. 302. 
2) Reichstagsdenkschrift zur Reichsfinanzreform, Bd. 4, S. 265. 
3) Ebenda, S. 244 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 457 


Wenn heute eine gesetzliche Verpflichtung der Sparkassen, einen 
Teil ihrer Einlagen in Staatspapieren anzulegen, angestrebt wird, so 
geschieht dies nicht nur im Interesse dieser Institute, sondern auch 
um eine günstige Beeinflussung des Kursstandes der Anleihen her- 
beizuführen. Selbst wenn die Sparkassen 20 Proz. oder gar 30 Proz. 
der Einlagen zum Ankauf von Staatspapieren verwenden müssen, so 
würde immerhin erst ein Bruchteil der Staatsschuldscheine unter- 
gebracht sein. 


Eine Rücksichtnahme auf die Sparer kann also unter den 
heutigen Verhältnissen eine Vermehrung der Staatsschuld oder auch 
nur eine langsamere Tilgung bestehender Schulden nicht recht- 
fertigen. 


Ist bisher die Berechtigung der Anleihen nach allgemeinen 
Gesichtspunkten betrachtet, so soll im folgenden geprüft werden, 
wieweil diejenigen Lehren gerechtfertigt sind, die die Zweckdienlich- 
keit einer Schuldenaufnahme nach dem speziellenVerwendungs- 
zwecke der Anleihen beurteilen. 


Die wichtigste Rolle, sowohl bei der theoretischen Auseinander- 
setzung über diesen Gegenstand als auch in der Praxis, spielt die 
Scheidung der Anleihen in solche zu werbenden und zu nicht- 
werbenden Zwecken. Für Aufwendungen zu nichtwerbenden 
Zwecken wird die Kreditdeckung nur ausnahmsweise gestattet, wäh- 
rend dieselbe für werbende Aufwendungen vielfach als Regel oder 
doch als zulässig gilt. Man argumentiert so: Die werbende Ausgabe 
verschaffe dem Staate in den kommenden Jahren Einnahmen, die 
noch über die erforderliche Verzinsung des Schuldkapitals hinaus- 
gehen. Da die Zinsen einer aufzunchmenden Schuld aus dem Ertrage 
des Unternehmens gedeckt werden, bedürfe es nicht der Erschließung 
einer neuen Steuerquelle. Dieser Folgerung liegt die Auffassung zu- 
grunde, daß Staatswirtschaft und Volkswirtschaft weitgehend von- 
einander unabhängig seien: Der Staat erhalte aus dem Gewinn der 
privatwirtschaftlichen Unternehmungen einen gewissen Betrag, den 
er wiederum für Staatszwecke — als Anleihezinsen — verausgaben 
könne. Nun bedeutet aber die Aufnahme einer Anleihe zu wer- 
benden so gut wie zu nicht werbenden Zwecken immer die Verschie- 
bung einer steuerlichen Belastung auf die Zukunft unter einer ent- 
sprechenden Erhöhung des Gesamtaufwandes. Wenn bei einer wer- 
benden Anleihe auch die Schuldzinsen aus den Erträgnissen des 
Unternehmens aufgebracht werden, so sind doch in Zukunft um den 
Betrag der Anleihezinsen höhere Steuern erforderlich, als wenn kein 
Kredit beansprucht wäre, sondern die Kapitalien des Unternehmens 
sofort durch Steuern beschafft wären. 

Eine werbende Ausgabe könnte höchstens darum eher als eine 
nichtwerbende zur Aufnahme einer Anleihe berechtigen, weil die 
für die Zukunft zu erwartenden Erträgnisse des Unternehmens eine 


458 Arthur Friedmann, 


Mehrung des Volkswohlstandes bedeuten, und weil die (künftige) 
Deckung des Bedarfs aus den Einkünften eines Erwerbsunternehmens 
gewisse Vorzüge vor der (jetzigen) Steuerdeckung hat. Die in Aus- 
sicht stehenden Erträgnisse der staatlichen Unternehmungen werden 
aber im allgemeinen eine im Vergleich zu der ohnedies zu erwartenden 
Steigerung des Nationaleinkommens geringe Mehrung des Volks- 
wohlstandes darstellen; selbst jene größere, unabhängig von irgend- 
welchen staatlichen Kapitalanlagen zu erwartende Wohlstandssteige- 
rung gäbe nach unseren früheren Auseinandersetzungen keinen ge- 
nügenden Anlaß, eine jetzt erforderliche Steuerleistung auf die Zu- 
kunft zu verschieben. Und was den zweiten Punkt, die Vorteile einer 
Bedarfsdeckung aus den Einkünften eines Erwerbsunternehmens vor 
eigentlichen Steuern anbetrifft, so haben allerdings die Erwerbsein- 
künfte speziell vor direkten Steuern den Vorzug, daß die Belastung 
weniger empfunden wird, und Steuerhinterziehungen nicht möglich 
sind. Immerhin ist es gerade bei den wichtigsten privatwirtschaft- 
lichen Unternehmungen des Staates, den Eisenbahnen, fraglich, ob 
es zweckmäßig ist, höhere Ueberschüsse aus denselben anzustreben, 
da die Kosten der einzelnen Beförderungsleistung aus betriebstech- 
nischen Gründen bei niederen Tarifen und stärkerem Verkehr ge- 
ringer sind. 

Vom Jahre 1892 bis zum Jahre 1912 vermehrte sich die Schulden- 
last in Preußen um annähernd 4 Milliarden M. Wenn die neuen An- 
leihen auch nicht sämtlich zu werbenden Zwecken aufgenommen 
wurden (die Eisenbahnschuld stieg in der gleichen Zeit nur um 1,8 
Milliarden M.), so wurde doch in den 20 Jahren allein das Anlage- 
kapital der Eisenbahnen um über 4 Milliarden M. vergrößert. Bei 
der Höhe dieser Summen mochte es in der Tat zweckmäßig sein, 
wenigstens einen Teil derselben auf dem Kreditwege zu decken. 
Es hätten bei der sofortigen Erhebung einer Steuer die Steuer- 
sätze sehr viel höher sein müssen, als dies bei der Verschiebung der 
Deckung auf die Zukunft trotz der dann zu zahlenden Schuldzinsen 
nötig war, da später ein Teil der Staatsausgaben aus den Einkünften 
der Eisenbahnen bestritten werden konnte. — Wenn eine werbende 
Ausgabe ungewöhnlich hohe Mittel erfordert, und das Gesamtbudget 
des betreffenden Jahres in außerordentlicher Weise belastet, so ist 
wie bei irgendeiner anderen nichtwerbenden Ausgabe die Aufnahme 
einer Anleihe, durch die eine Verteilung der Belastung auf eine Reihe 
von Jahren erreicht wird, gestattet. 

Scheint also unter den heutigen Verhältnissen die Aufnahme 
einer Anleihe auch zu werbenden Zwecken im allgemeinen nicht be- 
rechtigt, so wäre es doch dann, wenn bereits unter Berücksichtigung 
aller iu Betracht kommenden Umstände eine zweckdienliche Ver- 
teilung der Lasten auf Gegenwart und Zukunft durch Feststellung 
einer jährlichen Tilgungssumme erreicht ist, angezeigt, eine neu hin- 
zukommende werbende Ausgabe auf Anleihe zu nehmen, — wäre 
doch unter der angeführten Voraussetzung die Belastung der Gegen- 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen, 459 


wart schon so erheblich, daß man eine stärkere Tilgung von An- 
leihen für unzweckmäßig hält. 


Es ist häufig die Ansicht geäußert worden, daß nicht nur Aus- 
gaben, die eine direkte Verzinsung verheißen, auf Anleihe genommen 
werdeu dürfen, sondern auch Ausgaben, die auf andere Weise eine 
Hebung des Wohlstandes und eine Steigerung der Steuerkraft zur 
Folge haben (staatswirtschaftlich produktive Ausgaben, beispiels- 
weise die Aufwendungen für die Ablösung der Grundlasten oder für 
Stromregulierungen oder die Kosten einer großen Verwaltungsre- 
form)!). In Sachsen ist nach Heckel seit der Mitte der siebziger 
Jahre das außerordentliche Budget auch für Ausgaben zugelassen, 
die zur Vermehrung und Sicherstellung des Nationalwohlstandes bei- 
tragen?). — Nach unseren früheren Ausführungen würde die vor- 
aussichtliche Steigerung des Volkswohlstandes unter Umständen die 
Aufnahme einer Anleihe rechtfertigen, ganz gleich, ob die Steigerung 
des Wohlstandes auf die Verwendung jener Kapitalien, deren Deckung 
die Anleihe dienen soll, zurückzuführen ist, oder ob sich die voraus- 
sichtliche Hebung der wirtschaftlichen Lage unabhängig von der 
Verwendung bestimmter Kapitalien von seiten des Staates vollzieht. 
Man könnte einwenden: der Erfolg einer staatlichen Kapitalauf- 
wendung sei häufig mit Sicherheit zu erwarten, hingegen könne 
mit einer Hebung der wirtschaftlichen Verhältnisse unabhängig von 
einer bestimmten staatlichen Kapitalaufwendung zwar mit einiger 
Wahrscheinlichkeit, aber doch nicht ganz zuverlässig, gerechnet 
werden. Dem wäre entgegenzuhalten, daß es allein darauf ankommt, 
ob die Zukunft voraussichtlich reicher ist und imstande ist, die höhe- 
ren Steuern aufzubringen. Dies dürfte eher in Anbetracht des Um- 
standes erwartet werden, daß der Wohlstand in den letzten Jahr- 
zehnten regelmäßig zunahm, und daß die Fortschritte der Technik 
und die sich ständig verbessernde Organisation der Volkswirtschaft 
das gleiche auch für künftige Jahre wahrscheinlich machen, als 
etwa allein auf Grund der Tatsache, daß der Staat eine große Ver- 
waltungsreform durchführt oder mehr Kapitalien in Eisenbahnen 
oder Bergwerken investiert. Ebenso wie denjenigen Momenten, die 
sonst auf eine Erhöhung der Lebenshaltung hinwirken, andere un- 
günstige Momente entgegenwirken, können beispielsweise auch die 
Erfolge einer Verwaltungsreform durch anderweitige volkswirtschaft- 
liche Rückschläge (Wirtschaftskrisen, Kriege) mehr als ausgeglichen 
werden. 


Geger die Erhebung von Steuern speziell zur Deckung von Aus- 
gaben zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken ist weiter der Einwand 
erhoben worden, die Gegenwart sei nicht verpflichtet, die Kosten 


1) Von Stein, Umpfenbach, Wagner, Nasse u. 
2) Erläuterung zu dem Staatsbudget auf die J Sé 1876/77. Sächsischer Landtag 
1875/76, Dekrete 2, S. 336. 


460 Arthur Friedmann, 


der Leistungen, die erst der Zukunft zugute kämen, auf sich zu 
nehmen). Unseres Erachtens ist diese Tatsache an sich kein Grund, 
die Bezahlung einer Ausgabe auf die Zukunft zu verschieben. Die 
Berechtigung zu einer Anleihe könnte höchstens daraus entnommen 
werden, daß die kommende Generation besser als die heutige in der 
Lage wäre, die Mittel zu jenen Leistungen aufzubringen. Die Forde- 
rung, daß jede Zeit diejenigen Leistungen bezahlt, die ihr selbst zu- 
gute kommen, würde, soweit sich nicht im Laufe der Jahre die Höhe 
der jeweils für die Zukunft erforderlichen Leistungen änderte, dahin 
führen, daß in jedem Jahre erstens die Mittel, die zur Bestreitung 
der Aufwendungen des Jahres erforderlich sind, aufgebracht werden 
müssen, außerdem aber noch die Zinsen der in den vergangenen 
Jahren aufgenommenen Anleihen?). In der Tat wird niemand den 
Gedanken konsequent durchführen wollen, daß die Gegenwart die 
heute erforderlichen Leistungen nur soweit zu bezahlen habe, als sie 
den Zwecken der Gegenwart dienen, und daß die Zukunft einen 
ihrem Genuß an den gegenwärtigen Leistungen entsprechenden An- 
teil aufbringen soll. Gibt es doch bald keinen Konsum, an dessen 
Hervorbringung nicht auch die Vergangenheit direkt oder indirekt 
einen Anteil hat und andererseits kaum eine staatliche Leistung, die 
nicht teilweise auch der Zukunft zugute kommt. So erschöpfen sich 
die jetzigen Ausgaben für das Heer in ihrer Wirkung nicht in der 
Gegenwart. Nicht allein Festungen und Waffen bleiben jahrelang 
brauchbar, auch die Kosten der Rekrutenausbildung sollen deren 
Wehrhaftigkeit auf Jahre hinaus gewährleisten. Man denke weiter 
an die Aufwendungen für Schulunterricht, für Straßenbau und für 
Gesundheitspflege. — Wenn allerdings nach einer einmaligen erheb- 
lichen Kapitalaufwendung des Staates in den kommenden Jahren 
voraussichtlich nur noch relativ geringere Ausgaben erforderlich sind, 
oder als Folge jener Kapitalaufwendungen eine derartig günstige 
Entwicklung des Wohlstandes zu erwarten steht, daß die Summen 
zur Verzinsung und Tilgung der Anleihen in Zukunft relativ leicht 
aufgebracht werden können, so ist, wie wir dies wiederholt ausge- 
führt haben, die Aufnahme einer Anleihe gerechtfertigt. 


Die Forderung, daß die Aufnahme von Staatsanleihen nur in 
seltenen Fällen zu gestatten sei, gilt vornehmlich für die wirtschaft- 


1) Z. B. Wagner, Finanzwissenschaft, 3. Aufl., 1883, 1. Teil, S. 152. 

2) Würden z. B. in einem Staatswesen jährlich 100 Mill. M. Aufwendungen er- 
forderlich sein, von denen die Hälfte auch der Zukunft und zwar durchschnittlich auf 
10 Jahre zugute käme, so wäre jedes Jahr eine Anleihe von 50 Mill. M. aufzunchmen, 
die innerhalb 10 Jahre zu tilgen wäre. Es würden also jedes Jahr neben der Auf- 
nahme von 50 Mill. M. neuer Schulden 50 Mill. M. früherer Schulden zu tilgen sein. 
Der Schuldenstand würde ständig 250 Mill. M. betragen (5 Mill. M. vor 9 Jahren auf- 
genommener Schulden, 10 Mill. M. vor 8 Jahren, 15 Mill. M. vor 7 Jahren aufge- 
nommener Schulden ete.). Es kämen so bei einer 4-proz. Verzinsung der Anleihen zu 
den Gesamtausgaben von jährlich 100 Mill. M. noch 10 Mill. M. für die Verzinsung 
der Schulden hinzu. 


Ueber die Berechtigung von Staatsanleihen. 461 


lich fortgeschrittenen Staaten. In den wirtschaftlich wenig ent- 
wickelten Ländern liegen die Verhältnisse wesentlich anders. Hier 
handelt es sich im allgemeinen um die Aufnahme äußerer An- 
leihen. Der Zinsfuß der Anleihe ist durchweg höher, die Belastung 
der Zukunft also entsprechend größer. Andererseits bewirken die 
äußeren Anleihen im Gegensatz zu den inneren keine Entziehung 
inländischer Kapitalien und veranlassen keine Steigerung des ein- 
heimischen Zinsfußes, im Gegenteil wären diese ungünstigen Folgen 
eher bei Erhebung einer Steuer zu befürchten (siehe S. 446). — In 
den wirtschaftlich zurückgebliebenen Ländern kann eine Schulden- 
aufnahme aus mancherlei Gründen angezeigt sein. Ein Land, das 
im Beginne einer intensiven Entwicklung steht, bedarf relativ großer 
Kapitalaufwendungen. Wenn der Staat beispielsweise selbst Eisen- 
bahnen baut, so sind in den ersten Jahren sehr hohe Aufwendungen 
erforderlich; da für später mit relativ geringeren Ausgaben ge- 
rechnet werden kann, würde sich die Verteilung der Steuerlasten 
auf mehrere Jahre mittels Aufnahme einer Anleihe rechtfertigen. 
Auch wird in wirtschaftlich wenig erschlossenen Ländern eine Ka- 
pitalinvestierung oft für das gesamte Wirtschaftsleben einen un- 
gleich größeren Erfolg zeitigen als in kapitalreicheren Ländern; das 
gilt besonders für Eisenbahnbauten. Bei der voraussichtlich starken 
Hebung des Wohlstandes dürften eher Steuerleistungen auf die Zu- 
kunft verschoben werden. — Endlich ist noch Folgendes zu berück- 
sichtigen: Nach den früheren Ausführungen (S. 440) ist für die 
Aufnahme einer Anleihe nur dann die voraussichtliche Entwicklung 
des Volkswohlstandes entscheidend, wenn der Staat tatsächlich im- 
stande ist, einen erheblichen Teil des Nationaleinkommens in Form 
von Steuern seinen Zwecken zuzuführen. Bei vorwiegender Natural- 
wirtschaft, sowie auch sonst bei einer ungenügenden Ausbildung 
des Finanzwesens ist dies nun keineswegs möglich. Unter solchen 
Verhältnissen müssen die Staatsfinanzen viel unabhängiger von der 
allgemeinen Wirtschaftslage betrachtet werden. Es ist weniger Ge- 
wicht darauf zu legen, ob für die nächsten Jahre eine Steigerung 
des allgemeinen Wohlstandes zu erwarten ist als darauf, ob die Ein- 
nahmequellen des Staates für die kommenden Jahre eine größere 
Ergiebigkeit versprechen, sei es, daß man auf höhere Erträgnisse 
einer direkten oder indirekten Besteuerung rechnen kann, oder auch, 
das Ueberschüsse aus neu gegründeten erwerbswirtschaftlichen Unter- 
nehmungen zu erwarten sind. 


Zum Schluß wollen wir kurz darauf hinweisen, daß sich aus 
Gründen der praktischen Politik gegen die Einschränkung der 
Schuldenaufnahme Bedenken geltend machen können. Es wurde in 
den früheren Auseinandersetzungen die Frage nach der Berechti- 
gung von Anleihen stets so formuliert: Ist die Deckung irgendeines 
Aufwandes durch eine’ Steuer oder durch eine Anleihe vorzuziehen ?, 
dabei wurde vorausgesetzt, daß über die Zweckdienlichkeit der be- 


462 Arthur Friedmann, 


treffenden Ausgabe selbst kein Zweifel bestehe. Wenn wir in vielen 
Fällen die Deckung durch eine Anleihe verwarfen, so galt dies eben 
nur unter der Voraussetzung, daß anstelle der Anleihedeckung eine 
Steuerdeckung treten würde. In der Praxis würde nun die Gefahr 
bestehen, daß wichtige Aufwendungen, für die die Deckung auf 
dem Kreditwege nicht gestattet wird, ganz unterlassen werden. 
Die allgemeine Neigung zu Anleihen erklärt sich nicht so sehr aus 
falschen theoretischen Vorstellungen über die Bedeutung der Staats- 
schulden, ihre Wirkung auf den Wohlstand und die Einkommens- 
verteilung, als daraus, daß die maßgebenden Kreise daran inter- 
essiert sind, die Gegenwart weniger als die Zukunft zu belasten, und 
daß die Regierung sowohl wie die politischen Parteien mit Rücksicht 
auf die Wähler die Erhebung neuer Steuern zu vermeiden suchen. 
Oft wird auch die steuerliche Deckung in der Praxis darum Schwierig- 
keiten haben, weil zwischen den einzelnen Parteien über die Art der 
Steuer keine Einigkeit erzielt wird. — Es ist häufig betont worden, 
daß der wirtschaftliche Aufschwung der letzten Jahrzehnte zum 
guten Teil durch den Kredit gewährleistet worden sei, — es wurde 
auf die Entwicklung der Staatseisenbahnen und auf die Leistungen 
der Kommunen, die durch die Inanspruchnahme des Kredits ermög- 
licht wurden, hingewiesen. Wenn auch unseres Erachtens mindestens 
ein erheblicher Teil dieser Aufwendungen besser durch Steuern be- 
schafft wäre, so ist es doch zutreffend, daß eine Deckung dieser 
Ausgaben auf dem Schuldenwege ungleich vorteilhafter als ein voll- 
ständiger Verzicht auf dieselben war. 


Fassen wir nunmehr die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit- 
zusammen, so können wir sagen: Die Aufnahme von Staatsschulden 
ist nur unter der Voraussetzung gestattet, daß die betreffenden Mittel 
einschließlich der erforderlichen Verzinsung in künftigen Jahren 
leichter als in der Gegenwart aufzubringen sind, sei es, daß eine 
entsprechende Steigerung des allgemeinen Wohlstandes erwartet 
werden darf, sei es, daß aus einem anderen Grunde in der Zukunft 
mit einer leichteren Aufbringung der Summen gerechnet werden kann. 
Dabei ist es gleichgültig, ob die voraussichtliche Steigerung des Wohl- 
standes resp. die Mehrung der Staatseinkünfte eine Folge derjenigen 
Kapitalanlage ist, deren Deckung die eventuell aufzunehmende An- 
leihe dienen soll, oder ob die Besserung der wirt schaftlichen Verhält- 
nisse unabhängig davon erfolgt. 

Auch unter den angeführten Bedingungen ist im einzelnen Falle 
die Aufnahme einer inneren Anleihe unzulässig, wenn eine re- 
lativ starke Steigerung des allgemeinen Zinsfußes und damit eine 
unerwünschte Einkommensverschiebung zugunsten der Kapitalbe- 
sitzenden, sowie eine Inanspruchnahme der sonst produktiven Zwecken 
dienenden Kapitalien zu befürchten ist. 

In Anbetracht der Wohlstandsentwicklung in Deutschland wäh- 
rend der letzten beiden Jahrzehnte läßt sich mit einer künftigen 


Ueber die Bereehtigung von Staatsanleihen. 463 


Steigerung des Durchschnittseinkommens um etwa 1 Proz. jährlich 
rechnen. Trotz dieser Wohlstandssteigerung würde die Aufnahme 
einer Anleihe bei der Höhe des heute herrschenden Zinsfußes eine 
so empfindliche finanzielle Belastung der Zukunft zur Folge haben, 
daß auch dann, wenn jene anderen nachteiligen Wirkungen der 
Schulden nur in geringerem Umfange zu befürchten sind, von der 
Aufnahme einer Anleihe im allgemeinen Abstand genommen werden 
soll. Nur bei besonders großen staatlichen Kapitalaufwendungen, die 
für die Zukunft hohe Einkünfte aus Erwerbsunternehmen in Aus- 
sicht stellen, käme eine Beanspruchung des Kredites in Frage. 
Außerdem wäre in den Fällen, in denen der gesamte Staatsbedarf 
in einem einzelnen Jahre ungewöhnlich hoch ist, und so ein Teil der 
Summe trotz der für die Verzinsung erforderlichen Mehrleistung 
in künftigen Jahren leichter als in der Gegenwart aufgebracht werden 
kann, die Aufnahme einer kurzfristigen Anleihe zulässig. 


464 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 


III. 
Die wirtschaftliche Gesetzgebung Oesterreichs. 


(Reichsgesetzblatt für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und 
Länder.) 


Von Dr. Walther Stöwesand. 


Jahr 1912. 


Staatsvertrag vom 3. Jänner 1912 zwischen Oesterreich-Ungarn 
und Hessen zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen, welche sich aus 
der Anwendung der für Oesterreich bzw. für Hessen geltenden Steuer- 
gesetze ergeben könnten. Art. 1—9 S. 351—353. 

Der Grundbesitz und der Gewerbebetrieb mit Ausnahme des Hausier- und Wander- 


gewerbes, sowie das Einkommen daraus werden nur in dem Staate zu den direkten Steuern 
herangezogen, in dem der Besitz liegt oder das Gewerbe betrieben wird. Art. 1 u. 7. 


Gesetz vom 17. April 1912, betr. die Abänderung der bei der Ein- 
fuhr von Tabak und Tabakfabrikaten zu entrichtenden Lizenzgebühr. 
S. 273 u. 274. 


Für Zigaretten 60 Kronen] pro 1 kg des der Ver- 
» Zigarren Zë „u zollung unterliegenden 
„ andere Tabakfabrikate und Rohstoffe 80 ,„ Nettogewichtes 


Verordnung vom 22. Oktober 1912, mit welcher die gewerbsmäßige 
Ausübung der Luftschiffahrt an eine Konzession gebunden ist. S. 1131. 

Gesetz vom 30. November 1912 über den Einfluß der höheren 
Gewalt auf die Vornahme wechselrechtlicher Handlung. S. 1130. 

Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 6. Februar 1911 zwischen 
Oesterreich-Ungarn und Montenegro. S. 185—188. 

Gesetz vom 7. März 1912, betr. die Ausprägung von Zweikronen- 
stücken und die weitere Ausprägung von Einkronenstücken. S. 215. 

Art. II. Die Zweikronenstücke werden im Mischungsverhältnisse von 0,885 Silber 
und 0,165 Kupfer ausgeprägt. Aus dem Kilogramm Münzsilber werden 100 Zwei- 
kronenstücke ausgeprägt. 

Gesetz vom 7. März 1912, wodurch das Ministerium der im Reichs- 
rate vertretenen Königreiche und Länder ermächtigt wird, mit dem 
Ministerium der Länder der heiligen ungarischen Krone einen Additional- 
vertrag zum Münz- und Währungsvertrage in betreff der Ausprägung 
von Zweikronenstücken und der weiteren Ausprägung von Einkronen- 
stücken abzuschließen. S. 216 u. 217. 

Verordnung vom 14. Mai 1912, betr. die Ausgabe von Zweikronen- 
stücken der Kronenwährung. S. 327. 


Niemand, außer den öffentlichen Kassen, ist verpflichtet, von den Zweikronen- 
stücken mehr als 50 Kronen in Zahlung zu nehmen. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 465 


Gesetz vom 29. Juli 1912, betr. die Haftung für den Zusammen- 
stoß von Schiffen und die Ansprüche für Hilfeleistung und Bergung in 
Seenot. S. 689—691, Art. 1—20. 

Protokoll vom 17. März 1912, betr. die Verlängerung der durch 
die Zuckerkonvention vom 5. März 1902 geschaffenen internationalen 
Vereinigung. S. 693—697. 

Notenwechsel zwischen Oesterreich-Ungarn und Portugal vom 
8. Juli 1911, betr. die provisorische Regelung der Handels- und Ver- 
kehrsbeziehungen. S. 893—896. 

Gesetz vom 12. August 1912, betr. die Aufrechterhaltung der 
Dampfschiffahrt auf der Donau. S. 915—919. 

Die Erste k. k. private Donaudampfschiffahrtsgesellschaft erhält für 1912—1936 
eine jährliche Subvention von 1300000 Kronen. 

Verordnung des Handelsministeriums vom 19. August 1912, womit 
Bestimmungen über die Zulassung der Seehandelsschiffe zum Betrieb, 
über Sicherheitsvorkehrungen und den Dienst an Bord getroffen werden, 
S. 921—1030. 

Gesetz vom 27. Juli 1912, betr. die Donauregulierung im Erz- 
herzogtum Oesterreich unter der Enns. S. 1041—1045. 

Die Regulierung ist bis zum 31. Dezember 1919 durchzuführen. Die Kosten sind 
mit rund 49 Mill. Kronen veranschlagt. 

Verordnung vom 12. September 1912, mit der die Durchführungs- 
verordnung zum Gesetze, betr. die Regelung der Sonn- und Feiertags- 
ruhe im Gewerbebetriebe, teilweise abgeändert und ergänzt wird. 
H 1063—1081. 

Verordnung vom 14. September 1912, mit welcher die auf Grund 
des $ 74a der Gewerbeordnung erlassenen besonderen Bestimmungen be- 
züglich der Arbeitspausen im Gewerbebetriebe teilweise abgeändert 
werden. H 1081—1085. 

Verordnung vom 18. September 1912, betr. die Veranstaltung 
öffentlicher Schaustellungen mittels eines Kinematographen. S. 1089 
—1103. 

Gesetz vom 29. April 1912, betr. die Unfallversicherung bei bau- 
gewerblichen Betrieben. S. 333. 

Das Gesetz vom 28. Dezember 1887 wird ausgedehnt auf Arbeiter und Betriebs- 
beamte auf Bauten, jedoch erstreckt sich die Versicherung bei Anstreicher-, Glaser-, 
Installations-, Tischler-, Schlosser- und Spenglergewerben nur auf die am Bau ausge- 
führten Arbeiten. 


Gesetz vom 26. April 1912, betr. das Baurecht. $$ 1—20 
S. 276—279. 


$ 1. Ein Grundstück kann mit dem dinglichen, veräußerlichen und vererblichen 
Rechte, auf oder unter der Bodenfläche ein Bauwerk zu haben, belastet werden (Bau- 


recht). — $ 3. Es kann nicht auf weniger als 80 und nicht auf mehr als 80 Jahre 
bestellt werden. — $ 5. Es entsteht durch die bücherliche Eintragung. — $ 6. Es 


gilt als unbewegliche Sache, das Bauwerk als Zugehör des Baurechtes. 
Kundmachung vom 9. Februar 1912, mit welcher ein neues Statut 
des Staatlichen Wohnungsfürsorgefonds für Kleinwohnungen verlautbart 
wird. S. 137—149. 
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 30 


466 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Art. 2. Die Dotation des Fonds beträgt für die Jahre 1911 und 1912: 8500000 K., 
1918: 1800000 K., 1914: 1500000 K., 1915: 22000000 K., 1916—1918: je 2500000 K., 
1919 und 1920: je 3500000 K. und 1921: 4000000 K. — Art. 8. Als Kleinwohnungen 
gelten baulich in sich abgeschlossene Wohnungen, deren bewohnbare Fläche (Wohn- 
zimmer, Wohnkammern und bewohnbare Küchen) mit Ausschluß der Nebenräume (Vor-, 
‚Speise-, Badezimmer usw.) 80 qm nicht übersteigt. — Art. 11. Die Kredithilfe darf 
90 Proz. des Wertes der Liegenschaft unter Einrechnung sämtlicher im Range vorgehenden 
Hypotheken nicht übersteigen. — Art. 18. Zur Ermittlung der Höhe des Darlehens 
werden Schätzungen des Objektes durch staatliche Organe vorgenommen. — Art. 19. 
Der Zinsfuß wird nach dem Durchschnitt des jeweils üblichen Hypothekarzinsfuß der 
bedeutendsten Sparkassen und Kreditinstitute Oesterreichs berechnet. Die Amortisation 
soll in der Regel JL Proz. betragen. — Art. 24. Die Darlehen sind halbjährlich 
kündbar. — Art. 80. Voraussetzung der Beleihung ist Gemeinnützigkeit, d. h. sie muß 
zur Verbesserung der Wohnverhälinisse der minderbemittelten Bevölkerung dienen. 

Verordnung vom 9. Februar 1912, betr. die Gewährung von künd- 
baren, verzinslichen Vorschüssen an gemeinnützige Bauvereinigungen 
gemäß dem Gesetze vom 28. Dezember 1911 über die Förderung der 
Wohnungsfürsorge. S. 150 u. 151. 

Art. 1. Die Gewährung erfolgt, wenn zur Abhilfe der Wohnungsnot die Ver- 
einigung für ihre Mitglieder Häuser bauen muß und sie zur Durchführung nicht ge- 
nügende Mittel hat. Sie muß aber über ein eigenes Vermögen von 5 Proz. der gesamten 
Gestehungskosten verfügen und dieses für das Bauprojekt aufwenden. — Art. 8. Die 
Vorschüsse des Staates sind mit 3 Proz. zu verzinsen. 

Verordnungen vom 9. Februar 1912, 

1. betr. die Gemeinnützigkeit der Bauvereinigungen und deren 
Ueberwachung. S. 151. 

2. betr. die Durchführung der gebührenrechtlichen Bestimmungen 
des Gesetzes vom 28. Dezember 1911 über Steuer und Gebühren- 
begünstigungen für gemeinnützige Bauvereinigungen. S. 151—156. 

Gesetz vom 17. Mai 1912, betr. die Abänderung des allgemeinen 
Berggesetzes vom 23. Mai 1854 hinsichtlich der Regelung der Lohn- 
zahlung beim Bergbau. S. 361 u. 362. 

Der Bergbauunternehmer hat seinen Arbeitern den Lohn künftig wenigstens alle 
1} Tage auszuzahlen, und zwar bar. Die zur Löhnung erforderliche Zeit ist in die 
regelmäßige Schichtdauer einzurechnen. Die Auszahlung darf nicht in Gast- und 
Schankwirtschaften erfolgen. 

Gesetz vom 21. Dezember 1912, betr. die Stellung der Pferde und 
Fuhrwerke. S. 1187—1192. 

Gesetz vom 26. Dezember 1912, betr. die Kriegsleistungen. 
S. 1192—1199. 

Gesetz vom 26. Dezember 1912, betr. den Unterhaltsbeitrag für 
Angehörige von Mobilisierten. S. 1201—1203. 


Jahr 1913. 


Handels- und Schiffahrtsvertrag vom 28. Oktober 1912 zwischen 
Oesterreich-Ungarn und Japan. 23. Artikel S. 355—365. 


Art. 1. Die Angehörigen jedes Staates können sich mit ihren Familienangehörigen 
in dem anderen Staate aufhalten, insbesondere zur Berufsausübung, zum Erwerb von 
Grundstücken zu Niederlassungs-, Handels-, gewerblichen, industriellen und anderen 
erlaubten Zwecken. 

Art. 5. Es besteht gegenseitige Freiheit des Handels und der Schiffahrt in 
gleicher Weise, wie sie die den Angehörigen der meistbegünstigten Nation gewährt wird. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 467 


Art. 6. Die Boden- und Gewerbserzeugnisse genießen bei ihrer Einfuhr die 
niedrigsten Zollsätze, die irgendeinem anderen Staate schon zustehen. 

Art. 11. Handelsgesellschaften sind in dem anderen Staate befugt, als Partei vor 
Gericht aufzutreten. 

Art. 16. Schiffe, die den regelmäßigen Postdienst versehen, genießen in den 
TOTEN die gleichen Vorrechte wie die gleichen Schiffe der meistbegünstigten 

aton. 

Art. 23. Der Vertrag gilt bis zum 81. Dezember 1917. Darüber hinaus bleibt er 
bis zum Ablauf eines Jahres von dem Zeitpunkt ab in Wirksamkeit, an dem ein Teil 
ihn gekündigt haben wird. 

Gesetz vom 2. Jänner 1913, betr. die Errichtung von Ingenieur- 
kammern. 25 Paragr. S. 5—8. 

$ 1. Zum Zwecke der Vertretung des Standes der behördlich autorisierten Privat- 
techniker und Bergbauingenieure, zur Förderung der Interessen und zur Wahrung der 
Standesehre dieser Berufskreise werden Ingenieurkammern errichtet. 

Gesetz vom 3. Jänner, betr. Steuer- und Gebührenerleichterungen 
für Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und Vorschußkassen. 
4 Art. S. 10—12. 

Gesetz vom 3. Jänner, betr. die Aufhebung des Zahlenlottos und 
die Einführung der Klassenlotterie. 6 Paragr. S. 315 u. 316. 

$ 2. Mindestens 70 Proz. des Spielkapitals kommen zur Gewinnverteilung. 

$ 3. Der Betrieb des Zahlenlottos ist allmählich einzuschränken und nach Ab- 
lauf eines Jahres, nachdem die Klassenlotterie einen Jahresreinertrag von mindestens 
20 Mill. Kronen ergeben hat, spütestens nach Ablauf von 10 Jahren vom Zeitpunkte der 
Einführung dieser Klassenlotterie gänzlich einzustellen. 

Verordnung des Finanzministeriums vom 7. Februar 1913, betr. 
die Schlußeinheiten der an den inländischen Börsen (Wien, Prag und 
Triest) notierten Effekten als Grundlage für die Bemessung der Effekten- 
umsatzsteuer. 3 Anlagen. S. 23—33. 

Gesetz vom 11. Februar 1913, betr. die Ausdehnung der Kranken- 
versicherung auf die Betriebe der Seeschiffahrt und Seefischerei und 
die Krankenfürsorge für die in diesen Betrieben erwerbstätigen Per- 
sonen. 18. Art. S. 41—45. 

Gesetz vom 11. Februar 1913, betr. die Ausdehnung der Unfall- 
versicherung auf die Betriebe der Seeschiffahrt und Seefischerei. 
23. Art. S. 45—49. 

Gesetz vom 17. März 1913, womit das Gesetz vom 6. Jänner 1890, 
RGBl. No. 19, betr. den Markenschutz, ergänzt und abgeändert wird. 
7 Art. S. 213. 

Verordnung des Ministeriums für öffentliche Arbeiten vom 22. April 
1913, betr. die internationale Markenregistrierung. 6 Paragr. u. Durch- 
führungsvorschrift mit 11 Art. S. 213— 219. 

Verordnung des Gesamtministeriums vom 31. März 1913, betr. 
die Einführung der österreichischen Markenschutzgesetze bei den k. k. 
Konsulargerichten und die Ausdehnung der Gerichtsbarkeit der Kon- 
sulargerichte auf die selbständige Judikatur über die Vergehen gegen 
diese Gesetze. S. 161. 

Gesetz vom 21. April 1913, betr. die Abänderung und Ergänzung 
des $ 74 der Gewerbeordnung. 4. Art. S. 285—286. 

30* 


468 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Jeder Gewerbeinhaber hat auf seine Kosten alle sanitären Vorkehrungen zu treffen, 
insbesondere auch bezüglich der Arbeitsräume, Maschinen und Werkgerätschaften, die 
bei dem Betriebe seines Gewerbes mit Rücksicht auf dessen Beschaffenheit oder die Art 
der Betriebsstätte zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der Hilfsarbeiter er- 
forderlich sind. Bei Beschäftigung von noch nicht 18 Jahre Alten sowie von Frauen 
und Mädchen überhaupt ist die durch deren Alter oder Geschlecht gebotene Rücksicht 
auf die Sittlichkeit zu nehmen. 

Verordnung des Handelsministeriums vom 30. Mai 1913, betr. die 
Einführung von Postauftragskarten. 

Im Imlande jällige Forderungen bis zum Betrage von 10 K. können durch die 
Post durch Postauftragskarten für 10 Heller eingezogen werden. 

Staatsvertrag vom 3. Juli 1913 zwischen Oesterreich-Ungarn und 
Bayern zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen, welche sich aus der 
Anwendung der für Oesterreich bzw. für Bayern geltenden Steuer- 
gesetze ergeben könnten. 9 Art. S. 863—866. 

Gesetz vom 6. Juli 1913, betr. die Befreiung der Notschlachtungen 
von der Fleischsteuer. 3 Paragr. S. 427. 

Gesetz vom 9. Juli 1913, betr. die Ermächtigung zur zeitweiligen 
Außerkraftsetzung der Bestimmungen über den Einfluß der Zinsfuß- 
erhöhung auf die zu Konvertierungszwecken gewährten Gebühren- 
erleichterungen. 7 Paragr. S. 399—400. 

$ 1. Wenn infolge außergewöhnlicher politischer oder wirtschaftlicher Verhältnisse 
ein allgemeines Steigen des Hypothekarzinsfußes eintritt, ist der Finanzminister für 
die Dauer dieses Zustandes ermächtigt, die Anordnungen betr. Gebührenerleichterungen 
bei Konvertierung von Geldschuldforderungen vorübergehend außer Kraft zu setzen mit 
der Rechtswirkung, daß die Erhöhung des Hypothekarzinsfußes für sich allein eine 
Verwirkung der Gebührenerleichterungen nicht nach sich zieht. 

Verordnung vom 11. Juli 1913 zum vorstehenden Gesetz. 10 Paragr. 
3 Tabellenmuster. S. 400—408. 

Gesetz vom 1. September 1913, betr. die Abänderung des Gesetzes 
vom 28. Dezember 1911 über die staatliche Förderung der Wohnungs- 
fürsorge. 3 Art. S. 794. ; 

Zum Zwecke der Gewährung kündbarer, verzinslicher Vorschüsse und kurzfristiger 
Darlehen an gemeinnützige Bauvereinigungen wird ein Betrag von 2 Mill. Kronen 
für diese spezielle Widmung dem staatlichen Wohnungsfürsorgefonds für Kleinwohnungen 
in den Jahren 1918 und 1914 zugeführt. 

Vorschuß kann gewährt werden, wenn zur Abhilfe der Wohnungsnot die  Bau- 
vereinigung einen Bau zu errichten genötigt ist, zu dessen Inangrifnahme die eigenen 
Mittel nicht ausreichen. 


Miszellen. 469 


Miszellen. 


XII. 
Zur Gewinnbeteiligung der Arbeiter. 


Von Geh. Adm.-Rat a. D. P. Koch. 


Gleichviel wie man sonst zur Frage der Sozialdemokratie sich stellt, 
wird doch das Eine nicht bestritten werden können, daß weitaus der 
größte Teil dieser kolossalen Wählermassen nicht aus klarer politischer 
Erkenntnis ihren Fahnen folgt, sondern weil sie von ihr die Erfüllung 
wirtschaftlicher Wünsche erhofft. 

In der ältesten rohesten Form die Aufteilung, später der Ersatz 
des Kapitalismus durch die Verstaatlichung der Produktionsmittel, ein 
wesentlich erhöhter Lohn und die Beteiligung am Gewinn, das waren 
die Lockmittel, mit dem die urteilslose Masse veranlaßt wurde, den 
neuen Götzen anzubeten, dessen Priester im übrigen, ohne diese Frage 
des näheren zu erörtern, alle die Eigenschaften zeigen, durch die seit 
Jahrtausenden diese Kaste bei allen Völkern niederer Kultur gekenn- 
zeichnet war. 

Auch in anderer Richtung gleicht die neue Botschaft einem niederen 
Götzenglauben, denn keine ihrer Verheißungen vermag vor einer sach- 
lichen Prüfung und Zergliederung standzuhalten. 

In meiner Untersuchung über den „Arbeitslohn im Zukunftsstaat“ 
— Archiv für exakte Wirtschaftsforschung, Bd. 4, Heft 3, Jena bei 
Gustav Fischer — glaube ich den Nachweis erbracht zu haben, daß, 
wie immer die Wirtschaftsordnung gestaltet sein möge, doch die Höhe 
des Lohnes sich nach dem Wert des Arbeitsergebnisses bestimmen müsse, 
und daß eine Nichtachtung dieses Tatbestandes lediglich eine Herab- 
setzung des Geldwertes, also nur eine andere Benennung, keine Ver- 
schiebung der Sachlage nach sich ziehen kann. Um die zulässige Höhe 
des Lohnanteils zu erläutern, sei zunächst noch einmal darauf hinge- 
wiesen, aus welchen Bestandteilen der Wert eines Arbeitsergebnisses sich 
zusammensetzt, und wie hier gewisse, vielleicht um ein Geringes gegen- 
einander verschiebliche, in der Hauptsache aber unabänderliche Be- 
ziehungen obwalten. 

Sehr einleuchtende Unterlagen in dieser Hinsicht finden sich in den 
alljährlich vom Handelsministerium herausgegebenen: „Betriebsberichten 
der preußischen Bergverwaltung“. Nach diesen Berichten setzen sich 
beispielsweise die Kosten der Förderung einer Tonne Steinkohlen zu- 


470 Miszellen. 


sammen aus: „Ordentliche Ausgaben“, darunter Generalkosten, und unter 
diesen: „Gesetzliche und freiwillige soziale Lasten und Steuern“, ferner 
„Löhne, Materialien (darunter Holz) und Geräte“, sodann außerordentliche 
Ausgaben, z. B. für Bauten. Die Gegenüberstellung der Einnahmen und 
Ausgaben ergibt hierbei sehr häufig für einzelne Zechen die Notwendig- 
keit eines Zuschusses, der nur durch die Ueberschüsse der anderen 
Gruben und sonstigen Betriebe ausgeglichen werden kann. Im einzelnen 
ergibt der Bericht, wie durch zweckmäßige Organisation des Betriebes 
und Vervollkommnung der technischen Einrichtungen auf Herabminderung 
der Selbstkosten Bedacht genommen wird. Hierher gehört z. B. die er- 
weiterte Anwendung der maschinellen Abbauförderung, ferner die stärkere 
Ausnutzung des Abdampfes der Maschinen sowie der Abhitze und Ab- 
gase der Kokereien, die beispielsweise die Schachtanlagen mit elek- 
trischer Energie versorgen, und sogar den angrenzenden Gemeinden 
Strom zu liefern in der Lage sind. 

Selbstverständlich arbeiten diese staatlichen Betriebe in erster Linie 
zu dem Zweck, um Ueberschüsse zu erzielen, und diese für anderweite 
staatliche Zwecke nutzbar zu machen; dieser Zweck würde in noch weit 
höherem Maße zur Geltung kommen, wenn einmal die sämtlichen „Pro- 
duktionsmittel verstaatlicht“ sein werden, und wenn es darauf ankommen 
wird, mit dieser Verstaatlichung die heutige privatkapitalistische Wirt- 
schaftsordnung abzulösen. 

Immerhin erscheint der Bestandteil des neuen Wirtschaftsprogramms 
der Erwägung wert, inwieweit es möglich sein würde, Teile des Ueber- 
schusses zurückzubehalten und diese durch Zuwendung an die einzelnen 
Arbeiter zu einer Erhöhung des Arbeitslohnes nutzbar zu machen. Es 
würde dies, zumal unter der Herrschaft der neuen Wirtschaftsordnung, 
natürlich nicht an den einzelnen Arbeitsstellen, sondern nur durch Aus- 
schüttung des gesamten verfügbaren Ueberschusses an die Gesamtheit 
der dabei beteiligten Arbeiter möglich sein. 

Es ist in der heutigen Wirtschaftsordnung nicht ganz leicht, von 
der Höhe dieses Ueberschusses eine Vorstellung zu gewinnen, immerhin 
besteht die Möglichkeit einer Nachprüfung, da die industriell sich be- 
tätigenden Aktiengesellschaften genötigt sind, ihre Betriebsergebnisse 
in ihren Geschäftsberichten klarzulegen, und bei dieser Gelegenheit 
die Prozentziffern ihrer Dividenden zur öffentlichen Kenntnis zu bringen. 

Diese Prozentziffern erscheinen oft sehr hoch, 12, 15, selbst 20 und 
25 Proz. sind kaum eine Seltenheit. Hierbei pflegt aber eins übersehen 
zu werden. Diese Dividenden sind überall vom Nominalwert der Aktien 
berechnet, während sich diese nur selten noch in der Hand des ersten 
Erwerbers befinden. Ueberall muß sich der Eigentümer solcher Aktien 
diese in seinem Vermögen nach ihrem Kurswert anrechnen, durch den 
der hohe Dividendenanteil natürlich verkleinert wird. Wenn auch bei 
dem in Aktien angelegten Kapital das größere Risiko nicht ohne Be- 
deutung bleiben kann, so nähert sich doch bei ruhigen und sicheren 
Unternehmungen die Kursdividende mehr und mehr der gewöhnlichen 
Verzinsung des Leihkapitals, und es ist weiterhin zu beobachten, und 
von Dipl.-Ing. Ernst Werner in seinen „Finanziellen Ergebnissen der 
deutschen Maschinenbau-Aktiengesellschaften“ zahlenmäßig nachgewiesen 


Miszellen. 471 


worden, daß die Kursdividende eine allmählich fallende Linie zeigt. Es 
würde dies die Annahme bestätigen, daß bei einer ruhigen wirtschaft- 
lichen Entwicklung und demnach sinkendem Risiko der reine Renten- 
genuß herabgeht, während anderseits der Arbeitsertrag und demgemäß 
die Kaufkraft und der Gesamtwohlstand eine Steigerung erfahren. 

Es muß an dieser Stelle davon abgesehen werden, die den vor- 
stehend erläuterten Tatbestand beeinflussenden einzelnen Momente einer 
näheren Prüfung zu unterziehen. Es liegt auf der Hand, daß die Firma 
Krupp ihre Dividende fast nach freiem Ermessen bestimmen kann, weil 
diese doch nur dem tatsächlichen Eigentümer des Werks zufließt; sie 
kann hohe Bankguthaben stehen lassen, kann sehr nachhaltig abschreiben 
und diese und jene Reserven für Sonderzwecke zurücklegen. Ander- 
seits werden häufig Aktiengesellschaften genötigt sein, die Abschrei- 
bungen und Reserven sehr klein zu halten, um die Aktionäre bei guter 
Laune zu erhalten. Alle diese unbestreitbaren Tatbestände ändern daran 
nichts, daß auch bei dem Preise der Aktien das Angebot nach der 
Nachfrage sich regelt, und daß der wirkliche Gewinn des Unternehmens 
nach dessen wirklichen Ergebnissen bestimmt werden muß. Ob das 
Aktienkapital voll eingezahlt ist, oder ob hier sonstige besondere Ver- 
hältnisse obwalten, ist gleichfalls für die vorliegende Untersuchung gleich- 
gültig, es kommt nur darauf an, in tunlichst breitem Durchschnitt den 
Nachweis zu erbringen, daß trotz allem zwischen der wirtschaftlichen 
Leistung und dem wirtschaftlichen Erfolg, zwischen der Aussaat und 
der Ernte, gewisse unabänderliche, gesetzliche Beziehungen obwalten. 

Dieser Tatbestand würde immerhin nicht ausreichen, um den 
Arbeiter zu überzeugen, daß der scheinbar untätige Kapitalist lediglich 
dafür, daß er sein Geld in ein wirtschaftliches Unternehmen steckt, 
von dem „Lohnsklaven“ die in der Dividende als der Zinszahlung 
liegende Abgabe von dem Anteilserträgnis zu fordern berechtigt ist, es 
würde deshalb notwendig sein, ihm diese Berechtigung in anderer Weise 
zu erläutern. 

An sich gehört ja freilich die Notwendigkeit einer Kapitalansamm- 
lung für den Fortbestand und den Fortschritt unseres Wirtschaftslebens 
zum ABC der Volkswirtschaftslehre, und es hieße dem Unverstand zu 
viel Ehre erweisen, wenn man in dieser Richtung eine Begründung er- 
bringen wollte. Es genüge, einen Satz aus Dr. Helfferichs vortreff- 
licher Schrift: „Deutschlands Volkswohlstand 1888—1913“ hier wieder- 
zugeben, der, wie folgt, lautet: 

„Die ungeheuren Summen, die insbesondere der die technischen 
Fortschritte voll verwertende Ausbau der deutschen Industrie erforderte, 


waren . . . nur zu beschaffen durch die intensivste Heranziehung und 
Ausnutzung der vorhandenen und neu erarbeiteten Kapitalien ..... 
Soweit... . das vorhandene Kapital ausreichte, gab es für die den Er- 


fordernissen der Technik und der Rentabilität entsprechende Kombination 
von Arbeit und Kapital kaum eine Grenze mehr. Jetzt konnten Be- 
triebe und Betriebskomplexe entstehen, die viele tausend Arbeitskräfte 
und arbeitende Kapitalien im Betrage von Hunderten von Millionen Mark 
in sich vereinigen.“ 


472 Miszellen. 


Nur als Beispiel für diesen Vorgang sei angeführt, daß die preu- 
Bische Staatsregierung für die Erschließung staatlichen Besitzes an 
Steinkohlenfeldern im Oberbergamtsbezirk Dortmund einen Kredit von 
55000000 M. in Anspruch nahm, und daß hierbei bei einer einzigen 
Schachtanlage die Gebäude und Wege rund 5,6 Mill. M., die Betriebs- 
anlagen rund 9 Mill. M. erforderten, von denen allein der Bau der 
Arbeiterkolonie rund 4,4 Mill. M. gekostet hat. In einer gewöhnlichen 
Braunkohlengrube mit nur etwa 90 Mann Belegschaft wurden 230 000 M. 
an Arbeitslöhnen verausgabt, ehe die erste Ausbeute erzielt werden 
konnte; in einer anderen mußte nach -jähriger Arbeit und Veraus- 
gabung von etwa 150000 M. an Arbeitslöhnen erkannt werden, daß 
man des Wasserandranges nicht Herr wurde, und daß nichts anderes 
übrig blieb, als die Anlage aufzugeben. 

Es liegt auf der Hand, daß alle diese Arbeiten und Aufwendungen 
erst geleistet werden mußten, ehe man daran gehen konnte, durch die 
Ausbeute zwar einen Ertrag, zugleich aber den Arbeitern regelmäßige 
Arbeitsgelegenheit zu geben, und hieraus erhellt, daß es volkswirtschaft- 
lich geboten ist, von dem Ergebnis der Ausbeute entsprechende Beträge 
zur Rücklage zu verwenden, weil die Kosten des Aufbaus erstattet, oder 
mit anderen Worten, weil das dazu verausgabte Kapital durch die Ge- 
winnerzielung wieder eingebracht werden mußte. 

Daß die Arbeitslöhne — absolut betrachtet — nur gering sein 
können, ist hiernach ein bedauerlicher, aber nicht aus der Welt zu 
schaffender Notbestand. Es seien in Ergänzung der früheren Darlegung 
noch einige Ziffern dafür angeführt, welches wirtschaftliche Brutto- 
ergebnis an einem Arbeiter erzielt werden kann, und welchen Prozent- 
betrag davon seine Entlohnung in Anspruch nimmt; mögen diese Ziffern 
angesichts der leichteren Ausbeute an manchen Stellen, der besseren’ 
Verkaufsmöglichkeiten und anderer Umstände gewisse Verschiedenheiten 
aufweisen, sie ändern nichts an dem Tatbestand, daß der Lohn im 
Durchschnitt mehr als 40 Proz. des Erträgnisses in Anspruch nimmt, 
und dieser Ansatz erscheint hoch, wenn bedacht wird, wolche Unkosten 
nötig waren, um die Arbeitsgelegenheit zu schaffen, und welche „General- 
aufwendungen“ außerdem mit dem Arbeitsbetriebe verbunden sind. 
Das Material für diese Ziffern und auch für die weiter unten folgenden 
Angaben ist dem von Assessor Westphal bearbeiteten 1. Jahrgang des 
„Jahrbuchs für den Oberbergamtsbezirk Breslau“ — Phönixverlag in 
Kattowitz — entnommen. Vgl. auch Wiedenfeld, Das Rheinisch-West- 
fälische Kohlensyndikat. 

Es betrug der Kopfwert der Leistung des einzelnen Arbeiters auf 
den Gräflich Ballestremschen Werken: 


Konsolidierte Brandenburg-Grube 1910 2770 M., davon 31 Proz. Lohn 


1911 2772 „ vw 34 h D 
Konsolidierte Wolfgang-Grube 1910 3325 „ gä 2 D 

1911 2662 „ » 3I u 
Bergwerk Castellengo 1910 2985 „ » 3I » D 

1911 2884 „ m AR oa D 
Bergwerk Beatensglück 1910 1664 „ e" Ei. 2 


1911 1559 „ » 4 e A 


Miszellen. 473 


Ferner bei der Handelsgesellschaft Borsig: 


Bergwerk Hedwigs Wunsch 1910 2283 M., davon 39 Proz. Lohn 
1911 2488 „ vn Ai o » 
Bergwerk Ludwigsglück I 1910 2852 „ 3, e 
1911 2484 „ » 39 » D 


Ferner Bergwerk Glückhilfs Friedenshoffnung in Hermsdorf: 
1910 1890 M., davon 50 Proz. Lohn 
1911 1959 „ o, AS e D 
Endlich staatlich betriebene Steinkohlenbergwerke: 
1910 2509 M., davon 42 Proz. Lohn 
1911 2538 mm ” 42 DI HI 
1912 2743 n » 42 o D 
Insgesamt stellte sich der Anteil der reinen Bergarbeiterlöhne am 
Förderungswert der Kohle im ganzen preußischen Staatsbereich im 
Durchschnitt: 
1895 auf 45,1 Froz. 


190 „ A o 
1905 om 445 m 
1910 m 445 » 


wobei angeführt werden mag, daß in diesem Durchschnitt die sehr 
niedrige oberschlesische Prozentziffer volkswirtschaftlich ihren Ausgleich 
findet, während sie angesichts der besonderen Verhältnisse dieses Be- 
zirkes von den Arbeitern jedenfalls als erträglich angesehen werden 
dürfte. 

Trotz allem verbieten diese Ziffern nicht, in eine Erwägung einzu- 
treten, ob es vom Standpunkte der gesamten Volkswirtschaft aus zu- 
lässig sein würde, den Arbeitern von dem am Schluß der einzelnen 
Rechnungsjahre erzielten Gewinn einen Anteil einzuräumen, und ob und 
welche Vorteile hiermit für sie verbunden sein würden. 

Tritt man an diese Frage heran, so gilt es zunächst, eine Methode 
der Beteiligung zu finden, denn daß es nicht angängig sein würde, den 
ganzen Gewinn zu verteilen, liegt auf der Hand, ebenso wie eine mecha- 
nische Teilung, also etwa die Zuweisung einer Hälfte oder eines Drittels, 
keine befriedigende Lösung darstellen würde. Als eine „Methode“ wäre 
vielleicht in Vorschlag zu bringen, daß jeder Arbeiter mit einem Kapital- 
anteil, also etwa mit dem Jahresbetrag seines Lohnes, als beteiligt an- 
gesehen würde. Will man nun eine Verteilung vornehmen, so wäre 
dieses angenommene Arbeiterkapital zu dem wirklichen Aktienkapital 
hinzuzuschlagen und hiernach eine neue Dividende zu berechnen, von 
der der entsprechende Prozentanteil auf jeden Arbeiter entfallen würde. 
Betrüge beispielsweise das Aktienkapital 20 Mill. M., die Dividende 
10 Proz., also 2 Mill. M., so wären für vorhandene 2000 Arbeiter je 
1500 M., im ganzen mithin 3 Mill. M. in Ansatz zu bringen, und es wären 
23 Mill. M. auf 2 Mill. M. Gewinn anteilsberechtigt. Die Dividende betrüge 
mithin nicht mehr 10 Proz., sondern rund 8,7 Proz., es würden also auf 
jeden Arbeiter bei 1500 M. Beteiligung 131,50 M., oder bei 300 Arbeits- 
tagen auf den Tag rund 43 Pf. entfallen. Für die Aktionäre wäre 
hier schon zu bemerken, daß bei einem Kurse von 200 die Dividende 


474 Miszellen. 


sich auf nur 4,3 Proz. stellen würde, daß sie also allerhöchstens noch 
der regulären Verzinsung eines Leihkapitals gleich käme. Der Anreiz, 
zu spekulieren, um mit dem eingelegten Kapital einen höheren Ertrag 
zu erzielen, wäre hiernach bei dieser Methode bereits so gut wie aus- 
geschaltet. Welche Personenzahl auf der Aktionärsseite steht, ist bei 
dieser Erwägung außer Betracht gelassen, es können ebensogut 3 oder 
4 Personen den ganzen Aktienbesitz in sich vereinigen, wie sich sämt- 
liche Aktien in Einzelhänden befinden können. Dem Arbeiter schwebt 
zumeist vor, daß ihm „das Kapital“ als geschlossene Phalanx gegen- 
übersteht. Daß auch ihn niemand hindern würde, für seine Ersparnisse 
eine oder mehrere Aktien zu kaufen, bedenkt er nicht, wenngleich es 
es natürlich für ihn wie für kleine Kapitalisten überhaupt ratsamer 
erscheint, das Geld bei der Sparkasse oder allenfalls in Anleihen des 
Reiches oder eines Bundesstaates, oder vielleicht in Stadtanleihen an- 
zulegen. Daß man statt der vorgeschlagenen auch eine anderweite 
„Methode“ wählem könnte, sei natürlich unbestritten, es sei, ehe die 
Frage als solche weiter erörtert wird, zunächst in eine Prüfung der 
Gewinnchancen. soweit das vorliegende Material dies zuläßt, eingetreten. 


In den preußisch-fiskalischen Bergwerks- und Hüttenbetrieben er- 


zielten: 
1909 


101 941 Mann bei einem Kapital von 388,2 Mill. M. einen Reingewinn von 23,8 Mill. M. 
= D Proz. Dividende 


1910 
104 794 Mann bei einem Kapital von 407,5 Mill. M. einen Reingewinn von 25,3 Mill. M. 
= 6 Proz. Dividende 
1911 
105 613 Mann bei einem Kapital von 400 Mill. M. einen Reingewinn von 23,4 Mill. M, 
= 5,9 Proz. Dividende 
1912 
105 562 Mann bei einem Kapital von 426 Mill. M. einen Reingewinn von 46,2 Mill. M, 
= 10,8 Proz. Dividende 


Nach obiger Methode reduziert sind dividendenberechtigt rund: 


1909 1910 1911 1912 
540 Mill. M. 570 Mill. M. 560 Mill. M. 590 Mill. M. 
also Dividende 4,4 Proz. 4,4 Proz. 4 Proz. 7,8 Proz. 
also Arbeiteranteil 66 M. 66 M. 60 M. r117 M. 


Im vierjährigen Durchschnitt betrüge hiernach der Arbeiteranteil 
für das Jahr 77 M. oder bei 300 Arbeitstagen rund 26 Pf. für den 
Tag !). 

Bei der Aktiengesellschaft Bismarckhütte ergaben sich bei ent- 
sprechender Abrundung der nicht für alle Jahre genau erhältlichen 
Arbeiterzahlen folgende Ziffern: 


1) Die Betriebsberichte bringen von einem Jahr zum andern „berichtigte Zahlen“, 
es war deshalb nötig, mit einer gewissen, für das Ergebnis unerheblichen Abrundung 
zu rechnen. 


Miszellen. 475 


1903 6 Mill. M. Kapital 6000 Arbeiter ıı Proz. Dividende 
6 


1904 e EI ge 6.000 ir 16 „ m 
19005 6 „ ww T 6000 Se det: ai de 
1906 10 „ »„ Be 6 500 pr F Y Mer? Se 
1907 10 „ » D 6 500 FB 28 » de 
1908 10 „u o 6 500 np 18 „ e 
1909 16 „ „ D 7 000 D 9 u PR 
1910 16 „ „ en 7 000 ep r og ze 
19311 16 „ o n 7 500 D © ` Ae op 
1912 16- + wë e 7 500 > O o K 


Bei Reduzierung ergaben sich folgende Dividende: 
1903 4,4 Proz. oder für den einzelnen Arbeiter 66 M. 


1904 64 „ N wtf 2 » 9 „ 
1905 8 e A: m a. CAE 
1906 111 „ a E e „166 „ 
1907 126 „ er ar ei op "189 „ 
1908 91 „ e "ap, Sr » » 136 „ 
1909 54 n e: ër 2 o ge 81 „ 
1910 42 „ Wir ia 2 ge v 63 „ 
1911 o ne gp .» » D D D o 
1912 o 7 o, ët go 2 en oO, 


oder im Durchschnitt jährlich 91 M., oder bei 300 Arbeitstagen auf 
den Tag rund 30 Pf. 

Sehr günstig steht bei einer verhältnismäßig geringen Arbeiterzahl 
die Aktiengesellschaft Gebr. Böhler in Ratibor da, welche in der Haupt- 
sache Werkzeugstahl und Gewehrläufe liefert. Bei durchschnittlich rund 
230 Arbeitern wird hier die Kapitalsdividende durch den auch hier auf 
1500 M. bemessenen Arbeiteranteil nur wenig beeinträchtigt und es er- 
geben sich: 


1903 bei einer reduzierten Dividende von 8,6 Proz. auf den Kopf 129 M. 


1904 DI ” DI mr HI 9,6 H n UI n 144 Hi 
1905 » » D D ve Pë e me m » 234 » 
1906 DI Hi ” HI Hi 15,6 Hi n n HI 234 mn 
1907 DI mr DI DI Hi 15,6 Hi 39 n 31 234 n 
1908 „p » Ge H TE, u ër a BEE 
1909 mr H HI ” H I 1,6 mm HI HI DI 174 39 
1910 Di DI Di DI mm I 1,6 DI n D D 174 UI 
1914 u" 5 = a so HE w nn 14m 
1912 Hi mm DI mm m 14,6 HI » n» n 219 n 


oder im Durchschnitt jährlich 190,50 M., oder für den Tag rund 63 Pf. 
Bemerkt sei, daß sich die wirkliche Kursdividende dieser Gesellschaft 
in den letzten Jahren nur auf etwa 5,5 Proz. stellte, so daß auf je 
1000 M. Kurskapital nur etwa 55 M. entfielen. Nimmt man an, daß 
infolge der Reduzierung jede 1000 M. Kurskapital 5 M. beizusteuern 
hätten, so würde der Arbeiter nahezu 4 volle Anteile für sich bean- 
spruchen; von einer Ausbeutung wäre also auch bei diesem scheinbar 
für die Kapitalisten so glänzenden Unternehmen keinesfalls die Rede. 

Lassen wir nun einige weniger günstige Werke folgen, so stellt 
sich bei der A.-G. Silesia-Paruschowitz bei einer Belegschaft von durch- 
schnittlich 2650 Mann 


476 Miszellen. 


1903 die reduzierte Dividende auf 3,6 oder auf den Kopf 54,00 M. 


1904 D ” D » 5 » » » D 75,00 „ 
1905 DI » n DI 8 » DI » » 120,00 „ 
1906 D DI D „ 10 D D » Di 150,00 ,„ 
1907 » Hi 21 » 8 D 31 D 31 120,00 Ui 
1908 DI HI Di D H » nn DI n 75,00 » 
1909 D DI n on A n DI DI DI 45,00 ,„ 
1910 D „ DI „ 43» D ” » 64,50 » 
1911 HI n HI UI 8 Hi UI 21 39 120,00 HI 
1912 n HI DI LI 8,5 » HI HI HU 127,50 UI 


oder im Durchschnitt jährlich 95,10 M 


Die A.-G. Oberschlesische Eisenindustrie für Bergbau und Hütten- 
industrie weist bei durchschnittlich 8800 Mann Belegschaft für die 
Jahresreihe 1904—1912 die folgenden Ziffern auf: 


1904 Dividende 2,7 Proz. Kopfanteil 42,50 M. 


1905 DI 3,8 nm nm 57,00 „ 
1906 vw 4 » » 60,00 „ 
1907 DI 4 » DI 60,00 DI 
1908 DI I DI nm 15,00 „ 
1909 ID D nm ” Ge HI 
1910 n o DI HI WE DI 
1911 HI o DI HI =» H 
1912 HI 2 D nm 30,00 „ 


oder im Jahresdurchschnitt 26,45 M. 

Die Aktiengesellschaft Ferrum in Bogutschütz Zawodzie bei Katto- 
witz hatte in 4 Jahren nur einmal eine Dividende zu verteilen, die einen 
Kopfanteil von 51 M. ergab, der Jahresdurchschnitt würde sich hier 
also nur auf 12,75 M. stellen. Die A.-G. Gottmitunsgrube erzielte in 
8 Betriebsjahren einen Jahresdurchschnitt von rund 24 M., bei den 
Hohenlohewerken ergaben 7 Jahre einen Jahresdurchschnitt von 119M., 
die Kattowitzer A.-G. für Bergbau und Eisenhüttenbetrieb verteilte in 
4 Jahren je 125 M., das Eisenhüttenwerk Keula A.-G. in 11 Jahren je 
51 M., endlich sei die A.-G. für Kohlenbergbau in Orzeche genannt, 
die ihr Grundkapital von 6 Mill. M. auf 2250000 M. zu reduzieren ge- 
nötigt war, und vor ihrer Begründung im Jahre 1891 bis zu ihrer Auf- 
lösung überhaupt keine Dividende zahlte. Sie hatte von 1904—1912 
einen Lohnaufwand von rund 2800000 M., es seien also diese 9 Jahre 
als durchschnittsberechtigt für die Belegschaft mit O in Ansatz gebracht. 

Die vorstehenden Beispiele würden sich natürlich beliebig vermehren 
lassen, doch scheinen sie ausreichend, um ein Bild zu geben von dem 
voraussichtlichen Vorteil, der dem Arbeiter bei einer Verweisung eines 
Einkommenteiles auf einen möglichen Gewinn erblühen würde. Da der 
Kopfanteil von dem sich umsetzenden Kapital und der Höhe der Beleg- 
schaft unabhängig ist und nur von den geschäftlichen Erfolgen der 
einzelnen Unternehmungen beeinflußt wird, kann die Behauptung auf- 
gestellt werden, daß ein Gesamtdurchschnitt aus den vorstehend er- 
mittelten Durchschnittsziffern einen gewissen Rückschluß auf die im 
allgemeinen vorhandene Möglichkeit einer Gewinnerzielung zulassen 
würde. Diese Möglichkeit würde sich erhöhen oder vermindern, je 
nachdem man den Kapitalanteil des Anteiles höher oder geringer an- 


Miszellen. 477 


setzt; es bliebe zu erwägen, inwieweit die Lage der Industrie eine solche 
Blutentziehung zulassen würde. 
Die oben ermittelten Ziffern waren folgende: 


Staatliche Werke 4 Jahre je 77,00 M. ergibt für den Mann 308 M. 
Bismarck-Hütte 10 nm » 91,00 „ DI nm nu ” 910 , 
A.-G. Böhler 10 DI » 190,50 „ nm nm DI HI 1905 „ 
A.-G. Silesia 10 ID » 95,10 ID nn DI » ID 951 DI 
Oberschlesische A.-G. 9 un 2645» » an » AR „ 
A.-G. Ferrum 4 nm „ 12,75 „ DI nm HI nm SI, 
Gottmituns-Grube 8 u» n 240 a o nm n D 192 „ 
Hohenlohe-Werke 7 DI „ 119,00 „ DI DI DI D 833 nm 
A.-G. Kattowitz RR en D 500 „, 
A.-G. Keula 11 ID » 51,00 „ DI HI HI DI 561 nm 
A.-G. Orzeche 9 = — 


HI DI DI HI HI nm n D 


oder in 86 Jahren insgesamt 6449, mithin auf das Jahr und den Kopf 
74,90 M. oder bei 300 Arbeitstagen auf den Kopf täglich 24,90 Pf., 
ein Betrag, der zum Umsturz unserer Staats- und Wirtschaftsordnung 
nicht eben einladen dürftel). Auch dieser Betrag würde sich natür- 
lich noch vermindern, da sehr zahlreiche Arbeiter überhaupt nicht im 
Interesse einer Gewinnbeteiligung, sondern wie z. B. die sämtlichen 
städtischen Arbeiter und ein großer Teil der Arbeiter in Staatsbetrieben, 
z. B. in der Marine, für Öffentliche Zwecke tätig sind. Wollte man 
allen diesen Arbeitern jährlich 72 M. oder 6 M. im Monat oder 20 Pf. 
für den Kalendertag als Gewinnanteil zuwenden, so würden bei rund 
20 Millionen Erwerbstätigen in der Land- und Forstwirtschaft und in 
der Industrie 1440 Mill. M. zur Gewinnverteilung erforderlich sein, wobei 
die Angestellten im Handels- und Verkehrsgewerbe, in öffentlichen und 
in häuslichen Diensten leer ausgingen. Rund 2 Millionen Erwerbstätige 
sind dabei auch für die benannten Gruppen als Einzelne bzw. in leiten- 
den Stellen Befindliche außer Betracht gelassen, ebenso die nahezu 
1/, Million „Sonstigen‘“, die mit einer der Wahrscheinlichkeit tunlichst 
angenäherten Ziffer zustande kam. 

Für das angenommene Arbeiterkapital stellen jene 72 M. cine 
Verzinsung von annähernd 5 Proz. dar; 5 Proz. wird auch als Durch- 
schnittsverzinsung für das Leihkapital und übrigens nach obigem als 
Kursdividende für das in ruhigen Industriebetrieben tätige Aktienkapital 
angesetzt werden dürfen. 

Würde ein Unternehmer seine Arbeiter am Gewinn beteiligen, so 
fiele natürlich jeglicher Anlaß für ihn weg, sich in anderer Weise um 
ihre „Wohlfahrt“ zu bekümmern, wie dies bei Krupp beispielsweise 
durch seine Konsumanstalt, seine Wohnungsfürsorge und seine freiwillige 
Altersversorgung in hervorragendem Maße geschieht. Würde die Firma 
Krupp, deren Jahresberichte in dieser Beziehung einwandfreie Aus- 
kunft geben, gar nichts für die Wohlfahrt aufwenden, und die für die 
Altersversorgung alljährlich gespendeten bedeutenden Summen zurück- 
behalten, so würde diese natürlich ihrem Gewinn zuwachsen und als 


1) Es sei bemerkt, daß auch eine vollkommene Durchrechnung des ganzen Jahr- 
buches vom Buchstaben A—Z kein wesentlich anderes Ergebnis erbrachte. 


478 Miszellen. 


Dividende zur Verteilung kommen. Würden nunmehr die Arbeiter nach 
der oben angeordneten Methode mit ihrem Jahresverdienst als dividende- 
berechtigt in Ansatz gebracht, so entfielen auf den Mann: 

1903 1904 1905 1909 1910 1913 

82 M. 110 M. 123 M. 117 M. 144 M. 255 M. 
Würden anderseits die Wohlfahrtsaufwendungen einschließlich der 
Zinsen der Pensionskasse und der diesen Kassen überwiesenen Summen 
auf den Kopf verteilt, wobei die Wohnungsfürsorge als nicht in dieser 
Weise teilbar außer Betracht bleiben muß, so ergäben sich folgende 
Beträge: 

1903 1904 1905 1909 1910 1913 

110 M. 126 M. 160 M. 104 M. 122 M. 197 M. 
Nur in den letzten besonders günstigen Jahren hätten also die 
Arbeiter einen gewissen Vorteil, der aber durch die ihnen auf anderem 
Wege gebotene billige Möglichkeit des Einkaufes aller ihrer Bedürfnisse 
mehr als völlig aufgewogen werden dürfte. 

Alles in allem ist hiernach die Behauptung berechtigt, daß die Ge- 
winnbeteiligung dem Arbeiter schon bei lediglich ziffernmäßiger Be- 
trachtung keinerlei nennenswerten Vorteil erbringen würde. Daran 
würde auch eine anderweite Bemessung des Kapitalanteils des Arbeiters 
oder seine Verweisung auf einen Bruchteil der Dividende, also eine 
andere als die vorgeschlagene „Methode“, nichts Wesentliches ändern. 
Für die deutsche Volkswirtschaft wäre, auch wenn man mit Helfferich 
das jährliche Gesamteinkommen Deutschlands auf 42 Milliarden M. 
beziffert, eine jährliche Entziehung von 1440 Mill. um so weniger gleich- 
gültig, als dieser Geldbetrag, auch wenn er, wie anzunehmen, in einem 
Betrage ausgezahlt würde, nur in den seltensten Fällen als Ersparnis 
und demgemäß kapitalbildend angelegt werden würde. Da die Emp- 
fangsberechtigten, auch wenn einmal ein Zukunftsstaat ihnen die Ge- 
winnbeteiligung gesetzlich gewährleistete, bis zum letzten Augenblick 
nicht wissen würden, ob und welcher Geldbetrag für das betreffende 
Wirtschaftsjahr auf sie entfiele, so hätte diese Einnahme ganz und gar 
den Charakter eines Lotteriegewinnes. Sie würde bestenfalls zu einigen 
Anschaffungen für den Haushalt oder zur Abzahlung kleiner Schulden, 
wahrscheinlich aber, zumal von jüngeren Leuten, lediglich zu einer 
Augenblicksbelustigung, und selbst wenn dies eine kleine Reise wäre, 
Verwendung finden. Eine jährlich sich wiederholende Verschleuderung 
von 1440 Mill. M. könnte aber auch die gesundeste Volkswirtschaft 
auf die Dauer nicht vertragen, sie würde zerstörend wirken, und nach- 
keiner Richtung hin wirklichen Nutzen stiften. 

Die Frage der Gewinnbeteiligung der Arbeiter ist im übrigen nach 
ihrer ethischen, volkswirtschaftlichen und politischen Seite schon so oft 
Gegenstand der Untersuchung gewesen, daß wesentlich Neues aus all- 
gemeinen Gesichtspunkten dazu schwerlich noch beizubringen sein würde. 
Das wesentlichste Bedenken bleibt, daß der Arbeiter keinen maßgebenden 
Einfluß auf die Gewinnerzielung haben und deshalb auch keinen An- 
sporn in sich verspüren kann, auf einen solchen hinzuwirken. Es sei 
im Hinblick hierauf auf die Ausführungen von Taylor in seinen „Grund- 


Miszellen. 479 


sätzen wissenschaftlicher Betriebsführung“ hingewiesen. Derselbe legt 
dar, daß man den Arbeiter nur dann dazu bringen kann, längere Zeit 
mit aller Anstrengung zu arbeiten, wenn man ihm einen wesentlich 
größeren Verdienst zusichert. Der beabsichtigte Erfolg wird leicht er- 
reicht, wenn der Mehrlohn den Leuten dauernd bleibt, und wenn sie ihn 
ausgezahlt erhalten, sobald sie ihr Pensum in der zugemessenen Zeit. 
erledigen. Nur auf diese Weise wird der gute Wille und das wahre 
Selbstinteresse der Arbeiter betätigt. 

In Taylors Grundsätzen scheint im übrigen der Weg gegeben, auf 
ein friedliches Einvernehmen zwischen Arbeiter und Unternehmer hin- 
zuwirken, weil die beiderseitigen Interessen dadurch die wirksamste 
Förderung erfahren. Die Gewinnbeteiligung auf der anderen Seite würde 
eher eine Quelle des Unfriedens darstellen, weil alle Momente der Ab- 
rechnung und des Jahresabschlusses, die Abschreibung, die Rücklage zu 
den Reservefonds, die Abfindung des Aufsichtsrates und vieles andere 
mehr zu Meinungsverschiedenheiten und unliebsamen Auseinander- 
setzungen den Anlaß bieten kann. 

In der Presse ward kürzlich viel Rühmens erhoben von der Organi- 
sation und den Leistungen der deutsch-chinesischen Hochschule in 
Tsingtau; aus Chile wurde berichtet, wie dort die Industrialisierung 
unter der Leitung deutscher Ingenieure erfreuliche Fortschritte macht, 
anderseits meldet die Zeitschrift „Export“ immer wieder, wie allmählich 
die Einfuhr europäischer Stapelartikel durch japanische Erzeugnisse 
und die eigenen industriellen Leistungen der früheren Absatzgebiete be- 
einträchtigt wird. — Die hierin liegende Mahnung findet in unserer 
öffentlichen Meinung viel zu geringe Beleuchtung. Der Chinese quält 
sich ganz sicher nicht um unserer schönen Augen willen mit den 
Elementen unserer technischen Wissenschaft, ihn leiten ganz aus- 
schließlich und in vollster Rücksichtslosigkeit wirtschaftliche Er- 
wägungen. Wenn er genug gelernt hat, wird er sich seine Lokomotiven 
und Elektromotore selber bauen und für die Baumwollwaren und Woll- 
zeuge ist er uns gegenüber dadurch im Vorteil, daß er die Rohstoffe 
selber erzeugt und sie nicht weither über das Meer heranzufahren 
braucht. 

Aus diesen Gründen stehen der Kulturwelt in den nächsten Men- 
schenaltern grundstürzende Aenderungen bevor; unsere Erfolge auf dem 
Gebiet der so schnell hereingebrochenen großindustriellen Entwicklung, 
die noch keine 50 Jahre alt ist, haben uns den Blick getrübt; den 
Erfolgen der Technik muß die Umgestaltung der Kulturwelt und damit 
eine Neuorientierung der bürgerlichen Gesellschaft auf dem Fuße folgen. 

Gerade hierdurch aber eröffnen sich dem deutschen Arbeiter neue 
hoffnungsreiche Aussichten. Daran freilich, daß der Arbeitslohn sich 
nach dem Wert der Arbeitsleistung bestimmt, wird sich nichts ändern 
lassen, auch daran nicht, daß eine geringe Zahl von geistigen Leitern 
dem Handarbeiter den Dienst vorschreibt und daß der erarbeitete Gewinn 
zu neuem Schaffen zurückbehalten werden muß. Wohl aber weist diese 
Entwicklung mehr und mehr darauf hin, daß wir davon absehen können, 
geringwertige Ware, die außerdem durch die Heranziehung des Roh- 


480 Miszellen. 


materials unverhältnismäßig kostspielig ist, in riesigen Massen für den 
Export zu fertigen. Mehr und mehr wird sich der europäische Gewerbe- 
fleiß auf die Erzeugnisse einer hochentwickelten Mechanik, auf die 
Leistungen der chemischen Industrie, der Elektrotechnik, der Optik und 
des Kunstgewerbes beschränken können und müssen. Wir dürfen, so- 
weit wir diese Frage bis jetzt beurteilen können, annehmen und hoffen, 
dal der weißen Rasse und ganz besonders deutscher Gründlichkeit und 
Ausdauer die Führung auf dem Wege der Entwicklung vorbehalten 
bleibt, daß wir in der Organisation auch weiter an der Spitze marschieren 
werden. ` 

Wenn dann weiter im Sinne des Taylorsystems die unnötigen 
Reibungswiderstände aus der gewerblichen Betätigung ausgeschaltet 
werden, wenn die wissenschaftliche Betriebsweise mehr und mehr unsere 
Arbeitsstätten durchdringt, und wenn wir uns so immer mehr dem Ideal 
nähern: „mit der geringsten Anstrengung die höchste Leistung“, dann 
kann auch die Rückwirkung auf den Arbeitslohn nicht ausbleiben, und 
mit Taylor dürfen wir hoffen, daß die gesteigerte Kaufkraft auch erhöhte 
Bedürfnisse und damit immer mehr sich ausbreitende Arbeitsgelegenheit 
schaffen wird. 

In dieser Richtung, in dem Anpassen an die gegebenen Verhält- 
nisse, in dem Einfügen in den von dem geistigen Leiter vorgeschriebenen 
wohltätigen Zwang liegt das Heil und die Hoffnung des Arbeiters, nicht 
in den Utopien, die allenfalls das Gutte hatten, daß sie den einfachen 
Mann aus seiner geistigen Trägheit aufrüttelten. 

So betrachtet, ist auch die Sozialdemokratie eine vorübergehende 
Erscheinung, die ihre geschichtliche Mission hatte, und von der unsere 
Nachkommen reden werden wie von den Christenverfolgungen oder von 
den Stürmen des Bauernkrieges. 


Nachtrag. 


Zu den vorstehenden allgemeinen Betrachtungen sei noch ein 
Sonderbeispiel angeführt, zu dem mir die Ziffern von der Handels- 
kammer zu Bochum freundlichst zur Verfügung gestellt wurden. Bei 
Beurteilung dieser Ziffern wurde wiederum der Kapitalanteil des ein- 
zelnen Arbeiters mit einem durchschnittlichen Arbeitslohn von 1500 M. 
angesetzt, wobei natürlich nicht verkannt wurde, daß ein anderer Ansatz 
auch ein anderes Ergebnis herbeiführen würde. Sehr beträchtlich ist 
dieser Unterschied nicht, weil eine höhere Kapitalbeteiligung der Arbeiter 
die Dividende herabsetzt, so daß der Kopfanteil ein entsprechend 
kleinerer wird. Bei dem ersten der nachstehend angeführten Fälle 
würden beispielsweise bei 1500 M. Kapitalanteil 15 Proz. Dividende 
und demgemäß für den Mann 225 M. erzielt, während 1800 M. nur 
14 Proz. Dividende und dementsprechend 252 M. oder 27 M. mehr er- 
geben; die Steigerung beträgt demnach in dem angeführten Falle für 
den höheren Kapitansatz nur 9 Proz. 

Ich lasse nunmehr die mir gelieferten Zahlen folgen, die sich sämt- 
lich auf das Geschäftsjahr 1912 bzw. 1912/13 beziehen: 


Miszellen. 481 


Arbeiterzahl Dividende Teduzierte 
ividende 

Bergwerks-A.G. Consolidation zu Gelsenkirchen 7 020 23 15 
Bochumer Bergwerks-A.-G. 1 238 8 5,7 
Harpener Bergbau-A.-G. 30559 II 7,1 
Hibernia- Herne 8 684 11,2!) 9,4 
Bochumer Verein 14 529 14 8,4 
Westfälische Stahlwerke 5 000?) o o 
Gelsenkirchener Gußstahlwerke Munscheid & Co. 1 120 6 3,8 
Schalker Herd- und Ofenfabrik F. Küppersbusch 

u. Sohn 1968 13 7,4 
Gussstahlwerk Witten 2 167 14 9,3 
Wittener Stahlröhrenwerke 1 084 o o 
Westfälische Eisenwerke Werne bei Langendreer 1 807 3 2,2 
Eisenhütte Westfalia 314 20 9,4 
Maschinenfabrik Westfalia Gelsenkirchen 322 4 2,9 
Maschinenfabrik Baum A.-G. in Herne 1074 10 6,5 
Glas- und Spiegelmanufaktur Gelsenkirchen 499 22 18,5 
Wittener Glashütte 495 4 2,3 
A.-G. für chemische Industrie Gelsenkirchen 339 10 8 
A.-G. für chemische Industrie Bochum 305 o o 
Schlegel-Brauerei Bochum 97 II 10,2 
Brauerei Scharpenseel Bochum 90 10 8 
Brauerei Müser A.-G. in Langendreer 128 8 7,5 
Brauerei Glückauf in Gelsenkirchen 125 8 7,5 


Die verschiedene Reduktion der Dividende, z. B. bei der Eisenhütte 
Westfalia und der Schlegel-Brauerei, erklärt sich aus dem Verhältnis 
der Arbeiterzahl zu dem Kapitalbesitz, der bei der Brauerei gegenüber 
97 Arbeitern 2000000 M. gegen nur 400000 M. bei der genannten 
Eisenhütte beträgt; von der Anführung der übrigen Kapitalien ist, weil 
sie für den vorliegenden Zweck entbehrlich erschien, abgesehen worden. 

Bei den vorstehend angeführten Untersuchungen wären hiernach 
auf rund 79000 Arbeiter rund 9 Mill. M. an Dividende zu verteilen, was 
einem Kopfanteil vor rund 114 M. oder bei 300 Arbeitstagen 38 Pf. 
auf den Tag gleichkäme. Dieses Ergebnis wäre nicht unwesentlich gün- 
stiger als bei der vorher gegebenen allgemeinen Darstellung, doch bleibt 
auch hier bestehen, daß die Einkommensverbesserung noch nicht 8 Proz. 
betrüge und daß die teilweise außerordentlich günstigen Ergebnisse, 
z. B. bei der A.-G. Consolidation und der Spiegelmanufaktur Gelsen- 
kirchen, nicht als der Regel entsprechend angesehen werden dürfen. 
Zum „Umsturz“ laden auch diese Ziffern nicht ein. 

Insgesamt wären bei den genannten Unternehmungen in dem be- 
treffenden Wirtschaftsjahr rund 30 Mill. M. an Dividende zu verteilen, 
von dener nach obiger Darlegung nahezu der dritte Teil in sehr kleinen 
Abschnitten den Arbeitern zuzuwenden wäre. Würde man diese Sach- 
lage als allgemeingültig ansehen, so ergäbe sich, daß eine verhältnis- 
mäßig sehr kleine Wohltat eine wesentlich Umgestaltung unserer ge- 
samten volkswirtschaftlichen Lage nach sich ziehen würde, denn es 
liegt auf der Hand, daß die Entziehung von einem Drittel des jährlichen 


1) Von den Stammaktien abgeleitet. Vorzugsaktien ergeben mehr. 
2) Arbeiterzahl nicht angegeben, geschätzt nach dem Verhältnis des Aktienkapitals 
im Vergleich zum Bochumer Verein. 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID. 31 


482 Miszellen, 


Kapitalzuwachses nicht ohne Einfluß auf den wirtschaftlichen Fort- 
schritt, auf den Unternehmungsgeist und dessen Betätigung bleiben konnte. 
Auf die Gesamtheit aller Erwerbstätigen verteilt, würde der Betrag von 
114 M. pro Kopf eine Summe von 3,2 Milliarden M. erfordern, mit 
anderen Worten: es würde auch bei der sehr günstigen Annahme von 
Helfferich fast der dritte Teil des jährlichen Zuwachses an Volksver- 
mögen verzettelt und aller Voraussicht nach verschleudert werden. Für 
die Besitzer der Varietés und Kinos und vielleicht für einige Modebazars 
sowio für minderwertige Kneipen erwüchse eine goldene Zeit, während 
die Gesamtheit alsbald die neue Methode der Volksbeglückung als einen 
schweren Schaden empfinden würde. 

Auch die spezielle Berechnung, wenn sie auch für den Arbeiter 
etwas günstiger ausfallen mag, ermutigt hiernach nicht, die Frage 
der Gewinnbeteiligung der Arbeiter als ein neues. Allheilmittel für die 
sozialen Schäden der gegenwärtigen Entwicklung in Ansatz zu bringen; 
es wird hierfür auch in Zukunft nur eine verbesserte Betriebsweise, ein 
rationellerer Umsatz und die Ausschaltung unnötiger Reibungen in Be- 
tracht kommen können. Alles das weist auf die Gemeinsamkeit der 
Interessen der Arbeiter und Unternehmer, auf den sozialen Frieden, nicht 
auf den Streit hin. Dieser Erkenntnis zu dienen, waren auch die vor- 
stehend gegebenen Beispiele und Zahlen bestimmt 1). 


1) Diese Arbeit ist vor dem Kriege geschrieben. Möge sie nach dem Friedens- 
schlusse einige Beachtung finden. D. V. 


Miszellen. 483 


XIII. 


Die Muttersprache der ausländischen weißen Be- 
völkerung der Vereinigten Staaten von Nordamerika. 


Von Karl Berger in Liesing bei Wien. 


Vor ganz kurzer Zeit erschien ein Bericht des „Bureau of Census“ 
im amerikanischen Handelsamte, welcher den Direktor dieser Abteilung, 
W. J. Harris zum Herausgeber hat; er enthält eine sehr umfangreiche 
und interessante Statistik über die Muttersprache der ausländischen 
weißen Bevölkerung in den Vereinigten Staaten. Bei der Verarbeitung 
der Daten wurde nur jene Sprache als Muttersprache festgestellt, die von 
den Ausländern vor der Einwanderung in ihrem Heime gesprochen 
wurde, nicht aber jene Sprache ihres Stammes, weil diese manchmal 
von der ersteren verschieden ist. 

Von größter Bedeutung ist die Statistik über die Muttersprache der 
Einwanderer von den fünf Ländern, Deutschland, Oesterreich, Ungarn, 
Rußland und Kanada. Die Einwanderer von Kanada sprechen beispiels- 
weise französisch oder englisch, die der anderen Länder aber weisen 
eine auffallend große Sprachenverschiedenheit auf. Auch von Belgien 
kommen französisch oder flämisch sprechende Einwanderer, von den 
Einwanderern der Schweiz werden dreierlei Sprachen gesprochen, näm- 
lich französisch, deutsch oder italienisch; vielsprachig sind auch die 
Einwanderer der Balkanstaaten usw. 

Die englische Sprache ist unter den Einwanderern als Muttersprache 
am meisten vertreten. Sie überflügelt mit 10037420 Vertretern selbst 
die deutsche Sprache, obgleich die deutschen Länder zu dem Kontingent 
der ausländischen Weißen in den Vereinigten Staaten 27,3 Proz. stellen 
(Census 1910). Sodann kommen als nächste hinsichtlich der Zahlenhöhe 
die italienische, die polnische und die hebräische Sprache als Mutter- 
sprache in Betracht; bei den drei letztangeführten erreicht aber keine 
ein Viertel der Vertreter der deutschen Sprache. Noch geringer sind, 
wie die nachfolgende Uebersicht über die acht Haupt-Mutter- 
sprachen in den Vereinigten Staaten zeigt, die schwedische, die franzö- 
sische und die norwegische Muttersprache vertreten. Insgesamt um- 
fassen diese acht Sprachen 87,5 Proz. aller ausländischen Weißen in den 
Vereinigten Staaten von Nordamerika. 


LH 

Muttersprache Zahl Proz. 

Englisch 10 037 420 31,1 
Deutsch 8 8171271 27,3 
Italienisch 2151422 6,7 
Polnisch 1707 640 5,4 
Hebräisch 1 676 762 5,2 
Schwedisch 1445 869 4,5 
Französisch 1357 169 4,2 
Norwegisch 1.009 854 3,1 
28 203 407 87,5 

Andere Muttersprachen 4 039 975 12,5 
Alle Muttersprachen zusammen 32 243 382 100,0 


484 Miszellen. 


Von der Gesamtzahl der ausländischen Weißen Amerikas (32 243 382) 
sind somit 8817271 Personen Deutsche (nach ihrer Muttersprache), aber 
nur 8495142 stammen aus dem Deutschen Reiche, der Rest aus Oester- 
reich, der Schweiz usw. 

Auch von den die englische Sprache als ihre Muttersprache be- 
zeichnenden ausländischen Weißen ist England nur zu einem geringen 
Teil auch ihr Geburtsland (6,6 Proz.); alle übrigen englisch sprechen- 
den Einwanderer sind in Irland, Schottland, in Wales, in Kanada oder in 
anderen Ländern geboren worden. 

Die französische Muttersprache ihr Eigen nennenden Einwanderer 
der Vereinigten Staaten sind ebenfalls kaum zu einem Viertel in Frank- 
reich geboren worden; es sind zum größten Teile Kanadier, Schweizer, 
Belgier usw. Ein ähnliches Verhältnis ergibt sich für Spanien, da die 
Hauptzahl der spanisch sprechenden Einwanderer aus Mexiko oder aus 
anderen Ländern Südamerikas kommt. 

Belgien, Oesterreich, Griechenland und die Europäische Türkei 
zeigen hinsichtlich der Muttersprachen in der jüngeren Einwanderung 
einen Aufschwung, während sich in der Zahl der Einwanderer aus Frank- 
reich, der Asiatischen Türkei, Südamerikas und Afrikas eine Abnahme 
zeigt. In der Einwanderung der Abkömmlinge Deutschlands mit deutscher 
Muttersprache zeigt sich gleichfalls eine Abnahme, der Polen eine Zu- 
nahme; bezüglich Oesterreichs hat die Zahl der Czechen ab-, die der 
Polen aber ebenfalls zugenommen. Eine schwache Zunahme ergab sich 
auch bei den Deutsch sprechenden Einwanderern Frankreichs gegen- 
über den Französisch sprechenden und eine bedeutende Zunahme der 
Englisch sprechenden Abkömmlinge Kanadas gegenüber den Franzö- 
"stach sprechenden. 

Bei der österreichischen Einwanderung überwiegt das slawische 
Element, bei den Einwanderern aus Rußland das hebräische (52,3 Proz. 
gegen 2,5 Proz.), die Einwanderer der Europäischen Türkei sind zum 
größten Teile Griechen und Bulgaren. 

Von den vielen anderen Muttersprachen, die von den russischen 
Einwanderern berichtet werden, gehören der polnischen 25,5 Proz. an, 
der lithauischen und lettischen 7,9 Proz., der deutschen 9,5 Dro, 
Groß-Russen sind 2,6 Proz., Klein-Russen 0,2 Proz., Finnen 0,3 Proz., 
Slovaken, Griechen, Armenier und Czechen je 01 Proz. Auch die 
Rumänen machen nicht ganz 0,1 Proz. aus. 

Die Zahl der ihre Muttersprache mit jüdisch und hebräisch be- 
zeichnenden Einwanderer dürfte kaum der Wirklichkeit entsprechen. 
Viele von den jüdischen Einwanderern bezeichnen nämlich deutsch, 
polnisch, russisch, englisch etc. als ihre Muttersprache. Von der 
Gesamtzahl der Jüdisch sprechenden Einwanderer kamen 838193 
von Rußland, 144484 von Oesterreich-Ungarn, 41342 von Rumänien, 
14409 von Großbritannien und 7910 von Deutschland. 

Aus der Schweiz kamen 0,9 der Einwanderer mit deutscher und 
weniger als 0,1 Proz. mit französischer Muttersprache. Von Belgien 
bezeichneten mehr als die Hälfte Flämisch, mehr als ein Drittel aber 
Französisch als ihre Muttersprache. Die Einwanderer aus Deutsch- 


Miszellen. 485 


land sind zu über 90 Proz. deutscher Zunge, 6 Proz. sind Polen (nach 
der Muttersprache), während keine andere Sprache 1 Proz. übersteigt. 

Bei den kanadischen Einwanderern überwiegen die mit englischer 
Muttersprache (einschließlich Irländer, Schotten) mit 63,8 Proz. gegen- 
über 33,7 Proz. der Einwanderer mit französischer Muttersprache. 

Nachfolgend sei noch eine Tabelle beigegeben, welche die Zahl der 
ausländischen weißen Bevölkerung (auch der eingeborenen Weißen von 
ausländischen Eltern), sowie der fremdgeborenen Weißen separat nach 
ihrer Muttersprache zeigt; die Ziffern beruhen auf dem 13. Uensus der 
Vereinigten Staaten vom Jahre 1910. 


Muttersprache Zahl der ausländischen Fremdgeborene 


weißen Bevölkerung Weiße 

Englisch 10 037 420 3 363 792 
Deutsch 8817 271 2 795 032 
Holländisch und friesisch 324 930 126 045 
Flämisch 44 806 25 780 
Schwedisch 1 445 869 683 218 
Norwegisch 1 009 854 402 587 
Dänisch 440 473 186 345 
Italienisch 2151422 1 365 110 
Französisch 1357 169 528 842 
Spanisch 448 198 258 131 
Portugiesisch 141 268 72649 
Rumänisch 51124 42 277 
Griechisch 130 379 118 379 
Polnisch 1 707 640 943 781 
Böhmisch und Mährisch 539 392 228 738 
Slovakisch 284 444 166 474 
Russisch 95 137 57 926 
Ruthenisch 35 359 25 131 
Slovenisch 183 431 123 631 
Kroatisch 93 036 74036 
Dalmatinisch 5 505 4344 
Serbisch 26752 23 403 
Montenegrinisch 3961 3 880 
Bulgarisch 19 380 18 341 
Slawisch (nicht genau bezeichnet) 36 195 21012 
Lithauisch und Lettisch 211 235 140 963 
Hebräisch 1 676 762 1051767 
Ungarisch 320 893 229 094 
Finnisch 200 688 120 086 
Armenisch 30 021 23 938 
Syrisch und Arabisch 46727 32 868 e 
Türkisch 5 441 4709 
Albanisch 2 366 2312 

Alle anderen 790 646 

Unbekannt 313 044 116 272 


Alle Muitersprachen zusammen 32 243 382 13 345 545 


486 Miszellen. 


XIV. 
Der Streit um die Weltwirtschaftslehre. 


Von Prof. Dr. Rud. Kobatsch, Wien. 


Prof. Karl Diehl hat in diesen Jahrbüchern (Oktoberheft 1918), 
hauptsächlich in Polemik gegen Prof. Harms, die Berechtigung einer 
selbständigen Weltwirtschaftslehre bestritten, ferner hat Prof. Lotz im 
Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik (Januarheft 1914) den 
gleichen ablehnenden Standpunkt eingenommen, nachdem Prof. Bonn 
im selben Archiv (1911 und 1912) gegen diese neue Disziplin aufgetreten 
war. Da ich selbst schon 1907, also einige Jahre vor Harms, in meinem 
Buche ‚Internationale Wirtschaftspolitik“ den Gedanken vertrat, daß es 
an der Zeit sei, eine selbständige Disziplin der Weltwirtschaftslehre 
und der auf die Weltwirtschaft gerichteten Politik zu schaffen, so 
möchte ich nochmals die Gründe darlegen, welche für die selbständige 
wissenschaftliche Behandlung der Weltwirtschaftsfragen geltend gemacht 
werden können. 

Diehl u. a. führen hauptsächlich an, daß die Weltwirtschaftslehre 
im Rahmen der heutigen Volkswirtschaftslehre zu erledigen sei. Man 
gibt zu, daß das Wort Volkswirtschaftslehre oder Nationalökonomie 
mißverständlich sei, doch umfasse die Volkswirtschaftslehre sowohl 
weltwirtschaftliche wie national- und kommunal-wirtschaftliche Erschei- 
nungen und besage überhaupt nur, daß man nicht die Erscheinungen 
isolierter Individuen oder Einzelwirtschaften betrachten solle, sondern 
Erscheinungen, die sich aus dem Zusammenschluß der Menschen in 
Verbänden engerer und weiterer Art ergeben. Diese Erscheinungen 
gehen aber großenteils weit über den Rahmen eines Volkes hinaus. 
Diehl exemplifiziert auf das Wesen der Krisen, auf die Tendenzen 
der Lohnbewegung, der Getreidepreise und die Bedeutung der welt- 
wirtschaftlichen Zusammenhänge dieser Phänomene. 

s Qui bene distinguit, bene docet. Der allgemeine Teil der bisherigen 
Volkswirtschaftslehre betrachtet die wirtschaftlichen (oder, wie Diehl 
mit Vorliebe sagt, die sozialen) Erscheinungen in der Tat ohne Rücksicht 
auf eine einzelne Volksgemeinschaft, sondern postuliert im wesentlichen 
gleiche Grundlagen der Forschungen auf der ganzen Welt. Die Volks- 
wirtschaftslehre betrachtet aber in diesem Falle ihre Forschungsobjekte 
vom Standpunkte der vergesellschaftet wirtschaftenden Menschen, d. h. 
geht im wesentlichen aus von den wirtschaftlichen Bedürfnissen des Men- 
schen und deren Art und Weise, ferner von den Mitteln und der Art zu 


Miszellen. 487 


ihrer Befriedigung. In diesem Sinne ist es wohl richtig, daß die National- 
ökonomie nicht so sehr Volks-, sondern, wie der von Diehl zitierte 
Fulda schon 1820 sagte, Völkerökonomie ist. Doch beachte man, daß es 
sich immer nur um die Frage der Befriedigung der menschlichen Bedürf- 
nisse handelt, und zwar wenigstens bisher unter der ausdrücklich hervor- 
gehobenen oder wenigstens stillschweigend zugegebenen Voraussetzung 
der innerhalb der einzelnen Volksgemeinschaften oder einzelnen Volks- 
wirtschaften organisierten Wirtschaftssubjekte. Daß hierbei auch auf 
die zwischenstaatlichen oder weltwirtschaftlichen Beziehungen, wie Diehl 
hervorhebt, Bezug genommen wurde, ist zwar richtig, das Entscheidende 
aber, was die Vertreter einer Weltwirtschaftslehre zur Aufstellung ihres 
Postulates führte, ist dieses: die zwischenstaatlichen oder völkerwirt- 
schaftlichen Zusammenhänge, Abhängigkeiten, Beeinflussungen der zu- 
nächst national oder staatlich organisierten Wirtschaftssubjekte haben 
seit geraumer Zeit so sehr an Bedeutung und zwar in mannigfacher Hin- 
sicht gewonnen, daß gerade diese Beziehungen Gegenstand besonderer 
Forschung sein sollen. Sowohl was den zwischenstaatlichen persönlichen 
Verkehr aller Art (namentlich die Wanderbewegung) betrifft, als auch 
was den Warenverkehr (die Domäne der bisher in den volkswirtschaft- 
lichen Lehrbüchern beinahe ausschließlich von weltwirtschaftlichen Pro- 
blemen behandelten Handelspolitik), nicht zuletzt aber auch was den 
internationalen kapitalischen oder finanziellen Verkehr betrifft, sind 
die zwischenstaatlichen oder welt- bzw. völkerwirtschaftlichen Zusammen- 
hänge, Abhängigkeiten usw. so außerordentlich zahlreiche, ständige und 
regelmäßige geworden und wachsen in einem derart steigenden Maße, 
daß sie die Gestaltung der einzelnen Volkswirtschaften und noch mehr 
der Einzelwirtschaften innerhalb einer Volkswirtschaft in immer stär- 
kerem Maße bedingen und verändern. Es sollten daher, nach meiner 
Ansicht, gerade diese neuzeitlichen Phänomene Gegenstand einer Sonder- 
disziplin werden und zwar schon aus der rein pädagogischen Notwendig- 
keit, daß ein Lehrer der allgemeinen Volkswirtschaftslehre unmöglich 
neben dem bisherigen Gebiete seiner Disziplin auch die neueren welt- 
oder völkerwirtschaftlichen Fragen in gleichem Maße beherrschen kann, 
ferner weil die exakte Erfassung dieser Phänomene selbständiger For- 
scher, ausgerüstet mit entsprechenden Mitteln der Forschung (Seminarien, 
Institute etc.), bedarf. 

Diehl polemisiert auch gegen die Behauptung Harms’, daß die 
Weltwirtschaft der Inbegriff der durch hochentwickeltes Verkehrswesen 
und durch staatliche internationale Verträge geregelten und geför- 
derten Beziehungen zwischen den Einzelwirtschaften sei. Hier muß man 
Diehl recht geben, denn es ist eine zu enge Auffassung der weltwirt- 
schaftlichen Probleme, sie bloß auf die internationalen Staatsverträge be- 
gründen zu wollen. Mit Recht führt Diehl an, daß unabhängig von 
solchen Verträgen tausenderlei Fäden die einzelnen Volkswirtschaften, 
ohne jede vertragsmäßige staatliche Regelung, verbinden; man dürfe 
nicht bloß die formale Ausgestaltung des Wirtschaftslebens betrachten, 
man müsse jene Fäden der privaten internationalen Verbindung geradezu 
in den Vordergrund stellen. Diehl führt hier insbesondere die inter- 


488 Miszellen. 


nationalen Wirkungen von währungspolitischen Maßnahmen oder Vor- 
gängen (Aufhebung der freien Silberprägung in Indien, amerikanische 
Geldkrise 1907, internationale Kapitalausfuhr), ferner internationale Kar- 
telle etc. an. Aber gerade diese sehr schätzenswerte Korrektur, welche 
Diehl an der weltwirtschaftlichen Auffassung Harms’ vornimmt, be- 
stärkt mich in der Auffassung, daß eine selbständige Weltwirtschafts- 
lehre dringend geboten sei, und ich habe schon in dem früher erwähnten 
Buche ‚Internationale Wirtschaftspolitik“ ausdrücklich hervorgehoben, 
daß diese privaten internationalen Wirkungen und Zusammenhänge 
gleichsam als Motivenbericht der staatlichen Verträge, als Vorläufer 
und Schrittmacher derselben aufzufassen seien und jedenfalls zum Ver- 
ständnis des Zustandekommens, in manchen Fällen auch des Nicht- 
zustandekommens solcher Verträge studiert und begriffen werden sollen. 

Allerdings weicht Diehl in der Folge wieder von dieser seiner 
Auffassung ab, indem er behauptet, daß ohne das Mittelglied des volks- 
wirtschaftlichen Verbandes, dem die Einzelwirtschaften angehören, die 
internationalen wirtschaftlichen Beziehungen für den Nationalökonomen 
bedeutungslos seien, welchen in erster Linie interessiere: wie diese Ein- 
richtunger auf die volkswirtschaftlichen Verhältnisse der betreffenden 
Länder einwirken. Er polemisiert hier, nach meiner Ansicht mit Un- 
recht, gegen Dietzel, welcher mit guter Begründung behauptet, daß 
sich neben den konkreten volkswirtschaftlichen Organismen ein ebenso 
konkreter weltwirtschaftlicher Organismus bildet, welchem sowohl 
theoretische wie praktische Bedeutung zukomme. Wenn Diehl dem- 
gegenüber anführt, daß eine Organisation politischer und rechtlicher 
Art, wie sie die heutige staatlich organisierte Volkswirtschaft darstellt, 
keine Analogie in irgendeiner sogenannten Weltwirtschaft habe, so ist 
dies denn doch eine starke Verkennung der tatsächlichen Entwicklung. 
Gerade die zunehmende Verflechtung der einzelnen Wirtschaftssubjekte 
und der Einzelvolkswirtschaften in den weltwirtschaftlichen Nexus und 
zwar auf allen Gebieten des wirtschaftlichen Lebens (wie früher be- 
merkt) führt zu einer immer größeren Zahl von internationalen Staats- 
verträgen wirtschaftlichen Inhaltes oder wenigstens mit wirtschaftlicher 
Verursachung. Derart bildet sich allmählich in der Tat eine politische 
und rechtliche Organisation weltwirtschaftlichen Charakters heraus, in- 
dem immer mehr Fragen des Rechtes selbst einer internationalen Rege- 
lung zugeführt werden — Beweis dessen die schon äußerlich so stark 
zunehmende Zahl derartiger Staatsverträge, Beweis dessen aber auch die 
zunehmende Zahl ständiger internationaler Büros für die Besorgung von 
wichtigen Agenden auf dem Gebiete des neuen internationalen Zivil-, 
Handels-, Wechsel- und Verwaltungsrechtes; ja wir wissen, daß auch 
das Staats- und das Prozeßrecht bereits zu internationalen Organisationen 
geführt haben. 

Es ist daher nicht zu billigen, wenn Diehl leugnet, daß die immer 
mehr zunehmende ‚Ausdehnung und Intensität des Weltverkehrs sich 
auch zu einer besonderen Wirtschaftsform, der sogenannten Weltwirt- 
schaft, ausgestaltete und eine besondere Teildisziplin, die Weltwirt- 
schaftslehre, rechtfertige. Insbesondere ist es nicht richtig, daß der 


Miszellen. 489 


Wirtschafts- oder Sozialwissenschaft hierdurch keine neuen Probleme 
gestellt werden, und daß es sich um quantitative Veränderungen und 
nicht um qualitativ. Neues handle. Diehl selbst sagt ja, daß das 
Forschungsgebiet hierdurch immer weitere und vielgestaltigere Aufgaben 
erhalten habe, immer größeres statistisches Material zu bewältigen sei, 
daß es aber doch dieselben Fragen und Probleme geblieben seien. 
Diese Verkennung der tatsächlichen Verhältnisse ist die hauptsächliche 
Schuld an dem Streite über die Berechtigung oder Nichtberechtigung 
der Weltwirtschaftslehre. 

Nicht bloß quantitative Veränderungen liegen hier vor, sondern in 
der Tat neue Probleme. In keiner früheren Zeit, etwa vor der Mitte 
des 19. Jahrhunderts, waren die wechselseitigen Beziehungen und die 
Abhängigkeiten der Volkswirtschaften, und immer zahlreicherer Einzel- 
wirtschaftssubjekte in denselben, von dem internationalen Verkehr 
größer, dichter und ständiger als jetzt. Es haben sich in der Tat neue, 
ganz anders geartete und auch anders zu beurteilende wirtschaftswissen- 
schaftliche Phänomene herausgebildet. Ich will nur auf eine und zwar 
sehr wichtige Tatsache verweisen: Die Merkantilisten konnten seinerzeit 
auf Grund der damals gegebenen internationalen Beziehungen mit guten 
Recht die bekannte Lehre von der Handelsbilanz aufstellen. Heute ist 
diese Lehre deshalb falsch, weil neben dem bloßen internationalen 
Waren- und Edelmetallverkehr die internationale Kapitalienwanderung 
und zwar aller Art (öffentliche Auslandsanleihen, Kapitalsinvestitionen 
in Bergwerken, Industrie-, Handels- und Verkehrsunternehmungen ande- 
rer Länder etc.) maßgebend wurde und eine förmliche Umwälzung der 
rein nationalwirtschaftlichen oder volkswirtschaftlichen Kapitalsbildung 
und -verwendung hervorgerufen hat, ihrerseits auch wieder den bloßen 
Handelsverkehr sehr wesentlich und ständig beeinflußt. Auf diese Weise 
sind die einzelnen Volkswirtschaften, früher die oberste Stufe wirtschafts- 
wissenschaftlicher Betrachtungen, gleichsam zum Ausgangspunkte einer 
neuen Lehre geworden und stellen die Zellen dar, aus welchen sich der 
Weltwirtschaftskörper bildet. Es müssen die Differenzierung der Natio- 
nalwirtschaften, die Entstehung, Richtung und Stärke der international- 
wirtschaftlichen Verkehrsarten (persönlicher, kommerzieller, finanzieller 
Art ete.) erforscht und erklärt werden, nicht zuletzt auch die Zusammen- 
hänge dieser verschiedenen internationalwirtschaftlichen Verkehrsarten 
_ miteinander. 

Am wenigsten stichhaltig dürfte die Behauptung Diehls sein, daß 
neben der von Harms betonten Ausdehnung der internationalen Be- 
ziehungen ja auch gegenteilige Erscheinungen zu verzeichnen seien, daß 
manche Länder einen wesentlich verstärkten inneren Wirtschafts- und 
Handelsverkehr haben und ihre Abhängigkeit vom Auslande geringer 
geworden sei, daß es außerordentlich schwer sei, zu internationaler Ein- 
heitlichkeit zu kommen, wenn es sich um wirklich einschneidende Maß- 
nahmen handle, wie z. B. um die internationale Regelung des Geld- 
und Münzwesens, des Arbeiterschutzes und anderes. Umgekehrt ist 
vielmehr anzuerkennen, daß trotz der eingelebten, überkommienen 
nationalwirtschaftlichen Auffassungen in den Kreisen der Theoretiker 


490 Miszellen. 


und Praktiker — wir erinnern nur an das noch stark ausgeprägte Prinzip 
der unbedingten Staatssouveränität — gleichwohl schon so viele Materien 
des internationalwirtschaftlichen Verkehres einer einheitlichen Regelung 
zugeführt werden konnten. Ich erinnere nur an mehrere internationale 
Konventionen betreffend den Arbeiterschutz (Verbot der Verwendung des 
giftigen Phosphors, der industriellen Frauen-Nachtarbeit) und an andere 
bereits vorbereitete diesbezügliche Vereinbarungen, ferner an internatio- 
nale sozialpolitische Sonderabkommen (z. B. zwischen Frankreich und 
Italien), ebenso an die sozialpolitischen Klauseln in den neuen Handels- 
verträgen, namentlich Italiens, der Schweiz, Deutschlands und auch 
Oesterreich-Ungarns. Ich erinnere ferner an die Einführung des inter- 
nationalen Giroverkehres, angebahnt von der österreichischen Postspar- 
kasse, welchem Beispiele andere Kreditinstitute gefolgt sind. Freilich, 
die internationale Goldmünze ist noch nicht erreicht, ebenso bestehen 
noch die bekannten Differenzen im Geld-, Maß- und Gewichtssystem. 
Aber welcher weltwirtschaftlich durchgebildete Kaufmann, ja auch 
Theoretiker, wird gerade diese Differenzen heute nicht schon als eine 
lästige, auch nationalwirtschaftlich betrachtet, höchst unnötige und nicht 
vorteilhafte Einrichtung, als ein Ueberbleibsel früherer, vom Weltver- 
kehre weniger durchtränkter Wirtschaftszeit empfinden? Das ist das 
gewiß nicht bloß quantitativ, sondern auch qualitativ Neue, daß es sich 
um den Kampf zweier Prinzipien handelt: des konservativen Prinzipes der 
möglichsten Beibehaltung traditioneller nationalwirtschaftlicher Rechts- 
und Wirtschaftsinstitute, gegen die sich immer stärker und eindringlicher 
geltend machenden internationalen Vereinheitlichungstendenzen, um den 
sachgemäßen Ausbau der internationalen Organisation in allen den Welt- 
verkehr betreffenden Belangen. 

Es zeugt von nicht vollständiger Erfassung der gegenwärtigen welt- 
wirtschaftlichen Beziehungen, wenn Diehl und andere in Abrede stellen, 
daß in diesem Verkehre „keine neuen einheitlichen Prinzipien“ ge- 
funden werden können, daß die Volkswirtschaften stets in einem „ge- 
wissen Austauschverkehre‘“ standen, daß keine Wirtschaftsstufe volle 
Selbstherrlichkeit der Bedürfnisbefriedigung auf die Dauer garantiere 
und jede Stufe „gewisse Lücken“ bestehen lasse, daß die sogenannte 
Weltwirtschaft keine Erscheinungen hervortreten lasse, die von denen der 
Volkswirtschaft „in wesentlichen Merkmalen“ abweichen usw. Dem- 
gegenüber muß immer und immer wieder betont werden, daß gerade die 
gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Zustände gegenüber früheren Zeiten 
sich wesentlich geändert haben und von früheren internationalen Be- 
ziehungen wesentlich verschieden sind, und zwar nicht bloß der Zahl der 
Verkehrsakte nach, sondern auch ihrer Natur nach. Früher herrschte 
bekanntlich das starre Absperrungs- und Verbotsystem, nicht bloß was 
den Warenverkehr, sondern auch was den persönlichen Verkehr betrifft, 
es gab fast gar keinen internationalen kapitalischen Verkehr. Schon 
aus diesem Grunde konnte — und zwar mit Recht — die National- 
ökonomie früherer Zeit nicht vor jene schwierigen weltwirtschaftlichen 
Probleme gestellt sein, die uns heute beschäftigen und die in dem zu 
eng gewordenen Rahmen der Volkswirtschaftslehre unmöglich mehr ge- 


Miszellen. 491 


löst werden können. Der jüngst verstorbene hervorragende Rechtslehrer 
Meili sagte einmal, der Mensch sei heute zu einem internationalen 
Rechtssubjekte geworden. Noch mehr Gültigkeit hätte wohl der Satz, 
daß der Mensch zu einem internationalen Wirtschaftssubjekte geworden 
sei und immer mehr und mehr werde. 

Als ein Gegenargument wird von Diehl und auch von anderen 
Autoren angeführt, daß die Handelspolitik der wichtigsten Länder ein 
Auf und Ab von autonomer und vertragsmäßiger Politik zeige. Es wird 
auf das Wiederaufleben der Schutzzölle, auf das Festhalten an der 
nationalen Währung und der nationalen Arbeitsgesetzgebung, auf die 
vollzogene oder noch erstrebte Verstaatlichung der Verkehrsanstalten, 
des Bankwesens (?), auf die wachsende Staatstätigkeit auf ökonomischem 
Gebiete überhaupt verwiesen und behauptet, daß wir nach der absolu- 
tistischen und liberalistischen nunmehr in eine soziale (warum nicht 
auch sozialistische?) Periode der Volkswirtschaft eingetreten seien. 

Dieses Argument ist in mehrfacher Hinsicht zu kritisieren. Was die 
Handelspolitik betrifft, so kann wohl nicht ernstlich von einem Schwan- 
ken zwischen autonomer und vertragsmäßiger Politik, sondern lediglich 
von kleineren Schwankungen in bezug auf die Höhe der einzelnen Zölle 
gesprochen werden, während alle wichtigeren Länder an der vertrags- 
mäßigen Politik festhalten, ja sogar die Vereinigten Staaten von Amerika 
von dem bloßen Prinzip der Reziprozitätsverträge im neuen Zolltarif- 
gesetz vom 3. Oktober 1913 zum System der Handelsverträge über- 
gegangen sind. Man darf auch nicht von einem Wiederaufleben der 
Schutzzölle in unserer Zeit sprechen, da diese ja überhaupt niemals ver- 
schwunden waren, also nicht wiederaufleben konnten, sondern zu gewissen 
Zeiten in geringerer Höhe erstellt und, namentlich was bekanntlich die 
Agrarzölle betrifft, in den letzten Jahren allerdings wieder erhöht 
wurden. Demgegenüber muß aber darauf verwiesen werden, daß die 
Tendenz, in England Schutzzölle einzuführen (und nur hier könnte man 
von einem „Wiederaufleben“ der Zölle sprechen) derzeit schwächer denn 
je ist, daß ferner die Vereinigten Staaten von Amerika, das vielgepriesene 
Dorado der Hochschutzzöllner, bedeutende Ermäßigungen der Trustzölle, 
ja in manchen Fällen Zollfreiheit dekretierten und daß auch in den 
mitteleuropäischen Staaten gewiß keine Tendenz der Erhöhung der Zölle 
und volle Neigung zur Weiterführung der vertragsfreundlichen Handels- 
politik besteht. Und warum? Weil eben der wechselseitige Waren- 
verkehr so stark zugenommen hat, weil Kapitalien der einzelnen Länder 
in anderen Ländern so stark engagiert sind, daß eine vertragsmäßige, ja 
vertragsfreundliche internationale Wirtschaftspolitik eben ein elementares 
Gebot der Notwendigkeit wurde. 

p Was die Arbeitsgesetzgebung betrifft, so ist auch hier, wie schon 
früher erwähnt, gerade mit Rücksicht auf die stark entwickelte Nach- 
bar- und Saisonwanderung die internationale Regelung in die Wege ge- 
leitet worden, sei es durch offizielle, sei es durch Akte der privaten 
Organisation (siehe oben). Auch die Arbeiterversicherungsgesetzgebung 
der einzelnen Staaten macht gleiche Fortschritte und wird dadurch der 
internationalen, d. h. reziproken Anwendung dieser Gesetze auf aus- 


492 Miszellen. 


ländische Arbeiter sich immer mehr nähern. Auch die zunehmende Zahl 
der Staatsverträge über Unfallentschädigung ist hier zu erwähnen. 

Richtig ist, daß die Staaten an der nationalen Währung festhalten, 
wenngleich auch hier wichtige internationale Vereinbarungen, die be- 
kannten Münzunionen, bestehen und gewiß keine Tendenz zu melden ist, 
daß an diesen Unionen irgendwie gerüttelt werden soll. Im übrigen sind 
auch hier Versuche zum Teil durchgeführt, zum Teil in immer stär- 
kerem Maße unternommen worden, durch internationale Vereinbarungen 
der Geldinstitute zu einer Erleichterung der internationalen Zahlungs- 
verhältnisse zu gelangen, Träger einer internationalen Zahlungstechnik zu 
schaffen und die, vom heutigen intensiven weltwirtschaftlichen Stand- 
punkte aus betrachtet, gewiß bereits als veraltet zu bezeichnenden, in 
der Regel ja sehr geringfügigen Unterschiede der einzelnen nationalen 
Währungseinheiten, ebenso auch die Ueberbleibsel atavistischer Maß- und 
Gewichtssysteme (in England, Rußland, Vereinigte Staaten von Amerika) 
zu reformieren. 

Die wachsende Staatstätigkeit auf ökonomischem Gebiete beweist 
nichts gegen die internationalisierenden Tendenzen im Wirtschaftsver- 
kehre, und so sehr man aus diesen Phänomen und aus einigen anderen 
eine Zunahme der staatssozialen oder vielleicht auch staatssozialistischen 
Tendenzen herauslesen könnte, so gilt ja diese Entwicklung nur für die 
Volkswirtschaften nach innen; viel stärker aber zeigt sich für die Be- 
ziehungen nach außen die internationalisierende weltwirtschaftliche Ent- 
wicklung, und es ist eine arge Verkennung der Tatsachen, wenn behauptet 
wird, dal) eine Volkswirtschaft ihre Bedürfnisse heute noch selbst be- 
friedigen könne, mit Ausnahme „gewisser Lücken“. Die Handels- 
statistik, die Statistik der Wanderbewegung, die internationale Finanz- 
statistik beweisen das strikte Gegenteil. 

Es ist derzeit müßig, darüber zu streiten, ob, wie Diehl behauptet, 
die volkswirtschaftliche Entwicklungsstufe „endgültig die letzte sein 
müsse“ oder ob darüber hinaus sich derzeit eine weltwirtschaftliche Ent- 
wicklungsstufe herausbilde. In wirtschaftlichen und gesellschaftlichen 
Dingen gab es überhaupt niemals ein Letztes und ein Endgültiges, die 
Bedürfnisse der Menschen ändern sich in allen Belangen, die wirtschaft- 
lichen Beziehungen der Einzelmenschen und ihrer ursprünglichen Ver- 
bände haben sich ebenfalls so bedeutend geändert, daß es zumindest un- 
vorsichtig ist, von einer bestimmten Entwicklungsstufe als der letzten 
und endgültigen zu sprechen. Und wenn Diehl zum Beweise seiner 
Behauptung abermals anführt, daß es keine weltwirtschaftliche Organi- 
sation gebe, die etwas der volkswirtschaftlichen Analoges darstelle, so 
verweisen wir auf das bereits früher Gesagte. Die Gesamtheit der 
völkerrechtlichen Institutionen, das in zahlreichen internationalen Ver- 
trägen sich manifestierende Konzert der wichtigsten Staaten der Welt, 
die Einrichtung internationaler Schiedsgerichte und eines internationalen 
Schiedsgerichtshofes, die Bestellung ständiger internationaler Büros für 
wichtige internationale Verwaltungsfragen, der ungeschriebene, aber 
gleich einem Gesetz geltende Grundsatz, daß alle diese internationalen 
Vereinbarungen und Institutionen volle Geltung haben gleich einer natio- 


Miszellen. 493 


nalen Schöpfung — alle diese Tatsachen können sehr wohl als eine sich 
wenigstens anbahnende politische Organisation der Weltwirtschaft ange- 
sprochen werden, welche beständig wächst, ausgebaut wird und unauf- 
haltsam einer vollständig internationalen Organisation der Völker ent- 
gegenstrebt. 

Viel wichtiger erscheint uns die Beachtung der Tatsache, daß — in 
den wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen eines und desselben 
Volkes, aber auch in der Weltwirtschaft — nicht so sehr ein Wechsel 
vom absolutistischen und liberalistischen zum sozialen Regime, als vom 
individualistischen zum organisatorischen Regime statt- 
findet. Nichts charakterisiert die wirtschaftlich-sozialen Zustände der 
Gegenwart deutlicher als der Organisationsgedanke, als der fast 
allmächtigs Glaube an die Wunderkraft der Organisation, d. h. des Zu- 
sammenschlusses gleich interessierter Einzelner. Auf die Arbeiter- 
organisationen folgte die Organisation der Arbeitgeber, an die Stelle 
des individuellen Lohnvertrages tritt der kollektive Arbeitsvertrag, Orga- 
nisationen zur Austragung von Lohnstreitigkeiten entstehen; bald nach 
den Produzenten organisieren sich die Händler und die Konsumenten; 
es gibt fast gar kein wirtschaftliches oder gesellschaftliches Betätigungs- 
gebiet mehr, in welches der Organisationsgedanke nicht siegreich ein- 
gedrungen wäre — überall tritt deutlich wahrnehmbar der Zug zur 
Verbandswirtschaft hervor, und das geltende Recht vermochte noch 
nicht, sich befriedigend diesen neuartigen Erscheinungen anzupassen. 
Ebenso nun herrscht die Organisation auch schon in der Weltwirt- 
schaft: Hier macht sich das Bedürfnis nach Zusammenfassung und 
Regelung am stärksten fühlbar, vielleicht weil die weltwirtschaftliche 
Organisation mit ungleich größeren Schwierigkeiten zu kämpfen hat, als 
die Organisationen im engeren volkswirtschaftlichen Rahmen. Doch 
greifen einzelwirtschaftliche Organisationen aller Art immer deutlicher 
in die Weltwirtschaft hinüber, es gibt internationale Organisationen 
aller Art, ihre Zahl wächst von Tag zu Tag, und auch sie erheischen 
planmäßige Regelung. 

Wenn wir zum Schlusse noch von einem „Werturteile“ sprechen 
wollen, welches ja von den modernistischen Nationalökonomen bekannt- 
lich aus der allgemeinen Volkswirtschaftslehre verpönt wird, so möchten 
wir der Meinung Ausdruck geben, daß es den Anschein erweckt, als ob 
die Gegner der Weltwirtschaftslehre oder einer internationalen Wirt- 
schaftspolitik übertrieben nationale, ja nationalistische Vorstellungen und 
Bewertungen zeigen, vielleicht auch noch allzu starre Anhänger des 
alten Souveränitätsgedankens sind, während die Befürworter der Welt- 
wirtschaftslehre, den tatsächlichen Erfordernissen der international wirt- 
schaftenden Menschen entsprechend, diese neuen Tatsachen auch in selb- 
ständiger Lehre vertreten sehen wollen. 

Für die Wirtschafts- und Gesellschaftstheorie ergibt sich daher 
etwa folgende Arbeitsteilung. Die allgemeine oder theoretische Volks- 
wirtschaftslehre wird sich mit der Erforschung der elementaren Tat- 
sachen des Wirtschaftslebens ohne Berücksichtigung der staatlich- 
nationalen Schranken nach wie vor zu beschäftigen haben. Daneben 


494 Miszellen. 


werden besondere Disziplinen zu behandeln haben: die Einzel- oder 
Privatwirtschaft, die Volkswirtschaft im eigentlichen Sinne des Wortes 
und die Weltwirtschaft. Was die praktische oder angewandte Volkswirt- 
schaftslehre, die Wirtschaftspolitik, betrifft, so wird auch hier zweck- 
mäßigerweise eine Arbeitsteilung Platz zu greifen haben, und zwar in 
dem Sinne, daß eine Disziplin sich mit der Volkswirtschaftspolitik, d. h. 
mit allen jenen Fragen befaßt, welche sich innerhalb einer und derselben 
Volkswirtschaft bzw. eines und desselben Staates, auf die Beeinflussung 
oder Regelung der wirtschaftlichen Vorgänge daselbst beziehen. Da- 
neben wird aber auch eine Lehre von der internationalen Wirtschafts- 
. politik geschaffen werden müssen, welche die Regelung und Beeinflus- 
sung aller weltwirtschaftlichen Vorgänge zum Gegenstande ihrer For- 
schung hat. 


Nachschrift. 


Dieser Aufsatz, schon im Juni l. J. verfaßt, bedarf jetzt wohl einer 
aufklärenden Ergänzung, da der Weltkrieg den Bestand eines inter- 
nationalen Rechtes und die Hoffnung auf Erhaltung oder gar Weiter- 
bildung desselben, sowie alle verheißungsvollen Ansätze einer inter- 
nationalen Organisation auch in wirtschaftlicher Hinsicht, namentlich 
infolge des völkerrechts- und vertragswidrigen Vorgehens Englands, 
zu vernichten scheint. Die stärkst denkbare, einseitig nationalistische 
Wirtschaftspolitik soll wieder Oberhand gewinnen. Nun muß man aber 
die Weltwirtschaftslehre und die internationale Wirtschaftspolitik offen- 
bar in zweifacher Hinsicht gliedern: in eine solche für normale Friedens- 
zeiten und in eine Kriegswirtschaftslehre. Wir erleben die Bewahr- 
heitung derjenigen entwicklungsgeschichtlichen Grundgedanken, welche 
Herbert Spencer vortrug: zunehmende Differenzierung bei gleichzeitig, 
aber stärker zunehmender Integrierung, ins Wirtschaftliche übersetzt: 
zunehmender Gegensatz der wirtschaftlichen Interessen innerhalb eines 
Volkes und auf der Welt bei gleichzeitig, aber stärker zunehmender 
Interessengemeinschaft in volks- und weltwirtschaftlicher Hinsicht. 
Wenn jetzt die weltwirtschaftlichen Gegensätze wieder aufeinander- 
prallen, so wird dem Kriege unzweifelhaft ein um so stärkeres Be- 
dürfnis der zwischenstaatlichen Regelung weltwirtschaftlicher Vorgänge 
folgen müssen. Die zwischenstaatliche Organisation wird vielleicht neue 
Formen und vor allem bessere Bürgschaften der Erhaltung der inter- 
nationalen Rechtsvereinbarungen, namentlich auch insoweit sie sich auf 
wirtschaftliche Fragen beziehen, auslösen müssen. 


Miszellen, 495 


XV. 


Die Hauptwerte und ihre Verwendung 
in der Preisstatistik. 


Von Dr. Artur Lehmann, Berlin. 


Einen der strittigsten und schwierigsten Punkte in der Preisstatistik 
bildet die Auswahl des zu erhebenden oder — falls mehrere Preise er- 
hoben werden — des zu veröffentlichenden Wertes. Im allgemeinen 
werden, auch für die gleiche Qualität einer bestimmten Ware am selben 
Tage (an der Börse) oder am selben Orte (bei den Kleinhandelspreisen ) 
mehrere Preise vorhanden und zur Notierung gekommen sein. Am ge- 
nauesten wäre es, alle Preise unter Angabe der Umsätze und gegebenen- 
falls auch der Qualitätsunterschiede, Herkunft usw. anzugeben. Dies 
läßt sich jedoch bestenfalls nur für einen einzigen oder ganz wenige 
Orte durchführen; als Beispiel für diese geradezu ideale Anschreibungs- 
methode sei auf die Viehpreise in Wien verwiesen (Warenpreisberichte, 
zusammengestellt von den k. k. Ministerien für Handel und Ackerbau, 
seit Januar 1912). Allein schon wenn man die zeitlichen Preisände- 
rungen des gleichen Marktes oder die örtlichen Preisunterschiede eines 
bestimmten Staatsgebietes untersuchen will, ergibt sich die Notwendig- 
keit, die Preisgestaltung eines bestimmten Ortes und Zeitpunktes ein- 
deutig, d. h. durch einen einzigen Wert, kenntlich zu machen und zur 
klaren Anschauung zu bringen. Diesem Zwecke dienen 4 verschiedene 
Arten von „Hauptwerten“, die wir kurz anführen und alsdann einer 
näheren kritischen Besprechung unterziehen wollen: 

1) das Mittel der Spannungspreise, 

2) der arithmetische Durchschnitt (mit der Eigenschaft einer gleichen 

Summe positiver und negativer Abweichungen), 

3) der häufigste oder Scheitel-Wert (der als Einzelwert wahrschein- 

lichste oder der unter den Einzelgrößen vorherrschende Wert), 

4) der Zentralwert, neuerdings auch als Median bezeichnet (mit der 

Eigenschaft, die gleiche Anzahl positiver und negativer Ab- 
weichungen zu haben). 

In einem Falle wie dem anfangs angeführten (Viehpreise zu Wien) 
ist es zweifellos am zweckmäßigsten, unter Ausschluß der besonders 
guten und geringen Qualitäten, die am Rande der Tabellen kenntlich ge- 
macht sind, den „gewogenen“ Durchschnitt zu berechnen, d. h. jeden 
notierten Preis mit dem entsprechenden Umsatz zu vervielfältigen und 
durch den Gesamtumsatz zu teilen. In dem so gefundenen Wert kommt 
jede Aenderung des Preisniveaus oder der relativen Umsätze zum Aus- 


496 Miszellen. 


druck. In dem vorliegenden Falle kann auch der häufigste Wert zur 
eindeutigen Klarlegung der Preisverhältnisse Anwendung finden. Es 
wäre dies der Preis, zu dem der größte Umsatz stattgefunden hat. 
Jedoch schon bei diesem Wert ergeben sich Schwierigkeiten, wenn bei 
zwei oder mehr verschiedenen Preisen die gleichen Umsätze stattgefunden 
haben, wenn also die Kurve der Umsätze (mit.den Preisen als Abszisse) 
nicht zu einem einzigen „häufigsten“ Preis ohne Unterbrechung an- 
steigt und von dort wieder abfällt!). Hier muß man zu dem Notbehelf 
greifen, das arithmetische Mittel aus den beiden „häufigsten“ Werten 
zu bilden. Man gelangt also nicht zu einem realen, sondern zu einem 
ganz fiktiven, errechneten häufigsten Preis. Wenn auch so die Berech- 
nung des häufigsten Preises bei Bekanntgabe der wirklichen Umsätze 
keine praktischen Schwierigkeiten bietet, so muß sie doch theoretische 
Bedenken erregen. 

Wie gestaltet sich nun aber die Berechnung, wenn die Umsätze un- 
bekannt bleiben, wie es in der Statistik der Kleinhandelspreise fast durch- 
weg die Regel ist? Der häufigste Preis, der dem natürlichen Empfinden 
zweifellos am meisten entspricht, ist — um in der Terminologie von 
Mayrs zu reden — nur bei wirklichen Massenbeobachtungen anwendbar. 
Be? Erhebung der Kleinhandelspreise dagegen wird nur eine kleine Zahl 
von typischen Läden oder Marktständen ausgewählt, die im allgemeinen 
sogar mit der zunehmenden Größe der Städte im Verhältnis zur Be- 
völkerung und zum Gesamtumsatze immer geringer wird. So verlockend 
der Grundgedanke der häufigsten Preise auch ist, so muß man in der 
Praxis davon Abstand nehmen, da man über den Gesamtumsatz des 
Ortes und selbst über den der zur Preisnotierung herangezogenen Er- 
hebungsstellen im Dunkeln bleibt. Nimmt man, um den häufigsten 
Preis zu gewinnen, eine mechanische Auszählung der an Zahl oft ge- 
ringen Preisnotierungen vor, so ergeben sich mancherlei Unstimmig- 
keiten; so kann die gute Qualität einen niedrigeren „häufigsten“ Preis 
haben als die schlechte, oder es kann der „häufigste“ Preis sinken, 
während ein großer Teil der Einzelpreise in die Höhe geht. 

Um dies zu veranschaulichen, wählen wir ein Zahlenbeispiel, wie 
es tatsächlich vorgekommen ist. In einem Ort der preußischen Preis- 
berichterstattung wurden in der ersten Hälfte des August 1912 nach- 
stehende Preise ermittelt für Fleisch 


von der Keule vom Bug 

bei . . . Fleischern 
1,40 M. — 2 
1,50 „ I 3 
1,60 „ 5 2 
1,70 „ 2 I 
1,80 „ 3 5 
1,90 „ — I 
2,00 „ 4 2 
2,10 n —_ _ 
2,20.» I — 


1) Wegen dieser Eigenschaft bei der graphischen Darstellung heißt der häufigste 
Wert auch Scheitelwert oder (nach Fechner) dichtester Wert. 


Miszellen. 497 


Der „häufigste“ Preis für die gute Qualität (von der Keule) ist 
also mit 1,60 M. geringer als der für die minderwertige Qualität (vom 
Bug) mit 1,80 MI, 

Nehmen wir an, daß die beiden untersten Preise bei dem Fleisch 
vom Bug von 1,40 M. auf 1,50 M. und einer der 5 Werte von 1,80 M. 
auf 1,90 M. steigt, so sinkt der „häufigste“ Preis trotz der 3 Preis- 
erhöhungen von 1,80 M. auf 1,50 M. 

Aus diesem der Praxis entnommenen Beispiel geht hervor, daß 
der „häufigste Preis“ in einer so rohen Form auf die Kleinhandels- 
preise nicht angewendet werden darf. 

Bis zum 1. Januar 1909 wurden die Kleinhandelspreise in Preußen 
als Spannungspreise erhoben; die für eine schnelle Orientierung be- 
stimmten Veröffentlichungen in der „Statistischen Korrespondenz‘ brach- 
ten jedoch nur die Monatsdurchschnittspreise als arithmetisches Mittel 
aus den an den verschiedenen Aufzeichnungstagen ermittelten höchsten 
und niedrigsten Preisen der betreffenden Warengattung. Diese Methode 
der Erhebung und Veröffentlichung ist seit dem Jahre 1909 mit Recht 
aufgegeben worden. Ganz abgesehen davon, daß die Qualitätsunter- 
schiede der einzelnen Fleischstücke nur schwer berücksichtigt werden 
können, üben auch die von Zufälligkeiten abhängigen extremen Preise 
auf das daraus berechnete Mittel einen zu großen Einfluß aus. Immer- 
hin kann das arithmetische Mittel der Spannungspreise unter Umständen 
ein genaueres Bild geben als der häufigste Preis; so beträgt bei dem 
vorher angeführten Beispiel das Mittel der Extreme für Fleisch von 
der Keule 1,85 M. und für solches vom Bug 1,70 M. Es dürfte hier 
bei halbwegs gewissenhafter Erhebung kaum vorkommen, daß der Preis 
für Fleisch vom Bug höher ist als der für Keulenstücke; ebenso dürfte 
die zeitliche Aenderung der Preise im allgemeinen deutlich zum Aus- 
druck kommen. 

Neben dem arithmetischen Mittel, das seit alters her und auch heute 
noch anı meisten als Hauptwert angewandt wird, ist in neuerer Zeit der 
Zentralwert (nach Fechner?) verschiedentlich in Aufnahme gekommen 
Da dieser (auch alsMedian bezeichnete) Wert zur praktischen Anwendung 
in der Statistik mehrfach?) empfohlen worden ist, sollen seine Vorzüge 
und Nachteile hier etwas näher beleuchtet werden. Wenn alle Einzel- 
werte ihrer Größe nach in eine Reihe geordnet sind, ist der Median der 


1) Die großen Preisdifferenzen scheinen übrigens darauf hinzudeuten, daß bei den 
der Erhebung zugrunde gelegten Fleischsorten schon starke Qualitätsunterschiede vor- 
handen sind. 

2) Fechner, Ueber den Ausgangswert der kleinsten Abweichungssumme, dessen 
Bestimmung, Verwendung und Verallgemeinerung. Abhandl. d. math.-phys. Klasse d. 
Kgl. Sächs. Ges. d. Wiss. Leipzig, 1874 (Bd. XI, Nr. 1). Vgl. auch Hugo Meyer, 
Anleitung zur Bearbeitung meteorologischer Beobachtungen für die Klimatologie. Berlin 
1891. (Besprochen von K. Brämer in der Zeitschr. d. Kgl. Preuß. Statist. Bureaus, 
1891, S. 234.) 

3) Kieseritzky, Ueber Mediane und Quartilen. (Deutsches Statistisches Zentralblatt 
vom 15. Mai 1910.) Zur Anwendung empfohlen wird der Median für die Statistik der 
Kleinhandelspreise im Königreich Sachsen. (Zeitschr. d. Kgl. Sächs. Statist. Landes- 
amtes, 1910, 8. 202.) 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 32 


498 Miszellen. 


Wert, der in der Mitte steht, von dem aus gezählt sich also ebensoviel 
Einzelwerte finden, die kleiner, als solche, die größer sind; er besitzt 
demnach die gleiche Anzahl positiver und negativer Abweichungen. 
Dieser Wert scheint der sinnlichen Anschauung sehr nahe zu liegen, gibt 
aber, wie man sich leicht überzeugen kann, die wirklichen Verhältnisse 
außerordentlich mangelhaft wieder. Mit den Einzelwerten der Reihe 
können nämlich die größten Veränderungen vorgehen, ohne daß der 
Zentralwert sich ändert; wir können statt eines beliebigen Einzelwertes 
einen anderen einsetzen, wenn nur dieser neue Wert mit dem ausge- 
schiedenen auf derselben Seite des Medians liegt. Wenn der Zentralwert 
in eine größere Gruppe von Werten fällt, kann sogar eine erhebliche 
Anzahl von Größen von der einen Seite des Zentralwertes auf die andere 
gebracht werden, ohne daß dieser eine Aenderung erleidet. Der Zu- 
sammenhang des Zentralwertes mit den Einzelwerten ist also nur ein 
sehr loser. Ist die Anzahl der Einzelwerte gerade, so fällt der Median 
zwischen zwei reale Einzelwerte oder unter Umständen zwischen zwei 
Gruppen von Einzelwerten; hier können wir den Zentralwert nur mit 
Hilfe eines neuen Prinzips, des arithmetischen Mittels, bestimmen, wobei 
sich im zweiten Falle (bei gegebenen Gruppen) Zweifel ergeben können, 
auf welche Weise das Mittel zu berechnen ist!). 

Wir wollen diese Verhältnisse wiederum an dem eingangs erwähnten 
Beispiel erläutern. Der Median fällt hier zwischen den 8. und 9. Einzel- 
wert, also sowohl bei der Keule wie beim Bug zwischen zwei Gruppen 
mit den Preisen 1,70 M. und 1,80 M. Wir wählen als Median das 
arithmetische Mittel zwischen den Wertgrößen der beiden Gruppen, also 
zwischen 1,70 M. und 1,80 M.?), und erhalten so für beide Fleischsorten 
1,755 M. Sowohl die in den vier unteren wie auch die in den oberen 
Gruppen vereinigten Werte können je untereinander in andere Gruppen 
gelangen, ohne auf den Median irgendwie einzuwirken. Rückt jedoch 
ein einziger Wert aus der vierten in die fünfte Gruppe, so ändert sich 
der Median außerordentlich sprunghaft, nämlich um 5 Pfg.; hätten wir 
eine ungerade Gesamtzahl von Einzelwerten, so würde dieser Sprung 
sogar 10 Pfg. betragen, um dann bei weiteren Aenderungen unter Um- 
ständen eine Zeitlang stehen zu bleiben, abermals um 10 Pfg. zu springen 
und so fort. 

Neben diesen schweren Bedenken, die einer Anwendung der Me- 
diane in der Preisstatistik entgegenstehen 3), ergeben sich auch bei der 
praktischen Ermittelung mancherlei Schwierigkeiten. Zur Feststellung 


1) Und zwar auch bei Gruppen von mehreren gleichen Einzelwerten, wie in unserem 
angeführten Beispiel, nicht nur bei Klassen mit Spannungswerten, wie in dem Beispiel 
von Kieseritzky (Deutsches Statist. Zentralbl., 1910, Sp. 99.) 

2) Man könnte bei Berechnung des Medians auch die Zahl der in den nächst- 
gelegenen Gruppen vorhandenen Werte berücksichtigen ; alsdann ergibt sich für Fleisch 

at > 
von der Keule Ze M., für Fleisch vom Bug rn 1,78M. 

3) In der Einkommensteuer-Statistik u. dgl. können die Mediane und Quar- 
tilen immerhin mit Vorteil Anwendung finden, wie die Beispiele Kieseritzkys 
zeigen. Wie soll übrigens die Unter- und Oberquartile ermittelt werden, wenn sie in 
die unterste bzw. oberste Größenklasse fällt, die nach unten bzw. oben nicht begrenzt ist? 


Miszellen, 499 


des Medians müssen die einzeln ermittelten Werte, die in den Erhebungs- 
bogen ungeordnet stehen, erst nach der Größe geordnet und meist zu 
Gruppen zusammengefaßt werden ; dies ist bei einer größeren Anzahl von 
Werten eine zeitraubende Arbeit und gibt außerdem in hohem Maße 
zu Rechenfehlern Veranlassung. Größenklassen mit Spannungswerten 
sind bei der Kleinhandelspreisstatistik im allgemeinen nicht vorhanden. 
Aber auch in einfacheren Beispielen wie dem unseren ist die Berechnung 
sicher zu umständlich, um in der Statistik der Kleinhandelspreise all- 
gemein Eingang finden zu können. Von einer „einfachen Ermittlung“ 
(Kieseritzky) kann keinesfalls die Rede sein. 

Alle für den Median angeführten Mängel fallen für das arithme- 
tische Mittel fort. Dieses bringt durch den engen Zusammenhang mit 
den Einzelwerten jede Preiserhöhung, auch bei einem einzigen Schlächter, 
wenn sie nicht sehr klein ist, zum Ausdruck, ohne sich sprunghaft wie 
der „häufigste“ Preis oder der Median zu verändern. Die Summe der 
(auch ungeordneten) Einzelwerte ist leicht festzustellen und die Division 
leicht auszuführen, so dal die Berechnung nach einer einfachen An- 
weisung von jedem unteren Polizeibeamten vorgenommen werden kann. 

Um die erheblichen Preisunterschiede zu zeigen, die sich nach den 
verschiedenen Berechnungsmethoden für den Hauptwert ergeben, seien 
die Werte, die für unser durchgängig benutztes Beispiel zu ermitteln 
sind, nochmals zusammengestellt. Es beträgt in Mark für Fleisch 


von der Keule vom Bug 
der „häufigste“ Preis 1,60 M. 1,80 M. 
der Median LIE A GIS u 
das Mittel der Spannungswerte 1,85 „ 1,70.» 
das arithmetische Mittel aller Preise LTS s 1,69 „ 


Die beiden ersten Werte geben die wahren Preisverhältnisse über- 
haupt nicht wieder, ja sie erscheinen als geradezu unmöglich. Auch beim 
arithmetischen Mittel aller Preise beträgt der Preisunterschied zwischen 
Keulen- und Bugfleisch nur 9 Pig.; hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, 
daß 6 von den 16 zur Ermittelung herangezogenen Fleischern den 
Preis beider Fleischsorten als gleich, 6 den Unterschied auf 10 und nur 
4 auf 20 Pfg. angegeben haben. 

Ein Mittelding zwischen Median und arithmetischem Mittel wäre 
es, wenn man die beiden häufigsten Preise mit der Zahl der Häufigkeit 
bzw. dem Umsatz in Betracht zieht. Unser Beispiel ergibt alsdann für 
das Fleisch 
5%x1,60 + 4% 2,00 


von der Keule 9 = 1,78 M. und 
vom Bug a N 1,69 M. 


Bezeichnenderweise sind diese Werte dieselben wie beim arithmetischen 

Mittel sämtlicher Einzelwerte (1,78 bzw. 1,69 M.). Dieses ist jedoch 

erheblich schneller und leichter zu berechnen, weil man nicht erst alle 

Einzelwerte in eine Reihe nach ihrer Größe zu ordnen braucht; auch rein 

logisch liegt gar kein Grund vor, nur die 2 (unter Umständen auch 3 
82* 


500 Miszellen. 


oder 4 usw.) Gruppen mit der größten Zahl von Werten für die Mittel- 
bildung heranzuziehen. 

Um auch in der Kleinhandelspreisstatistik die Umsätze zu berück- 
sichtigen, also den „gewogenen‘ Durchschnitt zu berechnen, könnte man 
auf Grund von genauen Beobachtungen über den Umsatz der einzelnen 
Verkaufsstellen für jeden Laden usw. runde Gewichtszahlen festsetzen 
und bei Ermittelung des Durchschnittes längere Zeit hindurch un- 
verändert benutzen, wie es etwa bei astronomischen und physikalischen 
Beobachtungen aus psychologischen Gründen geschieht. 

Allein in dieser Richtung wird sich eine Reform des Hauptwertes 
in der Kleinhandelspreisstatistik zu bewegen haben, wenn man nicht bei 
dem einfachen arithmetischen Mittel stehen bleiben will, das man aus 
den Einzelpreisen der gesamten Verkaufsstellen zu ermitteln hat. In 
jedem Falle ist jedoch ein einziger Preis als Repräsentant aller Preise 
anzugeben; eine Auswahl der beiden häufigsten Preise (es können ja 
unter Umständen auch 3 oder 4 „häufigste“, d. h. gleich häufige, Preise 
sein), wie bei der Preisfeststellung in Magdeburg!) erscheint nicht 
vorteilhaft, weil die plastische Anschauung des wahren Preisniveaus 
dabei völlig verloren geht. Endlich muß die Berechnung des Preises 
im ganzen Staat möglichst einheitlich vorgenommen werden, damit die 
Preise der einzelnen Orte untereinander verglichen werden können. 


1) Verhandlungsbericht über die 23. eg der Vorstände Statistischer Aemter 
Deutscher Städte zu Frankfurt a. M., 1909, 8. 


Miszellen. 501 


XVL. 
Die Grundsteuer nach dem gemeinen Wert. 


Von Dr. Strehlow, Oberhausen. 


Die bisherige Grundlage der Grundwertsteuer war in Preußen § 25 
des von Miquel geschaffenen Kommunalabgabengesetzes vom 14. Juli 
1893. Er lautete: 

„Den Gemeinden ist die Einführung besonderer Steuern vom Grundbesitz 
gestattet. 

Die Umlegung kann insbesondere erfolgen nach dem Reinertrag bzw. 
Nutzungswert eines oder mehrerer Jahre, nach dem Pacht- bzw. Mietwert oden 
nach dem gemeinen Wert der Grundstücke und Gebäude, nach den in der Ge- 
meinde stattfindenden Abstufungen des Grundbesitzes oder nach einer Verbindung 
mehrerer dieser Maßstäbe.‘ 

Auf Grund dieser Bestimmung sind in den beiden letzten Jahr- 
zehnten die meisten Städte dazu übergegangen, an Stelle der Grund- 
steuer nach dem Ertrag die sogenannte Grundsteuer nach dem gemeinen 
Wert einzuführen, um auf diese Weise den Grundbesitz entsprechend 
zu fassen, der an sich ertraglos oder mit geringem Ertrag doch einen 
hohen Wert hat. 

Bodenpolitisch ist die Grundwertsteuer insofern bedeutsam, als sie 
einen Druck ausübt zur Wirtschaftlichmachung ertragloser Grundstücke, 
also zur Aufschließung und Bebauung wertvoller Flächen. Sie er- 
schwert insbesondere die Zurückhaltung größerer Besitzungen seitens 
wohlhabender Grundbesitzer gegen die Entwicklung und vermag auf 
diese Weise auf den Grundstücksmarkt durchaus günstig einzuwirken, 
indem sie ihn flüssiger gestaltet. 

Auch steuerpolitisch ist sie durchaus vorzuziehen. Die Veranlagung 
nach dem Wert der durch das Kommunalabgabengesetz in ihrem Ge- 
samtergebnis begrenzten Grundsteuer entspricht dem Grundgesetz von der 
Verteilung nach der Leistungsfähigkeit der Steuersubjekte weit besser 
als die Veranlagung nach dem Ertrag. 

Nun veröffentlicht der Preußische Staatsanzeiger in Nr. 292 eine 
Reihe von Paragraphen einer Novelle zum Kommunalabgabengesetz. 
Diese sind aber noch nicht vom Staatsministerium beschlossen, sondern 
stellen nur das Bearbeitungsergebnis im Ministerium des Innern dar. 
Ihre Veröffentlichung ist nur erfolgt, um den gerade an diesen Para- 
graphen beteiligten Kreisen Gelegenheit zur Aeußerung zu geben. 


502 Miszellen. 


In diesem Entwurf lautet der § 25: 


„Die Gemeinden dürfen besondere Steuern vom Grundbesitz einführen. 

Gegenstand der Veranlagung ist in diesem Falle jedes eine wirtschaftliche 
Einheit bildende bebaute oder unbebaute Grundstück. Durch die Steuerordnung 
darf jedoch der räumliche ien des steuerpflichtigen Grundstücks abweichend 
hiervon abgegrenzt werden. Der Begriff des Grundstücks umfaßt alle nach den 
Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu ihm gehörenden Bestandteile. 

Die Umlegung darf insbesondere erfolgen nach dem Reinertrag oder 
Nutzungswert eines oder mehrerer Jähre, nach dem Pacht- oder Mietwert oder 
dem gemeinen Wert der Grundstücke und Gebäude, nach den in der Gemeinde 
stattfindenden Abstufungen des Grundbesitzes oder nach einer Verbindung 
mehrerer dieser Maßstäbe. 

Soweit der Veranlagungsstab des gemeinen Wertes zugrunde gelegt ist, soll 
die Bewertung derjenigen Grundstücke, die dauernd land- und forstwirtschaft- 
lichen oder Gärtnereizwecken zu dienen bestimmt sind und von ihren Eigen- 
tümern oder deren gesetzlichen Vertretern oder Ehegatten oder ehelichen Ab- 
kömmlingen selbst verwaltet werden, nach dem Ertragswert und, wenn der zuletzt 
für das Grundstück gezahlte Preis höher ist, nach diesem erfolgen. Als Ertrags- 
wert gilt das Fünfundzwanzigfache des Reinertrages, den die Grundstücke nach 
ihrer wirtschaftlichen Bestimmung bei ordnungsmäßiger Bewirtschaftung mit 
entlohnten fremden Arbeitskräften nachhaltig gewähren können; als Preis der 
Gesamtbetrag der Gegenleistungen. 

Die Vorschriften des vorstehenden Absatzes finden keine Anwendung, wenn 
der Eigentümer oder sein Ehegatte oder der Verwalter (Abs. 4 Satz 1) den Grund- 
stückshandel gewerbsinäßig betreibt oder im Laufe der letzten 10 Jahre von 
dem Grundstück einen verhältnismäßig großen Teil zu einem den Ertrags- 
wert (Abs. 4 Satz 3) um wenigstens 100 Proz. übersteigenden Preis ver- 
äußert hat. Ebensowenig finden sie Anwendung auf Grundstücke, die an eine 
schon vorhandene, zur Bebauung bestimmte öffentliche oder Privatstraße grenzen 
oder von einer solchen nur durch ein Gelände getrennt sind, das nach den bau- 
polizeilichen Bestimmungen des Ortes nicht selbständig bebaut werden kann.“ 


Die Vertreter der Gemeinden haben zur Frage einer Aenderung des 
§ 25 grundsätzlich Stellung genommen. Der Preußische Städtetag, der 
die Gemeinden mit mehr als 25000 Einwohnern umfaßt, nahm auf 
seiner 8. Hauptversammlung folgende Entschließung an: 

„Im Gebiet der Grundsteuern sind alle Beschränkungen der Gemeinde- 
hoheit zurückzuweisen. Es muß den einzelnen Gemeinden überlassen bleiben, ob 
sie eine Steuer nach dem gemeinen Wert erheben wollen oder nicht. Auch die 
etwa in den einzelnen Gemeinden angezeigte Ausnahmebehandlung der land- 
wirtschaftlich oder gärtnerisch (Handelsgärtnereien, Privatgärten) genutzten 
Grundstücke kann in sachgemäßer Weise nur durch eine örtliche Steuerord- 
nung erfolgen.“ 

Auch der Reichsverband Deutscher Städte, der die Gemeinden mit 
weniger als 25000 Einwohnern umfaßt, hat sich in gleichem Sinne 
erklärt. 

Der Preußische Landesverband der Haus- und Grundbesitzervereine 
hat ebenfalls in seiner außerordentlichen Tagung am 10. Dezember in 
Berlin zu dieser Frage Stellung genommen. Auch er faßte nach einer 
eingehenden, zum Teil stürmischen Aussprache mit großer Mehrheit eine 
Entschließung, daß es den Gemeinden nach wie vor freistehen muß, ob 
sie die kommunalen Grundsteuern nach dem gemeinen Wert oder nach 
dem Ertragswert erheben wollen. 

Die Bodenreform endlich, die Mutter der Grundsteuer nach dem 
gemeinen Wert, tritt naturgemäß, ihrem physiokratischen Charakter ent- 


Miszellen. 503 


sprechend, der beabsichtigten Aenderung des Gesetzes mit aller Ent- 
schiedenheit entgegen. 

Veranlaßt wurden die Erwägungen im Ministerium des Innern, 
die in den angegebenen Gesetzesänderungsvorschlägen ihren Nieder- 
schlag fanden, durch die sich immer wiederholenden Klagen landwirt- 
schaftlicher und gärtnerischer Betriebe, die sich durch die Grundwert- 
steuer überlastet fühlten. Ein solcher Besitz, am Rande einer Stadt 
gelegen, kann sehr wohl durch die Ausstrahlung der städtischen Grund- 
preise einen Wert von 6000 M. pro Morgen haben, ohne daß es möglich 
ist, dieser Wert in absehbarer Zeit für das Ganze zu realisieren, wenn 
auch in unmittelbarer Nähe vereinzelte Stücke hohe Preise erzielt haben. 
Der Eigentümer ist also gezwungen, seinen Betrieb zu erhalten, und er 
hat, darüber besteht wohl kein Zweifel, ein Recht auf gesetzlichen 
Schutz seiner Existenz. 

Daß diese durch die Grundwertsteuer tatsächlich bedroht sein kann, 
das geht aus folgendem hervor. Der landwirtschaftliche Reinertrag 
eines Morgens mag zu 40 M. angenommen werden. Beträgt nun der 
Wert des Morgens 6000 M., und wird eine Grundsteuer von 3,5 Prom. 
erhoben, so sind an Steuern 21 M. zu zahlen. Schon bei einer hypo- 
thekarischen Belastung von 400—500 M. pro Morgen, wie sie beim 
landwirtschaftlichen Boden nicht selten ist, wird dann der gesamte Rein- 
ertrag durch Zinsen und Steuern aufgesaugt, und für den Eigentümer 
bleibt nichts übrig. 

Die Festhaltung an dieser Steuer würde also für den wirtschaftlich 
Schwachen den Ruin bedeuten, oder sie würde ihn wenigstens zwingen, 
unter Preis zu verkaufen, wenn dies überhaupt möglich ist, während der 
wirtschaftlich Starke ruhig die Zeit abwarten kann, bis er sich beim 
Verkauf auch für die Vorbelastung durch die Grundwertsteuer ent- 
schädigen kann. Denn diese Steuer wirkt hier als Vorbelastung, der 
kein Ausgleich gegenübersteht, als eine substanzvermindernde Ver- 
mögenssteuer. Ob der Besitzer dieselbe überwälzen kann, das hängt 
lediglich davon ab, ob er stark genug ist, den geeigneten Augenblick für 
den Verkauf abzuwarten. 

Man kann hierüber besonders in den Industriegemeinden recht 
interessante Beobachtungen machen. Bei diesen findet man oft die 
Grundwertsteuer, obwohl noch mehr als die Hälfte ihres Gebietes land- 
wirtschaftlichen Charakter hat. Es sind das dieselben Gemeinden, bei 
denen der Bordstein am Haferfeld nichts Seltenes ist. In keinem Falle 
konnte ich feststellen, daß der Grundstücksmarkt in den ländlichen Be- 
zirken durch die Einführung der Grundsteuer günstig beeinflußt worden 
wäre. Das ist auch kaum möglich, weil der Umsatz größerer Be- 
sitzungen in diesen Bezirken stets nur auf den einzelnen Fall gestellt ist. 
Wohl aber kann man besonders bei der Eingemeindung früher grund- 
steuerfreier, ländlicher Gemeinden beobachten, daß die Einführung 
dieser Steuer die Grundwerte fast unmerklich, aber sicher höher schraubt. 
Sie stellt eben in dieser Form die Uebertragung eines stark städtischen 
Momentes auf landwirtschaftliche Gebiete dar. 


504 Miszellen. 


Die Grundwertsteuer ist ihrer inneren Natur nach eine städtische 
Steuer, die beschränkt bleiben muß auf das Gebiet städtischer Entwick- 
lung, in dem die Umsatzmöglichkeit zu den eingeschätzten Werten im all- 
gemeinen jederzeit gegeben ist. Nur hier sind diese Werte ein Maßstab 
für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Besitzers, und nur hier 
hat ein steuerlicher Druck zur wirtschaftlichen Ausnutzung Berech- 
tigung. In diesem Sinne fordert die Natur der Aufgabe eine getrennte 
Behandlung der städtischen und ländlichen Gebiete einer Gemeinde in 
grundsteuerlicher Beziehung nach den vorhandenen Ortsverhältnissen. 


Dies wird besonders bedeutsam in unserer Zeit großzügiger Ein- 
gemeindungen, die in richtiger Erkenntnis des Kernes der städtischen 
Bodenfrago den Gegensatz zwischen Stadt und Land durch Zusammen- 
fassung auszugleichen sucht. 

Mir ist noch keine Gemeinde bekannt geworden, die einer solchen 
getrennten Behandlung ihres Gebietes Raum gegeben hätte. Wohl aber 
weiß ich, daß verschiedene Regierungen Anregungen nach dieser Rich- 
tung an die Gemeinden haben ergehen lassen, denen diese jedoch aus 
Bequemlichkeit, oder weil sie sich in der Ausübung ihrer Steuerhoheit 
nicht beschränken lassen wollten, keine Folge gaben. Und so sah man 
sich bei den vielseitigen Klagen gezwungen, den Versuch zu einer gesetz- 
lichen Regelung zu machen, der in den angegebenen Abänderungsvor- 
schlägen seinen Niederschlag fand. 

Befriedigen können diese Vorschläge aber nicht. 


Unter ihrer Herrschaft kann es sehr wohl vorkommen, daß ein wohl- 
habender Grundbesitzer auch auf städtischem Gebiete seinen Besitz gegen 
die natürliche Entwicklung auf Kosten der Allgemeinheit hält. Er 
stellt für ihn eine gute und sichere Sparkasse dar, von deren Zinsen 
durch den Wertzuwachs er keine Einkommensteuer zu zahlen braucht, 
die er aber doch schließlich einheimst. Das wird ihm durch die Ab- 
änderung des Gesetzes ermöglicht. Er braucht nur seinen Besitz als 
land-, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Betrieb geschlossen zu 
halten. 


Auf der anderen Seite gilt es, Interessen zu schützen, die über das 
hinausgehen, was in den Abänderungsvorschlägen ins Auge gefaßt ist. 
Alle die kleineren Besitzungen, die im vorwiegend ländlichen Gebiete der 
Gemeinde meist an einer Straße langhingestreckt liegen, fallen unter die 
Grundwertsteuer. Der kleine Mann, der von seinen Eltern einen Kotten 
geerbt hat, der mit 100 m an einer Straße liegt, die kaum mehr als 
ein Feldweg ist, muß nach der Eingemeindung so viel Grundsteuer 
zahlen, daß er seinen Besitz nicht mehr halten kann. Obwohl auch er 
denselben nur zu landwirtschaftlichen oder gärtnerischen Zwecken be- 
nutzt und sich und seiner Familie durch diesen Erwerb neben seinem 
Lohn als Bergmann oder Fabrikarbeiter eine gesunde Existenz sichert, 
muß er nun vielleicht mehr Grundsteuer bezahlen als ein benachbarter, 
reicher Großgrundbesitzer, der einen geschlossenen Besitz hat, der nach 
dem Ertrag veranlagt werden muß. 


Miszellen. 505 


Nur eine getrennte Behandlung nach den Ortsverhältnissen, unab- 
hängig von der Art des Besitzes, im städtischen Gebiet die Grundsteuer 
nach dem gemeinen Wert, in dem mehr ländlichen Gebiete die Grund- 
steuer nach dem Ertrag, vermag alle diese Mißstimmungen zu be- 
seitigen. Ob eine solche Trennung nötig ist, und wo die Trennungs- 
linien im einzelnen Falle liegen, das ist natürlich Frage der Orts- 
eigenart und kann nur durch die Gemeinde selbst bestimmt werden. 

So könnte man der Entschließung des Städtetages zustimmen, wenn 
derselbe gleichzeitig Garantien geboten hätte, daß die Gemeinden nun 
auch in diesem Sinne in einer den Ortsverhältnissen angepaßten Art 
und Weise die Frage der Grundsteuer behandeln. 

Solange dies nicht der Fall ist, wird man gesetzliche Maßnahmen 
kaum entbehren können. Aber es gilt für dieselben eine Form zu 
finden, die zwar generell zwingend ist, in der Art der Ausführung jedoch 
den Gemeinden nach der dargestellten Richtung zur Wahrung der Orts- 
eigenheil freie Hand läßt. 


506 Miszellen. 


XVII. 


Einige wesentliche Ergebnisse der ersten Veran- 
lagung zur bayerischen allgemeinen Einkommen- 


steuer: 
Von Dr. Ernst Müller, München. 


Als einer der letzten deutschen Staaten ging Bayern im Jahre 1910 
vom Ertragssteuersystem zur allgemeinen Einkommensteuer über, neben 
welcher die alten Ertragssteuern — die spezielle Einkommensteuer aus- 
genommen — in veränderter Gestalt als quasi-Vermögenssteuern aber 
vorerst noch bestehen bleiben. Aus den Ergebnissen der ersten Ver- 
anlagung für das Jahr 1912 lassen sich einige Einblicke in die wirt- 
schaftlichen Verhältnisse der bayerischen Bevölkerung gewinnen. Das 
bayerische Staatsministerium der Finanzen hat nach diesen Ergebnissen 
eine Statistik aufgestellt, aus welcher hier das Wichtigste mitgeteilt 
werden soll 11. 

Der Gesamtbetrag der steuerbaren Einkommen verteilt sich nach 
Einkommensgruppen in folgender Weise: Es betrug bei einem 


die Bumme der 


die Zahl der auf die einzel- ee N en 

Einkommen Pflichtigen in |nen Einkom- sinzelnen auf 100 M. 
von der einzelnen | mensgrup- |p;nkommens- | 1 Pflich- | Ein- 

Einkommens- |pen treffenden Gi geen, ‚kommen 

gruppe Einkommen gruppe g 

M. y M- j-i M. M. 
über 200— 600 234 324 116 183 307 234 324 1,00 | 0,20 
at 600— 1400 1118339 |1096930591 | 4383 197 3,69 0,40 
dë 1400— 1800 271598 432 139871| 3517619 12,95 | 0,81 
55 I 800— 3000 275 793 622 742 586| 7759788 28,14 1,25 
k 3 000— 6.000 117 617 472290483 | 9388 329 79,82 1,99 
A 6000— 10000 25575 192 758 119| 5041213 197,11 2,62 
„ I10000— 20000 12 350 167 777 002| 5083 909 411,65 | 3,08 
» ` 20000— 50.000 4 942 147 977395 | 5161769 1 044,47 | 3,49 
> 50 000— 100 000 1133 76802 310| 3127 931 2 760,75 4,07 
„ 100 000—150 000 276 32635 764| 1537043 | 5568,99 4,71 
„ 150000 383 167 082831 | 8285 813 |21 633,98 4,96 
zusammen | 2 132130 |3 525320 259| 53 520 935 25,10 1,52 


Aus dieser Tabelle ist zu entnehmen, daß von 2,132 Mill. Pflich- 
tigen = 30,96 Proz. der bayerischen Gesamtbevölkerung am 1. Dezember 


1) Das Folgende ist in der Hauptsache entnommen einem uns vom General- 
sekretariat des K. Staatsministeriums der Finanzen zur Verfügung gestellten Sonder- 
abdruck aus dem 1, Heft des Jahrgangs 1914 der Zeitschrift des Bayer. Statist. Landes- 
amtes. 


Miszellen. 507 


1910 19084 Pflichtige = 0,90 Proz. aller Pflichtigen mit einem Ein- 
kommen von über 10000 M. 23,196 Mill. M. Steuer entrichtet haben. 
Das macht 43,34 Proz. des Aufkommens an Einkommensteuer mit 
53,520 Mill. M. aus. 


Von 2,132 Mill. Pflichtigen hatten 
197 111 Pflichtige Einkünfte nur aus Grundvermögen 


75 693 n n » » Gewerbebetrieb 
24 170 D D » » Kapitalvermögen 
1128 961 ké R » on Beruf usw. 


sohin 1425 935 Pflichtige, d. i. 66,88 Proz. aller Pflichtigen Einkünfte ledig- 
lich aus einer einzigen Einkommensquelle. 


Dagegen hatten 
576 668 Pflichtige Einkünfte aus 2 Einkommensquellen 
120 764 D n HI H 31 
8 763 HI D HI 4 HI 


also 706 195 Pflichtige, d. h. 33,12 Proz. Einkünfte aus mehreren Quellen. 


Die Besteuerung aus mehreren Quellen ist am häufigsten in den 
kleinsten Gemeinden und nimmt mit der Größe der Gemeinden ständig 
ab. Die Zahl jener, welche Einkünfte aus mehreren Quellen beziehen, 
ist auf dem flachen Lande 21/,mal so groß wie in den Großstädten. 
Es betrug nämlich 


die Zahl der 
in den Gemeinden die Gesamt- | prjiohtigen mit nur | Pflichtigen mit 
mit zahl der einer Quelle mehreren Quellen 
Pflichtigen 
überhaupt | Proz. | überhaupt | Proz. 
über 100 000 Einw. 433 439 362 356 83,60 71083 16,40 
„ 50000—100000 , 111 227 86 224 77,52 25003 | 22,48 
vw `  20000— 50000 , 119 671 86 468 72,25 33 203 27,75 
= 10000— 20000 , 71943 50 826 70,65 21 117 29,35 
v 5000— 10000 , 106 315 68 661 64,58 37654 | 35,42 
= 2000— 5000 , 211492 127415 60,25 84077 | 39,75 
Se 0— 2000 „ 1078 043 643 985 59,74 434 058 | 40,26 


Von den 2,132 Mill. P£flichtigen treffen auf die 


Auf 1 
Ein- Ein- Pflich- 
kommen. kommen- tigen 
z í 7 steuer- steuer- treffen 
-... Gemeinden mit .... Einwohnern pflichtige Pr betrag Proz. durch- 
über- über- schnitt- 
haupt haupt lich 
M. LM. 
3 Gemeinden mit über 100 000 Einw.| 433 439| 20,3 |20 969 oo1| 39,1 | 48 
5 D » vw  50000—100000 „, 109793) 5,1) 5002 574| 9,8| 45 
14 „ » » 20000— 50000 „ | 119671| 5,8| 3972557| 7,4| 33 
69 » » o 5000— 20000 „ | 177993; 8,3| 5254 518] 10,1) 29 
244 D TO 2000— 5000 „ 212 873| 9,9| 4474 461) Bai 21 


7705 D vw: cr o— 2000 „ [1078 361| 50,6 |13 847 821| 25,8| 12 


508 Miszellen. 


Diese Uebersicht zeigt, daß die Groß- und Mittelstädte mit nur 
rund 25 Proz. aller Pflichtigen doch. fast die Hälfte des ganzen Ein- 
kommensteuerbetrages aufbringen. Stellt man dem Prozentanteil jeder 
einzelnen Gemeindegruppe am Gesamteinkommen an Einkommensteuer 
den zughörigen Prozentanteil an der Gesamtbevölkerung gegenüber, so 
resultieren daraus nicht uninteressante wirtschaftliche Gegensätze. Denn 
es sind prozentual beteiligt 


$ an dem ganzen Ein- an der ganzen 
die Gemeinden mit kommensteuerbetrag mit Bevölkerung!) mit 
über 100 000 Einw. 39,18 Proz. 15,3 Proz. 
„ 50000—100000 „, 9,35 » 49 ki 
„  20000— 50000 ,„ 7:42 » 59 » 
35 5000— 20000 , 9,82 j er 
HI 2 000 5 000 HI 8,36 D 10,3 , 
HI 0— 2000 HI 25,87 DI ` 55,2 DI 
100,00 Proz. 100,0 Proz. į 


Faßt man die Einkommensteuerpflichtigen in Steuergruppen zu- 
sammen, so verteilt sich der gesamte Einkommensteuerbetrag folgender- 
maßen: Es betrug in der 


die Zahl der Einkommen-| der zugehörige Ein- 


Steuergruppe steuerpflichtigen kommensteuerbetrag 

überhaupt Proz. überhaupt | Proz. 

von lediglich 1 M. Steuern 596 986 596 986 1,1!) 
über I— 3 o 367 108 895 914 1,6 
D Ze 5» » 141 181 633 108 1,2 
” 5— I0 , DI 334 512 2 474 031 4,6 
10— DE .;, ge 205 671 2 623 803 4,9 
= 15— 30 „ e 215 127 4 586 132 8,6 
” 30— 60 HI ” 145 657 6 023 312 11,2 
Sg 60— 100 , S 55 108 4 252 486 7,9 
eg 100— 200 , r 41 059 5 720 510 10,7 
A 200— 400 , sg 17 461 4 801 108 8,9 
” 400— 1000 „, n 8 301 4 976 370 9,3 
„ I000— 5000 „ e 3 365 6355 748 11,9 
»  5000—10000 , ep 364 2 562 621 4,9 
„ 10000—20000 „ HI 143 1993 178 3,7 
„ 20 000 y K 87 5 025 624 9,4 


Bei einem Gesamtsoll an sogenannten „direkten“ Steuern von 76,138 
Mill. M. lieferte die Einkommensteuer 70,29 Proz. Von den übrigen 
größeren deutschen Bundesstaaten lieferte dagegen die allgemeine Ein- 
kommensteuer am ‚direkten‘ Staatssteuersoll in 


Sachsen 87,59 Proz. Anteil Bayern 70,29 Proz. Anteil 
Preußen 85,69 ,„ ge Baden Dong „ Se 
Hessen 75,97 „ = Württemberg 66,01 „, a 


1) Diese Prozentzahlen haben wir selbst berechnet. 


Miszellen. 509 


Fügt man dem steuerbaren Gesamteinkommen von 3525,32 Mill. M. die 


Schuldzinsen und Lasten des bürgerlichen Rechtes mit 244,37 Mill. M. 
sowie die sonstigen abziehbaren Verbrauchsausgaben mit 66,62 „, „ hinzu, 


also zusammen 310,95 Mill. M., 


so kommt man zur „Gesamtsumme aller Reineinkünfte‘ im Betrage 


von 3836,27 Mill. M. An dieser Gesamtsumme sind beteiligt: 


im die Reineinkünfte aus 

Regierungs- | Grundvermögen | Gewerbebetrieb | Kapitalvermögen Beruf Zusammen 

bezirk | se [Proz] M Eror: = Proz. ra de S Proz. 
Oberbayern |219030 686 18,89 1214 969 871|18,55|137 771 435|11,89| 587 344 754 |50,67| ı 159 116 746|100,00 
Niederbayern |118 391 603/42,89) 40 839 014 14,60| 16345 496| 5,92] 100438 181 136,39) 276414 294|100,00 
Pfalz 102 795 139 20,68/114 483 056|23,03| 26 619 410| 5,36| 253 143 900 |50,93| 497 041 505|100,00 
Oberpfalz 74 114 375|32,73| 38826 756 17,14| 14 886 440| 6,58| 986 641 752 143,55| 226469 323|100,00 
Oberfranken | 82 163 077 28,64| 57 985 132 20,21) 20480981) 7,14| 126 290419 44,01| 286 919 609| 100,00 
Mittelfranken |124 734 600|20,92|137 931 259,22,30| 59 182 183| 9,59| 295 092 659 |47,83| 616 940 701|100,00 
Unterfranken | 99 006 717130,47| 64 970825 20,00| 28 516025| 8,77| 132424 842 140,76) 324 918 409 100,00 
Schwaben 129 631 853|28,88| 76 737 932|17,10| 46 200 483| 10,29 196 286 406 143,73 448 856 674 100,00 
Königreich 1949 868 050124,76 746 743 845|19,47|350 002 453| 9,12|1 789 662 913 46,65] 3 836 277 261|100,00 


Mit Ausnahme von Niederbayern bilden nach dieser Uebersicht 
überall die Einkünfte aus Beruf die Haupteinkommensquelle. In 
Oberbayern (auch in der Rheinpfalz) übersteigen sie die Hälfte aller 
Reineinkünfte. Gerade umgekehrt verhält es sich mit den Einkünften 
aus Grundvermögen. Diese sind am stärksten vertreten in Nieder- 
bayern, am schwächsten dagegen in Oberbayern. Bei den Einkünften 
aus Gewerbebetrieb steht an erster Stelle die Rheinpfalz, an letzter das 
„agrarische“ Niederbayern. Wie im Beruf, so steht auch in den Ein- 
künften aus Kapitalvermögen Oberbayern an erster Stelle. Im „agra- 
rischen“ Niederbayern und in der „gewerbsreichen“ Pfalz fließen die 
Einkünfte aus Kapitalvermögen hingegen relativ unergiebig. Unter den 
einzelnen Regierungsbezirken treffen da mit 30,22 Proz. die meisten 
Reineinkünfte auf Oberbayern, wo aber nur 22,2 Proz.1) der bayerischen 
Bevölkerung wohnen. Es folgen dann gemäß dem Prozentanteil aller 
Reineinkünfte aus Kapitalvermögen 


Mittelfranken mit 16,08 Proz. bei 10,5 Proz. Anteil an der ganzen Bevölkerung 


Rheinpfalz „ 123,9 "an n 135 „ an nm » » nm 
Schwaben „ I1,70 „ n I8 p D mn nm » Di 
Unterfranken `. 8,47 nm „ 103 un » » nm n n 
Oberfranken D 7,48 n Hi 9,5 » Mi Hi HI Hi n 
Niederbayern nm 7,19 n an 10,5 nm nm nm » nm ” 
Oberpfalz an 590 p» n "Bet n n nm nm n n 


Ueber die Reineinkünfte aus dem Betriebe der Landwirtschaft 
können wir nichts mitteilen, da in den Reineinkünften aus Grundver- 


1) Diese wie die anderen entsprechenden Zahlen haben wir selbst berechnet. 


510 Miszellen. 


mögen jene aus Grundstücken und aus Gebäuden enthalten sind und die 
ausgeschiedene Aufnahme in die Steuerlisten wegen des Schludzinsen- 
abzuges nicht möglich ist. Die ungefähre Höhe der Reineinkünfte aus 
dem Betriebe der Landwirtschaft beträgt aber nach sehr vorsichtigen 
Schätzungen des Finanzministeriums rund 690 Mill. M. oder rund 
18 Proz. aller Reineinkünfte. 
Von den 

2,132 Mill. Einkommensteuerpflichtigen sind 

2,112 , natürliche und 

20 357 juristische Personen. 


Von letzteren sind 654 Aktiengesellschaften. Auf diese entfielen rund 
110 Mill. M. steuerbare Reineinkünfte oder 65 Proz. der steuerbaren 
Einkünfte (170,51 Mill. M.) aller juristischen Personen und 5,28 Mill. M. 
Einkommensteuer oder 82 Proz. des ganzen Steuerbetrages (6,47 Mill.M.) 
dieser künstlichen Personen. 


Literatur. 511 


Literatur. 


HI. 


Otto Hoetzsch, Rußland. Eine Einführung auf Grund 
seiner Geschichte von 1904—1913. 


Berlin (Georg Reimer) 1913. 520 SS. 


Besprochen von Th. H. Pantenius. 


Rußland hat im letzten Jahrzehnt so große Veränderungen in 
seinem politischen und wirtschaftlichen Leben erfahren, daß alle von ihm 
handelnden Bücher, die vor 1905 erschienen, bis zu einem gewissen 
Grade veraltet sind. Die Werke von Leroy Beaulieu, Mackenzie-Wallace, 
Ernst von der Brüggen werden ja immer wertvoll bleiben, aber ein 
Bild des heutigen Rußland läßt sich aus ihnen nicht mehr gewinnen., 
Da entspricht denn das Buch von Prof. Hoetzsch recht eigentlich einem 
dringenden Bedürfnis. Es handelt von allen politischen und wirtschaft- 
lichen Verhältnissen des Landes und sucht auch ein Bild von dem 
geistigen Leben in ihm zu geben. Der Verfasser hat nicht nur die in 
Frage kommende Literatur gründlich durchforscht und bearbeitet, son- 
dern hat auch Rußland oft besucht und Fühlung mit den dort in Theorie 
und Praxis maßgebenden Männern gewonnen. So ist es ihm gelungen, 
sich von den Mißverständnissen frei zu halten, denen Gelehrte, die außer- 
halb Rußlands erwuchsen, so leicht unterliegen, wenn sie dieses Land 
zum Gegenstand ihrer Studien machen. Sein Urteil ist immer ein be- 
sonnenes, und das Wohlwollen, das er Rußland entgegenbringt, berührt 
wohltuend. Die Darstellung ist übersichtlich und klar, und wo es 
wünschenswert erscheint, werden die entsprechenden deutschen Verhält- 
nisse zur Erläuterung herangezogen. 

Wie unentbehrlich dieses Buch jedem deutschen Volkswirt, 
der sich für Rußland interessiert, sein muß, wird sich am besten aus 
einem kurzen Ueberblick über die Entwicklung der russischen Agrar- 
frage ergeben, die ja für die Zukunft Rußlands von grundlegender Be- 
deutung ist und auch von unserer Seite aufmerksamste Beachtung ver- 
langt. Die Lösung, die sie gefunden hat, wird einen großen Aufschwung 
der russischen Landwirtschaft zur Folge haben. Infolgedessen werden 
die russischen Arbeitskräfte viel mehr Verwendung im Inlande finden 
als bisher. Die Getreideausfuhr wird ohne Zweifel sehr sinken. Da- 
gegen wird sich der Markt für alle Industrieerzeugnisse, die mit der 
Landwirtschaft zusammenhängen, als noch aufnahmefähiger erweisen 
als bisher. 


512 Literatur. 


Im Jahre 1911 hat man in Rußland das 50-jährige Jubiläum der 
Aufhebung der Leibeigenschaft gefeiert, aber mit Unrecht, denn in 
Wahrheit ist sie erst 1906 beseitigt worden. Was am 19. Februar a. St. 
1861 aufgehoben wurde, war nicht die Leibeigenschaft, sondern die 
Sklaverei, zu der die Leibeigenschaft im Laufe des 18. Jahrhunderts 
entartet war. Wirklich frei wurden damals die Haussklaven und die 
Leibeigenen, die nicht Ackerbau trieben, der Bauer blieb nach wie vor 
an die Scholle gebunden und wechselte nur den Herren. An die Stelle 
des Edelmannes trat für ihn die Gemeinde, und ihr Joch war kaum 
weniger schwer und lähmend. 

Das bis 1861 von den Bauern Groß- und Kleinrußlands bebaute 
Land wurde ihnen in diesem Jahr in der Weise überwiesen, daß sie es 
kaufen mußten. Sein Ertrag wurde abgeschätzt, zu 5 Proz. kapitalisiert 
und sie sollten es im Laufe von 49 Jahren durch Zahlung von 6 Proz. 
erwerben. Das Geld schoß die Regierung in 5-proz. Pfandbriefen, die 
die Gutsbesitzer erhielten, vor. Es wurde aber nur der Hof Eigentum 
des einzelnen Bauern, über die Dorfflur und was zu ihr an Weide, Wald 
und Unland gehörte, verfügte die Gemeinde. Und diese Gemeinde hatte 
in Rußland eine ganz eigenartige kommunisitische Organisation. 

Im 17. Jahrhundert, in dem infolge der politischen Verhältnisse 
- die Steuerkraft des Landes eine besonders geringe und das Geldbedürfnis 
des Staates ein besonders großes war, fand’ die Regierung es bequemer, 
die Steuern nicht von den einzelnen Bauern, sondern von den Gemeinden 
zu erheben. Sie machte diese für den Eingang der Steuern solidarisch 
haftbar und überließ es ihnen, sich mit ihren Mitgliedern auseinander- 
zusetzen. Die Gutsbesitzer, in deren Interesse eben damals die Leib- 
eigenschaft entstand, folgten dem Beispiel der Regierung. Nun war 
zu jener Zeit Land die einzige Einnahmequelle, die es für den Bauern 
gab, wollte die Gemeinde, die ihr auferlegten Pflichten erfüllen, so mußte 
sie dafür sorgen, daß die zu ihr gehörenden Bauern über für sie aus- 
reichendes Land verfügten. Sie verteilte daher die Dorfflur je nach den 
persönlichen Verhältnissen ihrer Mitglieder, und da diese sich änderten, 
wurde die Verteilung von Zeit zu Zeit neu vorgenommen. Sie hieß 
Peredel und der Anteil des Haushaltungsvorstandes Nadjel. Diese Sitte 
scheint zuerst in den Landschaften um Moskau entstanden zu sein und 
sich von da aus verbreitet zu haben. In Kleinrußland führte sie Ka- 
tharina II. zugleich mit der Leibeigenschaft ein. Für die Domänen 
machte ein Ukas von 1781 die Umteilungen obligatorisch. 

Seit Peter dem Großen wurde von Zeit zu Zeit die Zahl der männ- 
lichen Bauern — der „Seelen“ — durch sogenannte Revisionen fest- 
gestellt und damit die Unterlage für die Erhebung der Kopfsteuer und 
die Rekrutierung gewonnen. Auf den Domänen haftete die Gemeinde 
dem Staat gegenüber für Steuern und Rekruten, auf den Privatgütern, 
bis 1861, die Gutsbesitzer, die sich aber wieder an die Gemeinden hielten. 
Man nannte diese Haftpflicht Krugowaja poruka, und sie ist erst am 
12. März a. St. 1904 aufgehoben worden. 

Die Gemeindeversammlung hieß der Mir und bestand aus allen 
Haushaltungsvorständen, den Domochosaing. Ihr war ein sehr weit- 


Literatur. 513 


gehendes Disziplinarrecht über die Gemeinde eingeräumt, sie durfte nach 
Gewohnheitsrecht Geld- und Körperstrafen verhängen, ja sogar Ver- 
schickung nach Sibirien verfügen. Die Umteilungen der Dorfflur wur- 
den von ihr vorgenommen. 

Wie nun die Aufhebung der Leibeigenschaft in Angriff genommen 
wurde, entstand die Frage, ob man der Gemeinde alle diese Befugnisse 
lassen sollte. Da hat denn ein Buch eines ausländischen Gelehrten einen 
ganz ungewöhnlichen Einfluß auf eine der wichtigsten Fragen des 
russischen Lebens ausgeübt. Im Jahre 1847 veröffentlichte der west- 
fälische Freiherr Aug. v. Haxthausen, der 1843—44 die russischen 
Agrarverhältnisse eingehend studiert hatte, Studien über die inneren Zu- 
stände, das Volksleben und insbesondere die ländlichen Einrichtungen 
Rußlands. In diesem Buch pries er die russische Gemeinde als der 
sozialen Weisheit höchste Offenbarung, in erster Reihe, weil sie die 
Bildung eines Proletariats unmöglich machen sollte. Der Verfasser 
nahm an, daß die russische Gemeindeverfasung aus der Urzeit stamme, 
und die Russen, die sich bisher wenig um sie gekümmert hatten, 
wußten es auch nicht anders. Da sie in nationaler Beziehung ein sehr 
eiteles Volk sind, erfuhren sie gern, daß sie ein Institut geschaffen 
hätten, das allen abendländischen Völkern als Vorbild dienen konnte, 
und die eben im Entstehen begriffene slawophile Partei erklärte die 
Gemeindeverfassung für ein nationales Heiligtum. So blieb sie denn in 
Kraft. Doch sollte es jedem Bauern freistehen, wenn er die auf ihn 
fallende Loskaufsumme ganz bezahlt hatte, die Ausscheidung eines dieser 
Loskaufsumme entsprechenden Anteils aus dem Gemeindelande und den 
Uebergang desselben in sein Privateigentum zu verlangen. Es waren 
nur sehr wenige Bauern in der Lage, von diesem Recht Gebrauch zu 
machen, es wurde aber trotzdem durch ein Gesetz vom 14. Dezember a.St. 
1893 noch dahin eingeschränkt, daß die Gemeinde ihre Zustimmung zu 
der Ausscheidung geben mußte. Da diese nie erfolgte, war das Recht 
tatsächlich beseitigt. 

Die Gemeinde bestand also in der bisherigen Form weiter, es stellte 
sich aber bald heraus, daß sie ein unüberwindliches Hindernis für jeden 
Fortschritt der bäuerlichen Landwirtschaft war. Wie sollte wohl auch ein 
Bauer großen Fleiß auf die Bearbeitung eines Grundstückes verwenden, 
wenn es ihm nach ein paar Jahren fortgenommen und durch ein ver- 
wahrlostes ersetzt werden konnte. 

Infolge der schnellen Vermehrung der Bevölkerung, die im russi- 
schen Dorf stattfindet, mußten die Anteile bald so klein werden, daß 
sie eine Familie nicht mehr ernähren konnten. Es lagen auch noch 
andere Schwierigkeiten vor. Es genügte nicht, daß der Mir die persön- 
lichen und Familienverhältnisse der Bauern berücksichtigte, es mußte 
doch auch eine, wenn auch noch so rohe Bonitierung stattfinden, die 
Beschaffenheit des Bodens, die Entfernung vom Dorf berücksichtigt 
werden. Es herrschte natürlich Dreifelderwirtschaft mit Flurzwang. 
Jedes Feld wurde nun in ungezählte Parzellen geteilt, die bei jeder 
neuen Umteilung kleiner wurden. Das ergab schließlich ganz unmögliche 
Verhältnisse. In der dritten Duma sagte der Bauer Jermolajew (aus 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CI. ; 33 


514 Literatur. 


dem Witebskschen): „Bei uns kam es vor, daß Bauern ihren Land- 
anteil unbebaut ließen, weil die 2 Dessätinen, die ihn bildeten (!), aus 
100 und mehr Stücken bestanden, die nicht breiter als 1 oder 11/, Arschin 
waren und über die man keine Egge führen konnte.“ Aehnliches wurde 
aus allen Teilen des Landes berichtet. Die Dörfer sind in Rußland oft 
sehr volkreich und ihre Fluren sehr ausgedehnt. Da kam es denn vor, 
daß einzelne Stücke des Anteils, winzige Stücke, 10 Werst und mehr 
vom Dorf entfernt waren. Auch der Flurzwang knebelte den Einzelnen. 
A. S. Jermolow, der früher Minister für Landwirtschaft war, erzählt, 
daß in einem an sein Gut grenzenden Dorf die Bauern den Aufbruch 
der Brache und die Saat des Winterkorns, trotz allen Widerspruchs ein- 
zelner Bauern, bis Anfang September hinausschoben — was dort viel 
zu spät ist —, um die Brache als Viehweide zu benutzen. Auf der 
kaum ergrünten Saat weidete später das Vieh bis zum ersten Schneefall 
und zertrat sie. 

So ging denn die Landwirtschaft mehr und mehr zurück. Eine 
Mißernte folgte der anderen und beide wurden von Hungersnot begleitet. 
Der Bauer konnte die Loskaufsgelder und die Steuern nicht mehr auf- 
bringen und Hypotheken gab es für ihn nicht, nur persönlichen Kredit 
gegen Wucherzinsen. In jedem Dorf gab es einzelne wohlhabende Bauern, 
die derartigen Wucher trieben und dadurch zugleich einen ungemessenen 
Einfluß auf den Mir gewannen, den sie zu eigennützigen Zwecken miß- 
brauchten. Man nannte diese Leute „Kulaki‘“ (Fäuste) oder Mirojädy 
(Mirfresser). Mit der Verarmung hatte auch die Trunksucht zugenommen, 
mit einem Fäßchen Branntwein ließ sich in der Gemeindeversammlung, 
die nach dem Wort eines Dumamitgliedes immer zu einem Viertel aus 
Betrunkenen, zu einem anderen aus „Angeheiterten‘ bestand, alles er- 
` reichen. 

Die Rückstände der Steuern wurden immer größer, und der Staat 
mußte ungeheuere Summen hergeben, um die notleidenden Bauern mit 
Brot- und Saatkorn zu versehen. Von 1898—1910 betrugen diese 
Unterstützungen 553 Mill. Rbl. Von den schuldig gebliebenen Loskaufs- 
geldern schenkte der Staat noch zuletzt den Bauern 90 Mill. Rbl. Nur 
im Westen Rußlands, in Polen, Litauen, den baltischen Provinzen, wo 
man den Gemeindebesitz nicht kannte, gab es keine Hungersnot. 

Wie nun der mißhandelte Boden in dem Rußland des Gemeinde- 
besitzes mehr und mehr versagte, glaubte der Bauer nur noch bestehen 
zu können, wenn er neues Land erhielt, und blickte begehrlich auf das 
Land des Gutsherren. Im ZRevolutionsjahr suchten sich an vielen 
Orten die Bauern kurzerhand der Gutsländereien zu bemächtigen. 

Alle, die das russische Dorf kannten, fanden, daß seine Bewohner 
mehr und mehr verwilderten. Wie es in ihm zuging, hat der Guts- 
besitzer Rodianow in einem auch mehrfach ins Deutsche übersetzten 
Roman „Unser Verbrechen‘ mit erschreekendem Realismus geschildert. 
Fürst P. N. Trubetzkoi bezeugte dem Verfasser im Reichstag, ohne 
Widerspruch zu finden, daß er die herrschenden Zustände „mit photo- 
graphischer Treue‘ geschildert habe. 


Literatur. 515 


Weite Kreise erkannten schließlich, daß es so nicht weiter ging. 
Es waren mittlerweile auch die Geschichtskundigen zu der Erkenntnis 
gelangt, daß die russische Gemeindeverfassung nicht aus der Urzeit, 
sondern aus dem 17. Jahrhundert stammte, und die Volkswirte hatten 
erkannt, daß sie nicht die Bildung eines Proletariats verhinderte, son- 
dern im Begriff war, alle russischen Bauern in Proletarier zu ver- 
wandeln. Das von N. N. Ljwow geprägte Wort: „Die Gemeinde be- 
deutet die rechtlose Persönlichkeit und die eigenwillige Menge“ (Bes- 
prawnaja litschnost i ssamouprawnaja tolpa) war in aller Munde. 
Ebenso das Wort des Abgeordneten Scheidemann: „Unser russischer 
Bauer kann vieles überleben, aber des Mir konnte er nicht Herr 
werden.“ 

Jedermann erkannte, daß dem Mir ein Ende gemacht werden 
mußte, und P. A. Stolypin nahm die Reform noch während der Revo- 
lution in Angriff. Er hatte gesehen, wie westrussische Bauern im Ge- 
biet des Gemeindebesitzes von den Gutsherren Land erwarben und auf 
ihm in Einzelhöfen gediehen, während die einheimischen Bauern ver- 
kamen. So ging er nicht nur den Umteilungen zu Leibe und ermöglichte 
es den Bauern, ihren Anteil am Gemeindelande als Privateigentum zu 
erwerben, sondern suchte auch nach Kräften die Bildung von Einzel- 
höfen herbeizuführen und damit die Gemeingelege der Dorffluren zu- 
gleich mit dem Flurzwang zu beseitigen. Das geschah durch die Ge- 
setze vom 9. November a. St. 1906 und vom 14. Juni a. St. 1910. Das 
letztere wurde nach langen, sehr eingehenden und mit großer Sach- 
kenntnis geführten Debatten in den gesetzgebenden Körperschaften als 
neue Agrarordnung angenommen. Durch sie ist nun wirklich die Leib- 
eigenschaft beseitigt. 

Prof. Hoetzsch hat in seinem Buch diese Agrarreform und alles, was 
mit ihr zusammenhängt, in musterhafter Weise behandelt. Wer sich 
über sie und ihren Fortgang unterrichten will, möge aus dieser Quelle 
schöpfen. 


33* 


516 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen 
Deutschlands und des Auslandes. 


1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 

Moheau, Recherches et Considerations sur la Population de la 
France 1778. Collection des Economistes et des Reformateurs sociaux 
de la France. Publié avec introduction et table analytique par René 
Gonnard, Professeur d’histoire des doctrines économiques et d’@conomie 
politiquo à la Faculté de Drot de l’Université de Lyon. Paris (Li- 
brairie Paul Geuthner) 1912. 

Vor einiger Zeit erschien, von Oppenheimer herausgegeben, das 
bemerkenswerte, wenn auch vielleicht nicht in allen Stücken gleich gut 
durchgearbeitete Geschichtswerk von Gide-Rist in deutscher Bearbeitung. 
Wir sehen den stark historisch gerichteten Sinn der Franzosen in einer 
Zeit, in der bei uns das historische Moment etwas zurückgedrängt er- 
scheint. Die Sammlung, der Moheaus Werk entnommen ist, deutet ein 
gleiches an. Gemessen an dem, was uns dieser Band bietet, scheint es 
sich um ein sehr mustergültiges Unternehmen zu handeln, wenn auch, 
ähnlich wie bei Gide-Rist, dem französischen Nationalbewußtsein ge- 
legentlich eine Konzession gemacht sein mag. 

Das Interesse für bevölkerungsstatistische Fragen ist wieder in 
hohem Maße wach geworden. Bortkiewicz gruppiert seine gesamte Dar- 
stellung der Bevölkerungslehre in der Schmoller-Festgabe um das Be- 
völkerungsgesetz und bringt die oft abgelehnte geometrische Progression 
der Bevölkerungsbewegung, mit einer Abschwächung allerdings, wieder 
zu Ehren. Elster hat dies vor ihm im Handwörterbuch der Staats- 
wissenschaften getan. Freilich ist Malthus in Oppenheimer ein gefähr- 
licher Gegner erwachsen. Aber der gegen Malthus gerichtete statistische 
Beweis ist, wie der Statistiker unschwer nachweisen kann, sicher nicht 
geglückt und ist ein störender Fremdkörper in der geistvoll durchge- 
führten Kritik, deren Unterscheidung zwischen Bodenertrag und Nah- 
rungsspielraum wenigstens so lange anerkannt werden wird, als man 
eine den Gesetz vom abnehmenden Bodenertrag korrespondierende Er- 
scheinung im Bereich der Technik abzulehnen geneigt ist. (Gewisse An- 
zeichen scheinen freilich darauf schließen zu lassen, daß auch der tech- 
nischen Entfaltung Grenzen gesetzt sind.) 

Die Teuerung kann, wo immer man ihre Gründe suchen will, 
zwanglos als ein Vorbote eines sich verengenden Nahrungsspielraums 
angesehen werden. Diese Erscheinung wird sich nämlich innerhalb der 
privatwirtschaftlichen Produktion zunächst in Gestalt geringerer Renta- 
bilität, die höhere Kosten und demgemäß Preise bedingt, geltend 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslander. 517 


machen. Um so interessanter ist angesichts der aktuellen Problems der 
Gedankengang eines Werkes, das längere Zeit vor Malthus die Fragen 
im wesentlichen richtig stellt und, abgesehen von einigen Rückständig- 
keiten und merkantilistischen Anwandlungen, überraschend selbständig 
beantwortet. Der aufgebotene statistische Apparat ist nicht groß. Aber 
auch bei den anerkannten klassischen Meistern muß das Urteil in dieser 
Richtung oft lauten: multa, non multum, und wir haben trotz emsigem 
Bemühen für eine ganze Reihe der hier angeschnittenen Probleme 
schließlich auch häufig noch kein unbedingt zuverlässiges Material. 
Das gilt bekanntlich in großem Umfang gegenüber der Teuerungsfrage. 

Das biographische Detail braucht uns nicht eingehender zu be- 
schäftigen. Name und Herkunft des Moheau liegen im Dunkel. Die 
einen glauben es mit einem Pseudonym zu tun zu haben, die andern 
nennen zwar eine bestimmte Persönlichkeit, doch knüpfen sich an diese 
auch keine großen Interessen. Die philologische Filigranarbeit ist 
natürlich nicht Selbstzweck in der Nationalökonomie, übrigens be- 
schränkt sich der Herausgeber durchaus nicht auf sie, vielmehr sind seine 
sachlichen Erläuterungen wiederholt von eindringlichem Verständnis 
getragen. 

Der einheimischen Literatur ist Moheau kein Fremder. Von ihm 
sagt Levasseur, daß kein Schriftsteller statistische Daten vor ihm mit 
gleicher Genauigkeit wiedergegeben und gleich geistvoll verarbeitet hat. 
Er wird in eine Reihe mit Süßmilch gestellt, ohne daß ihn allerdings 
der religiöse Schwung der protestantischen Geistlichen beseelt hätte. 

Vor Malthus hat Moheau die Beziehungen zwischen Bevölkerung 
und Nahrung erfaßt, angesichts der geringen Note, die neuerdings — 
wohl nicht mit Recht — dem Briten zuerkannt wird, mag man vielleicht 
geneigt sein, die Ansprüche des Franzosen noch stärker zu unter- 
streichen, als dies seitens seiner Landsleute geschieht. Jedenfalls hatte 
Moheau in höherem Maße Einblick in die konzeptionsverhindernde 
Praxis, die schon zu seiner Zeit verbreitet war — „jusque dans les 
villages“. — Die Lobredner der guten alten Zeit werden ihn gerade in 
diesem Punkte mit Gewinn lesen. 

Die Stoffeinteilung geschieht folgendermaßen: Auf eine etwas sub- 
misse, aber für den Stil der Zeit immerhin noch würdevolle Widmung 
an den König, und ein Vorwort an den Leser folgt als erstes Buch eine 
Abhandlung über den Zustand der Bevölkerung. Eine kurze metho- 
dologische Anmerkung betont die Wichtigkeit der Erfahrungen in der 
Sozialwissenschaft, die hier durchaus als Abteilung der Philosophie er- 
scheint. Der den zeitgenössischen Schriftstellern allgemein eigenen Lob- 
preisung der Bevölkerung als der Hauptstütze des Staates reiht sich eine 
Begründung populationistischer Studien an. Stets findet sich die, der 
merkantilistischen Auffassung selbstverständliche Verweisung auf die 
praktischen Zwecke der Bevölkerungsstatistik und Bevölkerungspolitik. 
Hier ist der Standpunkt noch kaum selbständiger als bei vielen gleich- 
zeitigen Schriftstellern, die auch in Deutschland reichlich vertreten sind 
und die in ihrer Gesamtheit die Meinung von der Allmacht des Staates 
und ihrer unmittelbaren Nachweisbarkeit durch die Statistik vertreten. 


518 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Aber schon die Aufzählung der Mittel zur statistischen Ermittlung 
der Bevölkerung verrät eine umfassende Detailkenntnis (wie sie bei 
ersten Vertretern der gleichzeitigen deutschen Universitätsstatistik sicher 
nicht anzutreffen ist. Für Frankreich muß dies offen bleiben.) Die 
Familienstatistik steht im Mittelpunkt der Darlegungen. Von hier aus 
dringt Verf. zur Bevölkerungsfrage in Frankreich überhaupt durch, er 
bringt die allgemeinen bevölkerungsstatistischen Unterscheidungen recht 
vollständig. Ein besonders wichtiges Kapitel ist dann mit der Lehre 
von der Fruchtbarkeit gegeben. 

Es hebt emphatisch an: Unheil dem, der keinen Gefallen am Stu- 
diun der Natur, ihrer Entwicklung, ihren Veränderungen hat. Den 
obersten Grundsatz des Philosophen, die Verwunderung vor der Umwelt, 
fordert auch Moheau. Auf dieser Grundlage will er dann die Frucht- 
barkeit der Frauen, das Verhältnis zwischen Heiraten und Geburten, 
die geographischen und jahreszeitlichen Verschiedenheiten der Geburt- 
lichkeit, ihren Umfang in Stadt und Land, das Geschlechtsverhältnis 
der Geborenen und anderes mehr feststellen. Ein Fragensystem, das auch 
heute kaum besser formuliert, wenn auch natürlich mittels eines umfang- 
reicheren Apparates beantwortet werden könnte. — 

Wie erwähnt, ist Moheaus Stellungnahme gegenüber dem Wande- 
rungsproblem nicht auf der Höhe seiner sonstigen Wissenschaft, hier 
ist er in jeder Beziehung der Sohn seiner Zeit und muß in dieser Eigen- 
schaft folgerichtig jede Erweiterung der Auswanderung ablehnen und 
die Einwanderung fordern. 

Das zweite Buch behandelt in zwei Abschnitten die Ursachen der 
französischen Bevölkerungsbewegung. Sehr einsichtig werden im ersten 
die natürlichen („physischen“), im zweiten die „politischen, bürger- 
lichen und moralischen“ Gesichtspunkte dargestellt. Es finden sich 
manche sehr reizvolle Partien; so, wenn die Ehescheidung als eine 
fremdartige, höchst gefährliche Einrichtung bezeichnet wird, wenn der 
Autor bei Erörterung des richtigen Heiratsalters eine gewisse Kenntnis 
der historischen Handlungen auf diesem Gebiete verrät, in diesem Zu- 
sammenhang auch das Eheverbot gegenüber wenig tauglichen Per- 
sonen bespricht, wenn im Sinne allerdings der älteren Auffassung die 
Ermutigung der Eheschließung zur Debatte steht. Dabei werden dann 
Colberts Maßnahmen erwähnt, Steuererleichterungen für kinderreiche 
Familien begrüßt. Von besonderem Interesse ist ein Kapitel über „die 
Sitten“. Ohne solche gibt es nach Moheau keine zahlreiche Bevölke-+ 
rung, doch nicht einseitig an die Religion angelehnt. 

Im allgemeinen wird Kinderbesitz als wirtschaftliche Belastung 
erscheinen. Sie wird nur von den Verheirateten aufgenommen, die un- 
eheliche Verbindung sucht sie zu vermeiden. Dieser Standpunkt ist 
gerade angesichts des Vordringens der Aufklärungsideen bemerkenswert, 
die sich von freier Liebe die günstigsten populationistischen Wirkungen 
versprachen (und zum Teil heute noch versprechen); hierbei unter- 
laufen sittengeschichtliche Bemerkungen, die es wahrscheinlich machen, 
daß die Beseitigung der Folgen unehelichen (und wohl auch ehelichen) 
Verkehrs schon jenen Zeiten geläufig war. Und es wird beklagt, daß 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 519 


späte Heirat häufig eine schwächliche Nachkommenschaft zur Folge 
habe. Im ganzen: was Hans Delbrück über die große Aehnlichkeit 
der Zeiten und über die geringe Gedächtniskraft derer, die die „gute alte 
Zeit“ herbeiwünschen, sagt, wird hier voll bestätigt und man wünschte 
die Ausführungen Moheaus gerade im gegenwärtigen Augenblicke von 
recht vielen gelesen ! 

Der Abschnitt über den Luxus zeigt gleichmäßig den scharfen 
Beobachter und den warmherzigen Sozialpolitiker (in welch letzterem 
Punkt sich Moheau durchaus angenehm von Malthus, dessen Beweis- 
führung im Grunde stets die Notwendigkeit der bestehenden Differnzie- 
rungen zum Ausgangs- und Zielpunkt haben, unterscheidet). Mit Recht 
betont er, daß durch die Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Unter- 
schiede auch die Familiengröße beeinflußt, die Beschränkung der Kinder- 
zahl begünstigt wird. Wir sehen die Wohlhabenheitstheorie in ihren 
Anfängen und finden ihre Verträglichkeit mit der andern Anschauung, 
welche aus früheren Ausführungen Moheaus hervorging und eine Be- 
schränkung der Geburten auf wirtschaftliche Notlage zurückführt. 
Beide Modifikationen bestehen in der Praxis zweifelsfrei nebeneinander 
und sollten sich auch in der Theorie vertragen lernen. 

Anschließend wird der Einfluß von Gewohnheiten auf die Volks- 
wirtschaft geschildert und auch hier ist der Standpunkt ein sehr skep- 
tischer gegenüber den „Errungenschaften‘ der zeitgenössischen Kultur. 
Es scheine, als ob in einem von der Natur weit abgekehrten Zeitalter 
Vergnügungen nurmehr durch Umkehrung der natürlichen Tatsachen: 
Alter, Geschlecht, Jahres- und Tageszeiten, entstehen könnten. Das 
Vergnügen aber sei zur Leidenschaft, die Art seiner Befriedigung zur 
Kunst geworden. Vielleicht verliert sich unser Autor bei dieser Stelle 
etwas im Moralisieren; aber die Fragestellung bleibt dieselbe, sie be- 
handelt die Beziehungen zwischen Bevölkerung und Nahrungsspiel- 
raum, die durch Mode, Luxus, Gewohnheiten der verschiedensten Art, 
durch Anhäufung des Reichtums in wenigen Händen von Grund aus ver- 
schoben werden. 

Bei der anschließenden Steuerlehre ist der Einfluß physiokratischer 
Gedankengänge unverkennbar. Uebergehen wir hier die auf den Krieg, 
auf Heer und Marine bezüglichen Abschnitte mit manchen klugen Ge- 
danken, ferner eine Anregung, die Fremden ins Land zu ziehen, so er- 
öffnet sich mit dem Kapitel über die Beziehung ` zwischen Bevölke- 
rung und Unterhaltungsmitteln der eigentliche Kern des Werkes. 

Die Einstellung des Problems, das im Menschen ein brotessendes 
Lebewesen erblickt, ist vielversprechend, doch tritt sofort störend der 
Glaube an die Allmacht der staatlichen Verwaltung, dem man schon 
früher begegnete, hinzu. Ein verhängnisvoller Irrtum, der die sonstige 
vortreffliche Beobachtung Lügen straft, ist ferner die Annahme, daß die 
Aermsten, schlechtest Genährten, unfähig zur Fortpflanzung erschienen. 
Dies wäre vielleicht, in dem Sinne zutreffend, daß die von ihnen Ab- 
stammenden qualitativ nicht entsprechen und daß die Sterblichkeit unter 
ihnen eine sehr große ist. Ins Zentrum führt die Wiedergabe der 
Meinung, daß die Menge der jährlichen Erzeugung an Lebensmitteln 


520 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


als Maß für die Bevölkerung zu gelten habe. In einer Anmerkung 
wird dieser Gedanke dahin abgeändert, daß nicht die Menge der Lebens- 
mittel, sondern die größere oder geringere Leichtigkeit, sie sich zu ver- 
schaffen (le plus ou le moins de facilité de s’en procurer), das Maß 
für die Bevölkerung sei. Leider ist dies nicht näher begründet. Aber 
an anderer Stelle findet sich eine Ausführung, die zum Gegenstand jene 
Länder hat, die bei großer natürlicher Fruchtbarkeit doch nur eine 
geringe Bevölkerung haben und damit den Unterschied zwischen Nah- 
rungsmittelmenge und wirklichem Vorrat dartun. Augenscheinlich läuft 
die Ausführung auf den Gegensatz von Tages- und Jahresquote im Sinne 
Oppenheimers hinaus. Erst auf technischem Wege kann eine Vermitt- 
lung stattfinden. Zeitweilig entbehrt nach Moheau das Volk der Sub- 
sistenzmittel, wenn nämlich der Bodenbesitzer keinen Bedarf nach Hand- 
arbeit hat, und umgekehrt wird Nahrung vorhanden sein, gleichgültig, 
welches der Getreidepreis ist, wenn nur Nachfrage nach Handarbeit be- 
steht. Soweit die Bodenverteilung eine für die breiten Massen günstige 
ist, sind diese natürlich nicht in gleichem Maße auf Lohnarbeit ange- 
wiesen, sie sind dann nicht von den Unterhaltsmitteln ausgesperrt. Man 
sieht starke Neigungen im bodenreformerischen Sinne. Entweder gün- 
stige Bodenverteilung oder die unbedingte Möglichkeit, durch Lohn- 
arbeit sich seinen Anteil zu sichern, sind Voraussetzungen der Bevölke- 
rungsvermehrung (oder auch nur -erhaltung). Die Aufgaben richtiger 
industrieller Entwicklung und präziser Arbeitsvermittlung werden gleich- 
zeitig vorgezeichnet. Vom „pauvre“, welcher Begriff ja nicht mit 
unserem „Armen“ zusammenfällt, heißt es, daß er nur seine Arbeits- 
kraft zur Verfügung habe; in der körperlichen Ueberlegenheit sei die 
Besserstellung des Mannes gegenüber der Frau, soweit diese auf Lohn- 
arbeit angewiesen ist, begründet. Die Gedanken über Frauenfrage, die 
Moheau anreiht, müssen hier ausscheiden. Nur dies: er wirft die Frage 
auf, ob man nicht den Frauen bestimmte Vorrechte in bezug auf einzelne 
Arbeiten zuwenden könne. 

Ein Abschnitt über Verwaltungseinrichtungen bewegt sich fast 
ausschließlich auf medizinischem Gebiet. Von Interesse ist, was über 
Kindernahrung und Selbststillen gesagt wird und was natürlich ganz 
unter dem Eindruck zeitgenössischer Anschauungen steht. Das folgende 
Schlußkapitel liest sich wiederum als eine nicht ganz in den Rahmen 
der Arbeit passende Apologie der Selbstherrlichkeit und Allmacht des 
absolutistischen Staates. Ist Malthus der Vertreter der naturrechtlichen 
Auffassung, des laisser faire, laisser passer, so haben wir in seinem so 
wenig bekannten Vorläufer den Mann des ancien rögime. Vor allem, 
wir haben in ihm den Franzosen und nicht den Briten. 

Nicht wegen dieser Ueberschätzung des Staates — oder besser der 
Fürstengewalt — und wegen der darauf gegründeten Reformvorschläge, 
sondern wegen der vorzüglichen erkenntnistheoretischen und statistischen 
Unterlagen verdient das nunmehr leicht zugänglich gewordene Werk volle 
Beachtung. Der Grundgedanke, daß neben der vorhandenen Nahrungs- 
menge die Art des Zugriffs auf sie, mit andern Worten, de Verteilung 
eine entscheidende Rolle spielt, ist auch heute noch lebendig. Hier ist 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes., 591 


auch der wichtigste Differnzpunkt gegenüber Malthus, der im Lohn- 
fonds befangen war und Bemühungen, die Verteilung zu ändern, als 
gegen die natürliche Ordnung gerichtet ansehen mußte. Wir haben 
in Moheau einen Optimisten der Bevölkerungstheorie vor uns, obwohl 
er das Problem durchaus nicht unterschätzt. Er ist alles andere wie der 
Verteidiger einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die er als unab- 
änderlich, innerhalb deren er den Anteil der breiten Massen als stets 
auf den notdürftigen Lebensunterhalt herabgedrückt ansehen müßte. 
Oekonomische Kategorien dienen hier nicht wie bei Malthus zur Ver- 
teidigung eines gesellschaftlichen, historisch bedingten Zustandes. Viel- 
mehr läßt der historisch-relative Standpunkt die Möglichkeit sozialer 
Reformen offen: die Zusammengehörigkeit beider Gesichtspunkte, der 
für die historische Schule so charakteristisch ist, tritt uns schon bei 
diesem Vorläufer in glänzender Begründung entgegen. 


Berlin. A. Günther. 


Haney, L. H., Business Organization and Combination. New York 
(The Macmillan Company) 1913. XIV u. 483 SS. 2 $. 

In der amerikanischen Literatur gibt es eine ganze Reihe von 
Schriften, welche in populärer, aber doch wissenschaftlicher Form 
ökonomische Probleme mit besonderer Rücksicht auf Geschäftsleute 
behandeln. Der praktische Sinn des Amerikaners spricht sich darin aus, 
der seinen Büchern dadurch ein weiteres Absatzgebiet zu geben ver- 
sucht, daß er sie nicht nur für Nationalökonomen und Studenten, sondern 
auch für die Bedürfnisse der Geschäftsleute berechnet. Das wird frei- 
lich auch dadurch erleichtert, daß in Amerika auch an den Universitäten 
und Colleges, nicht nur wie bei uns an den Handelshochschulen, die Ver- 
bindung der Nationalökonomie mit privatwirtschaftlichen und handels- 
technischen Fächern eine große Rolle spielt. 

Eine der besten derartigen Arbeiten ist zweifellos das Buch von 
Haney, Professor an der Universität von Texas, der sich schon durch 
eine gute Geschichte der Nationalökonomie: „History of Economic 
Thought“ einen Namen gemacht hat. Das Buch enthält im wesentlichen 
dasselbe wie meine „Unternehmungsformen“, nur mit größerem Ein- 
gehen auf die rechtlichen Grundlagen der Unternehmungen und ihre 
innere Organisation, wie es eben für Geschäftsleute von Interesse ist. 
Verf. hat sich, wie er im Vorwort selbst hervorhebt, besonders bemüht, 
klare und scharfe Begriffsabgrenzungen zu geben, und hier liegt in 
der Tat ein Verdienst des Buches. 

Die Untersuchung geht aus vom Begriff des Unternehmers, 
den er im wesentlichen ebenso definiert, wie ich das getan habe. Ver- 
antwortlichkeit und Kapitalrisiko sind seine wichtigsten Begriffs- 
momente. Auch der Aktionär ist Unternehmer. Verf. weist mit Recht 
darauf hin, daß Unternehmer und Kapitalist nicht dasselbe sind. 
Natürlich: ein Obligationeninhaber ist kein Unternehmer. Dann ist 
aber auch die sozialistische, aber darüber hinaus weitverbreitete und 
beliebte Identifizierung von Unternehmer und Kapitalisten oder eine 
nicht klare Unterscheidung beider hinfällig, was leider einflußreiche 


522 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Nationalökonomen bei uns immer noch nicht einsehen wollen. Zu- 
treffend wird der Unterschied des Unternehmers vom Direktor 
(manager) hervorgehoben, der gemietet, angestellt werden kann. Zu 
kritisieren ist nur des Verf. Anschauung über den Unternehmer- 
gewinn, eine Folge der noch allgemein herrschenden Einkommens- 
lehre, die jedes Einkommen, also auch den Unternehmergewinn, als das 
Entgelt für eine bestimmte Leistung betrachtet und nicht er- 
kennt, daß alle Einkommen nur die Resultante von Preisen und der sie 
begründenden allgemeinen Angebots- und Nachfrageverhältnisse sind. 

Das zweite Kapitel handelt von derGröße der Unternehmungen, 
der Verringerung von Arbeit, Boden und Kapital in der Unternehmung, 
der Vereinigung von Arbeit, Boden und Kapital in der Unternehmung, 
der Integration u. dgl. Diese Ausführungen hätten im Gesamtplan 
des Werkes sehr viel eingehender sein können, namentlich nach der 
volkswirtschaftlichen Seite. 

Den größten Teil der Schrift nimmt Buch II ein (S. 39—255): 
Entwicklung und Formen der Unternehmungen. Hier wer- 
den der Reihe nach die Einzelunternehmung, die Partner- 
ship Organization (im wesentlichen unsere offene Handesgesell- 
schaft), die Joint Stock Company und endlich die Corporation 
besprochen, daneben die Limited Partnership (unsere Kommandit- 
gesellschaft). Der Unterschied zwischen Joint Stock Company und 
Cooporation besteht vor allem darin, daß erstere keine eigene Rechts- 
persönlichkeit, „legal entity“, ist und nur auf einem Vertrage, nicht 
auf staatlicher Verleihung beruht. Die beschränkte Haftung ist kein 
ausschließliches Merkmal der corporations, da sie bei den Joint Stock 
Companies auch vereinbart werden kann, während anderseits bei jenen 
auch vorübergehende Haftung, z. B. auf das Doppelte des Aktienbesitzes, 
statuiert werden kann. (Vgl. dazu jetzt: A. Mez, Das Recht der 
amerikanischen Aktiengesellschaften, in der Heymannschen Sammlung, 
Marburg 1913.) 

Die folgenden Kapitel sind dann den Trusts und verwandten 
Organisationsformen gewidmet. Zunächst werden die „Simple bu- 
siness Trusts“ erwähnt, d. h. die Trustform als bloße Treuhänder- 
schaft, in der Regel für handlungsunfähige Personen, Vereine 
u. dgl., die aber auch als Car Trusts, Voting Trusts usw. verwendet 
wird. In den folgenden Kapiteln werden dann Combination Organi- 
zation = Trusts im weiteren Sinne und Federation Organization 
= Pools, Kartelle behandelt. Ein eingehendes Schema, das Verf. auf- 
stellt, sieht so aus: 

I. Simple Combinations: 
Association (direct combination of natural persons as in partnerships). 
II. Compound Combinations: 

1. Association (the loosest agreements directly between individual 
members of different associations: trade „associations“, some simple 
„agreements“ etc.). (?) 

2. Federation (combination of organizations which remain separate 
and retain considerable autonomy: most simple „agreements and 
pools“). 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 523 


3. Consolidation (combination of organizations in which, while mem- 
bers may remain nominally separate, direction of business is 
fused). 

a) Partial Consolidation : Securities holding. 
b) Complete Consolidation: 
1) Merger (eine bestehende Firma nimmt eine andere auf). 
2) Amalgamation (zwei oder mehr Unternehmungen vereinigen 
sich in einer neuen)" 

Man, muß zugeben, daß diese Klassifikation, die versucht, die in 
Amerika ausschlaggebenden rechtlichen und wirtschaftlichen Gesichts- 
punkte zu kombinieren, den amerikanischen Verhältnissen im ganzen 
entspricht. Doch wäre auch hier eine schärfere Heraushebung des fun- 
damentalsten Unterschiedes wünschenswert gewesen, den wir bei der 
Gegenüberstellung von Kartellen und Trusts machen, daß es sich 
bei ersteren nur um vertragsmäßige Verpflichtungen zwischen selb- 
ständig bleibenden Unternehmungen, bei den letzteren um Bildung 
einer neuen Unternehmung handelt. 

Die verschiedenen Organisationsformen werden vom Verf. der Reihe 
nach geschildert und an charakteristischen Beispielen illustriert. 

Das dritte Buch bringt dann unter dem Titel: Struktur und Le- 
bensgeschichte einer typischen Gesellschaftsunterneh- 
mung, mehr privatwirtschaftliche Untersuchungen über Aktionäre und 
Direktion, innere Verwaltung u. dgl. Auch das Promoting und Under- 
writing wird hier in besonderen Kapiteln besprochen, ebenso die Reor- 
ganisation von Unternehmungen und die Konkursverwaltung. Daß 
auch den Geschäften an der Effektenbörse ein besonderes Kapitel ge- 
widmet wird, geht wohl etwas über den Rahmen des Buches hinaus. 

Das letzte Buch behandelt die Probleme staatlichen Ein- 
greifens. Verf. unterscheidet ebenso, wie das von mir seit Jahren 
geschehen ist, das Monopol- (Trust-) und das Korporations- 
problem. Ersteres kann nur gelöst werden „durch Veränderung der 
ökonomischen Kräfte“. Letzteres ist größtenteils mit gesetzlichen In- 
stitutionen verbunden. Seine Lösung erfordert eine Veränderung des Ge- 
sellschaftsrechts. Verf. hätte hinzufügen können, daß es bis in die 
neueste Zeit der Fehler der amerikanischen Wirtschaftspolitik war, daß 
sie fast ausschließlich das Monopolproblem, und dieses nur durch ge- 
setzliche Maßnahmen statt auf „administrativem“ Wege zu lösen ver- 
suchte. Unter den sonstigen Ausführungen des Verf. ist bemerkenswert 
der mehrmalige Hinweis, daß eine Vereinfachung der so verschie- 
denartigen Effektenformen erwünscht sei, und manche Mißstände 
der großen Gesellschaftsunternehmungen beseitigen könne. Im übrigen 
beziehen sich seine Vorschläge auf Uebertragung des Korporationsrechtes 
an den Bundesstaat, Verbesserung der Geschäftsberichte, strengere Haf- 
tung der Gründer und Direktoren, Recht einer Minderheit der Ak- 
tionäre, eine Generalversammlung zu berufen und ein Revisionskomitee 
zu ernennen, bessere Kontrollmaßregeln, wenn Direktoren der Gesellschaft 
an dieselbe Vermögensstücke verkaufen wollen, Verpflichtung einer 


Gesellschaft, die einen gewissen Teil des Kapitals einer anderen Gesell- 
H 


524 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


schaft besitzt, innerhalb bestimmter Zeit das ganze Kapital zu kaufen 
u. dgl. Schließlich wird noch die Einführung einer Limited-liability 
Association nach dem Muster unserer Ges. m. b. H. empfohlen. Sie soll 
für kleinere Unternehmungen dienen. Verf. vergißt aber hinzuzufügen, 
daß, nach unseren deutschen Erfahrungen, auch die Festlegung einer 
Grenze nach oben zweckmäßig wäre. 

Den Anhang bilden zahlreiche Beispiele von Statuten der verschie- 
denen Gesellschaftsformen, von Kartell-, Pool-, Trust-, Fusionsverträgen, 
eines Promoters- und eines Underwriting-Vertrages. 

Das ganze Buch ist eine wohl etwas trockene, aber sehr klare und 
übersichtliche Einführung in die Probleme der modernen Unternehmung 
in den Ver. Staaten und kann auch europäischen Lesern angelegentlich 
empfohlen werden. R. Liefmann. 


Trautwein, Carl, Ueber Ferdinand Lassalle und sein 
Verhältnis zur Fichteschen Sozialphilosophie. Jena 1913. 
166 SS. 

Das steigende Interesse, das den Lehren Fichtes heute entgegen- 
gebracht wird, ist ein Symptom für die Abkehr von der rein entwick- 
lungsgeschichtlichen Betrachtung der Sozialphänomene, und für das 
tiefe Bedürfnis nach einer neuen ethischen Fundierung der Sozialphilo- 
sophie. Selbst von streng sozialistischer Seite (so jüngst von Max 
Adler, im Kampf, Bd. V) ist auf den tiefen sittlichen Gehalt der Fichte- 
schen Ideen hingewiesen worden. Die letzteren stehen denn auch, genau 
genommen, im Mittelpunkte der Trautweinschen Schrift, die durch ihre 
klare Problemstellung, ihre vortreffliche Systematik, ihre gründliche, 
von großen Kenntnissen zeugende Durchdringung des Stoffes und die 
kraftvolle Art der Darstellung einen hervorragenden Platz unter den 
literarhistorischen Bearbeitungen gleicher und verwandter Themen be- 
hauptet. Die sprachliche Gestaltungskraft des Verfassers mag besonders 
rühmend hervorgehoben werden. Von den Lehren Fichtes aus, wenn auch 
nicht in der äußerlichen Gliederung, so doch offensichtlich in der inner- 
lichen Verarbeitung der Probleme, aufbauend verfolgt Trautwein die Ent- 
wicklung der deutschen idealistischen Philosophie von Kant zu Hegel, 
und untersucht die Abhängigkeit der beiden großen Schöpfer des modernen 
Sozialismus — Marx und Lassalle — von dem Ideenkreise jener Denker. 
Aus dieser Untersuchung wächst fast mit zwingender Notwendigkeit 
jenes entscheidende Problem hervor, das der Verf. am Schlusse seiner 
Arbeit (S. 158) formuliert: „Stehen die ökonomischen Theorien Lassalles 
mit ihrem Klassenprinzip, mit ihrer strengen Unterscheidung von Bour- 
geoisie und Lohnarbeiterschaft, im Gegensatze zu dem geschichtsphilo- 
sophischen Prinzip der Volksgeister oder Nationen ? trägt nicht in Lassalle 
Marx den Sieg davon über Hegel und Fichte?“ Dem Nachweise, daß die 
Antwort verneinend lauten müsse, ist im Grunde die ganze Schrift ge- 
widmet; er wird geführt durch einen eingehenden Vergleich der öko- 
nomischen Lehren Lassalles mit jenen von Marx, welcher die oft betonte 
Abhängigkeit des ersteren vom letzteren zwar erkennen läßt, in dem viel- 
leicht entscheidenden Punkte aber, in der Auffassung des ökonomischen 
Gesetzes, eine Wesensverschiedenheit nachweist: Für Marx „bilden die 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 525 


ökonomischen Gesetze eine Reihe, die mit immanenter Notwendigkeit 
zur sozialistischen Gesellschaftsordnung führt“ (S. 44); Lassalles öko- 
nomische Gesetze „erfassen trotz Hegel die Erscheinungen der kapita- 
listischen Produktion nur im Beharrungszustande, und tragen in sich 
nicht die logische Notwendigkeit von einem Zusammenbruche dieses 
Kapitalismus... Für Lassalle liegt demnach der zu lösende Wider- 
spruch in der Spannung zwischen den realen wirtschaftlichen Tatsachen 
und einem wirtschaftlichen Ideal“ (S. 46). Mit diesem Gegensatze 
stehen, wie Trautwein zeigt, die Differenzen der beiden Denker in der 
Auffassung und Beurteilung der Erscheinungen des Wirtschaftslebens 
in engem Zusammenhange (Arbeits- und Mehrwerttheorie, Geldlehre, 
Lohntheorie). Im Anschlusse an Hegel und insbesondere an Fichte 
räumt Lassalle der nationalen Gliederung — die in dem Marxschen 
Systeme des ökonomischen Materialismus überhaupt keine Rolle spielt 
— den Primat über der wirtschaftlichen ein. Zu einer größeren Schät- 
zung der theoretischen Leistungen Lassalles wird die Schrift Trantweins 
kaum beitragen; denn sie zeigt ihn neuerdings als wenig originellen 
Epigonen der größten Philosophen, die Deutschland im 19. Jahrhundert 
hervorgebracht hat. Aber sie betont — und das ist vielleicht ihr größtes 
Verdienst — mit aller Klarheit die unsterbliche Leistung der deutschen 
idealistischen Philosophie um die Schaffung des Begriffs der persönlichen 
Freiheit, nicht als der Selbstherrlichkeit des isolierten Individuums, wie 
sie der reine Individualismus erfaßt hatte, sondern als einer erst durch 
die sittliche Gemeinschaft im Staate erwachsenden Abgrenzung der 
Rechte und Pflichten, die, auf das wirtschaftliche Gebiet übertragen, 
hier zu den Forderungen des Rechtes auf Existenz und auf Arbeit führt, 
und schon bei Fichte in sozialistische Forderungen ausklingt. Die Schrift 
zeigt ferner das Emporwachsen der Idee des Volksgeistes und des Na- 
tionalgedankens aus der geschichtsphilosophischen Auffassung Hegels 
und Fichtes, und gipfelt, trotz aller literarhistorischen Objektivität, in 
einer Apologie der Fichte-Lassalleschen kulturpolitischen Auffassung 
gegenüber der rein entwicklungsgeschichtlich verfahrenden Methode 
von Karl Marx. Wir vermissen freilich eine kritische Beurteilung jener 
Fichteschen, von Lassalle übernommenen Idee der Nation als eines ‚selb- 
ständigen Wertgebildes zwischen Individuum und menschlicher Gattung“ 
(S. 137), das durch ein naturhaftes Element (Rassenabstammung) und 
ein geistiges (ununterbrochene geistige Fortentwicklung“ (S. 140) cha- 
rakterisiert ist. Allein jeder Versuch einer solchen Kritik hätte viel- 
leicht die Idee selbst zerstört, und damit dem von Trautwein in dem 
knappen aber fesselnd geschriebenen Schlußworte angedeuteten Wunsch 
nach einer „Aushöhlung‘“ der Anschauungen des Marxismus in der 
deutschen Sozialdemokratie durch den lebendigen Nationalgedanken Las- 
salles die Spitze abbrechen müssen. KarlPribram. 


J. Conrad, Grundriß zum Studium der politischen Oekonomie. 
Fortsetzung des 4. Teils: Gewerbestatistik. Von A. Hesse. 2. Aufl., 
1914. Selbstanzeige. 

Die neue Auflage weicht von der ersten Ausgabe in methodischer 
und sachlicher Beziehung grundlegend ab. 


526 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Die erste Auflage hatte das Schwergewicht auf die Wiedergabe des 
Zahlenmaterials gelegt, hierfür vorwiegend die Tabellenform gewählt 
und im Text allein die wichtigsten Ergebnisse und die grundlegenden 
kritischen Gesichtspunkte hervorgehoben. In der neuen Auflage nimmt 
das Tabellenmaterial nicht mehr ein Drittel des früheren Umfanges 
ein. Dagegen ist die Textdarstellung erheblich erweitert: es sind die 
Fragen der gewerbestatistischen Methode und Technik ausführlicher 
behandelt und die Ergebnisse eingehender betrachtet, insonderheit Rich- 
tung und Grenzen ihrer Verwertung näher untersucht worden. Die 
Tabellen dienen jetzt vorwiegend dem Zweck, Aufbau und Gliederung 
des vorliegenden Zahlenmaterials zu zeigen und so in dieses einzuführen. 

Die sachliche Erweiterung der neuen Auflage besteht zunächst in 
einer eingehenden Darstellung der Ergebnisse der deutschen Betriebs- 
zählung von 1907. Dann sind die neuen Erhebungen des Auslandes 
herangezogen. Endlich ist die Darstellung über die bisherige Aufgabe 
hinausgegangen, hat das produktions- und handelsstatistische Material 
verwertet und die Statistik der Gesellschaften und Genossenschaften, 
des Arbeitslohnes und der Arbeitszeit, des Arbeitsmarktes, der Organi- 
sationen, der Arbeitskämpfe und Tarifverträge behandelt. Den Abschluß 
der Ausführungen bilden jeweils Uebersichten, die zunächst die sta- 
tistische, dann aber auch die volkswirtschaftliche Literatur nachweisen 
und am Ende der gewerbestatistischen Untersuchung dem Leser den 
weiteren Weg zeigen. 

So ist auf die Verbindung der formalen, statistischen mit den materi- 
ellen, volkswirtschaftlichen Problemen besonderes Gewicht gelegt worden. 
Damit ist auch zu der erst kürzlich wieder erörterten Frage nach dem 
Wesen der Statistik Stellung genommen. Es ist die Statistik nicht auf 
die methodischen und technischen Probleme der Massenbeobachtung 
beschränkt, sondern ihr als selbständige Aufgabe auch die Untersuchung 
bestimmter Tatbestände zugewiesen, aller derjenigen, für die durch 
Häufung von Beobachtungen die allgemeinen, nicht individuellen Merk- 
male und durch Ermittelung von Regelmäßigkeiten in der Aufeinander- 
folge die ursachlichen Beziehungen festzustellen sind. Immer aber ist 
die Ermittelung des Typischen und Notwendigen nur so weit des Sta- 
tistikers Aufgabe, als die zahlenmäßige Erfassung von Massenerscheinun- 
gen für sie die Grundlage abgibt. So ist denn im besonderen die kausale 
Betrachtung nur so weit geführt, als das Zahlenmaterial reicht, und die 
Verfolgung derjenigen historischen, geographischen, technischen, öko- 
nomischen und sozialen Momente, die in diesem nicht ihren Niederschlag 
gefunden haben, mit Absicht unterlassen. Diese Beschränkung auf 
das Element statistischer Arbeit ist nötig, wenn ihre Selbständigkeit und 
Eigenart gewahrt bleiben soll. Je strenger die Statistik diese Grenzen 
innehält, um so sicherer wird sie ihr sachliches Herrschaftsgebiet be- 
stimmen und behaupten. 

Selbst wenn nicht schon diese grundsätzlichen Erwägungen den 
Ausschlag geben würden, müßte eine zusammenfassende Darstellung 
aus äußeren Rücksichten ihre Aufgabe beschränken. Ein Urteil über 
die quantitative Bedeutung der Zahlen kann nur gewonnen werden durch 


S be 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 597 


räumliche und zeitliche Vergleiche. Es ist also eine gewaltige Masse ver- 
schiedenartigen und ungleichwertigen Materials zu berücksichtigen, das 
gerade auf dem Gebiet der Wirtschaftsstatistik ununterbrochen, in 
schneller Folge und in erheblicher Ausdehnung durch amtliche und 
private Arbeit vermehrt wird. Das Erfassen dieser zeitlich und räum- 
lich so umfangreichen, vielgestaltigen und veränderlichen Verhältnisse 
nach allen Richtungen in einer einzigen Untersuchung wäre eine falsch 
gestellte, weil unlösbare Aufgabe. Eine zusammenfassende Darstellung | 
muß dies um so mehr berücksichtigen, je weiter sie den Umfang des 
verwerteten Materials zieht. Sie wird teilweise auch dann auf Einzel- 
heiten verzichten müssen, wenn diese in dem statistischen Material ihre 
Grundlage finden, und hier der Einzeluntersuchung Ziel und Weg zu 
weisen haben. Dazu tritt für einen einführenden Grundriß, der den, 
Teil eines größeren Ganzen bildet, die Rücksicht anf seine besondere 
Aufgabe und auf den Zusammenhang, in dem er steht. So ist nach 
allen Richtungen hin die Darstellung von dem Bestreben geleitet worden, 
die Fülle des Stoffes zu beschränken, Uebersichtlichkeit und Kürze zu 
erreichen und nur das Wichtigste iu geschlossenem, systematischem 
Aufbau zu bieten. 
Königsberg i. Pr. A. Hesse. 


Croce, Benedetto, Historical materialism and the economics of Karl 
Marx; translated by C. M. Meredith; with an introduction by A. D. Lindsay. New 
York, Macmillan. 12, 23-+188 pp. $ 1,25. ` 

Melvin, F/joyd J., Socialism as the sociological ideal. New York, Eaton- 
Ives-Sturgis-Wa/fon Co. 120. $ 1,25. 


2. %eschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 

Coster Whitney Wright, Ph. D., Wool growing and the 
Tariff, a study in the economic history of the United States. Boston 
and ‘New York (Houghton Mifflin Company, the Riverside Press Cam- 
bridge) 1910. IX u. 362 SS. 4 Taf. Preis 2 $. 
‚} Die auf einem umfangreichen Quellenstudium beruhende gründ- 
li e Arbeit gibt eine Darstellung der Entwicklung der Wollproduktion 
den Vereinigten Staaten und untersucht, in welcher Weise dieselbe 
urch das Vorhandensein oder Fehlen eines Zolles beeinflußt worden 


Üst. Zugleich sind aber auch alle andern Faktoren beleuchtet worden, 


elche auf die Entwicklung der Wollproduktion in den einzelnen Zeit- 
schnitten eingewirkt haben; daher ist das vorliegende Werk über 
inen eigentlichen Zweck hinaus wertvoll, indem es an dem Beispiele 
nes der wichtigsten Wirtschaftszweige lehrreich vor Augen führt, 
elche grundlegenden Momente in der Wirtschaftsgeschichte der Ver- 
inigten Staaten hauptsächlich maßgebend gewesen sind. 
Verf. unterscheidet in der Entwicklung der nordamerikanischen 
ollproduktion und Wollverarbeitungsindustrie folgende 7 Perioden: 
Wollproduktion vor 1800; die Einführung des Merinos 1800—1815; 
Basierung der Wollproduktion auf kaufmännische Grundlage, 1816 
bis 1830; die Vorherrschaft des Ostens, 1880—1840; das Aufblühen 
des mittleren Westens, 1840—1860; die Zeit des Bürgerkrieges 1860 
bis 1870; das Aufblühen des fernen Westens, 1870—1890; zollfreie 


528 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Wolleinfuhr und das Ende des Zuges nach dem Westen 1890—1907. 
Für jede einzelne Periode schildert Verf. die Entwicklung bzw. den Zu- 
stand der Wollverarbeitung — erst im Hause und später im fabrik- 
mäßigen Betriebe — einerseits, der Schafhaltung und Wollproduktion 
andererseits, und erörtert die wirtschaftlichen und politischen Fragen, 
die die Wollindustrie in diesem Zeitabschnitte günstig oder ungünstig 
beeinflußt haben. Der geschichtliche Ueberblick lehrt, daß sehr ver- 
schiedenartige Einflüsse und zu jeder Zeit wieder andere hierbei ob- 
gewaltet haben, unter denen vornehmlich zu nennen sind als solche, 
die wenigstens während einer der 7 Perioden vorherrschend waren: 
das Anwachsen und die räumliche Ausdehnung der Bevölkerung, das 
Aufblühen der Wollverarbeitungsindustrie, die Aenderungen in der 
Rentabilität der verschiedenen Wirtschaftszweige der Farm und die 
dadurch veranlaöten Umgestaltungen des Farmbetriebes, die durch den 
Krieg geschaffenen -unnormalen und unbeständigen Verhältnisse, die 
Erschließung des fernen Westens und die allgemeine industrielle Ent- 
wicklung. Derjenige Faktor. welcher der ganzen Wirtschaftsgeschichte 
der Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert das Gepräge gibt, ist der 
Zug nach dem Westen; und es leuchtet ohne weiteres ein, daß derselbe 
gerade den Entwicklungsverlauf der Woilnroduktion dauernd beeinflußt 
haben wird. Denn fast überall in der gemäßigten und der subtropischen 
Zone, wo Neuland von der Besiedlung in Angriff genommen wird, 
marschiert die Schafzucht voran, während sie in den älteren Kultur- 
ländern von andern landwirtschaftlichen Betriebszweigen mehr und mehr 
zurückgedrängt wird; auch die Entwicklung in Australien, Ar- 
gentinien, Südafrika und andern Ländern zeigt, daß die Wollproduk- 
tion beständig dazu geneigt hat, ihren Schwerpunkt an die \orposten 
der Zivilisation zu verlegen. N 

Im besonderen galten die Untersuchungen Verf.s der Frage, Cie: 
weit der Zoll sich bei der Entwicklung der Wollproduktion geltend ge- 
macht hat, und zwar kommt er zu dem Schlusse, daß in keiner “der 
oben unterschiedenen 7 Perioden die Zollfrage für das Gedeihen Ver 
Wollproduktion den Ausschlag gegeben hat und daß vielmehr jedesmal 
ein oder mehrere andere Faktoren sich als mächtiger erwiesen. Bei der 
Betrachtung der einzelnen Perioden ergibt sich nach Verf.s Meinung 
folgendes: am nötigsten war der Schutzzoll nach dem Kriege von 181%, 
als die unter der Gunst der vorhergehenden Jahre im frischen Aua: 
blühen begriffen gewesene Wollverarbeitungsindustrie verzweifelt u 
ihre Existenz rang. Tatsächlich war die Einfuhr von Rohwolle fin 
diesen Jahren unbedeutend, und der Zoll bedeutete für die einheimischen 
Produzenten eine gewisse Hilfe. Dagegen verhinderte er nicht di 
Einfuhr wollener Stoffe, weil die englischen Fabrikanten sich damaß 
in der üblen Lage befanden, große Posten Ware zu Schleuderpreisek 
auf den amerikanischen Markt werfen zu müssen, und so vermoch 
der Zoll seinen Zweck nur teilweise zu erfüllen. Zu günstigerer Wir- 
kung kam der Zoll in der Periode 1830—1840, da sich die Lage der 
englischen Wollindustrie inzwischen geändert hatte. Von 1840 bis 
zum Ausbruche des Bürgerkrieges blieb der Zoll fast ohne jegliche 


Pen 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 529 


Wirkung, da die in großen Mengen eingeführten geringerwertigen 
Wollen vom Zoll kaum getroffen wurden, die Einfuhr besserer Wollen 
aber unbedeutend und sogar kleiner als die Ausfuhr war. Während des 
Bürgerkriegdezenniums war, wenn man es als Ganzes betrachtet, der 
Schutzzoll zwar vorteilhaft für die Schafzüchter, er brachte aber doch 
immerhin nur mäßigen Nutzen, da verschiedene andere Momente seine 
Wirkung abschwächten. In der sich anschließenden Periode war infolge 
der starken Produktionssteigerung auf der südlichen Halbkugel ein 
starkes Sinken der Wollpreise auf dem Weltmarkte zu verzeichnen. 
Die damals erhöhten Zollsätze vermochten in den Vereinigten Staaten 
die Wollpreise entsprechend höher zu halten als sie sich sonst gestellt 
haben würden. Dadurch erhielten die Farmer auch einen Ansporn zur 
Vermehrung ihrer Herden, und wenn auch im Osten und im mittleren 
Westen andere Gründe es nicht dazu kommen ließen, die Schafzucht 
weiter auszudehnen, so trat die Vermehrung doch im fernen Westen 
ein. Freilich darf nicht außer acht gelassen werden, daß der Zoll 
hierin nur beschleunigend wirkte, denn die Vermehrung des Schaf- 
bestandes im Westen setzte sich auch später, nach Aufhebung des 
Schutzzolles, wenngleich in langsamerem Tempo, noch fort. Am deut- 
lichsten machte sich der Einfluß des Schutzzolles nach seiner Auf- 
hebung bemerkbar. Die Wollpreise sanken, und in der östlichen Hälfte 
des Landes wurden die Schafe in großen Mengen abgeschafft. Im 
Westen war die Schädigung für die Farmer, welche die Schafzucht 
nebenbei betrieben, weniger fühlbar als für die nicht mit einem Farm- 
betriebe verbundenen Schäfereien. Aus der Tatsache, daß nach der 
Wiedereinführung des Schutzzolles die Farmer des Ostens und mittleren 
Westens, welche ihre Schafe abgeschafft hatten, nicht wieder zur 
Schafzucht zurückkehrten, glaubt Verf. schließen zu dürfen, daß die 
Aufhebung des Zolles den Leuten die Augen geöffnet und ihnen gezeigt 
hätte, wo ihr Vorteil liegt, nämlich in irgendwelchen andern Zweigen 
der Landwirtschaft. Das mag und wird teilweise zutreffen; Verf. über- 
sieht jedoch, daß jeder Wechsel im Wirtschaftssystem für den Landwirt 
mit großen Ausgaben, ja direkten Geldverlusten verbunden zu sein 
pflegt, so daß man sich also auch aus diesem Grunde nur schwer dazu 
entschließen wird, wieder mit der Schafzucht zu beginnen, nachdem 
man wenige Jahre zuvor seine Herde mit Nachteil an den Schlächter! 
verkauft hatte. Verf. läßt ferner die erheblichen Verluste unbeachtet, 
die die Farmer bei der Aufhebung des Schutzzolles durch die Wert- 
verminderung ihrer Herden und die notgedrungene Verschleuderung 
derselben erlitten haben. Ich möchte daher für diese Periode der nord- 
amerikanischen Wollproduktion der Aufhebung des Einfuhrzolles min- 
destens den gleichen Einfluß auf den Rückgang der Schafhaltung zu- 
erkennen, wie der von rentabler erscheinenden andern landwirtschaft- 
lichen Betriebszweigen ausgeübten Anziehungskraft. Mit Bezug auf die 
übrigen Perioden sei noch bemerkt, daß für manche Zeitabschnitte 
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 34 


530 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


innerhalb derselben der Schutzzoll auf Wolle doch sehr fördernd ge- 
wirkt hat. Endlich geht aus dem Werke hervor, daß sehr häufig der 
Zoll nur einen geringen Teil der Wolleinfuhr traf, die Hauptmenge aber 
ganz oder fast zollfrei einließ, so daß also mit einer den Verhältnissen 
besser angepaßten Zollskala eine wesentlich günstigere Wirkung hätte 
erzielt werden können. 

Die Frage, ob die Wollproduktion überhaupt durch einen Ein- 
fuhrzoll geschützt werden soll, beantwortet Verf. nicht direkt, sondern 
er läßt aus seinen Darlegungen die Leser selbst ihre Schlüsse ziehen. 
Jedenfalls hat er den Beweis erbracht, daß die Meinung, die Schafzucht 
und Wollproduktion des Landes sei mit ihrer Existenz ganz und gar 
auf einen Schutzzoll angewiesen, durch die geschichtlichen Tatsachen 
nicht begründet ist. 

Leipzig. A. Golf. 


Bauer, Friedrich, Das Wollgewerbe von Eßlingen bis zum 
Ende des 17. Jahrhunderts. (Abhandlungen zur mittleren und neueren 
Geschichte.) Berlin und Leipzig (Dr. W. Rothschild) 1914. 164 SS. 
M. 5. 

Die Eßlinger Wollgewerbe haben niemals eine besondere Be- 
deutung beanspruchen können. Selbst in dem wichtigsten unter ihnen, 
in der Tuchweberei, deren Erzeugnisse sich in ihrer Blütezeit (15. Jahr- 
hundert) in Schwaben und auf den oberdeutschen Messen eines ge- 
wissen Namens erfreuten, sind, nach den mitgeteilten Stichproben zu 
schließen, wohl nie über 50 Meister tätig gewesen. So sind denn auch 
die Ergebnisse der Arbeit kaum von allgemeinerem Interesse. Die 
Entwicklung der Gewerbe zeigt die typische Tragödie der kleinen Reichs- 
städte. Mit dem Erstarken des sie umgebenden Territorialstaates sahen ` 
sie sich auf Schritt und Tritt im Bezuge des Rohmateriales behindert, 
in ihrem Absatze eingeschränkt. Diese Erschwerung der Produktion 
wirkt wieder auf die Qualität der Waren zurück, die von einer stetig 
nachlässiger werdenden Schau schlecht behütet, immer mehr sinkt und 
binnen kurzem den alten Ruf vernichtet. Dieser Niedergang setzt schon 
um die Mitte des 16. Jahrhunderts ein. Auch nach dem 30-jährigen 
Kriege zeigt sich nur eine unbedeutende Erholung, da jetzt die Kon- 
kurrenz der ausländischen Gewebe immer stärker hervortritt. 

Warum die Darstellung des Verf. mit dem Ende des 17. Jahr- 
hunderts abbricht, wird wohl nicht nur mir völlig unerfindlich sein. 
Dieser Termin bedeutet doch nach keiner Seite hin einen Einschnitt 
in der wirtschaftlichen Entwicklung. Nicht minder verblüfft die Kon- 
statierung (S. 60), daß aus der vorhergehenden Darstellung „der Zunft- 
zwang für den Gewandschnitt‘ bestätigt sei, nachdem doch sowohl diese 
frühere Darstellung, wie auch der den zitierten Worten folgende Nach- 
satz klar hervorgehoben haben, daß auch eine bevorrechtete Klasse von 
Bürgern zum Gewandschnitt zugelassen war, ohne dem Zunftzwange 
unterworfen zu sein. 

Lassen die die historische Abfolge schildernden Abschnitte der 
Schrift vielfach Uebersichtlichkeit und vor allem Gestaltungskraft ver- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 531 


missen, so zeigt die ausführliche Darstellung der Zunftverfassung solide 
Arbeitstechnik. Wesentlich Neues erfahren wir auch hier nicht, was 
natürlict nicht dem Autor zur Last gelegt werden soll. 


Halle. Gustav Aubin. 


Dorno, Friedrich, Der Fläming und die Herrschaft Wiesen- 
burg. Agrar-historische Studien aus den nördlichen Aemtern des süchsi- 
schen Kurkreises. (Schmollers Forschungen.) München und Leipzig, 
Duncker u. Humblot. Mit 1 Karte. 111 SS. M. 3. 

Die Arbeit zerfällt, wie schon der Titel andeutet, in zwei Teile. 

Der erste bietet eine gelungene Anwendung jener von G. F. Knapp 
und Schmoller bevorzugten Methode, von der Feststellung und Erläute- 
rung der Agrarverfassung einer jüngeren Periode ausgehend, die Ent- 
stehung dieser Verfassung nach rückwärts zu verfolgen. Das unter- 
suchte Gebiet beschränkt sich aber nicht nur auf den Fläming, jenen 
Höhenzug, der etwa — die Auffassungen schwanken — in der Höhe 
von Magdeburg beginnend — sich am rechten Ufer der Elbe und der 
schwarzen Elster gegen die Lausitz hinzieht, sondern umfaßt auch die 
Landstriche, die sich ihm nordöstlich und südwestlich vorlagern. Wir 
stehen also in einem Randbezirke des Geltungsgebietes der ostdeutschen 
Agrarverfassung, das noch manche Züge des alten Volkslandes auf- 
weist, aber auch in einem Gebiete, in dem die in Jahrhunderten schritt- 
weise vordringende Kolonisation eine bunte Vielheit von Ständen und 
Besiedelungsformen entstehen ließ. In der Ständegliederung, die Verf. 
aus den Erbbüchern des 16. Jahrhunderts vor uns aufrollt, interessieren 
besonders die zwischen der Ritterschaft und den bäuerlichen Schichten 
stehenden Gruppen der „ehrbaren Mannschaft“ und der „Lehnmänner‘“. 
Die ehrbare Mannschaft, Ritter ohne Untertanen, sind eine „absterbende 
Institution“. Die zahlreichen Lehnmänner, oft drei, vier und selbst 
fünf in einem Dorfe, verdienen sich ihr Gut mit dem Roßdienst, bzw. 
durch die Zahlung des Lehnspferdes.. Im übrigen aber hat sich ihre 
soziale Stellung nach den einzelnen Landstrichen sehr verschieden ent- 
wickelt. Bald haben sie sich den Bauern fast vollständig angeglichen, 
bald stehen sie diesen als deutlich abgesetzte höhere Schicht gegenüber. 
D. will in ihnen im Gegensatz zu älteren Erklärungsversuchen den Be- 
weis erblicken, daß bäuerliche und ritterliche Ministerialien aus einer 
Wurzel hervorgegangen sind. In den deutschen Bauerndörfern habe 
sich der bäuerliche Typus erhalten, in den gemischt besiedelten Ge- 
bieten sei ein Teil zum Ritterstande emporgestiegen, ein anderer auf 
einer Zwischenstufe stehen geblieben. Eine sehr beachtenswerte Hypo- 
these, die durch eine sorgfältige Untersuchung der lokalen Verhältnisse 
unterstützt wird. Untersuchungen zur Agrargeschichte des deutschen 
Ostens werden sie im Auge behalten müssen. 

Schon jetzt wird man Verf. darin rückhaltslos beistimmen können, 
daß der Streifen rein deutscher Bauerndörfer auf der Höhe des Fläming 
einer planmäßigen Besiedelung entstammt, daß der große Umfang der 
Bauerngüter in engem Zusammenhange mit dem ursprünglichen Wald- 
charakter des Gebietes steht, das nur durch umfangreiche Rodungen 

34* 


532 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


kulturfähig gemacht werden konnte. Damit fällt denn auch die alte 
Annahme hinweg, daß diese Fläminger holländischen Ursprunges ge- 
wesen seien. Ein Nachweis, der neuerdings vor einer Ueberschätzung 
der Zahl der holländischen Einwanderer und ihrer Bedeutung für die 
Kolonisation des deutschen Ostens warnt. 

Der zweite Abschnitt der Arbeit sucht auf der so gewonnenen 
breiteren Unterlage ein Bild der Entwicklung der agrarischen Verhält- 
nisse in der Herrschaft Wiesenburg zu zeichnen, die sich über den west- 
lichen Teil des Höhenrückens erstreckt. Hier hat jene erste syste- 
matische Kolonisation nur spärlich Fuß fassen können, ein innerer 
Ausbau des im 16. Jahrhundert noch überwiegend aus Wald und 
Heide bestehenden Gebietes ist dann in zwei, durch den 30-jährigen 
Krieg geschiedenen Perioden unter den energischen Herrschaftsbesitzer 
aus dem Hause der Brandt von Lindau erfolgt. Die sorgfältige Detail- 
zeichnung dieser Vorgänge bietet auch über das lokalhistorische Inter- 
esse hinaus manches, das für unsere Kenntnis gerade jener Grenzgebiete 
von allgemeinerer Bedeutung ist. 


Halle. Gustav Aubin. 


Helfferich, Karl, Deutschlands Wohlstand 1888—1913. Berlin 
1913. 127 SS. 

Die vorliegende Schrift ist ein Beitrag zu dem Jubiläumswerke 
„Soziale Kultur und Volkswohlfahrt während der ersten 25 Regierungs- 
jahre Kaiser Wilhelms II.“ und mit Recht als Sonderausgabe dem 
größeren Publikum zugänglich gemacht. Sie bietet trotz des geringen 
Umfangs einen überaus reichen Stoff von allgemeinem Interesse. Mit 
ebensoviel Sachkenntnis als Umsicht ist die Entwicklung der Bevölke- 
rung, der Technik, der wirtschaftlichen Organisation im ersten Ab- 
schnitt, im zweiten Produktion, Verkehr und Konsum, im dritten Ab- 
schnitt das deutsche Volkseinkommen und Volksvermögen in ihrer Ent- 
wicklung behandelt. Der große Aufschwung des wirtschaftlichen Lebens 
in Deutschland wird hier und da im Vergleich mit dem Auslande über- 
sichtlich dargestellt. 

Nur zwei Bedenken möchte ich in betreff der Durchführung äußern. 
So sehr im allgemeinen auf die Fehler in dem Zahlenmaterial aufmerk- 
sam gemacht ist, so scheint uns dies nicht ganz ausreichend bei einer 
Darstellung der landwirtschaftlichen Produktion geschehen zu sein, 
da unsere Erntestatistik doch eine zu ungenaue ist und noch mehr in 
anderen Ländern um die Erträge pro Hektar ohne Reserve nicht nur 
in der Entwicklung der letzten 25 Jahre, sondern auch in internationaler 
Vergleichung anzugeben. Ebenso hätte wohl hervorgehoben werden 
müssen, daß die Steigerung des Wertes des Grund und Bodens vor allem 
in den Städten keineswegs mit den übrigen Bestandteilen des Volks- 
vermögens gleichzustellen ist und mit ihm summiert werden kann, weil 
er nicht in demselben Maße den Volkswohlstand hebt, wie z. B. die 
Aufrichtung von Gebäuden und Durchführung von Meliorationen, son- 
dern daß dem Vorteil des Grundbesitzers die Benachteiligung des Mieters 
gegenübersteht. J. Conrad. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 533 


Schmidt, O., Die Reichseinnahmen Ruprechts von der Pfalz 
(Leipziger Historische Abhandlungen, hrsg. von E. Brandenburg, G. 
Seeliger, U. Wilcken, Heft 30). Leipzig (Quelle und Meyer), 1912. 
100 SS. 3,20 M. 

Es ist bezeichnend für das Finanzwesen des deutschen Reiches im 
ausgehenden Mittelalter (in der Neuzeit ist es bekanntlich auch nicht 
besser geworden), daß der Hauptteil der vorliegenden Arbeit den ver: 
siegten Finanzquellen“ gewidmet ist. Dazu gehören unter Ruprecht 
der Grundbesitz des Reiches, das ehemalige Reichsgut, ferner die Ein- 
künfte aus der Kirchenvogtei, aus den Regalien in den Reichsstädten 
und die Reichszölle; sie alle lieferten damals keinen irgendwie nennens- 
werten Ertrag mehr. Von Bedeutung waren lediglich die Geschenke, 
die die Reichsstädte und viele Judengemeinden dem König beim ersten 
Aufenthalt zu machen pflegten, die Steuern der Reichsstädte, welche 
die einzige regelmäßige Einnahme des Königs waren, aber gerade wegen 
ihrer Regelmäßigkeit meist im voraus an irgendeinen Gläubiger ange- 
wiesen waren, und schließlich die Abgaben der Juden. Die Gesamt- 
einnahme Ruprechts während seiner 10 Regierungsjahre berechnet S. 
auf etwa 175000 Gulden; zieht man davon einige nicht regelmäßig 
wiederkehrende Posten, wie die Geschenke u. a., ab, so wird die Klage 
Sigmunds bestätigt, daß das Reich jährlich nicht mehr als 13000 Gul- 
den abwerfe. 

Halle. F. Hartung. 


Van Caenegrem, Fr., L’expansion économique de la Hongrie en 1913. 
Bruxelles, 129 rue de la Victoire, 1914. 24X16. 36 pag. fr. 1,25. 

Terry, T. Philip, Mexico; an outline sketch of the country, its people, 
and their history from the ealiest times to the present. Boston, Hougthon 
Mifflin, 1914. 8. 75c. 


3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung 

und Kolonisation. 

Hirsch, Max, Fruchtabtreibung und Präventivverkehr im Zu- 
sammenhang mit dem Geburtenrückgang. Würzburg (Curt Kabitzsch) 
1914. V u. 267 SS. M. 6. 

Immer dringlicher ergibt sich die Notwendigkeit, die Haupt- und 
Endergebnisse der sich ständig mehr spezialisierenden Einzelwissen- 
schaften in Beziehung zueinander zu setzen, sie hineinzustellen in den 
Fluß des sich nach allen Seiten hin auswirkenden Lebens. 

Als ein besonders erfreulicher Beitrag in dieser Richtung hat die 
vorliegende Publikation zu gelten, die sachlich und freimütig eine der 
wichtigsten und zugleich heikelsten Fragen des Bevölkerungswesens und 
der Geburtenpolitik vom Standpunkte des Arztes und Rassenpolitikers 
behandelt. 

Der erste Teil beschäftigt sich mit dem Umfang, den Gefahren 
und der ursächlichen Begründung der Fruchtabtreibung. 

Beim zweiten, den Geburtenrückgang besprechenden Teil kommt 
Verf. zu dem zutreffenden Schluß, daß „wirtschaftlicher Notstand und 
Zivilisation die materielle und geistige Ursache des Geburtenrückganges 
sind.“ Kompliziert werden diese beiden Hauptursachenreihen durch 


534 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Motive seelischer und moralischer Art, durch den Zwangszölibat der 
Beamtinnen, die Heiratserschwerung der Militärpersonen und anderer 
Beamtenkategorien, den Zölibat der katholischen Geistlichkeit und ähn- 
liches mehr. Als Nebengründe kommen die Zunahme der Schwanger- 
schaftsuntauglichkeit, die Vermehrung der Geburtsschmerzen und Kom- 
plikationen und die Furcht vor ihnen in Betracht. Eine Furcht, die 
insofern nicht unbegründet ist, als, wie unser Autor nachweist, durch 
ungenügende Pflege im Säuglings- und Kindesalter, durch vorzeitige 
oder schwere Erwerbsarbeit jugendlicher Weiblicher die körperliche 
Entwicklung hintangehalten, die Morbidität und Mortalität der arbeiten- 
den Frauen in den Jahren der höchsten geschlechtlichen Reife ge- 
steigert wird. L 

Der dritte Teil setzt sich mit den im Kampf gegen Fruchtabtrei- 
bung und Geburtenrückgang anwendbaren Mitteln auseinander. An 
erster Stelle wird hier dargetan, wie unwirksam nach der einen, wie 
schädlich nach der anderen Seite hin das Verbot bzw. die Anwendungs- 
erschwerung antikonzeptioneller Mittel ist, deren der Arzt sowohl zur 
Bekämpfung der gleichfalls die Geburtlichkeit bedrohenden Geschlechts- 
krankheiten als auch zu Zwecken generativer Prophylaxe bedarf. Weit 
wirksamer ist dagegen der Bestand wie das Aufsteigen des Volkstums zu 
sichern auf dem doppelten Weg der „Herabminderung der Sterblichkeit 
durch weiteren Ausbau der sozialen Hygiene und die großzügige Pflege 
einer rationellen Fortpflanzungs- und Rassenhygiene. .... Auf dem 
Umweg über Fortpflanzungs- und Rassenhygiene ist eine Aufbesserung 
der Fruchtbarkeit und Geburtenhäufigkeit mit dem Resultat einer ge- 
sunden und lebenskräftigen Nachkommenschaft zu erwarten.“ ; 

In diesem Zusammenhang ist auch die rassenhygienische und, in 
sorgfältig zu umgrenzenden Füllen, die soziale Indikation zur Ver- 
hütung der Konzeption bzw. Einleitung des künstlichen Abortus zu 
nennen. 

Endlich rückt Hirsch die vielumstrittene Frage nach Recht und 
Zuständigkeit des eugenischen, das ist das Gesundgeborenwerden sichern- 
den Maßnahmenkomplexes in das Licht einer nach allen Seiten hin 
vorurteilslosen und klug abwägenden ärztlichen und rassebiologischen 
Betrachtung. Als Konsequenz ergibt sich die Forderung der Sterilisation 
bei schwerer erblicher Belastung und in minder schwer gelagerten Fällen 
die zeitweilige Verhütung der Konzeption. „Die eugenische Indikation 
muß Gemeingut der Aerzte werden. Der Segen ihrer Wirkung trifft die 
kommenden Generationen, sichert das Glück und die Zukunft des Volkes. 
Erkrankungs- und Sterbeziffer der Kinder werden herabgesetzt, Kran- 
ken-, Siechen- und Irrenhäuser werden entlastet, Prostitution und Ver- 
brechen eingeschränkt, Armut und Elend verringert.“ Im gleichen 
Sinne ergibt sich die Verpflichtung, durch Fürsorge für die jugend- 
lichen ‘Arbeiterinnen die Schwangerschaftsbefähigung und Gebärfähig- 
keit der Frauen zu heben und so das große Heer der sterilen Frauen 
zu verkleinern. 

Unter den im Interesse der Geburtenvermehrung in Vorschlag ge- 
brachten wirtschaftlichen und sozialen Reformen sind zu nennen die 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 535 


Aufhebung der Heiratsbeschränkung aus pekuniären Gründen und ent- 
sprechende wirtschaftspolitische Maßnahmen, durch die auch das allge- 
meine Heiratsalter im Sinne einer Herabsetzung zu beeinflussen wäre. 
Ferner die Aufhebung des Zwangszölibates der Beamtinnen und der 
katholischen Geistlichen. (Nach einer vom Verf. wiedergegebenen Mit- 
teilung des exkommunizierten italienischen Priesters Murri liegt für 
eine ganze Gegend ein bezüglicher Dispens des Papstes Leo XIII. aus 
dem Jahre 1898 vor. S. 245.) Endlich wird eine entsprechende 
Innenkolonisation durch Aufschließung des Oedlandes, der Moore und 
Heideflächen und ihre Besiedelung mit kleinen Bauernwirtschaften ge- 
fordert und alles dahin zusammengefaßt: „Unter allen den Maßnahmen, 
welche zur Bekämpfung des Geburtenrückganges vorgeschlagen werden, 
werden diejenigen, welche im Rahmen der Hygiene, sozialen Fürsorge 
und wirtschaftspolitischen Reformen bleiben, zu billigen, eine zweite 
Gruppe aber, welche den Stempel der Wohltat und des Almosens trägt, 
und völlig die dritte, welche polizeiliche und strafrechtliche Mittel 
vorsieht und sogar der wissenschaftlichen Betätigung Fesseln anlegen 
soll, abzulehnen sein. Um Mißgriffe zu vermeiden, wird es an den maß- 
gebenden Stellen nötig sein, sich von der rage de nombre zu befreien 
und der qualitativen Aufbesserung der künftigen Generationen seine 
ganze Aufmerksamkeit zuzuwenden.“ 

Es ist im Interesse einer gesunden Bevölkerungspolitik dringend zu 
wünschen, daß die vorliegende Publikation in recht viele Hände komme 
und besonders, daß die zuständigen Stellen der Verwaltung und Gesetz- 
gebung ihr die ernsteste Beachtung zuteil werden lassen. 


Frankfurt a. M. Henr. Fürth. 


Grassl, Der Geburtenrückgang in Deutschland, seine Ursachen 
und seine Bekämpfung. (Sammlung Kösel, Bändchen 71.) Kempten 
und München 1914. 1 M. 

Medizinalrat Dr. Grassl hat als einer der ersten schon vor 20 Jahren 
auf das in der abnehmenden Geburtlichkeit liegende Problem hinge- 
wiesen. Seitdem kämpft in Rede und Schrift Verf. dieses Werkchens, 
die Gründe zur Bekämpfung der „Zwergfamilie‘ aus der Biologie holend, 
gegen den „weißen Tod“. Und kämpft als Optimist, der fest an den 
Sieg seines Kampfes gegen den Neumalthusianismus glaubt. Sollte der 
Wille zum Kinde in Zukunft aber wirklich wieder stärker werden ? 

Gegen das Gespenst des „weißen Todes“ müsse jetzt endlich un- 
bedingt etwas Positives getan werden. In Preußen sei diese Einsicht 
bereits in die Kreise der Regierung gedrungen. Das müsse nun auch in 
Bayern geschehen, wo man mit der Bekämpfung der Sterblichkeit 
seine volle Schuldigkeit noch lange nicht getan habe. Davon könne erst 
dann die Rede sein, wenn man hier auch die abnehmende Geburtlich- 
keit in gleicher Weise bekämpfe. Um für diesen Kampf seine engeren 
Landsleute zu gewinnen, hat Verf. diese kleine Abhandlung geschrieben, 
welche dann besser „Der Geburtenrückgang in Bayern ete.“ betitelt 
worden wäre. Dr. Grassl scheint übrigens dabei zunächst sogar nur 
seine engeren Landsleute im „engeren“ Sinne im Auge gehabt zu haben, 


536 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


weil er sein Werkchen in einer bekanntlich auch klerikalen Zwecken 
dienenden Sammlung hat erscheinen lassen. Verf. will dem Leser Ein- 
sicht vesrchaffen in eine schlimme Volkskrankheit und will Heilmittel 
angeben. Seinen guten Willen hat Dr. Grassl in dem kleinen Bändchen 
so in die Tat umgesetzt, daß doch auch noch weitere Kreise nicht ohne 
Nutzen seinen „Leitfaden‘ in die Hand nehmen können, mögen sie auch 
in vielem anderer Ansicht als Verf. sein. — Im Literaturverzeichnis 
wäre noch nachzutragen Theilhabers vorzügliches Werk zum Problem 
des Geburtenrückganges: ‘Das sterile Berlin, daselbst 1913 bei Eugen 
Marquardt. 


München. Ernst Müller. 


Schrameier, W., Aus Kiautschous Verwaltung. Die Land-, Steuer- 
und Zollpolitik des Kiautschougebietes. Jena 1914. Geb. 5 M. 

Der ehemalige Kommissar des Kiautschougebietes, Geh. Admirali- 
tätsrat Schrameier, legt in diesem Bande drei längere Aufsätze vor, 
die den im Titel genannten drei Zweigen der von ihm geführten Kolonial- 
politik in unserem ostasiatischen Schutzgebiete gewidmet sind. Die 
ersten zwei Aufsätze waren bereits im Jahrbuch der Bodenreform ver- 
öffentlicht worden, der dritte und größte ist neu. Fehlt den drei Auf- 
sätzen auch die innere Zusammengehörigkeit, die nur ein einheitlich 
konzipiertes Buch zu bieten vermag, so sind sie doch durch die Per- 
sönlichkeit des Verfassers und seine Stellungnahme zu der von ihm ge- 
leisteten erfolgreichen Arbeit einander sehr nahe gebracht. Inhaltlich 
bieten sie dem Kenner nur in Einzelheiten Neues. Das Material an Ge- 
setzen, Verordnungen, Verträgen u. dgl. ist ja bereits durch das ausge- 
zeichnete Handbuch Mohrs allgemein zugänglich gemacht, und das 
günstige Urteil über die Verwaltung Kiautschous auf fast allen Ge- 
bieten ist heute eine festbegründete Tatsache. Das muß um so mehr be- 
tont werden, als Verf. — wie mir scheint in Uebereinstimmung mit. 
vielen Angehörigen der Marine — gegenüber jeder Kritik unseres Vor- 
gehens in Kiautschou recht empfindlich ist. Dazu besteht aber wahrhaftig 
kein Anlaß; denn abgesehen davon, daß eine sachliche Kritik jeder- 
manns Recht ist, hat doch die Verwaltung von Kiautschou, insbesondere 
nach den letzten Verhandlungen im Reichstage über Kiautschou, keinen 
Anlaß zur Klage mehr. Daß unsere Zeitungen sich früher über ost- 
asiatische Fragen verbreiteten und dies zum Teil heute noch tun, ob- 
wohl sie davon nichts verstehen, liegt bloß an der geringen „Anteilnahme 
des Publikums an diesen Dingen. Auch das hat sich gebessert, nicht 
zuletzt dank der Initiative des Reichsmarineamts, das zielbewußt seinen 
Weg ging — aber auch dank dem deutschen Parlament, das ihm in der 
ersten Zeit völlig freie Hand ließ. Gründliche Vergleiche über die 
Verhältnisse der anderen ostasiatischen Hafenkolonien und ähnlichen 
Gebilde hätten auch dem Verf. die Ueberzeugung verschafft, daß nicht 
nur die deutsche Verwaltung im Recht war, wenn sie sich ihren eigenen 
Weg suchte, sondern daß sie auch mit der Kritik, die sie daheim und 
in der Kolonie fand, recht zufrieden sein kann (man vergleiche z. B. 
die Entwicklung Hongkongs). 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 537 


Meine Zustimmung zu der vom Verf. vertretenen Bodenpolitik des 
Gouvernements (die übrigens nicht ein Ausfluß bodenreformerischer 
Erziehung ist) zu seiner Stellungnahme in der Frage der Selbstverwal- 
tung und der Zollpolitik habe ich bereits an anderer Stelle auf Grund 
vergleichender Studien ausgesprochen. 

Das vorliegende Buch bringt viel Material, doch läßt mich dessen 
Fülle für den Absatz fürchten. Noch immer liest das deutsche Publi- 
kum lieber zehnmal dieselben Plattheiten über unsere Kolonien in zehn 
Reisebriefen, als einmal eine selbständige Untersuchung, deren Studium 
übrigens selbst den Verantwortlichen zu beschwerlich zu sein scheint. 

Das mir vorliegende Exemplar des im übrigen gefällig ausgestatteten 
Buches ist bemerkenswert schlecht geheftet. 


Halle a. S. Ernst Grünfeld. 


Jahn, Theod., Der Geburtenrückgang in Pommern von 1876—1910. (Ver- 
öffentlichungen aus dem Gebiete der Medizinalverwaltung. Im Auftrage Sr. Exz. 
des Herrn Ministers des Innern hrsg. von der Medizinalabteilung des Ministeriums. 
Bd. 4, Heft 1.) Berlin, Richard Schoetz, 1914. 53 SS. mit 3 Tafeln. M.2,10. 

Schroft, Richard, u. August Fischer, Europa—Uebersee. Geschichte der 
wirtschaftlichen Ausbreitung der europäischen Staaten in Uebersee, unter be- 
sonderer Berücksichtigung der Auswanderung, Einwanderung und wirtschaftlichen 
Besiedlung. Bd. 1. England, Frankreich und Belgien in Brasilien. Wien, Manz, 
1914. 26X16. XXII S. und I Bl. und 171 SS. M. 4,30. 


Avola (avv.), Mario, Colonizzazione antica e moderna; regime libico. 
Catania, tip. E. Coco, 1914. 16. 37 pp. 


&. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen. 

Reinhardt, E., Die Kupferversorgung Deutschlands und die Ent- 
wicklung der deutschen Kupferbörsen. Bonn 1913. 

Das Werk ist das 4. Heft der Kölner Studien zum Staats- und 
Wirtschaftsleben. Es bemüht sich zu zeigen, wie das Mißverhältnis 
zwischen dem Kupferkonsum Deutschlands und seiner Kupferproduktion 
und seine Abhängigkeit vom Ausland hinsichtlich der Deckung seines 
Bedarfs entstanden ist und welchen Erfolg die zur Beseitigung oder 
wenigstens Einschränkung dieser Abhängigkeit gegründeten Kupfer- 
börsen zu Hamburg und Berlin bis jetzt gehabt haben. 

Im ersten Teil sind die Verhältnisse der Kupferproduktion und 
des Kupferkonsums Deutschlands und der Welt, abgesehen von einigen 
unwesentlichen Irrtümern, im allgemeinen richtig geschildert. Dann 
folgt eine Darstellung der Organisation der Kupferversorgung. Sehr ein- 
gehend ist im nächsten Abschnitt die Entwicklung und die Organisation 
der deutschen Kupferbörsen in Hamburg und Berlin geschildert. 

Von besonderem Interesse ist natürlich der letzte Abschnitt des 
Buches über die Erfolge und die allgemeine Bedeutung der deutschen 
Kupferbörsen. Diese haben in der kurzen Zeit ihres Bestehens seit 
1910 bzw. 1911 schon eine respektable Steigerung der Umsätze in 
Kupfer zu verzeichnen, in Hamburg betragen sie nahezu halb so viel, 
in Berlin etwa 1/, der Umsätze an der Londoner Börse. Auch das 
Termingeschäft hat sich an den beiden deutschen Kupferbörsen lebhaft 
entwickelt. Ihre Kupfernotierungen sind natürlich, abgesehen von kleinen 


538 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Schwankungen, den Londoner Notierungen gefolgt. Von einer gewissen 
Bedeutung ist die Rivalität zwischen der Hamburger und der Berliner 
Börse, an dieser ist der kapitalkräftige Großhandel, an jener die kapital- 
kräftige Spekulation besonders stark vertreten. 

Wenn Verf. am Schluß meint, die Hauptbedeutung der deutschen 
Kupferbörsen liege darin, daß sie dem Konsumenten die Möglichkeit 
geben, sich gegen die Preisschwankungen, denen das rote Metall unter- 
worfen ist, zu sichern, daß sie den deutschen Konsumenten unab- 
hängiger von den amerikanischen Preisbeeinflussungen und den bedeuten- 
den Konjunkturschwankungen machen, so ist das wohl eine etwas zu 
optımistische Auffassung. Der Preis des Kupfers wird ebenso wie der 
der anderen Metalle vom Weltmarkt beherrscht und ist den Einflüssen 
unterworfen, welche mehr oder weniger auf die Weltwirtschaft ein- 
wirken. Hier spielen aber einerseits die Verhältnisse des wichtigsten 
Produktionslandes, Nordamerika, andererseits die Macht der alten Lon- 
doner Metallbörse eine gewaltige Rolle. Das große Konsumland Deutsch- 
land wird sich von beiden nur in geringem Maße unabhängig machen 
können. Immerhin muß man anerkennen, daß durch die Einrichtung 
der deutschen Kupferbörsen in Hamburg und Berlin die Verhältnisse des 
Kupfermarktes für die deutschen Konsumenten und Händler übersicht- 
licher geworden sind und daß dadurch auch schroffe Preisschwankungen 
etwas erträglicher gemacht werden. 

Halle a. S. Schrader, Bergrat. 


Jenny, J., Der Teilbau, nebst der Monographie eines Teilbaugroß- 
betriebes in Rußland aus der Zeit von 1891—1910. München und 
Leipzig (Duncker u. Humblot) 1913. (Heft 171 der Staats- und sozial- 
wissenschaftl. Forschung, hrsg. von Schmoller u. Sering.) 

In einer Zeit, welche die interessante Frage über die Form der 
landwirtschaftlichen Unternehmung, welche durch die den Doktrinen 
landwirtschaftlicher Lehrbücher zuwiderlaufenden Erfolge italienischer 
und rumänischer Pachtgenossenschaften wieder aktuell geworden ist, 
neuerdings zur Debatte stellt, kommt das vorliegende Buch von Jenny 
gerade recht. Nicht etwa, daß der Autor die Aktualität seines Buches 
durch beschleunigte Publikation herbeigeführt hätte; vielmehr hat er 
nicht nur augenscheinlich von langer Hand her ein überreichliches 
Material über diese Spezialfrage gesammelt, er hat auch selbst seit 
20 Jahren einen auf Teilbau basierenden Großbetrieb dirigiert. Der 
zweite Teil seiner Arbeit, in welcher er uns seine Erfahrungen als Prak- 
tiker mitteilt, ist deshalb von ganz besonderem Interesse, und durchaus 
nicht von der Hand zu weisen die von dem Autor zum Schluß angeregte 
Frage, ob das ehemals viel ausgebreitetere Prinzip der Naturalteilung 
nicht elastisch genug wäre, um unter veränderter Form auch modernen, 
technisch hochentwickelten Verhältnissen zugrunde gelegt werden zu 
können. 

Im ersten Teil finden wir alles Wesentliche über Standort, Formen 
und Methodologie des Teilbaus in den verschiedenen Wirtschaftsgebieten 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 539 


übersichtlich zusammengestellt. Das Literaturverzeichnis ist von großer 
Vollständigkeit. 
München. Leonhard. 


Festschrift zum 150-jährigen Bestehen der kgl. Landwirtschafts-Gesell- 
schaft Hannover. 1764—1914. Hannover, M. u. H. Schaper, 1914. Lex.-8. XII— 
872 SS. mit Taf. und 1 farb. Karte. M. 20.—. 

Kreutzer (Forstmeister), E., Der Verfall der Bodenreinertragslehre. Prag, 
Gustav Neugebauer, 1914. Lex.-8. 14 SS. M. 0,50. 

Pudor, Dr. Heinr., Waldpolitik, (Kultur und Fortschritt, No. 512 u. 513.) 
Gautzsch bei Leipzig, Felix Dietrich, 1914. 8. 25 58. Je M. 0,25. 

Redlich, Prof. Dr. Karl A., Die Zukunft des Goldbergbaus im süd- 
lichen Böhmen. Berlin, Verlag f. Fachliteratur, 1914. Lex.-8. 10 SS. mit 6 Fig. 
M. 1.—. 

Steiger (Oekon.-Rat, Gen.-Sekr.), Heinrich, Landwirtschaftliche Verbält- 
nisse der Provinz Hannover. Dargestellt zur Feier des 150-jährigen Bestehens der 
Kgl. Landwirtschafts-Gesellschaft. (Arbeiten der Landwirtschaftskammer für die 
Provinz Hannover, 38. Heft.) Hannover, M. u. H. Schaper, 1914. 40,5x2ö cm. 
27 farb. (Taf. u.) Karten mit IV S. M. 14.—. 

Stille (San.-Rat), Dr. G., Deutschlands Ernährung im Kriege. Leipzig, 
Dieterich, 1914. 8. 24 88. M. 0,30. 


Cheyney, E. G, and Wentling, J. P., The farm woodlot; a handbook 
of forestry for the farmer and the student in agriculture. New York, Macmillan. 
12. 12+343 pp. $ 1,50. 

Gibson, Rowland R., Forces mining and undermining China. New York, 
Century. 8. 12+302 pp. $ 2.—. 

Bertolio (ing.), Sollmann, Coltivazione delle miniere. Terza edizione 
aggiornata. Milano, U. Hoepli (U. Allegretti), 1914. 24. VIII—371 pp. 1. 3,50. 

Manetti, dott. Car., I boschi nell’ economia nazionale: discorso pro- 
nunziato nella r. scuola normale G. Carducci il 2 aprile 1914. Pisa, tip. F. Simon- 
cini, 1914. 8. 18 pp. 

Serra, Eug., Nuova forma di contratto agrario per condurre alla divisione 
del latifondo: conferenza, con prefazione dell’ avv. Biagio La Manna. Palermo, 
tip. A. Brangi, 1914. 8. 22 pp. 1.1.—. 


5. Gewerbe und Industrie. 


Oswald Whitman Knauth, The policy of the United 
States towards Industrial Monopoly. Studies in history, 
economies and public law edited by the faculty of political science of 
Columbia University. Vol. LVI, No. 2, New York 1914. 233 S. 

Das Buch gibt eine sehr eingehende Darstellung der Politik, welche 
die 3 dafür maßgebenden Instanzen des Staates gegenüber den Trusts 
eingeschlagen haben: der Kongreß in der Einführung von Gesetzen, 
die Exekutive in der Durchführung dieser Gesetze und in den 
Ratschlägen, die sie dem Kongreß gibt, und das Oberste Gericht 
in der- Auslegung der Gesetze. 

Das erste Kapitel zeigt das Entstehen der Antitrustpolitik, enthält 
zunächst interessante Angaben über die Entwicklung der politischen 
Bewegung gegen die Trusts, und insbesondere die Entstehung des 
Sherman-Gesetzes. Aus dem folgenden Kapitel, welches die 
Tätigkeit des Kongresses behandelt, ist nur die Gründung des Bureau 
of Corporations 1903 zu erwähnen, während sonst der Kongreß diejenige 


540 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Instanz gewesen ist, welche sich einer bundesstaatlichen Regelung der 
Trusts immer am meisten ablehnend gegenüber verhalten hat. Im 
dritten Kapitel werden die Anschauungen des Präsidenten von 
Harrison 1889 bis Ende der Taftschen Periode 1913 sowie ihrer General- 
staatsanwälte angeführt, die meist nur sehr allgemein gehaltene Urteile 
und Ansichten liefern. 

Das Hauptkapitel IV des Buches enthält die Entscheidungen des 
Obersten Gerichtshofes, welche bisher für die Bekämpfung der 
Trusts am meisten von Wichtigkeit gewesen sind. 36 der bedeut- 
samsten Entscheidungen werden mitgeteilt und eine Liste der noch 
schwebenden Gerichtsfälle. Unter den ersteren sei der Fall der 
Northern Securities Company, die Auflösung der Standard Oil Company 
und der American Tobacco Company genannt. 

Das Schlußkapitel enthält dann eine Beurteilung der staat- 
lichen Trustpolitik und zwar in 2 Teilen: 1) die Politik, die 
monopolistischen Vereinigungen zu verbieten, 2) die Frage, wie sie 
behandelt werden sollen. Doch war bis zum Falle der Northern 
Securities Company 1904 eigentlich die allgemeine Tendenz vorhanden, 
die Anwendung des Sherman-Gesetzes und die Bekämpfung der Trusts 
den Einzelstaaten zu überlassen. Erst im letzten Jahrzehnt bricht sich 
der Gedanke immer mehr Bahn, daß die Regierung auch gegen die 
in den Einzelstaaten konzessionierten Gesellschaften vorgehen müsse. 
Seit 1910 verlangte daber Taft bundesstaatliche Inkorporierung aller 
Gesellschaften, welche ein zwischenstaatliches Geschäft betreiben. Nur 
der Kongreß ist bisher noch immer dagegen gewesen, aber es scheint, 
daß es jetzt dem Präsidenten Wilson gelingen wird, seinen Widerstand 
zu überwinden. 

Aus der Darstellung des Buches geht auch wieder hervor, wie 
außerordentlich ungenügend sowohl die angewandten Maßregeln selbst, 
als auch die Gesichtspunkte, aus denen heraus sie erfolgten, für eine 
wirkliche Regelung der monopolistischen Vereinigungen gewesen sind, 
und daß wir aus dieser amerikanischen Trustpolitik so gut wie nichts 
lernen können. Man hat immer nur das Prinzip der freien Konkurrenz 
aufrecht zu halten gesucht, niemals erkannt, daß auch die Konkurrenz 
ungünstig wirken kann. Man hat niemals versucht, aus den wirtschaft- 
lichen Verhältnissen selbst festzustellen, ob und wann eine monopolisti- 
sche Organisation ungünstig wirkt, sondern hat einfach das Prinzip 
aufgestellt, daß eine solche in jedem Fall, außer wenn sie auf Patenten 
beruht, zu verbieten sei. Man hat infolgedessen jede gemeinsame Preis- 
festsetzung, ja auch nur die Möglichkeit, Preisvereinbarungen vorzu- 
nehmen, für ungesetzlich erklärt. 


Aber auch die neuesten Gesetze der Einzelstaaten stehen noch auf 
dem Standpunkt, allgemeine Gesichtspunkte für die Gültigkeit großer 
Korporationen aufstellen zu können. Als ein Beweis sei zum Schlusse 
das neue Gesetz des Staates New Jersey vom 19. Februar 1913 im 
Wortlaut mitgeteilt, das die Ansichten des gegenwärtigen Präsidenten 
Wilson in der Bekämpfung der Trusts enthalten soll. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 541 


„Ein Trust ist eine Zusammenfassung oder eine Verständigung 
zwischen 2 oder mehreren Gesellschaften, Firmen oder Personen für 
die folgenden Zwecke und ein solcher Trust wird hiermit als unge- 
setzlich erklärt: 

1) um Beschränkungen im Handelsverkehr herbeizuführen oder 
durchzuführen oder um ein Monopol zu erlangen, sei es im innerstaat- 
lichen, sei es im zwischenstaatlichen Geschäftsverkehr; 

2) um die Produktion einer Ware zu begrenzen oder einzuschränken 
oder um ihren Preis zu erhöhen; 

3) um die Konkurrenz im Gewerbe, Transportwesen, beim Kauf oder 
Verkauf von Waren zu beseitigen; 

4) für eine Ware, die zum Gebrauch im Staate oder anderswo 
bestimmt ist, sei es bei der Produktion, sei es beim Handel, den Preis so 
festzusetzen, daß er für das Publikum oder den Konsumenten in irgend 
einer Weise unter Kontrolle steht; 

5) irgendeine Verabredung zu treffen, durch die direkt oder in- 
direkt freie und uneingeschränkte Konkurrenz beim Verkauf oder beim 
Transport beseitigt wird, sei es dnrch Gewinnverteilung, Zurückhalten 
vom Markte, Festsetzung der Verkaufspreise oder in irgendeiner 
Weise, durch die der Preis beeinflußt werden könnte; 

6) irgendeine geheime mündliche Verabredung zu treffen oder 
eine Verständigung ohne ausdrückliche Verabredung vorzunehmen, durch 
welche direkt oder indirekt freie und uneingeschränkte Konkurrenz 
beim Verkauf oder beim Transport beseitigt wird, sei es durch Gewinn- 
verteilung, Zurückhalten vom Markte, Festsetzung der Verkaufspreise 
oder in irgendeiner Weise, durch die der Preis beeinflußt werden 
könnte.“ Robert Liefmann. 


Perlick, A., Die Luftstickstoffindustrie in ihrer volkswirt- 
schaftlichen Bedeutung. Leipzig (Dr. Werner Klinkhardt) 1913. Geh. 
5 M., geb. 6 M. 

Bekanntlich hat die Frage einer verhältnismäßig billigen Be- 
schaffung des gebundenen Stickstoffs sowohl für die Industrie als auch 
ganz besonders für die Landwirtschaft eine außerordentliche Bedeu- 
tung. Der in ungeheueren Massen zur Verfügung stehende atmosphä- 
rische Stickstoff befindet sich in freier ungebundener Form, während 
besonders der Verbrauch der Pflanzen nur durch gebundenen Stickstoff 
gedeckt werden kann. Die Ueberführung des atmosphärischen Stick- 
stoffs in Verbindungen war früher außerordentlich schwierig und in 
größeren Massen fast unmöglich, so daß nur die Blitzentladungen und 
die mit Bakterien zusammenarbeitenden Leguminosen oder Hülsen- 
früchte als Quelle für gebundenen Stickstoff dienen konnten. Von dem 
in früheren Erdepochen in dieser Art gebildeten Stickstoffverbindungen 
finden sich glücklicherweise große Vorräte in den alten Kohlen- und 
Torflagern, sowie im Chilisalpeter, der in großen Lagern allein in 
Chile zu finden ist. Aus kohleartigen Stoffen wird bei der Gasgewinnung 
der Stickstoff als Ammoniak gewonnen und technisch und landwirtschaft- 
lich verwendet. Volkswirtschaftlich muß diese letztere Quelle vor allem 


542 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


ins Auge gefaßt werden, damit möglichst keine Verbrennung in Heizungs- 
anlagen stattfindet, ohne daß der dabei freiwerdende Stickstoff nicht 
in gebundener Form gewonnen würde. Vorläufig überwiegen aber noch 
die in dieser Beziehung unrationellen Feuerungs- und Heizungsanlagen, 
so daß ungeheuere Mengen des wertvollen gebundenen Stickstoffs bei 
jeder Verbrennung von Kohle und Holz völlig wertlos in die Atmo- 
sphäre gehen. In ein neues Stadium ist nun diese Stickstofffrage ge- 
treten durch neuere physikalisch-chemische Verfahren, nach denen die 
Gewinnung des atmosphärischen Stickstoffs in nutzbarer Form auch 
technisch in großen Massen möglich ist. Zuerst wurde in dieser Hin- 
sicht Kalkstickstoff hergestellt, über den bereits in’ dieser Zeitschrift 
bei Gelegenheit einer früheren Besprechung -(W. Rabius, Kritische 
Betrachtungen zur voraussichtlichen Lösung der Stickstofffrage. Jena 
1907) Näheres mitgeteilt wurde. Die jetzt zur Besprechung vorliegende 
Schrift von Perlick behandelt nun die gesamte Frage der Gewinnung 
von Stickstoffverbindungen aus der Atmosphäre, sowohl in chemisch- 
physikalisch-technischer, als auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht. Vor 
allenı berücksichtigt sie die in der allerneuesten Zeit noch auf diesem 
Gebiete gemachten Fortschritte, die immerhin geeignet sind, die ganze 
Frage wirtschaftlich günstiger zu gestalten. Es konnte früher schon 
darauf hingewiesen werden, daß zwar in Form des norwegischen Kalk- 
salpeters und des Kalkstickstoffs gebundener Stickstoff so gewonnen 
werden kann, daß eine gewisse Konkurrenz mit dem bisher vorwiegend 
verwendeten Chilisalpeter und schwefelsauren Ammoniak immerhin in 
Frage kam. Ebenso wurde auch in der früheren Besprechung vom 
Unterzeichneten schon Jarauf hingewiesen, daß die vorhandenen Wasser- 
kräfte nicht ganz ausreichend sind, um ähnlich große Massen zu pro- 
duzieren, wie sie bisher in Form von Salpeter und Ammoniak gebraucht 
wurden; weiter aber auch, daß bei der Verwendung von Kohle als 
Energiequelle an Stelle der Wasserkräfte die Kosten verhältnismäßig 
groß wären und auch der Raubbau mit den vorhandenen Kohlenvorräten 
der Erde immer noch weiter gesteigert würde. Das Problem ist aber 
auch in der neueren Zeit in immer höherem Maße noch vorhanden, den 
Luftstickstoff mit möglichst geringen Kraftaufwendungen in gebundene 
Form überzuführen. Der Verf. des oben genannten Buches sieht den be- 
deutendsten Fortschritt in dieser Hinsicht in einem neuen Verfahren 
von Haber, bei dem mit Hilfe einer Kontaktmasse reines Ammoniak 
mit verhältnismäßig geringen Energieaufwendungen gewonnen werden 
kann. Nach diesem und dem Serpekschen Verfahren können verhältnis- 
mäßig billig große Mengen von Ammoniak aus Luftstickstoff her- 
gestellt werden, die nach einem bereits für andere Zwecke konstruierten 
Verfahren von Ostwald in Salpeter umgewandelt werden können. Im 
übrigen behandelt Verf. gründlich alle Fragen, die mit der Luftstick- 
stoffindustrie zusammenhängen, und zwar sowohl in ihrer Bedeutung für 
den Ackerbau, als auch für die Industrie. Er kommt dabei zunächst noch 
nicht zu übermäßig glänzenden Aussichten, wenigstens was die Kon- 
kurrenz mit den vorhandenen Chilisalpeter- und Ammoniakquellen be- 
trifft für landwirtschaftliche Zwecke. Da die Industrie im ganzen ge- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 543 


ringere Massen von gebundenem Stickstoff braucht und hochwertige 
Produkte daraus gewinnt, kann sie höhere Preise für den gebundenen 
Stickstoff bezahlen, so daß für sie die Frage wirtschaftlich als gelöst 
zu betrachten ist. Für landwirtschaftliche Zwecke, für die sehr 
große Massen gebraucht werden, aber nicht hoch bezahlt werden können, 
bleibt nach Perlick die Frage noch offen. Er hofft aber, daß bei der 
bisherigen Entwicklung der Stickstoffindustrie doch auch wirtschaftlich 
das Problem gelöst werden wird. Für die gründliche Orientierung 
über den gegenwärtigen Stand der Luftstickstofffrage ist die Schrift 
von Perlick jedenfalls sehr gut geeignet. 
Halle. P. Holdefleiß. 


Kaiser, Carl, Die Wirkungen des Handwerkergesetzes in Würt- 
temberg und Baden. (Tübinger Staatswissenschaftliche Abhandlungen, 
hrsg. von Carl Johannes Fuchs, 4. Heft.) Stuttgart (Ferdinand Enke), 
1909. 92 SS. 3 M. 

Verf. schickt eine Schilderung der Handwerkerorganisation in der 
Zeit von der Einführung der Gewerbefreiheit (1862) bis zum Erlaß des 
sogenannten Handwerkergesetzes (1897) voraus. Etwa 20 Jahre dauerte 
die Herrschaft des unbeschränkten wirtschaftlichen Individualismus im 
Handwerk, im Sinne jener Anschauung, die nicht nur die staatlich er- 
zwungene Organisation ablehnte, sondern teilweise auch dem freiwilligen 
Zusammenschluß skeptisch gegenüberstand. Vor allem waren die fach- 
lichen Vereinigungen unbeliebt bei den Handwerkern, die noch aus 
eigener Anschauung die Gebundenheit der Zunft kannten. Die Gewerbe- 
vereine dagegen, „die eigentlichen Träger des wirtschaftlichen Liberalis- 
mus“, die die gemeinsamen Interessen des ganzen Handwerkerstandes 
vertraten, blühten auf. Immerhin faßte unter dem Eindruck der Hand- 
werkergesetzgebung der 80er Jahre der Innungsgedanke auch im Süd- 
westen Deutschlands wieder Fuß, besonders nach dem Gesetz von 1897. 
Nach wie vor aber sind die Gewerbevereine für die Entwicklung des 
württembergischen und badischen Handwerks typisch und die Innungen 
sind trotz starker Vermehrung — wobei man sich aber nicht durch hohe 
Relativzahlen, die nur bezeugen, daß von sehr kleinen Zahlen ausgegan- 
gen wird, beirren lassen darf — bei weitem nicht so häufig, wie im 
Norden: in Süddeutschland entfallen auf 10000 Einwohner 29,9, in 
Norddeutschland dagegen 97,8 Innungsmitglieder. Der größte Teil der 
Innungen, in Württemberg 78,2 Proz., in Baden 61,8 Proz., sind freie 
Innungen, die Zwangsinnungen haben sioh nicht so durchsetzen kön- 
nen, wie die Befürworter des Gesetzes gehofft hatten. Daß ihre Mit- 
gliederzahl größer ist als die der freien Innungen, will nichts besagen, 
die Erklärung liegt sehr einfach in der Tatsache, daß eine beträchtliche 
Zahl Zwangsmitglieder darin steckt, die diese Organisation abgelehnt 
haben, aber überstimmt worden sind. Die fachlichen Vereinigungen ver- 
schiedenster Art (freiwillige und auf Zwangsmitgliedschaft beruhende) 
haben die allgemeinen Standesvereinigungen zurückgedrängt, wenngleich 
die letzteren immer noch wesentlich mehr Mitglieder umfassen als erstere. 

Ueber die Tätigkeit der einzelnen Organisationen des Handwerks 
unterrichten die weiteren Kapitel des Buches, und zwar auf Grund der 


544 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Berichte der Handwerkskammern, unmittelbare Feststellungen scheint 
Verf. wenig gemacht zu haben, was sich bei manchen Punkten (Lehr- 
lingsschutz!) bemerkbar macht. So viel geht jedoch aus den Ausführun- 
gen mit Sicherheit hervor, daß die mannigfachen Mißstände auf dem 
Gebiet des Lehrlingswesens unter dem Einfluß des neuen Gesetzes und 
unter der Aufsicht der Handwerkskammern doch wesentlich gemildert 
sind, was ja einen tüchtigen Fortschritt bedeutet, da eine der ersten 
Voraussetzungen wirtschaftlichen Gedeihens die ist, daß der Nachwuchs 
eine Ausbildung erhält, die ihn befähigt, das Werk der Alten fortzusetzen. 
Immerhin bleibt noch genug zu bessern und oftmals stehen die Erfolge 
in keinem Verhältnis zu der aufgewendeten Mühe und Arbeit. Nicht 
viel anders liegen die Dinge im Gesellenwesen, auch hier Besserungen, 
aber dem, was die Befürworter des Gesetzes seinerzeit erwartet haben, 
entsprechen sie doch recht wenig. Den Meistern, den angehenden, sowohl 
als denen, die es schon sind, wird durch die Unterrichts- und Fortbil- 
dungskurse, für die Staat und Gemeinden Mittel zur Verfügung stellen, 
geholfen. Man kann den Bestrebungen auf Einführung von Prüfungen 
im Handwerk sehr skeptisch gegenüberstehen. Das aber wird man an- 
erkennen, daß die Lern- und Fortbildungsgelegenheiten, die mit der Ein- 
führung dieses Prüfungswesens geschaffen worden sind, ein wichtiges 
und vor allem der Zeit entsprechendes Rüstzeug dem Handwerker liefern 
können für den wirtschaftlichen Kampf. Darin — und nicht in den 
Titeln, die man durch Berechtigungen schmackhafter gemacht hat — 
liegt die beste Wirkung des Handwerkergesetzes vom 26. Juli 1897. 
Kaiser hat das Thema fleißig und objektiv bearbeitet. Sein Buch 
ist daher ein guter Beitrag zur Literatur über die Handwerkerfrage. 
Berlin-Friedenau. Erhard Schmidt. 


Straus, Walter, Die deutschen Ueberlandzentralen und ihre wirt- 
schaftliche Bedeutung als Kraftquelle für den Kleinbetrieb in Landwirt- 
schaft und Gewerbe. Berlin, Franz Siemenroth, 1913. 6 M., geb. 7 M. 

Das Buch bringt zunächst Angaben über den augenblicklichen Stand 
der Ueberlandzentralenbewegung in Deutschland und über die Richtungs- 
linien ihrer Entwicklung; es stellt dann einen Vergleich zwischen dem 
Elektromotor und anderen Kleinkraftmaschinen auf, untersucht weiter 
die wirtschaftliche Bedeutung der Elektrizitätsversorgung durch Ueber- 
landzentralen für den Kleinbetrieb in Landwirtschaft und Gewerbe, und 
schließt mit einer Zusammenfassung der gewonnenen Ergebnisse und 
einem Ausblick. Beigelegt sind dem Buche eine Statistik und eine Karte 
der Ueberlandzentralen. 

Nach der Absicht des Verf., die er im Vorwort ausspricht, ist es für 
jene bestimmt, die sich für den Stoff interessieren, sich aber bisher noch 
nicht mit ihm beschäftigt haben. Um dieser Aufgabe zu genügen, hätte 
es in vieler Hinsicht die angeschnittenen Fragen und Betrachtungen 
wesentlich ausführlicher und erschöpfender behandeln müssen, während 
sich Verf. in mancher andern Beziehung, z. B. bei den vergleichenden 
Tabellen über die Betriebskosten der verschiedenen Motorarten, bedeu- 
tend kürzer fassen müßte, um nicht zu ermüden. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 545 


Das Buch bringt aber eine große Anzahl von Tabellen, Kostenauf- 
stellungen, Benutzungszeiten der Motoren in verschiedenen Betrieben 
usw. und von Kurven von Brennstoff- bzw. Stromverbrauch bei ver- 
schiedenen Belastungen, sowie statistische Daten über die Zunahme 
der Verwendung von Maschinen in der Landwirtschaft und deren Eig- 
nung für den elektrischen Antrieb, die aus einer großeu Anzahl von 
Schriften und Veröffentlichungen zusammengetragen wurden. Diese 
machen das Buch dem mit dem behandelten Stoffe bereits Vertrauten 
unter Umständen wertvoll als Nachschlagewerk und zur schnellen 
Orientierung. 

Berlin-Schmargendorf. K. Uhl, Ingenieur. 


Die deutsche Industrie, Festgabe zum 25-jährigen Regie- 
rungsjubiläium S. Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. Dar- 
gebracht von Industriellen Deutschlands 1913. Berlin (Verlagsbuch- 
handlung Leopold Weiß). 3 Bände. 

Die vorliegende Festgabe, drei umfangreiche Prachtbände, soll die 
Entwicklung des Deutschen Reiches zum Industriestaat während der 
25-jährigen Regierung Wilhelms II. von 1888—1913 schildern. 64 In- 
dustrielle und praktische Volkswirte haben Beiträge dazu geliefert. Nach 
der Schilderung „Deutschland als Weltmacht im Außenhandel“ von 
Wendlandt, behandelt Stresemann ‚Die deutsche Industrie und 
Gesetzgebung unter Kaiser Wilhelm II.“, Oberst z. D. Denecke er- 
örtert dann ‚Die Industrie der nationalen Verteidigung“ und Ragöczy 
gibt einen Ueberblick über die „Führer der deutschen Industrie‘. 
Dieser Abschnitt ist so recht geeignet, den Wert der Persönlichkeit für 
wirtschaftliche Unternehmungen ins rechte Licht zu rücken und zu 
zeigen, daß die beispiellose Entwicklung unserer Industrie in der 
Berichtszeit nicht zuletzt das persönliche Verdienst ihrer führenden 
Männer gewesen ist. Die Person ist hier noch immer das Ausschlag- 
. gebende, nicht die Massen. Das für die neuere Entwicklung charakte- 
ristische „Industrielle Organisationswesen“ beschreibt Edwin Krueger. 
Dann folgt die Schilderung der einzelnen Industriezweige, zunächst des 
Steinkohlenbergbaus (Dr. Jüngst) und die Braunkohlenindustrie (Dr. 
Stillich). Bei den weiteren Abschnitten ist in der Regel einleitend aus 
fachkundiger Feder ein Gesamtüberblick gegeben, und im Anschluß 
daran werden die Firmen, welche sich an dem Werk beteiligt haben, 
monographisch dargestellt. Auf diese Weise sind die allgemeinen Dar- 
legungen geschickt illustriert. Der reiche Inhalt des Werkes kann nur 
kurz skizziert werden. Die Metall-, die Maschinenindustrie, der Eisen- 
bahnwagenbau, der Schiffsbau und die Automobilindustrie füllen den 
ersten Band. Interessant ist ein Abschnitt über die „volkswirtschaft- 
liche Bedeutung des Eisenbahnverkehrs (Dr. Alexander Krueger). 
Der zweite Band enthält die Elektrotechnik, die Instrumentenfabrikation, 
die chemische und keramische Industrie, die Glasindustrie, die Leder- 
und Gummiwarenindustrie, die Textilindustrie und schließlich die Seiden- 
und Sammetindustrie. Der dritte Band ist der Teppich- und Wirkwaren- 
industrie, der Wäscheindustrie und Konfektion, der Papierindustrie, der 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 35 


546 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Industrio der Holzverarbeitungsgewerbe, der Spielwaren-, der Mühlen-, 
Zucker- und Schokoladenindustrie gewidinet. Weiter beschäftigt er sich 
mit der Gärungsindustrie, der Konservenfabrikation, dem Tabaks- und 
Baugewerbe und der graphischen Industrie. Den Schluß bildet ein Ab- 
schnitt über „die Reklame und die deutsche Industrie‘ (Macke). 

Das Werk ist wohl geeignet, seinen Zweck zu erfüllen: die Auf- 
merksamkeit erneut auf die Mannigfaltigkeit deutscher Erzeugnisse 
für den Welthandel zu lenken und deutsche Leistungsfähigkeit in helles 
Licht zu rücken. 


Berlin-Halensee. M. Rusch. 


Madelung, Ernst, Die Entwicklung der deutschen Portland- 
Zement-Industrie von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, mit besonderer 
Berücksichtigung der Kartelle. München. und Leipzig (Duncker und 
Humblot) 1913. 99 SS. 

Die Schrift bringt nicht, wie der Titel verheißt, eine allgemeine 
Schilderung der wirtschaftlichen Entwicklung der deutschen Portland- 
zementindustrie, sondern sie bietet in der Hauptsache eine Darstellung 
der Kartellentwicklung innerhalb dieser Industrie. Vergleicht man die 
Schrift mit der kurz vorher erschienenen, dem Verf. noch nicht be- 
kannten Arbeit von Fritz Ritter, Entwicklungen und Bestrebungen 
in der deutschen Portlandzementindustrie, Berlin 1913 (von mir in diesen 
Jahrbüchern, Bd. 46, S. 104 besprochen), so findet man, daß das Buch 
von Ritter trotz seines bescheideneren Titels eine wesentlich umfassen- 
dere Darstellung dieses Gebietes gibt. In einzelnen Punkten bringt. 
die Schrift von Madelung aber auch manche Ergänzungen zu dem 
Ritterscher Buche. 


Aachen. Richard Passow. 


Neumann (Versuchsanst.-Dir., Doz.), Dr. M. P., Brotgetreide und Brot. 
Lehrbuch für die Praxis der Getreideverarbeitung und Hand- und Hilfsbuch für 
Versuchsstationen, Nahrungsinittel-Untersuchungsämter und Laboratorien "der 
Mühlen, Bäckereien und Fachschulen. Berlin, Paul Parey, 1914. 8. VII—#15 SS. 
mit 181 Abbildungen. M. 18.—. 


Problemi del lavoro e problemi del’ l’industria: relazione della presidenza 
della lega industriale di Torino all’ assemblea generale del 27 maggio 1914. Torino, 
- tip. ditta eredi Botta, 1914. 8. 37 pp. 

Rigoli, Gius., L'industria della pietra in provincia di Firenze: note storico- 
statistiche. Prato, tip. Nutini, 1914. 8. XI—44 pp. l. 2.—. 

Valenti, Lu., L’industria zolfifera siciliana. Roma, tip. Unione ed., 1914. 
8. 49 pp. 


6. Handel und Verkehr. 

Schmidt, Hermann, Das Eisenbahnwesen in der asiatischen 
Türkei. Berlin (Franz Simenroth) 1914. Geh. 4,50 M., geb. 5,50 M. 

Das Interessenspiel der Großmächte Europas in der asiatischen 
Türkei ist hinlänglich bekannt. Die Gegensätze der Mächte daselbst 
treten bei der Schwäche der türkischen Regierung in der Regel dann 
unverhüllt in Erscheinung, wenn es sich um die Anlegung von Eisen- 
bahnen handelt, die einmal die weiten, zum Teil fruchtbaren Gebiete 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 547 


Kleinasiens erschließen sollen, dann aber den politischen Einfluß der 
mit der Konzession zum Balınbau ausgestatteten europäischen Großmacht 
zu stärken geeignet sind. 

Dieses Streben nach Vermehrung des politischen Einflusses in 
Kleinasien setzte der mißtrauische Sultan Abdul Hamid besonders bei 
England, Frankreich und Rußland voraus. Er erteilte daher im Jahre 
1888 einer deutschen Gruppe die Konzession zum Bau der anato- 
lischen Eisenbahn Heidar-Pascha-Ismit-Eskischehir-Angora. Mit dieser 
Konzessionserteilung rückte der deutsche Einfluß in das Eisenbahnwesen 
der asiatischen Türkei ein. Das neue anatolische Eisenbahnunternehmen 
zeigte sich bald als lebensfähig. Deshalb regten sich, wie nicht anders 
zu erwarten, die Dreiverbandsmächte England, Rußland und Frankreich. 
Rußland besonders fühlte sich in seinen Interessen bedroht; es wußte 
die Forderung durchzusetzen, daß die gegenüber Konstantinopel abzwei- 
gende, nach dem Innern Kleinasiens gehende Eisenbahnlinie die nörd- 
lichen Gebiete Kleinasiens nicht berühren dürfe, sondern daß diese an 
das Schwarze Meer angrenzenden Landesteile als zur Interessensphäre 
Rußlands gehörig anzusehen seien. Diese Vorrechte hat Rußland neuer- 
dings seinem Geldgeber Frankreich überlassen. Infolge des Vorgehens 
Rußlands konnte die Verlängerung der anatolischen Linie von Eskische- 
hir aus, d. i. die Bagdadbahn, deren Bau im Jahre 1903 gleichfalls 
einer deutschen Kapitalsgruppe übertragen wurde, nicht durch die frucht- 
baren Landstriche Angora-Kaisarie-Diarbekir gelegt, sondern mußte 
den südlichen Teil Kleinasiens über Konia-Aleppo-Mosul nach Bagdad 
geführt werden. 

Die im Laufe der Zeit eingetretene Internationalisierung der Bag- 
dadbahn unter deutscher Führung war eine wirtschaftliche Notwen- 
digkeit, um andere Eisenbahngesellschaften zum Anschluß an diese 
sich als Rückgrat durch Kleinasien nach dem Persischen Golf hinzie- 
hende Bahn zu veranlassen und so deren Prosperität zu sichern. So 
beteiligte sich schließlich das französische Kapital mit 40 Proz. an der 
Finanzierung des Bagdadbahnunternehmens, und auch England er- 
hielt Sitz und Stimme in der Gesellschaft. Englischem Einfluß zufolge 
entstand die Zweiglinie nach Alexandretta, einem Hafen des Mittel- 
meers, gegenüber dem von England besetzten Cypern. Dieser Hafen 
wird zurzeit von einer deutschen Gesellschaft ausgebaut und mit den 
modernsten Einrichtungen versehen. Weiter verzichtete, englischen Wün- 
schen nachgebend, die Bagdadbahngesellschaft auf das ihr zugestandene 
Recht zum Bau einer Zweiglinie von Subeir nach einem Punkte des 
Persischen Golfs (Kuweit). Nach den noch nicht ganz abgeschlossenen 
Verhandlungen zwischen Deutschland und England soll Basra als vor- 
läufiger Endpunkt der Bagdadbahn angesehen und von dort der Schatt 
el Arab für die größten Seeschiffe bis zum Golf schiffbar gemacht wer- 
den. Die englische Regierung wird eine Schiffahrtsgesellschaft ins 
Leben rufen, die den Euphrat und Tigris befahren und die deutschen 
und englischen Interessen gleichmäßig wahrnehmen soll. 

Von diesen in großen Umrissen gezeichneten Tatsachen ausgehend, 
baut sich die Schmidtsche Arbeit auf. Der Verfasser kennt die Verhält- 

35* 


548 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


nisse Kleinasiens nicht aus eigener Anschauung; wenigstens findet sich 
in seiner Schrift nirgends eine gegenteilige Angabe, die doch für die 
Bewertung der Ausführungen von großer Bedeutung gewesen wäre. Die 
Schrift bildet eine Wiedergabe wichtiger und interessanter Teile der bis- 
her erschienenen Literatur über das kleinasiatische Wirtschafts- und Eisen- 
bahnwesen. Das gilt besonders auch von den Erörterungen über Ent- 
stehung, Entwicklung und neuesten Stand der einzelnen Eisenbahngesell- 
schaften. Immerhin ist das Werk als wohlgelungen zu bezeichnen. Es 
vereinigt zahlreiche für die deutsche auswärtige wirtschaftliche Entwick- 
lung bedeutsame Angaben, die sonst verstreut in mehr oder weniger un- 
bekannten Denkschriften, Geschäftsberichten usw. ruhen. Diese Zu- 
sammenfassung scheint mir an der Arbeit besonders wertvoll zu sein. Die 
durch deutschen Unternehmergeist geschaffene Bagdadbahn ist nach 
ihrer Lage die Zentral- und Hauptbahn Kleinasiens, bildet die kürzeste 
Verbindung zwischen Konstantinopel und den türkisch-arabischen Pro- 
vinzen, zwischen dem Mittelmeer und dem Persischen Golf, zwischen 
Europa und Indien. Von diesem Gesichtspunkte aus ist eine Arbeit wie 
die Schmidtsche zu begrüßen ; sie fördert das uns Deutschen vielfach noch 
fehlende Verständnis für große wirtschaftliche Unternehmungen im 
Ausland. Es kann daher der Schrift nur allseitige Beachtung und 
weiteste Verbreitung gewünscht werden. 


Halle (Saale). Paul Ritter. 


Jahrbuch für Verkehrswissenschaften. Hrsg. von F. 
Peitgen. Schriftleitung Adolf Goetz, Hamburg. Schleswig, J. Ibbeken. 
Jahrgang 6 M., Einzelheft 1,75 M. 

Das Jahrbuch für Verkehrswissenschaften ist eine neue Erscheinung 
und hat sich aus dem Jahrbuch für Verkehrsbeamte, das nur praktischen 
Bedürfnissen diente, entwickelt. Die Verkehrseinrichtungen werden heut- 
zutage von der Wissenschaft bei den verschiedensten Disziplinen, der 
Wirtschaftspolitik, der Finanzwissenschaft, dem Staatsrecht, Verwal- 
tungsrecht usw. behandelt. Schon hieraus ergibt sich für die Lehre über 
die Verkehrseinrichtungen eine gewisse Zersplitterung. Sie zu be- 
seitigen wird bei der Vielseitigkeit der Verkehrseinrichtungen nur bis 
zu gewissem Grade möglich sein. Ein unbegrenztes Feld dagegen bietet 
sich für die Erforschung der Beziehungen unserer Verkehrseinrichtun- 
gen zueinander und für die Klarstellung ihres Verhältnisses zu unserem 
gesamten Wirtschafts- und Rechtsleben. Hier eine Grundlage zu 
bieten, ist die Aufgabe, der das neue Jahrbuch für Verkehrswissen- 
schaften dienen soll. Wir haben. den Eindruck, daß die Darbietungen 
des uns vorliegenden ersten Heftes dieser Aufgabe gerecht werden. Was 
die Beziehungen der Verkehrsmittel zueinander anbetrifft, so sei auf 
die Arbeit von Kreuzkam „Die Bedeutung der Binnenschiffahrt‘“ hin- 
gewiesen, worin die noch vielfach vorhandene Auffassung widerlegt 
wird, daß die Binnenwasserstraße unbedingt ein Konkurrent der Eisen- 
bahn sei. Beide Einrichtungen können sich befruchten und tuen es 
auch; sie sind nicht Selbstzweck, sondern beide bestimmt, der Volkswohl- 
fahrt zu dienen. Ferner sei, was das Verhältnis der Verkehrsmittel 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 549 


zum Wirtschaftsleben anbelangt, hingewiesen auf die Arbeit „Der Pa- 
namakanal, eine Weltumwälzung‘“ von Fitger, worin neben einer kurzen 
Entstehungsgeschichte dieses Kanals so manche seiner Wirkungen in 
weltwirtschaftlicher Beziehung übersichtlich und verständlich dargelegt 
wird. Eine wohl das modernste Problem behandelnde Arbeit sei noch 
angeführt: „Die Luftfahrzeuge im Dienste des Verkehrs“ von Buck. 

Das Jahrbuch ist, wie gesagt, eine neue Erscheinung; es wird noch 
einige Wandlungen durchzumachen haben. Immerhin hinterläßt der 
Inhalt des ersten Heftes die Gewißheit, daß die Einrichtung sich bei den 
Volkswirten einbürgern und nicht nur hier, sondern auch in den Kreisen 
des Handels und Verkehrs nach mancher Richtung hin aufklärend 
wirken wird. 


Halle (Saale). Paul Ritter. 


de Leener, G., La politique des transports en Belgique. Brüssel 
und Leipzig (Misch u. Thron), 1913. X u. 320 SS. kl. 8. 3 fres. 

Das Buch gehört zu den Veröffentlichungen der sozialpolitischen 
Abteilung des Instituts Solvay, die sich die Aufgabe gestellt hat, eine 
Reihe sozialpolitischer Fragen durch eigene Schriften erörtern zu lassen. 
Die Verkehrspolitik in Belgien verdient gerade in gegenwärtiger Zeit 
eine besondere Untersuchung, weil über eine Anzahl wichtiger, grund- 
sätzlicher Fragen erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen, die 
auch die Oeffentlichkeit stark beschäftigen. Hierher gehört die Frage, 
ob überhaupt und in welchem Umfang es Aufgabe des Staates ist, seinen 
Einfluß auf die Entwicklung des Beförderungswesens geltend zu 
machen, ferner die Frage, ob das System der Beförderungsmittel durch 
den Ausbau und die Erweiterung der Wasserstraßen oder der Eisen- 
bahnen zu verbessern ist, wie sich der Staat gegenüber der Anlage 
der Scehäfen zu verhalten hat. Diese und eine Reihe anderer damit zu- 
sammenhängende Fragen werden von dem Verf. gründlich untersucht. 
Er beschränkt sich nicht auf die Erörterung der Verhältnisse in 
Belgien, sondern zieht überall die der Nachbarländer, Holland, Frank- 
reich, Deutschland und die Schweiz heran, die er auch durch eigene 
Anschauung kennen gelernt hat. Ebenso hat er die in den letzten Jahren 
veranstalteten Untersuchungen des Vereins für Sozialpolitik und der 
großen englischen und amerikanischen Kommissionen über die Wasser- 
straßenfrage verwendet. 

Der grundsätzliche Standpunkt des Verf. ist der der deutschen 
sozialpolitischen Schule, und dieser grundsätzliche Standpunkt tritt bei 
all seinen Ausführungen in den Vordergrund. Es ist Pflicht des Staates, 
bei der Regelung des Verkehrswesens einzugreifen. Da der Staat die 
Hauptbahnen fast vollständig besitzt, so hat er für Aufstellung der 
Tarife nach gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen, d. h. für tunlichste 
Herabsetzung der Tarife auf der Grundlage der Selbstkosten zu sorgen. 
Verf. glaubt, daß eine Tarifermäßigung sich durch Aenderungen im 
Tarifsystem, bessere Anpassung der Tarife an die Bedürfnisse von 
Handel, Industrie und Schiffahrt (also auch Erweiterung der Seehafen- 
ausfuhrtarife) erreichen ließe, ohne daß wesentliche finanzielle Aus- 


550 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


fälle zu befürchten seien. Er ist ein entschiedener Gegner des Aus- 
baues der Wasserstraßen durch Herstellung von Kanälen und wider- 
spricht nachdrücklich der Behauptung, daß die Kanäle zu günstigeren 
Bedingungen befördern könnten, als die Eisenbahnen. Seine klaren 
Ausführungen in dem 5. Kapitel, S. 201ff., hierüber halte ich für sehr 
beachtenswert. Er stimmt in allen Hauptpunkten überein mit Ulrichs 
Untersuchungen in dessen Buche Staffeltarife und Wasserstraßen, das 
übrigens dem Verf. nicht bekannt zu sein scheint. Die neueste preußische 
Wasserstraßenpolitik findet seine Billigung, wenngleich sie nicht für 
Belgien ohne weiteres anwendbar ist. 

Für den deutschen Fachmann ist es besonders wertvoll, daß ihm 
dieses Buch vollständige, zuverlässige Angaben über die Verkehrs- 
verhältnisse in Belgien bringt, über die meines Wissens in Deutschland 
recht wenig veröffentlicht ist. Sehr eingehende Mitteilungen finden 
wir vornehmlich auch über die belgischen Seehäfen, darunter in erster 
Linie Antwerpen. 

Das Buch bildet eine willkommene Bereicherung der Literatur 
über das Verkehrswesen. 


Berlin-Wilmersdorf. A. v. der Leyen. 


Wölfel, F., Der Handlungsreisende. Eine wirtschaftsgeschicht- 
liche Studie. Leipzig (Otto Wigand) 1913. 118 SS. 2,40 M. 

Dem Referenten, welcher den modernen „Muster- oder auch Ellen- 
reiter“ aus langjähriger eigener Anschauung recht gut kennt, scheint 
der Autor das Thema doch etwas zu sehr nach dem Durchschnittstypus 
des „Probenreisenden‘ behandelt zu haben. Wölfel sieht nämlich mehr 
oder weniger nur Wald, aber keine Bäume. Das soll besagen, daß 
zwischen Handlungsreisendem und Handlungsreisenden eben doch größere 
sachliche Unterschiede bestehen, als der Autor meint. Gibt es doch — ich 
entnehme diese 'Behauptung meiner Erfahrung — zahlreiche Fabrikanten, 
welche 100 und mehr Arbeiter beschäftigen und mit Musterkoffern 
„auf Tour gehen“. Wenn nun so ein meist wohlhabender „Chef“ noch 
mehrere „Herren“ reisen läßt, so gehen die letzteren mit Mustern wohl 
auch auf Tour, aber zwischen ihnen und dem reisenden Chef bestehen 
doch große wirtschaftliche und soziale Unterschiede. Darauf hätte Verf. 
mehr Gewicht legen müssen. Dann hätte er aber auch darauf zu 
sprechen kommen müssen, daß es zahlreiche hochbezahlte Handlungs- 
reisende gibt, welche nur „große Plätze“ besuchen, in denen die große 
Kundschaft schon sehnsüchtig auf den Besuch des Vertreters wartet, 
während so mancher Handlungsreisende lediglich mit den kleinen 
schwierigen Plätzen sich abquälen muß. Wer die volkswirtschaftliche 
Bedeutung des modernen „Ellenreiters‘ feststellen will, wird aber gerade 
darauf wohl Rücksicht zu nehmen haben. Wenn zwei dasselbe tun, ist 
es ja nicht immer das gleiche. Daß und warum gerade so viele Juden 
Handlungsreisende sind, für welche Industrie und Geschäfte — und 
warum ? — jüdische „Vertreter“ aber nicht tätig sind: diese gewiß heiklen 
Fragen wird man in einer (sozial-)wissenschaftlichen Arbeit 
nicht nur aufwerfen, sondern auch beantworten müssen, jedenfalls dies 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 551 


zu tun versuchen müssen. Der interessante historische Teil ist recht 
lesenswert. Daß bei der großen volkswirtschaftlichen Bedeutung der 
Handlungsreisenden die deutsche Berufsstatistik keine quantitativen Aus- 
weise über diese Kategorie aktiv tätiger Personen gibt, erscheint wirk- 
lich sonderbar. Eine stärkere Dosis Psychologie hätte der Ver- 
geistigung gerade dieses Themas nicht geschadet. Aber gleichwohl ver- 
dient die Wölfelsche Studie Beachtung. 
München. Ernst Müller. 


Schmidt (Sekr., Handelshochsch.-Prof.), Dr. Pet. Heinr., Die Schweiz 
und die europäische Handelspolitik. Zürich, Orell Füßli, 1914. gr. 8. VIII— 
319 SS. M. 5,60. 


Tableau general du commerce de la Belgique avec les pays étrangers 
pendant l'année 1913, publiqué par le ministre des finances. Ire Partie. Commerce 
extérieur; transit; préliminaires; état de développement; résumés; appendice. 
Bruxelles, Établissements généraux d'imprimerie, 1914. 39X26,5; cartes, dia- 
grammes. 2+413 pag. L'ouvrage complet en 3 parties. fr. 12.—. 

Frank, Rob. J., Commentary on the science of organization and business 
development; a practical treatise on the promotion, organization, reorganization 
and management of business corporations; with special reference to approved plans 
and procedure for the financing of modern business enterprises. 4th ed. Chicago, 
Laird and Lee, 1914. 8. 374 pp. $ 2,75. 

Mariotti, Aug., Della intermediazione e dei suoi rapporti con la coope- 
razione e la concentrazione capitalistica nel commercio al minuto. Napoli, tip. 
L. Fierro e figlio, 1914. 8. VIII—l4ł pp. 1. 4.—. 

Romegialli, prof. E. A., Trattato sistematico di mercilogia, 0 conoscenza 
delle merci, ad uso delle scuole commerciali maschili e femminili, degli istituti 
tecnici, delle scuole industriale e delle scuole tecnico-commerciali italiane al- 
l’estero. Quinta edizione, quasi completamente rifatta e aumentata. Torino, ditta 
G. B. Paravia e C., 1913. 16. VI—786 pp. 1. 5,50. 


7. Finanzwesen. 


Sowers, Don C., Professor of Municipalities, The financial history 
of New York State from 1789 to 1912. New York, Columbia Univer- 
sity, 1914. 346 SS. $ 2,50. 

Die finanzielle Entwicklung des Staates New York wird vom Verf. 
entsprechend der ökonomischen in 3 große Zeitabschnitte zerlegt: 1789 
—1840, 1840—1880 und der Zeit nachher. Im ersten Abschnitt ist 
das landwirtschaftliche Interesse durchaus vorherrschend; der Staat 
bemüht sich, den bei allen am Beginn ihrer Entwicklung befind- 
lichen Gemeinwesen sich am schärfsten fühlbar machenden Bedürf- 
nissen abzuhelfen: dem Mangel an Kapital und Transportgelegenheit. 
Im zweiten tritt die Landwirtschaft von ihrer Bedeutung zurück infolge 
der überlegenen Konkurrenz der westlichen Gebiete; Handel und In- 
dustrie, namentlich die letztere, nehmen einen ungeahnten Aufschwung; 
der Staat wird in eine immer mehr passive Haltung zurückgedrängt; 
es ist die Zeit des laissez faire. Diese Entwicklung der verschiedenen 
Haupterwerbszweige setzt sich im dritten Abschnitt in gleicher Rich- 
tung fort; der Staat ergreift aber wieder eine mehr aktive Rolle, 
allerdings weniger auf rein ökonomischem als vielmehr sozialpolitischem 


Gebiete. 


552 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Die Verschiebung des wirtschaftlichen Schwerpunktes bedingt auch 
einen entsprechenden Uebergang in den Hauptsteuerarten: in den 
ersten Zeiten der Union spielt die Kopfsteuer in den Budgets der 
Einzelstaaten eine bedeutende Rolle; die sodann völlig dominierende 
Steuer auf das immobile Vermögen tritt später zurück hinter der 1880 
eingeführten und verschiedentlich modifizierten Steuer auf das mobile 
und auf die korporative Organisation jeder Art von Handelsgesell- 
schaften und deren Neuordnung (Kapitalserhöhung). 

In den ersten 50 Jahren war daher die direkte Besteuerung nur 
von unerheblicher Bedeutung; der Staat zog seine Haupteinkünfte aus 
den Landverkäufen, die dazu häufig sehr unrationell und verschwenderisch 
vorgenommen wurden. Erst 1880 änderte sich diese Politik: die Ver- 
käufe wurden sistiert und man schritt sogar zu ausgedehnten Auf- 
forstungen auf verwüsteten Gebieten; die Ausdehnung des dem Staate 
heute gehörenden Landes ist aber nicht genau bekannt. Das durch 
die Landverkäufe erzielte Geld wurde hauptsächlich zur Anlage und 
zum Ausbau von Kanälen verwandt, die eine solche Pflege erhielten, 
daß man sie verschiedentlich als ‚canal mania“ bezeichnete. Dagegen 
verhielt sich der Staat auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens — bis 
auf gelegentliche Subventionierung — durchaus passiv: er überließ es 
völlig dem privaten Unternehmungsgeist, dies wichtigste Verkehrsmittel 
zu pflegen. 

In den Hauptabschnitten seines Werks gibt Verf. sodann eine 
klare, stellenweise aber etwas weitschweifige und sich ins Detail ver- 
lierende Darstellung der Entwicklung der Steuergesetzgebung, die durch 
zahlreiche Tabellen über die Bewegung der Ein- und Ausnahmen illu- 
striert wird. Nur wenige Punkte, die von deutschen Verhältnissen 
abweichen und besonders charakteristisch sind, seien kurz hervorge- 
hoben. 

Eine Einkommensteuer besteht, wie in den meisten Staaten, nicht; 
nur zur Zeit des Bürgerkrieges wurde sie vorübergehend erhoben. 
Trotzdem beruht das Finanzsystem auf der direkten Besteuerung: der 
Vermögenssteuer auf immobiles und mobiles Vermögen; der Steuersatz 
wird nach „mils“ berechnet, d. h. Y/‚ooo vom Dollar. Daneben gibt 
es eine Reihe von indirekten Abgaben, Lizenzen, Stempelgebühren und 
dergleichen, sowie eine Erbschaftssteuer, die den Nachlaß in der direkten 
Linie mit 1 Proz. von 5000 $ an, steigend bis zu 4 Proz. bei 1000000 
erfaßt; in der Seitenlinie mit 5 Proz. von 1000 bis zu 8 Proz. bei 
1000000. Außerdem bezieht der Staat ein beträchtliches Einkommen 
aus seinem fiskalischen Vermögen. Eine besondere Eigentümlichkeit 
bilden die sogenannten „Fonds“. Während in den europäischen Staaten 
das Budget gewöhnlich alle Einnahmen enthält und diese dann auf die 
verschiedenen Ausgabezweige verteilt werden, gibt es eine solche Verteilung 
in New York und den meisten nordamerikanischen Bundesstaaten nicht. 
Hier werden die Einnahmen in getrennten Rechnungen, den Fonds, 
geführt und aus ihnen die betreffenden Ausgaben bestritten, So be- 
stehen in New York besondere Fonds für die Staatsschuld, das Er- 
ziehungs- und Bildungswesen, die Polizei, Gesundheitspflege u. a. m. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 553 


Die Ausgaben der Einzelstaaten erstrecken sich hauptsächlich auf 
folgendes: Kosten der Legislatur, Gehälter der Verwaltungs- und 
sonstigen Beamten, Justiz, Freiwilligenmiliz, Staatsschuld, Bildungs- 
und Wohltätigkeitswesen. Sie erfordern also keine hohen Summen: 
in allen Bundesstaaten zusammen erreichen sie etwa nur 1/, derer, die 
die Union zu leisten hat. Dagegen betragen die Ausgaben der lokalen 
Verbände — Städte und Counties — ebensoviel wie die Gesamtsumme 
der Ausgaben der Union und der Bundesstaaten. Der Schwerpunkt 
der Finanzen und der Verwaltung liegt also in den Vereinigten Staaten 
an ganz anderer Stelle als im Deutschen Reich. 


Schließlich gibt Verf. noch eine Schilderung der Finanzverwaltung, 
deren Veranlagung, der Kontrollmaßregeln usw., wobei er auch die 
Schattenseiten nicht übergeht: die stellenweise sich zeigende Korruption 
und das verschwenderische Umgehen mit öffentlichen Mitteln. 


Im ganzen erhält man aus dem Buche einen ziemlich vollständigen 
Eindruck von der Finanzentwicklung und der jetzigen Finanzgebahrung 
des wirtschaftlich wohl hervorragendsten Bundesstaates der Nord- 
amerikanischen Union. 


Straßburg i. E. W. D. Preyer. 


Chen, Shao-Kwan, The system of taxation in China in the Tsing 
dynasty, 1644—1911. New York, Longmans. 8. 118 pp. $ 1.—. 

Seligman, Edn. Rob. Anderson, The income tax; a study of the 
history, theory, and practice of income taxation at home and abroad. 2d ed. rev, 
and enlarged with a new chapter. New York, Macmillan, 1914. 8. 11+743 pp. 
$ 3—. 

Anelli (avv.), Giov., La finanza e l'ordinamento dei tributi nella teoria 
e nel diritto positivo italiano. 2a edizione, riveduta dall’ autore. Palermo, tip. 
Gazzetta commerciale, 1914. XV—475 pp. l. 6.—. 

Vicario, Fr., Le amministrazione centrali dello stato: la ragioneria generale 
dello stato; la corte dei conti; l’amministrazione del debito pubblico. Torino, 
Unione tipografico-editrice, 1914. 8. 221 pp. 1l. 5.—. 


8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen. 

Versiecherungs-Bibliothek, herausgegeben von Prof. Dr. 
Alfred Manes, Berlin. 1. Band: Versicherungsbuchführung, von Mathe- 
matiker Joseph Koburger; 2. Band: Die Feuerversicherung, von Justiz- 
rat Dr. Karl Domizlaff, Direktor der Concordia, Hannoverschen Feuer- 
versicherungsgesellschaft A.-G. in Hannover. Berlin (E. S. Mittler u. 
Sohn) 1914. 

Seitdem im Jahre 1900 der deutsche Verein für Versicherungs- 
wissenschaft ins Leben getreten ist, hat die bis dahin in der Volkswirt- 
schaftslehre verhältnismäßig stiefmütterlich behandelte Lehre vom Ver- 
sicherungswesen eine umfangreiche Behandlung gefunden, und die Ver- 
sicherungsliteratur ist seit dieser Zeit erheblich bereichert worden. 
Insbesondere der Generalsekretär des genannten Vereins ist nicht nur 
selbst vielfach mit hervorragenden Publikationen auf dem Gebiete des 
Versicherungswesens hervorgetreten, sondern hat anderen Anregungen zur 
Bearbeitung versicherungswissenschaftlicher Fragen gegeben. Außer den 
Veröffentlichungen des Deutschen Vereins für Versicherungswissenschaft 


554 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


und den grundlegenden Arbeiten von Manes über das Versicherungs- 
wesen ist in diesem Zusammenhang insbesondere das von Manes heraus- 
gegebene Versicherungslexikon zu nennen, welches unter Mitwirkung 
zahlreicher Versicherungspraktiker und -theoretiker zu einem das gesamte 
Gebiet des Versicherungswesens zusammenfassenden Kompendium aus- 
gestaltet worden ist. Trotz dieser Bereicherung der Versicherungs- 
literatur zeigen sich noch immer manche Lücken, und zwar insbesondere 
da, wo es darauf ankommt, Darstellungen aus der Praxis der Versiche- 
rungsunternehmungen zu erhalten. Dies tritt um so mehr in die Er- 
scheinung. da sich, wie Manes im Geleitwort zu der oben genannten 
Versicherungs-Bibliothek ausspricht, neuerdings in Fachkreisen zufolge 
der höheren Anforderungen, welche an den Beruf eines Versicherungs- 
beamten gestellt werden, wie auch in Kreisen der Kaufleute, Indu- 
striellen und Landwirte das Bestreben geltend macht, in geeigneter Weise 
über alle wichtigen Fragen des gesamten Versicherungswesens belehrt 
zu werden. Diesem Verlangen will die nunmehr ins Leben gerufene 
„Versitherungs-Bibliothek“ Rechnung tragen, die nach dem Geleitwort 
des Herausgebers eine Sammlung selbständiger, gemeinverständlicher, 
wissenschaftlicher Hand- und Lehrbücher für das Gesamtgebiet der 
Privat- und Sozialversicherung werden soll. Nach dem zugrunde liegen- 
den Plan ist diese berechnet sowohl für die höheren Versicherungs- 
beamten mit entsprechender Vorbildung, wie für Strdenten namentlich 
auch der Handelshochschulen und für gebildete Versicherte; dieselbe 
soll nur Werke aus der Feder bewährter akademisch gebildeter Prak- 
tiker enthalten, die sich durch langjährige Tätigkeit innerhalb des Ver- 
sicherungswesens ausgezeichnet haben, zugleich aber auch die nicht 
minder wichtige theoretische Seite des Versicherungswesens gründlichst 
kennen. Zunächst erschienen sind die oben erwähnten beiden Bände, 
denen weitere Arbeiten über Versicherungsagenten und -makler, über die 
Kapitalanlagen der Privatversicherungsanstalten, über Lebensversiche- 
rungsmedizin, über Lebensversicherungen, Haftpflicht, landwirtschaft- 
liche Versicherungen und anderes mehr folgen sollen. Jeder Band im 
Umfange von 175 Druckseiten wird zum Preise von 4 M. geboten. 

In dem 1. Bande wird die in der Literatur bisher noch am wenig- 
sten berücksichtigte Versicherungsbuchführung behandelt, und zwar wird 
vom Verf. der Versuch gemacht, die gesamte Versicherungsbuchführung 
allgemein und einheitlich darzustellen, ohne sich dabei an die Einrich- 
tungen bestimmter Gesellschaften anzuschließen, wobei selbstverständlich 
bewährte Einrichtungen der Praxis zur Illustration herangezogen wer- 
den. Das Buch will sich in erster Linie an Interessenten aus dem Ge- 
biete des Versicherungswesens wenden, bei denen die erforderliche Ver- 
trautheit mit dem Wesen der Buchführung nicht vorausgesetzt werden 
kann. Es ist daher dem speziellen Teil, der sich mit der einheitlichen 
Versicherungsbuchführung befaßt, ein allgemeinerer Teil vorangestellt, 
in welchem eine Darstellung der Buchführung im allgemeinen gegeben 
wird. Dabei sind naturgemäß als Beispiele stets Geschäftsfälle aus dem 
Gebieto der Versicherung verwendet. Zur Orientierung für Leser, die 
mit der Buchführung, aber nicht mit dem Versicherungswesen vertraut 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.. 555 


sind, ist in der Einleitung ein Ueberblick über die Grundbegriffe der 
alllgemeinen Versicherungslehre dargeboten, wobei im übrigen auf die 
in den letzten Jahren entstandenen bekannten Lehrbücher von Manes, 
Moldenhauer, Wörner sowie auf das Versicherungslexikon Bezug ge- 
nommen wird. Der Hauptteil des Buches über die Versicherungsbuch- 
führung behandelt nach allgemeinen Ausführungen die Versicherungs- 
buchführung und die Gesetzgebung, die Buchführung der deutschen 
größeren Privatversicherungsunternehmungen, die Agenturbuchführung 
sowie Kontrolle und Revision im Versicherungswesen. Für alle die- 
jenigen, welche als Angestellte in Versicherungsbetrieben über die Ver- 
sicherungsbuchführung eingehend orientiert sein müssen, insbesondere 
auch für die neuerdings vielfach ins Leben gerufenen Versicherungsfach- 
schulen, welche sich mit der speziellen Fortbildung der Angestellten 
der Versicherungsbetriebe beschäftigen, wird die Verwertung dieses 
Buches von Vorteil sein und seine Anschaffung kann daher nur dringend 
empfohlen werden. Darüber hinaus können auch weitere Kreise aus 
der vorliegenden Publikation hinreichende Orientierung über Buch- 
führungsfragen gewinnen, was insbesondere für Richter und Dozenten 
an Universitäten und Hochschulen von Bedeutung sein dürfte. 

Das zweite zur Besprechung vorliegende Buch behandelt die ge- 
samte Feuerversicherung und gibt somit im Gegensatz zu dem erst- 
genannten Werk, welches eine das gesamte Versicherungswesen an- 
gehende Spezialfrage behandelt, eine umfangreiche Darstellung eines 
einzelnen Versicherungszweiges, womit gleichzeitig, da die Bearbeitung 
in den Händen eines erfahrenen Versicherungspraktikers liegt, ein guter 
Einblick in die Praxis dieses Spezialzweiges gegeben wird. Domizlaff 
gibt zunächst in der Einleitung einen kurzen Ueberblick über die ge- 
schichtliche Entwicklung des Feuerversicherungswesens und behandelt 
dann zunächst das Feuerversicherungsrecht, und zwar einerseits nach der 
verwaltungsrechtlichen Seite hin — andererseits im Hinblick auf die 
Bestimmungen über den Versicherungsvertrag. Besonders wertvoll er- 
scheinen diese Ausführungen, weil sie die allgemein gültigen gesetzlichen 
Bestimmungen in ihrer Bedeutung für die Feuerversicherung als solche 
behandeln. Im zweiten Teil gibt Verf. sodann eine Darstellung der Feuer- 
versicherungstechnik. Diese wird als die Zusammenfassung der auf den 
Betrieb der Feuerversicherung gerichteten Arbeiten charakterisiert. Als 
das Ziel der mannigfaltigen geschäftlichen Tätigkeit wird es bezeichnet, 
neue Feuerversicherungsverträge zum Abschluß zu bringen und den Be- 
stand der Versicherungen zu erhalten, die Rentabilität und Lebenskraft 
der Versicherungsunternehmungen und deren geordneten Geschäftsgang 
zu sichern, daneben aber auch die Aufgabe, zur Verhütung und Unter- 
drückung der Schäden beizutragen und die sachgemäße weitere Aus- 
bildung der Feuerversicherung zu fördern. Von dieser Auffassung des 
Begriffe: der Feuerversicherungstechnik ausgehend wird zunächst die 
innere Organisation und die „Akquisition“ , d. h. also das Agentenwesen 
dargestellt. Dem schließt sich ein zweites Kapitel über die Technik 
zwecks Rentabilität, d. h. über die Gefahrenbeurteilung und über die 
Tarifierung, die Interessierung des Versicherungsnehmers am Risiko und 


556 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


die Verteilung des Feuerrisikos an. In diesem Zusammenhang wird 
auch die Schadensregulierung sowie Buchführungs- und Rechnungs- 
legungsfragen behandelt. Im dritten Kapitel dieses Abschnittes finden 
sich Ausführungen über die Technik zur Verhütung und Unterdrückung 
der Schäden, die Mittel zur weiteren Ausbildung der Feuerversicherungs- 
technik, wobei außer auf die Verbandsbildung und die Statistik auf die 
Maßnahmen der Versicherungsunternehmungen zur Einschränkung der 
Brandgefahr eingegangen wird. Ein Schlußkapitel trägt die Ueberschrift 
„Rückblick und Ausblick“. In diesem geht Verf., von dem eigentlichen 
Ziele seiner Darstellung etwas abweichend, auf neuere Erscheinungen 
in der Geschäftspraxis von Versicherungsunternehmungen teils erfreu- 
licher Natur, wie sie in dem Zusammenarbeiten der verschiedenen 
Kategorien von Versicherungsgesellschaften zu sehen sind, teils weniger 
erfreulicher und wirtschaftlich bedenklicher Art, wie sie im Kon- 
kurrenzkampf neu entstandener Unternehmungen, in sogenannten Selbst- 
versicherungsbestrebungen und ähnlichem sich geltend machen, näher 
ein; auch die durch das Eingreifen sozialdemokratischer Organisationen 
in das Versicherungswesen hervorgerufene Gefahr, die hauptsächlich in 
der Vermischung von Politik und Versicherung zu sehen ist, wird berührt. 
„Durchkreuzt in Zukunft“, so sagt Verf., „die Politik das vom Fach- 
interesse getragene Bestreben der Versicherung, so kann sich die traurigste 
Desorganisation mit feindseligster Interessenverfolgung und weiterer Ver- 
giftung des öffentlichen Lebens ergeben.“ Für den Verf. ergibt sich das 
Bedenken, daß infolge derartiger Bestrebungen einer reichsseitigen Ver- 
staatlichung der Feuerversicherung im Reichstag nicht mehr der er- 
forderliche Widerspruch entgegengesetzt werden würde; seine Hoffnung 
setzt er auf das über das private Versicherungswesen außerordentlich 
gut orientierte Reichsaufsichtsamt, welches infolge seiner Kenntnis der 
Verhältnisse seine Verantwortung erkennen werde, Einwirkungen auf 
das seiner Aufsicht anvertraute Versicherungswesen abzuwehren, die 
es in seinem starken Gefüge erschüttern und in seinem gemeinnützigen 
Ausbau unter Gefährdung des Gemeinwohls schädigen können. An 
die Gesamtheit der Unternehmungen richtet Verf. die sehr beachtens- 
werte Mahnung, stets auf der Wacht zu sein und durch Schärfung des 
Assekuranzgewissens, Steigerung der Leistungen, Vervollkommnung der 
Technik und Verbreitung der Kenntnis des Feuerversicherungswesens 
die lebenskräftige Feuerversicherung noch mehr zu stärken und ihr die 
allgemeine Anerkennung zu erkämpfen. Es kann nur als dringend er- 
wünscht bezeichnet werden, daß die Versicherungsunternehmungen, und 
zwar nicht nur aus der Feuerversicherungsbranche dieser Mahnung eines 
erfahrenen Praktikers die weitestgehende Beachtung schenken, denn 
sicherlich ist es der beste Schutz gegen die Verstaatlichung einzelner 
Erwerbszweige, wenn sie sich derart vorzüglich bewähren, daß sie allen 
Bedürfnissen gerecht werden und zu irgendwelchem Eingreifen im Inter- 
esse der Oeffentlichkeit keine Veranlassung bieten. — Wie die vorstehen- 
den Ausführungen zeigen, bietet das Buch von Domizlaff in vieler Be- 
ziehung Interessantes, Belehrendes und Anregendes, so daß ihm im 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 557 


Interesse der Ausbreitung der Kenntnis vom Versicherungswesen nur 
weiteste Verbreitung gewünscht werden kann. 


Hamburg-Bergedorf. Leuckfeld. 


Osborne, Algernon Ashburner, Speculation on the New 
York Stock Exchange, September 1904—March 1907. New York 1913, 
Columbia University. 172 SS. 

Auf Grund der Wochenberichte des Commercial and Financial 
Chronicle beschreibt der Verfasser die spekulativen Kursschwankungen 
der New Yorker Fondsbörse in den 31 Monaten zwischen dem nach der 
Krisis von 1903 im September 1904 einsetzenden Aufschwung und der 
im März 1907 beginnenden Krisis dieses Jahres, die inzwischen in 
eine noch heute anhaltende Depression des gesamten nordamerika- 
nischen Wirtschaftslebens übergegangen ist. Die im November 1904 
erfolgte Wahl Roosevelts, ein ausnahmsweise billiger Geldstand — täg- 
liches Geld für Spekulanten hatte einen Zinsfuß von 7/),—?2 Proz. — 
sgwie zahlreiche Effektenkäufe aus Europa bewirkten eine andauernde 
Hausse an der New Yorker Fondsbörse, die dann 1905 und 1906 in 
den steigenden Dividenden der führenden Eisenbahnpapiere und den 
großen Käufen amerikanischer und europäischer Anlagekapitalisten ihren 
Rückhalt fand. Erst als diese infolge der zunehmenden Versteifung 
der großen europäischen Geldmärkte Ende 1906 aufhörten, setzte eine 
Abschwächung der Tendenz ein, der Vorbote der nordamerikanischen 
Krisis von 1907, die ja in der Hauptsache auf das Mißverhältnis 
zwischen Kapitalbıldung und Kapitalbedarf zurückzuführen ist. 

Dies alles hat der Verfasser zutreffend in dem engen Rahmen 
seines Themas unter Beibringung zahlreicher Kurstabellen und anderer 
statistischen Zusammenstellungen geschildert. Am Schlusse seines 
Buches kritisiert er eingehend die verschiedenen zur Eindämmung der 
‚Ueberspekulation an der New Yorker Fondsbörse vorgeschlagenen Maß- 
regeln, und kommt zu dem richtigen Schluß, daß solche Maßregeln aus 
wirtschaftspsychologischen Gründen in den Zeiten einer längeren Hausse 
doch fruchtlos sind. 


Falkenberg OS. Landrat Dr. jur. et phil. Freiherr v. Reibnitz. 


Obst (Bankdir. a. D., Handelshochschul-Doz.), Dr. Georg, Das Bank- 
geschäft. 2. (Schluß-) Bd. (Bankpolitik.) Leipzig, Carl Ernst Poeschel, 1914. 
gr. 8. XIII—585 SS. M. 12.—. 


Wei, Wen Pin, The currency problem in China. New York, Longmans. 
8. 156 pp. (Columbia Univ. studies in history, economics and public law.) $ 1,25. 

Sacerdote (avv.),, Emunuele, La nuova legge sulle borse et con- 
tratti differenziali. Torino, Unione tipografico-editrice, 1914. 8. 18 pp. 

9. Soziale Frage. 

Gäbel, Dr.Käthe, Die Heimarbeit, das jüngste Problem des 
A rbeitsschutzes. Jena (G. Fischer) 1913. 8°. 243 SS. 

Das Buch, dem ein warmes Geleitwort von Professor R. Wil- 
brandt vorausgeschickt ist, enthält eine systematische Behandlung des 


558 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


ganzen Heimarbeitproblems, zu der die ursprüngliche Doktorarbeit unter 
den Händen der fleißigen Verfasserin sich ausgewachsen hat. Wil- 
brandt legt ihm die Bedeutung eines streng wissenschaftlich begründe- 
ten Werturteils über die Heimarbeit bei. Diese Charakterisierung ist 
nicht ungefährlich in einer Zeit des Streites um die Berechtigung, 
Werturteilen, wenigstens in den Wirtschaftswissenschaften, einen wissen- 
schaftlichen Charakter zuzuerkennen. Doch wird jeder unbefangene 
Leser des Buches nicht nur seinen durchaus wissenschaftlichen Ge- 
halt anerkennen, sondern auch den Eindruck einer gediegenen wissen- 
schaftlichen Leistung von ihm erhalten. Es zeigt sowohl eine gründ- 
liche Kenntnis der Wissensgebiete, auf denen die Forschung sich be- 
wegi, als auch die reiche praktische Erfahrung, die sich die Verfasserin 
in mannigfacher sozialer Tätigkeit, besonders als Sekretärin des Ge- 
werkvereins der Heimarbeiterinnen, erworben hat, endlich und vor allem 
aber eine in der Arbeit des Lebens selbstgewonnene und befestigte Denk- 
weise und Lebensanschauung. Sie erfaßt mit gesundem Blick alles das, 
was das Leben und die Lage der Heimarbeiter, besonders der weiblichen, 
eigenartig und daher für die von ihr angestellte Untersuchung reizvoll 
macht, und versteht es zu klarem Ausdruck und in logisch geordneten 
Zusammenhang zu bringen. Ihre Darstellungsweise ist natürlich und 
anspruchslos, ihr Urteil reif und besonnen, überall deutlich auf eine gute 
Kenntnis der Verhältnisse, besonders auch der von ihr im Jahre 1912 
an Ort und Stelle studierten englischen Heimarbeitsverhältnisse gestützt. 
Sie beherrscht das von ihr mit Fleiß, Sorgfalt und Geschick zusammen- 
gebrachte bedeutende Material durchaus und zeigt in dessen Anordnung 
und Gliederung, in seiner Vergleichung und in seiner Verwertung zu 
Schlüssen anerkennenswerte Geschicklichkeit und Urteilskraft. Die große 
Mannigfaltigkeit in den Verhältnissen der verschiedenen Arten von 
Heimarbeit und den daraus sich ergebenden Folgeerscheinungen, wo- 
durch die Bearbeitung dieses Problems sehr erschwert wird, überwindet 
sie in glücklicher Weise und es gelingt ihr, zu einheitlichen, großen Ge- 
sichtspunkten gegenüber der Gesamtheit des Problems und den Fragen 
nach seiner Lösung zu gelangen. Das stärkste Interesse widmet sie 
den Lohnämtern, ihrer systematischen Anwendung auf die Heimarbeit, 
ihrer organisatorischen Vervollkommnung, sowie der Darstellung und 
kritischen Wertung der Versuche mit dieser neuen Organisationsform. 
Von ihnen handelt fast die Hälfte des Buches. 

Der erste Teil des sich auf die städtische Heimarbeit beschränken- 
den Buches behandelt das Problem, der zweite die Versuche zu seiner 
Lösung auf den üblichen Wegen, der dritte die Lohnämter und ihre 
Wirkungen. Ein gutes Literaturverzeichnis ist beigegeben. Die Lage 
der Heimarbeiterschaft wird dabei als durch die bisherigen Unter- 
suchungen gut bekannt vorausgesetzt, was aber die Verfasserin glück- 
licherweiso nicht abhält, ein reiches Maß neuen Tatsachenmaterials, 
namentlich in den ersten Teil der Darstellung, einzuflechten. Die für 
und wider die völlige Abschaffung der Heimarbeit sprechenden Mo- 
mente werden im ersten Teil eingehend untersucht und gegeneinander 
abgewogen, ohne daß jedoch bei der verschiedenartigen Bedeutung der 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 559 


Heimarbeit auf ihren verschiedenen Gebieten darüber ein generelles 
Urteil gefällt wird. Die Bedeutung der Heimarbeit für die Unternehmer 
wie für die verschiedenen Arten der Heimarbeiter selbst — Männer, 
Frauen, ledige Heimarbeiterinnen und „halbe Kräfte“ — wird durch 
die verschiedenen sachlichen und örtlichen Heimarbeitsgebiete hindurch 
verfolgt und im Anschluß daran die Wechselwirkung zwischen Heim- 
arbeit und Fabrikgesetzgebung sowie die soziale und wirtschaftliche 
Wirkung der Umwandlung von Heim- in Fabrikarbeit auf die Arbeiter- 
schaft untersucht. 

Als besonders beachtenswert sei daraus erwähnt, daß die Heimarbeit 
in Großbritannien und den Vereinigten Staaten eine erheblich geringere 
Rolle als in Deutschland, Oesterreich und Frankreich spielt und daß 
in Deutschland die großstädtische männliche Heimarbeit auf dem Aus- 
sterbeeta‘ steht. Die Zahl der männlichen Heimarbeiter ist in den 
Städten wie auf dem Lande überhaupt in starkem Rückgang, besonders 
in fast allen Zweigen der Textilindustrie, in der Möbeltischlerei und 
Drechslerei und bei gleichzeitigem Vordringen der weiblichen Heim- 
arbeit, namentlich auch in der Schuhmacherei und Kürschnerei. Alle 
diese Gewerbe sind vorwiegend städtische. Der Uebergang zur Fabrik- 
arbeit bedeutet im allgemeinen einen Vorteil in gesundheitlicher Hin- 
sicht sowie vermöge der besseren Organisationsfähigkeit in geschlosse- 
nen Betrieben auch eine Aussicht auf Erreichung besserer Löhne. 
Die Fabrikarbeit schwächt auch die Lohnschwankungen wesentlich ab 
und läßt überlange Arbeit in Zeiten großer Aufträge nicht zu. Die 
Männer und die ledigen Arbeiterinnen drängt ihr Interesse weit eher 
der geregelten Fabrikarbeit zu als die Frauen, deren Heimarbeit schon 
durch die große Wichtigkeit der häuslichen Versorgung der Kinder und 
die Möglichkeit, den Säuglingen die natürliche Nahrung zu erhalten, 
gerechtfertigt wird. Dies beweisen die mitgeteilten Tabellen über Fabrik- 
arbeit der Frau und die Säuglingssterblichkeit sowie die Tatsache, daß 
relativ wenig Heimarbeiterkinder verwahrlosen. Heimarbeit ermöglicht 
ferner nachweislich bei größerer Kinderzahl weit eher Verdienst als die 
Fabrikarbeit. Vorteile der letzteren sind dagegen die Begrenzung der 
Arbeitszeit, die oft bessere Entlohnung, namentlich aber wichtige er- 
ziehliche Momente. Auch wirken bei der Heimarbeit nachteilig auf 
den Haushalt die oft endlos lange Arbeitszeit, die Nachtarbeit und die 
Unordnung und der Schmutz, die gewisse Hausindustrien in den Haus- 
halt bringen. Dem stehen als Vorzüge gegenüber die große Anpassungs- 
fähigkeit der Heimarbeit an die Bedürfnisse des Haushalts, besonders 
in zeitlicher Hinsicht. Die Bilanz der Möglichkeiten, die beide 
Arbeitsarten der Frau in bezug auf die Haushaltführung gewähren, 
scheint sich der Verfasserin dees zugunsten der Heimarbeit zu ge- 
stalten. Gerade der Gesichtspunkt der Erhaltung der Frau für die Fa- 
milie gibt einer nicht auf Abschaffung der weiblichen Heimarbeit ge- 
richteten Heimarbeitspolitik ihre innere Berechtigung. 

Für die „halben Kräfte“ ist die Frage der Heimarbeit nicht ein- 
heitlich zu beantworten. Geschlecht, Alter und Gewerbe entscheiden 
hier im Einzelnen. Von Interesse ist, daß das Alter der gelernten Heim- 


560 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


arbeiter sich kaum von dem der gewerblichen Arbeiter überhaupt 
unterscheidet. Nur in den ungelernten -Berufen ist der Altersunter- 
schied von Bedeutung und hier ergibt sich eine erhebliche Ueberlegenheit 
der Heimarbeit für den älteren Arbeiter. Für die Wechselwirkung von 
Heimarbeit und Fabrikschutzgesetzgebung ist wichtig, daß jede gut 
organisierte und aufgeklärte Arbeiterschaft die Abschaffung der ersteren 
für nötig zur Förderung der letzteren hält. Im Interesse der Gewerbe- 
hygiene liegt sie jedenfalls, während die Frage, ob die Heimarbeit die 
Löhne der Fabrikarbeiter drückt, nicht leicht zu beantworten ist. Da- 
gegen verstärkt der Wunsch der organisierten Arbeiter, ihre Organi- 
sation möglichst auszubreiten, ihre Agitation gegen die Heimarbeit. 
An den Verhältnissen in der Textilindustrie und in der englischen Kon- 
fektion wird endlich gezeigt, daß die Ueberführung in die Fabrik dem 
Sweatingsystem keineswegs ein Ende macht, daher die neueste soziale 
Gesetzgebung Englands ebenso rein fabrikmäßig betriebene wie Haus- 
industrien zum Gegenstande hat. Das führt zu der wichtigen Schluß- 
erkenntnis: „Es heißt eben das Problem der unterbezahlten Arbeit viel 
zu eng fassen, wenn man darunter immer nur die Heimarbeit versteht. 
Insbesondere das Problem der unterbezahlten weiblichen Heimarbeit 
mündet in ein viel größeres ein und das heißt: „Ungelernte Frauen- 
arbeit“. 

In zweiten Teil wird eine ausführliche Uebersicht über die 
genossenschaftlichen, gewerkschaftlichen und die auf die Abschließung 
von Arbeitstarifverträgen gerichteten Selbsthilfebestrebungen der Heim- 
arbeiter sowie über die Entwicklung und den Stand der die Heimarbeit 
betreffenden Schutzgesetzgebung und Versicherung in den verschiedenen 
Ländern gegeben. Die genossenschaftliche Selbsthilfe scheint der Ver- 
fasserin nur unter besonders günstigen Umständen geeignet zu sein, 
die Lage der Heimarbeiter zu heben. In der Organisationsfrage ver- 
wertet sie ihren reichen Erfahrungsschatz auf das fruchtbarste und ent- 
wickelt namentlich für die psychologischen Seiten dieses wichtigen 
Problemteils und speziell in den die inneren Bedingungen der Organi- 
sation betreffenden Fragen ein feines Verständnis. Von dem den christ- 
lichen Gewerkschaften angeschlossenen Gewerkverein der Heimarbei- 
terinnen (mit 8071 Mitgliedern), dessen Sekretärin sie war, bekennt 
sie offen, daß er ohne die leitende Mitarbeit der Frauen anderer Stände 
nicht zustande gekommen wäre noch von Bestand sein würde. Die 
Frage, ob die Heimarbeiterinnen nicht besser den männlichen Berufs- 
organisationen zuzuführen wären, erledigt sie mit dem Hinweis darauf, 
daß in England wie in Deutschland diese letzteren sich nur da um die 
Kolleginnen gekümmert hätten, wo ihnen diese als lohndrückende Kon- 
kurrenz gegenübergetreten seien. Besonders beachtenswert sind die 
Ausführungen über die technische Möglichkeit von Tarifverträgen in 
Industrien mit schnellem Wechsel der Mode und großer Musterzahl. Sie 
findet die Hauptschwierigkeiten nicht so sehr im Abschluß als in der 
Durchführung solcher Verträge, über deren mangelndes Einhalten eben- 
so wie über die Schwierigkeiten genügender Kontrollierung der Lohn- 
zahlung allgemein geklagt werde. Nur eine verhältnismäßig kleine 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 561 


Zahl von Heimarbeitern, namentlich von weiblichen, arbeiten daher 
unter Tarifverträgen. Von letzteren wird eine Zusammenstellung zu 
geben versucht. 

Das neue Hausarbeitergesetz vermag die Verfasserin nicht mit 
reiner Freude anzusehen, besonders weil es den wichtigsten Heimarbeiter- 
schutz, den Lohnschutz, nicht enthalte. Immerhin bringe es wenigstens 
einige wichtige Verbesserungen. Wieweit die sanitären Bestimmungen 
und die Fachausschüsse sich bewähren würden, hänge von ihrer Hand- 
habung ab. 

Bei der Erörterung des Lohnämterproblems (Teil III) scheinen ihr 
weit wichtiger als die bisherigen Versuche mit solchen die mit frei- 
willigen, besonders mit tarifvertraglichen Lohnvereinbarungen gemach- 
ten Erfahrungen zu sein. Das australische Beispiel beruhe auf eigen- 
artigen Verhältnissen, das englische sei noch zu jung für ein sicheres 
Urteil. Die Lohnämter seien aber der Idee wie der Wirklichkeit nach 
nur ein Ersatz für fehlende oder zu schwach entwickelte Organisation. 
Was gute Organisationen für ihren Bereich erlangt hätten, sollten und 
könnten die Lohnämter auch erreichen. Mehr sei von ihnen nicht 
zu erwarten. Namentlich seien ihre Lohnfestsetzungen durchaus von 
den wirtschaftlichen Verhältnissen abhängig und niemand würde die 
Wirkungen eines falschen Entscheides schneller am eigenen Leibe 
spüren als die das Lohnamt selbst bestellenden und bildenden 
Arbeiter und Arbeitgeber. Eine eingehende Darstellung der austra- 
Lachen und der englischen Lohnämter und der sozialen und wirt- 
schaftlichen Lage der vier von den letzteren geregelten Industrien 
mit einer Feststellung und kritischer Wertung ihrer Ergebnisse führt 
zu denı Schluß, daß die Befruchtung der Organisationstätigkeit ihre 
erfreulichste Wirkung sei. Was die Bemühungen von Generationen 
nicht erreichen konnten, ist hier mit einem Schlage Tatsache geworden: 
die Parteien sind auf eine verhandlungsfähige Basis gehoben. Außer- 
dem geht aber durch alle noch nicht geregelten unteren Arbeiterschichten 
und besonders durch die weiblichen nun ein allgemeines Erwachen. Sie 
beginnen über ihre Lohn- und Arbeitsverhältnisse nachzudenken. End- 
lich lehrt der englische Versuch, wie die amtlichen Vertreter bestätigen, 
seine praktische Durchführbarkeit, selbst da, wo die verschiedenartig- 
sten Bedingungen obwalten. 

Daran schließt sich eine Wiedergabe und Besprechung der gleich- 
artigen Österreichischen, französischen und belgischen Entwürfe sowie 
der Entwicklung und des Standes der Lohnämterfrage in Deutschland, 
wo das letzte Wort noch nicht gesprochen ist und der Gedanke 
immer weitere Kreise ergreift. Den Schluß bildet eine so weit als 
möglich geführte, sehr beachtenswerte Untersuchung der Wirkungen 
der Lohnämter, und zwar auf den Detailpreis, den Absatz und Kon- 
sum, dio in- und die ausländische Konkurrenz sowie auf die Heim- 
arbeit selbst. . 

Das Buch ist vorzüglich geeignet, das Verständnis für die Heim- 
arbeitfrage in weite Kreise bringen und es zugleich zu vertiefen. 
Möge es ihm beschieden sein, der Entwicklung der Heimarbeit, an 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 36 


562 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


deren gänzliche Beseitigung ernstlich nicht mehr gedacht werden kann, 
zu gedeihlichen Verhältnissen und zu einem gesunden Gliede am volks- 
wirtschaftlichen Körper die Wege bahnen zu helfen. 


Marburg a. d. Lahn. H. Köppe. 


Halbwachs, La classe ouvrière et les niveaux de vie. Recherches 
sur la hiérarchie des besoins dans les sociétés industrielles contemporaines. 
Paris 1913. 80. 495 SS. 

Das Werk enthält eine reichhaltige und tiefgreifende soziologisch- 
statistische Studie über die Lebenshaltung der Arbeiterklasse, auf- 
gebaut auf der Grundlage der beiden bedeutendsten Untersuchungen, die 
in neuerer Zeit in Deutschland auf diesem Gebiete veranstaltet worden 
sind, nämlich der vom Kaiserlich Statistischen Amt, Abteilung für 
Arbeiterstatistik, vorgenommenen „Erhebung von Wirtschaftsrechnungen 
minderbemittelter Familien im Deutschen Reiche“ und „320 Haus- 
Er ee en von Metallarbeitern‘“, bearbeitet und herausgegeben 
vom Vorstand des deutschen Metallarbeiterverbandes, beide aus dem 
Jahre 1909. Beigegeben sind ihr eine wertvolle Bibliographie aller 
bedeutenderen Erhebungen über private Haushaltungsbudgets in den 
verschiedensten Ländern und Jahren sowie eine vom Verf. aus den 
Ergebnissen der erstgenannten Erhebung rechnerisch zusammengestellte 
Tabelle, in der die Mitgliederzahl, die Einkommenshöhe und die Ver- 
teilung der Ausgaben der untersuchten Haushaltungen zueinander in 
Beziehung gesetzt sind. 

In der Einleitung werden Begriff und Wesen der sozialen Klassen 
und das sich daran knüpfende Interesse an eingehenden Studien über die 
Konsumtionsgewohnheiten der Klassenangehörigen und ihre Lebens- 
haltungsniveaus eingehend erörtert. Zugleich wird die Untrennbarkeit 
derartiger Studien von einer Analyse der Arbeitsbedingungen oder der 
Funktion der Konsumenten im Produktionsorganismus dargetan. End- 
lich werden die Notwendigkeit, auf dem so gekennzeichneten For- 
schungsgebiete bestimmte Grenzen innezuhalten sowie die Gründe auf- 
gezeigt, auf denen es zweckmäßig erschien, sich auf die Arbeiter- 
klasse und auf die Gegenwart zu beschränken. In letzterer Hinsicht 
kommen namentlich die große Gleichförmigkeit und Einfachheit in 
den Lebensgewohnheiten der Arbeiterklasse in Betracht, wodurch diese 
im Verhältnis zu anderen Klassen ganz besonders homogen und zugleich 
von diesen scharf geschieden erscheint. Da sie aber auch von allen 
Schichten der Gesellschaft diejenige ist, die dem Einflusse und den 
Impulsen ihrer Vergangenheit am wenigsten unterliegt, so hielt der Verf. 
die historische Methode hier nicht für angebracht, vielmehr die Be- 
schränkung auf die Gegenwart für geboten. 

Von den drei Büchern, die den Inhalt bilden, beschäftigt sich das 

erste mit den Grenzen und der Wesenseinheit der Arbeiterklasse unter 
getrennter Behandlung der Bodenbebauer und der gewerblichen Arbeiter, 
die beiderseits auf ihre technischen und rechtlichen Bedingungen hin 
untersucht werden. Verf. kommt dabei, allerdings die Verhältnisse in 
Frankreich ins Auge fassend, zu dem Ergebnis, daß sowohl nach ihren 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 563 


wirtschaftlichen Verrichtungen als nach ihrer rechtlichen Lage die 
Bauern sich mehr und mehr mit den gewerblichen Arbeitern iden- 
tifizieren, daß bei den ersteren aber aus Gründen, die in der Gebunden- 
heit ihrer Arbeit an die Natur liegen, ein Klassenbewußtsein sich nicht 
entwickelt. Damit ein solches entstehe, muß das soziale Leben sich 
hinlänglich intensiv, organisiert, von der Natur losgelöst gestalten, 
muß die Arbeit die Menschen in mechanische und materielle Ver- 
bindungen bringen, wie es im städtischen Leben der Fall ist. Die in- 
dustriellen Arbeiter leben viel enger zusammengedrängt als die Bauern 
und entwickeln außerhalb ihrer Arbeitsstätte ein von ihrem Berufe 
unabhängiges, intensives soziales Leben, was sie dazu führt, Qualität 
und Umfang ihrer Bedürfnisse in kollektiven Vorstellungen zu formu- 
lieren. Die Masse der Bauern und die Gesamtheit der städtischen 
Arbeiter stehen sich sonach nicht wie zwei verschiedene Klassen, son- 
dern nur wie zwei „genres de vie“ gegenüber. Die gewerbliche Arbeiter- 
schaft bildet ihrerseits trotz der Arbeits- und Berufsteilung ein soziales 
Ganzes. Durch den Charakter der modernen gewerblichen Arbeit, die 
den Arbeiter zu einer Art lebendiger Maschine und zu einem bloßen 
Rädchen im industriellen Organismus macht, wird die Entstehung 
eines lebendigen kollektiven Bewußtseins innerhalb der Angehörigen 
einer jeden durch die Arbeitsteilung gebildeten Gruppe nicht gefördert, 
sondern gerade verhindert. Der Arbeiter findet sich in seiner Arbeit 
und durch sie nur zu den Arbeitsmitteln, nicht auch zu den Menschen 
in Beziehung gesetzt. Er steht den seelenlosen Naturkräften isoliert. 
gegenüber. Nicht aus den technischen Bedingungen der Arbeit, sondern 
aus den Beziehungen von Person zu Person, aus dem Lohnverhältnis, 
aus dem Gefühl bestehender Quantitätsbezichungen zwischen Lohn und 
Preis des Produkts, aus der Vergleichung der Lage der Arbeiter mit 
derjenigen anderer Klassen entspringen soziale Vorstellungen, die das 
Klassenbewußtsein wachrufen. 


Das zweite Buch behandelt die Ausgaben der Arbeiter, das dritte 
die in ihren Konsumtionsverhältnissen waltenden Tendenzen. Die ge- 
nannten beiden Erhebungen dienen hier hauptsächlich, daneben aber 
auch andere, zum Teil französische, als Material, aus dem die Antworten 
auf die sich aufdrängenden Fragen entnommen werden. Jene beiden 
Erhebungen sind nach Halbwachs die weitaus besten ihrer Art, wenn 
auch bei der Verschiedenheit ihres Umfangs und ihrer Methode ihre 
Ergebnisse keineswegs gleichartige sind. Ueberhaupt scheinen ihm 
privato Haushaltungsrechnungen zwar vielerlei Bedenken zu unterliegen, 
doch bessere Mittel nicht vorhanden zu sein, um die Ausgaben der Ver- 
braucher näher kennen zu lernen. Auch die nationalen Verschiedenheiten 
gelten ihm nicht als bedeutend genug, um daraus entscheidende Be- 
denken gegen die Ableitung von für die gesamte Arbeiterklasse gültigen 
Schlüssen entnehmen zu können. Er verwertet daher dieses Material 
nach jenen beiden Hauptrichtungen hin unter den verschiedensten 
Gesichtspunkten. Dabei ist er der Benutzung von Durchschnittszahlen 
für die Zwecke seiner Untersuchung stark abgeneigt, denn es sind nicht 
individuelle Differenzen, die sich in ihnen abschwächen und ausgleichen, 


36* 


564 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


sondern soziale Divergenzen, die sich gegenseitig verdunkeln, während 
gerade ihre sorgfältige Hervorhebung die Pflicht des Beobachters wäre. 
Dagegen versucht er mit anderen Mitteln der Statistik, wie dem Median- 
wert, dem dichtesten Werte und der Methode typischer Einzelbeobach- 
tungen zum Ziele zu kommen. Zu den wichtigsten der dabei erzielten 
Ergebnisse gehört die Feststellung, daß kein Bedürfnis rein physisch 
oder individuell ist, vielmehr die Bedürfnisse alle soziale sind, d. h. in 
der Richtung vor Zwecken liegen, welche die Gesellschaft vertritt und 
die sie dem Einzelnen in weitem Maße und um so reichlicher setzt, je 
komplizierter und intensiver das soziale Leben in der Gruppe, der er 
angehört, sich entfaltet. Ferner daß der Beruf als solcher gar keinen 
Einfluß hat auf die Entstehung der Regelmäßigkeiten wie der Aus- 
nahmen in den gegenseitigen Beziehungen der Einkommenshöhe und 
der Zusammensetzung der Familien einerseits, zu den Beträgen der ver- 
schiedenen Ausgaben und ihrem Verhältnis zur Gesamtausgabe ander- 
seits. Keine soziale Gruppe fesselt mit engeren Banden auch heute 
noch den Arbeiter als seine Familie, besonders wenn mehrere ihrer 
Glieder in derselben Stadt wie er wohnen. Aber die Glieder dieser 
Familien gehören oft ganz verschiedenen Berufen an. 

Die durch statistische Tabellen und graphische Veranschaulichungen 
reich belebten Untersuchungen erstrecken sich in den Hauptzügen auf 
die Ausgaben in Städten verschiedener Größe und in verschiedenen 
Berufen, ferner auf die Abstufung der Einkommen nach Be- 
rufen, die Verteilung der Einzelausgaben in den nach der Zusammen- 
setzung der Familie wie nach der Gesamtausgabe differenzierten Arbeiter- 
haushalten, die Ernährungs- und die Wohnungsverhältnisse der Arbeiter. 
Die bekannten Engelschen Sätze werden dabei auf ihre Richtigkeit ge- 
prüft und teils bestätigt teils berichtigt. Es scheint dem Verf., daß 
mit steigendem Einkommen die Ausgabe für Nahrungsmittel im Ver- 
hältnis zu den übrigen Ausgaben abnimmt, der Anteil der Wohnungs- 
ausgabe für die Haushaltungen mit wenigen Mitgliedern wächst, für 
die übrigen gleich bleibt, daß die „anderen Ausgaben“ und die für 
Kleidung wachsen, die für Heizung und Beleuchtung abnimmt. 

Das dritte Buch wird als Beitrag zu einer soziologischen Theorie 
der Bedürfnisse eingeführt. In dieser tiefdurchdachten und feinbegrün- 
deten individual- und sozialpsychologischen Studie wird zunächst die in- 
dividualistische Bedürfnistheorie scharf kritisiert und dabei besonders 
gegen die Grenznutzenlehre entschieden Stellung genommen, die auf 
einer völlig irreführenden Voraussetzung beruhe, insofern sie annehme, 
daß die Bedürfnisse an und für sich, abgesehen von allen sozialen Be- 
ziehungen zwischen den Menschen, Quantitäten darstellten. Man ver- 
wechsele dabei die Bewußtseinszustände mit ihren Ursachen oder ihren 
physischen Erscheinungsformen, weil man den Zusammenhang zwischen 
diesen und jenen gar nicht kenne. Weiter wird die Gliederung der Be- 
dürfnisse, und zwar trotz der äußersten Verschiedenheit ihrer näher 
geschilderten Gegenstände und Formen, nach Einteilungsprinzipien 
sozialen Charakters als notwendig nachgewiesen und durchgeführt. 

Das Gesamtergebnis ist, daß Natur und Zahl aller wichtigen Be- 
dürfnisse durch die Gesellschaft bedingt sind. Doch kann man daraus 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 565 


noch nich! ableiten, welcher Rang und welche relative Intensität ihnen 
innerhalb einer durch die Größe der Familie oder des Einkommens 
oder durch den Beruf, den Ort oder sonstwie bestimmten Gruppe zu- 
kommt. Um sich darüber zu unterrichten, muß man, wie im zweiten 
Buche versucht worden, auf die Tatsachen selbst näher eingehen. Man 
kann dann aber auch den ganzen Sinn der Feststellungen, zu denen, 
man dabei gelangt, viel besser verstehen. Von diesen sei als die wich- 
tigste hier genannt, daß die Arbeiter bei steigendem Einkommen nicht 
ihre Wohnungsverhältnisse (Wohnung, Wohnungsausstattung usw.) ver- 
bessern, sondern das Mehr zu Ausgaben verwenden, die ihren Gegen- 
stand außerhalb der Familie, in der Gesellschaft im weiteren Sinne 
haben. Sie opfern das Wohnungsbedürfnis den Ausgaben für Kleidung, 
Vergnügungen, kurz alledem, was sie in engere Berührung mit den 
Gruppen der Straße oder ihrer Klasse bringt. Ueberhaupt ist von allen 
wirtschaftlichen Bedürfnissen der Arbeiter das Wohnungsbedürfnis das 
am wenigsten entwickelte. Auf dem Gebiete der gesamten „Arbeiter- 
wohnungsfrage“ liegen, wie diese kurzen Wiedergaben schon erkennen 
lassen, die wichtigsten und verdienstvollsten der Forschungsergebnisse 
und Anregungen, die das Werk in reichem Maße enthält. 
Marburg a. d. Lahn. H. Köppe. 


Marschallvon Bieberstein, Freih., Landrat des Unterwester- 
waldkreises, Die Sparpflicht für Minderjährige und die Wohnungsfrage. 
Jena (Gustav Fischer) 1914. 

An der vorliegenden 130 Seiten umfassenden Schrift sollte keiner 
vorübergehen, dem die Lösung der Wohnungsfrage wirklich am Herzen 
liegt. Die Enttäuchung, die der preußische Wohnungsgesetzentwurf den 
vielen gebracht hat, welche hofften, durch diesen auf dem Wege zur 
Besserung der Wohnungsverhältnisse einen entschiedenen Schritt weiter 
zu kommen; die Erklärung‘der Regierung: „große Mittel zur Be- 
seitigung gibt es nicht“, hat wohl auf weite Kreise lähmend gewirkt 
und allgemein deprimiert. Da ist es um so freudiger zu begrüßen, daß 
ein Verwaltungsbeamter, ein Mann der Praxis, mit einem geradezu 
genialen Gedanken hervortritt, der mit einem Schlage ganz andere 
lichtvolle Perspektiven eröffnet. In der vorliegenden Broschüre wird 
dieser Gedanke in großen Zügen entwickelt. Es ist ein reiflich durch- 
dachter, sorgsam durchgearbeiteter Plan, bei dem auch alle Gegengründe 
und Schwierigkeiten sachlich erwogen sind. 

Es handelt sich um folgendes: „Zum Zwecke einer großzügigen 
Wohnungsfürsorge reichsgesetzlich eine Sparpflicht für jugendliche Ar- 
beiter beiderlei Geschlechts zu statuieren und so, unter weitgehender 
Zuhilfenabme des Kredites der Kommunen und unter möglichster Heran- 
ziehung des Privatkapitals, die Summen zu beschaffen, die für eine 
Lösung der Wohnungsfrage, falls sie im großen Stile und in der 
Hoffnung auf dauernden Erfolg betrieben werden soll, als unerläßlich 
erscheinen.‘ 

Schon ohne jenes wichtige Ziel, meint Marschall, sei eine solche 
Einbehaltung eines Teiles des Lohnes der Jugendlichen wertvoll, da 
diese sich durch ihre im Verhältnis zu den Löhnen der erwachsenen 


566 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Arbeiter übermäßig hohen Löhne meist an Ansprüche und Ausgaben 
gewöhnen, die sie später als Familienväter und -mütter nicht aufrecht 
erhalten können. Der Verfasser ist sich wohl bewußt, daß ein so tiefer 
Eingriff in die wirtschaftliche Freiheit bei den Betroffenen wenig Gegen- 
liebe finden wird und läßt auch die sicher in vielen Einzelfällen ent- 
gegenstehenden ernsten Gründe durchaus gelten, glaubt aber, daß das 
wichtige Ziel, die Nichtberücksichtigung dieser Gründe rechtfertigt, 
zumal bei liberaler Gewährung von Ausnahmen. In der Tat ist nicht 
einzusehen, warum der Versicherungszwang nicht auch nach dieser 
Richtung ausgebaut werden soll, zumal er jeden einzelnen nur 7 Jahre 
seines Lebens hindurch belastet und die Wohltat jener Lohneinbehaltung 
schneller, sicherer und augenfälliger zutage tritt als bei den anderen 
Versicherungen. Die Gefahr, daß die Versicherungsanteile auf die 
Arbeitgeber: abgewälzt werden, ist hier kaum zu befürchten, da die 
Jugendlichen keine Macht repräsentieren, die geschlossen auf Lohn- 
steigerungen hinzuwirken vermag. 

Der Verfasser denkt sich die Sache folgendermaßen: Die Gelder, 
welche durch Sparzwang einbehalten werden (10 Proz. des Lohnes der 
Jugendlichen), werden ergänzt durch Beiträge der Kommunen und durch 
vermittels Aktienausgabe erzielter Beiträge privater Kapitalisten in je 
gleicher Höhe. Von allen Städten über 40000 Einwohner, von den 
Kreiskommunen oder Zweckverbänden für das Land und die kleinen 
Städte wird eine „gemischt wirtschaftliche‘ Baugesellschaft errichtet 
mit der Aufgabe, mit jenen Geldern den Bedarf an Kleinwohnungen in 
bestmöglicher Weise zu decken. Die einbehaltenen Gelder der heran- 
gewachsenen Jugendlichen verbleiben der Baugesellschaft dauernd, 
eventuell durch Generationen hindurch, und werden nur ausbezahlt, 
wenn das Kapital zum Ankauf eines eignen Häuschens verwendet 
werden soll. Von den Zinsen, die als Dividende einen verhältnismäßig 
hohen Prozentsatz erreichen können, deren untere Grenze aber durch 
die Stadt- resp. Kreiskommune garantiert ist, wird ein Teil der Miete 
direkt an die Vermieter gezahlt, soweit sie nicht der Baugesellschaft 
als Vermieter verbleiben. 

Dies nur die allerwichtigsten Gedanken, die, wie erwähnt, in der 
Broschüre weiter ausgeführt sind und dadurch noch überzeugender 
wirken. 


Eins haben wir allerdings hier, wie an den meisteu derartigen Plänen 
resp. Einrichtungen auszusetzen, daß nur die jugendlichen Arbeiter 
jenem Sparzwang unterworfen werden sollen, warum nicht auch höhere 
Kategorien von jungen Erwerbstätigen. Damit würde auch die Be- 
sorgnis des Verfassers, daß der Mittelstand seinen Vorschlag als 
mittelstandsfeindlich auffassen könnte, weil manche kleine Bauunter- 
nehmer und Handwerker durch die Tätigkeit der gedachten Baugesell- 
schaften lahmgelegt, werden viel an Grundlage entzogen. Allerdings 
müßte für diese wohl der Sparzwang auf etwa das 16.—23. Jahr ver- 
schoben werden, wodurch eine größere Anzahl Jugendlicher später ab- 
fallen würde, wegen Militärpflicht der jungen Männer und wegen Heirat 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 567 


der Mädchen. Dennoch sollte man, scheint uns, sich nicht auf die ein- 
fachen Arbeiter beschränken. 

Wir hoffen, daß die Schrift weiteste Verbreitung findet und daß 
die sozial interessierten und zumal die die Sozialpolitik schaffenden 
Kreise sich eingehend mit dem Gedanken des Sparzwanges der Jugend- 
lichen beschäftigen, um ihn in nicht allzu ferner Zeit der Verwirklichung 
entgegenzuführen. Aber auch die Gegner eines neuen Versicherungs- - 
zwanges sollten das Buch zur Hand nehmen, um die darin enthaltenen 
wertvollen Anregungen auf sich wirken zu lassen, denn es ließe sich 
vielleicht daran denken, einen Teil der durch die bereits bestehenden 
Versicherungen einlaufenden- Kapitalien in der Weise zu einer durch- 
greifenden Besserung der Wohnungsverhältnisse zu verwerten, wie der 
Verfasser sie vermittels des Sparzwanges Jugendlicher im Auge hat. 

Dr. Else Kesten-Conrad. 


Pudor, Dr. Heinrich, Zur Sozialpolitik des Mittelstandes. (Kultur und 
Fortschritt, No. 517—519.) Gautzsch bei Leipzig, Felix Dietrich, 1914. 8. 41 SS. 
Je M. 0,25. 

Wirtz (Rechtsanw.), Dr. Edm., Wohnungsverhältnisse, Bauordnung und 
Grundstückspolitik der Stadt Cöln und ihre Bedeutung für die Allgemeinheit. 
(Zeitfragen, Bodenpolitische. Hrsg. von Präs a. D. Prof. Dr. R. van der Borght, 
Heft 2.) Berlin, Carl Heymann, 1914. gr. 8. 99 SS. mit 1 farb. Tafel. M. 1.—. 


Martin, Prof. J., L’activite sociale des étudiants catholiques allemands. 
Recueil de documents traduits. (Vox temporis No. 6.) M.-Gladbach, Volksvereins- 


Verlag, 1914. 8. 82 SS. M. 1.—. 
Foster, W. Trufant, The social emergency; studies in sex hygiene and 
morals; with an introduction by C. W. Eliot. Boston, Houghton Mifflin. 12. 222 pp. 


8 1,35. 
Hobson, J. Atkinson, Work and wealth; a human valuation. New York, 


Macmillan. 8. 16-+367 pp. $ 2.—. 
Gonzales, C. Em., La soluzione del problema sociale della donna. Palermo, 


tip. fratelli Marsala, 1914. 24. 16 pp. Cent 50. 


11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde, 

Moses, Robert, The Civil Service of Great Britain. Studies in 
History, Economics and Public Law, edited by the Faculty of Political 
Science of Columbia University, Vol. 57, Nr. 1. New York (Columbia 
University) 1914. Geb. 2 $. 

Das Buch von Moses läßt uns einen interessanten Einblick in die 
Regierungsmaschinerie des britischen Weltreiches tun. Verf. verfolgt 
dabei den besonderen Zweck, seinen amerikanischen Landsleuten die Ver- 
hältnisse des englischen Civil Service als in vielem mustergültig vor- 
zuhalten. 

Das Buch setzt die den englischen Lesern geläufige Trennung des 
englischen Verwaltungsapparates in die politischen Chefs der einzelnen 
Verwaltungszweige und in die unpolitischen Verwaltungsbeamten, den 
eigentlichen Civil Service, als bekannt voraus. Das System der parla- 
 mentarischen Regierung bringt es bekanntlich mit sich, daß nicht nur die 
Chefs der einzelnen Ministerien, sondern auch die sogenannten parla- 
mentarischen Unterstaatssekretäre und Sekretäre bei einem Regierungs- 
wechsel aus dem Amte scheiden, während der eigentliche Civil Service 


568 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


in England durch einen solchen gar nicht berührt wird. Diese Stetig- 
keit, die den englischen Civil Service von jeher ausgezeichnet hat, 
unterscheidet ihn vorteilhaft von dem amerikanischen System, dem soge- 
nannten Rotations- und Beutesystem (system of rotation and ,„spoils`). 
Es besteht darin, daß die bei den Wahlen siegreiche Partei nicht nur 
die als politische herausgehobenen hohen Posten, sondern fast alle Ver- 
waltungsstellen mit politischen Parteigängern neu besetzt. 

Den Hauptteil des vorliegenden Buches bildet die Schilderung der 
Entwicklung des englischen Civil Service in der zweiten Hälfte des 
19. Jahrhunderts, von dem ursprünglich herrschenden Patronagesystem 
bis zu dem heutigen System der auf freiem Wettbewerb (open compe- 
tition) beruhenden Staatsexamina. 

Die sonst so durchgreifende Reform Bill des Jahres 1832 hatte das 
Patronagesystem innerhalb des Civil Service unberührt gelassen, ohne 
daß man dadurch aber zu amerikanischen Zuständen gelangte. Denn 
wenn auch die Ernennung der Beamten des Civil Service seitens der 
politischen Departementschefs durch politische Rücksichten und Er- 
wägungen beeinflußt wurde, so gerieten die Ernannten doch niemals in 
Gefahr, den Parteigängern einer neuen Regierung den Platz räumen zu 
müssen. Dagegen bestand der Hauptnachteil des Patronagesystems in 
der Aufnahme ungeeigneter und unfähiger Elemente, die natürlicher- 
weise einen besonders engherzigen Bürokratismus großzogen. Derselbe 
machte sich vor allem in der Kolonialverwaltung so unangenehm be- 
merkbar, daß der bezeichnete Bericht von Lord Durham des Jahres 
1839 über die Zustände in Britisch-Nordamerika diesem Bürokratismus 
eine große Mitschuld an dem Abfall der amerikanischen Kolonien vom 
Mutterlande zuschrieb. Oeffneten diese schweren Verluste in England 
die Augen über die Mängel des Patronagesystems, so ist es kein Zufall, 
daß dasselbe zuerst in einem sehr wichtigen Zweig der auswärtigen Ver- 
waltung abgeschafft wurde, und zwar in der Verwaltung Indiens. Die 
Einführung eines offenen Examens zum Eintritt in den Indian Civil 
Service ist größtenteils das Verdienst Macaulays. Das Examen war allge- 
meiner, besonders literarischer Natur. Ein Probejahr schloß sich vor 
der endgültigen Uebernahme an dasselbe an. 

Dieser Reform des Jahres 1853 folgte allmählich die Reformierung 
der übrigen Zweige des Verwaltungsdienstes. Eine in diesem Jahre er- 
nannte Kommission sprach sich nach dem Muster des Indian Civil 
Service für die allgemeine Einführung der open competition und für die 
Einteilung der Verwaltungsbeamten (clercs) in 2 Klassen aus, nämlich 
in einen höheren Verwaltungsdienst, der mit akademisch Gebildeten 
besetzt werden sollte, und einen niederen Verwaltungsdienst für die mehr 
mechanische Schreibarbeit. 2 Jahre später wurde durch Ordre im 
Concil eine unabhängige Examenskommission, die Civil Service Com- 
mission, geschaffen. Im Jahre 1870 war dann der Reformprozeß fürs 
erste beendet, das Patronagesystem endgültig beseitigt und das Prinzip 
des freien Wettbewerbs allseitig durchgeführt. Auch die eben erwähnte 
Zweiteilung in first class und second class clercs wurde fast in allen 
Ministerien eingeführt. Trotzdem eine neue Kommission des Jahres 
1875 Zweifel an dem Erfolg des open competition-Systems verlauten 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 569 


ließ, hielt man doch, von geringen Rückschlägen abgesehen, an den 
neuen Errungenschaften fest. In den Jahren 1888—1890 tagte eine 
neue Kommission, die unter anderem auch die schwierige Frage der 
Abgrenzung des höheren und niederen Verwaltungsdienstes erneut prüfte. 
In den letzten 2 Jahren saß schließlich die letzte Untersuchungskom- 
mission über die Zustände im Verwaltungsdienste. deren — in dem vor- 
liegenden Buch noch nicht berücksichtigter — Bericht im April 1914 
erschien. Sie kam zu dem Gesamtresultat, daß — abgesehen von 
einigen Mängeln — die verschiedenen Reformen des Civil Service die 
Schaffung eines tüchtigen Beamtenstandes erreicht hätten, und daß zu 
diesem Erfolg das System des freien Wettbewerbs wesentlich beigetragen 
habe. 

In dem letzten Kapitel seines Buches gibt Moses einen Vergleich 
der englischen und amerikanischen Zustände, der sehr zuungunsten 
seiner Heimat ausfällt. Besonders rügt Verf. den tatsächlich bestehenden 
Ausschluß des freien Wettbewerbs, die damit in Zusammenhang stehende 
mangelhafte Vorbildung der Beamten und die mangelnde Unterscheidung 
eines höheren und eines niederen Verwaltungsdienstes, deren Fehlen in 
einer mißverständlichen Auffassung der Demokratie ihren Grund hat. 

Auch die deutschen, vor allem die preußischen Verhältnisse zieht 
Verf., freilich wohl ohne tiefere Kenntnis unserer Einrichtungen, zum 
Vergleiche heran. So berühren die von ihm gebrauchten Ausdrücke 
„Staatsreferendar“ und „Staatsökonomie‘“ seltsam (S. 62). Sie sind 
auch unnötig, da Verf. selbst an derselben Stelle die richtigen Aus- 
drücke „Regierungsreferendar‘“ und „Staatswissenschaft‘‘ verwendet. Der 
Vergleich zwischen den deutschen und den englischen Einrichtungen ist 
nun aber vor allem in zweierlei Hinsicht von Interesse. 

Zunächst ist es die absolut scharf durchgeführte Scheidung von 
niederem und höherem Verwaltungsdienst, die Verf. als das deutsche 
System bezeichnet (S. 119). Ein Aufsteigen vom niederen in den 
höheren Verwaltungsdienst ist bei uns unter normalen Verhältnissen 
— für abnorme Verhältnisse vergleiche man den in dieser Hinsicht sehr 
interessanten Fall des Schwindlers Thormann — nicht möglich. Dem- 
gegenüber ist nach dem englischen System die Scheidung nicht so 
schroff, da Uebernahmen aus dem niederen in den höheren Verwaltungs- 
dienst bei besonderer Tüchtigkeit öfters vorkommen. Der Report von 
1914 schlägt übrigens eine Dreiteilung vor. Er will die Beamten des 
höheren Verwaltungsdienstes als „Administrative Class“ bezeichnen und 
ihr eine gehobene mittlere Klasse unter dem Titel „Senior Clerical 
Class“ und eine Unterbeamtenklasse unter der Bezeichnung „Junior 
Clerical Class“ gegenüberstellen. 

Wichtiger ist aber der zweite Vergleichspunkt, der wohl zugunsten 
Englands spricht, und das ist die Frage der Art und des Zeitpunktes 
des Examens. Im Anschluß an Macaulay ist das englische Examen für 
den höheren Verwaltungsdienst noch heute kein Fachexamen, sondern 
soll einen Ueberblick über die allgemeine Befähigung des Kandidaten 
ergeben. Ueber die dabei gestellten Anforderungen gibt der dem Buche 
von Moses beigegebene Anhang guten Aufschluß (vgl. z. B. S. 290 ff.). 
Dieses Examen kann nur im Alter von 22—24 Jahren abgelegt werden. 


570 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Da immer nur so viel Kandidaten als bestanden erklärt werden, als 
Stellen vorhanden sind oder in nächster Zeit frei werden, so hat dieses 
System gegenüber dem deutschen eine Reihe von Vorteilen. Die erfolg- 
reichen Kandidaten kommen in jungen Jahren in gut bezahlte Stellen 
(von 200 '£ aufwärts). Die Durchgefallenen sind auf der anderen Seite 
noch nicht überaltert und können jede neue Chance ergreifen, zumal sie 
sich ja noch auf keine Fachbildung festgelegt haben. Denn ein Körn- 
chen Wahrheit steckt zweifellos in dem folgenden Satze von Moses: 
„+ + the Regierungsreferendar ... . . must be conspicuously incapable 
to fail in the ultimate examinations when family and political pressure 
are added to the scruples of the examiners against turning a man of 
28 loose in the world without a vocation“ (S. 62). Und die Bewegung 
gegen die von Zeit zu Zeit seitens der Regierungsbehörden gemachten 
Versuche, größeren Gruppen von Leuten, die beide Staatsexamina ge- 
macht haben, die Anstellung im Staatsdienste überhaupt zu verschließen, 
hat ihren berechtigten Grund in dem Gefühl, daß der Staat die Pflicht 
hat, Leute, von denen er weiß, daß er sie doch nicht beschäftigen kann, 
in einem Zeitpunkte abzulehnen, in dem ihnen noch ein anderes Fort- 
kommen möglich ist. In dieser Hinsicht vermeidet das englische System 
viel Verbitterung und läßt denjenigen, der sich dem Examen unterzieht, 
seine Chancen viel klarer übersehen, als das bei uns möglich ist. 

Auf verschiedene andere interessante Punkte einzugehen muß ich 
mir versagen. Auf jeden Fall bietet das Buch von Moses für die heute 
in allen Ländern so wichtige Frage der zweckmäßigsten Regelung des 
Staatsdienstes eine Fülle von interessantem Vergleichsmaterial. 

Günterstal bei Freiburg (Baden). Köllreuter. 


Bendix (Rechtsanw.), Dr. Ludw., Der gesetzliche Zahlungsaufschub im 
Kriege, nebst Anhang neuerer und neuester Moratoriengesetze des In- und Aus- 
landes. Berlin, Carl Heymann, 1914. gr. 8. VIII—70 SS. M. 2.—. 

Beutner, W., Die Rechtsstellung der Ausländer nach Titel II der preußi- 
schen Verfassungsurkunde. (Abhandlungen aus dem Staats-, Verwaltungs- und 
Völkerrecht, XII, 2.) Tübingen, J. C. B. Mohr, 1913. M. 3,20. 

Forch (Reg.-Rat), Dr., Patent- und Musterschutz im Deutschen Reich 
(Staatsbürger-Bibliothek, Heft 51.) M.-Gladbach, Volksvereins-Verlag, '1914. 8. 
48 SS. M 0,40. 

Glaser (Rechtsanw.), Dr. Fritz, Der Einfluß des Krieges auf Privatrechts- 
verhältnisse. Gemeinverständlich dargestellt. Nebst Anhang: Die privatrechtlichen 
Kriegsgesetze und Kriegsverordnungen mit Erläuterungen. Dresden, F. Emil 
Boden, 1914. 8. 48 SS. M. 0,50. 

Heiman (Synd.), Hanns, u. (Rechtsanw.) Ernst Tauber, Drs., Wichtige 
kaufmännische Rechtsfragen in Kriegszeit (nebst Anhang: Notgesetzliche Bestim- 
mungen, betr. Gläubiger und Schuldnerschutz während des Krieges.) Berlin, 
Verlag für Fachliteratur, 1914. 8. 48 SS. M. 0,75. 

Jaffa (Rechtsanw.), Dr. S., Das Prozeßverfahren während des Krieges. 
Eine Erläuterung des Gesetzes vom 4. 8. 1914, betr. den Schutz der infolge des 
Krieges an Wahrnehmung ihrer Rechte behinderten Personen. 20 SS. M. 1,30. — 
Zahlungsaufschub und Konkursverhütung während des Krieges. Eine Zusammen- 
stellung und Erläuterung der neuen gesetzlichen Bestimmungen über das Teil- 
moratorium, die Konkursverhütung, den Wechselprotest sowie die Stundung von 
Miet- und Hypothekenforderungen. M. 1,20. Berlin, Conrad Haber, 1914. 8. 

Koller (Oberstaudit., oberster Landwehrgerichtsh.-Rat), Dr. Alex, Aus- 
nahmegesetze und Verordnungen für den Kriegsfall in der österreichisch-ungarischen 
Monarchie. (Manzsche Gesetzausgabe No. 84.) Wien, Manz, 1914. kl. 8. X—250 SS. 
M. 1,80. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 571 


Kriegsgesetze, Die, vom August 1914, erläutert durch die einschlägigen 
Vorschriften des Bundesrats und die bayerischen Vollzugsvorschriften. Mit einem 
Anhang: Die Gestaltung der Privatrechtsverhältnisse durch den Krieg. (Schweitzers 
Textausgabe.) München, J. Schweitzer, 1914. kl. 8. VIII—95 SS. M. 1,20. 

Leifer, Dr. Frz., Die Einheit des Gewaltgedankens im römischen Staats- 
recht. Ein Beitrag zur Geschichte des öffentlichen Rechts. München und Leipzig, 
Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. X11I—326 SS. M. 8.—. 

Müller, Dr. Hans, Das KExpropriationsrecht in der Schweiz. Mit be- 
sonderer Berücksichtigung der eidgenössischen und der zürcherischen Gesetzgebung. 
(Beiträge zur schweizerischen Verwaltungskunde. Hrsg. von der schweizerischen 
Staatsschreiber-Konferenz, Heft 17.) Zürich, Orell Füßli, 1914. gr.8. 73 SS. M.2.— 

Pannier, Karl, Die Verfassung des Deutschen Reichs, nebst dem Ein- 
führungsgesetz für Elsaß-Lothringen, dessen Verfassungs- und Wahlgesetz und 
Gesetzen verwandten Inhalts. Textausgabe mit kurzen Anınerkungen und Sach- 
register. 19. Aufl. (Universal-Bibliothek, No. 2732.) Leipzig, Philipp Reclam, 
1914. 16. 136 5S. M. 0,60. 

Pechhold, Eugen, u. Hans Ullmann, Drs., Das geltende Recht der 
Pensionsversicherung, unter Berücksichtigung der Novelle vom 28. 6. 1914. Wien, 
Dr. Eugen Pechhold, 1914. 8. 96 SS. M. 1,50. 

Sartorius, Prof. Dr. Carl, Modernes Kriegsrecht. Sammlung von Staats- 
verträgen über Land- und Scekriegsrecht. Mit Einleitung und Sachregister hrsg. 
München, C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung, 1914. kl. 8. XIII—162 SS. 
M. 2,25. 

Sieskind (Landrichter a. D.), Dr. J., Prozeßrechtlicher Schutz der Kriegs- 
zeit. Ein Kommentar zum Gesetz, betr. den Schutz der infolge des Krieges an 
Wahrnehmung ihrer Rechte behinderten Personen, vom 4. 8. 1914. Berlin, 
J. Guttentag, 1914. 8. 70 SS. M. 1,60. 


Sutner (OÖber-Reg.-Rat), Carl Aug. v., Das Gesetz über den Kriegszustand 
vom 5. 11 1912 in der Fassung des Gesetzes vom 6. 8. 1914. Mit Erläuterungen 
und einem Anhang, enthaltend die Vollzugsvorschriften, das Gesetz über das Ein- 
schreiten der bewaffneten Macht u. a. München, ©. H. Becksche Verlagsbuch- 
handlang, 1914. kl. 8. III—111 SS. M. 2,10. 

Thaa (Minist.-Sekr.), Wilh. Ritter v., Das novellierte Pensionsversiche- 
zungsgesetz. Mit Materialien und einer Uebersicht über die durch die Novelle 
nicht berührte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Wien, Manz, 1914. 
kl. 8. VII—162 SS. M. 1,70. 

Zeitungsrecht, Das deutsche, in Einzeldarstellungen. Hrsg. vom Verein 
deutscher Zeitungs-Verleger. 4. Bd. Das Anzeigenrecht. Eine systematische Dar- 
stellung der rechtlichen Verhältnisse des Anzeigenwesens. 2. vollständ. umgearb. 
Auflage. Magdeburg, „Der Zeitungsverlag“, Verein deutscher Zeituugsverleger, 
1914. gr. 8. X—280 SS. M. 6.—. 


Benson, Allan L., Our dishonest constitution. New York, Huebsch, 1914. 
12. 182 pp. $ 1.—. 

Oppenheimer, Franz, The state; its history and development viewed 
sociologically: auth. transl. by J. M. Gitterman. Indianapolis, Bobbs-Merril. 12. 
6 +302 pp. $ 1,25. 

Legge comunale e provinciale: testo completo commentato ed illustrato nelle 
disposizioni che si riferiscono alle elezioni amministrative con le circolari e le 
istruzioni del ministero dell’ interno. Roma, tip. Camera dei Deputati, 1914. 16. 
VIII —234 pp. 1. 2.—. 

Lessona (avv.), Silvio, Trattato di diritto sanitario. Vol. I. (Concetti 
fondamentali, Le professioni sanitarie.) Torino, fratelli Bocca (E. Schioppo), 1914. 
8. 447 pp. 1. 12.—. 

Ravà, Ad., Lo stato come organismo etico. Roma, soc. ed. Athenaeum, 
1914. 4. 83 pp. 1. 3.—. 

Zanghi, dott. Aug., Manuale di contabilità generale dello stato. Seconda 
edizione, riveduta e corretta. Roma, E. Voghera, 1914. 8. XXVII—523 pp. 
1. Ba 


572 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


12. Statistik. 
Deutsches Reich. 

Forberger (Pastor), Joh., Moralstatistik Süddeutschlands. Berlin 
(Sämann-Verlag) 1914. 138 SS. 2 M. 

Der Dresdener Pastor Forberger hat schon vor einigen Jahren sich 
als Moralstatistiker bekannt gemacht, als er seine Moralstatistik des 
Königreichs Sachsens veröffentlichte. Eine für Ethik und Volkskunde 
nicht unbrauchbare Schrift. Nun hat Forberger in der vorliegenden 
kleinen Studie einem weiteren Kreis von Lesern, die persönlich oder be- 
ruflich ein Interesse an solchen ‘Ergebnissen haben, einen Ueberblick über 
die moralstatistische Lage der süddeutschen Länder gegeben. Eingehende 
Untersuchungen anzustellen, war nicht des Verf. Absicht. Ihm kam es 
lediglich nur darauf an, vergleichende Darstellung zu bieten. Lehrt 
ja doch der vergleichende Gesamtüberblick „manches sehen, begreifen 
und richtiger beurteilen, was ohne solchen Ueberblick unbeachtet und 
unverständlich bleibt oder einseitig beurteilt wird.“ Daß wir jedoch 
durch moralstatistische Zahlen kein definitives Wissen über das Sitten- 
leben erhalten, darüber ist sich Verf. von vornherein klar. Denn, ‚was 
hinter den Zahlen steht und in ihnen nur ein Spiegelbild findet, das 
wirkliche Volksleben in seiner unendlichen Fülle von Einzelheiten und 
verschiedenartigen Ausgestaltungen, das lernt man aus statistischen 
Zahlen nicht kennen.“ 100 Selbstmorde aus rein ideellen Motiven, 
aus patriotischen z. B., machen letzten Endes doch nicht doppelt soviel 
Selbstmorde aus wie deren 50 aus kraß egoistischem, materialistisch 
motiviertem Lebensüberdrusse? Und doch ist jenes nach den gewöhn- 
lichen statistischen Begriffen ganz unbestreitbar eine doppelt so hohe 
Selbstmordfrequenz wie dieses. Aber gibt es im Gebiete der sozialen 
Erscheinungen nicht auch Motive und Folgen der Taten, welche sich 
eigentlich gar nicht quantitativ, d. h. mit Ziffern, sondern nur durch 
Werturteile, also nur qualitativ, ausdrücken lassen ? Weil diese Frage 
sich nicht negativ beantworten läßt, kann, wie auch Forberger selbst 
zugeben muß, die Moralstatistik nicht in die Tiefe der Motive aller 
zahlenmäßig erfaßbaren menschlichen Taten eindringen. Leider kann 
aber auch die Moralstatistik von den guten und edlen Taten der Men- 
schen viel weniger erfassen als von den üblen, so daß sie uns „notge- 
drungen eine Anhäufung pessimistischen Materials“ bietet. Obwohl hier 
kein Berufsstatistiker die Feder ergriffen und auch nicht für solche er- 
greifen wollte, so wird gleichwohl ein jeder, der sich mit diesen Dingen 
beschäftigt, auch Forbergers kleine Studie zur Hand nehmen müssen. 

Im Quellenverzeichnis vermißt man Wiedemanns Dissertation über 
den Selbstmord in seiner detailgeographischen Ausgliederung im Deut- 
schen Reich (München 1910), eine Studie aus dem statistischen Seminar 
v. Mayrs, des bedeuteyden Moralstatistikers. 3 

München. Ernst Müller. 


Statistisches Jahrbuch für das Königreich Bayern. 
1913. Jahrg. 12. München 1913. 469 und 112* SS. 

Der 12. Jahrgang dieses Jahrbuches erscheint wiederum in nicht 
unbedeutender Erweiterung. Sehr dankenswert erscheint uns die Ueber- 


Die periodische Presse des Auslandes. 573 


sicht über Erzeugung und Verwertung von elektrischer Energie, ebenso 
die Erweiterung der Genossenschaftsstatistik, der Gesundheitspflege, 
der Unterrichtsstatistik und als Ergänzung dazu der Volksbildungs- 
bestrebungen, der Finanzstatistik etc, Im Anhange sind Vergleiche mit 
anderen Bundesstaaten durchgeführt und 4 kartographische Darstellungen 
dankenswert hinzugefügt. J. Conrad. 


Statistik, Preußische. Hrsg. in zwanglosen Heften vom Kgl. Preuß. 
Statist. Landesamt. No. 243. Tetzlaff, Dr. Osk., Finanzstatistik der preubi- 
schen Städte und Landgemeinden für das Rechnungsjahr 1911. Ostpreußen. Im 
amtlichen Auftrage bearb. Berlin, Verlag des Kgl. Statist. Landesamts, 1914. 
33,5 X24 cm. VIII—324 SS. M. 8,40. 


Amerika. 
Halsey, Frederic Magie, The railways of South and Central America; 
a manual containing statistics and other information concerning the important 
railways of South and Central America, Mexico and the West Indies. 1914 ed. 
New York, F. E. Fitch. 8. 6+9—183 pp. $ 1,50. 


Italien. 
Mortara, Giov., Tavole di mortalità secondo le cause di morte, per la 
popolazione italiana 1901—1910 (Direzione generale della statistica e del lavoro.) 
Roma, tip. ditta L. Cecchini, 1914. 8. 79 pp. 


13. Verschiedenes. 


Hierl, Ernst, Die Entstehung der neuen Schule. Geschichtliche Grund- 
lagen der Pädagogik der Gegenwart. Leipzig, B. G. Teubner, 1914. 8. IX—211 SS. 
M. 2,80. 

Kjellen, Prof. Dr. Rud., Die Großmächte der Gegenwart. Uebersetzt von 
Dr. C. Koch. Leipzig, B. G. Teubner, 1914. III—208 SS. M. 2,40. 

Mackay, Dr. B. L., Frhr. v., Deutschland und der Weltkrieg: Der Tag 
der Abrechnung! München, Hans Sachs-Verlag, 1914. 8. 34 SS. M. 0,80. 

Müller, Rob., Was erwartet Oesterreich von seinem jungen Thronfolger? 
München, Hugo Schmidt, 1914. 8. VII—113 SS. M. 1,40. 

Neefe, Fritz, Geschichte der Leipziger Allgemeinen Zeitung 1837—1843. 
Ein Beitrag zur Geschichte des Zeitungswesens in der Zeit des Kampfes um die 
Preßfreiheit. (Nach Akten und Briefen aus dem Verlagsarchiv der Firma F. A. 
Brockhaus in Leipzig.) (Beiträge zur Kultur- und Universalgeschichte, hrsg. von 
Karl Lamprecht, Heft 32.) Leipzig, R. Voigtländers Verlag, 1914. gr. 8. XVI— 
192 SS. M. 6,80. 

Schneider (Geh. Kriegsr.), Paul, Staat und Rotes Kreuz. Berlin, E. 8. 
Mittler u. Sohn, 1914. 8. IV—232 SS. M. 3,50. 


Die periodische Presse des Auslandes. 


G. Holland. 


Economist, De, opgericht door M. J. L. de Bruyn-Kops. 63. jaarg, Juli- 
Augustus, No. 7—8. Verbetering van volkshuisvesting en woningwet, door Dr. 


Henri van Groenendael. — Geboorte en sterfte naar den welstand te Amsterdam, 
door J. Reitsma. — Het effectenbezit der Nederlandsche bank, door Curt Eisfeld. 
— De Engelsche regeering als petroleum exploitante, door A. Voogd. — etc. 


H. Schweiz. 


Blätter, Schweizerische für Wirtschafts- u. Sozialpolitik. Jahrg. 21, 1913/14, 
Heft 17/18: Die Schiffbarmachung des Rheins bis zum Bodensee. Vortrag des 


574 Die periodische Presse Deutschlands. 


(Geh. Oberbaurats) Dr. ing. Sympher, gehalten am Schweizerischen Schiffahrtstage 


in Bern. — Ursachen und Bekämpfung der Lebensmittelteuerung, von Dr. Ed. 
Lauterburg. — Die Alters-, Invaliden- und Hinterlassenen-Versicherung auf 
genossenschaftlich-sozialer Grundlage (Schluß), von A. Drexler. — etc. 


M. Amerika. 


Journal, The Quarterly, of Economics. Vol. XXVIII, August 1914, No. 4; 
Railroad over-capitalization, by W. Z. Ripley. — Depreciation and rate control, 
by Allyu A. Young. — The trust problem, by E. Dana Durand. (III. Ultimate 
results of permitting and regulating combinations. IV. The alleged advantages 
of combination.) — Agricultural credit in the United States, by Jesse E. Pope. — 
A contribution to the theory of competitive price, by J. M. Clark. — ete. 


Die periodische Presse Deutschlands. 


Arbeiterfreund, Der. Jahrg. 52, 2. Vierteljahrsheft, 1914: Praktische 
Maßnahmen zur Förderung der Volks-, insbesondere der Arbeiterernährung, von 
Dr. Gerhard Albrecht. — 

Archiv für Eisenbahnwesen. Hrsg. im Königl. Preuß. Ministerium der 
öffentlichen Arbeiten. Jahrg. 1914, September u. Oktober, Heft 5: Die Warschau- 
Wiener Eisenbahn und ihre Verstaatlichung, von Dr. Julius Salomon. — Die Eisen- 
bahnen der asiatischen Türkei (Forts.), von (Dipl.-Ing) M. Hecker. (V. Tech- 
nische Darstellung.) — Neue Eisenbahnbauten in den deutschen Schutzgebieten. 
— Die Tarife der wichtigsten brasilianischen Eisenbahnen, von Dr. ing. Friedr. 
Freise. — Die Eisenbahnen Deutschlands, Englands und Frankreichs in den Jahren 
1908—1910. — Die russischen Eisenbahnen im Jahre 1910, von Dr. Mertens. — 
Die königlich-württembergischen Staatsbahnen in den-Jahren 1911 und 1912. — etc. 

Archiv für innere Kolonisation. Bd. 6, August 1914, Heft 11: Die innere 
Kolonisation und der Krieg, von Dr. Erich Keup. — Ein Beitrag zur Frage der 
inneren Kolonisation im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin, insbesondere die 
Aufteilung von Warenshof, Kämmereigutes der Stadt Waren, von (Bürgerm.) 
Klockow. — Zur Frage des Besitzwechsels in der inneren Kolonisation, von 


A. Pohlmann. — Der Besitzwechsel bei der inneren Kolonisation in anderer Be- 
leuchtung, von Dr. Stumpfe. — etc. 

Bank, Die. August 1914, Heft 8: Das Geld im Kriege, von Alfred Lans- 
burgh. — Das automatische Wachsen des Kapitals, von W. L. Hausmann. — Der 
Bauschwindel im Lichte der Statistik, von Ludwig Eschwege. — Die Notwendig- 
keit eines Kriegsmoratoriums. — Die Schließung der Börsen. — etc. 


Export. Jahrg. 36, 1914, No. 35—37: Was kostet der Krieg?, von Dr. 
R. Jannasch. — Seebeuterecht, Blockade und Außenhandel, von Dr. W. Stein. 
— Englische Drohungen gegenüber dem deutschen Export, von Dr. R. Jannasch. 


— Zur Weltwirtschaft hinauf! (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — etc. 
Gegenwart, Die. Jahrg. 43, 1914, No. 33: Die Kriegserklärung Englands, 
von E. C. Lehmann. — etc. — No. 34: Erfinderschutz und Patentgebühren, von 


Arved Jürgensohn. — ete. — No. 35: Das ohnmächtige England. — Die Belgier, 
von Julius Bab. — ete. — No. 36: Krieg und Volkswohlstand, von Otto Neurath. 
— Ein Sondermoratorium für das selbständige Unternehmertum. — etc. — No. 37: 
Die Entlarver Japans, von Ike Spier. — etc. 

Jahrbücher, Preußische. Bd. 157, September 1914, Heft 3: Das Problem 
der Triple-Entente. Uebersetzung eines Aufsatzes des Fürsten Kotschubey. — 
Die Ursachen des Krieges. Die Chancen. Das Ziel, von H. Delbrück. — ete. 

Kartell-Rundschau. Jahrg. 12, 1914, Heft 7: Deutsche Syndikate und 
der russische Export, von Arvid Balg. — etc. 

Monatsblätter, Koloniale. Zeitschrift für Kolonialpolitik, Kolonialrecht 
und Kolonialwirtschaft. Jahrg. 16, August 1914, Heft 8: Der Hafen von Tsingtau, 


von (Marinebaurat) Bökemann. — Principe und St. Thomé. Eine hervorragende 
koloniale Leistung der Portugiesen, von (Konsul) Singelmann. — Erfahrungen 
anderer Länder für unsere Kolonien, von Prof. Dr. Backhaus. — Der Außenhandel 


Britisch-Südafrikas im Jahre 1913, von Dr. H. Kleinkemm. — Die politische und 


Die periodische Presse Deutschlands. 575 


kulturelle Bedeutung des deutschen Kiautschougebietes, von Romberg. — Das Ver- 
orduungsrecht des Kaisers in den Kolonien (Forts.), von Dr. Aloys Petri. — etc. 
Monatshefte, Sozialistische. 1914, Heft 17: Der Krieg, Amerika und 
England, von Max Schippel. — Der Krieg und die deutsche Volkswirtschaft, von 
Julius Kaliski. — Die deutschen Gemeinden während des Krieges, von Dr. Hugo 
Lindemann. — Die deutschen Gewerkschaften während des Krieges, von Paul 
Umbreit. — Ueber die Juden in Rußland, von Dr. Raphael Seligmann. — etc. 
Monatsschrift, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 13, September 1914, 
No. 6: Psychologie des modernen „Kulturfortschrittes“, besonders des Kapitalismus 
und der Sozialdemokratie, von G. v. Glasenapp. — Ueber Rasse, von (Stabsarzt) 
Dr. F. Münter. — Die Gefahren der oberen Volksschichten in rassenhygienischer 
Beziehung und Vorschläge zur Abhilfe (Forts.), von E. Weißenborn. — etc. 
Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 32, 1914, No. 1650: Unsere Kriegs- 
bereitschaft, von W. Christians. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (IV), 
von Robert Franz. — Die Finanzen des Reichs und der deutschen Bundesstaaten. 
— etc. — No.: 1651: Im Krieg, von W. Christians. — Die deutschen Banken 
im Jahre 1913 (V), von Robert Franz. — Deutschlands Volkswohlstand. — 
Arbeiterfürsorge im Bergbau. — etc. — No.: 1652: Die Entwicklung des deutschen 
Volkes, von W. Christians. — Die deutschen Bauken im Jahre 1913 (VI), von 
Robert Franz. — etc. — No.: 1653: Der Deutschen Siegeslauf. — Die Waren- 
produktion im Kriege. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (VII), von Robert 


Franz. — Krieg und Lebensversicherung. — etc. — No. 1654: Fort mit der über- 
lebten englischen Weltmacht!, von W. Christians. — Die deutschen Banken im 
Jahre 1913 (VIII), von Robert Franz. — etc. 


Plutus. Jahrg. 11, 1914, Heft 34/35: Felix Germania. — Lebensversicherung 
als Kriegshilfe, von G. B. — Krieg und Rechtspflege. — etc. — Heft 36/37: Zu 
neuen Ufern. — Ultimogelder, von G. B. — Versicherungsdarlehen. — etc. 

Revue, Deutsche. Jahrg. 39, September 1914: Wir und sie, von Prof. Dr. 
Theodor Schiemann. — Deutschlands Erhebung, von (Generalleutnant) v. Görtz. 
— Die Entwicklung Rumäniens unter König Carol und der Balkankrieg (Forts.), 
von (Kgl. rumän. Ministerpräs. a. D.) Demeter A. Sturdza. — etc. 

Rundschau, Deutsche. Jahrg. 40, September 1914, Heft 12: Das Viktoria- 
nische England (Schluß), von Charlotte Lady Blennerhasset. — etc. 

Rundschau, Masius’ Blätter für Versicherungswissenschaft. Jahrg. 26, 
1914, Heft 8: Die private deutsche Lebensversicherung im Jahre 1913. — 

Schmollers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 
im Deutschen Reich. Jahrg. 38, 1914, Heft 3: Geschichte der Lohntheorien, 
von Gustav Schmoller. — ‚Die berufliche und soziale Gliederung des deutschen 
Volkes“ nach der Berufszählung vom 12. Juni 1907 (II), von Paul Kollmann. — 
Der Geburtenrückgang und seine Statistik, von Eugen Würzburger. — Ein Beitrag 
zur preußischen Wasserwirtschaft und Wassergesetzgebung der letzten hundert 
Jahre, von Wilhelm Bührig. — Die wirtschaftliche Entwicklung der deutschen 
Kommanditgesellschaften auf Aktien, von Otto Bundschuh. — Bulgariens Stellung 
in der Weltwirtschaft, von Wilhelm Offergeld. — Die Ausgabenverteilung im 
Haushalte des Arbeiters und des mittleren Beamten, von Gerhard Albrecht. — Die 
internationale Stellung der deutschen Eisenindustrie, von Ernst Günther. — Die 
neuere Entwicklung des öffentlichen Schuldenwesens in Deutschland, von Johannes 
Pfitzner. — Die Erkenntnis des Sittlich-Richtigen und die Nationalökonomie 
(I), von Oscar Engländer. — etc. 

Verwaltung und Statistik. (Monatsschrift für deutsche Beamte.) Jahrg. 4, 
September 1914, Heft 9: Von unserer Seefischerei. — Die Arbeiterversicherung 
in Rumänien, von Franz Xaver Ragl. — Der deutsche Städtetag zur Realkredit- 
frage und zur Frage der gemischt wirtschaftlichen Unternehmungen. — etc. 

Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Bearb. im 
Kaiserl. Statist. Amte. Ergänzungsheft zu 1914: II. Geschäftsergebnisse, Die, 
der deutschen Aktiengesellschaften im Jahre 1912/13. 

Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Bd. 12, 
Heft 3: Zur Geschichte der Memminger Weberzunft und ihrer Erzeugnisse im 15. 
und 16. Jahrhundert (I. Teil), von Dr. Ascan Westermann. — Die Sonderbe- 
steuerung der jüdischen Bevölkerung in Galizien und der Bukowina bis zum 
Jahre 1848. Eine steuergeschichtliche Studie, von Dr. Victor Hoffmann v. Wellen- 


576 Die periodische Presse Deutschlands. 


hof. — Staszyck als Statistiker. Ein Beitrag zur Geschichte der Statistik in Polen, 
von Dr. Sigismund Gargas. — etc. 

Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 10, 1914, No. 16: Der Handel 
im Kriege, von E. Fitger. — Börse und Geldmarkt im Kriege. — Die Wirt- 
schaftspolitik im Kriege. (Eine Uebersicht der wichtigeren Maßnahmen bis zum 
11. August.) — ete. — No. 17: Der Patentschutz während des Krieges, von 
(Dipl.-Ing.) Dr. Alexander Lang. — Handelspolitische Glossen zum Kriege. — 
etc. — Beilage: Zwei Zeitfragen (Schluß), von Rud. Dietrich. (2. Betriebsherr 
und Wissenschaftler.) — etc. 

Zeit, Die Neue. Jahrg. 32, 1914, No. 19: Jaurès. — Der Krieg, von 
K. Kautsky. — Zur Einwanderungsfrage (Forts.), von Hermann Schlüter. — etc. 
— No. 20: Volkskrieg. — Die Vorbereitung des Friedens, von K. Kautsky. — 
Vom Wirtschaftsmarkt, von Heinrich Cunow. — Zur Einwanderungsfrage (Schluß), 
von Hermann Schlüter. — etc. — No. 21: Krieg und Kultur. — Imperialismus, 
von Karl Kautsky. — Vom Wirtschaftsmarkt, von Heinrich Cunow. — etc. 

Zeitschrift des Kgl. Bayerischen Statist. Landesamts. Jahrg. 46, 1914, 
No. 3: Die Zwangserziehung in Bayern 1904—1913. — Die Ehescheidungen in 
Bayern in den Jahren 1911—1913. — Die Gewerbegerichte und Kaufmannsgerichte 
in Bayern im Jahre 1913. — Altersgliederung der Bevölkerung in den kreis- 
unmittelbaren Städten und Bezirksämtern nach der Volkszählung vom 1. De- 
zember 1910. — Der Verkehr auf den bayerischen Wasserstraßen im Jahre 1913. 
— Geburten und Sterbefälle in 25. bayerischen Städten im Jahre 1913. — Sta- 
tistik der bayerischen Knappschaftsvereine im Jahre 1913. — ete. 

Zeitschrift des Kgl. Preuß. Statist. Landesamts. Ergänzungsheft 31. 
Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1912, von (Geh. Reg.-Rat) 
Prof. Dr. A. Petersilie. — 

Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft. 70. Jahrg., 1914, Heft 3: 
Der Kampf gegen die Landfiucht, die ländliche Arbeiterfrage und die Reform 
des Fideikommißgesetzes, von Kuno Waltemath. — Das Einnahmebudget des 
Arbeiterhaushaltes, von Dr. Gerhard Albrecht. — Die Tendenz der öffentlichen 
Sparkassen in Preußen zu bankmäßiger Betätigung, von (Reg.-Ass.) Dr. v. Hanse- 
mann. — Die Gewinn- und Verlustkonten der Rheinisch-Westfälischen Provinzial- 
großbanken, von Dr. Walther Däbritz. — Das spanische Sparkassenwesen, ins- 
besondere die Sparkasse von Madrid, von Dr. Pfitzner. — Kritische Bemerkungen 
zu dem Reichstagsantrage auf Abänderung des Genossenschaftszesetzes, von (Amts- 
richter) Dr. Rob. Deumer. — Die französischen Südscebesitzungen und der Panama- 
kanal, von Dr. Ernst Schultze. — Die Pachtgenossenschaften in Italien. — etc. 
— 49. Ergänzungsheft: Literaturgeschichte der Handelsbetriebslehre, von 
Eduard Weber. — 50. Ergänzungsheft: Konzentration der Güterschiffahrt 
auf der Elbe, von Dr. Erich Pleißner. 

Zeitschrift für die gesamte Versicherungs-Wissenschaft. Bd. 14, Sep- 
tember 1914, Heft 5: Die Selbstverwaltung der Krankenkassen, von (Wirkl. Geh. 
Ober-Reg.-Rat) Dr. Hoffmann. — Der Abschluß des Versicherungsvertrags und die 
Natur des Versicherungsantrags nach deutschem und schweizerischem Recht, 
von Dr. F. Basler. — Feuerversicherungsprämien in der amerikanischen Theorie 
und Praxis, von Prof. Dr. W. F. Gephart. — Die Haftpflichtversicherungs- 
anstalten der Berufsgenossenschaften bis zur Neuordnung durch die Reichversiche- 
rungsordnung, von Dr. phil. J. W. Brandt. — etc. 

Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 5, 1914, Heft 9: Die Preis- 
kurve und das Teuerungsproblem. (2. Teil. IV), von Dr. Lorenz Glier. — Die 
inneren jahreszeitlichen Wanderungen der Landarbeiter und die landwirtschaft- 
lichen Stellenvermittelungsämter in Italien (I), von Dr. Livio Marchetti. — Vogel- 
schutzbewegung und Schmuckfederindustrie (II), von W. Th. Linnenkohl. — 
Arbeitszeiten und Lohnverhältnisse in der württembergischen Heimarbeit. — Ueber 
die Lage der westdeutschen Montanindustrie unter dem Einfluß des Krieges. — 
etc. — Beilage: Statistische Uebersichten über die allgemeine Wirtschaftslage, 
zusammengestellt von Prof. Dr. L. Pohle, Juli 1914. 


Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. 


P 


K. Schönheyder, Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie usw. 577 


V 


Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie 
und der Volkswirtschaft. 


Von 
Dr. K. Schönheyder, Kristiania. 


Ueberall in der organischen Welt sind die Bedürfnisse und die 
Bedarfsbefriedigung das Kennzeichen des Lebens. Im Leben der 
Tiere und Pflanzen ist die Bedarfsbefriedigung eine rein natürliche, 
organische Befriedigung. Im Leben des Menschen ist sie ein öko- 
nomisches System. 

‘Der Mensch ist das erste Geschöpf, das mit vollem Ziel- 
bewußtsein anfängt seine Bedürfnisse zufriedenzustellen, indem er 
die Natur umformt. 

An der Entwicklungsbasis, die hierdurch geschaffen ist, ist 
nichts Unnatürliches. Sie ist eine natürliche Folge der Fähigkeit. 
des Menschen, Erfahrungen zu machen oder Erfahrungen mit- 
einander zu verbinden. Das erste Individuum, das darauf kam, zwei 
Baumstämme zusammenzubinden und sie als Floß zu gebrauchen, 
war ein Mensch. Hier sind im buchstäblichen Sinne zwei Erfah- 
rungen miteinander verbunden. Einmal, daß Holz auf dem Wasser 
schwimmt. Und zweitens, daß zwei Dinge sich untereinander stützen 
können und dadurch am „Schlingern‘ verhindert werden. 

Auf dieser Zusammenbindungs- oder Kombinationsfähigkeit, die 
man Gedanke nennt, und auf der damit verbundenen Grundlage einer 
höheren Entwicklung durch Umformung der natürlichen Hilfsmittel 
baut sich die ganze Kultur auf. 

Der Uebergang von Natur hat sich nicht von innen heraus aus 
irgendeinem Naturbedarf des Menschen entwickelt. Der ursprüng- 
liche Naturbedarf nach Essen und Trinken hat an und für sich nie 
andere Werkzeuge hervorgebracht, als die, mit denen die Natur 
selbst das Individuum versorgt. 

Eine Waffe, die durch eine Umformung der Natur erzeugt ist, 
liegt ebensosehr außerhalb der Schöpfungskraft des rein organischen 
che wie sie außerhalb der eigenen Schöpferkraft der Natur 
legt. 

Und der organische Bedarf nach Nahrung an und für sich 
hat auch nie eine Umformung der natürlichen Nahrungsmittel her- 
vorrufen können. Nicht der Bedarf nach Nahrung brachte den Men- 
schen von Anbeginn dahin, seine Nahrung zuzubereiten. In dem 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 37 


578 K. Schönheyder, 


ursprünglichem, rein organischem Bedarf nach Nahrung ist nicht 
die geringste Andeutung enthalten zu einem Bedarf nach gekochter 
oder gebratener Nahrung, oder nach zubereiteter Nahrung, oder nach 
irgendwelchen anderen Variationen, als denen, die die Natur selbst 
darbietet und die durch natürliche Verhältnisse bedingt werden. 
Die Bedürfnisse, die der Kulturmensch zufriedenstellt, unter- 
scheiden sich von den rein natürlichen, organischen Bedürfnissen 
ebensosehr, wie die Mittel, durch die der Kulturbedarf zufrieden- 
gestellt wird, von den Befriedigungsmitteln, die direkt aus der Hand 
der Natur kommen, sich unterscheiden. 

In dieser Umformung der Bedarfsmittel und Bedürfnisse, die 
die Kulturentwicklung ausmachen, liegt auch noch ein anderes ent- 
halten, das diesen Uebergang zu einem unendlich viel tieferen 
menschlichen Phänomen macht. Die Umformung des Bedarfes und 
der Bedarfsmittel an sich ist nur eine notwendige Voraussetzung der 
Oekonomie. Doch es liegt in dieser Entwicklung noch ein anderes, 
ohne welches die Bedarfsbefriedigung des Menschen nicht 
ökonomisch werden könnte. 

In der Umformung der Bedarfsmittel und Bedürfnisse liegt 
nämlich eine Entwicklung und Umformung der Tätigkeit des 
Menschen, wodurch in Wirklichkeit der ursprüngliche organische 
Bedarf zu einem ökonomischen Kulturbedarf umgebildet wird. 

Die Natur sorgt für ihre Kinder. Nicht immer gleich reich- 
lich, und nicht immer gleich reichlich für alle. Aber sie sorgt doch 
wenigstens so einigermaßen dafür, den Fond, aus dem das organische 
Leben seine Nahrung holt, zu erhalten. 

In der Tätigkeit hingegen ist es die Tätigkeit selbst, 
die sich selbst und dadurch das höhere Niveau der Bedarfsbefriedi- 
gung, das neue Kulturniveau, das der Mensch sich mit seiner 
Tätigkeit erschaffen hat, im Gang erhält. 

Tätigkeit ist die planmäßig fortgesetzte, stetige und 
dauernde Befriedigung der Bedürfnisse auf kultureller 
Grundlage. 

Durch die Tätigkeit wird der Bedarf ein ökonomischer Kultur- 
bedarf, ein Bedarf nach einer Befriedigung, die etwas mehr enthält, 
als die rein natürliche, organische Befriedigung, die rein augen- 
blickliche Sättigung. Tätigkeit bedeutet die planmäßige Durch- 
führung der Befriedigung. Durch die Tätigkeit wird der Bedarf 
ein Bedarf nach einer andauernden Befriedigung. 

Indem der Mensch seinen Bedarf durch eine Umformung der 
Natur zufriedenzustellen sucht, die eine vollkommenere Aus- 
nutzung der Kräfte — der außen vorliegenden und der des Indivi- 
duums selbst — erzielt, entsteht also eine Tätigkeit. Und diese 
Tätigkeit wird selbst ein Bedarf, der außerhalb der eigentlichen, 
organischen Bedürfnisse liegt. Sie wird ein Kulturbedarf, ein Kultur- 
bedarf, eine Waffe in der Hand zu haben, — eine Keule — eine 
Axt, einen Bogen und einen Pfeil, um das Wild des Waldes zu 
fällen, und mit der Beute heimzukehren in sein Wigwam, um sie 
am Feuer des heimlichen Herdes zuzubereiten. Und dieser Bogen. 


Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 579 


diese Waffe sind des Mannes Stolz, wie der Schmuck des Weibes. 
Ist das nicht ein Kulturbedarf? 

Oder der Mann wird fest ansässig, siedelt sich mit seiner 
Familie auf dem Erdfleck, den er sich erwählt hat, an, baut seine 
Hütte, bearbeitet das Erdreich, sät, pflanzt und läßt sein Vieh 
weiden. Was für ein Neues ist hier hinzugekommen? Der Tätig- 
keitstrieb ist gewachsen. Er hat einen neuen Bedarf gefühlt, einen 
Kulturbedarf nach einer geordneteren, systematischeren Tätigkeit. 
Sein Bedarf umfaßt nicht mehr nur den organischen, physischen 
Trieb des Tages. Ein neuer Trieb und eine neue Befriedigung 
sind hinzugekommen. Seine Mahlzeiten, ja selbst seine Ruhe reihen 
sich als Glieder seiner Tätigkeit, seiner festen ökonomischen Tätig- 
keit ein. Und im tiefsten Innern lebt die Zufriedenheit mit der 
wirtschaftlichen Stellung, die er sich errungen hat, oder der Drang 
nach mehr. 

Durch die Tätigkeit meldet sich etwas Neues. Nämlich die 
Befriedigung, die die Tätigkeit selbst schafft. Und diese 
Befriedigung ist um so viel umfassender als die Befriedigung der 
Arbeit, als die Tätigkeit selbst umfassender als Arbeit ist. Und je 
höher die Tätigkeit sich auf die Höhen der Kultur schwingt, desto 
fühlbarer wird ihre Befriedigung, um schließlich völlig mit der 
Tätigkeit und ihrer Mühe zusammenzufallen. Dem Gelehrten und 
dem Künstler ist die grundlegende Arbeit an sich eine Befriedigung, 
weil er die Kraft, die die treibende Kraft aller Tätigkeit vom 
Niedrigsten bis zum Höchsten ist, — den Eroberungs- und Er- 
weiterungstrieb so ungeheuer stark in sich fühlt. 

Die Tätigkeit des Menschen ist der Natur ihres Wesens nach 
Entwicklung und Fortschritt. Sie ist ein einziger, großer Er- 
oberungszug, — eine große Völkerwanderung zu reicheren Kultur- 
weiden. Sie ist der Ausfluß des menschlichen Eroberungstriebes. 
Die große Völkerwanderung, die Eroberungszüge der wilden Horden 
im Altertum waren wahrlich nicht eine Folge von Uebervölkerung 
oder unzulänglichen Weiden, ebensowenig wie Uebervölkerung ein 
Volk zu einer seefahrenden Nation machte. Die Nähe des Meeres, 
der großen, unendlichen Fläche, mit ihrer mystischen Anziehungs- 
kraft, deren eigentlicher psychologischer Kern der Eroberungstrieb 
ist, bewegte den Menschen dazu, seine zerbrechlichen Fahrzeuge 
zu bauer und sie auf gut Glück aufs Meer hinaus zu schicken, 
ohne Kompaß, ohne nautische Kenntnisse und ohne Kenntnis des 
Fahrwassers und der Küste. 

Auch die großen Eroberungsvölker folgen einem solchem starken 
inneren Naturdrang. Der Kampf ist ihr Leben. Was bedeuten die 
großen Opfer? Was bedeuten Leben und Glück? Frieden und Ruhe 
gegen mehr Macht, mehr Herrschaft, — vielleicht nicht einmal 
Aë eg Individuum selbst, aber für das Volk, die Nation, die Zu- 

unft. 

Die Tätigkeit des Menschen ist für das Individuum die er- 
lösende ethische Macht. Sich ein Heim zu bauen, sich eine solide 


37* 


580 K. Schönheyder, 


und sichere Grundlage der Existenz zu schaffen, eine ökonomische 
Stellung, ein Bewußtsein, daß unser Ziel etwas Höheres ist als 
eine augenblickliche, rein organische Befriedigung, — in dem Be- 
wußtsein mit einem Kreis von Menschen für seine eigene und des 
Geschlechtes Zukunft solidarisch zu wirken, darin liegt ein starker 
Hebel für das Individuum. 

Tätigkeit schafft Energie, übt Fertigkeit, entwickelt Fähigkeit, 
spornt Willen an und treibt den Menschen und den Menschengeist 
vorwärts, immer vorwärts. 

Die Tätigkeit des Menschen setzt auch den Gedanken und die 
Phantasie in Bewegung. Sie ist das Sesam, das die Pforten zu den 
verborgenen Kräften der Natur, zu den Rätseln des unendlichen 
Weltenraumes und zu dem Märchenreich der Wirklichkeit öffnet. 
— Wißbegier, Kenntnisdrang, der Trieb, die Herrschaft des Geistes 
zu erweitern, wächst und entwickelt sich, und je mehr die Kenntnis 
wächst, desto mehr wächst der Kenntnistrieb. — Und wo die Erde 
und der Weltenraum nicht mehr ausreichen, da liegt das Tiefste, 
Fernste des Bewußtseins bereit, Und in Tönen und Formen, in 
Farben und Worten findet der Menschengeist einen Ausdruck für 
den wunderbaren Gesang des Lebens, — des Lebens, das durch des 
Menschen eigene Tätigkeit und eigenen Tätigkeitsdrang sich schafft 
und entwickelt. 

Der tierische organische Bedarf ist das Gefühl eines Augen- 
blickes und seine Befriedigung die augenblickliche Sättigung eines 
Naturtriebes. Die Tätigkeit des Menschen befriedigt einen Kultur- 
bedarf, der zu allen Zeiten gleich stark ist und bleibt, wie gründ- 
lich auch der organische Bedarf gesättigt wird. Der Kulturbedarf 
ist ein unersättlicher Bedarf, der mit dem Wachstum der Tätigkeit 
eher noch steigt und sich erweitert. 

Die Tätigkeit und der dadurch geschaffene Kulturbedarf und 
die Umformung dieses Kulturbedarfes ist die tragende und treibende 
Kraft der Kultur. Und diese menschliche Tätigkeit ist der 
Grundbegriff der ökonomischen Wissenschaft, — der alles 
umfassende Begriff in der Oekonomie. 

Die ökonomische Wissenschaft ist die Wissenschaft von 
dem Gesetz der Tätigkeit des Menschen. 

Selbstverständlich nicht die technischen Gesetze, die der kon- 
kreten Tätigkeit gelten, nur die Gesetze von der Tätigkeit als 
Tätigkeit an sich betrachtet. 

Der Schwerpunkt in dieser Definition liegt in der Auffassung 
des Begriffes Tätigkeit als einer planmäßigen und kulturgemäß 
fortgesetzten, immer zurückkehrenden, stetigen Bedarfsbefriedigung. 

Die ökonomische Wissenschaft ist demnach also die prinzipale 
Wissenschaft der Kultur und Kulturentwicklung. Ganz so wie 
die Mathematik die prinzipale Wissenschaft aller der Wissenschaften 
ist, die sich auf der Gesetzmäßigkeit der Natur aufbauen. 

Die ökonomische Wissenschaft ist kein Teil, keine Unterabtei- 
lung der sozialen Wissenschaft. Die Gesellschaft und deren Ent- 


Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 581 


wicklung sind nämlich direkt durch die Tätigkeit des Menschen 
geschaffen, und eine Folge der Entwicklung dieser Tätigkeit, in 
derselben Weise, wie die Forderung rechtlich geordneter Ver- 
hältnisse eine Forderung ist, die direkt aus der Umformung der 
Kulturwirksamkeit hervorgegangen ist. 

In der Perspektive der Tätigkeit gesehen, werden die öko- 
nomischen Begriffe schärfer hervortreten. Diese Perspektive ist aber 
nicht die, die Böhm-Bawerk!) in der ökonomischen Wissenschaft 
angeführt hat. Viel eher das Gegenteil. Böhm-Bawerks Auf- 
fassung der Jetztzeit und Zukunft der Oekonomie stimmt nicht mit 
dem Wesen und der Natur der Oekonomie überein. 

Die Tätigkeit ist ein sehr viel umfassenderer Begriff als der 
Begriff Produktion. Nicht so zu verstehen, daß Tätigkeit nicht ein 
spezifischer ökonomischer Begriff wäre, sondern im Gegenteil so, 
daß Produktion es nicht ist. 

Darum verursachte auch der Begriff Produktion anfangs viel 
Unklarheit in der ökonomischen Wissenschaft. Produktion bedeutet 
nämlich Hervorbringung und ist ein rein technischer Begriff. Und 
es war daher ganz natürlich, daß man anfangs nicht ieicht ein- 
sehen konnte, daß Produzieren etwas anderes war als Hervorbringen. 

Später wurde man genötigt, den Begriff „produzieren“ in einer 
spezifisch ökonomischen Bedeutung aufzufassen, — nicht als Pro- 
duzieren im gewöhnlichen Sinne, sondern als Wertproduzieren. 
Allein dadurch konnte das Produzieren jenen bedeutenden Teil der 
produktiven Tätigkeit umfassen, der in dem Umsatz und Austausch 
der produzierten Waren besteht. 

Doch noch heutigen Tages bedeutet in der ökonomischen Wissen- 
schaft Produktion die eigentliche technische Erzeugung der Waren 
im Gegensatz zu ihrem Umsatz und ihrer Konsumtion oder Nutzung. 

Der Begriff Tätigkeit hingegen bedeutet sowohl die Produktion 
der ökonomischen Güter und ihren Umsatz, als auch die Art, in 
der man sich die ökonomischen Güter nutzbar macht, oder die 
Form, in der diese Nutzbarmachung stattfindet. 

Die Tätigkeit umfaßt die Umformung des Stoffes, von der Er- 
zeugung des Rohstoffes bis zu dessen Vernichtung durch die Kon- 
sumtion, oder eigentlich bis zu seiner Rückkehr zur Natur. Sie 
umfaßt die Erde, das Meer und die Luft, die Fabrik, die Verkehrs- 
mittel, das Geschäft und das Heim. Man kann fast sagen, daß 
der Begriff Tätigkeit sich seine eigentliche Kraft am heimischen 
Herde holt. Die Stuben, die man bewohnt, sind auch die eigent- 
liche Heimat der Tätigkeit. Die endliche Stoffumformung als Ver- 
mittler des Genusses ist das Endziel jeder Tätigkeit, der letzte Ab- 
schnitt in dem kleinen Roman der Tätigkeit. 

‚Die Tätigkeit wird eigentlich erst da zum ökonomischen Be- 
griff, wo man sie ästhetisch, ethisch und kulturell auffaßt. 


1) E. v. Böhm-Bawerk, Kapital und Kapitalzins. 


582 K. Schönheyder, 


Auch die natürliche Entwicklung und Umformung der Tätig- 
keit liegt — wie die der Bedürfnisse und Bedarfsmittel — in einer 
Spezialisierung. Die verschiedenen Anlagen, Neigungen und Fähig- 
keiten schaffen einen spezialisierenden Tätigkeitstrieb, der die In- 
dividuen allmählich in Gruppen und Untergruppen einteilt. Die 
Arbeitsteilung ist die natürliche Entwicklungstorm des menschlichen 
Tätigkeitstriebes, und die natürliche Entwicklung der Umformung 
der Bedarfsmittel. 

Bei dieser Arbeitsteilung entsteht ein neues Moment, das die 
menschliche Tätigkeit völlig umformt und verwandelt. Die Tätig- 
keit des einzelnen Individuums wird zum Glied der großen Ge- 
meintätigkeit. Die Tätigkeit, die am heimischen Herde ihre Wurzel 
hat, wird zum großen Baum, der die Welt beschattet. 

Kein Wunder, daß man sich so versehen hat in diese mächtige 
Krone mit ihren unendlichen Verästelungen, daß man fast ver- 
gessen hat, daß die Wurzel der Tätigkeit doch eigentlich fern von 
der großen Welt, in der wir alle uns bewegen, heimisch ist, 
nämlich drinnen in den engen Stuben, wo unser eigentliches, persön- 
liches Leben sich entfaltet, und daß diese Stuben selbst das Alpha 
und Omega der Tätigkeit sind. 

Aber diese große unendlich verzweigte Tätigkeit hat auch 
eine objektive Seite. Sie trägt in sich eine Stoffanhäufung und 
eine Stoffentwicklung und Umformung, die vom ersten Augenblick 
an die besondere Aufmerksamkeit der ökonomischen Wissenschaft 
erregt hat. 

Sie ist eine Entwicklung und Umformung von Kapital. 

Ueber ein Jahrhundert hat die ökonomische Wissenschaft sich 
damit beschäftigt, die wissenschaftliche Formung dieses Phäno- 
mens zu finden. Auf hundert verschiedene Weisen hat sie versucht, 
diesen Begriff zu deuten und zu vertiefen, ohne daß es ihr geglückt 
ist, das entscheidende Wort zu finden. 

Das Kapital ist also der zentrale, begriffsmäßig notwendige 
Bestandteil der Tätigkeit. 

Trotzdem die Wissenschaft seit Adam Smith das Kapital- 
phänomen als ein — man kann sagen produziertes — Produktions- 
mittel betrachtet hat, so ist die wissenschaftliche Auffassung kaum 
mehr als die volkstümliche eine bestimmte und sichere gewesen. 
Es hat sich nämlich herausgestellt, daß der eigentliche Begriff Pro- 
duktionsmittel an einer ganz merkwürdigen Unbestimmtheit und 
Dehnbarkeit litt, die im Grunde der mangelnden Erkenntnis des 
Wesens und der Bedeutung der Tätigkeit in der Oekonomie zuge- 
schrieben werden muß. 

Der Begriff Kapital mußte unter denselben Mängeln, mit denen 
der Begriff Produktion durch die ganze Geschichte der Oekonomie 
behaftet war, leiden. Und zwar müssen alle Schwierigkeiten bei der 
Bestimmung des Kapitalbegriffes und dessen Umfang in dem Aus- 
druck Produktionsmittel gesucht werden. 


Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 583 


Das Kapital ist nicht ein Produktionsmittel, sondern ein Mittel 
im Dienste der Tätigkeit. Es ist das Werkzeug der Tätigkeit, 
das Werkzeug der Kulturentwicklung. Das Kapital beginnt da, wo 
die Umformung der Tätigkeit beginnt. Sein Anfang ist eine rein 
stoffliche Umformung. Und sein Ende — muß ja natürlich auch 
an rein stoffliche Umformung geknüpft sein, an die physische Um- 
formung nämlich, die man Vernichtung nennt, die Umformung, an 
die die Nutzung des Kapitals sich knüpft. 

Bei der rein instinktiven organischen Konsumtion ist die Um- 
formung der natürlichen Bedarfsmittel nur ein Uebergang zurück 
zur Natur in einer anderen Form. Das Ganze ist nichts als ein 
natürlicher organischer Prozeß. In der Tätigkeit gibt es ein Zwi- 
schenstadium, und dieses Zwischenstadium ist das Kapital. 

Das Kapital hat einen Gegensatz, einen begrifflich sicheren, 
unwandelbaren Gegensatz, dessen Grenzen durchaus zweifellos und 
scharf sind, der Genuß, die Nutzung und gleichzeitig die Ver- 
nichtung des Kapitals. Das Kapital geht mehr oder weniger grad- 
weise in Genuß über und hört damit technisch und ökonomisch auf, 
Kapital zu sein!). 

Es ist auch zwischen dem ProduktionsprozeßB und dem Kon- 
sumtionsprozeß kein reeller Gegensatz. Beide bezeichnen im Grunde 
denselben Prozeß, von verschiedenen Gesichtspunkten aus betrachtet. 

Durch die Tätigkeit produziert man, durch die Tätigkeit kon- 
sumiert man. Man kann den ganzen ökonomischen Prozeß als einen 
Wertproduktionsprozeß betrachten, dessen letzte Hervorbringung der 
Genuß oder die Befriedigung ist. Oder umgekehrt kann man ihn als 
einen Konsumtionsprozeß betrachten, der durch die Kulturentwick- 
lung umgeformt worden ist, — einen langsamen Verdauungsprozeß. 

Zwischen den zwei verschiedenen Kapitalformen, dem Werk- 
zeug und dem Vorrat, sind scheinbar einzelne Wesensunterschiede. 
Das eine ist scheinbar ein indirektes Befriedigungsmittel, das andere 
ein direktes. Das eine kann in verschiedenem Grade ausgenutzt 
werden, man kann, so oft oder so selten man will, Gebrauch davon 
machen; das andere dagegen scheint nur das eine Mal Dienst zu 
tun, und will man die Konsumtion vermehren, so kann das in keiner 
anderen Weise geschehen, als indem man seinen Vorrat vermehrt, 

Dieser Unterschied ist indessen nur ein scheinbarer und fällt 
weg, wenn man das Ding ökonomisch, nicht technisch betrachtet. 
Was einen Vorrat von Nahrungsmitteln — auch in einer isolierten 
Wirksamkeit — zum Kapital in ökonomischem Sinne macht, macht 
es gleichzeitig zu einem, in ökonomischem Sinne indirekten Befriedi- 


1) In „Economic Journal“ VII und VIII geben Fisher und Canan in 
ein paar Abhandlungen eine Darstellung des Kapitalbegriffes, die der in der vor- 
liegenden Arbeit behaupteten sehr nahkommt. Sie betrachten das Kapital näm- 
lich als ‚the existing stock of wealth", im Gegensatz zum Einkommen, das als 
„a flow of wealth“ bezeichnet wird. — Ein wirklicher scharfer Gegensatz existiert 
hier jedoch nicht. Die Sache ist nämlich die, daß „the existing stock of wealth“ 
in Wirklichkeit nichts anderes ist als: „a flow of wealth". 


584 K. Schönheyder, 


gungsmittel. Der Vorrat spielt nämlich in der isolierten Tätigkeit 
eine Rolle, die vollständig der entspricht, die er in der sozialen 
Gesellschaftsordnung spielt. Die Teilung der Arbeit hat in Wirklich- 
keit in der isolierten Tätigkeit mit diesem Vorrat bereits angefangen. 
Nicht eine Verteilung der Arbeit auf verschiedene Hände, sondern 
eine Verteilung auf verschiedene Zeitpunkte. 

Ein solcher Vorrat ermöglicht es in der isolierten Tätigkeit dem 
Individuum, die verschiedenen Arbeiten auf die Zeitpunkte zu ver- 
legen, wo sie den größtmöglichen Ertrag liefern, oder wo sie allein 
möglich sind. Und er ermöglicht es dem einzelnen, umfassendere 
Arbeiten vorzunehmen, als sonst möglich wäre, in ähnlicher Weise 
wie bei der sozialen Teilung der Arbeit. 

In seiner Eigenschaft als Kapital ist dieser Vorrat daher kein 
direkteres Befriedigungsmittel als eine Axt. Ein Nahrungsmittel 
hervorzubringen, das einen Teil eines Vorrates ausmachen soll, der 
das Individuum fähig macht, eine Axt hervorzubringen, ist eine 
gerade so indirekte Tätigkeit, wie die ein technisches Werkzeug her- 
vorzubringen, das das Individuum fähig machen soll, andere Be- 
friedigungsmittel hervorzubringen. 

Und hinsichtlich des zweiten Punktes ist es ja auch klar, daß 
beide Formen von Kapital im verschiedenem Grade ausgenützt wer- 
den können, und daß die Grade, wie man- in beiden Fällen das 
Kapital ausnützt, verschiedene Grade von Konsumtion sind. Will 
man von seinem Vorrat mehr konsumieren, so muß man auch mehr 
produzieren, oder ihn öfter erneuern. Und ebensowohl wie man 
eine erhöhte Konsumtion von Nahrungsmitteln auf zweierlei Art 
ermöglicht, indem man entweder die Größe des Vorrates vermehrt 
oder ihn öfter erneuert, so kann man auch eine erhöhte Konsumtion 
seiner Werkzeuge auf die gleiche zweierlei Art und keine andere 
ermöglichen. 

Produktion und Konsumtion sind ökonomisch dasselbe Phänomen, 
von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus gesehen. Vom Pro- 
duktionsgesichtspunkt aus sieht man vorwärts nach dem endlichen 
Resultat. Vom Konsumtionsgesichtspunkt aus sieht man rückwärts 
nach dem Umformungsprozeß, der ein ewiger, endloser Kreislauf, 
ein Verdauungsprozeß des Stoffes der Natur ist. Aber den eigent- 
lichen wahren ökonomischen Gesichtspunkt erhält man nur, indem 
man das Ganze als einen Tätigkeitsprozeß, einen menschlichen Tätig- 
keits- und Umformungsprozeß betrachtet, und den ganzen Tätigkeits- 
prozeß als eine Einheit. Und damit hat man auch den Begriff des 
Kapitals deutlich und klar skizziert. 

Diese Umformung ist nicht immer buchstäblich zu verstehen. 
Sie ist: nicht immer eine rein technische Umformung. Doch in 
ökonomischen Sinne ist sie es immer, und ihr ökonomisches Kriterium 
ist die Tätigkeit. — Man kann in der ökonomischen Wissenschaft 
natürlich nicht die Tätigkeit vermittelst des Begriffes Umformung 
und die Umformung durch den Begriff Tätigkeit definieren. Darin, 
daß die Tätigkeit ein ökonomisches Kriterium der Umformung ist, 


Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 585. 


liegt ja nichts anderes, als daß die Umformung der Tätigkeit immer 
auf die eine oder andere Weise technisch sichtbar werden muß. 
Nicht immer in einer technischen Umformung des Naturproduktes, 
sondern in den ökonomischen und technischen Umständen, die sich 
an dieses Naturprodukt knüpfen. 

Die Früchte der Bäume und die Beeren des Feldes sind keiner 
Umformung unterworfen von dem Augenblick an, wo sie gepflückt 
werden, bis zu dem Augenblick, wo sie in einer Fruchtschale liegen. 
Es sind die begleitenden Umstände, die die Tätigkeit und ihre Um- 
formung bezeichnen und die den Apfel, die Ananas oder die Erd- 
beere in dem Augenblick des Genusses zu ökonomisch umgeformten 
Gütern machen. Ein Eimer, eine Schüssel, ein Keller, ein Laden, 
ein Beförderungsmittel, eine Wohnung, ein Tisch, ein Stuhl, ein 
Teller, ein Messer, ein Löffel, — alles das sind begleitende ökonomi- 
sche und technische Umstände. Und hierzu kommen außerdem noch 
alle die ökonomischen und technischen Verhältnisse, die die ganze 
Wirksamkeit des Gärtners und Beerenpflückers begleiten. 

Der ganze ökonomische Konsumtionsprozeß unterscheidet sich 
deutlich und klar von dem Konsumtionsprozeß des Naturmenschen 
und des Tieres als ein Umformungsprozeß im Gegensatz zu einer 
rein organischen Lebensäußerung. 

Um den Umfang des Kapitals vollständig zu begrenzen, er- 
übrigt also noch eins: die Grenze zwischen der Natur selbst und 
der umgeformten Natur zu ziehen. Um die Natur umgeformt nennen 
zu können, ist es also, ökonomisch gesehen, nicht notwendig, daß die 
Tätigkeit die Natur im buchstäblichen Sinne umformt. Die Um- 
formung ist eine ökonomische Umformung, deren Kriterium die 
Tätigkeit ist, das heißt, die begleitenden Umstände, die sich an die 
Tätigkeit knüpfen. 

Dahingegen muß für die ökonomische Umformung, durch welche 
die Tätigkeit sich das selbständige Werkzeug schafft, gefordert 
werden, daß die Umformung mehr als eine Bearbeitung der Natur 
sei. Es muß eine organische Ausscheidung von der Natur gefördert 
werden, die bei selbständigem Kreislauf schließlich zur Natur zurück- 
kehrt. Nur das, was sich in einem vergänglichen, dinglichen Phä- 
nomen offenbart, ist Kapital. Und diese Vergänglichkeit muß eine 
andere sein, als die, denen die Organismen selber kraft ihrer Natur 
unterworfen sind. 

Die Vergänglichkeit der Stoffumformung ist das Wesen des 
Kapitals. Nur der Stoff selbst ist unvergänglich und immer dauernd. 
Das Kapital zu etwas anderem machen zu wollen, als zu einer 
Sammlung, einer Masse von Kapitalgegenständen, hieße dem Kapital 
eines seiner Wesensmerkmale, seine Dinglichkeit, zu rauben. Die 
dingliche Vergänglichkeit des Kapitals ist eine naturnotwendige 
Voraussetzung für seine Funktion im Dienste der Tätigkeit. Wie es 
durch Umformung entsteht, so hört es durch Umformung auf. Und 
die Dauer des Kapitals ist verschieden für die verschiedenen Kapital- 
gegenstände. 


586 K. Schönbeyder, 


Die unendliche Dauer des Kapitals!) ist nicht eine Eigenschaft 
des Kapitals. Nicht das Kapital erhält sich selbst, die Tätigkeit 
ist es, die es dauernd erneuert, es dauernd in ihren Kreislauf von 
der Natur zurück zur Natur hereinzieht. 

Es ist wahr: der fließende Fluß ist nicht die jederzeit im Fluß 
befindliche Wassermasse, sondern der stete Kreislauf, und der Wald 
ist ein steter Waldbestand, und das Menschengeschlecht ist wech- 
selnde Generation. Doch alle diese Dinge erneuern sich selbst, 
empfangen ihre Erneuerung direkt von der Natur selbst. Dasselbe 
kann bis zu einem gewissen Grade auch vom Staat und von der 
Gesellschaft gesagt werden. Und wenn das Kapital sich in ähnlicher 
Weise selbst erhielte oder seine Erneuerung direkt von der Natur 
selbst empfinge, würde auch der Kapitalbegriff dahin ausgedehnt 
werden können, daß er die immer dauernde Einheit wechselnder 
Bestandteile umfaßte. 

Doch das wäre ja gänzlich in Streit mit dem Begriff und 
dem Wesen des Kapitals. Nicht von der Natur oder aus sich selbst 
erhält das Kapital seine Erneuerung, sondern von der Tätigkeit, 
Das Kapital ist kein natürliches Phänomen, es ist eine durch das 
Eingreifen der menschlichen Tätigkeit umgeformte Natur. 

Was diese Vorstellung von der unendlichen Dauer des Kapitals 
geschaffen hat, ist das Gefühl, daß eine höhere Einheit den Zu- 
sammenhang zwischen den im Laufe der Zeit stetig wechselnden 
Kapitalgegenständen bezeichnet, ebenso wie eine höhere Einheit 
den Zusammenhang zwischen den verschiedenen im Augenblick exi- 
stierenden Kapitalgegenständen bezeichnet. 

Und es gibt auch eine solche höhere Einheit, die das schwin- 
dende Kapital mit dem werdenden Neuen vereint. Doch ist diese 
Einheit nicht ein höherer Kapitalbegriff. Es ist die Tätigkeit. Wenn 
die Tätigkeit einmal in ganz bestimmter Weise geformt ist, hat sie 
zu ihrem sichtbaren Ausdruck eine immerwährende konstante Ka- 
pitalmasse. ' 

Indem die Tätigkeit sich selbst erhält, erhält sie das 
Kapital. Und das ist auch die einzige Art, wie die Tätigkeit sich 
selbst erhalten kann. Die gefüllten Lager erhalten sich dauernd 
durch dieselbe Tätigkeit, die sie leert. Und solange die Tätigkeit 
sich nicht verändert, ist und bleibt das Kapital unverändert. 

Wenn Clark die unendliche Dauer des Kapitals so stark betont, 
so tut er das in Wirklichkeit deshalb, weil er den Gedanken, der 
im Begriff Tätigkeit liegt, hervorheben will. Er überträgt die 
Stabilität der Tätigkeit auf das Kapital. Darum ist es nötig, 
alle die verschiedenen konstruierten Arten von Kapital auf dieselbe 
ökonomische Linie zu stellen und zu zeigen, daß selbst die flüssig- 
sten Kapitalgüter ökonomisch ein ebenso stabiles Phänomen sind, wie 


1) John B. Clark, The distribution of wealth, New York 1899, und Essen- 
tials of economic theory, New York 1907, und die Abhandlungen von Clark 
und Böhm-Bawerk in Zeitschrift für Volkswirtschaft usw., 1906—1907. 


Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 587 


das dauerndste Kapitalgut. Er stellt die Kapitalgüter so durchaus 
gleich, daß sie nicht allein nicht mehr oder weniger dauernde 
Kapitalgüter werden, sondern daß alles Kapital im eigentlichen 
Sinne unendlich dauernd ist!). 

Es ist Clarks wissenschaftliches Verdienst, daß er, indem er 
diese Stabilität gehoben hat, den Weg für die ökonomische Auf- 
fassung von der wirklichen Natur der Tätigkeit gebahnt hat. Und 
der starke Anklang, den sein höherer Kapitalbegriff trotz seines 
offenbar fiktiven Charakters gefunden hat, bezeichnet hinreichend, 
wie die in der Tätigkeit liegende wissenschaftliche Wahrheit sich 
mehr und mehr in das wissenschaftliche Denken hineingedrängt hat. 

Die Wirklichkeit der Tätigkeit ersetzt also die von Clark auf- 
gestellte Fiktion und macht sie überflüssig. Die Stabilität und öko- 
nomische Gleichstellung der Kapitalgüter tritt natürlich hervor, 
wenn alle Kapitalsonderungen wegfallen dadurch, daß das Kapital 
in das richtige Verhältnis zur Tätigkeit und zu seinem Gegensatz 
— der Befriedigung oder dem Genuß — gestellt wird. 

Oekonomisch gesehen, ist die Natur nur das spärliche, kärgliche 
Erdreich. Durch den Zuwachs, den das Kapital gibt, wird die Natur 
gleichsam in breite, fruchtbare Gefilde verwandelt. Wie die Früchte 
der Natur immer wieder von der Natur selbst erhalten werden, so 
werden auch die Früchte des Kapitals — der Genuß oder die Be- 
friedigung — dauernd durch die Tätigkeit erhalten. 

Und wenn man das Kapital technisch betrachtet als ein tech- 
nisches Arbeitsprodukt, so wird der durch die Tätigkeit stetig 
fließende Strom der Befriedigung nicht der technischen Quantität 
des Kapitals, sondern der technischen Quantität der Tätigkeit, d.h. 
der technischen Arbeitsmenge, die das Kapital erhält, entsprechen. 
Das technische Produkt des Jahreswerkes von hundert Arbeitern ist 
nie mehr als hundert Jahreswerke, auch wenn diese hundert Ar- 
beiter ein Kapital erhalten, das das Jahreswerk von tausend 
Arbeitern enthält. 

Die Umformung des Kapitals und der Tätigkeit vermehrt nicht 
die technische Quantität der Tätigkeit, es hebt sie nur auf ein 
höheres Kulturniveau. 

Das Kapital ist also das Mittel, das Werkzeug, nicht die 
reifende Frucht. Befriedigung oder Genuß sind eine Frucht der 
Tätigkeit, und im Verhältnis dazu ist das Kapital nur als der 
Klumpen Erde zu betrachten, aus dem alles hervorsprießt. 

Die Vorstellung von dem Kapital als einer reifenden Frucht 
hat in der ökonomischen Wissenschaft die Tätigkeit in ein falsches 
Licht gerückt. In der Hand der Tätigkeit ist das Kapital nicht eine 


1) Clarks Auffassung des Kapitals als ‚the permanent fund of productiv 
goods, the identy of whose component elements is forever changing“ hat übrigens 
ihre Vorläufer. Eine ähnliche Auffassung liegt den Kapitalrententheorien zu- 
grunde. die Böhm-Bawerk unter der Benennung Nutzungstheorien zusammenfaßt, 
und die sich wesentlich an die Namen I. B. Say, Hermann und Menger knüpfen. 
Vgl. auch Schellwien, Die Arbeit und ihr Recht. 


588 K. Schönheyder, 


früher oder später reifende Frucht, nicht ein künftiges Gut. In 
und mit der Tätigkeit ist im Menschen eine ökonomische Kultur- 
anschauung von den Mitteln zu Befriedigung und Genuß erwacht. 

Wie für den Wilden sein Pfeil und sein Bogen, so ist für den 
Ackerbauer sein Haus und sein wohlgefüllter Keller nicht ein zu- 
künftiges Gut. Alles das sind ihm Kulturgüter, die einen Kultur- 
bedarf der Tätigkeit direkt zufriedenstellen. Genau so ist auch für 
die Gesellschaft als Ganzes die gesamte Summe von Kulturmitteln 
nicht ein künftiges, sondern ein im höchsten Grade gegenwärtiges 
Gut, ebenso wie für den Gelehrten seine Bücherei, Tintenfaß, Feder 
und Papier, oder die Bibliothek, aus der er seine wissenschaftlichen 
Werke holt, oder wie der Marmor und der Ton für den Bildhauer, 
die Geige für den Musiker. 

Alle die Kulturmittel, durch welche die Tätigkeit hervortritt, 
sind der Standard of life des Kulturmenschen geworden. Man 
verlangt alle diese Dinge in ihrer verschiedenartigen Funktion. 
Man verlangt ein Telephon, um zu seinem Kaufmann sprechen zu 
können und ihn zu bitten, die Kolonialwaren und Südfrüchte, die 
die großen Frachtschiffe herbeigeholt haben, von seinem Lager zu 
uns zu bringen. Man verlangt, mit den fernsten Orten in regel- 
mäßiger Fracht- und Personen- und Post- und Telegraphenverbindung 
zu stehen. Man verlangt die wohlgefüllten und wohlversehenen Lager 
der Kaufläden, man verlangt Maschinen und Werkzeuge. Man: ver- 
langt feste Theater und tägliche Zeitungen, Schulen und Kirchen. 
Man verlangt gepflasterte, erleuchtete Straßen, Herde in seinen 
Küchen, Bäder und gute Wirtschaftsräume. Und man verlangt noch 
eine ganze Menge anderes. Und alle diese Dinge als Zukunftsgüter 
zu bezeichnen wäre Sinnlosigkeit. 

Denn alles dies ist — als Einheit betrachtet — "die Plattform, 
auf der die Tätigkeit des Kulturmenschen sich aufbaut. Und in 
dieser Bezeichnung besteht keinerlei Unterschied zwischen den Be- 
standteilen, aus denen das Kapital besteht. 

Die natürliche Befriedigung, die Befriedigung des flüchtigen 
Augenblicks, des Jetzt, existieren für den Kulturmenschen in seiner 
Kulturwirksamkeit in Wirklichkeit nicht. Die Befriedigung existiert. 
air als Glied einer planmäßig fortgesetzten, stetigen Befrie- 

igung. 

Eine Tätigkeit kann nur in der Zeit existieren. Eine Tätigkeit 
des Augenblickes ist ein Widerspruch in sich. Ebenso wie eine Reise 
von Berlin nach Paris nicht in einem Augenblick vorgenommen 
werden kann. Und sobald die Tätigkeit entsteht, verschwindet der 
Augenblick sozusagen aus der Oekonomie und macht der durch die 
Tätigkeit und die Mittel der Tätigkeit geschaffenen höheren Einheit, 
in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufgehen, Platz. 

. Die Frage von der Natur der Tätigkeit und des Kapitals kann 
nicht gelöst werden, ohne daß man zu voller Klarheit kommt über 
den Unterschied zwischen der augenblicklichen Anschauung des 
Naturzustandes und der ökonomischen Anschauung des Kultur- 


Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 589 


standes von der höheren Einheit der Tätigkeit. Und Böhm-Ba- 
werk hat selbst, durch seine entgegengesetzte Auffassung von 
dem Kapital als einem zukünftigen Gut, das einem Reifeprozeß 
unterworfen ist, das Verdienst, der ökonomischen Wissenschaft die 
Erkenntnis aufgedrängt zu haben, daß der Kulturmensch sein Dasein 
nicht auf der Befriedigung eines isolierten Augenblicks, sondern 
auf der fortwährenden, planmäßigen Bedarfsbefriedigung aufbaut. 

Böhm-Bawerk brachte die Zeitfrage in die Wissenschaft hin- 
ein; dagegen glückte es ihm nicht, selbst zu der Erkenntnis der Um- 
formung und Verwandlung zu gelangen, die die Naturbedürfnisse 
durch die Tätigkeit erlitten haben, — das also, was sie aus einem 
rein organischen Phänomen zu einem ökonomischen Kulturphänomen 
macht. | 

Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß auch in dem Kultur- 
menschen ein rein isoliertes, ganz organisches Befriedigungsgefühl 
entstehen kann, oder ein ganz isolierter Trieb, der völlig außerhalb 
des Gebietes der Wirksamkeit liegt. Ein augenblicklicher oder zu- 
fälliger Notstand kann den verhärtetsten Kulturmenschen zu einem 
Naturmenschen machen, der rein instinktiv als organisches Wesen 
handelt und fühlt. Doch gerade diese rein isolierten, außerhalb des 
Begriffes der Tätigkeit liegenden Zufälligkeiten bekräftigen die 
wahre Natur der auf der Tätigkeit ruhenden Kulturbefriedigung. 

Der rein ursprüngliche natürliche organische Bedarf an und 
für sich hätte diese umgeformten Kulturmittel nicht hervorbringen 
können. Das hat einzig der umgeformte Kulturbedarf vermocht. 
Nicht der organische Bedarf an Nahrung, sondern der umgeformte 
Bedarf, dem rein körperlichen Bedarf eine kulturgemäße Befriedi- 
gung zu sichern. 

Darum ist es, streng genommen, auch nicht ganz korrekt, wenn 
man die Kapitalproduktion als einen Produktionsumweg bezeichnet 
hat. Im Verhältnis zu dem organischen Bedarf wäre es allerdings 
ein riesiger Umweg. Aber im Verhältnis zu dem umgeformten 
Kulturbedarf ist es eine ebenso direkte und natürliche Befriedi- 
gungsform, wie der Apfel im Paradies es war. Den Stoff muß man 
ja nun einmal benutzen, um eine Befriedigung zu erlangen, und dann 
steht der umgeformte Stoff in demselben Verhältnis zu dem umge- 
formten Bedarf, wie der natürliche Stoff zu dem natürlichen Bedarf. 

Der Kapitalproduktionsprozeß ist der einzige Weg, der zu dem 
Ziel, das die Tätigkeit sich gesteckt hat, nämlich zu der rein kon- 
kreten Befriedigung, die man durch die Tätigkeit erlangt, führt. 
Wenn man seine Gedanken niederschreibt oder drucken läßt, so 
erreicht man doch etwas mehr und Größeres als eine ganze alltäg- 
liche Mitteilung an irgendwen. Wenn man einen Weg in zierlichen 
Windungen auf eine Höhe hinauf: anlegt, so erreicht man doch 
eigentlich etwas anderes, als wenn man ihn einfach über Berg und 
Tal laufen läßt. 

Wenn man sich in den Expreßzug setzt und von Berlin nach 
Paris fährt, oder wenn man durch das Telephon seinem Kaufmann 


590 K. Schönheyder, 


den Auftrag gibt, Waren zu bringen, die man dann mit einer Geld- 
summe bezahlt, so ist das doch etwas anderes und mehr, als man 
ohne ein solches Kapitalwerkzeug erreicht haben würde. 

Und wenn man in der Oekonomie das Kapital ein Werkzeug 
nennt, so hat das eigentlich dieselbe Bedeutung, wie wenn man den 
Apfel im Paradies ein Werkzeug nennt, insofern nämlich, als es 
ein Mittel ist, um eine Befriedigung zu erlangen, — ein Befriedi- 
gungswerkzeug. 

Die Kapitalproduktion ist, ökonomisch betrachtet, kein Umweg, 
sondern Tausende von großen und kleinen Wegen, die zu demselben 
großen gemeinsamen Ziel führen. Und dieses gemeinsame Ziel kann 
nicht einmal örtlich näher bezeichnet werden. Es ist wie das sich 
kreuzende Straßennetz einer großen Stadt. Es führt zu jedermanns 
Haus. — 

Gleichzeitig damit, daß das Kapital eine Einheit und ein Mittel 
ist, ist es auch eine Kraft, eine produktive Kraft, die in der 
ökonomischen Wissenschaft unter dem Namen Produktivität bekannt 
ist. In dem Unterschiede zwischen den Resultaten der Kulturwirk- 
samkeit und des Naturzustandes offenbart sich die Produktivität, 
in den kulturumgeformten Bedarfsmitteln der Tätigkeit, im Gegen- 
satz zu den Befriedigungsmitteln, die direkt aus der Hand der 
Natur kommen. Man hat sich in der ökonomischen Wissenschaft 
einseitig dabei aufgehalten, daß die Produktivität eine quantita- 
tive Vermehrung des Produktionsertrages, — eine rein numeri- 
sche Vermehrung sei. Mit den Maschinen, heißt es, wird ja so viel 
mehr produziert, als durch Muskelkraft. — Die Teilung der Arbeit 
bewirkt, heißt es, daß bei jedem einzelnen eine größere Fertigkeit 
erreicht wird, so daß viel mehr produziert werden kann, als früher, 
wo jeder einzelne eine Reihe verschiedenartiger Funktionen aus- 
führen mußte. Als typisches Exempel der Produktivität nach der 
früheren Auffassung des Begriffes kann man wohl die Stecknadel- 
fabrikation aufstellen, in der jetzt pro Arbeiter tausendmal so viele 
Stecknadeln fabriziertwerden, als unter den primitiveren Produktions- 
verhältnissen in dieser Branche. 

Doch verglichen mit der qualitativen Umformung, der alle 
Bedarfsmittel durch die Kapitalwirksamkeit unterworfen sind, hat 
diese quantitative Vermehrung, die in der Produktivität liegt, doch 
nur eine verschwindende Bedeutung. 

Daß die physische oder technische Grundlage der Produktivität 
etwas rein Quantitatives ist, liegt in der Natur der Sache. Das 
Kapital bedeutet rein technisch eine quantitativ vermehrte Aus- 
nutzung der in der Natur wohnenden Kräfte und der Eigenschaften 
des Stoffes. 

Doch diese vermehrte Ausnutzung bedeutet in der Oekonomie 
etwas Qualitatives. Und wenn die Produktivität eine vorwiegend 
ökonomische Quantitätsfrage gewesen wäre, würden das Kapital 
und die ökonomische Tätigkeit eine ganz bescheidene Rolle in der 
Entwicklungsgeschichte des Menschen gespielt haben. — Roschers 
bekannte, arme Fischerbevölkerung litt kaum Mangel an Fisch. 


Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 591 


Das Typische für die Umformung der Bedarfsmittel durch die 
Tätigkeit, die Entwicklung des Kapitals, ist ja gerade, daß sie eine 
Umformung ist, eine Verwandlung sowohl der Bedarfsmittel als 
auch der Bedürfnisse selbst. Sie ist ein kulturelles Qualitätsphä- 
nomen. An dem Abstand zwischen dem Bedarf des Kulturmenschen 
und des Naturmenschen kann der riesenhafte Umfang der Produk- 
tivität gemessen werden. 


Hier könnte möglicherweise eingewandt werden, daß dies nicht 
direkt die Natur der Produktivität als solcher, — sondern nur eine 
indirekte Folge der quantitativen Bedeutung der Produktivität in 
der Produktion ist. Erstens aber würde es bei der überwiegenden 
Menge von Fällen eine absolute physische, technische und mathe- 
matische Unmöglichkeit sein, nachzuweisen, woraus die quantitative 
Vermehrung eigentlich bestehen sollte, da man ja nicht mit einheit- 
lichen Zahlen zu tun hat, und überhaupt nichts existiert, was zum 
Gegenstand eines Vergleiches gemacht werden kann. — Zweitens 
würde man bei der überwiegenden Menge der erübrigten Fälle sehen, 
wie das rein Qualitative als ein Wesensbestandteil und Hauptfaktor 
in das Quantitative übergeht. Und bei den ganz wenigen übrigen 
Fällen, wo man auf reine und klare Zahlen deuten kann, — eine 
Million Stecknadeln statt tausend — wird man bei näherer Analyse 
doch auch ein Qualitätsmoment finden, das nicht übersehen werden 
darf, und das nicht indirekt und abgeleitet ist, sondern direkt in 
der quantitativen Vermehrung liegt. 


Erstens: Wenn man weit in der Kulturgeschichte der Um- 
formung zurückgreift, — das Feuer! Wo ist denn da die quantitative 
Vermehrung, die man Produktivität genannt hat. Man kann zwi- 
schen einem Feuer und zwei Stücken Holz, — oder zwischen einem 
Stück gebratenen und einem Stück rohen Fleisches keine mathe- 
matische Subtraktion vornehmen. Die Zahlen sind nicht einheitlich, 
und trotzdem läßt es sich ohne Zweifel nicht leugnen, daß das 
Feuer eine gewaltige Eroberung einer Naturkraft ist, derer Pro- 
duktivität alles, was sich überhaupt in Zahlen ausdrücken läßt, 
übertrifft. Was bedeutet eine Million, wo von einer solchen Natur- 
kraft die Rede ist, und zwar selbst da, wo man sich den verhältnis- 
mäßig spärlichen Nutzen denkt, den die wilden Menschen davon 
haben können. 

Oder man denke an all das Kapital, das die Menschen in 
ihre Gebäude und deren Ausstattung hineinlegen. Wo ist da die 
qualitative Vermehrung? Ein Haus ist quantitativ nicht mehr als 
10000 Mauersteine, ein Eßzimmermeublement quantitativ nichts 
anderes als eine bestimmte Anzahl eichener Bretter.’ Und doch liegt 
in der Bereicherung, die die Kulturentwicklung in dieser Richtung 
gemacht hat, eine qualitative Produktivität, die nicht geringer ist, 
als die quantitative Vermehrung in der Stecknadelfabrikation. 

Oder man denke an die zahllosen neuen Genußmittel, mit 
denen erfinderische Köpfe die Menschheit ausstatten. Hier handelt 


592 K. Schönheyder, 


es sich nicht um eine Million Stecknadeln, sondern um eine Million 
mehr oder weniger verschiedenartiger Befriedigungsmittel, um die 
Verschwendung der Kultur, verglichen mit der Einfachheit der Natur. 

Zweitens: Wie geht nicht das Qualitative in das Quantitative 
über bei einer Erfindung, wie z. B. der der Buchdruckerkunst! Hier 
handelt es sich weniger um eine Million Bücher im Vergleich zu 
tausend. Es handelt sich hier um eine neue Kulturmacht, die die 
Bedürfnisse umformt. Ein Buch ist nicht länger nur Eigentum der 
Auserwählten, sondern des ganzen Volkes, — nicht länger ein 
Luxusartikel, sondern jedermanns Eigentum. — Nicht mehr eine 
Kuriosität, sondern eine Quelle, aus der der Menschengeist sich 
dauernd bereichert. Und die Buchdruckereien sind nicht mehr bloß 
Buchdruckereien, sondern auch Zeitungsdruckereien. Völlig neue Be- 
darfsmittel und eine völlig neue Kulturmacht werden geschaffen. 
Und in alles dieses Neue wird das Netz von neuen technischen und 
ökonomischen Umformungen gewoben, — der Telegraph und die 
verbesserten Verkehrs- und Postversendungsmittel. 

Und diese Verkehrsmittel selbst, wie deutlich bezeichnen sie 
nicht die qualitative Produktivität. Zwar kann man sagen, daß 
sie eine quantitative Vermehrung der Transportfähigkeit bedeuten. 
Doch wie wenig ist im Grunde damit gesagt. Und was bedeutet 
nicht die Vermehrung der Transportgeschwindigkeit, — der Trans- 
portrouten, — des vermehrten Komforts und der Bequemlichkeit, 
verglichen mit der rein quantitativen Seite. Es ist in der Tat etwas 
qualitativ ganz Neues geschaffen, das sich in Zahlen nicht aus- 
drücken läßt. 

Und außerdem, was erreicht man eigentlich durch den Trans- 
port? Man befördert eine Ware. Ist das ein quantitatives Resultat? 
Kaum. Die Quantität der Waren ist und bleibt dieselbe, die öko- 
nomische Qualität der Waren ist es, die sich verändert. Ihr Verhältnis 
zu den Bedürfnissen ist ein anderes geworden. 

Drittens: Die rein quantitative Vermehrung bedeutet die in 
der Regel nicht eine wirkliche qualitative Umformung in der Be- 
darfsbefriedigung und Wirksamkeit der Menschen? Schafft sie in 
Wirklichkeit nicht ganz neue Befriedigungsmittel, wenn sie z. B. 
das Unmögliche möglich, das Unbrauchbare brauchbar macht. Was 
soll man mit einer Stecknadel, die vielleicht eine Stunde Arbeit 
gekostet hat? Wer hätte für ein solches Ding Gebrauch? Ueberfluß 
muß sein, damit sie zu einem wirklichen Befriedigungsmittel, sowie 
sie es heute für arm und reich sind, werden können. Dinge, die 
kraft ihrer Natur geschaffen sind, Notwendigkeitsartikel zu sein, 
sind nicht dazu geschaffen, Luxusartikel zu sein. 

Und bedeutet die quantitative Vermehrung auch nicht eine 
qualitative Veränderung für alle, so doch für eine ganze Reihe von 
Konsumenten, die erst dann dieses Gutes teilhaft werden können. 

Natürlich gibt es auch Fälle, wo Maschinenkraft Handkraft 
direkt ersetzt und mathematisch in Handkraft umgesetzt und aus- 
gedrückt werden kann, und wo das Kapital eine enorme numerische 


Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 593 


Produktivität, eine gewaltige Eroberung von Naturkraft und tech- 
nische Nutzung bezeichnet. Kräne zum Winden, Maschinen zur 
Verarbeitung von Schuhen, Nähmaschinen und Strickmaschinen wer- 
den erfunden. Und man kann ja doch nicht sagen, dab die Be- 
dürfnisse z.B. durch die Schuhfabrikation merklich umgeformt 
werden. — Und wenn alle Arbeit in einer einzelnen Branche, wie 
z. B. beim Warentransport, allein durch menschliche Arbeit aus- 
geführt werden sollte, so wäre sicherlich alle Arbeitskraft der Welt 
zusammengenommen quantitativ nicht ausreichend zu dieser einen 
Arbeit. 

Soll man dies nun aber eine quantitative oder eine qualitative 
Produktivität nennen? Bedeutet es recht eigentlich mehr Transport, 
oder mehr von all den andern Zweigen, die zur Kulturwirksamkeit 
gehören? Als Roschers armes Fischervolk seinen ersten Fischfang- 
apparat bekam, so bedeutete das sicherlich nicht mehr Fisch, sondern 
mehr von allen andern Gütern des Lebens. Und hätten sie nur 
Fisch bedeutet, so wäre das arme Fischervolk ebenso arm geblieben, 
wie vorher. Also selbst da, wo die Produktivität ausschließlich 
quantitativ numerisch ist, ist ihre Bedeutung doch wesentlich eine 
qualitativ kulturelle. 

Hier kommt noch ein weiteres Moment hinzu, wodurch es zur 
Unmöglichkeit wird, einen rein quantitativen Maßstab anzulegen. 
Nämlich all der Stoff, den das Kapital verschlingt und den man in 
dem fertig verarbeiteten Produkt nicht wiederfindet. Der Stoff des 
Kapitals selbst ist inkommensurabel mit dem endlichen Produkt, 
das das Kapital produktiv macht. 

Wenn nun aber die Produktivität rein quantitativ nicht meßbar 
ist und nicht durch Zahlen ausgedrückt werden kann, womit soll 
sie denn eigentlich gemessen werden? Sie ist ja eine Kraft, wenn 
auch zunächst eine ökonomische. Und eine Kraft muß auf irgend- 
eine Weise ausgedrückt werden können. Sollte man sie vielleicht 
mit Hilfe der gewonnenen Naturkraft, in Pferdestärken ausgedrückt, 
oder einer andern Einheit vergleichen? 

In der Oekonomie wäre das kaum tunlich. Eine Nähmaschine 
z. B. entwickelt ja überhaupt keinerlei Kraft. Sie muß erst selbst 
durch Kraft getrieben werden. Doch, einmal in Bewegung gesetzt, 
führt sie eine Arbeit aus, die in Pferdestärken auszudrücken absolut. 
keinen Sinn hätte. Die Produktivität in Pferdestärken auszudrücken, 
wäre also in der Oekonomie eine Unmöglichkeit. Das durch die 
Tätigkeit erzielte Resultat ist in der Oekonomie das Wesentliche. 

Dahingegen würde es sich vielleicht machen lassen, einen 
technischen Maßstab an das produktive Resultat der Tätigkeit 
in der Oekonomie anzulegen. Man hat ja einen technischen Nutz- 
begriff. Der Nutzen in der Technik beruht auf der Brauchbarkeit 
des Dinges zu einem bestimmten technischen Zweck, z. B. der 
Brauchbarkeit eines Schlosses zum Schutz des unter Verschluß Be- 
findlichen. Dieser Nutzen kann größer oder kleiner sein, das Ding 
kann zu dem bestimmten Zweck mehr oder weniger brauchbar sein. 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 38 


594 K. Schönheyder, 


Das Ding kann dienlich oder nützlich sein zu einem bestimmten 
Zweck, aber zu einem anderen ganz unbrauchbar. Doch — Vergleiche 
anzustellen zwischen dem Nutzen oder der Brauchbarkeit verschie- 
dener Dinge zu verschiedenen Zwecken, ist, technisch gesehen, nicht 
tunlich. Dinge, die verschiedenen Zwecken dienen, sind technisch 
ganz inkommensurabel.e Der rein technische Nutzen z.B. eines 
Regenschirms und eines Gewehrs läßt sich nicht vergleichen. Es 
sind beides in Beziehung auf ihren speziellen Zweck nützliche oder 
zweckmäßige Gegenstände. Aber man kann nicht sagen, der Regen- 
schirm sei nützlicher als Schutz gegen Regen, als das Gewehr zu 
seinem Zweck. 

Dagegen hat man einen Maßstab für die Produktivität, der 
spezifisch ökonomisch ist. Man kann nämlich die Produktivität mit 
Hilfe von Wert ausdrücken, oder besser: man kann die Produktivität 
ökonomisch nicht anders als durch Wert ausdrücken. Wert ist 
nämlich der ökonomische Maßstab für die Dinge, ganz wie die 
Kraft in der Mechanik und der Nutzen in der Technik. 

Eine Wage mit Gewichten, eine Dampfmaschine führt in der 
Mechanik eine mechanische Funktion, in der Oekonomie eine öko- 
nomische Funktion aus. Ein Schlüssel, eine Nähmaschine — führt in 
der Technik eine technische Funktion, in der Oekonomie eine öko- 
nomischeFunktion aus. Und diese ökonomische Funktion ist in beiden 
Fällen die gleiche, — Befriedigung zu erzeugen. — Um zwischen 
den qualitativ verschiedenen Dingen, die die verschiedenen Formen 
der Wirksamkeit hervorbringen, Vergleiche anstellen zu können, 
muß man das ökonomische Wertmaß an die Dinge legen. 

Es verhält sich also nicht allein so, wie Böhm-Bawerk mit 
so großem Nachdruck geltend macht, daß ein Ding die Produktivität 
als Quantitätsfrage, ein ganz anderes die Produktivität als Wert- 
frage ist. Nein, es ist viel mehr, daß es nämlich, ökonomisch ge- 
sehen, in Wirklichkeit nur ein Ding gibt: die Produktivität als 
Qualitäts- oder Wertfrage. Die Produktivität ist eine rein ökonomi- 
sche Frage, für die es nur einen einzigen Maßstab, den ökonomischen 
Maßstab, den Wert gibt. 

Was ist nun also die eigentliche Ursache zu diesem ökonomi- 
schen Phänomen, — der Wertproduktivität des Kapitals? 

Als Wertphänomen wird die Produktivität des Kapitals zu der 
großen und brennenden Frage in der ökonomischen Wissenschaft. 
Diese Frage hat jedoch zwei Seiten. Erstens: was ist die ökonomischa 
Ursache, daß das Kapital den Wert des Ertrages der Tätigkeit ver- 
mehrt? Zweitens: woher kommt es, daß die Wertvermehrung sich 
auf eine Weise verteilt, daß sie der Arbeit nicht ausschließlich zu- 
gute kommt? — Die erste Frage ist eine rein produktivökonomische, 
die zweite eine sozialökonomische. 

Diese beiden in Wirklichkeit so verschiedenen Fragen hat man 
in der ökonomischen Wissenschaft nie ganz auseinanderzuhalten 
vermocht. Teils hat man in der Kapitalrente eine natürliche Folge 
von der technischen Produktivität des Kapitals gesehen und einen 
Strich durch die soziale Seite der Sache gemacht. Teils hat man — 


Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 595 


im Gefühl der Unzulänglichkeit der rein technischen Begründun 
der Produktivität — versucht, sie dadurch zu stützen, daß man si 
an ein ökonomisches Moment des Kapitals gehalten hat, das mit 
seiner Produktivität durchaus nichts zu tun hat. 

Letzteres ist der Fall mit der Theorie, die die Produktivität 
des Kapitals direkt mit dem Zeitmonat in der Kapitalwirksamkeit 
in Verbindung gesetzt hat. — Böhm-Bawerks bekannte Theorie 
stellt ja die ökonomische These auf, daß Güter, die der Konsumtion 
zugängig sind, im Augenblick wertvoller sind, als dieselben Güter, 
wenn sie erst in Zukunft zugängig sind. Dies ist eine Folge der per- 
spektivischen Verkleinerung, in der die Menschen die Bedürfnisse 
und Bedarfsmittel der Zukunft sehen. Das Charakteristische an den 
Kapitalgütern ist nach Böhm-Bawerk gerade das, daß sie der 
Konsumtion im Augenblick nicht zugängig sind, sondern einen 
kürzeren oder längeren Reifeprozeß durchzumachen haben. Hieraus 
wird nun geschlossen, daß der endliche Wert dann teilweise eben 
diesem Reifeprozeß zugeschrieben werden muß, oder dem Umstand, 
daß die Güter, die vormals nur zukunitige, der Konsumtion unzu- 
gängliche Güter waren, im Laufe der Zeit vorwärtsschreiten und 
immer an Wert gewinnen, durch den Umstand, daß sie sich dem 
Konsumtionsaugenblick nähern. So daß die Ursache zu der Produk- 
tivität des Kapitals eben gerade die ist, daß man in der Kapital- 
produktion nicht allein mit Arbeit, sondern auch mit Zeit produziert. 

Dieser ökonomische Reifeprozeß, der während der Kapital- 
produktion vor sich geht, ist indessen keine Eigentümlichkeit des 
Kapitals. Das Bild einer solchen Reife ist ja direkt aus der Natur 
geholt. Diese Reife geht ja tagaus, tagein überall vor unseren 
Augen vor sich. Ja, sie geht tagtäglich mit den Bedürfnissen 
selbst vor sich. 

Alle Produktion, alle Tätigkeit, alle Konsumtion geht in der 
Zeit vor sich. Wie die Zeit allmählich dahinschreitet, wächst Produkt 
auf Produkt, Konsumtionsmittel auf Konsumtionsmittel aus der 
Natur und der Arbeit und der Tätigkeit oder aus den instinktiven 
Lebensäußerungen des organischen Wesens hervor, um die Bedürf- 
nisse, die auch auf dieselbe Weise emporwachsen, zufriedenzu- 
stellen. Die Frage von der Produktivität des Kapitals stellt sich 
demnach so: weshalb ist der Reifeprozeß, der durch die 
Kapitalwirksamkeit vor sich geht, produktiver, als der, der 
ohne oder mit geringerem Kapital vor sich geht? 

Um beidieser Frage von der Produktivität desKapitals zur Klar- 
heit zu kommen, um den Kapitalreifeprozeß unter demselben Gesichts- 
winkel, wie den Naturreifeprozeß zu sehen, mußman die Produktions- 
formen, auf die es ankommt, in voller Tätigkeit, mit dem Kapital 
als feste und unveränderliche Größe der Tätigkeit, vergleichen, 
— Warum gibt denn da die eine Form der Tätigkeit, nach weicher 
die ökonomischen Güter auf die oder jene Weise reifen, einen 
größeren Wertertrag als eine andere Tätigkeit, wo die Reife auf 
eine andere Weise vor sich geht? — Die Beantwortung dieser Frage 

A8* 


596 K. Schönheyder, 


setzt voraus, daß man seinen Ausgangspunkt von der rein isolierten 
Tätigkeit nimmt und zeigt, wie die wertvermehrende Tendenz in der 
ökonomischen Natur des Kapitals selbst und des Wertes begründet ist. 

Die ökonomische Eigentümlichkeit der Werte ist, daß sie sich 
selbst aufheben oder negieren. Die Werte machen sich selbst über- 
flüssig. Ohne das wären sie kein Wert. Je größer die Menge eines 
bestimmten Gutes, über die das einzelne Individuum verfügt, um 
so kleiner ist die Bedeutung, die das Individuum jedem einzelnen 
Teil dieses Gutes zuschreibt. Der Grenzwert sinkt, je mehr die 
Quantität wächst, doch der Wert der gesamten Quantität, das 
Produkt: des Grenzwertes g und der Quantität k kann ab- oder zu- 
nehmen, je nachdem man sich den Grenzwert schnell oder langsam 
sinkend denkt. 

Wenn der Grenzwert schneller sinkt, als die Quantität wächst, 
d.h. wenn g progressiv sinkt, wird das Wertprodukt ok mit der 
wachsenden Quantität des Gutes abnehmen. Sinkt dagegen g lang- 
samer, als k wächst, d. h. regressiv, so nimmt das Wertprodukt gk 
mit der wachsenden Quantität des Gutes zut). 

Derjenige, der für die kommende Woche nur imstande ist, sich 
ein einziges Brot zu verschaffen, und keinerlei andere Lebensmittel, 
wird diesem einen Brot einen ganz außerordentlichen Wert zu- 
schreiben. Ein Mensch kann auf die Dauer nicht von einem Brot 
pro Woche leben, und dieses eine Brot wird höchstens ausreichen, 
ihn vor den schlimmsten Hungersqualen, und zwar vielleicht nur 
für Augenblicke zu schützen. Wird er sich drei Brote verschaffen 
können, so muß er ganz naturgemäß jedem einzelnen der Brote einen 
bedeutend geringeren Wert beimessen. Von einer eigentlichen Hun- 
gersnot ist nicht mehr die Rede. Er kann einen Bedarf befriedigen, 
der in seinen Aeußerungsformen weit schwächer ist. Kann er sich 
vier Brote verschaffen, so wird der Wert jedes einzelnen bedenklich 
sinken. Er ist von Mangel jetzt so weit entfernt, daß im Gegenteil 
von Ueberfluß die Rede sein kann. Und kann er für seine Brote 
keine andere Anwendung finden, als sie selbst zu essen, wird er 
für das fünfte, geschweige denn das sechste und siebente sich nicht 
im geringsten anstrengen oder gar sich ein Opfer auferlegen. 

Man sieht also, daß eine so kleine Quantität, wie fünf oder 
sechs Brote, eine Wertskala von dem denkbar Höchsten und Mög- 
lichsten bis auf Null herab überspannt. Es kann keinem Zweifel 
unterliegen, daß der Grenzwert hier so schnell sinkt, daß jede be- 
liebige quantitative Vermehrung eine Wertverminderung der ge- 
samten Quantität bedeutet. Daß mit anderen Worten der Wert von 
drei Broten, wenn man sich so viel verschaffen kann, kleiner ist, 
als der Wert von zwei Broten, wenn man sich nur diese zwei ver- 
schaffen könnte. 

Annähernd ebenso wird es sich aber überall da verhalten, wo 
es eine rein quantitative Vermehrung gilt. Bei einer solchen rein 


1) Vergleiche meine Abhandlung Das Progressionsprinzip in der Besteue- 
rung“ in Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, 1911. 


Die Tätigkeit als Grundbegriff der Oekonomie und der Volkswirtschaft. 597 


quantitativen Vermehrung wird das Maximum der Werte und des 
Genusses, der Punkt, wo eine Erhöhung der Quantitäten nur eine 
Verminderung der Werte bedeuten kann, sehr schnell erreicht sein. 
Solange die Vermehrung innerhalb der Grenze des streng Not- 
wendigen zu liegen scheint, kann man noch davon ausgehen, daß 
die Vermehrung auch eine Vermehrung des Wertes bedeutet. So- 
bald indes der eigentliche Notstand aufgehört hat, und nur von der 
Befriedigung eines gewissen Ueberflußbedürfnisses die Rede sein 
kann, muß man annehmen, daß das Sinken des Grenzwertes so 
stark ist, daß der gesamte Wert — trotz der quantitativen Ver- 
mehrung — doch verringert wird, um schließlich, wenn der Ueber- 
fluß erreicht ist, ganz auf Null herabzusinken. 

Wenn also in einer Tätigkeit, in der kein absoluter Not- 
stand herrscht, mit der Vermehrung der Kapitalquantität 
in der Tätigkeit nichts anderes vorginge, als eine rein quan- 
titative Vermehrung im Ertrag der Tätigkeit, so würde 
diese Vermehrung immer eine Wertverringerung bedeuten 
müssen. 

Woher kommt denn nun der vermehrte Wert, den die ver- 
mehrte Kapitalmenge dem Ertrag der Tätigkeit gibt? — Die Wert- 
erhöhung schreibt sich eben von jener ökonomischen Eigentümlich- 
keit des Kapitals her, die in der vorliegenden Abhandlung näher 
entwickelt und begründet ist, nämlich, daß das Kapital eine quali- 
tative Bereicherung, eine neue Form der Tätigkeit und Bedarfs- 
befriedigung bezeichnet. 

Der Kulturmensch ist reicher als der Naturmensch, nicht weil er 
seinen Bedarf in größerer Ausdehnung befriedigt, sondern weil 
seine Bedarfsbefriedigung sich über einen sehr viel größeren Kreis 
von Bedürfnissen erstreckt. Je entwickelter die Umformung der 
Bedarfsmittel, — je reichere Variationen die im übrigen verwandten 
Güter bieten können, desto schneller wird das Sinken des Grenz- 
wertes abnehmen. — Ist nur von dem ökonomischen Nährwert der 
Güter die Rede, so ist man bald befriedigt. Was indessen die spe- 
ziellen Geschmackseigenschaften der Güter betrifft, so kommt es 
oft vor, daß die Augen größer sind, als der Magen. Wo es nichts 
als Schutz gegen Wind und Wetter gilt, sinkt der Bedarf bald auf 
den Nullpunkt. Hinsichtlich der Bequemlichkeit und des Komforts 
in einer Wohnung gibt es hingegen keine Grenzen für die An- 
sprüche, die man stellen kann. Doch alles dies gilt in noch viel aus- 
geprägterem Grade da, wo die Kapitalvermehrung eine ganz neue 
Reihe von Bedarfsbefriedigung bedeutet. Diese Reihen, deren An- 
zahl mit dem Kapital fortwährend wächst, sind ein neues Niveau 
für die Tätigkeit, das dem Kapital seine Wertproduktivität gibt. 

Das Kapital ist die große Kulturmacht, die den Menschen eine 
weitere Grundlage für ihre Tätigkeit verleiht. Ohne Kapital ist 
die Tätigkeit wie ein einziger Ton, mit Kapital wird sie die große 
Symphonie. 

Was das Kapital und die Kapitalvermehrung produktiv macht, 
ist also nicht eine gewisse quantitative Vermehrung des 


598 K. Schönheyder, Die Tötigkeit als Grundbegriff der Oekonomie usw. 


Ertrages innerhalb eines bestimmten Zweiges der Tätigkeit. 
Die Produktivität der Kapitalvermehrung liegt in dem veränderten 
Charakter, den sie der Tätigkeit und Bedarfsbefriedigung im all- 
gemeinen verleiht. Und dieser veränderte Charakter springt uns 
am deutlichsten in die Augen, wenn man zwei Zeitperioden, die 
durch einen längeren Zeitraum getrennt sind, oder zwei verschiedene 
Kulturstufen miteinander vergleicht. In dieser Verwandlungsfähig- 
keit des Kapitals offenbart sich seine Produktivität, seine wert- 
erhöhende Macht. 

Dieses Verhältnis wird in der sozialen Tätigkeit mit ihren 
sozialen Werten und sozialen Verhältnissen zum Teil verdunkelt. 
Während es der isolierten Tätigkeit darum zu tun ist, den größt- 
möglichen Ertrag der gesamten Tätigkeit, nicht eines einzelnen 
Zweiges der Tätigkeit zu erreichen, ist es natürlich vom Gesichts- 
punkt des privaten Kapitalisten völlig gleichgültig, ob der gesamte 
Ertrag in der sozialen Tätigkeit der größtmögliche ist oder nicht, 
wenn er nur den größtmöglichen Ertrag für seine eigene Produktion 
erreicht. Daß diese beiden Dinge nicht zusammenzufallen brauchen, 
— ja, daß sie in Wirklichkeit im Streit miteinander sind, liegt in 
der Natur der Sache. 

Der Grund, warum die soziale Gesellschaft sich darein finden 
muß, daß die Rücksicht auf die allgemeine gesellschaftliche Pro- 
duktivität der Rücksicht auf die Rentabilität des privaten Kapitals 
weichen muß, ist ein sozialökonomisches Problem, dessen Lösung 
die Entwicklung einer anderen Seite des Kapitals als ökonomisches 
Phänomen fordert, — des Kapitals als sozialer Faktor. 

Die in der vorliegenden Abhandlung dargestellte Seite des 
Kapitalsphänomens, — das Kapital als produktiver Faktor und 
Grundlage der planmäßig fortgesetzten, stetigen Tätigkeit und Be- 
darfsbefriedigung, — seine Umformung durch die Tätigkeit, mit 
der daraus folgenden qualitativen und kulturellen Bereicherung, 
das ist das Fundament für das ökonomische Leben und die ökonomi- 
sche Wissenschaft. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 599 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 


IV. 
Die amerikanische Bankreform. 
Von 
L. Bendix, und Dr. J. Jastrow, 
Docent an der New York University Professor an der Universität Berlin. 


Während die große amerikanische Bankreform sich den letzten 
Stadien ihrer tatsächlichen Ausführung nähert, ist der Weltkrieg des 
Jahres 1914 entbrannt und hat jener Reform nicht nur für die Ver- 
einigten Staaten selbst, sondern auch für Europa eine noch viel höhere 
Bedeutung gegeben, als man schon bei ihrer Inangriffnahme voraus- 
sehen mußte. Noch einmal hat sich in aller erschreckenden Deutlichkeit 
gezeigt, daß die Union, solange sie auf ihre alte rückständige Bank- 
verfassung angewiesen ist, Geld- und Kreditkrisen heftiger als jedes 
andere Land empfindet. Man kann ohne Uebertreibung sagen, daß der 
europäische Krieg in den Vereinigten Staaten eine größere finanzielle 
Verwirrung hervorgerufen hat, als bei irgendeiner der direkt beteiligten 
Mächte. In der Bewegung der fremdländischen Wechselkurse an der 
New Yorker Börse ist dies unwiderlegbar zum Ausdruck gekommen. 
So stieg beispielsweise der englische Wechselkurs, dessen oberer Gold- 
punkt mit ungefähr 4,881/, $ für das Pfund Sterling anzunehmen ist, 
bereits in der Woche vom 24. zum 31. August von 4,873/, $ auf 
6,35 $, was einem Agio des englischen Wechselkurses von 13,3 Proz. 
entsprach. Der äußere Grund dieser beispiellosen Bewegung ist be- 
kannt. Von Europa aus waren in den Tagen vor dem Kriegsausbruch in 
erheblichen Beträgen amerikanische Wertpapiere verkauft worden, um 
auf diese Weise die Goldkriegsvorräte zu vermehren. Die sich daraus 
ergebende Steigerung der fremden Wechselkurse an der New Yorker 
Börse machte die Ausfuhr von Gold nach Europa erforderlich, die aber 
durch den Ausbruch des Krieges verhindert wurde. Dadurch war die 
amerikanische Bankwelt, wenn sie ihre Verpflichtungen gegenüber dem 
Auslande erfüllen wollte, in die Notlage versetzt, telegraphische Aus- 
zahlung auf europäische Plätze, insbesondere auf London zu jedem 
Preise zu erwerben. Dies aber ist lediglich der äußere Grund für das 
Versagen des amerikanischen Geldmarktes. Wäre das am 23. Dezember 
1913 zur Annahme gelangte neue amerikanische Bankgesetz im Juli 
dieses Jahres bereits in Wirkung gewesen, so würden sich die Dinge 
fraglos ganz anders abgespielt haben. 


600 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Die fernere Entwicklung hat deutlich den Verlauf gezeigt, den der 
Vorgang bei Vorhandensein einer Zentralreserve gleich bei Beginn des 
Krieges gehabt hätte. In dem Augenblick nämlich, als der Federal 
Reservo Board zur Ansammlung eines besonderen „gold-pool‘‘ von 
100 Mill. $ seine Zustimmung erteiltel), haben die Wechselkurse 
wieder einen annähernd normalen Stand erreicht. Für das regelmäßige 
Funktionieren des Geld- und Kreditverkehrs in den Vereinigten Staaten 
ist allerdings nicht nur die volle Durchführung des neuen amerikanischen 
Bankgesetzes, sondern vor allem auch die Bildung eines amerikanischen 
Geldmarktes von internationaler Bedeutung erforderlich. Man muß sich 
klar machen, daß im Weltzahlungsverkehr die Vereinigten Staaten von 
Nordamerika bisher lediglich eine Provinz des Sterlingwechsels waren. 
Es gehört zu den merkwürdigsten Beweisen für den konservativen 
Charakter gewisser Handelsinstitutionen, daß dieses Land mit leben- 
sprühender Wirtschaftsentwicklung sich nicht zu dem Ehrgeize ver- 
stiegen hat, ein eigenes papierenes Zahlungsmittel in den Weltverkehr 
hineinzuwerfen, sondern bis auf den heutigen Tag sich der europäischen 
Wechsel bedient hat, die die Union bei ihrer Begründung als herrschend 
vorfand. Weil infolgedessen dem Wechsel sozusagen die Spitze seiner 
Karriere fehlte, hat er auch in der unteren, inländischen Stufe des 
Verkehrslebens nicht die Rolle wie bei uns gespielt. Die schwerfällige 
und weniger durchsichtige Form des Solawechsels, bei uns auf den 
Kleinverkehr und gewisse Ausnahmefälle beschränkt, ist in Amerika 
üblich geblieben?). Damit hängt es zusammen, daß für die amerika- 
nischen Zettelbanken im Unterschiede von den europäischen die Wechsel- 
diskontierung als Hauptbetätigung nicht in Betracht kam. Nun kann 
es von ausschlaggebender Bedeutung werden, daß die Bankreform, die 
eigentlich erst einen selbständigen amerikanischen Wechsel schafft, zeit- 
lich mit der Kriegskrisis zusammenfällt, die zunächst wenigstens den 
Sterlingwechsel entthront. Zusammengenommen mit dem den Banken 
verliehenen Rechte, Auslandsfilialen zu errichten, kann dies dazu führen, 
die Flut des Dollarwechsels in die Ebbe des Sterlingwechsels hinein- 
zuleiten 3). Und wenn auch die Handelsgeschichte lehrt, daß Geldein- 
richtungen, die Jahrhunderte hindurch bestanden haben, einer noch so 
starken einmaligen Erschütterung nicht ohne jede Möglichkeit der Er- 
holung erliegen, so werden doch ganz sicher für einen Ansturm des 


1) Aus diesem Pool sollen die europäischen Verpflichtungen derartig ab- 
getragen werden, daß ein Teil nach Canada übergeführt, der andere aber als 
Goldguthaben den ausländischen Gläubigern zur Verfügung gestellt wird. — Vgl. 
durchweg: Bendix, Die amerikanische Volkswirtschaft unter dem ersten Ein- 
fluß des amerikanischen Krieges in dem „‚Kriegsheft‘‘ des „Archivs für Sozial- 
wissenschaft‘ 1914. 

2) Vgl. Jastrow, Finanz- und Handelsblatt der Vossischen Zeitung vom 
14. April 1914. 

3) Die größte der amerikanischen Privatbanken, die in New York domi- 
zilierende National City Bank, hat bereits Ende August — wie es die neue ge- 
setzliche Vorschrift verlangt — bei dem FRBoard um die Erlaubnis zur Errich- 
tung von Zweigniederlassungen in Rio de Janeiro, Buenos Aires und Valparaiso 
nachgesucht. Auf den Antrag ist umgehend die Zustimmung gefolgt. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 601 


jungen Dollar- gegen den alten Sterlingwechsel die Chancen bei der 
Ausführung des neuen amerikanischen Bankgesetzes ungleich günstiger 
und verheißungsvoller sein, als man bei dem Gesetzgebungsakte selbst 
annehmen konnte. 

Aus diesem Grunde haben wir in diesen einleitenden Worten die 
Stellung des Bankgesetzes zum Wechselverkehr vorweggenommen. Es 
zeigt dio Seite, die im Augenblick das größte Interesse hat. Orga- 
nisch aber liegt der Wert des Gesetzes in seinen Zentralisierungsbestim- 
mungen. Während die Vereinigten Staaten mit über 7500 National- 
banken bisher das Beispiel der weitestgehenden Dezentralisation zeigten, 
führt das neue Gesetz zwar nicht ein Zentralnoteninstitut ein, aber es 
schafft doch in jedem der 12 Distrikte, in die die Union eingeteilt wird, 
eine gewisse Zusammenfassung durch Einrichtung je einer „Federal 
Reserve Bank“, die alle zusammen eine Spitze in Washington erhalten. 

Eine genaue Kenntnis der neuen Bankverfassung kann man ohne 
den Wortlaut des Gesetzes nicht erhalten. Mit diesem Wortlaut freilich 
auch nicht. Denn nicht nur, daß die amerikanischen Gesetze in Wulst 
und Schwulst des Ausdrucks, in lächerlicher Wiederholung gleich- 
bedeutender, in Anhängung nichtssagender Redewendungen ihre eng- 
lischen Vorbilder pomphaft zu überbieten suchen: die anscheinende 
Pedanterie ist noch nicht einmal Uebertreibung eines Strebens nach 
Korrektheit. Dieses Streben sucht man in dem Gesstze vergebens. Die 
Nachlässigkeit der Gesetzesarbeit steigert sich in manchen Teilen bis 
zur Liederlichkeit. Durch Satzungeheuer peinlich gehäufter juristischer 
Formeln muß man sich durcharbeiten, um schließlich einzusehen, daß 
der Verfasser sich um das, was er sagen will, nur allzuwenig Sorge ge- 
macht hat. Das sachlich klug und besonnen aufgebaute Gesetzgebungs- 
werk hat eine äußere Form erhalten, die seiner Bedeutung nicht ent- 
spricht. 

Aus diesen Gründen haben wir zwar großes Gewicht darauf gelegt, 
dem deutschen Leser eine ungekürzte wortgetreue Uebersetzung des 
Gesetzestextes zu geben, aber wir haben die Bezeichnung „wortgetreu“ 
nicht mechanisch gefaßt. Nach den für die Lektüre bewährten Grund- 
sätzen eines bereits veröffentlichten Auszuges!) sind lediglich floskel- 
hafte Wendungen weggelassen, d. h. solche Wendungen, bei denen durch 
genaue Prüfung festgestellt ist, daß sie dem Inhalte nichts hinzu- 
fügen. Um von der abschreckenden Sprache des Originals auch in der 
Uebersetzung ein Bild zu geben, bleibt an Beispielen solcher Floskeln 
immerhin noch genug übrig. — Da aber aus sachlichen Gründen das 
Gesetz für den deutschen Leser nur verständlich ist, wenn auf die Be- 
deutung der einzelnen Bestimmungen vorher aufmerksam gemacht wird, 
so haben wir für die wichtigsten dieser Bestimmungen einen darstellen- 
den Teil vorangeschickt. Wir sind bemüht gewesen, diesen so zu halten, 
daß er gleichzeitig als Kommentar zu den entsprechenden „Sektionen“ 
gelten kann. 


1) Jastrow, Textbücher zu Studien über Wirtschaft und Staat. Bd. 4. 
Geld und Kredit (Berlin 1914) S. 160—167. 


602 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


I. Allgemeines. 


In der Federal-Reserve-Acte vom 23. Dezember 1913 sind zwei 
Bills verkörpert, die Glass bill und die Owen bill. Jene hat ihren 
Namen nach dem Vorsitzenden der Bankkommission des Repräsentanten- 
hauses, diese nach dem Vorsitzenden des Senatsausschusses für Bank- 
wesen erhalten. Diese beiden Bills haben den Kongreß über ein halbes 
Jahr beschäftigt. Sie aber zu einem einheitlichen Ganzen zusammen- 
zufassen, fehlte es schließlich an Zeit. Nachdem der Senat seine eigene 
Bill, die Owen’sche, mit einigen Abänderungen angenommen hatte, han- 
delte es sich darum, zwischen dieser und der Glass bill ein Kompromiß 
zu schaffen. Damit hatte sich der aus Vertretern beider Häuser zu- 
sammengesetzte Konferenzausschuß zu befassen. Dieser trat am 20. De- 
zember zusammen; bis Weihnachten sollte die Gesetzgebung unbedingt 
zustande gebracht werden, um so mehr als Präsident Wilson in jener 
Zeit dringend einer Erholung bedurfte. Somit blieben diesem Ausschuß 
nur 3 Tage für seine Beratung und für Redigierung des Kompromiß- 
entwurfes. 

Der wesentliche Inhalt der FRActe läßt sich, wie folgt, skizzieren: 

Es wird eine neue Art von Banken geschaffen, die den Namen 
FRBanken erhalten. Die Anzahl dieser in den verschiedenen Teilen der 
Union zu errichtenden Banken ist im Gesetz nur insofern bestimmt 
worden, als die Höchstzahl auf 12 und die Mindestzahl auf 8 fest- 
gesetzt worden ist!). 

Jede Nationalbank muß innerhalb eines Jahres nach Erlaß des 
Gesetzes Mitglied der in dem Distrikt befindlichen FRBank werden. 
Die sogenannten Staatenbanken (d. h. Banken mit Konzession der 
Einzelstaaten) und Trust-Bankgesellschaften können, wenn sie beson- 
deren Vorbedingungen entsprechen, Mitglieder werden. Die Mitglied- 
schaft ist an den Erwerb und Besitz eines FRBankanteils gebunden, und 
zwar muß jede Mitgliedsbank mit 6 Proz. ihres Eigenkapitals und der 
Reserven an der in ihrem Distrikt liegenden FR Dank beteiligt sein 21. 
Bei Erhöhungen oder Ermäßigungen des Kapitals oder der Reserven tritt 


1) Der Reservebank-Organisationsausschuß, dessen Bildung und Tätigkeit 
im Gesetz genau vorgeschrieben ist, hat sich nach eingehenden Verhandlungen für 
zwölf Banken entschieden, und zwar an folgenden Orten: New York, Phila- 
delphia, Cleveland, Richmond, Atlanta, Chicago, St. Louis, Minneapolis, Kansas 
City, Dallas (Texas), San Francisco. 

2) Bei aller Kompliziertheit der Vorschriften im einzelnen ist also Prinzip 
und Sinn dieser „Reserve“ einfach und klar. Daß bei uns auch das Prinzip der 
Neuerung vielfach nicht verstanden wird, hat seinen Grund in einer bloßen 
Aeußerlichkeit. Das Wort ‚‚Reserve“ spielte nämlich schon in dem bisherigen 
amerikanischen Banksystem eine Rolle. Die ‚Country Banks‘ an kleineren Orten 
unterhielten Agenten an den größeren Plätzen und waren befugt, ihre Reserven 
zum Teil bei diesen Agenten in den (danach so benannten) „Reserve Cities“ zu 
unterhalten; ebenso wie die Banken der größeren Plätze in einer der drei „Central 
Reserve Cities“ (New York, Chicago, St. Louis). Aber diese Einrichtung (die 
als bloße Klassifizierung der Bankplätze bestehen bleibt) hat mit den neuen 
„Federal Reserve Banks“ nichts zu tun, und es wäre besser gewesen, für die 
neue Sache einen neuen Namen zu wählen oder die alte Bezeichnung abzuschaffen. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 603 


‚eine entsprechende Aenderung des Anteils ein. Infolgedessen wird das 
Kapital der Reservebanken ständig schwanken, je nachdem Mitglieder 
ein- und austreten oder Erhöhungen bzw. Herabsetzungen ihres Grund- 
kapitals oder der Reserven vornehmen (Sect. 2)1). 

Die Reservebanken werden von einem aus 9 Mitgliedern bestehen- 
den Direktorium geleitet. Das Direktorium ist aus 3 Klassen zusammen- 
gesetzt, und zwar werden gewählt: 

die Mitglieder der Klasse A, von den Banken als deren Vertreter, 

die Mitglieder der Klasse B, als Vertreter von Handel und Indu- 
strie, von dem FRBoard, 

die Mitglieder der Klasse C, als Vertreter des Board. 

Das Board bestimmt gleichzeitig, wer von den Mitgliedern der 
Klasso C das Amt der FRAgenten bzw. des FRAgent-Stellvertreters be- 
kleiden soll. Der FRAgent ist Vorsitzender des Direktoriums. (Sect. 4.) 

Als drittes Glied der neuen Organisation wird das Federal-Advisory- 
Council (Federal-Beratungsausschuß) geschaffen. Jede FRBank wählt. 
aus ihrem Distrikt eine für dieses Amt geeignete Person als Mitglied 
des Federal-Advisory-Oouncil. Die Rechte des Federal-Advisory-Council 
sind auf Beratungen über die allgemeine Geschäftslage beschränkt. Im 
übrigen steht dem Couneil Vorschlagsrecht in bezug auf die Festsetzung 
der Diskontsätze und die Geschäftsführung der Banken im allge- 
meinen zu. 

Das Federal-Advisory-Council muß mindestens viermal jährlich in 
Washington einberufen werden. (Sect. 12.) 

Der Geschäftskreis der FRBanken ist, wie folgt, abgegrenzt: 

a) Annahme von Depositen, 

b) Ueberweisung und Giroverkehr, 

c) Notenausgabe, 

d) Diskontierung von Wechseln, 

e) Handel in Geldbarren und Münzen, 

f) Erteilung von Vorschüssen auf Geld oder Aufnahme von Dar- 
lehen in Geld, 

g) Kauf und Verkauf von Wertpapieren. 

Des weiteren ist die Tätigkeit der FRBanken durch eine Anzahl 
von Bestimmungen eingeschränkt, und zwar 


A. Hinsichtlich der Annahme von Depositen. 


a) Der Depositenverkehr darf nur mit der Regierung und den Mitglieds- 
banken unterhalten werden ; 

b) den Mitgliedsbanken dürfen für die Depositen keine Zinsen vergütet 
werden. 


B. Hinsichtlich der Diskontierung von Wechseln. 


a) In bezug auf die Laufzeit: 
1. Mäer dürfen im allgemeinen nur eine Höchstlaufzeit von 90 Tagen 
a H 


1) Die Klammervermerke beziehen sich auf den im Anhang abgedruckten 
wörtlichen Text des (Gesetzes. 


604 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


2. Wechsel, die für die Zwecke der Landwirtschaft ausgestellt oder 
in Umlauf gesetzt werden, dürfen eine Laufzeit bis höchstens 
180 Tage haben. 

b) In bezug auf den Betrag: 

1. die Diskontierung von Bankakzepten ist auf die Hälfte des Aktien- 
kapitals und der Reserven der rediskontierenden Bank beschränkt ; 

2. keine Bank darf mehr als 10 Proz. ihres Aktienkapitals und ihrer 
Reserven in Wechseln rediskontieren, die das Akzept oder Indossa- 
ment ein und derselben Firma tragen ; 

3. die für die Zwecke der Landwirtschaft zur Wee seet a 
langenden Wechsel mit einer mehr als 90-tägigen Laufzeit dürfen 
einen von dem FRBoard zu bestimmenden Prozentsatz des Aktien- 
kapitals der rediskontierenden Bank nicht überschreiten. 


C. Hinsichtlich des Handels in Wertpapieren. 

Der Handel ist auf Schatzanweisungen und Bonds der Vereini Staaten 
sowie kurzfristige Obligationen beschränkt. Zudem sollen für Käufe und Ver- 
kais dieser Art von dem FRBoard noch besondere Vorschriften erlassen 
werden. 
Schließlich sollen die Federalbanken im allgemeinen nur mit den Mit- 
gliedsbanken arbeiten. Am offenen Geldmarkt dürfen sie nur im Rahmen der 
von dem FRBoard für diesen Zweck besonders zu erlassenden Bestimmungen 
sich betätigen. 

D. Hinsichtlich der Notenausgabe. 

Die Ausgabe der neuen Noten erfolgt durch die Regierung. Die Noten 
werden durch die Federalbank nur in den Verkehr gebracht. Das Quantum 
der von den einzelnen Banken für diesen Zweck zu überlassenden Noten ist 
dem Ermessen des Board bzw. der FRAgenten vorbehalten. Die Ueberlassung 
der Noten erfolgt nur gegen Aushändigung eines gleichen Betra diskont- 
fähiger Wechsel. Ferner muß gegen den Notenumlauf eine Goldreserve von 
40 Proz. gehalten werden. Für die Ueberlassung der Noten ist eine Steuer zu 
entrichten, deren Höhe durch das Board von Fall zu Fall festgesetzt wird. 
Die an die Kassen der einzelnen Federalbanken gelangenden, von anderen 
FRBanken in den Umlauf gesetzten FRBanknoten dürfen nicht wieder in 
den Verkehr paent, sondern müssen der ausgebenden Bank zur Einlösung 
übersandt werden. 

Im übrigen stehen die FRBanken in allen ihren Geschäften unter 
der Oberaufsicht des FRBoard. Diese Behörde besteht aus zwei stän- 
digen Regierungsvertretern, dem jeweiligen Schatzsekretär (Secretary 
of the Treasury) und dem Währungskontrolleur (Comptroller of the 
Currency) sowie fünf von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten er- 
nannten Mitgliedern, deren Amtsdauer zunächst auf 2—10 Jahre fest- 
gesetzt ist. Spätere Ernennungen sollen aber auf 10 Jahre erfolgen, 
auch ist Wiederernennung nicht ausgeschlossen. 

Im einzelnen sind dem Board folgende Rechte eingeräumt: 

1) weitgehende Prüfung der Geschäftsbücher ; 

2) die Vorstandsbeamten und Aufsichtsräte der einzelnen FRBanken von 

ihrem Amte zu suspendieren oder zu entlassen ; 

3) Abschreibungen von Forderungen anzuordnen ; 

4) den Geschäftsbetrieb zu suspendieren, die betreffenden Banken vorüber- 

me zu verwalten und eventuell zu liquidieren oder zu Age det) 

5) Anordnung oder Erlaubnis der Wechseldiskontierung der FRBanken 

untereinander ; 

6) Aufhebung sämtlicher Reservevorschriften ; 

7) Ueberwachung und Regulierung der Ausgabe von FRXNoten; 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 605 


8) deu Charakter einzelner Städte als Central-Reserve-Citys bzw. Reserve- 
Citys zu bestimmen bzw. zu verändern; 

9) von den FRAgenten Sicherheitsleistung zu verlangen ; 

10) allgemeine Aufsicht über die FRBanken ; 

11) Nationalbanken den Charakter als eh ee zu verleihen, so- 
è weit dies nach den bestehenden Gesetzen möglich is 

Das Board ist verpflichtet, wöchentlich den Status der 12 Bänken 
zu veröffentlichen sowie jährlich einen ausführlichen Bericht über seine 


Tätigkeit dem Kongreß einzureichen. 


II. Die Notenausgabe!). 


Das neue Umlaufsmittel erhält den Namen ‚Federal-Reserve-Notes‘. 
Es ist formell Staatspapiergeld im älteren, weiteren Sinne, indem es 
dem Wortlaute nach, und sonst auch äußerlich, als von der Vereinigten 
Staaten-Regierung zur Ausgabe gelangt gekennzeichnet ist. Rechtlich 
sind diese FRNotes indessen ebenso einlösbares Staatspapiergeld wie 
auch einlösbare Banknoten, weil beide, die Regierung und die die Noten 
in den Verkehr bringenden Banken, zur Bareinlösung verpflichtet sind. 
Außerdem haben die Noten ein Vorzugsrecht auf die sämtlichen Aktiva 
der Banken. Ihrem Wesen nach sind die neuen Noten jedoch reine Bank- 
noten, weil sie teilweise durch bar und teilweise durch leicht realisier- 
bare Aktiva, nämlich kurzfristige Wechsel, gedeckt sein müssen. Auch 
sonst ist in der Gesetzgebung großer Wert darauf gelegt, ein allen 
Forderungen vorsichtiger Bankpolitik entsprechendes Umlaufsmittel zu 
schaffen. Deshalb sind nicht nur hinsichtlich der Deckung des Noten- 
umlaufs strenge, vielleicht sogar zu strenge Bestimmungen vorgesehen. 
sondern es ist auch dafür vorgesorgt, daß die zur Ausgabe gelangten 
Banknoten möglichst schnell wieder an die Banken zurückfließen. Die 
Bardeckungsvorschrift ist, wie eine ganze Anzahl anderer wichtiger Be- 
stimmungen des Gesetzes, der deutschen Bankverfassung nachgebildet. 
Indessen ist die Minimaldeckungsquote auf 40 Proz. festgesetzt wor- 
den gegenüber 331/, Proz. im deutschen Gesetze. (Sect. 16.) Darüber 
hinaus wird — gegenüber 662/, Proz. im deutschen Bankgesetze — 
für den vollen Betrag der in Umlauf gesetzten Banknoten Wechsel- 
deckung verlangt, so daß also die neuen amerikanischen Banknoten 
gewissermaßen mit mindestens 40 Proz. in bar überdeckt sein müssen. 
Freilich kann diese, vielleicht übertriebene Vorsicht, auch ihre Nachteile 
haben. Es ist sehr leicht möglich, daß eine 40-proz. Bardeckung für 
außergewöhnliche Zeiten zu hoch gegriffen ist, und daß dadurch die 
Tätigkeit der neuen Institute gerade dann in Frage gestellt werden kann, 
wenn eine möglichst willige Kreditgewährung durch Vermehrung der 
Notenausgabe zur Verhütung von Krisen dringend notwendig ist. Aller- 
dings sieht auch das Gesetz eine geringere Bardeckung vor; jedoch sind 
die Banken nur dann dazu berechtigt, wenn der Federal-Board die Auf- 


1) Die Bestimmungen über die Ausgabe der neuen FRNoten sind haupt- 
sächlich in Sect. 16 enthalten; die über die Ausgabe von Banknoten auf Grund 
des alten Nationalbankgesetzes sind in Sect. 4 und 18 zu suchen. 


606 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


hebung sämtlicher Reservevorschriften anordnen sollte. (Sect. 11c.) Es 
ist anzunehmen und zu erwarten, daß sich diese Aufsichtsbehörde 
hierzu nur in großer Notlage entschließen wird. Wollte sie anders han- 
deln und die Deckungsvorschriften bei regelmäßig wiederkehrender 
Geldknappheit aufheben, wie solche beispielsweise gelegentlich der Ein- 
bringung der Ernte in Amerika gewöhnlich auftritt, so würde diese Vor- 
schrift überhaupt ihren Wert als Präventiv gegen eine übermäßige 
Notenausgabe verlieren. 

Der schnelle Rückfluß der zur Ausgabe gelangten FRXNotes soll 
auf folgende Weise zweifach erreicht werden. Die FRNoten werden der- 
artig gekennzeichnet, daß jede FRBank für die von ihr in Verkehr ge- 
setzten Noten ein besonderes Merkmal hat; gelangt nun eine Banknote 
an die Schalter einer „fremden“ Federal-Bank, so darf diese die Note 
nicht wieder verausgaben, sondern muß sie der Ausgabebank zur Ein- 
lösung einreichen. Ferner werden die FRBanken für alle ihnen über- 
lassenen und in den Verkehr gesetzten Banknoten durch das Board be- 
lastet. Für den so entstehenden Schuldbetrag haben die Banken einen 
Zinssatz zu zahlen, dessen Höhe dem Ermessen des Board in jedem ein- 
zelnen Falle überlassen bleibt. Hierdurch erhält das Board einen sehr 
weitgehenden Einfluß auf das Notengeschäft; ganz abgesehen davon, 
daß ihm auch das Recht zusteht, den Banken die Ueberlassung von 
Noten überhaupt zu verweigern. 

In bezug auf die Notenstückelung ist das Gesetz einer neuen Rich- 
tung gefolgt und hat neben Noten von 100 und 50 $ auch kleine Ab- 
schnitte in Beträgen von 20, 10 und 5 $ vorgesehen. Während früher 
in der Theorie energisch der Standpunkt vertreten wurde: Der Charakter 
der Banknote als Kreditmittel müsse durch eine möglichst hohe Stücke- 
lung gesichert werden, wird heute in der kleinen Note das gegebene 
Mittel gesehen, durch das ein Noteninstitut seinen Goldbestand erhalten 
und sogar erhöhen kann. Der deutschen Reichsbank haben die „kleinen 
Noten“ (zu 50 und 20 M.) nicht nur beträchtliche Goldmengen zu- 
geführt, sondern sie haben jetzt auch mit dazu gedient, die durch den 
Krier: im Geldwesen entstandene Lücke auszufüllen. Zu berücksichtigen 
ist aber, daß sich die Reichsbank das Recht zur Verausgabung kleiner 
Noten erst zubilligen ließ, nachdem über den Zweck dieser Maßnahme 
in Fachkreisen keinerlei Zweifel entstehen konnten. Für Amerika trifft 
dieses Beispiel nicht zu, weil dort ein großer Teil des Goldes ohnehin 
beim Schatzamt konzentriert ist, und im Verkehr mit Ausnahme des 
Westens Gold überhaupt kaum kursiert. Deshalb wäre mit Rücksicht 
darauf, daß in Amerika ohnehin schon eine übergroße Anzahl kleiner 
Papiergeldzeichen besteht, die Stückelung der Noten besser nicht so weit 
nach unten vorgenommen worden. 

Neben den FRNotes können die FRBanken auch noch Banknoten 
auf Grundlage des veralteten Systems, d. h. gegen Deckung von Staats- 
schuldtitel zur Ausgabe zu bringen. Für derartige sich auch in der 
Form von den neuen FRXNotes unterscheidende Banknoten sind keine 
einschränkenden Bestimmungen vorgesehen (Sect. 4 No. 8). Indessen 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 607 


ist kaum anzunehmen, daß die Banken von diesem Rechte einen sehr 
weitgehenden Gebrauch machen werden. Es soll dadurch wohl nur deın 
Markt der United State- Bonds eine neue Absatzquelle erschlossen 
werden. 

Für den allmählichen Uebergang des alten Nationalbanksystems ist 
ein, 2 Jahre nach Erlaß des Gesetzes beginnender, Zeitraum von 
20 Jahren vorgesehen. Während dieser Periode können die National- 
banken ihr Notenrecht auf die FRBanken allmählich derart übertragen, 
daß diese jährlich bis zur Höhe von 25 Mill. United States-Bonds von 
jenen erwerben. Die FRBanken können alsdann gegen die so ange- 
kauften Bonds entweder Banknoten (auf Grund des alten Gesetzes) 
ausgeben oder sie gegen 3-proz. Bonds ohne Notenprivileg umtauschen. 
Ferner steht ihnen das Recht zu, die Hälfte der erworbenen Bonds 
gegen Schatzanweisungen mit einjähriger Laufzeit umzutauschen, jedoch 
übernehmen damit die Banken für 30 Jahre die Verpflichtung, diese 
Schatzanweisungen auf Ansuchen des Schatzamtssekretärs von Jahr zu 
Jahr zu verlängern. Somit kann von einer vollständigen Aufgabe des 
alten, unelastischen Notenbanksystems keine Rede sein. Es konnte aber 
wohl kaum anders vorgegangen werden, wenn man nicht über die wohl- 
erworbenen Rechte der bestehenden Nationalbanken einfach hinweggehen 
wollte. Der gefundene Ausweg erscheint recht und billig, und er er- 
öffnet zugleich die Aussicht auf eine Vereinfachung des gesamten Noten- 
bankwesens in zwar ziemlich langer, aber doch immerhin absehbarer 
Zeit. Auch ist wohl anzunehmen, daß, je besser sich die neuen Noten 
einbürgern werden, um so schneller die alten aus dem Verkehr ver- 
schwinden werden. Da der gegenwärtige Notenumlauf ca. 750 Mill. $ 
beträgt, wird das allerdings bei einer höchstzulässigen Verminderung 
von jährlich 25 Millionen in der ersten Zeit nicht in die Erscheinung 
treten (Sect. 18). 

Noch bevor die neuen FRNoten in den Verkehr gesetzt worden 
sind, haben übrigens die Vereinigten Staaten ein Notstandsgesetz er- 
halten, das nach einer auf die FRActe übergegangenen Gesetzgebung 
vom 30. Mai 1908 (der sogenannten Vreeland Aldrich-Bill) für Krisen- 
zeiten vorgesehen ist. Nach diesem Gesetze sollten die Nationalbanken- 
vereinigungen (die aus den Nationalbanken der einzelnen Städte gebildet 
werden) berechtigt sein, insgesamt bisher 500 Mill. $ solcher Notstands- 
Noten gegen Hinterlegung von Wechseln zur Ausgabe zu bringen. Dieses 
absoluto Maximum ist nun aber auf Grund der ersten Aenderung des 
neuen Gesetzes gefallen und der Betrag auf 125 Proz. von Kapital 
und Reserven der Banken erhöht, und ferner bestimmt worden, daß 
auch die dem FRSystem beigetretenen bzw. noch beitretenden Staaten- 
banken und Trustgesellschaften von diesem Rechte Gebrauch machen 
können. Zu hoffen ist, daß diese Noten nach Eintritt normaler Verhält- 
nisse bald wieder aus dem Verkehr verschwinden werden. Um das zu 
erreichen, sieht das Gesetz auch eine mit 3 Proz. per Jahr und nach 
dem ersten Vierteljahr von Monat zu Monat um 1/ Proz. bis auf 
6 Proz. steigende Besteuerung dieser Noten vor. 


608 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


II. Der offene Geldmarkt. 


Der wesentlichste Unterschied zwischen dem noch während der 
Präsidentschaft Tafts unter den Tisch gefallenen republikanischen 
Aldrich-Plan, und der in der FRActe verkörperten demokratischen Glass 
Owen-Bill, besteht in der verschiedentlichen Abgrenzung des Ge- 
schäftskreises der FRBanken. Während Aldrich mit seiner National- 
Reserve-Association lediglich eine Bank der Banken, und zwar nur 
eines kleineren Teiles derselben, nämlich der Nationalbanken, vorsah, er- 
öffnet die FRActe sowohl den Nationalbanken als auch den von den 
Einzelstaaten konzessionierten Banken, den sogenannten State-Banks und 
Trust-Companies, die Möglichkeit, dem neuen Banksystem als Mit- 
glieder beizutreten. Darüber hinaus sollen dann aber die einzelnen 
FRBanken berechtigt sein, mit dem offenen Geldmarkt zu verkehren, 
so oft ihnen dies im Interesse einer wirksamen Diskontpolitik zweck- 
mäßig oder notwendig erscheint. 

In dieser letzteren Bestimmung ist auch der große bankpolitische 
Vorzug des demokratischen Gesetzes gegenüber dem republikanischen 
Gesetzentwurf zu erblicken. Während nach diesem das Maß der Be- 
tätigung des Zentralinstituts ganz von dem freien Willen der National- 
banken abhängig gewesen wäre, ist es nunmehr in die Hand der ein- 
zelnen Federal-Banken gegeben, dieses Maß durch Betreibung einer 
entsprechenden Diskontpolitik und eventuelles Aufsuchen des offenen 
Marktes selbst zu bestimmen. Unglücklicherweise ist es gerade die die 
offenen Marktoperationen behandelnde Sektion 14, die die größten 
Schwächen in der Abfassung enthält. Es befinden sich in diesem Ab- 
schnitt (vgl. S. 630) eine Anzahl von Bestimmungen, die mit dem Geld- 
markt nichts zu tun haben, und eigentlich in den Abschnitt 13 hinein- 
gehören 1). 

Mit Recht hat die Gesetzgebung Wert darauf gelegt, daß die 
FR Banken, sofern sie an den offenen Geldmarkt herantreten, nur das 
beste Wechselmaterial erwerben. Ganz unverständlicherweise sind diese 
Wechsel nun aber für die Notendeckung unverwendbar gemacht worden. 
Die FRAgenten dürfen nämlich FRNotes nur für solche Wechsel ver- 
abfolgen, die den Vorschriften des Abschnittes 13 des Gesetzes ent- 
sprechen. Hierunter sind aber nur die seitens der FRBanken von den 
Mitgliedsbanken im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erworbenen 
Wechsel zu verstehen. Auf diese Weise sind die FRBanken natur- 
gemäß in ihrer Betätigung am offenen Geldmarkt sehr gehemmt. Es 


1) Dadurch könnte es sogar fraglich erscheinen, ob die FRBanken auch das 
Recht haben, Wechsel im offenen Geldmarkt zu kaufen. Während nämlich 
diesen Banken nach dem ersten Absatz des Abschnittes 14 dieses Recht fraglos 
zusteht, könnte aus den Worten „von Mitgliedsbanken zu kaufen und mit 
oder ohne ihre Unterschrift kaufmännische Wechsel zu verkaufen“ geschlossen 
werden, daß die FRBanken am offenen Markte mit Umgehung der Mitglieds- 
banken zwar rediskontieren, aber nicht diskontieren dürfen. Dieser Wider- 
spruch ist aber nur dadurch entstanden, daß sich in dem Abschnitt Bestimmungen 
befinden, die mit dem offenen Geldmarkt an sich nichts zu tun haben. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 609 


steht ihnen für diesen Zweck nur ein Teil der frei verfügbaren De- 
positengelder zur Verfügung, wobei sie aber mit großer Vorsicht zu 
Werke gehen müssen, eben weil die so erworbenen Wechsel auch im 
Notfalle nicht zur Notendeckung herangezogen werden können. Die 
Betreibung einer wirksamen Diskontpolitik oder gar die Erlangung einer 
gewissen Herrschaft über den offenen Geldmarkt wird durch diese ganz 
unzweckmäßige und wohl nur versehentlich erfolgte Einschränkung 
ungemein erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Wie verlautet, 
soll denn auch bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit durch 
eine entsprechende Aenderung des Gesetzes dieser Fehler gutgemacht 
werden 1). 

Die Bestimmungen über den Devisen- und Goldhandel sind gleich- 
falls in dem Abschnitt über den offenen Geldmarkt aufgenommen wor- 
den (Sect. 14a). Sie erscheinen durchaus ausreichend, um den FRBanken 
auf diesem wichtigen Gebiet eine hinlängliche Betätigung zu sichern, 
ganz besonders dadurch, daß die FRBanken berechtigt sind, im Auslande 
Agenturen zu errichten oder sich sonstwie Verbindungen zu schaffen, 
durch die sie an der Regelung des internationalen Geld- und Zahlungs- 
verkehrs wirksam teilnehmen können (Sect. 14e). 

In gleicher Weise vorsorglich ist an die Goldpolitik gedacht worden, 
indem den FRBanken nicht nur der Handel in Goldmünzen und -Barren 
im In- und Ausland freisteht, sondern sogar die Aufnahme von Gold- 
darlehen gegen Hinterlegung entsprechender Sicherheiten gestattet wor- 
den ist (Sect. 14a). 


IV. Die Nationalbanken. 


Wohl die schwierigste Aufgabe der Gesetzgebung bestand darin, 
die Nationalbanken in ihrer gegenwärtigen Machtstellung einzuengen und 
sie trotzdem für das neue System zu gewinnen. Um beides zu er- 
reichen, mußten einerseits diesen Banken neue Rechte eingeräumt, 
andererseits alte Rechte genommen werden.. Die Befugnis zu der — bis 
dahin nicht gestatteten — Wechselakzeptierung (Sect. 13 Abs. 6)?), zur 
Errichtung von Auslandsfilialen (Sect. 25), zur Gewährung von Dar- 
lehen auf landwirtschaftlichen Grund und Boden (Sect. 24) dienen dem 
ersten, die Aenderung der Depositenreservebestimmungen dem zweiten 
Zwecke (Sect. 19). In der Tat eine glückliche Lösung des schwierigen 
Problems, denn durch die den Nationalbanken erteilten neuen Rechte, 
insbesondere durch die Schaffung des Bankakzeptes und die Gestattung 
zur Errichtung von Auslandsfilialen werden sie für den Verlust ihres 
Notenmonopols durch die ihnen aus der Ausdehnung ihres Geschäfts- 
kreises erwachsenden Gewinne entschädigt, und gleichzeitig wird auch 
der Allgemeinheit damit gedient, indem erst durch diese Erweiterung 
die Begründung eines Geldmarktes von internationaler Bedeutung ermög- 


1) Eine diesbezügliche bill liegt gegenwärtig dem Bankausschuß des Senats 
zur Beratung vor. 

2) Diese Bestimmung befindet sich im Gesetz da, wo man sie am wenigsten 
vermutet — unter Rechte der FRBanken! Ein bezeichnendes Beispiel für die 
flüchtige Anordnung des Ganzen. 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 39 


610 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


licht wird. Ebenso gewähren die geänderten Reservebestimmungen 
einen doppelten Vorteil. Einerseits sichert die Ansammlung der Bar- 
reserven bei den den öffentlichen Interessen dienenden FRBanken der 
neuen Organisation einen sehr wünschenswerten Einfluß auf die Ge- 
schäftsführung der privaten Banken, und da andererseits ein Teil dieser 
bis dahin festgelegten und auch in Krisenzeiten unverwendbaren Re- 
serven künftig von FR Banken für die Betreibung ihrer Geschäfte benutzt 
werden, so werden diese ganz besonders in Notstandszeiten in der Lage 
sein, die im Geld- und Zahlungsverkehr entstehende Lücke durch reich- 
lichere Kreditgewährung auszugleichen. 

Die Aenderung des Reservesystems konnte jedoch nur derart durch- 
geführt werden, daß eine längere Uebergangsfrist bis zur vollständigen 
Durchführung des neuen Systems gegeben und gleichzeitig auch der 
Prozentsatz der von den Banken gegen ihre Depositen zu haltenden 
gesetzlichen Reserven vermindert wurden. Nach der Nationalbankgesetz- 
gebung hatten die sogenannten Landbanken eine gesetzliche Depositen- 
reserve von 15 Proz. zu halten, von denen sie einen Teil ihren Agenten 
in den Reserve- und Zentralreservestädten zuführen konnten. Für die 
Reservestädte und Zentralreservestädte betrug die gesetzliche Reserve 
25 Proz., von denen die ersteren die Hälfte zur zinstragenden Ver- 
wendung ihren Korrespondenten in den Zentralreservestädten zuführen 
durften. — Die neue Gesetzgebung ermäßigt nun die Sätze für die gesetz- 
lich zu haltenden Reserven, nimmt aber dafür den Landbanken und den 
Banken in den Reservestädten das Recht, einen Teil der Reserven ihren 
Verbindungen in den Reservestädten bzw. Zentralreservestädten zuzu- 
führen. Es wird ferner fortan zwischen kurzfristigen und langfristigen 
Depositen unterschieden und gefordert, daß für letztere durchweg eine 
Reserve von 5 Proz. gehalten werden muß. Hinsichtlich der kurzfristigen 
Depositen ordnet die Gesetzgebung an, daß die Landbanken 12 Proz., 
die Banken in den Reservestädten 15 Proz. und schließlich die Banken 
in den Zentralreservestädten 18 Proz. ihrer Depositen zu Reserve- 
zwecken abzusondern haben. Hiervon müssen nun bestimmte Prozent- 
sätze (vgl. Sect. 19) bei den FRBanken gehalten werden, einen anderen 
Teil müssen die Nationalbanken in eigener Verwahrung halten, und be- 
züglich eines Restes ist ihnen anheimgestellt, ob sie die Reserven ihren 
FRBanken zuführen oder selbst verwalten wollen. 

Vielleicht noch komplizierter sind die Bestimmungen, die auf das 
allmähliche Erlöschen des Notenprivilegs der Nationalbanken hinzielen. 
Auf sie ist bereits oben in der Ausführung über die Notenausgabe ver- 
wiesen worden. Der leitende Grundgedanke ist, daß das Notenrecht den 
Nationalbanken zwar belassen, ihnen aber auch ein Anreiz gegeben 
werden soll, dieses Recht durch Verkauf der gegen die Noten hinterlegten 
United States-Bonds auf die FRBanken zu übertragen. Indessen soll 
hiermit erst nach einer Frist von 2 Jahren begonnen werden, und in 
keinen Fall dürfen die Federal-Banken zusammen mehr als 25 Mill. $ 
United States-Bonds jährlich erwerben. Des weiteren zielt die Gesetz- 
gebung darauf hin, die durch Regierungsschulden gedeckten Banknoten 
allmählich dadurch eingehen zu lassen, daß sie den solche Bonds er- 
werbenden FRBanken anheimstellt, diese mit 2-proz. Verzinsung aus- 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 611 


gestatteten Schuldtitel in solche mit 3-proz. Verzinsung umzutauschen, 
jedoch mit der Maßgabe, daß gegen die letzteren Noten nicht ver- 
ausgabt werden dürfen. Und ebenso erlischt mit dem Umtausch der er- 
worbenen 2-proz. Bonds gegen Schatzanweisungen das Notenprivileg 
auf dio ersteren. Die vorstehenden Erläuterungen werden die im folgen- 
den abgedruckte Uebersetzung der FRActe hoffentlich verständlich 
machen. 


V. Bedeutung des Reformwerks. 


Ueber die Zweckmäßigkeit der neuen Gesetzgebung ist viel ge- 
schrieben und gestritten worden. Insbesondere ist in der deutschen 
Literatur häufig der Gedanke zum Ausdruck gebracht worden, daß die 
Gründung von Distriktsbanken nur ein halber Schritt auf dem Wege 
der Zentralisation im Notenbankwesen sei. Das neue System würde 
daher keinesfalls gleich gute Dienste leisten können wie das reine 
Zentralbanksystem 1). 

Endgültig kann nur die Praxis zeigen, ob eine derartige Befürch- 
tung begründet ist oder nicht. Für die gegenwärtige Beurteilung 
scheinen uns auch jetzt noch die Gesichtspunkte maßgebend, die Ben- 
dix in seiner ersten Schrift über die amerikanische Bankreform dar- 
gelegt bai äi: 

„Wenn es für die Aufstellung bankpolitischer Grundsätze schon im all- 
gemeinen gilt, daß mit dem historisch Ueberkommenen gerechnet werden muß 
und nur auf diesem aufgebaut werden kann, daß Umgestaltungen mit Rücksicht 
auf politische, wirtschaftliche und sonstige Verhältnisse vorzunehmen sind, daß 
überhaupt die praktische Bankpolitik nicht immer das erstrebenswerte Beste 
sich zum Ziel setzen kann, sondern in erster Linie auf die erreichbaren Mög- 
lichkeiten gerichtet sein muß, so gilt das für die Vereinigten Staaten noch in 
ganz besonderem Maße. Ein Land, in dem die Durchführung irgendeines Ge- 
setzes fast stets von weitgehenden Kompromissen abhängig ist; ein Land, das 
der Zentralisation im Notenbankwesen die schlechtesten Erinnerungen be- 
wahrt; ein Land vor allem, in dem die Einzelstaaten ängstlich darauf bedacht 
sind, die Zentralgewalt der Bundesregierung nicht zu groß werden zu lassen; 
ein Land endlich, das einerseits in der Zentralisation des Notenbankwesens 
eine weitere Stärkung des Großkapitals und der Börse erblickt, während es 
auf der anderen Seite einen Eingriff in die Geschäftstätigkeit der Nationalbanken 
als Verletzung von bestehenden Rechten perhorresziert, ein solches Land kann 
nicht zur Annahme eines reinen Zentralnotenbanksystems veranlaßt werden, 
selbst nicht, wenn sich in den großen Staaten Europas dieses System nun schon 
während eines Jahrhunderts, teilweise sogar noch länger als das einzige, das 
gegebene Notenbanksystem bewährt hat.“ 


Von diesen Gesichtspunkten aus wird man die FRActe als einen 
außerordentlich glücklichen Kompromiß zwischen dem bankpolitisch 
Erstrebenswerten und politisch Möglichen bezeichnen müssen, um so 
mehr, als die Gesetzgebung Mittel und Wege gefunden hat, die an sich 
selbständigen 12 FRBanken zu einem einheitlichen Ganzen zusammen- 


1) u. a. Edgar Jaffe, Reformbestrebungen im amerikanischen Bankwesen, 
Bankarchiv, 12. Jahrg., No. 23; derselbe, Die endgültige Regelung der ameri- 
kanischen Bankgesetzgebung, Bankarchiv, 13. Jahrg., No. 11. 

2) Bendix, Der Aldrich Plan, seine Bedeutung für das amerikanische Bank- 
wesen und den internationalen Geldmarkt, New York 1912, S. 8ff.; derselbe in: 
The Aldrich- Plan in the light of modern banking, New York 1912, S. XIII, 


39* 


612 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


zuschweißen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß im Grunde die 
12 Banken sich in allen wichtigen Maßnahmen nach den Bestimmungen 
des FRBoard zu richten und seinen Weisungen zu folgen haben. Prüft 
man darauf hin die dem FR Doard eingeräumten Rechte und die den 
FRBanker auferlegten Pflichten, sowie die Rechte beider in bezug auf 
die Kontrolle der Gesamtheit der mit ihnen arbeitenden Banken, so 
muß man sogar zu dem Schlusse kommen, daß das neue System in ge- 
wisser Beziehung eine Zentralisation des Bankwesens darstellt, wie wir 
sie nicht einmal in Europa kennen. Schon allein dadurch, daß die Mit- 
gliedsbanken gezwungen sind, fortan einen Teil ihrer Reserven bei den 
FRBanken zu unterhalten, und daß die FRBanken in der Verwendung 
dieser Reserven von der Diskontpolitik des FRBoard abhängig sind, 
zeigt sich, daß der Zentralisationsgedanke in der Gesetzgebung viel weit- 
gehender Ausdruck gefunden hat als das den Fachgenossen im allge- 
meinen und .den Amerikanern insbesondere zum Bewußtsein ge- 
kommen ist. 

Auch gegen das neu zu schaffende Umlaufsmittel, gegen die 
FRNotes sind vielfach Bedenken erhoben worden. Der Umstand, daß 
dieses Wertzeichen als Staatspapiergeld zur Ausgabe gelangt, hat nämlich 
in solchen Kreisen, denen die durch die amerikanische Noteninflation 
hervorgerufenen großen wirtschaftlichen Schäden vorschwebten, starke 
Kritik gefunden. Dabei ist nur übersehen worden, daß, wie oben aus- 
führlich dargelegt, die FRNotes nur der Form nach Staatspapiere sind, 
daß sie aber von den Banken auf Grund kaufmännischer Geschäfte in 
Umlauf gesetzt werden, daher ihrem Wesen nach reine Bank- 
noten sind. Zudem ist in den großen europäischen Ländern, wo die 
Banknoten seitens der Zentralnoteninstitute in Umlauf gesetzt werden, 
der 'Staatskredit mit der Kreditfähigkeit dieser Institute so eng ver- 
knüpft, daß auch diese Banknoten in den verschiedenen historischen 
Fällen einer Staatsverpflichtung gleichkamen. Mit anderen Worten: in 
England, Frankreich, Deutschland, Oesterreich etec. sind die Regie- 
rungen an der Zahlungsfähigkeit ihrer Noteninstitute in der gleichen 
Weise interessiert, wie wenn es sich um eigene Verbindlichkeiten handeln 
würde. Und mit vollem Recht haben in kritischen Zeiten, wie sich jetzt 
erst wieder gezeigt hat, diese Zentralnoteninstitute von ihrem Notenrecht 
zur Befriedigung des Staatskredits Gebrauch zu machen, so daß letzten 
Endes zwischen dem neuen amerikanischen Staatspapier und den Bank- 
noten der europäischen Zentralnotenbanken ein wirtschaftlicher Unter- 
schied kaum noch besteht. Dabei ist natürlich Voraussetzung, daß an 
den jetzt erlassenen gesetzlichen Bestimmungen festgehalten und nicht 
etwa durch eine willkürliche Aenderung des Gesetzes eine andere Rege- 
lung der Notenausgabe vorgenommen wird, die zu einer Papiergeldwirt- 
schaft bzw. Papiergeldmißwirtschaft führen könntel). Für eine solche 
Vermutung fehlt es aber, solange der Geist vorwaltet, aus dem heraus 
diese neue Gesetzgebung entstanden ist, an jedem Anhalt. 


1) In dieser Beziehung kann die jetzt vorgenommene Ausgabe von Notstands- 
papiergeld (s. o S. 607) schon einen Schritt abseits vom rechten Wege bedeuten. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 613 


Vergegenwärtigt man sich den Einfluß, den die Reichsbank auf die 
deutsche Volkswirtschaft ausgeübt hat, indem durch ihre Begründung 
das deutsche Währungssystem erst befestigt, die Bildung eines deutschen 
Geldmarktes von internationaler Bedeutung ermöglicht und dem deut- 
schen Bankwesen der nötige Rückhalt gegeben wurde, um dem steigen- 
den Kreditanspruch der aufblühenden Industrie gerecht werden zu 
können, so läßt sich ungefähr ermessen, was das neue Bankgesetz für 
die Vereinigten Staaten bedeutet. Oft und schwer genug haben sich in 
der Union die Nachteile des veralteten Notenbanksystems fühlbar ge- 
macht. So gewaltig die wirtschaftliche Entwicklung während der letzten 
Jahrzehnte auch gewesen ist, so ist sie dennoch durch das Fehlen einer 
modernen Kreditorganisation zweifellos stark gehemmt worden. In Zeiten 
günstiger Konjunktur und lebhafter Geschäftstätigkeit war es der 
Mangel an Zirkulationsmitteln und die dadurch bewirkte vorzeitige und 
übermäßige Steigerung der Zinssätze, die die wirtschaftliche Entfaltung 
störte, und bei kritischen Ereignissen wurden durch das Versagen des 
gesamten Banksystems Verluste herbeigeführt, durch die ein großer Teil 
der vorangegangenen Vermehrung des Volksreichtums wieder verloren 
ging. Unter der alten Bankordnung war für die Befriedigung eines 
außergewöhnlichen Kreditbegehrs keine Vorsorge getroffen. Eine ent- 
sprechende Ausdehnung des Notenumlaufs war unmöglich, weil sie an 
die kostspielige Erwerbung und umständliche Hinterlegung des an sich 
eng begrenzten Betrages der ausgegebenen Regierungsbonds gebunden 
war. Verfügbare Barreserven in nennenswertem Umfange bestanden 
nicht; denn die den New Yorker Banken aus allen Teilen der Vereinigten 
Staaten zufließenden Depositen mußten teils in Kundenkrediten, teils 
durch Ausleihung an der Börse in Form von „call money“ angelegt 
werden. Beim Auftreten jedes stärkeren Geldbedarfes wurden dann 
die „täglichen Gelder“ in großem Umfange gekündigt und die Kredit- 
gewährung an Handel und Industrie plötzlich eingeschränkt. Sprung- 
hafte Steigerung der Zinssätze, empfindliche Rückgänge am Effekten- 
markte und Störungen im gesamten Wirtschaftsleben waren die regel- 
mäßigen Begleiterscheinungen; unter Umständen, wie noch zuletzt im 
Jahre 1907, wurde dieses Versagen des Kreditsystems sogar zur direkten 
Ursache schwerer Krisen. 

Diese gefährliche Lücke in der bisherigen Organisation des Bank- 
wesens soll nun durch die Federalbanken ausgefüllt werden. Ihnen 
fällt, wie den europäischen Zentralnotenbanken, die Aufgabe zu, als 
letzte und sicherste Kreditinstanz zu dienen. Zu dem Zwecke ist diesen 
Banken die Notenausgabe auf Grund der Wechseldiskontierung gestattet 
worden; außerdem wird bei ihnen ein größerer Teil der verfügbaren 
Barreserven des Landes konzentriert. Mit diesen Mitteln ausgestattet, 
sollen die Federalbanken namentlich gelegentlich der Erntebewegung, 
bei besonders lebhaftem Geschäftsgange und in Krisen ihren Mitglieds- 
banken beistehen, damit diese künftig nicht mehr gezwungen sind, be- 
stehende Schwierigkeiten durch Kreditkündigungen noch zu erhöhen. 
Da einer übermäßigen Notenausgabe vorgebeugt ist, werden die FR- 
Banken in der Hauptsache zur Betreibung ihrer Aktivgeschäfte auf die 


614 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Ausnutzung sogenannter „fremder Gelder“ angewiesen sein. Diese er- 
halten sie teils durch die Mitgliedsbanken, die einen bestimmten Teil 
ihrer Depositen zwecks Reservehaltung den Federalbanken zuführen 
müssen, teils durch Ueberweisung flüssiger Regierungsmittel. Von diesen 
fremden Geldern sind allerdings nicht nur 35 Proz. in bar als Reserve 
bereitzuhalten, sondern es ist davon auch die für den Notenumlauf ge- 
forderte 40-proz. Golddeckung abzuzweigen. Trotzdem ist anzunehmen, 
daß den Federalbanken noch ein recht beträchtlicher Teil der Depositen 
zur Kreditgewährung übrig bleiben wird. Gerade darin liegt die große 
wirtschaftliche Bedeutung der neuen Bestimmung über das Depositen- 
wesen. Während bisher die den Nationalbanken vorgeschriebene Min- 
destbarreserve in keiner Weise nutzbar gemacht werden konnte, wird 
sie durch teilweise Ueberführung an die FRBanken künftig in einem 
gewissen Umfange zur Befriedigung des Kreditbedarfs verfügbar. 
Außerdem können die Mitgliedsbanken ihre freien Barreserven, die 
sie bisher überwiegend in Börsendarlehen anlegen mußten, fortab in 
erster Linie zum Erwerbe kaufmännischer Wechsel verwenden. Für 
die Mitgliedsbanken wird nämlich die Anlage in Wechseln erst durch 
die Möglichkeit der Rediskontierung zu einer jederzeit flüssig zu 
machenden Reserve, und für die Federalbanken ist die Wechseldiskon- 
tierung das gegebene Geschäft. Freilich nur unter der Voraussetzung, 
daß die Qualität der zur Einreichung gelangenden Wechsel auch den 
Forderungen vorsichtiger Bankpolitik entspricht. Bei dem jetzt herr- 
schenden Geschäftsgebrauch läßt sich allerdings der Charakter eines 
Wechsels nicht leicht feststellen. In den Vereinigten Staaten ist es 
nicht üblich!), daß die Verkäufer auf die Käufer ziehen und, wenn 
sie flüssiger Mittel bedürfen, die „Tratten“ oder „Akzepte“ (Prima- 
wechsel) bei ihrer Bank diskontieren; vielmehr pflegen sie auf Grund 
ihrer buchmäßigen Außenstände den Kredit ihrer Banken in An- 
spruch zu nehmen und ihnen darüber Solawechsel auszustellen. Es 
liegt auf der Hand, daß auf diese Weise der Wechselkredit viel leichter 
mißbraucht werden kann, als beim gezogenen Wechsel, bei dem die das 
Papier erwerbende Bank aus dem Ursprung des Wechsels mit größerer 
Sicherheit feststellen kann, ob es sich um Betriebs- oder Anlagekredit 
handelt. Die Banken werden gegenüber ihren Kunden keinen leichten 
Stand haben, wenn sie statt des Solawechsels in Zukunft eine Tratte 
verlangen. Hier wird die Diskontpolitik der FRBanken einzusetzen 
haben, indem sie für die beiden Wechselarten verschiedene Diskont- 
sätze festsetzen, wozu sie nach dem Gesetze berechtigt sind. 

Eine weitere Verbesserung des Kreditverkehrs erhalten die Ver- 
einigten Staaten durch die Einführung des Bankakzepts. Hierdurch 
erst eröffnet sich für die Union die Möglichkeit, einen Teil ihres 
Außenhandels selbst zu finanzieren. Während der amerikanische Im- 
porteur gegenwärtig selbst nach außereuropäischen Gebieten fast aus- 
schließlich in europäischer Währung und mit europäischen Bankakzepten 
bezahlt, wird er in Zukunft häufiger das Dollarakzept einer heimischen 
Bank verwenden können. Ferner wird nach Schaffung eines inter- 


1) s. o 8. 600. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 615 


nationalen Marktes für Dollar-Bankakzepte wohl auch der amerikanische 
Exporteur mehr als jetzt Zahlung in Dollar erhalten. Die amerika- 
nische Volkswirtschaft kann dadurch recht beträchtliche Summen er- 
sparen, die sie jetzt an europäische Banken für die Vermittlung ihres 
ausländischen Zahlungsverkehrs abgeben muß. Eine solche Entwick- 
lung kann sich natürlich nicht von heute auf morgen vollziehen. Aber 
trotzdem ist damit zu rechnen, daß, genau so wie es den deutschen 
Banken gelungen ist, dem Markwechsel als internationalem Zahlungs- 
mittel Geltung zu verschaffen, die amerikanische Bankwelt dem Dollar- 
wechsel zum mindesten eine ähnliche Stellung erringen wird. Die Er- 
reichung dieses Zieles kann, wie das deutsche Beispiel zeigt, durch die 
Errichtung von Auslandsfilialen wesentlich gefördert und erleichtert 
werden. Dem hat auch die neue amerikanische Bankgesetzgebung vor- 
sorgend Rechnung getragen, indem sie den FRBanken das Eingehen 
ausländischer Geschäftsverbindungen und den Nationalbanken die Be- 
gründung von Zweigniederlassungen im Auslande gestattet. 

Das neue Gesetz stellt also nicht nur das Kreditwesen der Ver- 
einigten Staaten auf eine breitere Basis, sondern es ermöglicht überhaupt 
erst einen amerikanischen Geldmarkt von internationaler Bedeutung. 
Ein Ausgleich von Geldüberfluß und Geldknappheit zwischen diesem 
und den europäischen Geldmärkten wird sich dadurch viel leichter und 
besser als bisher ermöglichen lassen. In Zeiten einer Geldteuerung am 
amerikanischen Markte, wie sie z. B. jährlich durch die Erntebewegung 
hervorgerufen wird, kann die Union mehr als früher auf die finanzielle 
Unterstützung Europas rechnen und sich auf dem ausländischen Geld- 
markte, wo die Zinssätze am billigsten sind, mit Geldmitteln versehen. 
Umgekehrt werden etwa flüssige Mittel der Union fortan dort im Aus- 
land Anlage finden, wo sie am besten verwendet werden können. 
Zinssätze für tägliches Geld von 25 Proz. oder sogar von 40—50 Proz., 
wie sie im Jahre 1907 an der New Yorker Börse vorgekommen sind, 
werden der Vergangenheit angehören; aber auch die abnorm niedrigen 
Raten werden verschwinden. Unter der neuen Ordnung der Dinge wird 
die Wertpapierbeleihung aufhören, das wichtigste Mittel für vorüber- 
gehende Geldanlage zu sein. Der Börse, die von dem alten System 
überwiegend Nachteil gehabt hat, kann diese Aenderung nur erwünscht 
sein. Indem sie sich nämlich in ihren Bewegungen und Ansprüchen 
in Zukunft mehr der internationalen Geldmarktlage anzupassen haben 
wird, ist sie besser geschützt, als wenn sie ausschließlich mit solchen 
Mitteln des Heimatlandes arbeitet, die ihr entweder überreichlich zu- 
fließen oder plötzlich entzogen werden. 

Durch die Bankreform erhält nicht nur der Geld- und Kreditverkehr 
der Union eine vollständig neue Gestalt, sondern aucb die großen euro- 
päischen Geldmärkte werden, wie sich schon aus den vorstehenden Aus- 
führungen ergibt, davon wesentlich beeinflußt werden. Dieser Einfluß 
läßt sich sogar zahlenmäßig veranschaulichen. Am 30. Juni 1913 hatte 
das Schatzamt einen verfügbaren Bestand an Gold oder Goldzertifikaten 
von 108,4 Mill. $; zu gleicher Zeit hielten die National- und Staaten- 
banken 862,9 Mill. $. Fraglos wird ein großer Teil dieser Gold- 
reserve den Federalbanken zufließen. Ferner ist anzunehmen, daß diese 


616 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Banken die aus dem Verkehr an sie gelangenden Goldzertifikate (deren 
am 30. Juni 1913 insgesamt 1086,9 Mill. $ ausgegeben waren) nicht 
wieder zur Ausgabe bringen, sondern damit ihre Goldreserve erhöhen 
werden. Unter solchen Verhältnissen ist damit zu rechnen, daß sich der 
gesamte Goldbestand der FRBanken höher stellen wird, als der irgend- 
eines der großen europäischen Noteninstitute. Aengstliche Gemüter 
ziehen denn auch daraus den Schluß, daß die Vereinigten Staaten unter 
dem neuen System in kurzer Zeit mit einem Goldexport von 400 Mill. $ 
zu rechnen haben werden. Diese ziemlich weit verbreitete Anschauung 
stützt sich darauf, daß der Einfluß der neuen Banknoten sich in einer 
Verdrängung des wertvolleren Geldes, des gelben Metalls, nach dem Aus- 
lande äußern würde. Wir haben bereits dargelegt, daß der Notenausgabe 
enge, wahrscheinlich sogar zu enge Schranken gesetzt worden sind, 
so daß selbst bei einem starken Kreditbegehr, d. h. bei einer (vielleicht 
durch das neue Bankgesetz hervorgerufenen) großen wirtschaftlichen 
Aufschwungsbewegung, ein Mißbrauch des neuen Notenrechtes ausge- 
schlossen erscheint. Abgesehen hiervon aber gibt es für die Vereinigten 
Staaten im allgemeinen nur zwei Ursachen für den Goldexport. Die 
eine kommt in wirtschaftlich besonders günstiger Zeit vor, wenn in- 
folge hohen Preisstandes in der Union die Wareneinfuhr zunimmt, 
während die Ausfuhr abnimmt oder unverändert bleibt. Wenn dann 
der „verschlechterten‘“ Handelsbilanz kein anderes Moment entgegen- 
wirkt, so wird nach wie vor zum Ausgleich einer passiven Zahlungs- 
bilanz eine Goldausfuhr erfolgen. Die Goldausfuhr würde alsdann auf 
den amerikanischen Geldmarkt ungünstig einwirken, dort höhere Zins- 
sätze und schließlich auf dem Warenmarkte niedrigere Preise hervor- 
rufen, woraus sich die Korrektur dann ganz von selbst ergibt. Ein 
anderer Fall größerer Goldausfuhr tritt ein, wenn Gold in Europa 
vorteilhaft verwertet werden kann, d. h. wenn in Europa die Zinssätze 
beträchtlich und dauernd höher sind als in Amerikal). Eine derartige 
Entwicklung könnte der Union nur willkommen sein, sie würde ihr 
Gelegenheit geben, sich in Europa Goldreserven zu schaffen, über die sie 
in dem Augenblick verfügen kann, wenn bei ihr wieder eine starke Geld- 
nachfrage einsetzt. Diese Art der Anlage ist jedenfalls gefahrloser, als 
die in „call money“ an der New Yorker Börse, die zwar vorübergehend 
der Effektenspekulation dienen mag, aber, wie die Erfahrung gelehrt 
hat, mehr Nachteile als Vorzüge hat. 

Somit läßt sich eine dem Goldbestand der Vereinigten Staaten durch 
die neue Bankgesetzgebung drohende Gefahr nicht einmal theoretisch 
konstruieren ?). In praxi aber wird die Erschließung der bis jetzt 
weder für den heimischen noch für den internationalen Geldmarkt ver- 
fügbaren Goldreserven nur dazu beitragen, den Kredit der Vereinigten 
Staaten zu heben. Mit anderen Worten: Wenn die Union williger als 


1) Einen gleichen Einfluß hat der Verkauf amerikanischer Effekten von 
seiten Europas im Wege der internationalen Arbitrage. 

2) Zudem hat sich erst jüngst gezeigt, daß das veraltete amerikanische 
Banksystem am allerwenigsten geeignet war, um eine Goldausfuhr in kritischen 
Zeiten zu verhindern, wohl aber hat es eine Diskreditierung des amerikanischen 
Währungssystems zur Folge gehabt. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 617 


bisher ihr überschüssiges Gold den großen europäischen Ländern über- 
läßt, wenn diese es brauchen, so kann sie sicher damit rechnen, daß 
auch ihr das Gold und der Kredit des Auslandes im Bedarfsfalle noch 
mehr und zu günstigeren Bedingungen als bisher zur Verfügung gestellt 
werden wird. 

Aus alledem ergibt sich, daß das Bankgesetz an sich die Sicherheit 
des amerikanischen Währungssystems in keiner Weise gefährdet; im 
Gegenteil, es ermöglicht die Bildung eines neuen kraftvollen Gliedes in 
der Kette der großen Geldmärkte, was nur zur Erhöhung des Wider- 
standes gegen den Ausbruch internationaler Geldkrisen beitragen kann. 
Voraussetzung dafür ist allerdings, daß sich die neue Organisation be- 
währen wird, daß das FRBoard, frei von politischen Beeinflussungen, 
seine Maßnahmen lediglich im öffentlichen Interesse ergreift, und daß 
die FRBanken bei der Betreibung ihrer Geschäfte das öffentliche 
Interesse dem privatwirtschaftlichen voranstellen. Davon allein ist letzten 
Endes die ganze wirtschaftliche Wirkung der neuen Gesetzgebung ab- 
hängig. Unzweifelhaft wird die Bankreform große Aenderungen und 
Erleichterungen im Geld- und Bankverkehr hervorrufen. Diese können 
ebensogut den Anstoß zu einer überhasteten Entwicklung der Volkswirt- 
schaft geben, wie sie ihr umgekehrt außerordentliche Vorteile bringen 
können. . 


VI. Wortlaut des Gesetzes in Uebersetzung. 
[Public No. 43=63D Congress.] 


(H.R. 7837.) 


Gesetz, betreffend die Errichtung von Federal Reserve-Banken, die Schaf- 
fung eines elastischen Notenumlaufs, die Aufbringung von Mitteln zur Dis- 
kontierung von Warenwechseln, eine wirksamere Ueberwachung des Bankwesens 
in den Vereinigten Staaten und ähnliche Aufgaben. 

Von dem im Kongreß versammelten Senate und Repräsentantenhaus der 
Vereinigten Staaten wird beschlossen: Der abgekürzte Titel dieses Gesetzes soll 
„Federal Reserve Act“ sein. 

Wo immer in diesem Gesetz das Wort „Bank“ gebraucht ist, sind Staats- 
banken, Bankvereinigungen und Trustgesellschaften eingeschlossen ; ausgenommen 
jedoch, wenn auf Nationalbanken oder Federal Reserve-Banken besonders Be- 
zug genommen wird. 

ie in diesem Gesetz gebrauchten Bezeichnungen „Nationalbank“ und 
„Nationale Bankvereinigung“ sind als gleichbedeutend und gegenseitig ersetzbar 
anzusehen. Unter der Bezeichnung „Mitgliedsbank“ ist jede Nationalbank, 
Staatsbank, Bank oder Trustgesellschaft zu verstehen, die Mitglied einer der 
durch dieses Gesetz geschaffenen Reservebanken geworden ist. Der Ausdruck 
„Board“ soll Federal Reserve-Board, „Distrikt“ Federal Reserve-Distrikt und 
„Reserve-Bank“ Federal Reserve-Bank bedeuten. 


Federal Reserve-Distrikte. 

Sect. 21). Der Bundesschatzsekretär (Secretary of the Treasury), der Bundes- 
sekretär für Landwirtschaft (Secretary of Agriculture) und der Währungs- 
kontrollkommissar (Comptroller of the Currency) sollen als „Reserve-Bank- 
Organisationskommission“ sobald als angängig das Festlandsgebiet der Ver- 
einigten Staaten — ausschließlich Alaska — in Distrikte einteilen und min- 
destens 8, aber nicht mehr als 12 Städte bestimmen, die als FRStädte gelten 


1) Die Zählung beginnt mit 2. 


618 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


sollen. Jeder Distrikt soll nicht mehr als eine dieser FRStädte einschließen. 
Die von der Organisationskommission vorgenommene Einteilung kann ledig- 
lich durch das FRBoard nach dessen Konstituierung geändert werden. Die 
Distrikte sollen zweckmäßig und mit gebührender Rücksicht auf bestehende 
Geschäftsverhältnisse abgegrenzt werden; sie brauchen sich nicht notwendiger- 
weise mit den einzelnen Staatsgebieten zu decken. Die so geschaffenen Distrikte 
können von Zeit zu Zeit geändert, und neue Distrikte nach Gutdünken des 
FRboard errichtet werden; indessen darf die Gesamtzahl der Reservebanken 
12 nicht überschreiten. Die Distrikte sollen den Namen „FRDistrikte‘“ führen ; 
sie können nach Nummern bezeichnet werden. Bei Anwesenheit einer Mehr- 
heit ist die Organisationskommission beschlußfähig und berechtigt zu handeln. 
Diese Organisationskommission soll ermächtigt sein, sich eines Rechts- 
beistandes zu bedienen, Sachverständige zu Rate zu ziehen, Zeugen zu ver- 
nehmen, Personen vorzuladen und Dokumente einzufordern, sowie Eide auf- 
zuerlegen. Diese Kommission ist ferner berechtigt, zwecks Festlegung der 
Reservedistrikte und Bestimmung der Städte, in denen die einzelnen FRBanken 
errichtet werden sollen, die ihr notwendig erscheinenden Untersuchungen vor- 
zunehmen. Die Kommission soll in jeder Stadt, für die eine FRBank vorgesehen 
ist, die Organisation überwachen. Jede FRBank soll in ihrer Firma den Namen 
der Stadt, in der sie ihren Sitz hat, enthalten; z. B. „FRBank in Chicago“. 
Auf Grund seitens der ÖOrganisationskommission zu erlassender Bestim- 
mungen ist jede in den Vereinigten Staaten bestehende Nationalbank verpflichtet, 
und jede wählbare Bank in den Vereinigten Staaten sowie Trustgesellschaft inner- 
halb des Distriktes Columbia berechtigt, innerhalb 60 Tagen nach Annahme des 
Gesetzes ihre Zustimmung zu den in diesem Gesetz enthaltenen Grundsätzen 
und Vorschriften zu erklären. Nachdem die Organisationskommission die Städte, 
in denen FRBanken errichtet werden sollen, bezeichnet und die geographischen 
Grenzen der Distrikte festgelegt hat, soll jede Nationalbank binnen 30 Tagen 
nach Aufforderung der Organiatichakoinmimilon auf das Grundkapital der 
FRBank ihres Distriktes einen Betrag zeichnen, der 6 Proz. ihres eigenen ein- 
bezahlten Aktienkapitals zuzüglich des „Surplus“1) gleichkommt. Von dem 
zeichneten Betrag sind ein Sechstel nach Aufforderung der Organisations- 
ommission oder des FRBoards, ein Sechstel innerhalb der nächsten 3 Monate 
und ein Sechstel binnen weiterer 6 Monate einzuzahlen. Der Rest oder irgend- 
ein Teil davon unterliegt dem Abrufe des FRBoards, falls dieser weitere Ein- 
zahlungen für notwendig erachtet. Die Zahlungen können in Gold oder Gold- 
zertifikaten geleistet werden. Die Anteilseigner jeder FRBank sind persönlich, 
leichmäßig pro rata ihres Anteils und nicht einer für den anderen, haftbar 
ür all» Verpflichtungen aus Verträgen, Schulden und sonstigen Verbindlich- 
keiten einer solchen Bank. Die Haftbarkeit ist über den vollen gezeichneten 
Kapitalbetrag hinaus — gleichgültig ob die Einzahlung ganz oder nur teilweise, 
wie im Gesetz vorgesehen, bereits geleistet ist — beschränkt auf die Höhe des 
Nominalbetrags der Beteiligung ?). 
Unterläßt eine Nationalbank innerhalb der oben festgesetzten Zeit von 
60 Tagen, ihre Zustimmung zu den Bestimmungen dieses Gesetzes zu erklären, 
so hört sie auf, als „Reserve-Agent“ 3) zu wirken, und zwar nach Ablauf einer 
Kündigungsfrist von 30 Tagen, deren Beginn durch die Organisationskommission 
oder das FRBoard nach Gutdünken festzusetzen ist. Falls eine der jetzt 
bestehenden Nationalbanken sich nicht bereit erklärt, innerhalb eines Jahres 
nach Erlaß dieses Gesetzes als Mitgliedsbank beizutreten, oder unterläßt sich 


1) Surplus - Reserven; bei amerikanischen Banken schließt dieser Posten 
meistens auch Gewinnvorträge ein. 

2) Diese Bestimmung steht im Einklang mit dem Nationalbankgesetz, wo- 
nach die Inhaber von Nationalbank-Aktien zu einem Nachschuß bis zur Höhe 
der in ihrem Besitze befindlichen — also bereits bezahlten — Anteile ver- 
pflichtet sind. 

3) Nach dem Nationalbankgesetz werden die Banken, bei denen seitens 
anderer Nationalbanken gesetzliche Reserven deponiert werden dürfen, als „Re- 
serveagent“ bezeichnet. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 619 


irgendeiner der bezüglichen Bestimmungen dieses Gesetzes anzupassen, so ver- 
liert sie damit alle hte, Privilegien und Befreiungen, sowohl aus dem alten 
Nationalbank- als auch aus dem vorliegenden Gesetz. Indessen soll jede Nicht- 
beachtung oder Verletzung dieses Gesetzes vor einem zuständigen Bundes- 

richt in dem Distrikte, in dem die betreffende FRBank ihren Sitz hat, durch 

lage bewiesen und richterlich entschieden werden, bevor die Bank als auf- 
gelöst erklärt werden soll. Die Klage soll auf Anordnung des FRBoards durch 
den Comptroller of the Currency in eigenem Namen angestrengt werden. Mit 
Ausnahme des einen Falles, daß eine Bank sich weigert, Mitgliedsbank zu 
werden, ist bei Nichterfüllung oder Verletzung dieses Gesetzes jeder Direktor 1), 
der au dieser Nichterfüllung oder Verletzung teilnahm oder ihr zustimmte, 
für alle Verluste, die der betreffenden Bank, den Aktionären oder sonstigen 
Personen daraus entstanden sind, persönlich haftbar. 

Durch die Auflösung einer Nationalbank sollen die ihr, ihren Aktionären 
oder Beamten früher auferlegten Geldstrafen oder sonstige Verpflichtungen 
weder beeinträchtigt noch aufgehoben werden. 

Erscheinen der Organisationskommission die Zeichnungen der Banken auf 
das Grundkapital einer oder mehrerer FRBanken ungenügend, um das er- 
forderliche Kapital zu beschaffen, so kann genannte Komisioa unter den 
von ihr festzusetzenden Bestimmungen bis zu einer von ihr zu bestimmenden 
Höhe Anteile der betreffenden FRBank bzw. -Banken zur öffentlichen Zeich- 
nung zu pari auflegen. Die Bedingungen betreffs Einzahlung und Haftung 
sind hierbei die gleichen wie für Mitgliedsbanken. j 

Mit Ausnahme der Mitgliedsbanken des Distriktes darf keine Einzel- 
pewon; offene Handelsgesellschaft oder Korporation für mehr als nominal 

5000 $ Anteile einer FRBank zeichnen oder zu irgendeiner Zeit besitzen. 
Diese Anteile gelten als öffentlich (public stock) und sind übertragbar durch 
Ueberschreibung in den Büchern der FRBank auf Anordnung des Vorsitzenden 
des Direktoriums der betreffenden Bank. 

Sollte nach Ansicht der ÖOrganisationskommission der Betrag der von 
den Banken und dem Publikum gezeichneten Anteile zusammen nicht ausreichen, 
um das erforderliche Kapital aufzubringen, dann soll die Organisationskom- 
mission einen von ihr festzusetzenden Betrag dieser Anteile der Bundes- 
ne zuweisen. Diese Anteile sollen zum Nennwerte aus den jeweils im 
Schatzamte frei verfügbaren Mitteln erworben werden. Der Schatzamtsekretär 
soll die Anteile in Verwahrung nehmen und sie zugunsten der Regierung nach 
eigenem Gutdünken an einem geeigneten Zeitpunkte und zu einem angemessenen 
Preise — jedoch nicht unter pari — verkaufen. 

Die nicht im Besitz von Mitgliedsbanken befindlichen Anteile haben kein 
Stimmrecht. 

Das FRBoard wird hierdurch ermächtigt, betreffs Uebertragung solcher 
Anteile besondere Bestimmungen festzusetzen und zu erlassen. Keine FRBank 
soll ihre Tätigkeit mit weniger als 4 Mill. $ gezeichnetem Kapital beginnen. 
Die Organisation von Reservedistrikten und FRStädten soll nicht dahin aus- 
gelegt werden, daß die gegenwärtige Einteilung der Reservestädte und Zentral- 
reservestädte geändert wird, ausgenommen insoweit, als dieses Gesetz den Be- 
trag der Reserven, die bei anerkannten „Reserveagenten“ der Distrikte ge- 
halten werden können, ändert. 

Zwecks Durchführung der im Gesetz enthaltenen Bestimmungen soll 
die Organisationskommission befugt sein, geeignete Hilfskrüfte in Dienst zu 
stellen und erforderliche Ausgaben zu machen, zu deren Deckung vom Schatz- 
amt eine Summe bis zu 100000 $ bereit gestellt werden soll. Der Regierungs- 
schatzmeister hat gegen Quittung, die vom Schatzamtsekretär gegengezeichnet 
ist, die entsprechenden Zahlungen aus den frei verfügbaren Mitteln des Schatz- 
amtes zu leisten. 

1) Das Direktorium einer amerikanischen Aktiengesellschaft entspricht un- 
gefähr dem deutschen Aufsichtsrat; indessen übernehmen für gewöhnlich einer 
oder mehrere Direktoren die Funktionen von Vorstandsmitgliedern (Direktoren 
der deutschen Aktiengesellschaften). 


620 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Zweiganstalten. 


Sect. 3. Jede FRBank soll innerhalb ihres Distriktes, und kann inner- 
halb des Gebietes etwa aufgehobener FRBanken, Zweiganstalten errichten. 
Diese Filialbanken sollen von einem Direktorium auf Grund der vom FRBoard 

nehmigten Statuten und Geschäftsordnungen geleitet werden. Die Leiter dieser 
Dwsiganstallen sollen die gleiche Qualifikation wie die Mitglieder des Direk- 
toriums der FRBanken besitzen. Vier von den Direktoren sollen von der 
FRBank, drei durch das FRBoard ernannt werden. Ihre Amtsdauer liogi 
in dem Ermessen des Mutterinstituts bzw. des FRBoards. Einer dieser Filial- 
Direktoren soll von der FRBank zum Geschäftsführer (manager) ernannt 
werden. 

Federal Reserve-Banken. 

Sect. 4. Nachdem die Organisationskommission die in Sect. 2 vorge- 
sehenen FRDistrikte festgelegt hat, soll dem Comptroller of the Currency ein 
Plan eingereicht werden, in dem die geographischen Grenzen der einzelnen 
Distrikte und die entsprechenden FRStädte verzeichnet sind. Hierauf soll 
der Comptroller of the Currency veranlassen, daß an jede Nationalbank und auf 
Antrag an alle anderen zur Mitgliedschaft berechtigten Banken ein von der 
Organisationskommission gutgeheißenes Antragsformular geschickt wird. Dieses 
soll auch den Text eines von dem Direktorium der einzelnen Bank zu 
fassenden Beschlusses enthalten über die Zeichnung auf das Kapital der in 
dem betreffenden Distrikte gemäß den gesetzlichen Bestimmungen zu errich- 
tenden FRBank. 

Ist das für die Errichtung einer FRBank vorgesehene gesetzliche Mindest- 
kapital gezeichnet und zu eteilt, so soll die Organisationskommission aus den 
um die Mitgliedschaft sich bewerbenden Banken fünf bestimmen, die unter 
Beidruck ihres Siegels eine Gründungsurkunde ausstellen. Dieses Schrift- 
stück soll insbesondere folgende Angaben enthalten: 

den Namen der betreffenden FRBank ; 

die geographischen Grenzen des Distriktes, innerhalb welcher die FRBank 

tätig sein soll; 

den Namen der Stadt und des Staates, in denen die FRBank ihren Sitz 

haben soll; 

die Höhe des Kapitals und die entsprechende Anzahl der Anteile ; 

die Namen und Sitze sowohl der die Gründungsurkunde ausstellenden 

als auch aller anderen auf das Kapital der FRBank zeichnenden Banken 
und die Zahl der von jeder einzelnen gezeichneten Anteile; 

die Tatsache, daß die bereits jetzt schon als Mitglieder geltenden Banken 

und solche, die späterhin die Mitgliedschaft erwerben, berechtigt sind, 
von den Vorteilen dieses Gesetzes Gebrauch zu machen. 

Die Ve dee soll gerichtlich oder notariell beglaubigt und zu- 
sammen mit dem Beglaubigungsinstrument dem Comptroller of the Currency 
übermittelt werden. Dieser ist verpflichtet, die Dokumente zu registrieren und 
sorgfältig in seinem Bureau aufzubewahren. Mit dieser Registrierung erwirbt 
die FRBank die Eigenschaft einer juristischen Persönlichkeit und als solche 
Gë unter dem in der Gründungsurkunde bezeichneten Namen soll sie be- 
ugt sein: 

1) zur Führung eines Korporationssiegels ` 

2) auf einen Zeitraum von 20 Jahren zu bestehen, falls sie nicht früher 
durch Sondergesetz des Kongresses aufgehoben wird oder sie wegen Ver- 
letzung des Gesetzes der Berechtigung verlustig geht; 

3) Verträge abzuschließen ; 

‚4) zu klagen und verklagt zu werden, anzuklaeen und sich zu verteidigen 

vor jedem Gerichtshof oder anderen gesetzlichen Körperschaft ; 
` Di durch ihr Direktorium die erforderlichen Beamten — soweit solche 
nicht schon durch das Gesetz vorgesehen sind — zu ernennen oder anzustellen, 
deren Wirkungskreis zu bestimmen, Kautionen und Strafen festzusetzen und 
nach Gutdünken die Beamten zu entlassen ; 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 621 


6) durch ihr Direktorium Statuten, die dem Gesetz nicht entgegenstehen, 
auszuarbeiten, die eine allgemeine Geschäftsordnung enthalten sollen und des 
weiteren anzugeben haben, wie die durch das Gesetz gewährten Privilegien 
ausgeübt werden ; 

7) durch ihr Direktorium oder besonders bevollmächtigte Beamte alle die 
durch Gesetz ausdrücklich gewährten und stillschweigend zuerkannten Rechte, 
wie sie zur Vornahme von Bankgeschäften innerhalb der durch dieses Gesetz 
festgelegten Grenzen notwendig sind, auszuüben ; 

8) gegen Hinterlegung von Staatsschuldverschreibungen beim Schatzsekretär 
nach den für Nationalbanken geltenden Bestimmungen in der Höhe des Nominal- 
betrages der hinterlegten Bonds vom Comptroller of the Currency Notenblanketts 
zu erhalten. Für die Ausgabe dieser Noten sollen die gleichen gesetzlichen Vor- 
schriften gelten wie für die durch Regierungsschuldverschreibungen gedeckten 
Nationalbanknoten, mit der Ausnahme jedoch, daß der Gesamtbetrag der aus- 
egebenen Noten nicht auf die Höhe des Grundkapitals der betreffenden FRBank 

chränkt sein soll. 

Keine FRBank soll mit ihrer Geschäftstätigkeit — ausgenommen sind 
notwendige vorbereitende oder mit der Organisation in Zusammenhang stehende 
Geschäfte — beginnen, bevor sie nicht durch den Comptroller of the Currency 
besonders dazu ermächtigt ist. 

Jede FRBank soll unter Aufsicht und Kontrolle eines Direktoriums stehen, 
dem sowohl die gewöhnlichen Pflichten eines Bankvorstandes als auch die 
besonders durch das Gesetz vorgesehenen Aufgaben obliegen. Das Direk- 
torium soll seine Tätigkeit möglichst unparteiisch ausüben und weder zu- 
gunsten noch zuungunsten irgendeiner Mitgliedsbank jeder Bank solchen Dis- 
kontkredit, Vorschüsse und Vorteile gewähren, wie sie mit vorsichtiger und 
vernünftiger Geschäftsführung vereinbar sind und den gesetzlichen Bestim- 
mungen und den Erlassen des FRBoards, sowie den Ansprüchen und Forde- 
rungen der einzelnen Banken entsprechen. 

Das Direktorium soll in der unten angegebenen Weise ausgewählt werden 
und aus 9 Mitgliedern mit 3-jähriger Amtszeit bestehen; es wird in 3 Klassen 
eingeteilt, die als Klasse A, und C bezeichnet werden sollen. 

Klasse A soll aus 3 Mitgliedern bestehen, die von den Anteile besitzenden 
Banken gewählt werden und diese vertreten ; 

Klasse B soll aus 3 Mitgliedern bestehen, die zur Zeit ihrer Wahl inner- 
halb ihres Distriktes in Handel, Landwirtschaft oder einem anderen Erwerbs- 
zweig tätig sind; 

Klasse C soll aus 3 Mitgliedern bestehen, die durch das FRBoard be- 
zeichnet werden. Letzterer ernennt, nachdem das zur Errichtung einer FRBank 
notwendige Kapital gezeichnet ist, die Direktoren der Klasse © und bestimmt 
zugleich einen dieser Direktoren als Vorsitzenden des für die betreffende 
Bank zu wählenden Direktoriums. Bis zur Ernennung eines solchen Vorsitzenden 
soll die Organisationskommission alle die Rechte und Pflichten ausüben, die 
während der Begründung einer FRBank mit dem Amte des Vorsitzenden ver- 
bunden sind. 

Kein Senator oder Abgeordneter des Kongresses soll Mitglied des FRBoard, 
Vorstandsbeamter oder Direktor einer FRBank sein. 

Kein Direktor der Klasse B soll Vorstandsbeamter, Direktor oder An- 
gestellter einer Bank sein. i 

Kein Direktor der Klasse C soll Vorstandsbeamter, Direktor, Angestellter 
oder Aktionär irgendeiner Bank sein. 

Die Direktoren der Klasse A und B sollen folgendermaßen gewählt werden : 

Der Vorsitzende des Direktoriums der FRBank jedes einzelnen Distriktes 
— oder, falls dessen Ernennung noch nicht erfolgt ist, die Organisations- 
kommission — soll die Mitgliedsbanken des betreffenden Distriktes in drei 
nach Zahl und Kapitalstärke ungefähr gleiche Gruppen teilen, die nach 
'ummern bezeichnet werden sollen. In einer ordnungsmäßig einberufenen 
Sitzung des Direktoriums jeder Mitgliedsbank des Distriktes soll in geheimer 

ahl ein Distriktswahlmann bestimmt werden, dessen Namen dem Vorsitzenden 
des Direktoriums der FRBank mitgeteilt werden soll. Der Vorsitzende des 


622 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Direktoriums der FRBank jedes Distriktes soll dann die Namen der so ge- 
wählten Wahlmänner, aus jeder der drei Bankengruppen getrennt, zusammen- 
stellen und jedem Wahlmanne eine Liste übermitteln. h 

Jede Mitgliedsbank soll berechtigt sein, dem Vorsitzenden je einen Kan- 
didaten als Direktor der Klasse A und B vorzuschlagen. Die Namen dieser 
Kandidaten sollen vom Vorsitzenden in einer Liste, unter Angabe der Mit- 
gliedsbank, von der sie vorgeschlagen sind, zusammengestellt werden. Innerhalb 
15 Tage nach Fertigstellung der Liste soll eine Abschrift davon durch den 
Vorsitzenden jedem Wahlmann zugestellt werden. Innerhalb 15 Tage nach Er- 
halt der Liste soll dann jeder Wahlmann dem Vorsitzenden auf einer von 
diesem gelieferten Vorzugswahlliste die Namen je eines Direktors der Klasse A 
und B einreichen, für die er in erster, zweiter und eventuell weiterer Linie 
stimmt. Jeder Wahlmann soll die Namen der von ihm so vorgeschlagenen 
Direktoren der Klasse A und B mit einem Kreuz bezeichnen. Für jeden 
Kandidaten darf nur in einer der Linien gestimmt werden. 

Ein Kandidat gilt als gewählt, wenn er die Mehrheit aller unter I (erste 
Linie) abgegebenen Stimmen besitzt. Falls keiner der Kandidaten die Stimmen- 
mehrheit aus dem ersten Wahlgange aufweisen kann, dann sollen die für 
sie unter II (zweite Linie) abgegebenen Stimmen mit den unter I vorhandenen 
Stimmen zusammengezählt werden. Der Kandidat, der hieraus eine Stimmen- 
mehrheit erzielt, gilt als gewählt. Besteht jedoch keine solche Majorität, so 
sollen die unter III abgegebenen Stimmen in gleicher Weise zugezählt und 
der Kandidat, der hieraus die Stimmenmehrheit erhält, als gewählt angesehen 
werden. Die Ergebnisse der Wahlen sollen sofort bekannt gegeben werden. 

Die Direktoren der Klasse © werden vom FRBoard ernannt; sie sollen 
wenigstens seit 2 Jahren in dem Distrikte, für den sie ernannt werden, an- 
sässig gewesen sein. Einer der Direktoren dieser Klasse soll vom Board zum 
Vorsitzenden des Direktoriums der FRBank und zum „FRAgent“ ernannt 
werden. Es soll dies ein Mann von erprobter Erfahrung in Banksachen sein; 
er hat neben seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Direktoriums der FRBank 
im Gebäude der betreffenden Federalbank nach den vom FRBoard zu er- 
lassenden Vorschriften eine Ortsstelle dieses Boards einzurichten. Er soll dem 
Board regelmäßig Bericht erstatten und als sein amtlicher Vertreter alle durch 
dieses Gesetz dem Board übertragenen Funktionen ausüben. Er soll ein vom 
Board festgesetztes Jahresgehalt beziehen, das ihm in monatlichen Raten von 
der FRBank, der er zugeteilt ist, bezahlt werden soll. Ein zweiter der Direk- 
toren der Klasse C, ebenfalls ein Mann mit erprobter Erfahrung in Banksachen, 
soll vom Board als Stellvertreter des Vorsitzenden und stellvertretender FRAgent: 
ernannt werden; in Abwesenheit ader bei Verhinderung des FRAgent gehen 
dessen Rechte als Vorsitzender des Direktoriums und FRAgent auf den Stell- 
vertreter über. 

Die Direktoren der FRBanken sollen in Ergänzung anderweitig vor- 
ee Entschädigungen einen angemessenen Betrag zur Deckung ihrer Un- 

osten von ihrer FRBank bewilligt erhalten. Jede Vergütung, die vom Direk- 
torium der FRBank für Direktoren, Beamte oder Angestellte vorgesehen werden 
sollte, soll der Zustimmung des Boards unterliegen. 

Zwecks Errichtung der FRBanken darf die Reservebank-Organisations- 
kommission in den verschiedenen Distrikten Versammlungen von Bankdirektoren 
einberufen. soweit dies zur Erfüllung dieses Gesetzes notwendig erscheint. Sie 
kann ferner bis zur vollendeten Organisation der einzelnen FRBanken die 
Tätigkeit und Befugnisse des Vorsitzenden des Direktoriums der betreffenden 
FRBanken ausüben. 

Auf der ersten Versammlung des vollzähligen Direktoriums jeder FRBank 
soll es Pflicht der Direktoren der Klasse A, bzw. C sein, je ein Mitglied 
jeder Klasse zu bestimmen, dessen Amtsperiode nach 1, 2 bzw. 3 Jahren — 
vom 1. Januar desjenigen Jahres an gerechnet, der dem Datum der Ver- 
sammlung zunächst liegt — ablänft. Nach Ablauf dieser ersten Perioden soll 
jeder Direktor sein Amt auf 3 Jahre ausüben. Ersatzwahlen können in der 
gleichen Weise, wie oben bestimmt, vorgenommen werden. Dabei sollen die 
Ersatzmänner ihre Tätigkeit nur für den Rest der Amtsperiode ihrer Vor- 
gänger ausüben. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 623 


Anteilsausgabe; Erhöhung und Herabsetzung des Kapitals. 

Sect. 5. Das Aktienkapital jeder FRBank soll in Anteile von je 100 $ 
eingeteilt werden. Von Zeit zu Zeit, wenn Mitgliedsbanken ihr Kapital oder ihre 
Reserven erhöhen oder neue Banken Mitglieder werden, soll der ausstehende 
Kapitalbetrag vermehrt werden. Er kann vermindert werden, wenn Mitglieds- 
banken ihr Kapital oder ihre Reserven verringern oder aufhören, Mitglieds- 
banken zu sein. FRBankanteile, die Eigentum von Mitgliedsbanken sind, sollen 
weder übertragen noch verpfändet werden. Falls eine Mitgliedsbank ihr Kapital 
oder ihre Reserven erhöht, so soll sie einen weiteren Betrag von Anteilen der 
FRBank ihres Distriktes zeichnen, der 6 Proz. ihrer eigenen Kapital- oder 
Reserveerhöhung entspricht. Von diesem gezeichneten Betrage ist die Hälfte 
in der gleichen Weise einzubezahlen, wie es für die ursprünglichen Zeichnungen 
vorgesehen ist; die andere Hälfte unterliegt dem Abruf des FRBoards. Eine 
Bank, die sich um Anteile einer FRBank zu irgendeiner Zeit nach deren Or- 
ganisierung bewirbt, muß einen solchen Betrag von FRBankanteilen zeichnen, 
der 6 Proz. ihres eigenen eingezahlten Kapitals und der Reserven gleichkommt. 
Sie hat die Anteile zum Nennwert plus !/; Proz. Stückzinsen pro Monat vom 
Zeitpunkte der letzten Dividendenzahlung an zu bezahlen. Nachdem das Kapital 
irgendeiner FRBank erhöht worden ist, sei es auf Grund einer Kapitalserhöhun 
von Mitgliedsbanken, sei es infolge Neuaufnahme von Mitgliedsbanken, so sol 
das Direktorium veranlassen, daß dem Comptroller of the Currency eine Ur- 
kunde über die vorgenommene Erhöhung, die eingezahlten Beträge und die 
Namen der Einzahler eingereicht wird. Falls eine Mitgliedsbank ihr Kapital 
herabsetzt, soll sie einen entsprechenden Betrag ihres Besitzes an FRBank- 
anteilen zurückgeben. Liquidiert eine Mitgliedsbank freiwillig, so soll sie alle 
in ihrem Besitz befindlichen FRBankanteile ausliefern und von noch nicht 
einberufenen Zeichnungen entbunden werden. In beiden Fällen sollen die 
zurückgegebenen Anteile vernichtet werden. Als Zahlung soll die Mitglieds- 
bank unter vom FRBoard festzusetzenden Vorschriften einen Betrag erhalten, 
der den von ihr auf die zurückgegebenen Anteile eingezahlten Summen zu- 
züglich 1/ə Proz. Stückzinsen pro Monat vom Zeitpunkte der letzten Divi- 
dendenzahlung an entspricht. ie Zahlung soll jedoch nicht den Buchwert 
der Anteile übersteigen. Etwaige Verbindlichkeiten einer solchen Mitgliedsbank 
gegenüber der FRBank sollen abgezogen werden. 

Sect. 6. Wird eine Mitgliedsbank für zahlungsunfähig erklärt und ein 
Konkursverwalter für sie ernannt, so sollen die im Besitze dieser Bank befind- 
lichen FRBankanteile vernichtet werden, ohne daß dadurch die Verpflich- 
tungen der Bank aufgehoben werden. Die auf diese Anteile einbezahlten Beträge 
sollen zuzüglich 1/ə Proz, Stückzinsen pro Monat vom Zeitpunkt der letzten 
Dividendenzahlung an (wobei aber der Buchwert nicht überschritten werden 
soll) zunächst gegen die Verbindlichkeiten der zahlungsunfähigen Mitglieds- 
bank bei der FRBank aufgerechnet werden. Ein etwa verbleibender Rest soll 
dem Konkursverwalter der zahlungsunfähigen Bank ausgezahlt werden. Bei 
jeder Kapitalsherabsetzung einer FRBank, mag sie durch Kapitalverminderung, 

iquidation oder Zahlungsunfähirkeit einer Mitgliedsbank hervorgerufen sein, 
soll das FRBankdirektorium veranlassen, daß dem Comptroller of the Currene 
eine Urkunde über die vorgenommene Herabsetzung und die an eine Ban 
zurückgezahlten Beträge eingereicht wird. 


Gewinnverteilung. 


Sect. 7. Nachdem alle notwendigen Ausgaben einer FRBank bestritten 
worden sind, oder für sie Vorsorge getroffen ist, sollen die Anteilseigner An- 
spruch auf eine jährliche Dividende von 6 Proz. auf ihr einbezahltes Kapital 
haben. Diese Dividende soll kumulativ t) sein. Nach vollständiger Befriedigung 
all dieser Dividendenansprüche soll der verbleibende Reingewinn den Ver- 
einigten Staaten als eine Privilegiengebühr gezahlt werden, mit der Ausnahme, 
daß die Hälfte dieses Reingewinnes so lange einem Reservefonds zufließen 


1) Wird in einem Jahre eine geringere Dividende verteilt, dann haben 
die Anteilseigner Anspruch auf Nachzahlung in späteren Jahren. 


624 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


soll, bis dieser die Höhe von 40 Proz. des eingezahlten Aktienkapitals der 
Bauk erreicht hat. 

Die Reingewinne, die die Vereinigten Staaten von FRBanken erhalten, 
sollen nach Ermessen des Schatzamtsekretärs verwendet werden; und zwar 
entweder zur Verstärkung der Goldreserve für das im Umlauf befindliche 
Papiergeld der Vereinigten Staaten (United States Notes), oder gemäß den vom 
Schatzamtsekretär zu erlassenden Vorschriften zur Tilgung von ausstehenden 
Obligationen der Vereinigten Staaten. Falls eine FRBank aufgelöst wird oder 
liquidierl, soll nach Begleichung aller Schulden und der oben erwähnten Divi- 
dendenansprüche sowie nach Rückzahlung des Kapitals zum Nennwerte ein 
etwa noclı verbleibender Ueberschuß in das Eigentum der Vereinigten Staaten 
übergeben und ähnlich verwendet werden. FRBanken (ihr Kapital, ihre Re- 
serven und die von ihnen gezahlten Gewinne) sind befreit von Bundes-, Staats- 
und örtlicher Besteuerung; sie sind nur der Grundstückssteuer unterworfen. 

Sect. 81). Sect. 5154 der United States Revised Statures (revidierte Gesetz- 
sammlung) wird hiermit abgeändert und erhält folgenden Wortlaut: 

Jede Bank, die durch Sondergesetz eines Einzelstaates oder der Ver- 
einigten Staaten inkorporiert oder unter den allgemeinen Gesetzen eines Einzel- 
staates oder des Bundes organisiert ist, kann mit Zustimmung des Comptroller 
of the Currency durch Beschluß der Aktionäre, die mindestens 5l Proz. des 
Grundkapitals einer solchen Bank oder Bankgesellschaft besitzen, in eine 
Nationalbank mit einem vom Comptroller gebilligten Namen umgewandelt 
werden, sofern ihr wirklich vorhandenes Kapital unter den bestehenden Gesetzen 
ihr das Recht geben würde, Nationalbank zu werden. Diese Umwandlung 
darf jedoch nicht dem Gesetz des Einzelstaates (State Law) widersprechen. 

u einem solchen Falle können der Gesellschaftsvertrag- und das Organi- 
sationszertifikat von einer Mehrheit des Direktoriums der betreffenden Bank 
oder Bankvereinigung ausgefertigt werden. Das Zertifikat soll die Erklärung 
enthalten, daß die Eigentimsr von 5l Proz. des Aktienkapitals das Direk- 
torium ermächtigt haben, ein solches Zertifikat auszustellen und die Bank 
in eine Nationalbank umzuwandeln. Nachdem der Gesellschaftsvertrag und 
das Organisationszertifikat ausgestellt sind, hat eine Mehrheit des Direktoriums 
das Recht, alle übrigen Urkunden auszufertigen und alle Maßnahmen zu er- 
‘greifen, die zur Umwandlung der Bank in eine Nationalbank erforderlich sind. 

ie Aktien jeder solchen Bank können auch fernerhin auf denselben Nenn- 
betrag wie vor der Umwandlung lauten. Die Direktoren können in ihrem Amte 
bleiben, bis andere gemäß den Bestimmungen der Statutes of the United States 
gewählt oder ernannt werden. Sobald der Comptroller of the Currency der be- 
treffenden Bank ein Zertifikat darüber ausgestellt hat, daß die Bestimmungen 
‚dieses Gesetzes erfüllt worden sind, hat die Bank, bzw. Bankgesellschaft, ihre 
Aktionäre, Vorstandsbeamten und Angestellten die gleichen Machtbefugnisse 
und Vorrechte und sind in jeder Hinsicht denselben Pflichten, Verbindlichkeiten 
und Vorschriften unterworfen, wie sie in der FRActe und im Nationalbankgesetz 
für Gesellschaften, die ursprünglich als Nationalbankvereinigungen organisiert 
wurden, vorgesehen sind. 


Staatsbanken als Mitglieder. 

Sect. 9. Jede Bank, die durch Sondergesetz eines Einzelstaates inkorporiert 
oder unter den allgemeinen Gesetzen des Bundes oder eines Einzelstaates errichtet 
ist, kann vor Organisierung des Boards bei der FRBank - Organisationskom- 
mission, später aber beim FRBoard sich um das Recht bewerben, Anteile 
der bereits errichteten oder zu errichtenden FRBank ihres Distriktes zeichnen 
zu dürfen. Die Organisationskommission bzw. das Board können auf Grund 
der von ihnen zu erlassenden Vorschriften und Anordnungen und im Ein- 
klang mit den Bestimmungen dieses Artikels der antragstellenden Bank 

statten, Anteilseigner der FRBank ihres Distriktes zu werden. In jedem 
alle, in dem die Organisationskommission oder das FRPBoard der antrag- 
stellenden Bank gestattet, Anteilseigner zu werden, soll die Ausgabe und Be- 


1) Hier wird unter dem Abschnitt Gewinnverteilung das Recht der Banken 
zum Beitritt in die neue Organisation behandelt! 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 625 


zahlung der Anleihe unter denselben Bedingungen und Vorschriften erfolgen, 
wie sie in diesem Gesetz für Nationalbanken, die Anteilseigner von Reserve- 
bauken werden, vorgesehen sind. 

Die Organisationskommission bzw. das FRBoard sollen Statuten auf- 
stellen zwecks allgemeiner Festlegung ihres Verhaltens bei Erledigung der 
Anträge von Staatsbanken, Bankvereinigungen und Trustgeseilschaften auf Zu- 
teilung von FRBankanteilen. In diesen Statuten sollen solche Banken, die 
nicht unter Bundesgesetz errichtet sind, verpflichtet werden, die vorgesehenen 
Kapital- und Reserveerfordernisse zu erfüllen, sich den Revisionen und den 
von der Oıganisationskommission oder dem Board verordneten Vorschriften zu 
unterwerfen. Eine antragstellende Bank soll als Mitglied einer FRBank nur 
dann zugelassen werden, wenn sie ein einbezahltes, unvermindertes Kapital be- 
sitzt, das sie gemäß den Bestimmungen des Nationalbankgesetzes berechtigt, 
in dem Orte ihrer Niederlassung Nationalbank zu werden. 

Jede Bank, die auf Grund der Vorschriften dieses Artikels die Mitglied- 
schaft einer FRBank erwirbt, hat sich außer den vorstehenden Bestimmungen 
und Beschränkungen auch folgenden, den Nationalbanken durch Gesctz auf- 
erlegten Vorschriften und ferner den vom FRBoard weiterhin zu erlassenden 
Anordnungen zu unterwerfen: 

1) Vorschriften betr. die Beschränkung der Verbindlichkeit einer Einzel- 
person, Firma oder Gesellschaft gegenüber einer solchen Bank; 

2) betr das Verbot des Verkaufs oder der Verpfändung von Aktien 
‚solcher Banken ; 

3) betr. Rückzahlung oder teilweisen Verlust des Kapitals ; 

4) betr. die Zahlung nicht verdienter Dividenden. 

Auch die in den Sektionen 5193, 5290, 5201, 5298, 5209 der „Revised 
Statutes“ enthaltenen Vorschriften und Strafbestimmungen finden auf solche 
Bauken, ihre Direktoren, Agenten und Angestellten Änwendung. Die Mit- 
gliedebanken sollen ferner gemäß Sekt. 5211 und 5212 der Revised Statutes 
verpflichtet. sein, dem Comptroller of the Currency Berichte über ihren Status 
und ihre Dividendenzahlungen einzureichen. Falls eine Bank diese Verpflich- 
tung nicht erfüllt, so sollen die in Sect. 5213 vorgesehenen Strafbestimmungen 
zur Anwendung kommen. Wenn eine Mitgliedsbank es nach Ansicht des 
FRBoard zu irgendeiner Zeit versäumt hat, den Bestimmungen dieser Sektion 
oder den Vorschriften des Boards gerecht zu werden, so soll dieser nach 
voraugegangener Vernehmung das Recht haben, von der betreffenden Bank 
die Zurückgabe ihres Besitzes an FRBankanteilen zu verlangen. Gegen Aus- 
lieferung der Anteile soll die FRBank den Betrag der baren Einzahlungen auf 
die Aktien zuzüglich Zinsen zum Satze von {a roz. pro Monat von der Ver- 
teilung der letzten Dividende — falls eine solche verdient ist — an gerechnet, 
vergüten. Dic Zahlung soll den Buchwert der Anteile jedoch nicht über- 
steigen. Die Verbindlichkeiten der Bank gegenüber der FRBank sol!en dabei 
abgezogen werden, mit Ausnahme der Verpflichtungen aus noch nicht ein- 
berufenen Aktienzeichnungen ; von diesen soll die Bank entbunden werden. 
Auf Anordnung des FRBords so!l dann die FRBank der betreffenden Mit- 
gliedsbank alle Vorteile der Mitgliedschaft entziehen, innerhalb 39 Tagen nach 
dieser Anordnung die Anteile einziehen und vernichten und die oben vor- 
gesehenen Zahlungen leisten. Das ED Board kann, wenn ihm der Beweis erbracht 
wird, daß die Vorschriften dieser Sektion nunmehr erfüllt sind, die Mitglied- 
schaft wiederherstellen. 


Federal Reserve-Board. 

Sect. 10. Hiermit wird ein FRBoard geschaffen, das aus 7 Mitgliedern 
bestehen soll. Der Schatzamtssekretär und der Comptroller of the Curreney 
sollen ihm ex officio angehören, während die andern 5 Mitglieder vom Prä- 
sidenten der Vereinigten Staaten nach Anhörung und mit Zustimmung des 
Senates ernannt werden. Bei der Auswahl dieser 5 Mitglieder so!l aus keinem 
FRDistrikt mehr ais ein Mitglied bestimmt werden. Ferner soll der Präsident 
unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen und geographischen Bedeutung 
‚eine möglichst gerechte Vertretung der verschiedenen Landesteile anstreben. 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID. 40 


626 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Die 5 Mitglieder des FRBoards sollen, nachdem sie vom Präsidenten ernannt 
und wie eben erwähnt bestätigt sind, ihre ganze Zeit ausschließlich den Ge- 
schäften des FRBoard widmen. Jedes Mitglied des Boards soll ein Jahres- 
gehalt von 12000 $ beziehen, das ihm zusammen mit den gehabten not- 
wendigen Reiseunkosten in monatlichen Raten ausbezahlt werden soll. Der 
Comptroller of the Currency als ex officio-Mitglied des Boards soll außer seinem 
Gehalt als Comptroller of the Currency noch 7000 $ jährlich für seine Dienste 
als Mitglied des Boards empfangen. 

Die Mitglieder des FH Boards, der Schatzamtsekretär, dessen Assistenten 
und der Comptroller of the Currency dürfen während ihrer Amtsperiode und 
noch zwei Jahre danach kein Amt oder Stellung in einer Mitgliedsbank be- 
kleiden. Von den 5, vom Präsidenten ernannten Mitgliedern müssen mindestens 
2 Bank- oder Finanzfachmänner sein. Ein Mitglied soll vom Präsidenten 
für eine Amtszeit von 2 Jalıren, eines für 4, eines für 6, eines für 8 und 
eines für 10 Jahre ernannt werden. Später soll jedes ernannte Mitglied eine 
Amtszeit von 10 Jahren ausfüllen, sofern es nicht früher durch den Präsidenten 
wegen Dienstvergehen des Amtes enthoben wird. Der Präsident soll eines 
der 5 ernannten Mitglieder als Gouverneur und eines als Vize-Gouverneur 
des Boards bezeichnen. Der Gouverneur soll die Funktionen des Geschäfts- 
führers ausüben ; seine Handlungen unterliegen aber der Nachprüfung des 
Boards. Der Schatzamtsekretär kann im Hause des Schatzamtes dem Board 
Bureauräume zur Benützung überlassen. Jedes Mitglied des Boards hat inner- 
halb 15 Tagen nach Bekanntgabe seiner Ernennung den Amtseid zu leisten. 
Das FRBoard soll ermächtigt sein, halbjährlich von den FRBanken einen ihrem 
Aktienkapital und ihren Reserven entsprechenden Beitrag einzuziehen, zwecks 
Deckung der geschätzten Unkosten und der Gehälter von Mitgliedern und 
Beamten des Boards für das nächste halbe Jahr oder zum Ausgleich eines 
im vorangegangenen Semester eventuell entstandenen Fehlbetrages. 

Die erste Sitzung des Boards soll sobald als möglich nach Inkraft- 
treten dieses Gesetzes in Washington, D. C., an einem von der Reservebank- 
Organisationskommission festgesetzten Tage abgehalten werden. Der Schatz- 
anıtsekretär soll ex officio der Vorsitzende des Boards sein. Kein Mitglied 
des Boards darf Vorstandsbeamter oder Direktionsmitglied irgendeiner Bank, 
Trustgesellschaft oder FRBank sein; auch der Besitz von Aktien einer Bank 
oder Wat een ist verboten. Vor Antritt seines Amtes soll jedes Mit- 
gued des FRBoards dem &Schatzamtsekretär gegenüber die Erfüllung dieser 

edingung eidlich bestätigen. Falls unter den fünf vom Präsidenten ernannten 

Mitgliedern ein Posten aus anderen Gründen als durch Ablauf der Amts- 
periode frei wird, so bestimmt der Präsident nach Anhörung und mit Zu- 
stimmung des Senats einen Nachfolger. Dieser soll den Posten für den Rest 
der Amtszeit seines Vorgängers innehaben. Wird eine solche Stelle während 
der Senatsferien frei, so steht es in der Macht des Präsidenten, das freie Amt 
durch Ernennung eines Stellvertreters, dessen Bestellung aber 30 Tage nach 
Wiederzusammenkunft des Senates erlischt, zu besetzen. 

Keine Bestimmung dieses Gesetzes soll dahin ausgelegt werden, daß da- 
durch die Machtbefugnisse des Schatzamtsekretärs treffs Ueberwachung, 
Leitung und Kontrolle des Schatzamtes und der diesem untergeordneten Amts- 
stellen beeinträchtigt werden. 

In allen Fällen, wo die dem Board oder dem FRAgenten durch dieses 
Gesetz verliehenen Befugnisse den Rechten des Schatzamtsekretärs zu wider- 
sprechen scheinen, sollen diese Befugnisse unter Ueberwachung und Kon- 
trolle des Schatzamtsekretärs ausgeübt werden. Das FRBoard soll dem Prä- 
sidenten (Speaker) des Repräsentantenhauses jährlich einen ausführlichen Be- 
richt über seine Tätigkeit einreichen. Der Präsident soll diesen Bericht 
durch Drucklegung zur Kenntnis des Repräsentantenhauses bringen. 

Scect. 324 der Revised Statutes of the United States wird abgeändert und 
erhält folgenden Wortlaut: 

Eine Abteilung des Schatzamtes soll mit der Durchführung aller vom 
Kongreß erlassenen Gesetze betreffs Ausgabe und Regulierung der durch 
Bundesschuldverschreibungen gedeckten Nationalbanknoten und (unter der Ober- 
aufsicht des FRBoards) sämtlichen FRNoten beauftragt werden. Der Leiter 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 627 


dieser Abteilung, der seine Tätigkeit gemäß den vom Schatzamtsekrelär zu 
gebenden allgemeinen Anordnungen auszuüben hat, soll den Namen Comp- 
troller of the Currexcy führen. 

Sect. 11. Das FRBoard soll befugt und berechtigt sein: 

a) Nach eigenem Ermessen die Rechnungen, Bücher und die Geschäfts- 
führung jeder FRBank und jeder Mitgliedsbank nachzuprüfen und die ihm 
notwendig erscheinenden Aufstellungen und Berichte zu verlangen. Das Board 
soll wöchentlich einmal einen Ausweis über den Status jeder einzelnen FRBank 
und einen den Status sämtlicher Reservebanken enthaltenden Ausweis ver- 
öffentlichen. Diese Ausweise sollen die einzelnen Aktiv- und Passivposten jeder 
FRBank und der Gesamtheit dieser Banken zeigen, über die Gliederung des 
als Reserve gehaltenen Kassenbestandes Aufschluß geben und genaue Angaben 
über den Betrag, Art und Fälligkeit der in vorübergehendem oder andauerndem 
Besitze befindlichen Wertpapiere und sonstigen Kapitalsanlagen enthalten. 

b) FRBanken zu gestatten oder (bei bejahender Abstimmung von min- 
destens 5 Mitgliedern des Boards) sie sogar zu zwingen, die diskontierten 
Wechser anderer FRBanken zu rediskontieren. Die zu berechnenden Diskont- 
sätze sind vom Board festzusetzen. 

c) Jede Reservevorschrift dieses Gesetzes für einen Zeitraum von höchstens 
30 Tagen aufzuheben und diese Aufhebung von Zeit zu Zeit für Perioden bis 
zu 15 Tagen zu erneuern; mit folgender Maßgabe: Auf die Beträge, um die 
die Reserven hinter die weiter unten festgesetzte Grenze zurückgehen dürfen, 
muß das Board eine abgestufte Steuer legen. Ferner soll das Board, wenn die 
Goldreserve für FRNoten unter 40 Proz. sinkt, eine abgestufte Steuer auf 
die nicht genügend gedeckten Noten erheben, und zwar eine Steuer von 
nicht mehr als 1 Proz. bei einem Fallen der Goldreserve bis zu 32!/, Proz. 
und eine steigende Steuer von nicht weniger als 1!/, Proz. für je 2!/ Proz. 
(oder einen Teil davon) Unterdeckung bei einem Sinken der Goldreserve unter 
321/, Proz. Die Steuer soll durch die FRBank bezahlt werden; diese soll 
aber einen entsprechenden Betrag auf die Zins- und Diskontsätze, die der 
FRBoard festgesetzt hat, zuschlagen. 

d) Durch das unter Leitung des Comptroller of the Curreney stehende 
Bureau die Ausgabe und Zurückziehung von FRNoten zu überwachen und zu 
regulieren und Vorschriften zu erlassen, nach welchen der Comptroller of the 
rn solche Noten an die darum nachsuchenden FRAgenten verabfolsen 
arf. 

e) Die Zahl der auf Grund bestehenden Rechtes als Reserve- und Zentral- 
reservestädte bezeichneten Orte, in denen Nationalbanken den in Sekt. 20 
des vorliegenden Gesetzes festgelegten Reservevorschriften unterworfen sind, 
zu vermehren; die bestehende Einteilung von Reserve- und Zentralreservestädten 
zu ändern oder ihnen diesen Charakter überhaupt zu nehmen. 

f) Vorstandsbeamte oder Direktoren der FRBanken von ihrem Amte zu 
suspendieren oder zu entlassen; die Angabe des Grundes dafür hat schriftlich 
durch das FRBoard an den betreffenden Beamten oder Direktor und an die 
Bank zu erfolgen. 

) Abschreibungen auf zweifelhafte oder wertlose Aktiven in den Büchern 
und Bilanzen der FRBanken zu verlangen. $ 

h) Bei Verstoß gegen irgendeine Bestimmung dieses Gesetzes den Ge- 
schäftsbetrieb einer FRBank aufzuheben, ihn zu übernehmen, während der 
Aufhebung zu verwalten und, falls notwendig, eine solche Bank zu liquidieren 
oder zu reorganisieren. 

i) Von den FRAgenten Kautionen zu verlangen und Bestimmungen zu 
erlassen zur Sicherstellung für alle bei ihnen hinterlegten Pfandobjekte, Schuld- 
verschreibungen, FRNoten, -Bargeld oder sonstige Wertgegenstände irgend- 
welcher Art. Das Board soll die in diesem Gesetz näher bezeichneten Pflichten, 
Funktionen oder Tätigkeiten erfüllen und alle zu deren wirksamen Durch- 
führung nötigen Verordnungen und Vorschriften erlassen. 

) Die allgemeine Ueberwachung über die FRBanken auszuüben. 

e ) Nationalbanken auf ihren Antrag hin das Recht zu erteilen — falls 
dies nicht im Widerspruch zu einem Staats- oder Ortsgesetz steht — als 


40* 


628 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Treubänder, Testamentsvollstrecker, Vermögensverwalter, Registrator von Aktien 
und Schuldverschreibungen zu dienen, gemäß den vom Board zu erlassenden 
Bestimmungen. 

1) Die für die Tätigkeit des Boards erforderlichen Anwälte, Sachverständi 
Assistenten, Beamten oder sonstige Hilfskräfte anzustellen. Alle Gehälter un 
hal, iger sollen vom Board im voraus festgesetzt und in der gleichen Weise 
bezahlt werden, wie die Gehälter der Mitglieder des Boards. Alle diese Anwälte, 
Sachverständigen, Assistenten, Beamten und sonstigen Hilfskräfte sollen bestellt 
werden ohne Rücksichtnahme auf die Bestimmungen des Gesetzes vom 16. Ja- 
nuar 1883 (Band 22 der „United States Statutes at Large“ Seite 403), dessen 
ge n oder der auf Grund des Gesetzes erlassenen Entscheidungen 
und Regelungen. 

Federal-Advisory-Council!). 

Sect. 12. Hierdurch wird ein Federal-Advisory-Couneil Sen der 
sich aus genau so viel Mitgliedern zusammensetzen soll wie FRBanken be- 
stehen. Jede FRBank soll durch ihr Direktorium jährlich aus ihrem Distrikte 
ein Mitglied dieses Councils erwählen. Die diesen Mitgliedern zu zahlende 
Vergütung und Entschädigung wird von dem Direktorium festgesetzt und 
unterliegt der Genehmigung des FRBoard. Die Sitzungen des Federal-Ad- 
visory-Council sollen in Washington D. C. stattfinden, mindestens viermal jähr- 
lich und öfters, falls durch das Board einberufen. Außer diesen Sitzungen 
kann der Council, soweit es nötig erscheint, noch andere Zusammenkünfte 
in Washington oder sonstwo abhalten. Der Federal-Advisory-Council kann 
seine eigenen Vorstandsbeamten ernennen und seine Geschäftsordnung selbst 
festsetzen. Eine Mehrheit seiner Mitglieder soll eine zur Erledigung der Ge- 
schäfte beschlußfähige Versammlung darstellen. ` Ersatzwahlen für Mitglieder 
des Councils sollen von den betreffenden FRBanken vorgenommen werden 
und jeweils für den Rest der Amtsperiode gelten. 

Der Federal-Advisory-Council als solcher, oder vertreten durch seinen Vor- 
stand, soll das Recht haben: 

2) mit dem FRBoard direkt über die allgemeine Geschäftslage zu beraten: 

2) mündlich oder schriftlich beim Board Vorstellung in Angelegenheiten, 
für die das Board zuständig ist, zu erheben. 

3) Auskunft zu verlangen und Vorschläge zu machen über die Diskont- 
sätze, das Rediskontierungsgeschäft, die PORAIRA; die Reservebedingungen in 
den verschiedenen Distrikten, ferner über den Kauf und Verkauf von Gold 
und Wertpapieren seitens der Reservebank und die Geschäfte dieser Banken 
am offenen Geldmarkte, sowie über die allgemeinen Angelegenheiten des Re- 
servebanksystems. 


Befugnisse der Federal Reserve-Banken. 


Sect. 13. Jeder FRBank ist es naes von ihren Mitgliedsbanken und 
von der Bundesregierung aus flüssigen Mitteln Depositen in gesetzlichem Gelde, 
Nationalbanknoten, FRNoten oder Schecks und Sichtwechsel auf zahlungs- 


fähige Mitgliedsbanken anzunehmen. Außerdem kann sie — ausschließlich zu 
Zwecken des Abrechnungsverkehrs — von anderen FRBanken aus flüssi 
Depositen entgegennehmen in tzlichem Gelde: Nationalbanknoten er 


Schecks und Sichtwechsel auf zahlungsfähige Mitglieds- oder andere FRBanken. 

Jede FRBank kann von irgendeiner Mitgliedsbank indossierte und von 
einer Verzichterklärung auf Protestaufnahme begleitete Solawechsel, Tratten 
akeni diskontieren, soweit diese tatsächlich aus geschäftlichen Transaktionen 
herrühren, d. h. Solawechsel, Tratten und Akzepte, die für die Zwecke 
von Landwirtschaft, Industrie oder Handel Soszestalle oder gezogen sind oder 
deren Erlös zu solchen Zwecken verwandt wurde oder verwandt werden soll. 
Das FRBoard hat das Recht, den Charakter der danach im Sinne dieses Ge- 
setzes diskontfähigen Papiere festzulegen und zu begrenzen. Keine Bestim- 
mung dieses Gesetzes soll so ausgelegt werden, daß dadurch Solawechsel, 
Tratten und Akzepte, die durch landwirtschaftliche Stapelprodukte, sonstige 


1) Dem Zentralausschuß der Reichsbank nachgebildet. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 629 


Waren, Güter oder Handelsartikel gedeckt sind, von der Diskontierfähig- 
keit ausgeschlossen werden. Diese Definition soll jedoch Solawechsel, Tratten 
und Akzepte nicht einschließen, die lediglich eine Kapitalsanlage darstellen 
oder die zum Zwecke des Prolongierens oder Handelns in Aktien, Schuldver- 
schreibungen oder anderen Anlagepapieren (ausgenommen Regierungs-Schuld- 
verschreibungen und -Schatzscheine der Vereinigten Staaten) ausgestellt oder 
ezogen sind. Solawechsel, Tratten und Akzepte, die unter den Bestimmungen 
ieses Artikels zur Diskontierung zugelassen sind, dürfen zur Zeit der Dis- 
kontierung eine Laufzeit von höchstens 90 Tagen haben, mit der Maßgabe: 
Solawechsel, Tratten und Akzepte, die für landwirtschaftliche Zwecke (ein- 
schließlich der Viehzucht und des Viehhandels) ausgestellt oder ogen sind, 
dürfen, wenn sie eine Laufzeit von höchstens 6 Monaten aufweisen, dis- 
kontiert werden, und zwar bis zu einem Höchstbetrage, der vom Board in 
Prozenten des Aktienkapitals der FRBank festgesetzt werden soll. Jede FRBank 
kann Akzepte, die auf dem Import oder Export von Waren beruhen, diskontieren. 
Diese Akzepte dürfen zur Zeit der Diskontierung eine Laufzeit von höchstens 
3 Monaten Buben und müssen von mindestens einer Mitgliedsbank indossiert sein. 
Der Gesamtbetrag der so diskontierten Akzepte darf zu keiner Zeit die Hälfte 
des eingezahlten Grundkapitals und der Reserven der rediskontierenden Mit- 
gliedsbank übersteigen. 

Die Gesamthöhe von solchen Solawechseln und Akzepten, die die Unter- 
schrift oder das Indossament irgendeiner Person, Firma, Gesellschaft oder 
Korporation tragen und von irgendeiner Bank rediskontiert sind, darf zu keiner 
Zeit mehr als D Proz. des unverminderten Kapitals und der Reserven dieser 
Bank betragen. Diese Einschränkung ist jedoch nicht auf die Diskontierung 
von Wechseln anzuwenden, die gutgläubig gegen wirklich vorhandene Werte 
gezogen sind. / 

Jede Mitgliedsbank darf auf sie gezogene Tratten oder Wechsel akzeptieren, 
die aus Warenimport- oder -export chäften hervorgehen und auf nicht mehr 
als 6 Monate nach Sicht lauten. Keine Bank darf aber einen höheren Betrag 
solcher Wechsel zu irgendeiner Zeit diskontieren, als die Hälfte des eingezahlten 
Grundkapitals und der Reserven beträgt. 

Sect. 5202 der „Revised Statutes of the United States“ wird hiermit ab- 
abgeändert und erhält folgenden Wortlaut: Keine Nationalbank soll zu irgend- 
einer Zeit Schulden. oder irgendwelche Verbindlichkeiten aufweisen, die den Be- 
trag ihres bis dahin tatsächlich einbezahlten und durch Verluste oder sonstwie un- 
vermindert verbliebenen Grundkapitals übersteigen; ausgenommen hiervon sind 
jedoch folgende Verpflichtungen : 

1) die umlaufenden Noten, 

2) Depositen und Inkassogelder, 

3) Wechsel oder Tratten, die die Bank gegen von ihr unterhaltene De- 
positen oder ihr gutkommende Gelder gezogen hat, ; 

4) Verbindlichkeiten gegenüber den Aktionären der Bank für Dividenden 
oder Gewinnreserven, 

5) Verpflichtungen, die auf Grund der Bestimmungen des FRGesetzes ein- 
gegangen sind. 

as Rediskontieren von irgendwelchen Inkassi, von in- oder ausländischen 
Wechseln und von durch dieses Gesetz gestatteten Akzepten seitens irgend- 
einer FRBank ist solchen Beschränkungen, Begrenzungen und Bestimmungen 
unterworfen, als das FRBoard festsetzen mag. 


Geschäfte am offenen Markte. 


Sect. 14. Auf Grund der Bestimmungen und Vorschriften des Boards 
kann jede FRBank am offenen Markte, im In- oder Auslande, von in- oder 
ausländischen Banken, Einzelpersonen, Firmen oder Gesellschaften mit oder 
Indossament: einer Mitgliedsbank kaufen oder an dieselben Kreise verkaufen : 
Kabelauszahlungen, Bankakzepte und solche Wechsel, die nach Art und Fällig- 
keit durch dieses Gesetz für diskontierfähig erklärt sind. 

Jede FRBank soll berechtigt sein: 

a) Im In- oder Auslande in Goldbarren oder Goldmünzen zu handeln, 
Darlehen darauf zu bewilligen, FRNoten gegen Gold, Goldmünzen oder Gold- 


630 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


zertifikate umzutauschen, Verträge zwecks Aufnahme von Darlehen in Gold- 
münzen oder Goldbarren abzuschließen und dafür, falls erforderlich, ange- 
messene Sicherheit zu stellen, unter anderem auch durch Verpfändung von 
Schuldverschreibungen der Vereinigten Staaten oder von anderen Wertpapieren, 
die FRBanken zu besitzen en sind. 

b) Im In- oder Auslande zu kaufen oder zu verkaufen : Schuldverschrei- 
bungen und Schatzscheine der Vereinigten Staaten, ferner Wechsel, Noten 
(kurzfristige Obligationen), Zollanleihen und Lagerhausscheine, die am Tage 
des Ankaufs eine Laufzeit von höchstens 6 Monaten haben und auf Grund der 
vorzunehmenden Einziehung von Steuern oder des erwarteten Eingangs fester 
Einkünfte von einem Staate, einem Landkreis, einem Distrikt, einem Kommunal- 
verband oder einer Gemeinde innerhalb des kontinentalen Gebietes der Ver- 
einigten Staaten (einschließlich Be- und Entwässerungs- und Kultivierungs- 
distrikten) ausgegeben sind. Der Erwerb solcher Papiere ist in Ueberein- 
stimmung mit den vom FRBoard festzusetzenden Regeln und Bestimmungen 
vorzunehmen. 

c) Warenwechsel der oben definierten Art von Mitgliedsbanken mit oder 
ohne deren Indossament zu kaufen oder an sie zu verkaufen. 

d) Von Zeit zu Zeit die von der FRBank für jede einzelne Klasse von 
Wechseln zu berechnenden Diskontsätze festzusetzen, wobei jedoch die Be- 
dürfnisse von Handel und Verkehr angemessene Berücksichtigung finden sollen. 
Die Diskontraten unterliegen der Nachprüfung und eventuell anderweitigen 
Festsetzung durch das FRBoard. 

e) Zum Zwecke des Abrechnungsverkehrs Konten bei anderen FRBanken 
zu unterhalten, sowie mit Zustimmung des Boards sich im Auslande Bank- 
konten eröffnen zu lassen und aufrecht zu erhalten, Korrespondenten zu 
ernennen und in geeigneten Ländern zum Zwecke des Kaufs, Verkaufs und 
der Einziehung von Wechseln Agenturen zu gründen; — durch solche Korre- 
spondenten und Agenturen mit oder ohne eigenes Indossament Wechsel zu kaufen 
oder zu verkaufen, die tatsächlich aus geschäftlichen Transaktionen stammen, 
höchstens 90 Tage Laufzeit haben ke die Unterschriften von mindestens 
zwei zahlungsfähigen Parteien tragen. 


Regierungsdepositen. 


Sect. 15. Mit Ausnahme des 5-proz. Einlösungsfonds für ausstehende 
Nationalbanknoten und der in diesem Gesetz für Einlösung der FRNoten vor- 
Ego: Fonds können die Bestände der allgemeinen Kassenverwaltung des 

chatzamtes auf Anordnung des Schatzamtsekretärs bei FRBanken deponiert 
werden. Diese Banken sollen auch, falls der Schatzamtsekretär es verlangt. 
als Agenten des Fiskus dienen. Regierungseinkünfte können ebenfalls ganz 
oder teilweise bei FRBanken deponiert werden und Auszahlungen können mittels 
gegen solche Depositen gezogene Schecks vorgenommen werden. 

Oeffentliche Fonds der Philippinen, Postsparkassengelder oder irgend- 
welche sonstigen Regierungsfonds dürfen im kontinentalen Gebiete der Ver- 
einigten Staaten nur bei solchen Banken deponiert werden, die dem System 
der FRPanken angegliedert sind; jedoch mit der Maßgabe, daß keine Bestim- 
mung dieses Gesetzes dahin Perche? werden soll, daß dadurch dem Schatz- 
anıtsckretär das Recht entzogen würde, Mitgliedsbanken als Hinterlegungs- 
stellen zu wählen. 

Notenausgabe. 

Sect. 16. Hiermit wird die Ausgabe von FRXNoten gestattet. Diese soll 
nach Gutdünken des FRBoards stattfinden, und zwar, wie weiter unten näher 
ausgeführt, nur zu dem ausschließlichen Zwecke, den FRBanken durch die 
FRAgenten Vorschüsse zu gewähren. Diese Noten sollen Schuldverpflichtungen 
der Vereinigten Staaten sein und sollen von jeder National-, Mitglieds- und 
FRPBank, sowie für alle Steuern, Zölle und sonstige öffentlichen Abgaben in 
Zahlung genommen werden. Sie sollen bei dem Schatzamte der Vereinigten 
Staaten in Washington, D. C., auf Verlangen in Gold oder von jeder FRBank 
in Gold oder E EEN Gelde eingelöst werden. 

‚Jede FRBank kann bei ihrem FRAgenten die Verabfolgung des not- 
wendigen Betrags von FRNoten beantragen. Gleichzeitig mit dem Äntrage soll 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 631 


als FRNoten verlangt werden und nach Genehmigung des Antrags ausgegeben 
werden sollen. Die angebotene Sicherheit soll in Prima- oder Solawechseln, 
die auf Grund Sect. 13 des Gesetzes zum Rediskont angenommen wurden, 
bestehen. Der FRAgent soll dem Board täglich über die Ausgabe oder Zurück- 
ziehung von FRXNoten seitens der Reservebank, der er zu eteilt ist, Bericht 
erstatten. Das Board kann jederzeit von einer Reserveban weitere Sicher- 
heitsdeckung gegen die von ihr ausgegebenen FRXNoten verlangen. 

Jede FRBank hat folgende Reserven zu halten: gegen ihre Depositen 
mindestens 35 Proz. in Gold oder gesetzlichen Gelde; gegen ihre tatsächlich 
im Umlauf befindlichen Noten, soweit sie nicht durch bei dem FRAgenten 
deponiertes Gold oder gesetzliches Geld gedeckt sind, mindestens 40 Proz. 
in Gold. Die so ausgegebenen Noten sollen zwecks Unterscheidung auf der 
Vorderseite einen Buchstaben und eine Seriennummer tragen, die vom Board 
für jede FRBank bestimmt werden. Falls eine FRBank von einer anderen 
FRBank ausgegebene Noten erhält, sO sollen diese Noten umgehend an die 
Bank, durch die sie ursprünglich Lie wurden, zur Gutschrift oder Ein- 


servebank ausgegebene Noten nicht wieder zu Zahlungen verwenden. Bei Zu- 
widerhandlung 1st eine Steuer von 10 Proz. des 

ausgabten Noten als Strafe zu entrichten. Noten, die bei dem Bundesschatzamt 
zur Einlösung vorgele werden, sollen aus dem Einlösungsfonds bezahlt und 
der Reservebank zurückgegeben werden, durch die sie ursprünglich ausgegeben 
wurden. Diese FRBank soll dann auf Verlangen des Schatzamtsekretärs den 
Einlösungsfonds wieder ergänzen und zwar in gesetzlichem Gelde oder, falls 
die Noten vom Schatzamte in Gold oder Goldzertifikaten eingelöst worden sind, 
in Gold oder Goldzertifikaten, soweit dies vom Schatzamtsekretär verlangt 
wird. Jede FRBank soll, solange noch irgendwelche ihrer FRNoten ausstehen, 
bei dem Schatzamtsekretär einen Goldbestand unterhalten, der nach Ansicht 
des Sckretärs für alle durch ihn vorzunehmenden Einlösungen ausreichen 
ist. Die bei dem Schatzamt zu anderen Zwecken als zur Einlösung eingehenden 


Das FRBoard soll von jeder Reservebank die Aufrechterhaltung eines 
Golddepositums bei dem Schatzamt der Vereinigten Staaten verlangen, dessen 
Betrag nach Ansicht des Schatzamtsekretärs zur Einlösung der einer solchen 
Bank überlassenen FRXNoten ausreichend ist; jedoch darf es keinesfalls weniger 
als 5 Proz. betragen. Ein solches Golddepositum soll als ein Teil der oben ge- 
forderten 40-pro2. Reserve gerechnet und in sie eingeschlossen werden. Das 
Board soll das Recht haben, durch den FRAgenten den Antrag einer jeden 
Reservebank auf Verabfolgung von FRXNoten ganz oder teilweise zu bewilligen, 
oder auch ganz abzulehnen. Insoweit aber ein soleher Antrag durch den 
FRBoard bewilligt werden mag, soll dieser die antragstellende Bank durch 
ihren FRAgenten mit FRXNoten versorgen lassen. Diese Bank soll mit dem 
Betrage solcher Noten belastet werden und soll diesen Betrag ZU einem 
vom Board festgesetzten Satze verzinsen. Die so an irgendeine FRBank aus- 
gegebenen FRXNoten sollen nach Ablieferung zusammen mit den von der 

gervebank auf Grund von Sect. 18 dieses Gesetzes gegen Hinterlegung 2-proz. 
Regierungsschuldverschreibungen der Vereinigten Staaten in Umlauf gesetzten 
Noten das erste Vorzugsanrecht auf alle Aktiven einer solchen Bank erhalten. 


Jede FRBank kann jederzeit durch Hinterlegung von eigenen FRXoten, 
Goldzertifikaten oder gesetzlichem Gelde der Vereinigten Staaten beim FR- 
Agenten ihre Verbindlichkeiten aus ausstehenden FRXNoten herabmindern. 

Noten, die so hinterlegt werden, sollen nicht wieder ausgegeben werden, es sei 


denn nach Erfüllung der für eine Neuausgabe vorgesehenen Vorschriften. 


632 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Der FRAgent soll solches Gold, Goldzertifikate oder gesetzliches Geld 
ausschließlich für den Umtausch solcher ausstehenden FRXNoten bereithalten, 
die ihm von der Reservebank, deren Direktor er ist, angeboten werden. Auf 
Aufforderung des Schatzamtsekretärs soll das FRBoard von dem FRAgenten 
verlangen, daß er so viel von diesem Golde an das Schatzamt der Vereinigten 
Staaten überweist, als für den ausschließlichen Zweck der Einlösung solcher 
Noten erforderlich sein mag. 


Unter den vom Board zu erlassenen Bestimmungen und mit Zustimmung 
des FRAgenten kann jede Reservebank nach Belieben die bei ihrem FRAgenten 
zur Deckung ihrer FRNoten hinterlegten Sicherheiten zurückziehen. Sie muß 
aber gleichzeitig diese Sicherheiten im selben Betrage durch andere gleich- 
artige ersetzen. 

Zwecks Beschaffung zum Umlauf als FRNoten geeigneter Noten soll der 
Comptroller of the Currency nach Anweisung des Schatzamtsekretärs Platten und 
Matrizeu in zum Schutze gegen Nachahmungen und betrügerische Fälschungen 
geeignetster Weise gravieren lassen. Von diesen Platten soll eine solche Anzahl 
dieser Noten in Stückelung von 5, 10, 20, 50, 100$ gedruckt und mit Nummern 
versehen werden, als zum Zwecke der Versorgung der Reservebanken nöti 
erscheint. Diese Noten sollen in Form und Wortlaut nach den auf Grun 
der Bestimmungen dieses Gesetzes gemachten Angaben des Schatzamtsekretärs 
hergestellt werden. Sie sollen die Unterscheidungsnummern der verschiedenen 
Reservebanken, durch die sie ausgegeben wurden, tragen. 

Diese Noten sollen nach der Herstellung in dem, Sen Sitze jeder FRBank 
nächstgelegenen Schatzamte (Treasury), Unterschatzamte (Sub-Treasury) oder 
Münze der Vereinigten Staaten aufbewahrt und für den Gebrauch einer solchen 
Bank bereitgehalten werden, falls der Comptroller of the Currency, wie in 
diesem Gesetz vorgesehen, Auftrag zur Auslieferung gibt. 

Die durch den Comptroller of the Currency zum Drucken dieser um- 
laufenden Noten geschafften Platten und Matrizen sollen unter seiner Kontrolle 
und Verfügung verbleiben. Die bei Ausführung der gesetzlichen Bestimmun 
bezüglich der Herstellung dieser Noten notwendigerweise entstehenden Un- 
kosten, sowie alle anderen durch ihre Ausgabe oder Einziehung verursachten 
Ausgaben sollen von den FRBanken bezahlt werden. Das FRBoard soll in 
seinen Voranschlag der von den Reservebanken zu erhebenden Kostenbeiträge 
einen zur Deckung der hier vorgesehenen Ausgaben genügenden Betrag ein- 
schließen. 

Die in Sect. 5174 der „Revised Statutes“ vorgesehene Nachprüfung der 
Platten, Matrizen, Stempel usw. und die auf die Nachprüfung der Platten, 
Matrizen usw. der Nationalbanknoten bezüglichen Bestimmungen werden hier- 
mit auch auf die im Vorstehenden vorgesehenen Noten ausgedehnt. 


Irgendeine bereits erfolgte Bereitstellung aus dem allgemeinen Fonds des 
Schatzamtes zur Herstellung von Platten und Matrizen, zur Anschaffung 
von besonders geeignetem Papier oder zur Deckung irgendwelcher sonsti 
in Zusammenhang mit dem Drucken von Nationalbank- oder durch das be 
sctz vom 13. Mai 1908 vorgesehenen Noten entstandener Unkosten, sowie die 
zur Zeit der Annahme dieses Gesetzes etwa vorhandenen Vorräte besonders 

:cigeneten Papieres können nach Belieben des Schatzamtsekretärs für die 
wecke dieses Gesetzes Verwendung finden. Sollten jedoch diese früher bereit- 
estellten Beträge nicht ausreichen, die Erfordernisse dieses Gesetzes neben den 
ür die auf Grund bestehender Gesetze umlaufenden Noten nötigen Ausgaben 
zu decken. so wird der Schatzamtsekretär hiermit ermächtigt, aus im Schatz- 
amte vorhandenen, nicht zu anderen Zwecken bereitgestellten Geldmitteln den 
zur Anschaffung vorstehend erwähnter Noten benötigten Betrag zu entnehmen; 
mit der Maßgabe jedoch. daß keine Bestimmung dieser Sektion dahin aus- 
elegt werden soll, daß National- oder Reservebanken von ihrer Verpflichtung 
efreit werden sollen, der Regierung die durch Drucken und Ausgabe von 
Noten verursachten Kosten zurückzuerstatten. 


Jede FRBank soll von Mitgliedsbanken oder von anderen Reservebanken 


auf ihre Depositenkunden gezogene Schecks und Tratten zum Nennwerte als 
Depositen annehmen; ebenso Schecks und Wechsel, die von einem Depositen- 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 633 


kunden irgendeiner anderen Reserve- oder Mitgliedsbank auf sein Guthaben 
bei dieser Reserve- oder Mitgliedsbank gezogen sind, wenn diese Papiere von 
einer FRBank eingesandt werden. Keine Bestimmung dieses Gesetzes soll so 
ausgelegt werden, da8 dadurch einer Mitgliedsbank verboten wird, ihren Kunden 
die ihr bei Einziehung oder Uebersendung von Geldern oder Verkauf von 
Iulandsdevisen tatsächlich entstandenen Spesen zu belasten. Das FRBoard soll 
durch Verordnung die Höhe der Provisionen festsetzen, die Mitgliedsbanken 
ihren Kunden berechnen dürfen, wenn deren Schecks durch die ervebank 
abgerechnet werden; er soll außerdem auch die Sätze bestimmen, die Reserve- 
banken für ihre Verrechnungs- und Einkassierungsdienste in Ansatz bringen 
können. 

Das FRBoard soll von Zeit zu Zeit Bestimmungen erlassen betr. Ueber- 
weisunz von Geldern zwischen FRBanken und deren Zweiganstalten und 
die dafür zu berechnenden Kosten bekannt geben. Er mag nach Gutdünken 
selbst die Funktionen einer Abrechnungsstelle für die Resenvebanken über- 
nehmen oder irgendeine Reservebank mit der Ausübung dieser Funktionen be- 
auftragen. Er kann auch anordnen, daß jede Reservebank die Funktionen einer 
Abrechnungsstelle für ihre Mitgliedsbanken übernimmt. 

Sect. 17. Die in Sect. 5119 der „Revised Statutes of the United States“, 
Sect. 4 des Gesetzes vom 20. Juni 1874, Sect. 8 des Gesetzes vom 12. Juli 
1882 und in anderen bestehenden Gesetzen enthaltenen Bestimmungen, wonach 
Nationalbanken einen bestimmten Betrag eingetragener Schuldverschreibungen 
der Vereinigten Staaten an das Schatzamt zu übertragen oder einzuliefern haben, 
bevor ihneu das Recht, Bankgeschäfte zu beginnen, erteilt wird, werden hier- 
mit aufgehoben. 


Zurückziehung von Staatsschuldverschreibungen. 


Sect. 18. Jede Mitgliedsbank, die ihre umlaufenden Noten ganz oder teil- 
weise zurückziehen will, kann zwei Jahre nach Erlaß dieses Gesetzes und 
von da ab zu jeder Zeit während eines Zeitraumes von 20 Jahren beim Schatz- 
meister der Vereinigten Staaten (Treasurer of the United States) den Antrag 
stellen, daß er die den zurückziehenden Notenumlauf deckenden Schuldverschrei- 
bungen der Vereinigten Staaten zum Nennwerte zuzüglich laufender Zinsen 
für ihre Rechnung verkauft. 

Der Schatzmeister soll jeweils am Ende von vierteljährlichen Zeiträumen 
dem FRBoard eine Liste dieser Einträge einreichen. Das Board kann nach 
eigenem Ermessen von den Reservebanken verlangen, solche Schuldverschrei- 
bungen von Banken zu erwerben, deren Anträge beim Schatzmeister min- 
destens 10 Tage vor Ablauf der vom Board zur Vollziehung des Kaufes 
festgesetzten Vierteljahrsperiode eingegangen sind, mit der Maßgabe, daß FR- 
Banken im Verlauf eines Jahres nicht mehr als 25 Mill. $ solcher Schuld- 
verschreibungen kaufen dürfen, wobei Schuldverschreibungen, die von den 
FRBanken auf Grund von Sect. 4 dieses Gesetzes erworben worden sind, in 
diesen Betrag einzurechnen sind. 

Das FRBoard soll jeder FRBank einen dem Verhältnis ihres Kapitals 
und ihrer Reserven zu dem Gesamtkapital und den Gesamtreserven aller FR- 
Bankeu entsprechenden Anteil solcher Schuldverschreibungen zuteilen. 

Nachdem der Schatzmeister jeder Mitgliedsbank den Betrag der auf diese 
Weise für ihre Rechnung verkauften Schuldverschreibungen mitgeteilt hat, 
sollen die betreffenden Nationalbanken diese Schuldverschreibungen ordnungs- 
mäßig auf die laufende FRBank schriftlich übertragen und überweisen. Darauf 
soll die betreffende FRBank die Kaufsumme für diese Schuldverschreibungen 
in gesetzlichem Gelde beim Schatzmeister der Vereinigten Staaten hinterlegen. 
Nach Abzug eines zur Einlösung der durch diese Schuldverschreibungen ge- 
deckten Kalender Noten ausreichenden Betrages soll der Schatzmeister den 
verbleibenden Rest der die Schuldverschreibungen verkaufenden Mitgliedsbank 
auszahlen. Die betreffenden Noten sollen nach der Einlösung für immer zurück- 
behalten und ungültig gemacht werden. 

Die die Schuldverschreibungen kaufenden FRBanken sollen das Recht 
haben, einen dem Nennwerte dieser Schuldverschreibungen entsprechenden Be- 
trag Noten in Umlauf zu setzen. 


634 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


Jede FRBank, die beim Schatzmeister der Vereinigten Staaten in der 
durch Gesetz vorgeschriebenen Weise so gekaufte oder auf Grund von Sect. 4 
dieses Gesetzes erworbene Schuldverschreibungen mit Notenprivileg hinter- 
legt, soll berechtigt sein, gegen diese Hinterlegung vom Comptroller of the 
Currency Notenblanketts, nach den gesetzlichen Vorschriften registriert und 
gegengezeichnet, im Betrage des Nennwertes der so hinterlegten Schuldver- 
schreibungen entgegenzunehmen. Diese Noten sollen Verpflichtungen der sie aus- 
gebenden Reservebanken sein; ihre Form soll durch den Schatzamtsekretär 
vorgeschrieben werden; sie sollen denselben Wortlaut und die gleiche Gültig- 
keit als die jetzt im Gesetz vorgesehenen Nationalbanknoten erhalten; ihre 
Ausgabe und Einlösung soll unter denselben Vorschriften und Bedingungen wie 
bei den Nationalbanknoten erfolgen, jedoch soll ihre Ausgabe nicht auf die 
Höhe des Grundkapitals der sie ausgebenden Reservebank beschränkt sein. 

Auf mit Zustimmung des Boards gestellten Antrag irgendeiner FRBank 
kann der Schatzamtsekretär im Austausch für 2-proz. Goldschuldverschreibungen 
der Vereinigten Staaten (United States 2 Proz. Gold Bonds) mit Notenprivileg, 
gegen die aber keine Noten mehr ausstehend sind, bis höchstens zur Hälfte 
des zum Umtausch angebotenen Betrags der 2-proz. Schuldverschreibungen 
einjährige Goldschatzscheine (Gold Notes) der Vereinigten Staaten ohne Noten- 
privileg. und für den Rest 30-jährige 3-proz. Goldschuldverschreibungen (3 Proz. 
Gold Bonds) ohne Notenprivileg ausgeben; mit folgender Maßnahme: gleich- 
zeitig mit einem solchen Umtausch soll die diese einjährigen Goldschatz- 
scheine empfangende FRBank dem Schatzamtsekretär gegenüber die Ver- 
pflichtung übernehmen, auf dessen Verlangen bei Fälligkeit dieser Schatz- 
scheine von den Vereinigten Staaten einen gleichen Betrag neuer einjähriger 
Schatzscheine in Gold zu kaufen und bei jeder weiteren Fälligkeit so ge- 
kaufter Schatzscheine einen ihr von dem Schatzamtsekretär etwa zugewiesenen 
Betrag soleher Noten von der Regierung zu erwerben. Dieser Betrag soll 
die Summe der erstmalig im Umtausch gegen 2-proz. Goldschuldverschreibungen 
erworbenen Schatzscheine nicht übersteigen. Diese Verpflichtung, solche Schatz- 
scheine bei Fälligkeit zu kaufen, soll für einen Zeitraum bis zu 30 Jahren in 
Kraft bleiben. 

Um den in diesem Artikel vorgesehenen Umtausch vornehmen zu können, 
wird der Schatzamtsekretär ermächtigt, nach Gutdünken auf Namen oder 
Inhaber lautende Schatzscheine in Stücken von 100 $ oder einem Vielfachen 
hiervon zum Nennwerte auszugeben. Diese Schatzscheine sollen 3 Proz., 
vierteljährlich zahlbare, Zinsen tragen und müssen mindestens innerhalb eines 
Jalues vom Tage ihrer Ausgabe an in Goldmünzen des gegenwärtigen Wäh- 
rungssystems rückzahlbar sein. Sie sind hinsichtlich Kapital und Zinsen von 
der Zahlung sowohl aller Bundessteuern und Abgaben (mit Ausnahme der 
durch dieses Gesetz vorgesehenen) als auch jeglicher Staats-, Stadt- oder 
Orissteuer befreit. Zum gleichen Zwecke ist der Schatzamtsekretär befugt 


und ermächtigt, 3-proz. Goldschuldverschreibungen der a Se Staaten, 
30 Jahre nach Ausgabe rückzahlbar, zum Nennwert auszugeben. Diese Schuld- 
verschreibungen sollen den gleichen allgemeinen Wortlaut und dieselbe Gültig- 
keit erhalten, wie die jetzt ausgegebenen und ausstehenden 3-proz. Schuldver- 
schreibungen der Vereinigten Staaten ohne Notenprivileg und sollen unter 


Gë allgemeinen Grundsätzen und Bedingungen ausgegeben werden, wie 
1ese. 

Auf, mit Zustimmung des Boards, gestellten Antrag irgendeiner FRBank 
kann der Schatzamtsekretär solche 3-proz. Schuldverschreibungen im Um- 
tausch gegen die in diesem Artikel vorgesehenen einjährigen Goldschatz- 
scheine zum Nennwerte ausgeben. 


Bankreserven. 
: Sect: 19. Kurzfristige Depositen im Sinne dieses Gesetzes sollen alle 
innerhalb 30 Tagen rückzahlbare Depositen umfassen, langfristige Depositen 


alle nach mehr als 30 Tagen rückzahlbare Depositen, sowie Sparkonten 
SCH Depositenscheine, die einer mindestens 30-tägigen Kündigung unterworfen 
sind. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 635 


Nachdem der Schatzamtsekretär in einer von ihm zu bestimmenden Form 
die Errichtung der FRBank eines Distriktes amtlich bekanntgegeben hat, soll 
jede Anteile zeichnende Mitgliedsbank Reserven, wie folgt, sich schaffen und 
aufrecht erhalten: 

a) Eine Bank, die ihren Sitz nicht in einem jetzt oder später als „Re- 
serve“- oder „Zentral-Reserve“-Stadt bezeichneten Platz hat, soll 12 Proz. 
des Gesamtbetrags ihrer kurzfristigen und 5 Proz. ihrer langfristigen De- 
positen als Reserven halten und aufrecht erhalten, und zwar wie folgt: 

In eigener Verwahrung für einen Zeitraum von 36 Monaten nach ge- 
nanntem Zeitpunkt!) äis und späterhin dauernd #/j»- 

Bei der FRBank ihres Distriktes für einen Zeitraum von 12 Monaten 
nach genanntem Zeitpunkt ?/,s und für jede weiteren 6 Monate !/iọ mehr, 
bis Biz so deponiert sind. Dies soll auch der dann dauernd verlangte Betrag 
sein. 

Der Rest der Reserven kann für einen Zeitraum von 36 Monaten nach 
enanntem Zeitpunkte in eigener Verwahrung oder bei der FRBank oder bei 
Nationalbanken in zurzeit gesetzlich als „Reserve“- bzw. „Zentral-Reserve“- 
Städten bezeichneten Plätzen hinterlegt werden. 

Nach Ablauf dieser 36 Monate sollen die Reserven, soweit sie nicht 
nach vorstehenden Bestimmungen in Verwahrung der Mitgliedsbank selbst oder 
bei der FRBank zu halten sind, nach Wahl der Mitgliedsbank in ihren 
eigenen Gewölben, in der FRBank, oder geteilt in beiden hinterlegt werden. 

b) Eine Bank, die ihren Sitz in einem jetzt oder später als „Reserve“-Stadt 
bezeichneten Platze hat, soll 15 Proz. des Gesamtbetrags ihrer kurzfristigen 
und 5 Proz. ihrer langfristigen Deposiien als Reserven halten und aufrecht 
erhalten, und zwar wie folgt: 

In eigener Verwahrung für einen Zeitraum von 36 Monaten nach ge- 
nanntem Zeitpunkt Jm und späterhin dauernd 5/13. 

Bei der FRBank ihres Distriktes für einen Zeitraum von 12 Monaten 
nach genanntem Zeitpunkte mindestens 3/,; und für jede weiteren 6 Monate 
Lin mehr. bis Bis so deponiert sind. Dies soll auch der dann dauernd ver- 
langte Betrag sein. 

Der Rest der Reserven kann für einen Zeitraum von 36 Monaten nach 
a Zeitpunkte in eigener Verwahrung oder bei der FRBank oder bei 
\ıtionalbanken in zurzeit gesetzlich als „Reserve“- bzw. „Zentral-Reserve“- 
Städten bezeichneten Plätzen hinterlegt werden. 

Nach Ablauf dieser 36 Monate sollen alle diese Reserven, soweit sie 
nicht nach vorstehenden Bestimmungen in Verwahrung der Mitgliedsbank 
selbst oder bei der FRBank zu halten sind, nach Wahl der Mitgliedsbank in 
ihren eigenen Gewölben, in der FRBank, oder geteilt in beiden hinterlegt 
werden. 

c) Eine Bank, die ihren Sitz in einem jetzt oder später als „Zentral-Re- 
serve“ -Stadt bezeichneten Platz hat, soll 18 Proz. des Gesamtbetrags ihrer 
kurzfristigen und 5 Proz. ihrer langfristigen Depositen als Reserven halten und 
aufrecht erhalten, und zwar wie folgt: 

in eigener Verwahrung $/ı3, 

bei der FRBank 1/is, 

der Rest der Reserven soll nach ihrer Wahl in ihren eigenen Gewölben 
oder bei der FRBank hinterlegt werden. 

Jede FRBank kann von den Mitgliedsbanken bei jeder Einzahlung von Re- 
serven bis zur Hälfte des Betrages Papiere entgegennehmen, die nach Sect. 14 
als diskontfähig bezeichnet sind, vorausgesetzt, daß diese ordnungsmäßig in- 
dossiert und der betreffenden Reservebank genehm sind. 

Falls eine Staatsbank oder Trustgesellschaft durch das Gesetz ihres 
Staates verpflichtet ist, ihre Reserven entweder in eigener Verwahrung oder 
bei einer anderen Staatsbank bzw. Trustgesellschaft zu halten, so sollen solche 


1) Unter „genanntem Zeitpunkt“ ist im folgenden stets der Tag der amt- 
lichen Bekanntmachung des Schatzamtsekretärs über die Errichtung einer FRBank 
zu verstehen. 


636 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


bei einer Staatsbank oder Trustgesellschaft deponierte Reserven im Sinne dieser 
Sektion den bei einer Nationalbank in einer „Reserve“- oder „Zentral-Reserve“- 
Stadt hinterlegten Reserven gleichgestellt werden, jedoch nur für einen Zeit- 
raum von 3 Jahren nach der amtlichen Bekanntgabe des Schatzamtsekretärs, 
daß die Errichtung einer FRBank in dem Distrikte, in dem eine solche Staats- 
bank oder Trustgesellschaft ihren Sitz hat, erfolgt ist. Keine Mitgliedsbank 
soll bei irgendeiner Nicht-Mitgliedsbank einen Betrag als Depositum hinter- 
legen, der 10 Proz. ihres eigenen eingezahlten Aktienkapitals und ihrer Re- 
serven übersteigt, es sei denn auf Grund der vorstehenden Bestimmungen. 
Ohne Erlaubnis des FRBoards soll keine Mitgliedsbank als Vermittler oder 
Agent für eine Nicht-Mitgliedsbank beim Nachsuchen oder Empfangen von 
Diskontkredit auf Grund der Bestimmungen dieses Gesetzes tätig sein. 

Die bei einer FRBank unterhaltenen rven einer Mitgliedsbank können 
zur Deckung bestehender Verbindlichkeiten von dieser zurückgezogen oder 
gegen die Verpflishtungen bei der FRBank aufgerechnet werden; mit der 

aßgabe, daß sich die Bank den Vorschriften und etwa verhängten Straf- 
bestimmungen des FRBoards unterwirft und daß sie zu keiner Zeit neue Dar- 
lehen gewähren und irgendwelche Dividenden zahlen darf, bevor die volle 
gesetzliche Reserve wiederhergestellt ist. 

Bei Festsetzung der in diesem Gesetz verlangten Reserven soll der Saldo 
zwischen dem Guthaben bei und den Forderungen von anderen Banken als 
Grundlage für die Berechnung der Depositen, gegen die eine Reserve zu halten 
ist, dienen. Hierbei sollen Guthaben von Mitgliedsbanken bei FRBanken, so- 
weit als dies hier vorgesehen ist, als Reserven zählen. 

Nationalbanken, die ihren Sitz in Alaska oder außerhalb des Festland- 
bietes der Vereinigten Staaten haben, brauchen nicht Mitglieder von FR- 
nkeu zu werden; sie sollen in diesem Falle den für sie jetzt bestehenden Ge- 

setzen unterworfen bleiben und die darin vorgesehenen Reservevorschriften 
erfüllen. Mit Genehmigung des Boards können jedoch solche Banken, mit 
Ausnahme der Banken in den Philippinen, Mitgliedsbanken irgendeiner FR- 
Bank werden; in diesem Falle sollen sie Anteile übernehmen, Reserven halten 
und allen anderen Bestimmungen dieses Gesetzes unterworfen sein. 

Sect. 20. Section 2 und 3 des Gesetzes vom 20. Juni 1874, betr. „Fest- 
setzung des Betrages des Papiergeldes der Marg Staaten, Vorkehrun 
für eine Tenang von Nationalbanknoten und für andere Zwecke“ (An Act 
fixing the amount of United States notes, providing for redistribution of the 
national-bank currency, and for other purposes), werden insofern geändert, 
als die Bestimmungen, daß der von einer Nationalbank zur Einlösung ihrer 
Noten beim Schatzamt hinterlegte Fonds zu den gesetzlichen Reserven zu 
zählen sei, hiermit aufgehoben werden. Vom Zeitpunkte der Annahme dieses 
Gesetzes an und späterhin soll dieser 5-proz. Fonds von einer Nationalbank 
nicht mehr als Teil ihrer gesetzlichen rven gerechnet werden. 


Bankrevision. 


Sect. 21. Section 5240 der „United States Revised Statutes“ wird hiermit 
abgeändert und erhält folgenden Wortlaut: 

Der Comptroller of the Currency soll mit Zustimmung des Schatzamt- 
sekretärs Revisoren ernennen, die bei jeder Mitgliedsbank mindestens zweimal 
jährlich und, falls nötig, öfters Revisionen vornehmen sollen. Mit der Maß- 
gabe jedoch, daß das FRBoard bei Staatsbanken und Trustgesellschaften Re- 
visionen durch einzelstaatliche Behörden als Ersatz anerkennen kann; das 
Board kann aber jederzeit bei Staatenbanken und Trustgesellschaften, die Anteils+ 
eigner einer Reservebank sind, besondere Revisionen anordnen. Bei Vornahme 
der Revision irgendeiner Nationalbank oder sonstigen Mitgliedsbank ist der 
Revisor ermächtigt, sämtliche Geschäfte der Bank eingehend nachzuprüfen; 
dabei hat er das Recht, Eide aufzuerlegen und jeden Beamten und enten 
der Bank unter Eid zu vernehmen. Ueber die Verhältnisse der betreffenden 
Bank soll er dem Comptroller of the Currency einen ausführlichen, ins ein- 
zelne gehenden Bericht erstatten. 

„Auf Vorschlag des Comptrollers of the Currency soll das FRBoard die 
Gehälter sämtlicher Bankrevisoren festsetzen und dem Kongresse darüber einen 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 637 


Bericht einreichen. Die Kosten der hier vorgeschriebenen Revisionen sollen 
von dem Comptroller of the Currency auf die revidierten Banken im Ver- 


hältnis der von ihnen zur Revisionszeit ausgewiesenen Aktiven oder Be- 


triebsmittel umgelegt werden. 
In Ergänzung der unter Leitun des Comptroller of the Currency VOT- 


striktes vornehmen lassen. Die Kosten dieser Revisionen sınd von den revidierten 
Banken zu tragen. Solche Revisionen sollen in der Weise durchgeführt werden, 
daß die FRBank über die Geschäftsverhältnisse ihrer Mitgliedsbanken und 
über die Verteilung der von diesen gewährten Kredite unterrichtet wird. Jede 
FRBank soll dem Board jederzeit etwa verlangte Auskünfte über die Ge- 
schäftsverhältnisse irgendeiner Mitgliedsbank ihres Distriktes erteilen. 

Eine Bank braucht sich keinen anderen Revisionen Zu unterwerfen, als 
den im Gesetz vorgesehenen, den Gerichten zustehenden oder solchen, die vom 
Kongreß, einem seiner Häuser oder einer ordnungsmäßig bevollmächtigten Kom- 
mission des Kongresses oder eines seiner Häuser ausgeführt oder angeordnet 


Mindestens einmal jährlich soll das FRBoard eine Revision einer jeden 
Reservebank vornehmen lassen und auf gemeinsamen Antrag von 10 re ieds- 
banken eine besondere Revision und Berichterstattung über die Gesc 


dnen. 

Sect. 22. Weder Mitgliedsbanken selbst noch ir endeiner ihrer Vorstands- 
beamten, Direktoren oder Ängestellten soll von jetzt ab ir endeinem Bankrevisor 
ein Darlehen gewähren oder eine Vergütung anbieten. Jeder gegen diese Be- 
stimmung verstoßende Vorstandsbeamte, Direktor oder Angeste 
soll eines Verbrechens schuldig erachtet werden und mit Gefängnis bis zu 
1 Jahr oder einer Geldstrafe bis zu 5000 $ oder beidem bestraft werden; 
‚außerdem kann noch eine weitere Geldstrafe in Höhe des ausgeliehenen bzw. 
vergüteten Betrages verhängt werden. Jeder Revisor, der ein Darlehen oder 
eine Vergütag von irgendeiner von ihm revidierten Bank oder einem ihrer 

eamten, Direktoren oder Angestellten annimmt, soll eines Verbrechens 
schuldig erachtet werden und mit Gefän nis bis zu 1 Jahr oder einer Geld- 
strafe bis zu 5000 $ oder beidem bestraft werden; außerdem kann noch eine 

‚weitere Geldstrafe in Höhe des geliehenen bzw. als Vergütung empfangenen 

Betrages verhängt werden. Außerdem soll ein solcher Revisor für immer die 

‘Quali ikation eines Nationalbankrevisors verlieren. Während seiner Amtszeit 

soll ein Nationalbankrevisor gegen Bezahlung keine anderen Dienste für irgend- 

eine Bank, deren Vorstandsbeamte, Direktoren oder Angestellte leisten. 

; Außer den üblichen Gehältern oder Direktoriumsvergütungen, die an 
Mitglieder des Vorstandes und Direktoriums oder Ange 2 einer Mitglieds- 
bank bezahlt werden, und außer einer angemessenen ergütung für ge eistete 
Dienste sollen weder Mitglieder des Vorstandes oder Direktoriums, noch An- 
gestellte oder Bevollmächtigte einer Mit liedsbank direkt oder indirekt irgend- 

welche Vorteile, Vergütungen, Vermittlungsgebühren, Geschenke oder Ent- 

schädigungen für oder in i it i 

erhalten. Ein öffentlicher oder privater Revisor soll niemand anders als dem 

zuständigen Beamten einer Bank Angaben über die Namen der Darlehnsnehmer 

oder die Deckung der Darlehen einer Mitgliedsbank machen, ohne dazu vor- 
her vom Comptroller of the Currency oder von dem Direktorium der Ban 
die ausdrückliche schriftliche Erlaubnis erhalten zu haben, es sei denn, daß 
ein zuständiges Gericht, der Kongreß der Vereinigten Staaten, eines seiner 

Häuser oder eine ordnungsmäßig bevollmächtigte Kommission de Kongresses 

oder eines seiner Häuser dies anordnen. Wer gegen irgendeine Bestimmung 

dieses Artikele verstößt, soll mit einer Geldstrafe bis zu 009 $ oder mit Ge 


Soweit diese Bestimmungen nicht bereits in bestehenden Gesetzen ent- 
halten sind, sollen sie erst 60 Tage nach Annahme dises Gesetzes Wirksamkeit 
‚erlangen. 

Sect. 23. Die Aktionäre jeder Nationalbank sollen persönlich. jeder — 
über den in Aktien angelegten Betrag hinaus — bis zur Höhe des Nennwertes 


638 Nationalökonomische Gesetzgebung. 


seiner Kapitalbeteiligung für alle Verträge, Schulden und Verbindlichkeiten 
einer solchen Bank haften. Aktionäre irgendeiner Nationalbank, die inner- 
halb 60 Tagen vor der Zahlungseinstellung einer solchen Bank ihre Aktien 
übertragen haben oder die Uebertragung eintragen ließen oder diejenigen, die 
von dem bevorstehenden Konkurs Kenntnis hatten, sollen in gleichem Umfange 
haftbar sein, als wenn keine solche Uebertragung vorgenommen worden wäre, 
jedoch nur insoweit, als der folgende Aktienbesitzer seinen Verpflichtuuren 
nicht nachkommt. Diese Bestimmung soll jedoch nicht dahin ausgelegt werden, 
daß dadurch das Rückgriffsrecht eines Aktionärs gegen Personen, auf deren 
Namen solche Aktien zur Zeit der Zahlungsfähigkeit eingetragen sind, irgend- 
wie berührt würde. 


Darlehen auf landwirtschaftliche Grundstücke. 


Sect. 24. Jede Nationalbank, die nicht in einer „Zentral-Reserve“-Stadt 
ihren Sitz hat, kann auf kultivierte, unbelastete, innerhalb ihres FRDistriktes 
relerene ländliche Grundstücke Darlehen gewähren. Solche Darlehen sollen 
jedoch nicht auf eine längere Zeit als auf 5 Jahre gegeben werden; die Be- 
leihung soll 50 Proz. des wirklichen Wertes des als Sicherheit angebotenen 
Grundstückes nicht überschreiten. Jede derartige Bank kann solche Darlehen 
bis zu einer Gesamthöhe von 25 Proz. ihres Kapitals und ihrer Reserven oder 
bis zu ein Drittel ihrer langfristigen Depositen gewähren. Dabei bleibt das 
techt der Bank zur Annahme Tangfristiger Depositen und zur Zahlung 
von Zinsen für diese nach wie vor bestehen. 

Das FRBoard soll ermächtigt sein, die Liste der Städte, in denen National- 
banken keine Darlehen auf Grundbesitz in der in diesem’ Artikel beschriebenen 
Weise gewähren dürfen, zu vergrößern. 


Auslandstilialen. 


Sect. 25. Zum Zwecke der Förderung des Außenhandels der Vereinigten 
Staaten kann jede Nationalbank mit Kapital und Reserven von 1000000 $ oder 
mehr beim FRBoard unter vom Board etwa festzusetzenden Bedin'rungen 
und Bestimmungen beantragen, ihr die Ermächtigung zur Errichtung von Zweig- 
niederlassungen in auswärtigen oder von den Vereinigten Staaten abhängigen 
Ländern zu erteilen. Auf Verlangen sollen solche Niederlassungen dano als 
Fiskalagenten der Vereinigten Staaten tätig sein. Die einen solchen Antrag 
stellende Bank soll neben ihrem Namen und Kapital genau angeben: den 
Platz bzw. die Plätze, in denen die beabsichtigten Bankgeschäfte betrieben 
werden sollen und den Kapitalbetrag, den die betreffende Bank zur Führung 
ihrer Auslandsgeschäfte bereitgestellt hat. Das Board soll das Recht haben, 
solche Anträge zu genehmigen oder, falls seiner Meinung nach das zur Führung 
der Auslandsgeschäfte vorgesehene Kapital unzulänglich ist oder andere Gründe 
vorliegen, die die Genehmigung des Antrags als unangebracht erscheinen lassen, 
abzulehnen. 

Jede Nationalbank, die die Ermächtigung zur Errichtung von Auslands- 
filialien erhalten wird, soll jederzeit verpflichtet sein, dem Comptroller of the 
Currency auf Verlangen über die Verhältnisse solcher Zweigniederlassunren 
Auskunft zu erteilen. Das FRBoard kann zu besonders geeignet erscheineuden 
Zeitpunkten außerordentliche Revisionen dieser Auslandsfilialien anordnen. Die 
Konten jeder einzelnen Auslandsfiliale sollen bei jeder Nationalbank getrennt 
von denen anderer Auslandsniederlassungen und der Zentrale geführt werden. 
Am Ende eines jeden Fiskaljahres sollen die von den einzelnen Anslands- 
filialen ausgewiesenen Gewinne bzw. Verluste in getrennten Posten ins Haupt- 
buch übertragen werden. 

Seet. 261). Bestehende gesetzliche Bestimmungen werden insoweit, aber auch 
nur insoweit aufgehoben, als sie durch Vorschriften dieses Gesetzes ersetzt werden 
oder mit ihnen unvereinbar sind. Mit der Maßgabe: keine Bestimmun dieses 
Gesetzes soll dahin ausgelegt werden, daß dadurch die Vorschriften über die 

1) Auch hier wieder eine Bestimmung, die mit dem Titel, unter dem sie auf- 
geführt ist, nicht das mindeste zu tun hat. 


Nationalökonomische Gesetzgebung. 639 


Parität widerrufen würden, die enthalten sind im Gesetz vom 14. März 1900, 
„betr. den Aufbau und die Festlegung des Währungssystems, die Aufrecht- 
erhaltung der Parität für die von den Vereinigten Staaten ausgegebenen oder 
geprägten Zahlungsmittel jeglicher Art, die Zurückzahlung öffentlicher Schulden 
und andere Zwecke“ (An Act to define and fix the standard of value, to 
maintain the parity of all forms of money issued or coined by the United 
States, to refund the public debt, and for other purposes). Der Schatzant- 
sekretär kann zwecks Aufrechterhaltung dieser Parität und zur Verstärkung 
der Goldreserven Gold sich leihen gegen Verpfändung und Schuldverschrei- 
bungen der Vereinigten Staaten (auf Grund von Sektion 2 des letztgenannten 
Gesetzes) oder von einjährigen Goldschatzscheinen mit einem Zinserträgnis 
bis zu 3 Proz. Falls nötig, kann er zwecks Erlangung von Gold die genannten 
Wertpapiere auch Se Wenn die im Schatzamt verfügbaren Mittel es 
estatten, kann der Schatzamtsekretär solche ausstehenden Schuldverschrei- 
ungen und Schatzscheine kaufen und aus dem Verkehr zurückziehen. 

Sect. 27. Das Gesetz vom 30. Mai 1908, durch das die Gründung 
von „National Currency Associations“, die Ausgabe weiterer Nationalbank- 
noten und die Schaffung einer „National Monetary Commission“ gestattet 
wurde, wird hiermit, obgleich es nach den Bestimmungen jenes (rsetzes 
am 30. Juli 1914 außer Kraft treten sollte, bis zum 30. Juni 1915 aus- 
edehnt. Die durch das Gesetz vom 30. Mai 1908 abgeänderten Seetionen 

153, 5172, 5191, 5214 der „Revised Statutes of the United States“ werden 
hiermit wieder in der Fassung, die sie vor dem 30. Mai 1908 hatten, her,- 
gestellt, soweit nicht dieses Gesetz Abänderungen oder Einschränkungen vor- 
sicht. Mit der Maßgabe jedoch, daß die in Section 9 des eingangs dieser 
Section erwähnten Gesetzes festgelegten Steuersätze hiermit abgeändert werden. 
Der betreffende Teil jener Section soll nunmehr, wie folgt, lauten: National- 
banken, die anders ln durch Schuldverschreibungen der Vereinigten Staaten 
gedeckte Noten ausgegeben haben, sollen folgende Steuern für den Durch- 
schnittsbetrag solcher im Umlauf befindlichen Noten entrichten: für die ersten 
3 Monate zum Satze von 3 Proz. p. a, für jeden weiteren Monat «ine 
Zuschlagssteuer von je ji Proz., bis eine Gesamtsteuer von 6 Proz. er- 
reicht ist. Von da ab bleibt der Steuersatz von 6 Proz. p. a., auf den Durch- 
schnittsbetrag solcher Noten berechnet, bestehen. 

Sect. 28. Section 5143 der „Revised Statutes“ wird hiermit abzrän.ert 
und tritt in folgender Fassung wieder in Kraft: Jede unter diesem Gesetz 
errichtete Gesellschaft kann durch Beschluß von zwei Dritteln des Aktien- 
kapitals besitzenden Aktionären ihr Kapital herabsetzen, jedoch nicht unter 
den Mindestbetrag, den dieses Gesetz für die Gründung von Gesellschaften vor- 
sieht. Es soll jedoch keine Herabsetzung gestattet sein, die das Kapital 
der Gesellschaft unter den für den ausstehenden Notenumlauf gesetzlich erforder- 
lichen Betrag bringt. Außerdem darf keine Kapitalherabsetzung vorgenommen 
werden, bevor der Umfang der beabsichtigten Verminderung dem Comptro!ler 
of the Currency angezeigt und von diesem zusammen mit dem FRBoard oder 
(bevor die Organisation des FRBoards vollendet ist) zusammen mit der Or- 
ganisationskommission genehmigt worden ist. 

Sect. 29. Wenn durch ein zuständiges Gericht irgendeine Klausel, ein 
Satz, Paragraph oder sonst ein Teil dieses Gesetzes aus irgendeinem Grunde 
für ungültig erklärt wird, so soll ein solches Urteil den Rest dieses Gesotzes 
nicht berühren oder ungültig machen, sondern soll in seiner Wirkung auf die 
Klausel, den Satz, Paragraph oder sonstigen Teil des Gesetzes beschränkt. 
bleiben, der direkt bei der entschiedenen Streitfrare herangezogen wurde. 

Sect. 30. Das Recht zur Ergänzung, Abänderung oder Aufhebung dieses 
Gesetzes wird hiermit ausdrücklich vorbehalten. 


Erlassen am 23. Dezember 1913. 


640 Miszellen. 


Miszellen. 


XVIII. 


Bemerkungen zu der Streitfrage: Ist die Statistik 
eine Methode oder eine Wissenschaft? 


Von Dr. Pfitzner, Privatdozent in Gießen. 


Wenn man für wissenschaftliche Zwecke Begriffe definieren will, 
so geht man zweckmäßig vom allgemeinen Sprachgebrauch aus. Es ist 
zwar unbestreitbar, daß die Wissenschaft festere Begriffe braucht, als 
sie der allgemeine Sprachgebrauch in der Regel liefert, daß sie also 
häufig genötigt ist, allgemein gebräuchliche Begriffe, sei es enger, sei 
es sogar anders zu definieren. Indessen muß sich die Wissenschaft davor 
hüten, ohne triftige Gründe solche Begriffe anders definieren zu wollen, 
denn sonst besteht die Gefahr, daß ihre künstlichen Dee ee sich 
nicht einbürgern oder sogar Verwirrung anrichten. 

Unter Statistik versteht man nach dem allgemeinen TEE AEAT 
heutzutage zunächst einmal zahlenmäßige Belege (Zahlenmaterial) zur 
Bekräftigung oder zum Beweise von Behauptungen wissenschaftlichen 
oder politischen Inhalts. So sagt man beispielsweise: Statistik bringen, 
Statistik anführen, die Zuhörer mit Statistik belästigen. Zweitens ver- 
steht mau unter Statistik die Ergebnisse der statistischen Praxis: Sta- 
tistik des Deutschen Reiches usw., Gewerbestatistik, Berufsstatistik usw., 
eine Statistik bearbeiten, verwerten usw. Man denkt drittens bei dem 
Worte an die statistische Praxis selber, insbesondere die amtliche: in 
der Statistik tätig sein, Organisation der amtlichen Statistik usw. Man 
denkt endlich an eine statistische Wissenschaft oder wenigstens Lehr- 
disziplin: über Statistik lesen, ein Lehrbuch oder Grundriß der Statistik 
verfassen. 

Statistik ist an sich ein griechisches Adjektivum, läßt also ver- 
schiedene Substantiva als Ergänzung zu; welche, darüber entscheidet 
der Sprachgebrauch. Sehr häufig ergänzt man sich bei solchen auf ik 
endigenden Adjektiven lateinischen oder griechischen Ursprungs Wissen- 
schaft (so bei Physik, Botanik, Ethik, Aesthetik, Pädagogik, Heraldik, 
Numismatik usw.), häufig außerdem Kunst (Technik) oder Praxis (so 
bei Keramik, Optik, Aviatik, Historik, Politik usw.) und dement- 
sprechend auch Kunstlehre (Technik im Sinne von Technologie). Bei 
dem Worte Statistik kennt der Sprachgebrauch, wie gezeigt, noch andere 


Miszellen. 641 


Ergänzungen; es ist also an sich nichts dagegen einzuwenden, wenn 
die Wissenschaft sich noch besondere Ergänzungen gestattet, wie z. B. 
Methode, also sagt, die Statistik sei eine Methode. 

In wissenschaftlichen Arbeiten und Lehrbüchern ist häufig die 
Frage aufgeworfen worden: Ist die Statistik eine Wissenschaft 
oder bloß eine Methode? Unter Methode kann man aber zweierlei 
verstehen: Forschungsmethode oder Summe der technischen 
Methoden (Methodenkomplex, Methodenlehre). Daß beides etwas ganz 
Verschiedenes ist, scheint den meisten Autoren nicht recht bewußt ge- 
wesen zu sein, woraus sich auch wohl die zahlreichen Unklarheiten er- 
klären. die man in den Erörterungen über diese Frage findet. Die stati- 
stische Forschungsmethode besteht in der systematischen zahlen- 
mäßiger Massenbeobachtung und ist eine Spezialart der Induktion; sie ist 
das der statistischen Forschung charakteristische Forschungs- 
prinzip, wie etwa das Experiment, gleichfalls eine Spezialart der In- 
duktion, das den Naturwissenschaften charakteristische Forschungs- 
prinzip ist. Ihre eingehende theoretische Behandlung gehört also nicht 
bloß in die statistischen Lehrbücher, sondern auch in die Methodenlehre 
der Logik. Dagegen gehört die statistische Methodenlehre, 
d. h. die Darstellung der empirisch gewonnenen, praktisch zur An- 
wendung gelangenden technischen Methoden der Statistik (Erhebungs-, 
Verarbeitungs-, Darstellungsmethoden), selbstverständlich nur in die sta- 
tistischen Lehrbücher. Man bezeichnet die statistische Methodenlehre 
häufig sehr richtig mit statistischer Technik (Technik im Sinne von 
Kunstlehre, Technologie). Die technischen Methoden der Statistik sind 
in der Praxis ausprobierte, also empirisch gewonnene 
Hilfsmittel, gewissermaßen das Handwerkszeug des statistischen 
Praktikers und Forschers und dürfen nicht mit dem logischen 
Grundprinzip der statistischen Forschung verwechselt werden. 

Die Frage: Ist die Statistik eine Wissenschaft oder eine Methode ? 
bedeutet also entweder: Ist die Statistik eine Wissenschaft 
oder eine Forschungsmethode? oder: Ist die Statistik eine 
(selbständige) Wissenschaft oder nur eine Methodenlehre 
(methodische Wissenschaft) ? Der allgemeine Sprachgebrauch bezeichnet die 
statistische Forschungsmethode nicht als Statistik, und aus wissenschaft- 
lichen Gründen ließe sich eine solche Terminologie höchstens dann allen- 
falls rechtfertigen, wenn man in der Statistik nur eine Forschungsmethode 
erblickt. Erkennt man dagegen eine statistische Wissenschaft an, so ist 
die statistische Forschungsmethode die der Statistik (statistischen Wissen- 
schaft) charakteristische Forschungsmethode, aber nicht die Statistik 
selber, und es ist dann kein triftiger Grund vorhanden, weshalb man ent- 
gegen dem Sprachgebrauch außer der statistischen Wissenschaft auch die 
statistische Forschungsmethode kurzweg als Statistik bezeichnen sollte. 
Man hat die quantitative Massenbeobachtung deshalb als statistische 
Forschungsmethode bezeichnet, weil sie in erster Linie für die stati- 
stische Wissenschaft und Praxis in Frage kommt; sie ist aber weder die 
einzige Forschungsmethode, welche von der Statistik angewendet wird, 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIID. 41 


642 d Miszellen. 


noch wird sie ausschließlich in der Statistik verwendet. Ebenso ist 
das Experiment, das man oft als die naturwissenschaftliche For- 
schungsmethode bezeichnet, nicht identisch mit der Physik im alten Sinne 
des Wortes (= Naturwissenschaften), denn diese verwendet weder aus- 
schließlich diese Forschungsmethode, noch ist das Experiment aus- 
schließlich auf ihr Arbeitsgebiet beschränkt (das physische Experiment 
allerdings, aber nicht das Experiment überhaupt). Auch würde wohl 
niemand auf den Gedanken kommen, die Physik als eine Forschungs- 
methode zu bezeichnen. 

Wenn behauptet wird, die Statistik sei deshalb keine Wissenschaft, 
weil die statistische F'orschungsmethode auch in zahlreichen anderen 
selbständigen Wissenschaften in Frage kommt, so ist darauf zu er- 
widern, daß überhaupt nirgends das Gebiet einer Wissenschaft mit dem 
Anwendungsbereich einer Forschungsmethode zusammenfällt. Eine For- 
schungsmethode kann wohl mitbestimmend bei der Abgrenzung einer 
Wissenschaft sein, wie es namentlich bei der statistischen Wissenschaft 
der Fall ist, aber nicht entscheidend; die Abgrenzung erfolgt vielmehr in 
erster Linie aus Gründen der Arbeitsteilung und durch die Tradition. Da 
die Statistik eine staatswissenschaftliche Lehrdisziplin ist, so ist sie zweck- 
mäßig auf staats-, kultur- und wirtschaftspolitische Fragen zu beschränken, 
die eine Behandlung und Vertiefung nach der statistischen Seite, d.h. mit- 
tels der statistischen Forschungsmethode der quantitativen Massenbeobach- 
tung in besonderem Maße erlauben und erfordern. Zu einer statistischen 
Materialsammlung, wie etwa in dem Grundriß der Statistik von Ballod, 
darf die statistische Wissenschaft selbstverständlich nicht herabsinken; 
das statistische Zahlenmaterial darf zwar einen breiten Raum in Lehr- 
büchern der Statistik einnehmen, aber niemals seinen sekundären 
Charakter verleugnen. Die statistischen Zahlenangaben sind 
für die statistische Wissenschaft nur Mittel zum Zweck, 
nämlich zur Darstellung oder zum Beweise politischer 
und wirtschaftlicher Tatsachen und Vorgänge. Sie bilden 
das Bearbeitungsmaterial der statistischen Wissenschaft, in analoger 
Weise wie etwa die Rechtsquellen das Material der Rechtswissenschaft, 
die geschichtlichen Urkunden das Material der Geschichtswissenschaften 
usw. Hierbei ist darauf aufmerksam zu machen, daß die statistische 
Wissenschaft ebensowenig sämtliches statistisches Material zu verarbeiten 
braucht, wie etwa die Rechtswissenschaft sämtliche Rechtsquellen, die 
Geschichtswissenschaften sämtliche Geschichtsquellen ; das Urmaterial be- 
stimmt also ebensowenig den Inhalt einer Wissenschaft wie eine ihr etwa 
charakteristische Forschungsmethode. 

Wenr aber auch für die Abgrenzung einer Wissenschaft in erster 
Linie Gründe der Arbeitsteilung und die Tradition maßgebend sind, so 
dürfen selbstverständlich nicht heterogene Wissensgebiete zu einer 
Wissenschaft vereinigt werden. Das ist aber bei der Statistik auch gar 
nicht der Fall, wenn sie ihr Arbeitsgebiet auf die genannten Fragen be- 
schränkt, also eine staatswissenschaftliche Disziplin bleibt und sich 
nicht zu einer Allerweltswissenschaft ausbildet (wie seinerzeit die Achen- 


Miszellen. 643 


wallsche Statistik). In sachlicher Hinsicht ist dann ein innerer Zu- 
sammenhang vorhanden. 

Die eine Tatsache bleibt freilich bestehen, daß die statistische 
Wissenschaft kein originales Arbeitsgebiet hat, sondern sich 
in eklektischer Weise die sie interessierenden Fragen aus der 
Politik und der Nationalökonomie herausnimmt und mittels der stati- 
stischen Forschungsmethode einer speziellen Bearbeitung unterwirft. 
Dieser Eklektizismus tritt ja in dem von Zahn herausgegebenen Werke: 
„Die Statistik in Deutschland“ auch äußerlich sehr deutlich in Er- 
scheinung. Würde sich die Statistik auf volkswirtschaftliche Fragen 
beschränken, so könnte man sie der Volkswirtschaftslehre als dritten 
Teil anfügen, also allgemeine, spezielle und statistische Volkswirtschafts- 
lehre unterscheiden. Tatsächlich hat auch Conrad in seinem Lehrbuch 
diese Einteilung vorgenommen, nur die Benennungen sind etwas anders 
(Nationalökonomie, Volkswirtschaftspolitik, Statistik), außerdem hat er 
die Finanzwissenschaft als Teilwissenschaft seinem System angegliedert. 
Indessen ist die Bevölkerungsstatistik (einschließlich der Moralstatistik), 
die den ersten Teil in jeder speziellen Statistik bildet, eine grundlegende 
Wissenschaft nicht bloß für die Wirtschafts-, sondern auch für die 
Kultur- und die (staats-)politische Statistik. Das Fundament würde 
gewissermaßen zu breit sein. 

Aber selbst bei Beschränkung auf die Wirtschaftsstatistik wird der 
eklektizistische Charakter der statistischen Wissenschaft ein etwas un- 
organisches Bild darbieten, das dem Wissenschaftssystematiker stets 
peinlich sein wird. Anderseits verbietet sich ein Aufgehen der statisti- 
schen Wissenschaft in der Volkswirtschaftspolitik (speziellen, praktischen 
Nationalökonomie) aus praktischen Gründen unbedingt, da diese Wissen- 
schaft bereits so umfangreich geworden ist, daß sie eher der Aussonde- 
rung noch anderer Gebiete zu ihrer Entlastung bedarf. Das Gesagte be- 
zieht sich außerdem nur auf den speziellen Teil der Statistik, in 
welchen: die Bevölkerungsstatistik, Wirtschaftsstatistik usw. behandelt 
werden, nicht aber auf den allgemeinen Teil, der vielmehr durchaus 
einen geschlossenen Charakter hat und in die Volkswirtschaftspolitik 
nicht hineinpassen würde. Der allgemeine Teil (Geschichte, Theorie 
und Technik der Statistik) bildet fast schon eine Wissenschaft für sich. 

Manche Autoren, wie namentlich neuerdings wieder Kaufmann!), 
haben die Frage, ob die Statistik eine Wissenschaft oder nur eine Me- 
thode sei, dahin entschieden, die Statistik sei keine selbständige 
Wissenschaft, sondern nur eine Methodenlehre (methodische 
Wissenschaft). Dieser Standpunkt ist unhaltbar, denn zur stati- 
stischen Wissenschaft gehört auch die Theorie der statistischen For- 
schungsmethode und die Geschichte der Statistik (d. h. der statistischen 
Wissenschaft und Praxis). Kaufmann hat den begrifflichen Unter- 
schied zwischen Forschungsmethode und technischer Methodenlehre nicht 
erkannt und geglaubt, Theorie der statistischen Methode sei Theorie 


1) Theorie und Methoden der Statistik, 1918. 
41* 


644 Miszellen. 


der statistischen Methodenlehre. Eine Theorie einer Methodenlehre 
gibt es aber überhaupt nicht!), und was er in dem ersten Teil seines 
Lehrbuchs?) bietet, ist auch tatsächlich die Theorie der statistischen 
Forschungsmethode, also ein Teilgebiet der logischen Methodenlehre, 
das mit der statistischen Technik (Methodenlehre, Kunstlehre, Techno- 
logie) direkt gar nichts zu tun hat. Also auch das Kaufmannsche Lehr- 
buch, das die Geschichte der Statistik völlig ignoriert, besteht nicht 
bloß aus einer Methodenlehre, sondern auch aus einer Theorie der 
Statistik, also aus Theorie und Technik der Statistik. 

Die statistische Methodenlehre betrachtet Kaufmann mit anderen 
nur als eine Hilfswissenschaft und sagt dementsprechend, die Statistik 
sei keine selbständige Wissenschaft, sondern nur eine Hilfswissen- 
schaft. Ganz abgesehen davon, daß die Statistik nicht bloß aus einer 
Methodenlehre, sondern auch aus Geschichte und Theorie besteht, wird 
man den Begriff einer Hilfswissenschaft im absoluten Sinne schwer- 
lich anerkennen können. Selbständige und Hilfswissenschaft sind über- 
haupt keine Gegensätze; jede selbständige Wissenschaft ist bekanntlich 
auch Hilfswissenschaft für andere Wissenschaften. Hilfswissenschaft 
ist nur ein relativer Begriff. Als selbständige Wissenschaft be- 
zeichnet man jedes Wissensgebiet, das einen sachlichen und logischen 
Zusammenhang und einen gewissen Umfang aufweist. Der sachliche und 
logische Zusammenhang in der statistischen Methodenlehre ist un- 
bestreitbar, es frägt sich also bloß, ob ihr Umfang derartig ist, daß sie 
auf den Namen einer selbständigen Wissenschaft Anspruch machen 
könnte. Hält man ihren Umfang nicht für ausreichend, so ist sie eine 
Teilwissenschaft und muß als solche innerhalb des Systems der 
Wissenschaften irgendeiner anderen selbständigen Wissenschaft ange- 
gliedert werden, etwa der Mathematik oder der Nationalökonomie, für 
welche sie ja in erster Linie in Frage kommt3). Kaufmann selber 
beschränkt indessen die statistische Wissenschaft nicht auf die Me- 
thodenlehre; daß aber selbst bei völliger Nichtbeachtung der Geschichte 
der Statistik die Theorie und die Methodenlehre der Statistik dem Um- 
fange nach ausreichen, um den Anspruch der statistischen Wissenschaft 
auf den Rang einer selbständigen Wissenschaft als gerechtfertigt er- 
scheinen zu lassen, beweist ja schon der Umfang des über 500 Seiten 
starken Lehrbuchs von Kaufmann. Es wäre allerdings denkbar, man 
ließe die Theorie der statistischen Forschungsmethode in der Methoden- 
lehre der Logik verschwinden und die Geschichte der Statistik in der 
Geschichte der Nationalökonomie. Das praktische Bedürfnis der wissen- 


1) Von technischen Methoden läßt sich höchstens eine systematische Dar- 
stellung geben. Die statistische Methodenlehre gehört zu den praktischen 
Wissenschaften; diese vermitteln praktische, aber keine theoretischen Kenntnisse, 
wenn auch die Theorie sich bisweilen in sie verirrt. Andere praktische Wissen- 
schaften sind z. B. die Banktechnik, die landwirtschaftliche Betriebslehre, die 
Forstbetriebslehre, die naturwissenschaftlichen Technologien. 

2) Die theoretischen Grundlagen der statistischen Methode. 

3) Die logisch unmögliche Frage: selbständige oder Hilfswissenschaft? ist 
auch hinsichtlich der Mathematik erhoben worden (vgl” Wundt, Einleitung 
in die Philosophie), kann aber wohl als längst erledigt betrachtet werden. 


Miszellen. 645 


schaftlichen Arbeitsteilung verlangt aber nach einer Zusammenfassung 
dieser Wissenschaft, wie man denn überhaupt sagen kann, daß für die 
Konstituierung einer Wissenschaft in letzter Linie doch das praktische 
Bedürfnis der wissenschaftlichen Arbeitsteilung entscheidet. Auch über 
die Existenzberechtigung eines speziellen Teils der Statistik, dessen 
etwas unorganische Struktur sich wohl schwer ableugnen läßt, wird 
schließlich das praktische Bedürfnis entscheiden, außerdem die Tradition, 
denn je mehr Lehrbücher den speziellen Teil berücksichtigen (bisher 
ist es nur in dem Lehrbuch von Conrad und dem noch nicht voll- 
endeten von v. Mayr der Fall), desto weniger wird wohl dessen 
Existenzberechtigung geleugnet werden. Davon bleibt die sehr berech- 
tigte Forderung, daß die Nationalökonomie, namentlich die praktische 
(die Volkswirtschaftspolitik), mehr als bisher die Ergebnisse der stati- 
stischen Praxis berücksichtigen soll, natürlich unberührt. 

Die Geschichte der Statistik kann man unmöglich, wie 
Kaufmann es tut, einfach ignorieren wollen. Sie zerfällt in zwei Teile: 
Geschichte der statistischen Praxis und Geschichte der statistischen 
Wissenschaft. ' 

Die Ergebnisse der statistischen Praxis oder, kurz gesagt, die Sta- 
tistik in diesem Sinne des Wortes ist nicht bloß stets für Regierungen 
und Verwaltungen von erheblicher praktischer Bedeutung gewesen, son- 
dern geradezu weitaus überwiegend zunächst nur für Regierungs- und 
Verwaltungs- (politische und administrative) Zwecke geschaffen wor- 
den. Um ein Land gut und erfolgreich regieren und verwalten zu 
können, müssen Regierung und Verwaltung sich fortlaufend über die 
tatsächlichen Zustände des Landes und der Bewohner informieren, sei es 
durch persönliche Beobachtung, sei es durch Berichte der nachgeordneten 
Behörden, sei es durch statistische Ermittlungen. 

Neben und an die Stelle persönlicher Berichte der Regierungsorgane 
ist die Statistik in immer stärkerem Maße als eines der wichtigsten In- 
formationsmittel der Regierung und Verwaltung getreten 1), 
das zudem. den Vorteil völliger Objektivität hat, während die persönlichen 
Berichte der untergeordneten Behörden notgedrungen stets subjektiv ge- 
färbt sind. In vielen Fällen ist die Statistik sogar das einzig mögliche 
Informationsmittel, da hier die subjektive Beurteilung völlig versagt, 
so z. B. hinsichtlich der Bevölkerungsvermehrung und -bewegung, der 
Ein- und Ausfuhr usw., überhaupt in allen Fällen, in denen das Be- 
obachtungsfeld zu weit und für den Einzelmenschen nicht mehr über- 
schaubar ist. 

Der Ursprung der statistischen Praxis wie überhaupt der Statistik 
ist in diesem rein praktischen Bedürfnis des Staates, sich über Land und 
Leute zu informieren, zu suchen. Je komplizierter sich ein Staatswesen 
gestaltet, desto stärker wird dieses Bedürfnis und damit auch das spe- 
zielle Bedürfnis, sich über die quantitativen Verhältnisse von Land 
und Leuten durch möglichst genaue und möglichst erschöpfende Zäh- 


1) v. Mayr bezeichnet die Statistik in Handbuch der Politik, 2. Aufl. S. 235, 
sehr treffend als politischen Aufklärungsdienst. 


646 Miszellen. 


lung und Messung Klarheit zu verschaffen. Die quantitativen Fest- 
stellungen sind an sich völlig objektiv im Gegensatz zu den auf persön- 
lichen Ansichten und Eindrücken beruhenden Berichten der nachge- 
` ordneten Behörden und würden ein geradezu ideales Informationsmittel 
sein, wenn sie stets absolut richtig und genau wären. Dies ist aber 
bekanntlich nur in beschränktem Umfange der Fall. Wenn die Objekte 
der Zählung und Messung die Einzelmenschen oder solche ihrer An- 
gelegenheiten sind, die nicht offen zutage liegen, so hängt die Genauig- 
keit der statistischen Ermittlungen von der Bereitwilligkeit, Ehrlichkeit, 
dem Wissen und Verständnis der Einzelmenschen ab; im übrigen 
werden die Zählungen und Messungen durch die Individualität der 
zählenden und messenden Personen, eventuell auch durch die Zuver- 
lässigkeit der von ihnen benutzten Hilfsmittel, in starkem Maße beein- 
flußt. Das an sich völlig objektive Informationsmittel der systematischen 
Zählung und Messung ist demnach indirekt doch wieder subjektiv stark 
bedingt. Ja selbst die Ergebnisse der Statistik sind häufig subjektiv 
verschieden deutbar. Daher kann die Statistik die Beurteilung auf 
Grund persönlicher Beobachtung und Erfahrung nie völlig überflüssig 
machen, bedarf vielmehr dieser Beurteilung zur Bestätigung, Erklärung, 
Ergänzung, Korrektur, soweit dies angängig ist. Auf der anderen Seite 
braucht nicht betont zu werden, daß das Informationsmittel der syste- 
matischen quantitativen Ermittlungen namentlich in der Neuzeit eine 
nie geahnte Bedeutung erlangt hat, der gegenüber seine Schwächen stark 
in den Hintergrund treten, zumal diese durch immer feinere Aus- 
bildung der technischen Methoden und größere Ansammlung von prak- 
tischer Erfahrung in wachsendem Maße verschwinden. 

Wie die amtliche, so dient auch die private Statistik, die in der 
Gegenwart eine nicht unerhebliche Bedeutung erlangt hat, in der Regel 
zunächst praktischen Zwecken. Die Wissenschaft spielt also gegenüber 
der Statistik im allgemeinen eine durchaus sekundäre Rollel); sie 
muß sich mit dem Material begnügen, das und wie es ihr die Praxis 
darbietet. Sie kann höchstens Anregungen zur Durchführung von Er- 
hebungen und zur Verbesserung technischer Methoden geben. Je besser 
und je umfangreicher aber insbesondere die amtliche Statistik wird, desto 
weniger ist dieses Abhängigkeitsverhältnis fühlbar; ja man hat heut- 
zutage im Gegenteil oft die Empfindung, daß die Wissenschaft gegen- 
über der Fülle des gebotenen Materials nicht mehr recht mitkommt, 
daß ihr der Atem ausgeht. Wenn ihr in besonderen Fällen das gebotene 
Material nicht genügt, so ist sie auf die Enquete angewiesen, die aber in 
der Regel weniger wertvolles Material liefert. 


1) Unabhängig ist die Wissenschaft in statistischen Fragen z. B. in der 
Astronomie, Anthropologie, Sprachforschung, Meteorologie usw. Dementsprechend 
ist die systematische zahlenmäßige Massenbeobachtung in erster Linie eigentlich 
kein Prinzip wissenschaftlicher Erkenntnis (Forschung), wie z. B. das 
Experiment, die Quellenkritik usw., sondern ein Prinzip der Erkenntnis für prak- 
tische (politische und administrative) Zwecke. Nicht die Wissenschaft, sondern die 
Praxis ist es in erster Linie, welche die Methode der zahlenmäßigen Massenbeob- 
achlung anwendet (ebenso die technischen Hilfsmethoden dieser Forschungs- 
methode). 


Miszellen 647 


Die statistische Praxis und die statistische Wissenschaft stehen 
sich also gewissermaßen in getrennten Lagern gegenüber. Dieser Gegen- 
satz wird aller Wahrscheinlichkeit nach immer bestehen bleiben und 
dementsprechend wird es auch auf der einen Seite nie an routinierten 
Praktikern fehlen, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen, auf der 
anderen Seite nie an Theoretikern, die mangels hinreichender Kenntnis 
der statistischen Technik oder infolge ungenügender Beherrschung des 
Zahlenmaterials zu Fehlschlüssen oder unzulässigen Verallgemeinerungen 
gelangen. Immerhin wird der Gegensatz mit der Zeit dadurch immer 
mehr gemildert werden, daß die statistische Praxis gut bezahlten, mit den 
erforderlichen allgemeinen wissenschaftlichen Kenntnissen ausgestatteten 
Kräften übertragen wird und auf der anderen Seite die Wissenschaft sich 
immer eingehender mit der Statistik beschäftigt, ferner dadurch, daß 
Statistiker aus der Praxis zur Wissenschaft und umgekehrt übergehen 
oder gleichzeitig in der Wissenschaft und in der Praxis tätig wird. 

Das letztere wird aber stets nur eine Ausnahme bleiben, der Gegen- 
satz zwischen statistischer Wissenschaft und Praxis daher nicht beseitigt 
werden können. Denn die statistische Praxis ist eine Berufstätigkeit, 
welche in der Regel die Arbeitskraft eines Einzelnen vollkommen in An- 
spruch nimmt, ja sogar diesen häufig zwingt, sich auf ein einzelnes 
Spezialgebiet zu beschränken. Lassen sich Berufsstatistiker durch Eitel- 
keit oder Ehrgeiz verleiten, auch wissenschaftlich tätig zu sein, ohne 
durch besondere Vorbildung und Begabung für diese Doppeltätigkeit 
prädestiniert zu sein, so sind Arbeiten von zweifelhaftem wissenschaft- 
schaftlichen Wert oder stark dilettantenhafiem Charakter das unerfreu- 
liche Ergebnis; höchstens auf ihrem Spezialgebiet werden sie auch 
wissenschaftlich Wertvolles zu leisten vermögen. Andererseits muß man 
von dem wissenschaftlichen Statistiker verlangen, daß er sich hinreichend 
mit der statistischen Technik vertraut macht und vor allem, daß er 
sich in das statistische Zahlenmaterial einzuarbeiten und es richtig zu 
verwerten versteht; dazu gehört, wenn auch nicht die Kenntnis der 
höheren Mathematik, so doch eine gewisse mathematische Begabung. 

Infolge des Gegensatzes zwischen Wissenschaft und Praxis der 
Statistik zerfällt auch die Geschichte der Statistik in zwei natürliche 
Teile, die auch zweckmäßig getrennt darzustellen sind, zumal die Ge- 
schichte der statistischen Praxis uralt ist, die Geschichte der statistischen 
Wissenschaft dagegen erst mit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts 
beginnt. Die Geschichte der statistischen Praxis kann man auch als 
statistische Quellenkunde, die Geschichte der statistischen Wissenschaft 
auch als Geschichte der statistischen Literatur bezeichnen. 

Nach dem Gesagten zerfällt der allgemeine Teil der Statistik (sta- 
tistischen Wissenschaft) in vier natürliche Hauptabschnitte: Geschichte 
der statistischen Praxis, Geschichte der statistischen Wissenschaft, Theorie 
der statistischen Forschungsmethode, statistische Methodenlehre (Technik). 


648 Miszellen. 
XIX. 
Die Entwicklung des Viehstandes während der letzten 
Maul- = 
Jahr der Be- Jahr der tiere, Kühe 
Staaten Volks- Vieh- Pferde | Maul- | Bindeieh) | Schafe 
3 völkerung 
zählung zählung esel, Gesamt- |p. 1000 
Esel zahl Einw. 
Preußen (altes 1817 10 319 993 1817 1243 261 4013 912| 2 154 645| 209 | 8 260 396 
Gebiet vor 1849 16 296 483 1849 1577417 5371 644/3078 126| 188 |16 236 328 
1866) 1867 19671 841| 1867 1 871 852 5 853 686| 3 653 787 | 186 18 806 400 
1873 20 400 000! 10. 1. 1873 ı 882 318 6 530 866| 3 821 024| 188 16763 224 
1883 22409794 10. 1. 1883 |1 983 728 6 630 771| 3 894969| 174 |12 362 936 
1892 24 728 972| 1. 12. 1892 |2 176 954 7 490 286 — — 8 217 296 
1. 12. 1905 |30 959 480| 2. 12. 1907 |2 516 051| 5995 | 9095 692| 4 560213 | 147 | 4 337 938 
1910 |33380758) 1910 |2566962| — |86946089) — — | 3781633 
1912 = 1912 |2620613| — | 8898419) — — | 3353 105 
1. 12. 1913 1913 2648433| — 9 168 450| 5031469 | 148 | 3 085 611 
Preußen (ein- 1867 24 047 934 1867 2 279 337 7 996 590| 4 865 768 | 202 |22 261 330 
schließlich 1873 24 689 252| 10.1.1873 |2 274 932 8612 150 5056400| 204 |19 624 ;58 
neue Pro- 1883 27 279 111| 10.1.1883 |2 417 158 8737 641|5 132839 | 188 |14 747 975 
vinzen) 1892 29 957 367| 1. 12. 1862 |2 653 700 9850960) — — [10092 568 
y 1.12.1905 |37 293 324| 2. 12. 1907 |3 046 304| 6973 |12011584 5 967 693 | 160 | 5 408 567 
1.12.1910 |40 165 219| 1.12.1910 |3 128 535| — |11592 521 — — 4 632 069 
1912 — 1912 3 190 357| 8075 |11 856 106 — 159 | 4 107 377 
1.12.1913 1913 52266490| — [12 301 157| 6 650 388 3 832 909 
Königreich 1810 3 500 000 1810 292414 1 828 083| 825 720| 299 | 1074 232 
Bayern 1854 4 600 000 1854 347 229 2616 152| 1 341 362| 296 | 1 22357 
1863 4 770 000 1863 379 467 3 162 456| 1 551 000| 311 2 040 372 
1873 4 860 000| 10. 1. 1873| 350 807 3 066 203| 1 557 286| 320 | E342 190 
1883 5 284 778| 10. 1. 1883 | 360 636 3033 263| 1 584 456| 299 | 1 178 270 
1892 5 594 982| 1. 12. 1892 | 368 636 3 333 953 — — 965 772 
1.12.1905 | 6524 372| 1. 12. 1907 | 392091) 602 | 3725 430| ı 718377 | 263 735 113 
x, 1910 6 887 291 1912 400 264| — |3554117| — — 473 634 
1913 
Königreich 1820 1432 241 1820 98 600 669 850| 328 000| 229 487 040 
Württemberg 1855 1669 7201| 1855 95 038 811 159 — — 485 488 
1864 1 748 328 1864 104 527 974 9ı7| 485 602 | 270 705 656 
1873 1 818 539| 10. 1. 1873 96 970 946 228 _ — 577 290 
1883 1971 118| 10.1.1883 | 96885 904 139| 459737 | 223 550 104 
1892 2036 522| 1. 12.1802 | 101625 970 059 — — 384 335 
1.12.1905 | 2 302 179| 2. 12. 1907 | 115 352| 235 | 1073 122| 506010| 220 278 337 
1910 2437 574 1912 115646) — 1 063 109 — — 212121 
1913 
Königreich 1834 1595 b0% 1834 73535 546 942| 345784] 215 604 950 
Bachsen 1853 1 987 612 1853 94 870 610 386| 397 700| 200 485 147 
1867 2 426 300 1867 112 Bou 625 260| 513755| 170 304 087 
1873 2 600 000| 10.1.1873 | 115667 64,074 — —_ 206 830 
1883 2972 805| 10.1.1853 | 126 886 651 329| 442050 | 148 149 037 
1892 3 502 684 1. 12. 1892 | 148417 664 077 — — 104 882 
1.12.1905 | 4 508 601| 3. 12. 1907 | 171 715| 757 731528 459384| 102 66 120 
1910 4 806 601 1912 175 192| — 702 049 — — 55 395 
1913 176 116 713 928 . 58 271 


1) Die Angaben bis zum Jahre 1905 aus Conrads Jahrb., 3. F. Bd. 39, 1910, 


2) 2. Juni 1913 in Preußen 15 490 101. 


2. Juni 1914: 17 967 859. 


ipa 


Miszellen. 649 


Dezennien in den hauptsächlichsten Staaten Europas‘). 


Sa. Hauptgroßvieh 


Landwirtschaftl. Sa. Hauptgroßvieh einschl. 


ee U.) benutzte Fläche | Acker- Pferde und Esel 
Schweine Ziegen, ee ie ET, ee 
Gesamt- p. 1000)Jahr d. h ha Gesamt- Keim eg auf 1000ha 
zahl Einw. | Erheb zz zahl nutzter Fi. | Ackerland 
2 494 369 143 433| 5 325 496| 516 11 048 600| 7 190 386 641 
1 466 316 584 771| 7672 254| 470 12 055 500| 10 035 378 840 


3785674 | 1043 764| 8873634) 451 
3367 792 | 1149 395| 9152918| 4:8 
4504 611 1309 552| 9092328 405 
5916539 | 1536592] 9919 189| 446 
10 915 628 1 749 061|12 368 148| 400 
11553472 == > = 


14 579 000| 1 1 681 412 801 
11979 595 820 
14 406 855 838 
14 494 847 912 
1900 |17 738 593|14 677 328 804 972 


11583 861 |16230015|12014946| 343 -— = = 714 _ 
12 186 240 1 685 414|12 664 020| 370 — — 933 1133 
4875114 | 1343615|11 553 475| 480 — _ |14972469 | 856 
4278531 | 1477 335|11 767 369| 47 17 415 587115 179 767 871 
5818 732 1 679 686|11 806 653| 433 — 15 432 360 886 
7704354 | 1953 74812929 117) 435 17 527 740|16 900 199 964 
15095854 | 2253529116 512729] 443 | 1900 |23 020 987|17 661 549|18 800 944 817 1065 


16 491 559 E = = 
17452951 | 2085 446/16 303 869| 390 


= ga — 18 430 774 800 1040 


501509 | 65289| 2616362| 77 | | | = 2 505 188 1091 


48071 142°)| 2 176 306/17 378091| 413 | II ` 2 176 obt" 378 091| 413 22 218 051 966 1159 
501 509 
492 767 103 184| 2892 715| 629 3413557 1071 
922453 148 493| 3 911 909| 820 3 186 000 4481 109 1406 
872 098 193 881| 3 439 286| 707 3 965 586 1239 
1038 344 220 818| 3 442 812| 650 3 070 378| 3 967 286 1292 
1 356 674 268 992| 3 792 114| 677 3051 347| 4 345 068 1424 
2 050b 222 308 150| 4338 675| 665 1900 4.029) 520 3097 191| 4 633 045 1001 1521 
1 812 224 310861) 4080441| 585 4347 284 939 1426 
128 830 23 120| 751217] 524 7128830 | 231201 ?75121ı7| 524 | | | 7000001 88ı 117 1260 
143 524 42064, 896658] 537 — 1039 215 1300 
263 504 35 202| ı 114 509| 638 927 250| 1 271 299 1371 
267 350 38 305| 1073 936| 591 1219 391 1360 
292 206 54 876| 1036773) 526 879 971 1 182 099 1343 
394 402 69 987| 1 112 924| 547 879 108| 1 265 375 1439 
537 ı85 88 201| 1 252 163| 544 1902 I E 851| 875 620| 1 338 894 1075 1528 
480 494 111 630) 1 213 748| 500 — 1 290 845 1036 1474 
104 689 48 553| 638 967| 429 767 000, 749 269 975 
124 158 74726| 606915| 350 _ 839 220 1050 
325 564 93 004| 744 I14| 306 839000) 913 354 1089 
301 091 105 401| 751815) 289 _ 925 315 1101 
355 550 116547) 798966) 269 812 268| 989 295 1218 
433 435 128 482| 793931) 229 831 226| 1016555 1223 
744 517 144 858| 971310) 215 zum 1028 144 843 759| 1100475 1071 1304 
57 02 


132073) 882420] 183 — | 999 215 972 1184 


760 291 136 372 


650 Miszellen. 


Be- Jahr der 
völkerung ee Pferde 


Jahr der 
Volks- 
zählung 


Staaten Bincvieb 


Groß- I 110 000 1825 69 610 480 487| 224 970| 202 189 000 
herzogtum 1855 1 314 837 1855 68 828 582 486| 322 768| 245 162607 ¢ 
Baden 1868 1 438 872 1868 75 223 603 840| 326012| 210 17412) 

1873 I 500 000| 10. 1. 1873| 70285 621 888 — — 156287 
1883 1 570 254| 10. 1. 1883| 66607 5493 526| 323 384| 206 131461 
1892 1 657 807| 1. 12.1892 | 64.089 635 015 — — 98 369 
1. 12. 1905 | 2 010 728| 2. 12. 1907 75 842 274| 673 140| 346 805| 172 §2 020 
1910 2 142 833 1912 74 134 649 163 _ — 40425 
1913 
Deutsches 1871 41.058 804| 10. 1.1873 |3 352 231| 13 31515 776 702| 8 961 221 218 |24 999 406 
Reich 1885 46 55 704| 10.1.1883 |3 522 545| 9795|15 786 764| 9087 293 195 19 189 715 
1890 49428 470| 1.12.1892 |3 836 273| 6703|17 555 834| 9946 255 201 13 589 662 
1900 56 367 178| 1.12. 1900 |4 195 361| 7 848|18 939 692 10 458 631| 187 9 692501 
1905 60 641 278| 1. 12. 1904 |4 267 403| — |19331 568| 10 456 137| 172 7 907 173 
1905 60 641 278| 2. 12. 1907 |4 345 043| 11 291120 630 544 10 222 792| 169 7 703 710 
1912 66096 000| 1912 14516297) 12 862|20 158 738 — | — | 57878 
1913 
Frankreich 1812 30 000 000 1812 2122617 6 681 952| 3 909 959| 130 |35 000 000 
1840 34 230 178| 1840 |2818 400 9936518| 5501 825| 161 |32 151430 
1866 38 067 064 1866 3 313 232 12 733 188| 6694 502| 186 130 386 233 
1872 36 102 921 1872 2 882 851 10023 716| 6013 089| 166 |24 707 49% 
1879 37 672 048 1879 12817 803 11 586 197| 7 267 573| 193 122 993 867 
1886 38 218 903 1886 2911392 13 104 970| 6414 487| ı70 |22616547 
1891 38 343 192 1891 2 883 460 13 661 533| 6557 632| ı70 121791909 
4.3.1906 |39 252 245 1907 3 094 698/552 78813 949 722| 7 336 214| 187 [17 460 284 
1911 39 b01 509 1911 3236 110 — |14435 530] 7 606 670| 192,08| 16 425 330 
T 8013 368) — | — 15184664 
1863 21 974 236 1863 1 365 344 8 610 1062| 4 185 328| 199 5 682431 
1870 20 394 980 1870 1 367 023 7425 212| 3 831 136| 188 5 026 398 
1880 22 144 244 1880 I 463 282 8 584. 077| 4 138 625| 186 3 841340 
1890 23 895 413 1890 1548 197 8 643 936 — — | 3 186 787 


31. 12. 1900 |26 150 708 1900 1 716 488| 66 647| 9511 170| 4749 152| 182 2 621 026 
1910 28571934| 1910 ı 802 848| — | 9160009| 4 901 886| 171,05| 2 428 101 
1863 14672526 1863 |2095 055 5 646 954| 2 167 758| 147 J11 281 805 
1870 |15 509455! 1870 2 158819 5 276 193| 2052 488| 132 |15076997 
1880 |15725710! 1880 12078528 5311378 — — |983979 
1884 15 738468) 1884 |r 748 859 4879038| 1 752 406| ııı 110594 831 

31.12.1900 |19254 559 1908 |r 859 586| 15 930) 6 446 477 R — | 7872742 

— 1911 |2351481| — |7319121| 3179811ı| — | 8548 204 

1866 2 519630 1866 105 799 

1876 2 669 147 1876 106 191 

1886 2917 754 1886 98 622 


Ungarn 


993 291| 553 205| 219 447 001 
1035 856| 592413| 222 367 549 
1 212538] 663 102| 227 341 804 


Schweiz 


Oesterreich | 1857 18 224 500 1857 I 342 036 8013 368 


1.12.1900 | 3325023) 1906 135 372) 4 832 1498 144| 785 950| 236 209 997 
1911 3781 430| 1911 144 1283| — | 1443483] 796909|210,74| 161414 
Britisches 1867 130334 999| 1867 — 8731473 — — |3381795! 
Reich 1870 131205 444| 1870 |1 750498 923505: — — |32786783 
1875 |32749167| 1875 |18190687 10162787) — — |33491948 | 
1881 |34929679| 1881 |1923619 990501; — — |27896273 | 
1886 35241 487| 1886 |1927527 10872811 — — |28955240 
1891 37 879 285| 1891 |2026 170 11 343 686 — — |33 533 988 
31.3. 1901 |41 458721 1908 2 150 300|271 484|11 697 592| 4350 205| 105 |31 245836 | 
1912 S 1912 |22288o9| — |11874594| 4383 375| — |28886561 


| 


U 


Schweine 


204 000 
245 413 
340713 
272333 
291 001 
390 761 
558 278 
476.094 


~ 7 124088 |2320002|20 250 999|493 | 1878 |36 726 015|26. 063 084|22 7: 
9 206 195 
12 174412 
16 807 014 
18 920 666 
22 146 532 
21 885 073 


4 910 721 
5 889 624 
5 377 231 
5 502 638 
5 881 088 
b 096 232 
6 995 124 
6719570 
3 409 590 
3 646 703 
2551473 
2 721541 
3 549 700 
4 682 654 
6 432 080 


4 504 905 
4443 279 
4 160 127 
4 803 639 
5 358 802 
7 580 446 

304 428 

334 507 

394 917 

548 970 

570 226 
4 221 100 
3 650 730 
3 495 167 
3 146 173 
3 497 165 
4 272764 
4 041 322 
3 979751 


— 


Sa. Hauptgrußvieh 
ausschl. Pferde u. 


Miszellen. 


651 


Landwirtschaftl. 


È benutzte Fläche | Acker- 
Ziegen |— Esel —— | fläche 
Gesamt- |p. 1000|Jahr d. h 
zahl | Einw. | Erheb. R 
23 100| 552 487| 498 
57014| 665 659| 506 
57 302| 709 727| 493 
68 873| 7113551474 
90782| 686 987| 438 
102 547 | 751 087| 453 
119821 827 714| 412 1900 852 867 
134928 | 783 474| 365 = = 
2 320 002 |20 250 999| 493 1878 |36 726 015|26 063 084|22 771 830 
2 640 994 |20 227 308| 433 1883 |35 640 419|26 177 35!|22 874 175 
3 091 508 |22 210 037| 449 1893 |35 164 597|26 243 214|25 096 594 
3 206 997 |24 382 946| 433 | 1900 |35 055 39*|26 257 313|27 533 391 
3 329 881 |25 129 942| 415 | 1900 |35 055 398|26 257 313|28 330 494 
3 533 970 |27 232 046| 450 1900 |35 055 398126 257 313/30 496 474 
3 383 971 |26 490 789 400,8 | — — |29501054 
964 000 |14 459 674| 422 — j 687 274 
1 679 938 |17 384 217| 457 28 889 430|22 354 005 
1 791 725 |15 248 782| 432 — 19 947 934 
1 546 566 |15 390 122| 409 =- 19 bın 825 
1 483 342 |16 960 500| 450 = 21 327 594 
1 480 229 |17 488 134| 456 28 114 384|21 813 324 
1 421 009 |17 562 948| 447 1907 |39 811 700|26 220 918|20 160 366 
1 424 180 |17 876 638| 451,11), — |36 834 600 — 20 034 045 
1 027 018 | 9479 950| 520 — 11 493 010 
1 086 852 |10 180 652| 463 10 487 018|12 228 668 
979 104 | 8 647 311| 424 10 183 425|10 697 844 
1 006 675 | 9 732 485| 439 10 6,6 834|11 927 408 
1035 832| 9 936 359| 416 10 854 875112 258 654 
I 019 664 |1 1 028 909| 422 1907 |18 014 200|10 633 493|13 349 599 
1 256 778 |15 939 631| 557,87 17 745 39! = 17 141 530 
430973 | 7 937 27 1 541 9 839 588|11 079 852 
572951| 7 945 458| 512 9 840 826) ı 1 183 685 
333 214 | 7 363 158| 468 10 910 078) 10 480 950 
270 192| 7 161 946| 455 11 741 575| 9785 236 
277 060 | 8 596 540| 447 | 1907 |20 560 700113 768 299| 9 999 195 
426 981 |10 104 635| — — 11 672 289| 
375482 | 1 145 385| 454 2 080 929| 1 304 025 
396 001 | ı 189 237| 446 2 16: 830| 1 348 522 
416323 | 1 380 140| 479 2 129 000| 1 598073 
362 117 | 1 686 563| 507 1906 | 2 240 100 — 1 790 508 
341 296 | 1 630 022| 431,22 2 321 234 1 726 707 
=- 13 168 543] 434 18 381 761 —- — | 
ER 13 426 412| 430 18 701 834 =- 16 052 159 
— [14385 774| 439 18 162 084| — |17115306 
-— |13 481 933| 385 19296675| — |16367360 
— 13855 764| 393 — [|16747053 
_ 15 766 275| 442 — 18 805 530 
— 15 853 031| 382 1908 |19 698 500| 7 882 908|17 601 498 
mm 15758 188) — 19 824 200| 17 244 001| 


Sa. Hauptgroßvieh einschl. 
Pferde und Esel 


auf rooo ha 
landw. be- 
nutzter Fl. | Ackerland 


= 874 
== 874 
= 956 
870 1049 
Sg 1079 
_ 1162 
843 1123 
759 
776 
506 769 
543,89 > 
1166 
1050 
1121 
1129 
686 1162 
965,97 SC 
1126 
1136 
obt 
833 
486 726 
626 
624 
759 
799 = 
743,87 
858 —_ 
893 = 
848 — 
894 2233 
869,84 


652 Miszellen. 


XX. 


Die Bedeutung und bisherigen Erfolge 
der deutschen Ueberlandzentralen. 


Von K. Uhl. 


Dio Ueberlandzentralenbewegung hat in Deutschland in den letzten 
Jahren einen beinahe beängstigenden Aufschwung genommen, und bereits 
heute ist fast das ganze Deutsche Reich in Interessengebiete der ver- 
schiedenen Zentralen aufgeteilt und von einem Netz von Starkstrom- 
drähten überspannt. ‘Geht man den Gründen nach, die zu dieser Ent- 
wicklung geführt haben, so wird man als ursprüngliches treibendes 
Moment, das Bedürfnis der großen elektrische Maschinen bauenden Ge- 
sellschaften finden, sich neue Absatzgebiete für ihre Erzeugnisse zu 
schaffen. Der ungeahnte Aufschwung der elektrischen Kraftüber- 
tragung in Fabriken, Bergwerksbetrieben und Bahnen hatte dazu ge- 
führt, daß ganz bedeutende Kapitalien in derartigen Gesellschaften an- 
gelegt wurden, die gewaltige Nachfrage nach elektrischen Maschinen 
erzwang geradezu immer neue Vergrößerungen bestehender Fabriken und 
verleitete zu Neugründungen. So konnte es nicht ausbleiben, daß die 
Aufnahmefähigkeit der bestehenden Betriebe für elektrische Maschinen 
erschöpft wurde. 

In den Ueberlandzentralen, die die elektrische Energie vor jede Tür 
führen und es so auch dem kleinsten Betriebe und dem Handwerker 
möglich machen sollten, ihre Vorteile auszunützen, erhoffte man Rettung, 
und der Gedanke an sich ist wohl auch gesund. Wird es doch nunmehr 
dem Fabrikanten und Handwerksmeister möglich, alle grobe, besondere 
Körperkräfte beanspruchende Arbeit durch Motoren verrichten zu lassen, 
so daß er bei der Auswahl seiner Gesellen und Arbeiter in dieser Hin- 
sicht nicht mehr beschränkt ist, was sicherlich auch auf die Qualität der 
gelieferten Arbeit von Einfluß ist. Dieselben Gründe, die natürlich auch 
für die Landwirtschaft in Frage kommen, und der nun auch auf dem 
Lande erhältliche größere Komfort werden auch geeignet sein, die 
Landflucht einzuschränken. Auch werden nunmehr viele Fabriken auf 
die besseren Eisenbahnverbindungen der Großstädte verzichten können, 
da für sie die Herbeischaffung der Betriebsmaterialien wegfällt, die bei 
manchen Betrieben bisher den weitaus größten Teil ihres Frachten- 
verkehrs ausmachte. Vor allem aber wird das Volksvermögen durch 
wesentlich bessere Ausnützung der Kohle und durch Erschließung in 
Wasserläufen schlummernder Energiequellen geschont. 


Miszellen. 653 


Sieht man nun aber die Bilanzen aller dieser Ueberlandzentralen 
an, so findet man, daß vielleicht der größere Teil von ihnen mit Ver- 
lusten arbeitet, daß die meisten der übrigbleibenden nur so gerade mit 
knappen Gewinnen durchkommen und nur ganz wenige wirklich gut 
und gewinnbringend arbeiten. Das Studium der in den verschiedenen 
Statistiken veröffentlichten Ziffern beweist bald, daß die veröffentlichten 
Bilanzen nicht nur nicht pessimistisch, sondern häufig genug eher noch 
optimistisch gefärbt sind. Um diesem unerfreulichen Ergebnis abzu- 
helfen, hat man den Nutzeffekt der verwendeten Maschinen immer wieder 
verbessert und ist heute bereits auf einer erstaunlichen Höhe. Man ruft 
auch nach billigeren Tarifen, um dadurch dem Uebel zu steuern, überlegt 
aber häufig nicht, ob bei den jetzigen Verhältnissen eine solche Er- 
mäßigung nicht noch größeren Schaden anrichtet, trifft jedenfalls, 
selbst wenn vielleicht kleine Erfolge erzielt werden, mit alledem nicht 
des Uebels Wurzel. 

Um diese zu erkennen, wollen wir uns einmal die Art der Anlage- 
kosten und der Betriebskosten einer Ueberlandzentrale kurz vergegen- 
wärtigen. Die Anlagekosten.lassen sich in zwei Hauptgruppen teilen: 

1) Anlagen für die Erzeugung und gebrauchsfertige Herrichtung 
der elektrischen Energie: dazu gehören Grund und Boden, Gebäude, 
Maschinen, Schalteinrichtungen und Transformatoren. Alle diese Kosten 
sind, auf de Einheit bezogen, um so niedriger, je größer die Leistungen 
der einzelnen Maschinensätze gewählt werden. Unter sonst gleichen Ver- 
hältnissen ist also eine Anlage mit wenigen großen Einheiten besser 
daran, als eine solche mit vielen kleinen Einheiten. 

2) Anlagen für die Fortleitung des elektrischen Stromes. Die 
Kosten dieser Anlagen sind, ob nun große oder kleine Energiemengen 
zu übertragen sind, in gewissen Grenzen, die eben für die Ueberland- 
anlagen in Betracht kommen, auf die Längeneinheit bezogen, ziemlich 
gleich, d. h. es ist wieder unter sonst gleichen Verhältnissen die Anlage 
günstiger, die das kleinere Leitungsnetz hat, und es ergibt sich somit 
aus den Anlagekosten als Ideal eine Ueberlandzentrale mit möglichst. 
großen Einheiten und möglichst kleinem Versorgungsgebiet. 

Auch die Betriebskosten kann man in zwei untereinander wesent- 
lich verschiedene Hauptgruppen teilen: 

1) Die festen Betriebsausgaben, d. h. diejenigen Ausgaben, die ge- 
macht werden müssen, ob nun die Zentrale Energie erzeugt und ver- 
kauft, oder nicht. Hierher gehören die gesamten Aufwendungen für 
Verzinsung und Tilgung des Anlagekapitals und fast alle Auslagen 
für die Erneuerung der Anlage, für Gehälter und Löhne und für 
Instandhaltung, wenn auch hier durch eine gute Beschäftigung des 
Werkes kleine Erhöhungen der erforderlichen Aufwendungen bedingt 
werden können. 

2) Die beweglichen Ausgaben, d. h. die Ausgaben, die erst gemacht 
werden müssen, wenn elektrische Energie erzeugt wird. Das sind haupt- 
sächlich die Ausgaben für den Betriebsstoff (Kohle, Rohöl, Gas usw.) 
und für Putz- und Schmiermaterial. Streng genommen müßte noch ein 
Teil dieser Ausgaben unter die festen Betriebsauslagen gerechnet werden, 


654 Miszellen. 


denn die Ueberlandzentrale muß wenigstens eine Maschine in Betrieb 
halten, auch wenn gar keine elektrische Energie tatsächlich entnommen 
wird, aber eine solche Unterscheidung würde zu weit führen. 

Um eine Vorstellung des Verhältnisses der festen Kosten zu den 
beweglichen zu erhalten, nehmen wir ein praktisches Beispiel: Eine 
Ueberlandanlage mit Dampfbetrieb mit einer größten Leistungsfähigkeit 
von 5000 kW möge 7,5 Mill. M. gekostet haben, dann belaufen sich 
die festen Auslagen erfahrungsgemäß auf etwa 0,9 Mill. M. Die beweg- 
lichen Kosten sind natürlich je nach den Kosten des Betriebsstoffes und 
je nach dem durchschnittlichen Wirkungsgrade, mit dem die Anlage 
arbeitet, sehr verschieden; man wird aber nach Möglichkeit die Zentrale 
dort anlegen, wo der ‚Betriebsstoff möglichst billig beschafft werden kann. 
In unserem Falle mögen sie sich auf 2 Pf. für die nutzbar abgegebene 
Kilowattstunde belaufen. 

Hätte nun unsere Ueberlandzentrale eine mittlere Benutzungsdauer 
von 100 Stunden im Jahre, gäbe also 100 x 5000 = 500000 kW-Std. 
nutzbar ab, so wären an beweglichen Ausgaben aufzubringen 0,02 X 
500000=10000 M. Die festen Kosten betragen 0,9 Mill., die Gesamt- 
kosten also 0,91 Mill. oder für jede Kilowattstunde 1,82 M. Beträgt die 
mittlere Benutzungsdauer 1000 Stunden, die nutzbare Stromabgabe also 
5 Mill. KW-Std., so wachsen die beweglichen Ausgaben auf 100000 M., 
die gesamten Ausgaben auf 1,0 Mill. M.; es stellt sich dann die Kilowatt- 
stunde auf 0,2 M. Bei 5000 Benutzungsstunden sind die entsprechenden 
Zahlen: bewegliche Ausgaben 0,5 Mill. M., gesamte Ausgaben 1,4 Mill. M., 
die Kilowattstunde 5,6 Pf., bei der praktisch höchsten erreichbaren Zahl 
von 8000 Stunden lauten die Ziffern 0,8 bzw. 1,7 Mill. bzw. 4,25 Pf. 
Bei einer 80-fachen Steigerung der mittleren Benutzungsdauer steigen 
also die Gesamtkosten nur um das 1,87-fache und der Gestehungspreis 
für die Kilowattstunde sinkt auf den 43. Teil, und zwar nimmt dieser 
Gestehungspreis zunächst sehr schnell ab und nähert sich zum Schluß 
sehr langsam einem Mindestpreis. 

Aus dieser Betrachtung ergibt sich nun das von der Ueberland- 
zentrale anzustrebende Ziel ganz klar, nämlich die Erzielung einer mög- 
lichst hohen durchschnittlichen Benutzungszeit. Es zeigt aber auch, 
daß dio bisher meist übliche Art der Vergütung für gelieferte elektrische 
Energie, nämlich ein bestimmter Betrag für die bezogene Kilowattstunde, 
bei ganz kleinen Anlagen ohne jede Berücksichtigung der Benutzungs- 
zeit und auch bei größeren Anlagen nur verhältnismäßig geringe Er- 
mäßigung bei hohen Benutzungszeiten, falsch ist, und dies ganz be- 
sonders bei Ueberlandzentralen, die durchweg mit Wechselstrom (Dreh- 
strom) betrieben werden, bei denen also ein Auf-Vorrat-Arbeiten auf 
Sammlerbatterien nicht oder doch nur in ganz beschränktem Maße mög- 
lich ist. 

Beschäftigen wir uns zuerst einmal mit dem zweiten Punkt. Der 
Tarif, der der Entstehungsweise der Eigenkosten des Werkes am meisten 
entspricht, müßte eine Grundgebühr für das angeschlossene oder noch 
richtiger für das maximal gleichzeitig bezogene Kilowatt festlegen und 
außerdem einen bestimmten, nun natürlich entsprechend niedrigen Betrag 


Miszellen. 655 


für jede bezogene Kilowattstunde. Derartige Tarife sind auch für größere 
Anschlüsse bereits vielfach in Gebrauch, für kleine Anlagen sind sie aber 
nicht verwendbar, weil sie ziemlich verwickelte und damit teuere Meß- 
einrichtungen erfordern. Auch ist die Verrechnung nach solchem Tarife 
so schwierig, daß sie der Bauer und kleine Handwerker nicht ohne 
weiteres übersieht und darum von Anfang an dagegen mißtrauisch 
ist. Durch die Leihgebühren für die Meßeinrichtungen erwachsen ihm 
außerdem noch Kosten, deren Berechtigung er nicht verstehen kann. 
Auf eine größtmögliche Einfachheit des Tarifes ist aber gerade bei den 
Bevölkerungsschichten, die als Kunden für eine Ueberlandzentrale in 
Betracht kommen, das allergrößte Gewicht zu legen. Betrachten wir 
nun noch einmal die oben mitgeteilten Ziffern, so finden wir, daß die 
festen Kosten die beweglichen, selbst bei ununterbrochenem Vollastbe- 
trieb, noch übersteigen. Die Ziffern gelten allerdings nur für Dampf- 
zentralen, aber bei Gaszentralen, Dieselanlagen und Wasserkraft- 
maschinen verschieben sich die Ziffern noch mehr zugunsten der beweg- 
lichen Kosten. Da ist doch das Gewiesene, besonders für kleinere An- 
schlüsse den reinen Pauschaltarif einzuführen. Größere Betriebe könnte 
man ja dadurch noch günstiger stellen, daß man bei ihnen die Zeit, 
in der der Ueberlandzentrale überhaupt kein Strom entnommen wird, 
den ersparten beweglichen Ausgaben entsprechend vergütet. Eine Ein- 
richtung, die die Dauer dieser Zeit feststellt, ist sehr einfach und billig 
zu beschaffen und hat nahezu keinen Eigenbedarf an elektrischer 
Energie. 

Der Pauschaltarif hätte einige ganz erhebliche Vorteile: in erster 
Linie seine große Einfachheit und Klarheit. Der Stromkunde hat monat- 
lich oder wöchentlich einen bestimmten Betrag zu zahlen und kann 
nun mit seinem Strom machen, was er will. Die Einrichtung, die ver- 
hindern soll, daß er zuviel Strom entnimmt, der Stromunterbrecher, ist 
einfach, billig und durch viele Tausende von Ausführungen erprobt. Er 
kann z. B. seine Beleuchtungsanlage so reichlich ausstatten, wie er will, 
und hat darum doch nicht mehr für den Strom zu zahlen, denn das Werk- 
ist ja durch den Unterbrecher geschützt, ja, man kann ihm noch weiter 
entgegenkommen und zu besonderen Anlässen, häuslichen Festlichkeiten 
usw. gegen eine kleine Gebühr den Unterbrecher kurz schließen, damit 
er dann seine ganze Installation ausnützen kann. Ferner braucht man 
beim Pauschaltarif keinen Zähler und es fällt damit die in weitesten 
Kreisen äußerst unbeliebte Zählermiete fort. Aber auch das Werk spart 
damit nicht nur an Anschaffungskosten, sondern auch an Stromkosten. 
Ein Wechselstromzähler, wie er für Ueberlandanlagen in Betracht kommt, 
hat einen Eigenverbrauch von etwa 2 Watt, das ergibt bei 8760 Jahres- 
stunden einen Eigenverbrauch von 17,520 kW-Std. im Jahre. Diese 
Energiemenge muß also das Werk für jeden Zähler aufbringen, auch 
z. B. in einer Anlage von 6 Flammen zu 25 Watt (Anlagen, wie sie 
außerordentlich häufig sind). Nimmt man eine mittlere Brenndauer 
von 400 Stunden im Jahre für jede Lampe an, so verbraucht die Anlage 
6 X 400 x 0,025 = 60 kW-Std. Um also den Verbrauch von 60 kW-Std. 
festzustellen, muß das Werk 17,5 kW-Std. aufbringen. Dieses Miß- 


656 Miszellen. 


verhältnis wird natürlich um so krasser, je teurer der Strom ist, je spar- 
samer also der Kunde damit umgeht. 

Aber einen Nachteil hat der Pauschaltarif: Da eine ununterbrochene 
Benutzung des Stromes möglich ist, muß bei seiner Bemessung auch mit 
einer solchen gerechnet werden und der Preis wird daher ziemlich hoch 
ausfallen. Da muß nun die Werbetätigkeit des Werkes einsetzen. Der 
Standpunkt, auf dem leider auch heute noch manche Werksleitungen 
stehen, das Publikum sei für ihre Werke da und müsse es als eine be- 
sondere Vergünstigung betrachten, wenn es überhaupt Strom erhält, muß 
gründlich verlassen werden. Während Gasleitungen in allen Straßen- 
zügen liegen und Neubauten von vornherein mit Gasanschluß versehen 
und mit Gasleitungen ausgestattet werden, gibt es selbst in größeren 
Städten noch ganze Straßenzüge, auch in besseren Stadtteilen mit fast 
durchweg 4- und Öd-Zimmerwohnungen, die kein elektrisches Kabel 
haben, und wo von den Kunden, die elektrischen Anschluß wünschen, 
verlangt wird, daß sie das ganze erforderliche Anschlußkabel auf 
ihro Kosten herstellen lassen oder wenigstens erheblich dazu bei- 
tragen. Mir ist ein allerdings ganz krasser Fall bekannt, wo 
vor noch nicht langer Zeit ein schlecht ausgenütztes und mit Ver- 
lust arbeitendes Elektrizitätswerk den Anschluß einer Fabrik mit 
einem jährlichen Strombezuge in der Höhe von mindestens 50000 M. 
bei 10-jährigem Vertrage ablehnte, weil die Fabriksleitung sich weigerte, 
das erforderliche Anschlußkabel, das etwa 30000 M. gekostet hätte, auf 
eigene Kosten herstellen zu lassen. Wegen einer einmaligen Auslage von 
30000 M., d. h. jährlichen Kosten von etwa 3000 M., ließ sich also die 
Werksleitung einen Kunden entgehen, der ihr mindestens 50000 M. 
jährliche Einnahmen gebracht hätte, voraussichtlich aber in kurzer 
Zeit noch weit mehr, da das Kabel an einer Anzahl anderer Betriebe 
vorbeigeführt hätte, von denen dann wohl auch der eine oder andere 
noch Strom bezogen hätte. Und es handelte sich im fraglichen Falle um 
eine staatliche Fabrik, also ein ganz sicheres Unternehmen. 

Und schließlich ist ja auch der etwas höhere Strompreis nicht so 
schlimm, wie es zunächst scheinen möchte. Fabrikanten und Verkäufer 
kleiner Verbrennungsmotoren für Benzin, Spiritus, Rohöl usw. haben 
umfangreiche Tabellen aufgestellt, durch die nachgewiesen werden soll, 
daß sich diese Art von Motoren im Betriebe billiger stellen, als Elektro- 
motoren im Anschluß an Ueberlandzentralen. Um das günstige Ergebnis 
herauszurechnen, müssen eine Anzahl von Voraussetzungen gemacht 
werden, dio der Bauer und Handwerker gar nicht beurteilen kann bzw. 
auf die er keinen Einfluß hat. Den anderen Motorarten gegenüber hat 
der Elektromotor von vornherein zwei große Vorteile: Er ist in seinen 
Anschaffungskosten bei weitem am billigsten und seine Bedienung ist 
am einfachsten. Je weniger Kapital, das er sich vielleicht erst leihen 
muß, der kleine Mann festzulegen hat, desto lieber ist es ihm, und ebenso 
wird er in den meisten Fällen dem den Vorzug geben, der ihm klipp 
und klar sagen kann, wieviel er jährlich oder monatlich zu zahlen hat. 
Und das kann eben nur das Elektrizitätswerk bzw. die Ueberlandzentrale. 
Ja, beide können noch mehr: gerade, weil bei den Elektromotoren die 


Miszellen. 657 


Anschaffungskosten verhältnismäßig niedrig sind, können sie auch die 
Motoren und Installationen leihweise abgeben und sich damit gewiß 
noch manchen Kunden gewinnen, dem auch die niedrigen Anschaffungs- 
kosten bereits zu hoch oder zu unsicher sind. Es gibt wohl kaum eine 
andere Möglichkeit, wie die freien Reserven dieser Werke vorteilhafter 
angelegt werden können, als in solchen Leihinstallationen. Da die Werke 
im Großen viel billiger einkaufen, als der Einzelne, können sie schon 
an und für sich eine beträchtlich höhere Verzinsung dieser Reserven 
erzielen, als auf irgendeine andere Weise, und dann unterstützen sie ja 
durch Erhöhung des Umsatzes auch noch das arbeitende Kapital. Hat 
sich aber die Zentrale einmal zum Pauschaltarif entschlossen, so hat 
sie sich damit ein Mittel verschafft, um auch noch weiter zur Populari- 
sierung der Elektrizität beizutragen, indem sie ihre Kunden auf weitere 
vorteilhafte Verwendungsmöglichkeiten aufmerksam macht, die natür- 
lich nach den jeweiligen Verhältnissen herausgesucht werden müssen. 
Der Bauer wird es z. B. begrüßen, wenn er am Morgen heißes Wasser 
zur Futterbereitung vorfinden kann und dafür nur die Leihgebühren für 
eine entsprechende Warmwasserbereitungsanlage zu zahlen hat, die auf 
das einfachste eingerichtet werden kann. Das erforderliche Faß stellt 
er selbst bei, das Werk brauchte also nur die Heizschlangen beizustellen. 
Er erspart sich damit das Feueranmachen und viel kostbare Zeit. Auch 
mit der Einrichtung einer Kochkiste wird er sich schnell befreunden, 
und so werden sich noch manche andere Verwendungsmöglichkeiten für 
den Strom finden, wenn man den Bedürfnissen der Kunden nachgeht. 
Die Zentrale wird es am Brennstoffverbrauch kaum spüren, ob sie nur 
den Erregerstrom für die Transformatoren zu liefern hat, oder ob auch 
noch etwas Nutzstrom miterzeugt wird, dem Kunden aber wird sein 
Vertrag mit dem Werke durch derartige anderweitige Verwendungen des 
Stromes um so wertvoller erscheinen. 

Ich möchte das noch einmal unterstreichen: Die Werksleitung und 
der Akquisiteur muß den Bedürfnissen der Kunden nachgehen, muß dem 
Kunden Mittel und Wege zeigen, wie er den Strom möglichst ununter- 
brochen nutzbringend verwenden kann. Es werden sich bei aufmerk- 
samer Beobachtung der Bedürfnisse der Kunden gewiß noch manche 
Verwendungsmöglichkeiten ergeben, an die heute niemand denkt, oder 
auf die der Kunde selbst in seinem besonderen Fall nicht kommen 
konnte, weil er die Verwendungsmöglichkeiten der elektrischen Energie 
nicht genügend kennt. Man sollte sogar den Kunden die erforderlichen 
Einrichtungen zur Ausnützung des Stromes erst eine Zeitlang kostenlos 
zur Verfügung stellen, damit sie sich mit ihrer Handhabung vertraut 
machen und von ihren Vorteilen überzeugen können. 

Und was hier zunächst für die kleinen Kunden gesagt wurde, gilt 
natürlich in erhöhtem Maße für große Anschlüsse. Städte und Ge- 
meinden haben unzählige Möglichkeiten, elektrische Energie zu ver- 
wenden, ohne daß dadurch das gleichzeitig bezogene Maximum ver- 
schoben würde. Diese Möglichkeiten müssen nur herausgesucht und‘ 
die Ortsgewaltigen müssen dann in dezenter Weise in die Lage versetzt 
werden, selbst darauf zu kommen. Ebenso sind die Werksleitungen 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIIN. 42 


658 Miszellen. 


großer Betriebe zu behandeln. So würde, um nur einige Beispiele zu 
nennen, die Energie, die für die öffentliche Beleuchtung bezogen wird, 
in der Zeit, wo diese nicht in Betrieb ist, dazu verwendet werden können, 
Schulen und öffentliche Gebäude zu ventilieren und zu ozonisieren. Die 
hierfür nötigen Anlagekosten wären gering, der Nutzen an der Volks- 
gesundheit wahrscheinlich überraschend groß. Gemeinden, die auch 
industrielle Anlagen haben, wie Gas- und Wasserwerke, Kanalisation, 
Hafenanlagen usw., haben natürlich eine noch bedeutend vielseitigere 
Verwendungsmöglichkeit für diese Energie, besonders, wenn es gelingt, 
die Leitungen der einzelnen Verwaltungszweige dahin zu bringen, daß 
sie sich bei ihren Betriebsdispositionen untereinander verständigen. 
Wasserwerk und Kanalisation z. B. brauchen unter Umständen, abge- 
sehen von ganz unerheblichem Lichtstrom, zur Erhöhung des gleich- 
zeitig bezogenen Maximums bei entsprechender Betriebseinteilung über- 
haupt nichts beizutragen, weil die vorhandenen Reservoire meist so groß 
sein werden, daß die Maschinen dieser Betriebe während der Zeit des 
Maximums ganz stillgesetzt werden können. Ebenso werden Bergwerke 
ihre Wasserhaltungen und andere Betriebe ihre Preßwasser und Preßluft- 
anlagen dazu benutzen können, um einen möglichst gleichmäßigen Strom- 
bezug zu erzielen. 

Wir sind damit ganz von selbst auch auf die erste Forderung ge- 
kommen, die wir aus der Betrachtung der Betriebsausgaben einer 
Ueberlandzentrale abgeleitet hatten, denn je ausgiebiger von jedem ein- 
zelnen Kunden die ihm zur Verfügung gestellte elektrische Energie aus- 
genutzt wird, um so höher wird eben auch die durchschnittliche Be- 
nutzungzeit. Wir kommen damit aber auch jenem Ziele nahe, das wir aus 
der Betrachtung der Eigenart derAnlagekosten als erstrebenswert erkannt 
hatten: denn wenn alle Kunden systematisch dazu erzogen werden, den 
Strom überall zu verwenden, wo er mit Vorteil oder auch nur ohne Mehr- 
kosten verwendet werden kann, dann wird sich auch auf einem kleinen 
Gebiete bereits ein so großer Energiebedarf ergeben, daß große Ma- 
schinensätze zu seiner Deckung nötig sind, und es wird damit die Länge 
der Leitungsanlagen, die zur Ausnützung der großen Maschinensätze er- 
forderlich sind, verringert. 

Die Ergebnisse der vorstehenden Untersuchungen kann man kurz 
in folgende Sätze zusammenfassen: 

1) Der starke Aufschwung der Ueberlandzentralenbewegung in 
Deutschland ist vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus zu begrüßen, 
und es ist zu wünschen, daß er durchweg in gesunde Bahnen ge: 
leitet werde. 

2) Um dies zu erreichen und die Wirtschaftlichkeit der Werke 
sicherzustellen, empfiehlt sich die Einführung eines den jeweiligen Be- 
dürfnissen entsprechenden Pauschaltarifes; unbedingt erforderlich ist eine 
zielbewußte Werbetätigkeit nicht nur in Wort und Schrift, sondern auch 
durch praktische Vorführungen und durch möglichst weitgehende, unter 
Umständen zunächst kostenlose, dann leihweise Beistellung der zur Aus- 
nutzung des elektrischen Stromes erforderlichen Einrichtungen. 


Miszellen. 659 


XXI. 


Die statistische Beobachtung des Wohnungsbedarfs 
der Eheschließenden. 


Von Dr. A. Sigerus, Halle. 


Der Wohnungsbedarf, d. h. der jährliche oder zeitliche Bedarf 
an Wohnungen unbeachtet des vorhandenen bewohnten Wohnungsbestan- 
des einer Stadt, wird zunächst bestimmt durch die Bewegung der Haus- 
haltungsmasse. Darunter ist zu verstehen der Zuzug und die Neu- 
gründung von Haushaltungen, dann der Fortzug und die Auflösung 
solcher. (Wollte man auch die Größe der benötigten Wohnungen be- 
trachten, so würde jeweils auch die Größe dieser Haushaltungen hinzu- 
zuzählen sein und ferner die Erweiterung von Haushaltungen durch Zu- 
nahme der Zahl der Familienangehörigen, vornehmlich durch Geburten.) 
Der Zuzug von Haushaltungen ist gegeben in der Zahl der zuziehenden 
Haushaltungsvorstände, wie sie sich aus den polizeilichen Meldeblättern 
gewöhnlich ergibt!). Hierin sind auch solche Zuziehende enthalten, 
die eine neue Haushaltung gründen (also auch junge Ehepaare). Die 
Neugründung von Haushaltungen kann statistisch nur so weit erfaßt 
werden, als es sich um Gründung von Haushaltungen bei Eheschließungen 
handelt. Auf diese soll unten eingegangen werden. Der Fortzug von 
Haushaltungen wird statistisch festgehalten in den polizeilichen Ab- 
meldeblättern. Diese enthalten dem Anmeldeblatt entsprechende An- 
gaben. Die Auflösung von Haushaltungen endlich kann auf ver- 
schiedene Weise vor sich gehen. Entweder sie geschieht durch den Tod 
des Haushaltungsvorstandes, wenn dabei kein Uebergang der Haus- 
haltung auf einen anderen Vorstand (den verwitweten Teil der Ehe- 
gatten) stattfindet, oder durch sonstige zwangsweise oder freiwillige 
Lösung (Ehescheidung, Aufgabe der Selbständigkeit usw.). Die Auf- 
lösung von Haushaltungen kann mittelbar abgeleitet werden aus der 
Statistik der Sterbefälle von Familienoberhäuptern?). Dabei wird aller- 


1) In Halle ergibt sich aus den polizeilichen Meldeblättern die Zahl der 
Haushaltungsvorstände in der Zahl der Personen, die eine eigene Wohnung ein- 
genommen haben. Solche zuziehende Familienoberhäupte, die nicht Haushaltungs- 
vorstände sind, weil sie keine eigene Wohnung einnehmen, sind hierbei nicht 
mitenthalten. l 

2) So enthält das Zählblatt, betreffend den Sterbefall in Halle, die Frage 
nach dem Familienstand des Verstorbenen, bei Personen von über 5 Jahren ob: 
ledig, verheiratet, verwitwet, geschieden. 


42* 


660 Miszellen. 


dings nur die Gesamtzahl dieser Fälle beobachtet ohne Bezugnahme auf 
das Bestehenbleiben oder die Auflösung der Haushaltungen. Aus der 
Zahl der Sterbefälle von Witwern oder Witwen ist auch nur ein allge- 
gemeiner Schluß auf die Auflösung von Haushaltungen gestattet. 

Betrachten wir z. B. einige der für unsere Untersuchung in Frage 
kommenden vorhandenen Zahlen für eine Stadt wie Halle: Im Jahre 
1913 betrug das Wanderungsergebnis für die Haushaltungsvorstände 
—521). Die Zahl der Eheschließungen betrug 1520. Die Sterbefälle 
von Witwern: 150, von Witwen: 393. 

Die Zahlen zeigen, daß, soweit die statistisch beobachteten Fälle 
der Bestimmung des Wohnungsbedarfs berücksichtigt werden, an erster 
Stelle sich die Eheschließungen geltend machen. Ihnen werden 
wir im folgenden unser Augenmerk zuwenden. 

Neben den genannten Bewegungsformen der Haushaltungen geht 
für die Bestimmung des Wohnungsbedarfs dann noch einher das Maß 
der Brauchbarkeit der vorhandenen, speziell der alten baufälligen Wohn- 
häuser bzw. Wohnungen. Durch sie entsteht ebenfalls ein Bedarf, und 
zwar an neuzeitlich gerechten Wohnungen. In der Zahl der dauernd leer- 
stehenden Wohnungen dürften wir den aus diesen Gründen erwachsenden 
Wohnungsbedarf gleichzeitig erfaßt haben. 

Mit der statistischen Erfassung des Wohnungsbedarfs der Ehe- 
schließenden werden wir somit auch den größten Teil des Gesamt- 
wohnungsbedarfs ermittelt haben. 

Bei Betrachtung der Eheschließungen muß zuerst berücksichtigt 
werden, daß wir mit der Zahl der Eheschließungen in einer Stadt nur 
einen Teil der gesamten Ehen, die für den Wohnungsbedarf dort in 
Frage kommen, erfaßt haben. Durch die von ansässigen Männern aus- 
wärts geschlossenen Ehen, die ihren Wohnsitz in dem Aufenthaltsort des 
Mannes aufschlagen, findet ein Zuzug von neuen Ehen statt, die genau 
so wie die in der Stadt geschlossenen sich für den Wohnungsbedarf 
geltend machen. Deren Zahl ist uns indes — wie erwähnt — durch die 
polizeilichen Anmeldungen bekannt, bzw. sie ist enthalten in der Zahl 
der in die Stadt zugezogenen Haushaltungsvorstände. Wir können dem- 
nach mit ihr im ganzen rechnen, wenn wir sie auch nicht gesondert 
betrachten können. Die gesonderte Betrachtung der Zahl dieser Ehen 
ist aber entbehrlich, da einmal das Schwergewicht unserer Betrachtung 
auf der Haushaltung liegt und ferner die Zahl dieser Ehen relativ gering 
ist. Unsere Untersuchung soll sich somit auf die in der Stadt ge- 
schlossenen Ehen beschränken. 

An Hand einer dahinzielenden Erhebung über den Wohnsitz der 
Eheschließenden in der Stadt Halle soll untersucht werden, wie weit die 
Zahl der Eheschließungen einer Stadt einen brauchbaren Maßstab für 
den Wohnungsbedarf der Eheschließenden abgibt. 

Das Zählblatt für die Eheschließungen i in Halle enthält für unseren 
BIER die Fragen: 


1) Während es im ganzen + 978 betrug. 


Miszellen. 661 


1) Letzter Wohnort des Mannes vor der Eheschließung. 

2) Letzter Wohnort der Frau vor der Eheschließung. 

3) Gemeinsame Wohnung nach der Eheschließung. 

4) Hatte Mann oder Frau schon vor dieser Eheschließung eine 
eigene Wohnung? 

Die Beantwortung dieser Fragen gelegentlich der standesamtlichen 
Eheschließungen bildete die Grundlage für die Auszählung, die zum 
Zwecke nachstehender Untersuchung für die 3 Jahre 1911—1913 durch- 
geführt wurde. Die Ausfüllung der Zählblätter erfolgte jeweils durch 
den Bezirksbeamten des Standesamts. Zur Auszählung gelangten alle 
4 Fragen, und zwar die drei erstgenannten in bezug auf den Wohnort 
bzw. die Wohnung in Halle und auswärts, für Mann und Frau. Alle 
4 Fragen wurden gegliedert nach dem Beruf und der Stellung im Beruf, 
wobei die übliche Einteilung der Berufsstatistik des Deutschen Reichs 
in Anwendung kam. 

Die Zahl der Eheschließungen, wie sie durch die statistische Er- 
hebung auf Grund standesamtlicher Registrierung ermittelt wird, gibt 
noch kein Bild über die jährliche Zahl der Eheschließungen, mit der man 
vom volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt aus in einer Stadt rechnen muß. 
Die Zahl dieser Ehen ist eine ganz andere und kann erst auf Grund 
einer diesbezüglichen Untersuchung annähernd festgestellt werden. Sie 
wird bestimmt durch mehrere Faktoren, die hier der Reihe nach zu be- 
sprechen sind. Zunächst tritt bekanntlich der Fall häufig ein, daß eine 
Eheschließung nicht in derselben Stadt vollzogen wird, die das Brautpaar 
als künftigen Wohnsitz gewählt hat. Meist wird die Ehe am Wohnsitz 
der Braut geschlossen und das neuvermählte Paar bezieht den Berufs- 
und Aufenthaltsort des Mannes. Dieser stimmt in den meisten Fällen 
mit dem letzten Wohnsitz des Mannes überein. Wir müssen also die nach 
der Trauung fortziehenden Ehepaare der Zahl nach kennen. Kennen 
wir den letzten Wohnort der sich in einer Stadt verheiratenden Männer, 
so werden wir allgemein auf die Zahl derjenigen Paare, die in dieser 
Stadt nach der Eheschließung auch bleiben, einen gewissen Schluß 
schon ziehen können. Genau erfassen wir die Zahl der verbleibenden 
neuvermählten Personen erst, wenn wir auch den neuen Wohnsitz 
der Eheschließenden kennen. Oft kann es ein beträchtlicher Teil sein, 
der aus dem wirtschaftlichen und rechtlichen Verbande der Stadt aus- 
tritt, bzw. ihm — trotzdem man es leichthin annehmen wird — gar 
nicht erst beitritt. 

Die in Halle durchgeführte Zählung des Wohnsitzes der Ehe- 
schließenden ergab, daß 1520 Männer und ebensoviel Frauen (bzw. 
Mädchen) die Ehe im Jahre 1913 eingingen (1912: 1529, 1911: 
1546). Außerhalb Halles schlugen ihren gemeinsamen Wohnsitz auf 
436 Paare, die von den genannten 1520 abzuziehen sind, wenn man nur 
die hier verbleibenden betrachtet. Die Zahl 1084, oder für den Durch- 
schnitt der drei letzten Jahre ausgedrückt, die Zahl 1106, würde somit 
angeben die Zahl der in Halle neu hinzukommenden und verbleibenden 
Ehepaare. In Prozent der gesamten Eheschließungen sind es somit 
28,6 Proz., die Halle im letzten Jahre verlassen haben (1912: 
26,8 Proz., 1911: 27,1 Proz.). 


662 Miszellen. 


In bezug auf das Geschlecht verteilen sich die fortziehenden Paare, 
wie folgt: 


Letzter Wohnort vor der Eheschließung. 


1911 1912 1913 
m. | w. | total m. | w. | total m. | w. | total 
Halle 1131 1425 2550 1134 1408 2542 1107 | 1375 2482 
auswärts 415 121 530 395 121 516 413 145 558 


zusammen] 1546 | 1546 | 3092 | 1529 | 1529 | 3058 | 1520 | 1520 | 3040 


Von den 3040 eheschließenden Personen beiderlei Geschlechts im 
Jahre 1913 hatte demnach vor der Eheschließung nur ein verhältnis- 
mäßig kleiner Teil seinen Wohnsitz außerhalb Halles, 18,3 Proz., der 
hierher gezogen ist, um mit Einheimischen oder Ansässigen getraut 
zu werden. Den weitaus größten Teil hiervon stellten die Männer; ent- 
sprechend der Sitte, daß die Trauung am Wohnorte der Braut stattfindet. 
In 145 Fällen ist die Frau zugezogen (ist also entweder zu ihren in 
Halle wohnenden Eltern zur Hochzeit gezogen oder aber beging sie 
nicht im eigenen Vaterhause die Feier der Eheschließung!). Nur 
23 Männer sind nach der Eheschließung nach auswärts gezogen. Ob 
23 von den auswärtigen Frauen dazu den Anlaß gegeben haben, oder ob 
soviel Männer, infolge einer neuen Beschäftigung außerhalb Halles, 
verzogeu sind, ist nicht gefragt. Man sieht indes, daß 413 Männer 
— wie anzunehmen ist, dieselben die vorher schon außerhalb Halles 
wohnten — mit ihren Frauen nach der Trauung zurückgezogen sind?). 


Die oben genannte Zahl der 1106 in Halle für den Durchschnitt 
der drei letzten Jahre hinzugekommenen Ehepaare beschränkt sich nun 
für den praktischen Gebrauch am Wohnungsmarkt aus einem weiteren 
Grund noch merklich. Nicht alle neu geschlossenen Ehen machen auch 
bekanntlich eine neue Wohnung erforderlich. Zunächst die nicht, 
die keine neue Haushaltung mit sich bringen, sei es weil die Haus- 
haltung der Eltern, oder des einen der Ehegatten (z. B. bei verwitweten 
Personen) bezogen wird, ober sei es daß man keinen Haushalt gründen 
will oder kann und das Ehepaar in Aftermiete oder bei den Eltern oder 
Schwiegereltern wohnt. — Eine eigene Wohnung in Halle vor der 
Eheschließung hatten im Jahre 1913: 281 Personen, wovon 164 Männer 
und 117 Frauen waren. 


1) Die Zahl der Eheschließungen von verwitweten und geschiedenen Frauen 
dürfte diese Zahl stark bestimmt haben. (Sie betrug 147 im Jahre 1912.) 

2) Wenn man das Verhältnis der Geschlechter vergleicht, wird man indes 
auch noch nicht erkennen können, ob die Stadt durch Ehen mehr Personen ver- 
loren als gewonnen hat. Will man der Stadt Halle nicht weniger heiratslustige 
Männer zusprechen als heiratende Frauen, so kann man annehmen, daß die Zahl 
der Eheschließenden, die die Stadt durch außerhalb geschlossene Ehen orts- 
ansässiger Männer gewinnt, mehr oder weniger der Zahl nahe kommt, die Halle 
an eheschließende weiblichen Geschlechts durch Verheiratung mit ortsfremden 
Männern verliert. — Eine Stadt, die mehr heiratsfähige Töchter produziert als 
heiratswillige Männer, wird mehr Eheschließende verlieren als gewinnen. 


Miszellen. 663 


Wohnort nach der Eheschließung. 


ot EZ - ZS v S -$ 5: 
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1911 4 106 39 4 19 31 203 
e m4|1912| — | 103 | 44 5 | 36 5 193 
Eigene 1913 2 98 29 — 32 3 164 
Wohnung vor der 
Eheschließung | 1911| — 39 9 21 I I 71 
w.\| 1912] — 54 20 19 2 53 148 
1913 I 37 23 18 2 36 117 


Geht man davon aus, daß jener Fall, daß eine in Halle eine eigene 
Wohnung besitzende Person in Halle getraut wird und nach auswärts 
zieht, immerhin selten vorkommen dürfte, so kann man aus obigen 
Zahlen direkt einen Schluß ziehen auf diejenigen Fälle, wo eine Neu- 
haushaltung mit der Eheschließung nicht Hand in Hand geht, eine 
andere Wohnung daher auch nicht gebraucht wurde. Allerdings sind 
auch hier mehrfache Einschränkungen nötig. Nicht immer wird dieselbe 
Wohnung, die ein Ehegatte innehatte, auch nach der Eheschließung be- 
zogen. Leider läßt sich dies aus dem Zählblatt nicht erkennen, da 
die Frage nach der eigenen Wohnung mit „ja“ oder „nein“ beantwortet 
wurde!). Für das Jahr 1911 ist diese 13mal (bei 274 Angaben), 
und zwar ausschließlich bei Frauen zu verzeichnen. Immerhin sind 
die Zahlen auch ohne diese spezielle Angabe wichtig. Wird z. B. eine 
der eigenen Wohnungen dadurch frei, daß die Ehegatten nach der 
Eheschließung eine andere Wohnung nehmen, so bleibt dieses für den 
Wohnungsmarkt nur insoweit von Effekt, als sich dieser Bedarf wie der 
im Fallo eines Umzuges geltend macht. Es findet nur ein Wechsel statt; 
eine Mehrwohnung wird nicht erforderlich. Wir können somit 
obige Zahlen — und zwar die Zahlen der von Personen beiderlei Ge- 
schlechts innegehabten Wohnungen — von den Zahlen der Ehepaare, 
die nach der Eheschließung in Halle blieben, abrechnen und werden 
damit im großen ganzen zu brauchbaren Unterlagen über den Bedarf an 
Wohnungen der Eheschließenden gelangen. Die Zahlen sind dann für 
die 3 Jahre: 803 bzw. 778 und 842 für das Jahr 1911. Oder wenn 
wir den Durchschnitt berechnen und von unserer, oben mit 1106 an- 
gebenenen Durchschnittszahl der in Halle hinzugekommenen Ehepaare, 


1) Bei anderer Fragestellung ließe sich hier leicht Näheres erkennen. Es 
müßte die Wohnung genannt werden. — Die Frage ist aber auch offenbar 
öfters dahin verstanden worden, daß angenommen wurde, es handele sich darum, 
zu wissen, ob jemals in Halle eigene Wohnung innegehabt wurde. Dies folgt aus 
dem Umstand, daß der letzte Wohnort vor der Eheschließung oft auswärts ist, 
während sich gleichzeitig die Frage nach der eigenen Wohnung ın Halle mit „ja“ 
beantwortet findet. — Am weitesten geht von den deutschen Statistischen Aemtern 
das Statistische Amt der Stadt Breslau in der Feststellung des Wohnsitzes und der 
Wohnung Letztere wird unterschieden für die Braut (in Breslau wohnhaft), ob 
in demselben Hause, in derselben Straße, nicht in derselben Straße liegend. All- 
gemeines Stat. Archiv, Bd. 7, Ergänzungsheft. 


664 Miszellen. 


die Durchschnittszahl der eigenen Wohnungen, d. i. 299, abziehen, 
erhalten wir die Zahl 807. Sie zeigt an die in Halle neu hinzu- 
gekommenen Ehepaare, die im Durchschnitt für die 3 letzten 
Jahre als Konsumenten auf dem Wohnungsmarkt auftraten. 
Auch diese Zahl muß indes noch eine weitere Einschränkung erfahren. 


Eine genaue Feststellung der Zahl der eigenen Wohnungen vor der 
Eheschließung, die von den Eheschließenden nach der Eheschließung 
eingenommen werden, ließe sich nur auf Grund einer diesbezüglichen 
Befragung ermitteln 1). — Die Zuhilfenahme des Adreßbuches der 
Stadt Halle für das Jahr 1912?) hat dadurch insbesondere zu keinem 
nennenswerten Ergebnis geführt, als für den größeren Teil, der mit 
eigener Wohnung laut Zählblatt registrierten Personen, das Adreßbuch 
Abweichung) ergab. Diese Abweichung erklärt sich — wie man fest- 
stellen kann — auch aus der, in den untern Kreisen besonders häufig 
anzutreffenden Uebereinstimmung der Hausangabe von Mann und Frau 
für den Wohnsitz vor der Ehe. Vielfach wird es sich auch um gemein- 
same Wohnung handeln, was indes hier nicht festzustellen ist. Dazu 
mögen auch jene Fälle hinzutreten, in denen die Eheschließung zeitlich 
hinter der Aufnahme der Adressen (durch den Herausgeber des Adreß- 
buches) liegt und seither bis zur Verheiratung eine eigene Wohnung 
von einem der Ehegatten bewohnt wurde®). Von den oben genannten 
219 Personen, die im Adreßbuch abweichend von den Angaben im Zähl- 
blatt enthalten sind, hatte in 81 Fällen, nach dem Adreßbuch, ein 
Teil der Ehegatten eine eigene Wohnung’), die dann auch als gemein- 
schaftliche Wohnung in der Ehe beibehalten wurde. Man kann an- 
nehmen, daß ein bemerkenswerter Teil, etwa rund 130 Personen 5) keine 
eigene, später noch beibehaltene Wohnung hatten. 50 Ehepaare würden 
somit ebenfalls eine neue Wohnung bezogen haben. Diese sind zu der 
oben ermittelten Durchschnittszahl von 807 noch hinzuzuzählen, damit 
man die Zahl jener Ehepaare erhält, für die eine Mehrwohnung in Frage 
kommt. Die Zahl 857, d. i. 56 Proz. aller Eheschließungen in diesem 
Jahre, ergibt somit die letzte Angabe jener Eheleute, die in Halle als 
neue Konsumenten von Wohnungen für das Jahr 1912 anzusehen 
waren, auf Grund der Heranziehung des Adreßbuches. Somit wäre 


1) Doch dürften hierdurch wesentliche Feststellungen kaum erzielt werden 
aus dem oben (S. 663) angeführten Grund (vgl. auch die Anmerkung daselbst). 

2) Es wurde das Adreßbuch für das Jahr 1913 mit dem Inhalt von 
September-Oktober des Jahres 1912 benutzt. 

3) z. B. statt Mann und Frau nur Mann oder nur Frau mit eigener 
Wohnung. 

4) Bei Benutzung des Adreßbuches zu derartigen Zwecken muß bedacht 
werden, daß Abweichungen schon aus dem Grunde unvermeidlich sind, weil es sich 
im einen Fall um eine zeitlich über das ganze Jahr erstreckte, fortschreibende 
Erhebung handelt, im andern dagegen um eine Art Bestandszählung, die sich 
auf zirka einen Monat (September-Oktober) erstrekt. Während der Zeit von der 
ersten standesamtlichen Zählung im Januar des Jahres bis zur, Ermittelung der 
Adressen im September kann und wird sich manches verändert haben, und um- 
gekehrt von der Ermittelung der Adressen bis zur Eheschließung. 

5) Mann allein oder Frau allein. 


Miszellen. 665 


dies Ergebnis nur ein bedingt richtiges. Im folgenden soll daher die 
Zahl 807 beibehalten werden. 

Von besonderer Bedeutung für den Wohnungsmarkt wird es sein, 
über Größe und Art der in einer Stadt neugegründeten oder zugezogenen 
Haushaltungen einen Einblick zu erhalten. Anschließend sei daher die 
Berufszugehörigkeit der Eheschließenden und deren Stellung im Berufe 
betrachtet. Danach läßt sich ein Schluß ziehen auf deren soziale 
Stellung und wirtschaftliche Lage und danach richtet sich ja meist 
auch deren Wohnungsbedarf. Interessant ist es vornehmlich, zu wissen, 
welchen Berufen die Ehemänner der 807 Ehen, die in Halle im 
Durchschnitt der 3 letzten Jahre hinzukamen, angehören, und welche 
Stellung im Berufe sie einnehmen. 

Zieht man die Zahl der eine eigene Wohnung in Halle vor der Ehe- 
schließung besitzenden Eheschließenden (Männer und Frauen) ab von 
der Zahl der nach der Ehe in Halle mit ihren Frauen wohnenden 
Männer, und unterscheidet dann nach Beruf und Stellung im Beruf der 
Männer, so erhält man genauere Hinweise auf die Menge und Kategorie 
der nötig gewordenen Mehrwohnungen: 


A Arbeiter, Arbeiter, 
| Selbständige | Angestellte gelernte E total 


— 2 


Landwirtschaft 


Industrie und Hand- 
arbeit 

Handel und Verkehr 

Häusliche Dienste 


Beamte, Militär, fr. 


rufe 
Ohne Beruf und Be- 
rufsangabe 
zusammen [1912 57 79 496 146 778 
1913 45 | 132 484 142 803 


Von den 803 Ehepaaren, die im Jahre 1913 in Halle einer Mehr- 
wohnung bedurften (oder den 807, im Durchschnitt der 3 letzten 
Jahre), gehören absolut die meisten der Industrie und dem Handwerk 
an, wio das dem Gesamtanteil der Halleschen Bevölkerung an dieser 
Berufsabteilung entspricht). Hierauf folgt Handel und Verkehr und 
dann Beamte (Militär und freie Berufe). Die soziale Stellung, die diese 
803 Ehepaare einnehmen, ist zum weitaus größten Teil eine der unter- 
sten. Es gehören 77,9 Proz. der Arbeiterklasse, bzw. den beiden unter- 
sten beruflichen Stellungen an. Die Zahl der Angestellten ist relativ 


1) Laut Berufsstatistik von 1907 waren in Halle von den 172149 orts- 
anwesenden Personen die meisten, 86954 Berufszugehörige, in der Industrie (ein- 
schließlich Bergbau und Baugewerbe), darauf folgt Handel und Verkehr mit 
41615 Berufszugehörigen. 


666 Miszellen. 


klein, noch kleiner naturgemäß die der Selbständigen. Ganz allgemein 
— soweit die Stellung im Berufe über das Einkommen und dieses 
wiederum über die Angabe für Miete entscheidet — ergibt sich hieraus, 
daß rund 630 Mehrwohnungen für die Bedürfnisse der untersten sozialen 
Schicht für das letzte Jahr in Frage kamen. Von den übrig bleibenden 
177 Ehepaaren, deren Stellung im Beruf eine höhere ist, kann man 
nun noch ein gut Teil hinzuzählen, die infolge von Einkommen und 
ihrer ganzen privatwirtschaftlichen Lage ebenfalls für Wohnungen 
solcher Qualität in Frage kommen. So daß sich deren Bedarf, der Bedarf 
an Kleinwohnungen für die bescheidensten Ansprüche, sogar vielleicht 
auf 700 erhöht. Außer diesen Eheleuten, deren Wohnungsbedarf (in 
bezug auf Zimmerzahl, Mietpreis, Stockwerklage, Lage zur Stadt, Sitte, 
Gewohnheit, Komfort usw.) ein ganz anderer ist als derjenige der 
höheren Schichten, kommt nun eine Nachfrage (nach obiger Annahme) 
von rund 60 Wohnungen hinzu, für Eheleute, die der Angestellten- 
kategorio angehören und höhere menschliche Bedürfnisse mitbringen, 
und endlich für 45 Selbständige, zu denen allerdings auch ein erheb- 
licher Teil ebenfalls kleiner Leute (Handwerker und Inhaber von kleinen 
Handelsbetrieben) gehören wird, die aber immerhin beachtenswert und 
in anderer Richtung sich am Wohnungsmarkt geltend machen dürften. 

Aus dem Beruf und der Stellung im Beruf der Eheschließenden 
läßt sich somit für die Kategorie der von ihnen benötigten Wohnungen 
nur wenig erkennen. — Eine Kombination mit dem Einkommen dürfte 
der Frage näher kommen. Doch scheint auch hier erst eine dahin- 
gehende Befragung über die vom Ehepaar gemeinsam zu beziehende 
Wohnung — deren Durchführbarkeit hier dahingestellt bleiben mag — 
einwandfreie Resultate erzielen zu können. Als ein Hilfsmittel wäre 
hierbei auch heranzuziehen die Feststellung der Wohnungsgröße nach 
Material der Wohnungsstatistik, um damit dem anzustrebenden Ziele 
— die statistischen Feststellungen verschiedenen Inhalts, als Ergänzung 
bei entstehenden Lücken tunlichst zu verwerten — gleichzeitig näher- 
zukommen. 


Literatur. 667 


Literatur, 


IV. 


H. Bächtold, Der norddeutsche Handel im 12. und 
beginnenden 13. Jahrhundert. 


Berlin und Leipzig (Dr. W. Rothschild) 1910. VIII, 314 SS. 80. M. 9. 
(A. u. d. T.: Abhandlungen zur Mittleren und Neueren Geschichte. 
Hrsg. von G. v. Below, H. Finke, G. Meinecke, H. 21.) 


Besprochen von Prof. Dr. Karl Heldmann, Halle a. S. 


Das 12. und 13. Jahrhundert ist für die Deutschen eine Zeit regsten 
Wanderdranges und fröhlichster Unternehmungslust. In allen Schichten 
des Volkes gärt und brodelt es, wird es lebendig, geht in langer Er- 
ziehungsarbeit gelegte Kultursaat auf. Den Ritter führen nicht mehr 
nur die Romfahrten der Könige und Kaiser über die Alpen, sondern 
auch die Kreuzzüge in ferne Lande des Orients; den fahrenden Scholaren 
zieht es nach Frankreich und Italien an die Stätten alter Bildung; der 
Bauer Altdeutschlands setzt den Wanderstab in die neugewonnenen 
Slawengebiete jenseits der Saale und Elbe; und aus den Toren nach Zahl 
und Bedeutung wachsender Marktflecken und Städte wagt sich das seiner 
selbst bewußt gewordene gewerbfleißige und handeltreibende Bürgertum 
immer weiter hinaus auf die Land- und Wasserstraßen des Kontinents, 
ja bis aufs Meer. Der bisherige, im wesentlichen auf das Rheingebiet 
beschränkte, in bescheidenem Maße auch das Donaugebiet durchziehende 
Warenverkehr breitet sich über das ganze alte und neue Reichsgebiet 
aus, und dem Binnenhandel tritt ein Außenhandel von wachsender Aus- 
dehnung und Stärke an die Seite. 

Es sind zwei nur lose miteinander verknüpfte Handelsgebiete, in 
die das Deutschland jener und der folgenden Jahrhunderte zerfiel: ein 
oberdeutsches, dessen Handelsbeziehungen sich nach Italien und dank 
den Kreuzzügen weiter nach dem Orient hin ausdehnten und dessen 
Träger neben Regensburg seit dem 12. Jahrhundert insbesondere Augs- 
burg und Ulm, Enns und Wien wurden, und ein niederdeutsches, das, mit 
der nordsüdlichen Zentrallinie des Rheines, sich von der Schelde bis 
zur Elbe erstreckte, am Ende des 12. Jahrhunderts mit einem immer 
dichter werdenden kontinentalen Wegenetz die Küstenschiffahrt verband 
und durch diese neue westöstliche Zentrallinie kommerzielle Beziehungen 
sowohl zu Nordwesteuropa (Flandern und England) wie zu Nordost- 
europa (den festländischen Küstengebieten der Ostsee bis zum finnischen 


668 Literatur. 


Meerbusen und nach Rußland — Smolensk und Nowgorod — einerseits, 
den skandinavischen Ländern — Schonen und Gotland — andererseits) 
zu knüpfen wußte. 

Dieses norddeutsche Handelsgebiet in seiner vorhansischen Zeit, von 
etwa 1100 an bis etwa 1230, hat der Verfasser des vorliegenden, aus 
einer von G. v. Below angeregten Freiburger Dissertation (S. 1—88) 
hervorgewachsenen Buches zum Gegenstand seiner Untersuchungen ge- 
macht. Seine Absicht ist nicht auf die Organisation und Verfassung des 
norddeutschen Handels gerichtet. Vielmehr will er, ausgehend von 
der verkehrsgeographischen (oro- und hydrographischen) Struktur des 
norddeutschen Handelsgebietes, seinen Beziehungen zu und seinen Ver- 
schiedenheiten von den Nachbargebieten (Einleitung, S. 1—13), nur den 
äußeren Verlauf der Warenzirkulation sowohl im Binnenhandel (I. Teil, 
S. 15—191) wie im Außenhandel (II. Teil, S. 193—309) bestimmen. 
Er sucht somit die handelsgeschichtliche Bedeutung der einzelnen Siede- 
lungen und Landschaften zwischen Schelde und Elbe, Mittelgebirge und 
Nordsee festzustellen, die Wege zu verfolgen, durch welche dieselben ver- 
bunden, den Grad zu ermitteln, in dem sie am Binnen- und Außenhandel 
beteiligt waren. Er will Einsicht gewinnen in die Warentransporte, die 
die nordsüdlichen und westöstlichen Wege dieses Gebietes belebten und 
durch deren Austausch die einzelnen Länder und Plätze des nord- 
deutschen Binnen- und Außenhandels einander wechselseitig ergänzten. 
Soweit das Quellenmaterial es zuläßt, soll so die wirtschaftliche Physio- 
gnomie der verschiedenen Orte und Gegenden des norddeutschen Handels- 
gebietets zu klarer und anschaulicher Darstellung gebracht werden. 


Um es sogleich zu sagen: der Verfasser hat dieses sein Ziel in 
geradezu vorbildlicher Weise erreicht. Nicht nur historisch und volks- 
wirtschaftlich, sondern auch geographisch und germanistisch gründlich 
geschult, in der weitverstreuten Literatur und vor allem in den Quellen 
trefflich zu Hause, sorgfältig und exakt in seinen Untersuchungen, um- 
sichtig und besonnen in seinem Urteil, vermochte er ein Werk zu 
schaffen, das erstmalig das norddeutsche Handelsgebiet im ganzen zu- 
sammenhängend behandelt und namentlich im einzelnen eine Fülle feiner 
Beobachtungen und neuer Erkenntnisse darüber ausgebreitet hat und 
dauernd seinen Platz in der handelsgeschichtlichen Literatur behaupten 
wird. Ganz besonders hervorzuheben ist die präzise, knappe und pla- 
stische Schreibweise, die den Leser bis zum Ende bei der Sache hält und 
nur in Einzelheiten öfters zu Ausstellungen Anlaß gibt1). 


1) Einige Belege hierfür: S. 28 „Der Verfasser fährt weiter“ (statt „fährt 
fort“); S. 95 dreimal ‚lassen‘ hintereinander; 8. 166 ‚Die Zollfreiheit wurde für 
immer mehr Orte, die Zollpflicht für immer weniger gültig“ (,Orte‘“ gehört 
hinter „weniger“); S. 189 „elbeein- und ausgingen“; S. 197 „dank der (statt 
„den“) Ausführungen“; S. 229 ‚es wird gewichtige Argumente brauchen“ (statt 
„gewichtiger Argumente bedürfen“); 8S. 243 ‚auf dem auffallendsten Ziel... 
beziehen“; S. 253 „erbeten“ (statt „erbitten‘“); mit Vorliebe endlich braucht der 
Verf. namentlich auf den letzten Bogen „zwar“ ohne Nachsatz (statt „freilich“). 


Literatur. 669 


Die Arbeit ist im allgemeinen zwischen die Jahre 1100 und 1230 
eingespannt. Den unteren dieser Grenzpunkte wird man ohne weiteres 
billigen müssen. Denn er ist gegeben durch das Hervortreten der Hanse 
mit ihrer weitverzweigten Handelsorganisation, in die schließlich die ge- 
samte Entwicklung des norddeutschen Handels, so wie B. sie zur Darstel- 
lung gebracht hat, ausmündet. Es würde mir aus diesem Grunde aber auch 
richtiger erschienen sein, wenn der Verf. das Schlußkapitel (S. 267 ff.), in 
dem die beiden Hauptlinien des norddeutschen Außenhandels, die des Ost- 
see- und die des Nordseegebietes, zu einer Einheit zusammengefaßt und 
so die beiden Polpaare desselben miteinander und durch die neben Köln, 
den bisherigen Zentralplatz, sich neu entwickelnden Zentren Lübeck und 
Hamburg auch zum Binnenland in Beziehung gesetzt werden, zu einem 
selbständigen Abschnitt (3) des 2. Teiles ausgestaltet hätte; dadurch 
würde er sogleich den Ausblick in die Geschichte der Hanse gewährt. 
haben. Weniger befriedigt die Wahl der oberen Grenze. Sie ist vor- 
nehmlich offenbar durch den bekannten Coblenzer Zolltarif von 1104 
und die sachliche und methodische Notwendigkeit, vom Rhein aus- 
zugehen, bestimmt worden. Immerhin bleibt es aber doch zu be- 
dauern, daß Verf. sich nicht die Zeit genommen hat, auch noch die 
Anfänge des niederrheinischen und norddeutschen Markt- und Handels- 
lebens etwa seit der Karolingerperiode in kurzem Ueberblick zur Dar- 
stellung zu bringen; um so mehr, als er im Laufe seiner Untersuchungen 
doch immer wieder einmal bei diesem oder jenem Platz über das Jahr 
1100 hinausgreifen muß. Wäre es da nicht besser gewesen, er hätte uns 
im Zusammenhang gezeigt, wie die Fortschritte der allgemein geschicht- 
lichen Entwicklung dieses niederrheinisch-norddeutsche Handelsnetz all- 
mählich geknüpft haben ? 

Das führt uns zu einem weiteren und tiefer greifenden Bedenken 
methodischer Art. 

Mit großer Sorgfalt ist B. den einzelnen Handelswegen nachge- 
gangen und scharfsinnig hat er die bald über-, bald unterschätzte Be- 
deutung einzelner Handelsgebiete und -plätze (z. D Westfalens, S. 122 ff., 
128ff.; Tiels, S. 34ff.; Magdeburgs, S. 163ff., 171ff.) sowie die 
Aussagen der Zollprivilegien und Zolltarife (z. B. S. 220 ff.) ins rechte 
Licht zu rücken vermocht. Wenn er gleichwohl nicht immer zu sicheren 
Ergebnissen gelangt ist und man auch sonst öfters das Gefühl hat, auf 
schwankendem Boden bei ihm zu stehen, so liegt das doch nicht bloß an 
objektiv unzulänglicher Quellenüberlieferung. Vielmehr hat gerade sein 
Bestreben, sich möglichst exakt nur an das durch seine zeitlichen Grenz- 
punkte gegebene Material zu halten, den Verf. gewisse Hilfsmittel 
nicht genügend oder gar nicht zur Geltung bringen lassen, die an sich 
durchaus verwendbar waren. Wir meinen einmal die Feststellung 
sämtlicher auch schon vor 1100 vorhandenen Märkte und Städte. Sie 
alle bestimmen zugleich absolut sicher die Ausgangspunkte von Handels- 
wegen auch für die Zeit nach 1100. Hierin ist z. B. B. Knüll 
(Historische Geographie Deutschlands im Mittelalter, Breslau 1903, 
S. 169ff. und 181ff.) mit Recht viel weniger ängstlich, freilich auch 


670 Literatur. 


wieder etwas zu summarisch verfahren. Jahrmärkte (Messen) knüpfen 
sich aber vor allem an die Bischofs- und Klosterkirchen. Und da ist es 
dem Verfasser nun weiter entgangen, daß über die Handelswege auch die 
Nachrichten über Pilgerstraßen Aufschluß geben. Denn die Pilger sind 
keine anderen Wege gezogen als die Krämer und Kaufleute, und die 
großen Pilgerstraßen, die an Bischofs- und Klosterkirchen vorbeiführten, 
sind zugleich die großen Handelsstraßen. 

Gerade für das 12. Jahrhundert besitzen wir eine allerdings wenig 
bekannte Aufzeichnung, die für unser Gebiet in Betracht kommt und des 
Verfs. etwas unsichere Ausführungen über die nordsüdlichen Wege des 
west- und ostfälischen Handels (S. 125, 270 u. ö.) zu vervollständigen 
und insbesondere seine Ansicht (S. 129), die kommerziellen Beziehungen 
Westfalens hätten nicht „in südlicher, südöstlicher und südwestlicher 
Richtung“ geführt, sondern „am Rhein, namentlich in Duisburg und 
Köln, eine nahe Grenze gefunden“, zu berichtigen geeignet ist. Das ist ` 
die von E. Chr. Werlauff in einem Kopenhagener Universitäts- 
programm vom Jahre 1821 (,Symbolae ad geographiam medii aevi ex 
monumentis Islandieis‘‘) als „Summa Geographiae medii aevi ad mentem 
Islandorum, cui accedit itinerarium ad Romam et terram sanctam suscep- 
tum“ herausgegebene Reisebeschreibung eines isländischen 
Abtes Nikolaus, jedenfalls von Thingör, der 1154 von einer Pilger- 
fahrt nach Rom in die Heimat zurückkehrte und 1159 gestorben ist. 
In diesem in altnordischer Sprache geschriebenen Werkchen werden für 
die Reise von Norwegen nach Mainz (und weiter nach Rom) zwei 
Hauptrouten angegeben: eine über Dänemark, eine über die Nieder- 
lande. Die dänische Route verläuft zunächst von Aalborg nach Viborg 
(2 Tage), „Heidab&ar‘‘ (Heidiba, Hedeby, Heidebam: Ad. Gesta 
Hammab., MG. SS. 7, 304 und 318) ‚in der Nachbarschaft von Schles- 
wig“ (1 Woche), an die Eider, wo „Dänen und Holsteiner, Sachsen und 
Wenden aneinander stoßen“ (1 Tag), über „Heitsinnabæ“ (Itzehoe) in 
Holstein (1 Tag) und die Elbe nach Stade. Hier teilt sie sich. Der 
eine (längere) Weg führt über Verden nach Nienburg (2 Tage), Minden, 
Paderborn (2 Tage) über ein „porp er Horus heitir, annat heitir. 
Kiliandr, ok par er Gnitaheidr er Sigurdr va et Fabni“ (S. 16), also 
über Horhusen (vgl. Bächtold, S.118ff., 149, 281) und ein südlich davon 
gelegenes, nicht näher bestimmbares Dorf Kiliandr (Kaldern westl. Mar- 
burg? Calantra: Dronke, Trad. Fuld. 6, 50 f.), nach Mainz (4 Tage). 
„Der andere führt durch das östliche Sachsen“ nach, Harsefeld, „Valfo- 
borgar“ (Walsrode ?), „Hanabruinborgar‘“ (Hannover ?), Hildesheim, Gan- 
dersheim, Fritzlar, „Arinsborgar“ (wohl Kl. Arnsburg in der Wetterau) 
nach Mainz; „das ist der kürzere Weg“. Und nun heißt es: „pessar II 
piodleidir fara Nordmenn ok kemr saman leidin i Meginzoborg ef pessar 
ero farnar ok er bat flestra manna för“ (S. 16): „Auf diesen beiden 
Wegen, die sich in Mainz wieder vereinigen, pflegen die nordischen 
Pilger, und mit ihnen viele andere, zu fahren.“ Die niederländische 
Route ist einfacher zu beschreiben: sie führt entweder über Deventer (vgl. 
Bächtold, S. 26, 50, 58, 297) oder über Utrecht (Bächtold, S. 50 ff., 


Literatur. 671 


264ff. u. ö.) nach Köln (6 Tage) und weiter ebenfalls nach Mainz 
(6 Tage) (S. 17£.). 

Die Beobachtung über Beziehungen zwischen Pilger- und Handels- 
straßen, zwischen den bevorzugten Stätten kirchlicher Devotion und 
verkehrswirtschaftlichen Lebens wird auch zur Entscheidung der offenen 
Frage (S. 135) beitragen können, ob Bischof Dietrich III. von Münster 
im Jahre 1226 auf seiner Reise nach Lüttich die Lippe bei Lünen oder 
bei Werne gekreuzt hat: für ersteres spricht, daß in seiner Nähe das 
Kloster Kappenburg lag, in dem er Herberge genommen haben dürfte. 

Schwieriger ist die vom Verf. auch nicht in seine Rechnung ein- 
gestellte Frage zu beantworten, inwieweit etwa noch heute vorhan- 
dene Bezeichnungen alter Straßenzüge zur Ermittelung des Wegenetzes 
seiner Periode hätten herangezogen werden können. Aber auch da ver- 
dient es doch Beachtung, daß von den beiden Landwegen des Abts 
Nikolaus der westliche, von der unteren Weser durch Westfalen nach 
Mainz führende, auf der Strecke zwischen Horhusen und Mainz Ver- 
wandtschaft zeigt mit der sogenannten „Weinstraße“, die, noch heute am 
westlichen Rande der Wetterau (Oberrosbach-Butzbach) herziehend, über 
die Höhen westlich von Marburg verläuft und einstmals offenbar Mainz 
mit deu sächsischen Bischofsstädten Paderborn, Minden, Verden und 
Bremen verbunden hat. g 

Ob die von Wiedenbrück über Bielefeld und Herford ziehende 
Straße erst bei Minden (S. 130) und nicht vielmehr schon bei Vlotho 
(Vlothou 1234, Kloster 1266) auf die Weser gestoßen ist, möchte wohl zu 
erwägen sein. Auf diesen Ort zielte auch die Straße von Salzuflen— Lage 
—Detmold her, sicher ein uralter Weg. Minden würde ich eher als 
Brückenpunkt einer die Weser kreuzenden Westoststraße auffassen wie 
Hameln und Höxter (S. 159). Bei den von diesen beiden Orten aus- 
gehenden westöstlichen Straßen (Hameln—Koppenbrügge—Elze—Hildes- 
heim und Höxter—Einbeck—Gandersheim— Goslar) vermißt man (S. 143) 
die westlichen Anschlüsse (Bielefeld—Lemgo und Lippstadt—Pader- 
born), die sicher auch damals schon vorhanden waren. Die östlichen 
Fortsetzungen dieser Straßen (Hildesheim— Braunschweig und Goslar— 
Halberstadt) nach Magdeburg sind nach der Meinung des Verfs. für 
seine Periode „völlig in Dunkel“ gehüllt (S. 153, 156). Aber längst 
vorhandene Marktorte (Uhrsleben 1051, Osterwieck 994), von Braun- 
schweig und Halberstadt selbst abgesehen, sowie die 1197 erwähnte 
„strata publica“ bei Schöningen (Knüll a. a. O. S. 183 N. 1) sichern 
diese Strecke mehr als ausreichend. 

Zu überschätzen scheint mir Verf. die Bedeutung von Goslar ais 
Exportplatz für Harzkupfer (S. 147). Er bezieht jede Erwähnung von 
Kupfer aus Ostsachsen und vom Harz auf den „Nordabhang‘“ dieses Ge- 
birges (S. 210), während doch auch die mansfeldischen Bergwerke des 
Ostabhanges Kupfer förderten; und sicher stammte von daher das 
Kupfer, das auf den Schiffen altmärkischer Kaufleute (zuerst die Saale 
und dann) die Elbe hinab verfrachtet wurde (S. 150, 158, 182, 210). 


672 Literatur. 


Seine Vermutung über den Zusammenhang und antikölnischen 
Charakter der beiden Privilegien Friedrichs I. von 1164 und 1173 zu- 
gunster der Flandrer hätte Verf. auch noch durch den $ 3 des letzt- 
genannten Privilegs (Keutgen, Urkk. S. 51f.) über die neue Münze 
verstärken können, die, zu Duisburg in Denaren, zu Aachen in Hälb- 
lingen ausgebracht, immer um 1 Den. auf die Mark schwerer als die 
kölnische sein und auch in Flandern Kurswert haben soll. 

Leider fehlt dem Werk eine Wegekarte. Man vermißt sie um so 
mehr, als das „Ortsregister“ (S. 311ff.) ganz unzulänglich ist. Ich 
habe ohne Mühe mehr als zwei Dutzend geographische Namen eintragen 
können, die darin fehlen, darunter sogar Coblenz, dessen Zollrolle v. J. 
1104 so überaus häufig erwähnt wird. Auch für die verzeichneten 
Namen sind die Verweisstellen nicht vollständig. Ebenso läßt das sonst 
dankenswerte „Warenregister“ (S. 314) an Genauigkeit zu wünschen 
übrig. 


Literatur. 673 


Vv 


Von der Diskontpolitik zur Herrschaft 
über den Geldmarkt. 


Von Sven Helander. 


In einer Neubildungsperiode der bankpolitischen Lehrmeinungen 
und Praktiken wie derjenigen, die wir heute erleben, würde man das 
neuerschienene Werk Plenges!) schon wegen seiner Problemstellung 
willkommen heißen müssen. Um so mehr zu begrüßen ist, wenn dieses 
Problem im Geiste des stolzen Mottos: „Max und Hegel!“ in die groß- 
artigste Perspektive hineingeordnet wird und eine Lösung versucht wird, 
bei der auch die sicher nicht ausbleibenden Gegner den Scharfsinn an- 
erkennen, vielleicht sogar den Reiz der starken Persönlichkeit empfinden 
werden, die eben alles in Frage stellen möchte. 

Die Reichsbank hat sich bisher einer wohlwollenden Wissenschaft, 
einer guten Presse erfreut, Plenge möchte die „Legende von der Reichs- 
bank“ zerstören und die Reichsbank, die selbst an der übrigen Kredit- 
verfassung Kritik geübt hat, einer bisher vernachlässigten Kritik unter- 
ziehen: die Reichsbank hat mit ungenügenden Mitteln gearbeitet, sie 
hat ihre eigenen Aufgaben in dieser neuen Epoche nicht verstanden, 
ihre Reformvorschläge sind deshalb prinzipiell verfehlt. 

Es sind vier große Entwicklungslinien, durch welche Plenge die 
richtige Perspektive für die Beurteilung der Gegenwartsprobleme ge- 
winnen will. In der Zirkulation, die Degradation des Hartgeldes 
durch andere Zahlungsmittel und eine Konzentration der Metallbestände. 
In der Kreditentwieklung die Vermehrung des privaten Kreditange- 
bots, durch die die Zentralbank sich auf die Aufgabe der Geldverwaltung 
zurückziehen kann. In seiner politischen Situation ist der Hoch- 
kapitalismus eine Friedensgesellschaft, aber mit durchaus kriegerischer 
Tradition, schließlich die organisatorische Zusammenfassung 
aller Märkte durch die Kartelle und Trusts, was durch die neuere Ent- 
wicklung „von der Diskontpolitik zur Herrschaft über den Geldmarkt“ 
auch auf den Geldmarkt ausgedehnt worden ist. Plenge befürchtet, daß 
das angestrebte Bankenkartell auch seinen eigenen Willen zur Macht 
bekommen könnte, und zwar im Gegensatz zur Reichsbank. — Plenge 
will darum versuchen, im letzten Moment die Rettungsaktion noch zu 
unterbrechen, die Spritze zurückreißen, die an falscher Stelle in Arbeit 
getreten ist. 


1) Johann Plenge, Vom der Diskontpolitik zur Herrschaft über den 
Geldmarkt. Berlin (Springer) 1913. XXVI u. 431 SS. M. 12.—. 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 43 


674 Literatur. 


Zunächst bestreitet Plenge das Recht der Reichsbank zu einer 
solchen „Gesetzgebung unter der Hand“, die nur möglich geworden ist, 
da die Sachkenntnis in dem allein zuständigen Parlament sehr gering 
vertreten ist, wie es in der Demokratie mit Notwendigkeit geschieht, 
wodurch die sachverständige Spezialverwaltung Aufgaben übernehmen 
konnte, von denen im Bankgesetz nichts steht. Aber auch theoretisch. 
wandelt die Reichsbank auf falschen Bahnen, wenn sie versucht, der un- 
genügenden Liquidität der deutschen Volkswirtschaft und der bestehen- 
den Kreditüberspannung der Banken durch eine gemeinsame Maßregel 
abzuhelfen. Um diese zwei Probleme kombiniert zu lösen, müssen wegen 
der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes Krediteinschränkungen in einem 
für den Gang der Volkswirtschaft gefährlichen Umfange vorgenommen 
werden, um so viel Bargeld zu gewinnen, daß eine Erhöhung der Liqui- 
dität der Volkswirtschaft eintritt. Hierbei ist jedoch zu unterscheiden, 
indem gegen Kreditüberspannung der Kunden Kreditmaßregeln, gegen 
die Kassenüberlastung der Banken Kassenmaßregeln vorgenommen 
werden. 

Besonders die Reichsbank hat sich der Kassenüberlastung schuldig 
gemacht, wie ihre immer schlechtere Liquidität zeigt, trotzdem heute 
neue Kreditorgane entstanden sind, durch die die Reichsbank sich auf 
die Geldverwaltung hätte spezialisieren können. Plenge hält einen 
Kassenbestand der Reichsbank von 3 Milliarden für notwendig, dann 
würdo die relative Goldsicherung (das Verhältnis des konzentrierten Gold- 
schatzes zu dem Umfang des Wirtschaftslebens) ungefähr dieselbe wer- 
den wie Mitte der 1890er Jahre und absolut betrachtet ebenso groß wie 
die Goldbestände der Bank von Frankreich oder der russischen Staats- 
bank. Das ist zu erreichen durch die Entgoldung des jetzt mit über- 
flüssigen Golde versehenen Verkehrs, was am sichersten durch die kleine 
Banknote zu erreichen ist. Hierdurch wird die von Plenge sonst in Aus- 
sicht gestellte Krediteinschränkung der Reichsbank überflüssig und die 
früheren Fehler gutgemacht. Aber diese große Reform des Geldwesens 
darf nicht im kleinen vertan werden: nicht durch die schleichende Ent- 
goldung des Verkehrs darf die Reichsbank sich über die Schwierigkeiten 
des Augenblickes hinweghelfen, sondern nur als Mittel einer durch- 
greifenden Verbesserung ihres Goldbestandes. 

Von den „wirklichen und eingebildeten Gefahren außerhalb der 
Reichsbank“ ist die vielbeklagte Quartalsanspannung eine im wesent- 
lichen physiologische, nicht pathologische Erscheinung des Hoch- 
kapitalismus, die außerdem stark abnehmen wird mit der Zunahme 
des Gebrauches von bargeldersparenden Zahlmethoden. Auch der Bedarf 
der Börse an Zählgeld wird angesichts seines hochgesteigerten Zirku- 
lationsmechanismus von der Reichsbank überschätzt. 

Der Gegensatz Zentralbank—Geldmarkt, den die Reichsbank jetzt 
durch das Bankenkartell aufheben möchte, ist im Prinzip gesund, nur 
augenblicklich reformbedürftig. Auch früher hat die Reichsbank keine 
volle Herrschaft über den Geldmarkt gehabt, aber auch heute kann sie, 
wenn es darauf ankommt, eine zielbewußte Diskontpolitik durchführen, 
wenn sie nur will. Die dauernde Spannung Privatsatz—Banksatz ist 


Literatur. 675 


eine Frage der allgemeinen Kreditpolitik, nicht der Diskontpolitik, für 
welche die vorübergehende Auseinanderbewegung ausschlaggebend ist. 
Für diese empfiehlt Plenge als Gegenmaßregel die Rediskontierung des 
Wechselportefeuilles der Reichsbank, von der Depositenpolitik verspricht 
er sich keine Erfolge. 

Die Unterscheidung Kassenüberlastung—Kreditüberspannung will 
Plenge weiterdifferenzieren in eine physiologische und eine pathologische 
Art. Das Einreservesystem ist im Zeitalter des Hochkapitalismus ebenso 
physiologisch wie eine gewisse natürliche Kreditüberspannung. Die 
gegen früher geringeren Kreditkatastrophen scheinen darauf hinzudeuten, 
daß das Maß der Kreditübertreibung in Deutschland nicht besonders 
gefährlich ist. Während der Expansion des Weltwirtschaftskörpers wer- 
den alle Sparkapitalien so schnell verschluckt, daß eine Steife des An- 
lagemarktes die notwendige Folge ist, welche als ganz physiologische 
Erscheinung eine Heranziehung des kurzfristigen Kapitals für lang- 
fristigo Zwecke bewirkt. Wenn gewisse pathologische Erscheinungen 
dabei auch vorkommen mögen, so rechtfertigt das nicht eine volkswirt- 
schaftliche Eisenbartkur, wie die Reichsbank sie herbeiführen will, 
sondern nur eine größere Vorsicht in der Kreditgewährung. 

Eine Entartung des Einreservesystems liegt erst dann vor, wenn 
neben einer kleinen Zentralkasse kleine Kreditkassen bestehen, wie das 
augenblicklich in Deutschland der Fall ist. Ebenso zweifelhaft wie 
die Kreditüberspannung ist, ebenso sicher ist die Kassenüberlastung — 
es ist also nicht eine oberflächliche Halbheit, nur Kassenmaßregeln zur 
Heilung vorzuschlagen. Dabei soll eine Kassenerhöhung der Zentral- 
bank vorangehen. Aber im Dienste der größeren unmittelbaren Wider- 
standsfähigkeit des ganzen Kreditsystems wünscht Plenge auch eine 
Erhöhung der Kassen der Kreditbanken, selbst auf die Gefahr hin, daß 
die Diskontpolitik der Reichsbank durch das Selbständigwerden der 
Kreditbanken erschwert werden könnte. 

Wenn Deutschland seit 40 Jahren keine Panik gehabt hat, so muß 
sich das Bankwesen trotzdem auf die Kraftprobe sogar eines schweren 
Krieges schon in Friedenszeiten vorbereiten. Plenge will in erster Linie 
die Stellung der Zentralbank in der finanziellen Mobilmachung und vor 
allem ihre Kraft gegenüber der ersten Belastung des Geld- und Kredit- 
systems durch den Krieg untersuchen. In dreierlei Gestalt tritt die 
Kriegspanik auf: stürmischer Bedarf nach Kassenkapital, stürmischer 
Bedarf nach Bargeld und eigentliche Panik. Die Hauptgefahr bildet 
die Zurückziehung vieler vorher erteilter Kredite im Kriege, auch ab- 
gesehen davon, daß vielfach Veränderungen an beiden Seiten des Bank- 
status vorkommen mögen. Immerhin bleibt ein erheblicher Mehrbedarf 
an Zahlungsmitteln, wobei nicht mehr die Friedensbedenken gegen eine 
Inflation gelten, da diese Vermehrung der Zirkulationsmittel nur dem 
vermehrten Bedarf entspricht, eine Einwirkung auf die Zahlungsbilanz 
also nicht zu befürchten ist. Ein äußeres Goldagio ist also mit großer 
Woabhrscheinlichkeit zu vermeiden. Die Dritteldeckung, das gesetzliche 
Notenrecht, muß natürlich erheblich überschritten werden. Plenge führt 
die neuen Begriffe „wirtschaftliche Notentoleranz‘ und ‚„Notenmaximum“ 


43* 


676 Literatur. 


ein für das Recht, bis zum 6- bzw. 9-fachen Betrag des Barbestandes Noten 
auszugeben, dieses soll nur im Falle der äußersten Not angewandt wer- 
den, jenes kann so gut wie sicher ohne wirtschaftliche Gefahr benutzt 
werden. Schon der gegenwärtige Betrag der Reichsbankkasse (das Vor- 
wort datiert vom Mai 1913) würde mit erheblicher Ueberschreitung der 
Dritteldeckung ausreichen, mit der von Plenge vorgeschlagenen Drei- 
milliardenkasse würde das Notenmaximum 27 Milliarden ausmachen. 
Besonderen Wert legt Plenge auf die Einheitlichkeit der Umlaufsmittel, 
er will deshalb die Reichskassenscheine abgeschafft wissen. Im Kriege 
muß die Reichsbank sowohl Finanzwechsel diskontieren — alle Wechsel 
tragen dann mehr oder weniger den Charakter von Finanzwechseln — 
wie auch ausgiebigen Lombardkredit erteilen. Wenn aber die allgemeine 
Panik da ist, muß zu einem Moratorium gegriffen werden, eventuell 
auch im Interesse der Banken und Sparkassen, wobei rückzahlbare 
Effekten, industrielle Bankkredite, Schecks auch in Frage kommen, da 
im Interesse der Erhaltung der ganzen Produktionsverfassung und 
Kreditorganisation die Interessen der Geldbesitzer zeitweilig geopfert 
werden müssen. Ein derartig modernisiertes Moratorium kann als radi- 
kales Mittel zur Bekämpfung der Kreditnot und zur Erhaltung der 
Werte kaum entbehrt werden. 

Nach allem ist die Reformaktion der Reichsbank ein Fehlgriff, 
sie hat vieles erreichen wollen, unter anderem auch die Herrschaft über 
den Geldmarkt. Ihre Aufgabe hat sich nach Plenge zu beschränken 
auf die nationale Geldverwaltung und eine formale Kreditkontrolle, 
damit hält sie sich in den Grenzen ihres natürlichen Wirkungskreises 
und würde damit eine außerordentliche Verstärkung der nationalen 
Kreditorganisation herbeiführen. Plenge empfiehlt als erste Staffel der 
Reformaktion eine Wiederherstellung der Liquidität der deutschen Volks- 
wirtschaft, als zweite eine Revision der Diskontpolitik der Reichsbank 
und schließlich die Verlegung der nationalen Geldverwaltung zu der 
Reichsbank, die Kreditverwaltung zu den anderen Banken. — 


So sieht in seinen Hauptzügen das Plengesche Programm aus, unter 
Fortlassung verschiedener, etwas unerfreulicher Nebenerscheinungen in 
persönlicher Hinsicht. 

Sachlich betrachtet, hat das Programm alle Vorzüge des selb- 
ständigen, konsequent aufgebauten Systems — selbst seine Einseitigkeit 
hat den Vorzug, nicht nur neue Gesichtspunkte zu bringen, sondern vor 
allem von dieser bestimmten Seite aus zu entschiedener Vertiefung des 
Problems beizutragen. Einige mögen in der Erkenntnis dieser Ein- 
seitigkeit das Programm überhaupt ablehnen, andere, geblendet durch 
die glänzende Darstellungsart des Verfassers, vielleicht etwas zu un- 
kritisch ans Werk gehen. Beide dürften unrecht haben, auf jeden Fall 
aber haben diejenigen unrecht, die mit einem Herumkritisieren an den 
Details an Plenge herantreten wollen — nur gegen das Ganze kann die 
Kritik eines so konsequenten Systems sich richten. In diesem Sinne 
sollen hier einige Bemerkungen angeführt werden, wie von den Plenge- 
schen Ergebnissen aus weiter vorzudringen wäre. 


Literatur. 677 


Um zunächst zu zeigen, wie von einer scheinbar sehr angreifbaren 
Detailfrage der Weg weiter zur Plengeschen Grundauffassung führt, so 
behauptet Plenge (S. 108, 196, 236 und 352), die Ableitung von 
Diskontmaterial von der Reichsbank zu den Privatbanken würde deren 
Mittel mehr in Anspruch nehmen, folglich eine Annäherung des Markt- 
satzes an den Banksatz bewirken. Der sehr naheliegende Einwand 
lautet: die einmalige Annäherung zugegeben, so werden neue Mittel den 
Kreditbanken immer wieder zugeführt, folglich die von Plenge zuge- 
gebene Tendenz (S. 194) einer vielleicht zunehmenden Spannung 
zwischen den zwei Geldsätzen als Tendenz nicht geändert, die alten 
Schwierigkeiten werden sich bald wieder einstellen. Nun ist aber das 
letztere ein Problem der Kreditverfassung, das Plenge glaubt prinzipiell 
der Zukunft überlassen zu können, um die mehr drängenden Fragen 
der Geldverfassung in der Gegenwart zu lösen. Oder wie Plenge es 
selbst einmal gelegentlich ausdrückt (S. 378/9): wenn das Herz (die 
Geldverfassung) schwach ist, ist es die Hauptsache, dieses zu kurieren, 
wenn man einwendet, daß der Patient im übrigen (die Kreditverfassung) 
schwächlich und blutarm sei und bald sterben werde, so ist dies ein 
späteres Problem. Aber auch diese Auffassung steht nicht aus einem 
Zufall da, sondern ist wiederum verankert in den Entwicklungslinien 
des gegenwärtigen Zeitalters, welche Plenge gezeichnet hat. Da heißt 
es (S. 34): wir müssen die beiden einseitigen Standpunkte vereinigen, 
sowohl die marktbeherrschende Organisation wie das ungeordnete Massen- 
geschehen von Angebot und Nachfrage in der heutigen Wirtschafts- 
periode berücksichtigen. Indem diese Auffassung, wobei in erster 
Linie die zwei Extreme betont werden, in eigenartiger Weise vereinigt 
wird mit einer anderen Entwicklungslinie, entsteht, soweit ich sehen 
kann, die Einseitigkeit im Plengeschen System. Plenge konstatiert näm- 
lich weiter (S. 21): „ein straff gegliedertes System von Banken, Spar- 
kassen und Genossenschaften, die in riesenhaftem Umfang Kredit nehmen 
und gewähren“ und (S. 22) „das System unserer Kreditvermittlung ist 
so lückenlos entwickelt, seine Leistungsfähigkeit ist so ungeheuer ge- 
steigert, man wirbt so intensiv um neue Gelder und saugt so kräftig 
alle verfügbaren Mittel an, um sie auszuleihen, daß es nicht mehr zu 
den wesentlichen Aufgaben der Zentralnotenbank gehören kann, der 
Volkswirtschaft dauernd möglichst große Summen zur Verfügung zu 
stellen ... Für die reichliche Kreditversorgung unserer Volkswirtschaft 
sind viele Organe wetteifernd tätig, die ihre Leistungsfähigkeit auch 
noch weiter steigern können, für die gute Geldverwaltung ist nur die 
eine Zentralbank da.“ Indem hier der bloße, „riesenhafte Umfang“ 
schon mit als ein Beweis dafür gilt, daß „ein straff gegliedertes System“ 
da ist, und die bloße Reichlichkeit der Kreditversorgung schon zum Be- 
weis der Systematik derselben genügt, so scheidet von den erstgenannten 
beiden extremen Gesichtspunkten, die marktbeherrschende Organisation 
und das ungeordnete Massengeschehen von Angebot und Nachfrage, der 
erste bis zu einem gewissen Grade aus, und da die Zwischenstufen wenig 
hervortreten, so bleibt das Schwergewicht bei der letzteren. Und außer- 
dem aus dem Grunde, weil Plenge das Extrem, die marktbeherrschende 


678 Literatur. 


Organisation selbst (z. B. ein Bankenkartell), für vorläufig unmöglich 
hält, darf dieses Problem, was zur Frage der Kreditorganisation weiter- 
führen würde, ausscheiden. Auch alle Zwischenstufen bleiben zwar nicht 
unerwähnt, aber das Schwergewicht tendiert nach dem ungeordneten 
Massenangebot. „Die großen Gesamttatsachen des Kapitalbedarfes und 
der Kapitalnachfrage sind nun einmal notwendig als Ganzes ungeplante 
Massenprozesse mit immer wechselnder Gleichgewichtslage. Sie müssen 
es sein, solange man den höchsten wirtschaftlichen Nutzeffekt von 
der möglichsten Selbständigkeit der Einzelwirtschaft erwartet. Ihr freies 
Aufeinandertreffen stellt die Marktlage fest... der freie Geldmarkt 
funktioniert um so besser, je schneller und beweglicher“ usw. (183). 
Aendert man hier etwas die Nüance, wird man in der Kon- 
zentration im Bankwesen gerade eine beginnende Aufhebung des alten 
individualistischen Prinzips der Volkswirtschaft sehen, durch das gegen- 
seitige Sich-gebunden-fühlen sind die Teilnehmer am Geldmarkte nicht 
mehr in dem alten atomistischen Sinne „frei“, zwar noch keine „ge- 
ordnete Masse“, dafür aber allerdings auch nicht eine „ungeordnete 
Masse“. Man wird dann eher den höchsten volkswirtschaftlichen 
Nutzeffekt davon erwarten, daß diese überall beginnenden Organisations- 
ansätze sich nicht unkontrolliert auf das Gesamtresultat geltend machen 
können, da die Gefahr besteht, daß diese jetzt machtvolleren Teilorgani- 
sationen nach miteinander nicht direkt harmonierenden Prinzipien 
arbeiten werden. Damit wird nicht einer schematischen Aufhebung 
jedes Individualismus das Wort geredet, was sicher auf alle die 
Schwierigkeiten stoßen würde, die Plenge schildert, sondern nur ein 
einheitliches Zusammenführen der vorhandenen Organisationsanfänge 
befürwortet. Ebenso wie Plenge in der Privatwirtschaft gegen Gefahren 
der Kreditüberspannung Kreditmaßregeln, gegen Gefahren der Kassen- 
überlastung Kassenmaßregeln einführen will, wird man in der Volks- 
wirtschaft gegen Gefahren der Kreditorganisation Kreditorganisations- 
maßregeln empfehlen. Plenge kennt die Gefahren, die durch sein Pro- 
gramm entstehen: ein Kreditwesen, dem das planmäßig organisierte In- 
einanderfunktionieren der verschiedenen Teile fehlt, in dem noch, dazu 
einige Teile so stark geworden sind, daß sie durch eigene Maßnahmen 
unerwartet die Gesamtentwicklung bedeutend beeinflussen können, 
braucht viel größere Sicherungen und so erlangt dann — auf Kosten des 
Kreditproblems — das Währungsproblem eine so ungeheure Bedeutung 
bei Plenge. Alle Fragen der Systematisierung des Kreditwesens: Regu- 
lierung der Quartalanspannung, der Börsenspekulation usw. dürfen ver- 
nachlässigt werden, wenn nur eine kolossale Geldveränderung vorge- 
nommen wird. Wenn er bei der statistischen Erfassung der Vorgänge auf 
dem Diskontmarkte nur den Anteil der Reichsbank am gesamten 
deutschen Wechselumlauf untersuchen will, unter Vernachlässigung der 
statistischen Berücksichtigung der Konzentrationsvorgänge (daß eine 
solche Statistik technisch schwer durchzuführen ist, ist natürlich kein 
Argument für eine sachliche Vernachlässigung), das Ganze ebenso gleich- 
mäßig atomistisch für alle Perioden hervortreten läßt, wie schon oben be- 
tont wurde — so verschwindet damit auch das Problem der Verände- 


Literatur. 679 


rungen in der volkswirtschaftlichen Kreditorganisation. Folgen dieser 
Entwicklung werden mitunter erwähnt: S. 194 die vielleicht steigende 
Spannung Marktsatz—Banksatz, aber die dagegen empfohlene Maßregel 
der Rediskontierungspolitik ist keine gegen diese Tendenz gerichtete 
Kreditreform, sie würde vielleicht in einzelnen schwierigen Situationen 
eing wirksame Maßregel abgeben, die erwähnte Entwicklungstendenz 
bleibt dabei logischerweise unberührt, die Reform der Kreditorganisation 
vermieden. Ebenso wird die Ueberfütterung mit Kredit in gewissen 
Industrien erwähnt (S. 209), die auch eine Folge der Konzentration 
im Bankwesen ist — deren Reformierung der Zukunft überlassen wird. 
Gegen andere nicht statische, sondern dynamische Probleme der 
Kreditorganisation, wie tendenziell größere Auslandsverschuldung, ten- 
denziell größere Kreditüberspannung und vor allem unregelmäßige, weil 
unorganisierte Schwankungen von beiden (man denke z. B. an die 
Folgen einer Kündigung der Kreditbeziehungen zwischen dem russi- 
schen Finanzministerium und dem Hause Mendelsohn), will Plenge 
jetzt nichts unternommen wissen, die Systematik des Kreditwesens mag 
sein wie sie will, wenn nur die große Geldsicherung da ist, die unter 
diesen Umständen allerdings immer dringender wird. Das macht auch 
das Krisenproblem so ungeheuer viel schwieriger für Plenge, indem in 
diesem unreformierten, nicht einheitlich organisierten Kreditwesen so 
viele Kreditorgane versagen („der Geldmarkt tritt außer Funktion“, 
S. 295) und von der Reichsbank ersetzt werden müssen, um so 
dringender wird schließlich wiederum die Geldreform. 

Man würde, nach dem äußeren Erfolg betrachtet, anführen können, 
daß eine gänzliche Revolutionierung des Geldwesens ebenso schwierig 
wie eine solche des Kreditwesens durchzuführen ist, und Plenge hat 
wohl — nach inzwischen bekannt gewordenen, authentischen Urteilen — 
die praktischen Schwierigkeiten der Veränderungen im Geldwesen unter- 
schätzt. Nach dem praktischen Erfolg betrachtet, wird dann die gleich- 
zeitige Reformierung des Geld- und Kreditwesens einer Revolutionierung 
nur des Geldwesens vorzuziehen sein. Aber auch innerlich ist diese 
Verknüpfung erheischt, wenn man nicht die Veränderungen des Geld- 
wesens ins Ungeheure steigern will, weil man gegen — von Plenge sicher 
nicht geleugnete — Gefahren der Kreditorganisation nicht mit Reformen 
der Kreditorganisation vorgehen will. Gerade daß Plenge für seine 
Schätzungen der nötigen Goldsicherung von „stillschweigenden Voraus- 
setzungen‘“ ausgehen muß (S. 127), die losgelöst von Rücksichten auf 
die heutige Kreditorganisation sind, und entweder die deutsche Kredit- 
organisation von 1895 oder die französische bzw. russische von 1913 
ganz direkt zugrunde legt, überzeugt wohl am besten, wie nahe eigent- 
lich die Rücksichten auf die miteinander zusammenarbeitenden Geld- 
und Kreditwesen sein müßten, wie jedes eigenartige Kreditsystem seine 
eigenartige Goldsicherung braucht, folglich ein reformiertes Kreditsystem 
wahrscheinlich nur eine Geldreform, nicht eine Geldrevolution notwendig 
macht. 

Auch wenn Plenge es dem Leser etwas weniger oft zweifelhaft ge- 
macht hätte, ob die Grenzen der für eine wissenschaftliche Diskussion 


680 Literatur. 


üblichen Formen innegehalten sind, scheint mir nach dem Obigen auch 
sachlich die Beurteilung der Reformaktion der Reichsbank doch wesent- 
lich anders ausfallen zu müssen. 

Aber die wissenschaftliche Hochschätzung eines Buches ist keines- 
wegs davon abhängig, ob man seine praktischen Resultate akzeptiert, 
nicht einmal davon, ob man seine Grundauffassung, wenigstens in ihrer 
ganz eigenartigen Nüance, annimmt. Diese Unterschiede, die in der 
Kritik eines selbst so kritischen Buches besonders hervortreten müssen, 
sind durchaus vereinbar mit der Hochschätzung, ja, Bewunderung des 
weitumspannenden Geistes, der diesem Buche einen ganz seltenen Wert 
verleiht. Man hat es oft als einen Mangel unserer zahlreichen Bank- 
literatur bedauert, daß sie meistens von Nur-Spezialisten geschrieben ist, 
denen eo ipso die letzten Fragen auch des Spezialfaches verschlossen 
bleiben müssen. Um so mehr steht hier das Plengesche Werk als eine 
Glanzleistung da, in seinen großartigen Perspektiven und scharfsinnigen 
Deduktionen eines der selbständigsten Werke der ganzen modernen Bank- 
literatur. Es wäre darum verfehlt, auf neue Einzelergebnisse Plenges 
hinzuweisen, nicht einmal aus dem jetzt besonders aktuell gewordenen 
4. Teile „Krieg und Panik“; das Entscheidende ist vielmehr die 
energische Einstellung der Bankpolitik unter allgemeine volkswirtschaft- 
liche Ziele und ihre konsequente Durchführung bis in die Detailfragen. 
Nachdrücklich wie noch keiner vor ihm hat Plenge gegen das Fehlen 
dieser Zielsetzung polemisiert, sei es in Form von „Fatalismus in der 
Bankpolitik‘“, von Situationspolitik, da, wo die großen Perspektiven ein- 
zuführen wären, oder von privatwirtschaftlicher statt volkswirtschaftlicher 
Zielsetzung. 

Ein solches Werk besonders zu empfehlen, ist nicht nötig, es hat 
seit seinem Erscheinen schon den Ruf erworben, ein Werk zu sein, womit 
sich jedermann auseinandersetzen muß, der sich überhaupt mit modernen 
Bankproblemen beschäftigen will. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 681 


Uebersicht über die neuesten Publikationen 
Deutschlands und des Auslandes. 


1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 

Simkhovitch, Vladimir G., Marxism versus socialism. New 
York 1913. XVI u. 298 SS. Geb. 1,50 $. 

Derselbe, Marxismus gegen Sozialismus. Uebersetzt von Th. 
Jappe. Jena 1913. Geh. 5 M. 

„Der sogenannte wissenschaftliche Sozialismus ist bankerott.“ ,Heut- 
zutage ist in der ganzen Welt die sozialistische Bewegung in einem ge- 
wissen Sinne nur ein Suchen nach einem neuen, möglichen Inhalt für 
das alte Wort Sozialismus.“ Das sind die Ergebnisse, zu denen Verf. 
in seinem anregend geschriebenen Buch gelangt. 

Der deutschen wissenschaftlichen Welt ist das nichts Neues; aber 
damit ist nicht gesagt, daß das Buch von Simkhovitch überflüssig wäre. 
Denn es fehlte an einer handlichen, zusammenfassenden Darstellung, die 
das Fazit der bisherigen Marxkritik zöge und geeignet wäre, das ge- 
bildete Publikum damit vertraut zu machen. (Die Bücher von Diehl 
und Brunhuber stellen sich andere Aufgaben.) 

S. gibt übrigens nicht bloß die Ergebnisse fremder Forschungen, 
sondern trägt auch neues Material herbei und macht sich durch Heran- 
ziehung der ‚russischen und amerikanischen Literatur verdient. Ueber- 
haupt sind die literarhistorischen Kapitel seiner Schrift die bemerkens- 
wertesten, so die Untersuchung über die Vorgeschichte der Marxschen 
Klassenkampftheorie, die allerdings für deutsche Leser auch nichts durch- 
aus Neues bringt. Meine Untersuchungen über Lor. v. Stein und Muck- 
les Arbeiten über St. Simon sind dem Verf. unbekannt geblieben, und 
so kommt es, daß er gerade St. Simon nicht gerecht zu werden scheint, 
dessen vielgelesene Schriften manche Uebereinstimmung in den sozial- 
philosophischen Anschauungen vor Marx erklären dürften. 

S. sieht den Kern des Marxismus in der materialistischen Ge- 
schichtsauffassung und widmet ihrer Widerlegung den größten Teil seines 
Buches, da er seltsamerweise von der Ansicht ausgeht, daß sie bisher von 
der Kritik am wenigsten zu leiden gehabt hätte. Zuzugeben ist nur, 
daß gerade nationalökonomische Untersuchungen der Lehre Marxens sich 
mehr mit dessen volkswirtschaftlichen Theorien beschäftigt haben: 
Sozialismus umfaßt eben ein weiteres Gebiet als die Volkswirtschaftslehre, 
die ja nicht ohne weiteres Sozialphilosophie ist. 

Im allgemeinen ist S. wenig zu entgegnen; nur hätte er vielleicht 
mit Rücksicht auf die bereits vorhandene Literatur manche Länge be- 
seitigen und namentlich der deutschen Uebersetzung einige Striche 
angedeihen lassen können. 


682 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Die deutsche Ausgabe kann im Interesse des gebildeten Laien- 
publikums, zu dem sie hoffentlich den Weg finden wird, willkommen ge- 
heißen werden. Leider ist die Uebersetzung nicht ganz sorgfältig; neben 
Stellen, in denen der Sinn des Originals verwischt ist, finden sich Angli- 
zismen und andere Schönheitsfehler, sowie Abweichungen vom ursprüng- 
lichen Text, die mir recht willkürlich scheinen. 

Bei einem Vergleich der äußeren Ausstattung des in Amerika her- 
gestellten englischen und des deutschen Buches läßt sich leider die Be- 
merkung nicht unterdrücken, daß man in Amerika mehr Geschmack auf 
den Druck und den Einband wissenschaftlicher Bücher verwendet als 
bei uns. Das wäre doch unschwer zu ändern. 


Halle a. S. Ernst Grünfeld. 


Carver, Thomas-Nixon, Professor an der Harvard-Universität, 
La répartition des richesses. Traduit par Roger Picard. Paris (M. Giard 
& E. Briöre) 1912. Bibliothèque internationale d'économie politique. 
240 SS. 

Da das 1904 erschienene englische Original des Buches seinerzeit 
in dieser Zeitschrift nicht besprochen wurde, dürfte es nicht unangebracht 
sein, die Leser auf die französische Uebersetzung desselben hinzuweisen. 
Es ist eine jener Arbeiten über die „Grundbegriffe der Volkswirtschafts- 
lehre“, wie sie in Amerika in den beiden letzten Jahrzehnten von 
mehreren Schriftstellern erfaßt wurden, während wir in Deutschland — 
etwa abgesehen von Oswalts „Vorträgen über wirtschaftliche Grund- 
begriffe“ — seit Dietzels „Theoretischer Sozialökonomik‘“, 1895, nichts 
ähnliches mehr zu verzeichnen hatten. Von alters her steht dabei 
in der englisch-amerikanisch-französischen Theorie das „Verteilungs- 
problem“ im Vordergrunde, und Arbeiten mit dem obigen Titel sind in 
der genannten Literatur zahlreich, während man bei uns bisher regel- 
mäßig vom Wertbegriff auszugehen pflegte und die meisten Theo- 
retiker, die sich damit beschäftigten, überhaupt nicht über ihn hinaus 
zu den sogenannten Verteilungsproblemen gelangt sind. 

Allerdings, auch Carver geht vom Wert aus, aber vom Tausch- 
wert, und kommt damit, wie die ganze ausländische Wissenschaft, die 
die Verteilungslehre in den Mittelpunkt der ökonomischen Theorie 
stellt, den Forderungen neuerer Methodologen, M. Weber, A. Amonn 
und anderer entgegen, die nur die Tausch vorgänge als Objekt der öko- 
nomischen Wissenschaft betrachtet sehen wollen. Tauschwert ist nach 
der alten von Carver übernommenen Definition = Tauschkraft, power in 
exchange. Sie soll nur solchen Gütern anhaften, welche „Nützlichkeit be- 
sitzen“ (S.9). Da aber ein Gut nur begehrt wird, wo es „so wenig gleich- 
artige Güter gibt, daß das Bedürfnis danach nicht völlig gesättigt werden 
kann“ (S. 14), so kommt zur Nützlichkeit noch die Seltenheit hinzu. 
Aber Carver erkennt, daß er damit nur den „Wert“ im Sinne der deut- 
schen subjektiven Wertlehre definiert hat, und kommt nun zum Tausch- 
wert, indem er behauptet (S. 26): die Höhe des Wertes (Tausch wert) 
hängt ab vom Grad des Bedürfnisses, das das Gut befriedigt, im Ver- 
gleich zu den andern Gütern“ (müßte korrekt natürlich heißen: 
im Vergleich zu dem Bedürfnis nach andern Gütern). 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 683 


Hier liegt nun, um von allen sonstigen Einzelheiten abzusehen, der 
erste Grundfehler dieser ganzen Auffassung und damit des ganzen 
Buches. Indem Carver den „Wert“ so als eine bloße Beziehung 
zwischer allen Bedürfnissen, allen erstrebten Nutzen auffaßt, beraubt 
er sich jeder Möglichkeit, von diesem Begriff aus zur Erklärung der 
tauschwirtschaftlichen Erscheinungen zu gelangen. Positiv ausgedrückt: 
sein Fehler ist, daß bei seinem Wertbegriff die Kosten gar nicht berück- 
sichtigt werden. Es ist logisch unmöglich, aus dem bloßen 
Nutzen ohne Berücksichtigung der Kosten, nur durch Ver- 
gleichung der verschiedenen Nutzen, sei es bei einem Men- 
schen, sei es bei allen Menschen, einen Begriff des Wertes oder, 
bei allen Menschen, des Tauschwertes festzustellen, der bei der 
Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen irgendwelche Bedeutung 
hat. Dieser Wertbegriff steht daher auch mit den folgenden Kapiteln, in 
denen die verschiedenen Einkommensarten erörtert werden, eigentlich in 
keinem Zusammenhang. Wie diese Wertauffassung mit dem Begriff 
Tauschkraft zusammenhängt, bleibt dunkel und ebensowenig ergibt sich, 
wie die Verteilungstheorie nun auf dem Begriff des Tauschwertes be- 
ruht. Verf. erklärt ausdrücklich (S. 9), sich nur mit den Problemen des 
Wertes, nicht aber mit denen des Preises beschäftigen zu wollen, und 
daraus ergibt sich nach unserer Ansicht der zweite Grundfehler der 
ganzen Schrift, den sie allerdings mit der ganzen bisherigen National- 
ökonomie teilt: in technisch-quantitativer Auffassung wird die Nor: 
teilung‘ aus den sogenannten Produktionsfaktoren auf Grund der 
Zurechnungslehre entwickelt, statt zu erkennen, daß alle Einkommen 
Preise sind oder aus solchen zusammengesetzt sind, und die Ein- 
kommens- und Verteilungslöhne daher aus der Erklärung des Preises 
heraus zu entwickeln. — 

Auf den Inhalt der Schrift näher einzugehen ist mir innerhalb 
des hier zur Verfügung stehenden Raumes nicht möglich. Es sei nur 
betont, daß sie ihr Thema ganz auf Grundlage der heute herrschenden 
Anschauungen behandelt. Nach dem Kapitel vom Wert werden „die 
abnehmenden Erträge“ behandelt. Daran schließt sich ein Kapitel 
über „die Formen des Reichtums und des Einkommen“ an, 
und die folgenden Kapitel beschäftigen sich der Reihe nach mit dem 
Lohn, dem Zins, der Rente und dem Gewinn (Profit). 

Die Darstellung muß als außerordentlich geschickt bezeichnet wer- 
den, manche Beispiele sind sehr glücklich gewählt; so kann unter anderem 
das in dem Abschnitt über den Lohn vorkommende Beispiel von den 
Leuten, die Holz fällen, und denen, die Nüsse suchen, sehr gut als 
Mittel dienen, die Preisbildung daran zu erläutern — denn das wird 
man doch allmählich erkennen müssen, daß die Einkommenslehre nicht 
an einen irgendwie künstlich konstruierten Wertbegriff, sondern an die 
Preislehre anknüpfen muß. Einem etwas kritisch veranlagten Leser 
kann die Schrift reiche Anregungen zum weiteren Durchdenken der 
wichtigsten ökonomischen Probleme bieten, und da wir in der deutschen 
Literatur eigentlich keine ähnliche Arbeit besitzen, kann eine Ueber- 
setzung auch ins Deutsche nur als erwünscht bezeichnet werden. 

R. Liefmann. 


684 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


Mann, Fritz Karl, Der Marschall Vauban und die Volkswirt- 
schaftslehre des Absolutismus. Eine Kritik des Merkantilsystems. Mün- 
chen und Leipzig (Dunker u. Humblot) 1914. 12 M. 

Man versteht leicht, daß eine Gestalt wie Vaubans in der Geschichte 
der Nationalökonomie die Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Nicht nur 
unterschied sich seine Ausbildung weit von der der übrigen, uns hier 
begegnenden Autoren, sondern hinzu kommt noch, daß er mit seinem 
ökonomischen Hauptwerk auf eigentümliche Weise sein eigenes Schicksal 
entscheider sollte, und daher ist über jenem ein gewisser tragischer 
Glanz ausgebreitet. Es sind denn auch im letzten Menschenalter nicht 
so ganz wenig Monographien über Vauban sowohl in Frankreich als auch 
in Deutschland erschienen —, jungfräuliche Erde beackert Verf. des 
vorliegenden Buches nicht. Und doch — um es gleich zu sagen — ist 
es ihm gelungen, in manchen Punkten neues Licht über die Darstellung 
von Vauban zu werfen, und man kann allgemein sagen, daß das erste 
Buch, welches Vauban und seine Tätigkeit behandelt, ein im großen und 
ganzen sicher richtiges Bild zeichnet. Natürlich kann man hier und da 
Einwände machen. So sagt Verf. (S. 84), daß man in Vaubans 
Schriften sehr wohl Aussprüche finden könne, die miteinander direkt in 
Widerspruch stehen, daß sich aber dies aus der ganzen Arbeitsweise und 
dem Stimmungsgehalt Vaubans recht gut erklären lasse. Der Leser wird 
hierbei ein wenig skeptisch dem Verf. selbst gegenüber, der wenige 
Seiten vorher Vaubans Auffassung von der Gesellschaft bespricht und 
hier in wesentlichen Punkten von der früherer Schriftsteller abweicht. 
Man kann auch bedauern, daß Verf. sich darauf beschränkt, die damaligen 
französischen Steuerverhältnisse als Hintergrund des Dixme royale zu 
untersuchen, aber auf die allgemeine Steuertheorie jener Zeit nicht näher 
eingeht; dies hängt, wie nachher gezeigt werden soll, damit zusammen, 
daß Verf. die Geschichte der Theorien vernachlässigt; er hat nicht er- 
klärt, was Christian Wolff meint, wenn er in seiner Besprechung von 
Dixme royale (Acta eruditorum, Mai 1708) sagt: Proponit igitur de 
Vauban ... Regi suo tale onerum subditis imponendorum systema, 
quod memoratae ceterisque naturae legibus ad amussim respondens... 

Entschieden ungünstig wirkt das zweite Buch, das Vaubans Stellung 
in der Geschichte der Volkswirtschaftslehre behandelt. Es ist ja richtig, 
daß die Individualität eines Autors nur dadurch lebendig gemacht 
werden kann, daß man sie im Verhältnis zu dem in seiner Zeit 
Typischen sieht, aber Verf. des vorliegenden Buches hat anderes und 
mehr geben wollen als den Hintergrund für seinen Helden: er hat mit 
Vauban als Grundlage seine besondere Auffassung vom Merkantilismus 
darlegen wollen. Das ist ihm nicht gelungen; er beherrscht Vauban 
und dessen Schriften, aber nicht den ganzen Merkantilismus und die 
merkantilistische Literatur. Dies zeigt sich einmal über das andere. 
Verf. geniert sich nicht davor, ein so unhistorisches Verfahren anzu- 
wenden, daß er alle vor-physiokratischen Schriftsteller oder wenigstens 
Schriftsteller, die mit mehr als 100 Jahren Zwischenraum gelebt haben, 
zusammenmengt und nachweist, wie sie untereinander sich widersprechen, 
um daraus zu schließen, daß sie keinen gemeinsamen Ausgangspunkt ge- 
habt haben. Die vor-physiokratische oder richtiger die vor-Smithsche Lite- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 685 


ratur besteht für den Verf. nur aus „Sammlungen von praktischen Be- 
triebsvorschriften, um die Staatsmaschine zweckmäßig zu bedienen“. Man 
merkt hierin die Auffassung des Merkantilismus, welche der Lehrer des 
Verf., Gustav Schmoller, seinerzeit aufstellte und welche von dem deut- 
schen Historismus adoptiert worden ist. Verf. wandelt getreulich in 
dessen Fußspuren, wenn er das Wort „Merkantilismus“ am liebsten 
durch „Staatsinterventionismus“ oder dgl. ersetzt sieht. Köstlich ist es, 
zu sehen, wie Verf. diese beiden Wörter gegeneinander abwägt (S. 375 
bis 376): er sagt hier: „Insoweit der Staat zugunsten des Handels inter- 
veniert, wäre darum immerhin die Bezeichnung als Merkantilismus mög- 
lich; insoweit er zugunsten anderer Berufsgruppen .... interveniert, läge 
in ihr eine erhebliche Gewaltsamkeit.“ Es ist ganz richtig, daß der 
Merkantilismus sich als Staatseingriff in das Wirtschaftsleben zeigte, 
und der Historismus ist wohl damit zufrieden, dies festzustellen, weshalb 
Verf. auch allen Ernstes vorschlagen kann, das Wort „Merkantilismus“ 
durch „Staatsinterventionismus‘“ zu ersetzen; aber man soll weiter gehen, 
soll fragen, warum der Staat eingriff, welche wirtschaftliche Gesell- 
schaftsauffassung diesen Staatseingriffen zugrunde lag, warum der Staat 
anfangs seine Aufmerksamkeit mehr dem Handel und der Industrie, als 
der Landwirtschaft zuwandte usw. Man kann überhaupt nicht mit Erfolg 
Wirtschaftsgeschichte studieren, ohne gleichzeitig die Geschichte der 
wirtschaftlichen Theorien zu studieren; das glaubte und glaubt — dem 
vorliegenden Buche nach zu urteilen — der deutsche Historismus offenbar 
immer noch; daher seine Einseitigkeit. 

Ich habe schon an anderer Stelle Gelegenheit gehabt, das Fehler- 
hafte in der Auffassung des Merkantilismus, zu deren Fürsprecher sich 
Verf. somit macht, zu präzisieren. Es bestand trotz aller Verschieden- 
heiten eine gemeinsame Grundlage, auf der die „merkantilistischen 
Schriftsteller und der „Merkantilismus“ überhaupt standen, eine gemein- 
same Auffassung von der Gesellschaftsentwicklung, und diese war auf 
dem wirtschaftlichen Gebiet, daß die Geldwirtschaft in der Entwicklung 
einen Schritt weiter als die Naturalwirtschaft bedeutete; denn während 
diese der Familie angehört, bedeutet der Staat auf dem wirtschaftlichen 
Gebiet die Entstehung der Geldwirtschaft und der Arbeitsteilung; daher 
der einseitige Blick auf Handel und Industrie, deren Auftreten eine 
Geldwirtschaft voraussetzt. Aus dieser Einsicht heraus verstehen wir 
auch das Wort „Merkantilismus“ selber, und wie treffend es ist. Will 
man in einem Worte das Charakteristische desselben hervorheben, so 
wird man nicht, wie Schmoller „Staatenbildung‘“, oder wie Mann 
„Staatsinterventionismus‘“ wählen müssen, sondern „Erwerbsbildung‘“ ; 
aber dies zeigt auch, wie treffend das Wort „Merkantilismus“ in Wirk- 
lichkeit ist. 

Kopenhagen. Axel Nielsen. 


Thorsch, Dr. Berth., Soziale Entwicklung und Umbildung der Volks- 
wirtschaft. Dresden, Carl Reißner, 1914. 8. 107 SS. M. 2.—. 


Labriola, Arturo, Rincaro e capitalismo. 2a edizione, con l’aggiunta di 
un’appendice sui salari e prezzi. Napoli, soc. ed. Partenopea (F. Razzi), 1914. 
16. 9l pp. l. 1—. 


686 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Valenti, Pas., La teoria del valore: appunti di critica. Roma, Athenaeum 

(Catania, tip. Nazionale, Coniglione e Grasso), 1914. 8. 73 pp. l. 2.—. 
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 

Acta Borussica. Denkmäler der Preußischen Staatsverwaltung 
im 18. Jahrhundert. Herausgegeben von der Kgl. Akademie der Wissen- 
schaften. Berlin, Paul Parey. 8°. 

1) Die Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung 
Preußens im 18. Jahrhundert. V. Bd., 2. Hälfte: Akten vom 4. Januar 
1736 bis 31. Mai 1740, bearb. von G. Schmoller und W. Stolze. 
1912. 1072 SS. 

2) Die einzelnen Gebiete der Verwaltung. Getreidehandelspolitik. 
III. Bd. Die Getreidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung 
Preußens 1740—1756. Darstellung und Getreidepreisstatistik von 
W. Naudé und A. Skalweit. Akten bearb. von G. Schmoller, 
W. Naudé und A. Skalweit. 1910. XVI, 716 SS. 

3) — — — Münzwesen. II.—IV. Bd. Das Preußische Münzwesen im 
18. Jahrhundert. Münzgeschichtlicher Teil. Darstellung von Fr. Frhr. 
v. Schrötter. Akten bearb. von G. Schmoller und Fr. Frhr. v. 
Schrötter. 1908. X, 611 SS. — 1910. X, 580 SS. — 1913. VIII, 
645 SS. 

4) — — — Handels-, Zoll- und Akzisepolitik. I. Bd. Die Han- 
dels-, Zoll- und Akzisepolitik Brandenburg-Preußens bis 1713. Dar- 
stellung von H. Rachel. Mit einer Karte des mittleren Staatsgebiets. 
1911. XIX, 922 SS. 

Ueber die ‚Acta Borussica‘‘ habe ich in dieser Zeitschrift ausführ- 
lich berichtet in den Bänden 87 (1906) S. 564ff. und 96 (1911) 
S. 129 ff. Seitdem ist in der grundlegenden Abteilung „Behördenorgani- 
sation und allgemeine Staatsverwaltung‘ mit dem vorliegenden Halbband 
(V, 2) das Ende der Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. erreicht, in 
der Spezialabteilung „Getreidehandelspolitik‘ die Periode Friedrichs d. Gr. 
betreten worden; das großartige Werk Frhr. v. Schrötters über das 
Münzwesen hat mit der Zeit von 1740—1806 in 3 weiteren Bänden 
seinen Abschluß gefunden; neu in Angriff genommen endlich ist die 
Darstellung der „Handels-, Zoll- und Akzisepolitik“, von der, aus der 
Feder des hierfür an G. Schmollers Stelle getretenen H. Rachel, jetzt der 
erste Band vorliegt. 

1) Die im Bd. V, 2 der „Behördenorganisation‘ mitgeteilten 
554 Nummern zeichnen sich im allgemeinen nicht durch Wichtigkeit aus. 
Zum weitaus größten Teil enthalten sie Kleinigkeiten persönlicher und 
sachlicher Art, Verfügungen teils zur Ergänzung und Befestigung der 
bisher durchgeführten Verwaltungsreformen auf allen Gebieten, teils zur 
Beseitigung und Schlichtung von Kompetenz- und Rangstreitigkeiten 
unter Behörden und Beamten. Von allgemeinerer Bedeutung sind nur 
die Akten über die Errichtung einer Kammer in Gumbinnen im Jahre 
1736 (No. 81, 103, 113, 122 usw.), über die seit der Wusterhäuser 
KO. vom 26. September 1737 (No. 181) greifbar hervortretende Justiz- 
reform, die nun besser als bei Mylius Schritt für Schritt und bis ins 
einzelne zu verfolgen ist (No. 182, 189, 194, 201, 210, 229, 237, 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 687 


453 usw.), endlich über eine Revision des Generaldirektoriums und der 
einzelnen Kammern, die dem König im August und Septeinber 1738 zu 
zahlreichen scharfen Monita (No. 321, 350 usw.) Anlaß gegeben hat. 
Die Person Friedrich Wilhelms I. steht auch hier überall im Vordergrund. 
Auf alles hält der alte Herr stramme Aufsicht. Er verbietet (No. 87, 
1736) den kurmärkischen Kriegsräten bei Dienstreisen „in Kutschen oder 
aber in großen Schwimmerwagens‘“ mit 8 Vorspannpferden zu fahren: 
vielmehr sollen sie „auf kleinen leichten Jagdwagens, und zwar ohne 
Verdeck, fahren, auch jedesmal nicht mehr als nur 4 Vorspannpferde be- 
kommen“. Er sendet, um wenigstens auf diese Weise persönlich an- 
wesend zu sein, den Kammern in Königsberg und Gumbinnen sein Por- 
trät (No. 159, 1737). Er verlangt (No. 452, 1739), daß Beilagen 
zu deu Berichten der Clevischen Kammer und der Geldrischen Kom- 
mission nicht mehr in niederländischer Sprache eingereicht, sondern zuvor 
ins Hochdeutsche übertragen werden sollen. Selbst um den Stoff des 
Mantels und die Form des Halstuchs der Advokaten, für die er höchst- 
eigenhändig eine Zeichnung (S. 397) entwirft, bekümmert er sich. Es 
mag ihm eine besondere Genugtuung gewesen sein, als ihm des Mark- 
grafen von Bayreuth Liebden 1738 einen Regierungsrat zusandte, der 
sich in „dem bisherigen Finanz- und Wirtschaftswesen gründlich infor- 
mieren“ sollte und der kurmärkischen Kammer zur Ausbildung über- 
wiesen wurde (No. 249). Und in das Gebiet des Politischen fällt — 
gleichsam ein Anzeichen kommender Dinge — am Ende seiner Re- 
gierungszeit die Bestellung eines Agenten (Meyer) in Dresden mit 
200 Rthlr. Jahresgehalt, „sowie ungefähr der Langschmidt zu Han- 
nover“ (No. 519). Den Schluß dieses Bandes bilden (No. 553, 
S. 948ff.) Auszüge aus den Berichten des Grafen von Manteuffel an 
den Grafen von Brühl vom 11.—30. Mai 1740 (im Dresd. Hauptstaats- 
archiv, Loc. 457, Vol. XXXa) über die letzten Lebenstage Friedrich 
Wilhelms I. 

2) In der Abteilung „Getreidehandelspolitik‘“, deren erste 
beiden Bände 1896 und 1901 erschienen waren, führt der von W. Naudé 
begonnene, nach seinem Tode von A. Skalweit, dem wir ein vortreff- 
liches Werk über „Die ostpreußische Domänenverwaltung unter Friedrich 
Wilhelm I. und das Retablissement Litauens“ (hrsg. 1906) verdanken, 
hergestellte 3. Band in die Zeit Friedrichs d. Gr. ein. Er umfaßt nur 
die ersten 17 Jahre seiner Regierung, vom Ausbruch des 1. bis zum 
Ausbruch des 3. schlesischen Krieges, und legt den allmählichen Ausbau 
des von Friedrich Wilhelm I. überkommenen Systems dar, das später 
durch die Erfahrungen des Siebenjährigen Krieges zu der mustergültigen 
Ausbildung der Getreidehandelspolitik und Kriegsmagazinverwaltung ge- 
führt werden sollte. War des Vaters Getreideschutzzoll- und Magazin- 
politik, wie seine Agrarpolitik überhaupt, lediglich enge Domänenpvolitik 
des Kammerstaats gewesen, so erweiterte sie sich unter dem genialeren 
Sohne zu einer, die gesamte Landbevölkerung überhaupt gleichmäßig 
berücksichtigenden Wirtschaftspolitik mit neuen und hohen Zielen. 
Charakteristisch dafür ist einmal die auf Abwehr des Getreidemangels 
durch Hebung der heimischen Produktion gerichtete und durch zeit- 


688 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


weilige Ein- bzw. Ausfuhrbeschränkungen unterstützte agrarische Schutz- 
zollpolitik (S. 3ff., 59ff., 83£f.), die freilich zu einer Unterbindung 
des Getreideausfuhrhandels sowohl in Magdeburg wie in Stettin und 
den übrigen Ostseehäfen führte (S. 121ff.). Daneben steht als zweites 
Merkmal die Erweiterung und Reorganisation des Kriegsmagazinwesens, 
dessen Verwaltung dem 1746 neubegründeten 6. Departement des General- 
direktoriums unterstellt wurde, dessen oberste Leitung sich jedoch der 
König persönlich vorbehielt (S. 171ff.). Seine ebensowohl wirtschaft- 
lich regulierende und sozial fördernde (S. 235 ff.) wie militärisch grund- 
legende und politisch weitreichende Bedeutung hat sich wie dem Staats- 
wesen in seiner Gesamtheit, so insbesondere auch der Hauptstadt fühlbar 
gemacht, deren schnelles Aufblühen — ihre Bevölkerung vermehrte sich 
von 1740—50 um etwa 40 Proz. — vornehmlich durch diese Magazin- 
politik des Königs bedingt worden ist (S. 279 ff.). In 179 Nummern 
begleitet eine aus überreichem Material zusammengestellte Auswahl von 
Urkunden und Akten (S. 314—583) die eindringende Darstellung. 
Eine ganz besonders wertvolle Beigabe des Bandes aber bilden (S. 587 
bis 676) 13 Tabellen der Getreidepreise Brandenburg-Preußens von 
1740—1756 (mit 3 Anlagen), die vornehmlich aus den regelmäßigen 
Preisnotierungen der zum erstenmal hierfür herangezogenen amtlichen 
Intelligenzblätter gewonnen worden sind. 

3) Ein Werk, das methodisch wie stofflich seinesgleichen sucht, 
ist in der Abteilung „Münzwesen‘“ mit den Bänden 2—4 zu Ende 
geführt worden. Nur in kurzen Zügen kann hier das Wesentliche aus 
seinem reichen Inhalt herausgehoben werden. War der erste Band (1904) 
der Münzverwaltung von 1701—1740 gewidmet gewesen, so schildert 
der zweite zunächst die für die ganze Münzgeschichte Preußens grund- 
legende und im einzelnen bis dahin fast völlig unbekannte Periode von 
1740—1755: die Einführung eines ganz neuen, einheitlichen Münz- 
systems durch Friedrich d. Gr., des sogenannten Graumannschen Fußes. 
Sie bedeutete nicht nur münzpolitisch die unter Friedrich Wilhelm I. 
nur erst hinsichtlich der Goldprägung vollzogene völlige Emanzipation 
des friderizianischen Preußen vom Reiche, sondern auch die Notwendig- 
keit einer völligen Neugestaltung der Münzverwaltung. Daß hierbei 
Fehler und Mängel mitunterliefen, ist begreiflich. Aber der darüber 
erfolgte Bruch Friedrichs mit Graumann (1755) bedeutete noch nicht 
auch sogleich den allgemeinen Abgang von seinem Münzfuß. Diesen 
brachte vielmehr,. wie der dritte Band zeigt, erst die Münzverschlechte- 
rung der Kriegszeit (1759) zuwege, deren mannigfaltige Prägungen (1755 
bis 1765) insbesondere in Gestalt der sogenannten Ephraimiten (1759 
bis 1765) das ganze Elend dieses Kriegsgeldes enthüllen. Die heißen 
und zähen Bemühungen des Königs um eine Reorganisation des Münz- 
wesens nach dem Kriege (1763—65) führten nach der Episode der 
Ephraimiten zur Wiederaufnahme der Graumannschen Reformen ohne 
deren Uebertreibungen und Fehler, wenngleich auch die Folgezeit noch 
viel schweres Lehrgeld hat zahlen müssen. Davon berichtet der 
4. Band, der bis 1806 führt und die absolut-merkantilistische Zeit 
Friedrichs d. Gr. (1765—86) von der aufgeklärt-freihändlerischen seiner 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 689 


Nachfolger unterscheidet. Der wunde Punkt lag hier vor allem in einer 
zu umfangreichen Scheidemünzprägung (seit 1770), die immer wieder 
ein trübes Licht auf die preußische Münzpolitik wirft (besonders be- 
merkenswert sind die preußischen Prägungen unter russischem und fran- 
zösischenı Stempel), und in Schwierigkeiten, die durch die Schwan- 
kungen der Edelmetallpreise, die politischen Verhältnisse und anderes 
herbeigeführt wurden. Trotzdem hat der Graumannsche Münzfuß sich 
behauptet als die Grundlage des preußischen Münzwesens und weiter 
unseres heutigen Reichsmünzfußes. In jedem auch dieser 3 Bände folgen 
auf die Darstellung Akten und Tabellen. 

4) Eine ganz neue Abteilung tritt mit der „Handels-, Zoll- und 
Akzisepolitik‘“ auf den Plan. Schon gleich bei der Inangriffnahme 
der Acta Borussica (1887/88) ins Auge gefaßt, soll sie als das zu- 
sammenhaltende Band der übrigen wirtschaftspolitischen Teilpubli- 
kationen in deren Mittelpunkt treten und die staatliche Handelspolitik 
und ihre Durchführung durch Zoll und Akzise zur Anschauung bringen. 
Schmoller selbst hatte sich ihre Bearbeitung vorbehalten, hat sie dann 
aber mit seinen dafür gemachten Sammlungen doch in andere Hände 
legen müssen. H. Rachel, bekannt durch eine Reihe handelsgeschicht- 
licher Untersuchungen, legt nun hier den ersten Band vor, der, weit 
zurückgreifend, im ersten Buch (S. 3ff.) die Anfänge landesherrlicher 
Zoll- und Handelspolitik zunächst in der Mark Brandenburg vom 
15. Jahrhundert bis 1640, dann im zweiten (S. 181ff.) in den branden- 
burgischen Territorien von 1640—1713 (mittleres Staatsgebiet, Ost- 
preußen, westfälische Lande) behandelt, um im dritten Buch (S. 501 ff.) 
die Elemente und Anfänge gesamtstaatlicher Wirtschaftspolitik auf dem 
Gebiet der Akzise, der Manufakturpolitik und der inneren und äußeren 
Handespolitik darzulegen. Das urkundliche Material ist mit Rück- 
sicht auf seinen gewaltigen Umfang bis auf 6 Aktenstücke (S. 813—836) 
der Darstellung einverwoben worden. Den Abschluß des Bandes bilden 
auch hier tabellarische Beilagen sowie eine Erläuterung von Münz- und 
Maßbezeichnungen ; besonders verdienstvoll ist die Beigabe einer Straßen- 
und Zollkarte des mittleren Staatsgebietes: wohl das erste Veranschau- 
lichungsmittel dieser Art. 

Halle. K. Heldmanın. 


Frankfurter Amts- und Zunfturkunden bis zum Jahre 
1612. Herausgegeben von Karl Bücher und Benno Schmidt. (Veröffent- 
lichungen der Historischen Kommission der Stadt Frankfurt a.M.) 2 Bde. 
Frankfurt a. M. (Joseph Baer u. Co.) 1914. 

Bücher, Karl, Die Berufe der Stadt Frankfurt a. M. im Mittel- 
alter. (Abhandlungen der philologisch-historischen Klasse der Königl. 
Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. 30. Bd.) Leipzig (Teub- 
ner) 1914. D 

Seit der grundlegenden Publikation Karl Büchers über die Bevölke- 
rung des mittelalterlichen Frankfurtes wissen wir, daß wohl in keiner 
anderen deutschen Stadt jener Periode ein gleich verzweigtes Gewerbs- 
leben, eine so weitgehende berufliche Differenzierung geherrscht hat. 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 44 


690 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Schon damals, d. h. vor fast 30 Jahren, hat Bücher den Wunsch aus- 
gesprochen, einen Teil des bedeutungsvollen gewerberechtlichen und -ge- 
schichtlichen Materiales der breiteren Oeffentlichkeit zugänglich ge- 
macht zu sehen. War es ihm nun auch nicht vergönnt, selbst jenem 
Wunsche Erfüllung zu bringen, so legt uns doch jetzt sein Assistent 
B. Schmidt zwei stattliche Bände Frankfurter Zunfturkunden vor, denen 
sich ein dritter Band mit Urkunden zur Geschichte des „städtischen Be- 
amten und Halbbeanıtentumes“ anschließen soll. 

Die Bezeichnung Frankfurter Zunfturkunden rechtfertigt sich 
insofern, als die Publikation auch eine längere Reihe von Verordnungen 
des Rates, die sich mit der Regelung allgemeiner Handwerkerfragen 
beschäftigen, weil sie Gesellenordnungen und weil sie schließlich Bundes- 
briefe enthält, die über die Mauern der einzelnen Stadt hinausgreifend 
gleichgeartete Gewerbe verbanden. Das Hauptkontingent der Urkunden 
aber stellen die eigentlichen, d. h. vom Rate bestätigten Zunftordnungen. 
Sollten daneben in Frankfurt wirklich alle jene halboffiziellen Zusätze 
gefehlt haben, die vom Handwerk aus eigener Machtvollkommenheit 
beschlossen wurden, um unter Umständen niemals oder doch immer nur 
nach einer längeren Zeit gewohnheitsmäßiger Uebung bestätigt zu 
werden? Ich glaube doch kaum. Ihre Aufnahme in eine Publikation, 
die die Urkunden sämtlicher Zünfte einer großen Stadt sammelt, ist 
gewiß recht schwierig. Aber man muß sich dann auch darüber klar 
sein, daß ein tieferer Einblick in das Wachsen und Werden der Hand- 
werkerstatuten und der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die 
ihnen zugrunde liegen, nur bei Heranziehung dieser halboffiziellen Ur- 
kunden gewonnen werden kann, daß eine Publikation der Zunft- 
ordnungen allein immer nach gewissen Richtungen hin ein schiefes Bild 
gewähren wird. 

Dem Abdrucke der Urkunden hat der Herausgeber eine Einleitung 
von 92 Seiten vorausgeschickt, in der er sich mit Rücksicht auf die 
ältere Arbeit Büchers darauf beschränkt hat, die wichtigsten Seiten des 
Zunftlebens unter dankenswerter Angabe reichlicher Belegstellen zu 
streifen. Die Edition selbst ist, soweit ein Urteil ohne Vergleich mit 
den Originaldokumenten möglich erscheint, gut. Es soll auch 
dieser Beurteilung keinen Eintrag tun, wenn ich daran eine prinzipielle 
Bemerkung knüpfe, die sich mir aus eigener jahrelanger Beschäftigung 
mit Zunfturkunden ergeben hat. Die rasche Benützbarkeit einer solchen 
Quellenausgabe, namentlich zum Zwecke vergleichender Studien, würde 
außerordentlich gewinnen, wenn einmal dem Register eine kurze Zu- 
sammenstellung der wichtigsten Münz-, Maß- und Gewichtsverhältnisse, 
mit denen wir es in den Urkunden zu tun haben, vorangestellt würde. 
Des weiteren möchte ich einer stärkeren Ausbildung des Registers zum 
Glossar hin das Wort reden. Registerstellen wie „Riet, am Webstuhl...‘“, 
„Rohr, am Webstuhl . . .“, „Klude, Gewicht beim Wollhandel . . .“ sagen 
den meisten Benutzern gar nichts. Ich kenne selbst die Schwierigkeiten, 
die sich der Aufhellung mittelalterlicher Termini technici entgegen- 
stellen, sehr wohl, aber diese Schwierigkeiten sind für den Heraus- 
geber einer Urkundenpublikation viel geringer, wie für den Benutzer. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 691 


Der Herausgeber hat doch, von unrühmlichen Ausnahmefällen abge- 
sehen, die Urkunden nicht bloß mechanisch abgeschrieben, sondern sie 
auch ihrem Inhalte nach sorgfältig durchgegangen. Er hat sich in 
den durch den landschaftlichen Dialekt regelmäßig stark beeinflußten 
Wortschatz seiner Urkunden eingelebt, er kennt die Parallelstellen, durch 
deren Kombination häufig erst die Aufhellung des Wortsinnes möglich 
gemacht ist. So wird ihm das zu einer vergleichsweise leichten Neben- 
beschäftigung, was jedem Benutzer immer wieder die Notwendigkeit 
eines selbständigen und zeitraubenden Studiums auferlegt. 

Nun ist ja allerdings für unsern speziellen Fall dieser Wunsch zum 
Teil durch die obengenannte Publikation Büchers erfüllt worden, die 
fast gleichzeitig mit dem Quellenwerke erschienen ist. Bücher legt uns 
darin nach einer bestimmten Richtung die Frucht seiner jahrzehnte- 
langen Beschäftigung mit dem Frankfurter Archive vor. Er gibt uns, 
in der Form eines Wörterbuches gefaßt, ein Verzeichnis aller Berufs- 
bezeichnungen — es sind deren gegen 1500 — die sich hier bis zum 
Jahre 1510 vorfanden. Unter den ausgebeuteten Urkunden nehmen die 
Gewerbeurkunden fast den geringsten Platz ein. Hier marschieren wieder 
die Bede und Gerichtsbücher, die Ratsmemoriale, Bürger- und Rechnungs- 
bücher auf, deren Benützung schon die älteren Arbeiten Büchers jenen 
erstaunlichen Stoffreichttum zu verdanken hatten. Auch jetzt steht 
man wieder gebannt vor der Fülle exzerpierender, sichtender und Stoff 
gestaltender Arbeit, die uns hier in einem sehr unscheinbaren Gewande 
entgegentritt. Aber ihr Gewinn ist dafür auch groß und vielseitig. Ich 
sehe ganz von der Befruchtung der Sprachforschung ab, so bedeutsam 
sie auch sein mag, denn fast unerschöpflich ist schon die Einsicht, die 
uns die einzelnen Namensfeststellungen, oft bis zum Range kleiner mono- 
graphischer Artikel erhoben, in die wirtschaftlichen, sozialen und tech- 
nologischen Verhältnisse jener Periode gewähren. Aus der äußerlich so 
trockenen Aneinanderreihung der Belegstellen gewinnen wir Nachrichten 
über die Zeit, in der die einzelnen Berufe auftreten, ihren Höhepunkt 
erreichen, verschwinden bzw. durch andere, die mit einer neuen Technik 
oder mit der Veränderung der wirtschaftlichen Unterlagen emporkommen, 
abgelöst werden. So baut sich aus den kleinen und kleinsten Mosaik- 
steinen ein Bild der mittelalterlichen Sozial- und Wirtschaftsverfassung 
auf, das von der bisherigen Anschauung doch in wesentlichen Punkten 
abweicht. Bücher hat schon früher auf die sachliche und zahlenmäßige 
Bedeutung des städtischen Beamten- und Halbbeamtentumes jener Zeit 
hingewiesen, ohne damit, soweit ich sehe, die späteren Darstellungen 
durchschlagend zu beeinflussen. Jetzt sprechen allein die Hunderte von 
Namen dieser Bevölkerungsgruppe eine zu lebhafte Sprache, als daß man 
an jerer Konstatierung künftig vorübergehen könnte. So bildet das 
Berufsverzeichnis zugleich eine verheißungsvolle Ueberleitung zu dem an- 
gekündigten dritten Bande der Urkundensammlung, der uns ja, wie schon 
erwähnt, die wichtigsten Urkunden über diese Institutionen vorführen soll. 

NB. Könnte das nur unsicher erklärte Wort „gyseler“ nicht iden- 
tisch sein mit Geißler, das mir in Urkunden aus dem 16. Jahrhundert 
in der Bedeutung von ambulantem Fleischer und Viehhändler vor- 


44* 


692 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


gekommen ist, aber auch noch andere Schattierungen zu haben scheint. 
So bildeten in Breslau diese Geißler neben den Fleischern eine be- 
sondere Innung mit eigenen Fleischbänken. (Markgraf, Zeitschr. des 
Ver. f. G. u. A. Schlesiens, 1884.) 

Halle. Gustav Aubin. 


Boerner, A., Kölner Tabakhandel und Tabakgewerbe. 1628 bis 
1910. (Veröffentlichungen des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs 
in Köln, Bd. 2.) Essen (Baedeker) 1912. XIII u. 249 SS. 2 Tab. 8°. 
Geb. 6 M. 

Der Wert des Boernerschen Buches liegt weniger in der Darstellung 
der neueren, als vielmehr der älteren Zeiten des Kölner Tabakgewerbes 
begründet. Das wird weniger vom Verf. als von seinem Stoff bewirkt, 
da die Bedeutung Kölns innerhalb der deutschen Tabakindustrie von 
der eines Platzes allerersten Ranges stark zusammengeschrumpft ist 
und jetzt eigentlich mehr nur in der Herstellung von einigen Schnupf-, 
Rauch- und Kautabaken besteht, neben denen die der Zigarren und gar 
der Zigaretten noch unwesentlicher ist. 

In der älteren Zeit dagegen bietet das Kölner Tabakgewerbe recht 
beträchtliche und nach vielen Seiten hin interessante Tatsachen dar, 
die Verf. ausführlich schildert und mit denen er uns einen wichtigen 
Beitrag zur Entstehungsgeschichte der modernen deutschen Industrie 
überhaupt bietet. Die Kölner Tabakfabrikation entstand auf der Grund- 
lage des Kölner Handels, der bekanntlich zum Teil mit auf dem Stapel 
fußte, der sowohl die von Holland kommenden überseeischen Waren 
als auch den Tabak der Pfalz ans Ufer der Stadt nötigte und ferner, 
nachdem ihr die Entwicklung des Tabakgenusses in der Stadt voraus- 
gegangen war. Dieser begann nach dem Verf. unter dem Einflusse der 
ausländischen Truppen des 30-jährigen Krieges und die vielleicht damit 
zusammenhängende scheinbar erste Erwähnung gab ihm die Veranlassung 
zu dem im Titel des Buches stehenden Anfangsdatum. Es ist jedoch nie 
empfehlenswert, die Anfänge allgemeiner Zustände, wie sie auch hier 
vorliegen, so bestimmt zu datieren, sondern es ist geratener, sie nur un- 
gefähr festzulegen. Tatsächlich ist auch hier jemand gekommen und 
hat dem: Verf. schleunigst in der Kölnischen Zeitung nachgewiesen, 
daß in Köln bereits so um das Jahr 1600 Tabakspfeifen erwähnt 
werden! 

Die Arbeit Boerners — das Ergebnis eines fleißigen Studiums an 
der Kölner Handelshochschule — trägt hier und da noch Merkmale, die 
man meist bei Leistungen historisch-wissenschaftlicher Anfänger und 
zumal, wenn sie aus Akten arbeiten, feststellen kann. Sie geht häufig 
zu sehr in die Breite, ohne daß dadurch nebenher etwa bezeichnende 
oder interessante kultur- und wirtschaftsgeschichtliche Erscheinungen mit 
zutage gefördert würden. (Das gleiche war übrigens auch schon bei 
Bd. I der Veröffentlichungen des Archivs, K. Kumpmanns Rheinischer 
Eisenbahn, der Fall!) Sie entbehrt auch häufig der tieferen entwick- 
lungsgeschichtlichen Fundierung der Tatsachen des Themas, die aller- 
dings hier nur demjenigen möglich ist, der sich des weiteren bei den 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 693 


verwickelten und vielgestaltigen Zusammenhängen des rheinischen und 
kölnischen Wirtschaftslebens eingebürgert hat. 

So verknüpft sich der bedeutende Handel mit pfälzischen Tabaken 
z. B. eng mit dem sehr alten großartigen Weinhandel der Kölner in der 
Pfalz, und der Umstand, daß sich die Tabakindustrie in der Stadt rasch 
bis zur Höhe von 500 Beschäftigten im 18. Jahrhundert empor- 
schwingen konnte, erklärt sich mit den vielen dort brach liegenden 
Menschenkräften, die ein Charakteristikum der sozialen Entwicklung der 
großen Reichsstadt seit dem Ende des 16. Jahrhundert waren. Der Rat 
ließ ausdrücklich aus sozialpolitischen Gründen die neue Tabakindustrie 
von zünftlerischem Zwange frei, um den unteren Volksschichten Be- 
schäftigung und Nahrung zu verschaffen. 

Von der Kölner Tabakindustrie sind ferner Anregungen auf andere 
rheinische Gegenden und Gewerbe ausgegangen. Sie hat eine Tochter- 
industrie in der rechtsrheinischen Nachbarschaft der Stadt, besonders in 
Mülheim, hervorgerufen, ein Seitenstück zu der von Köln nach dort aus- 
gewanderten Seidenindustrie. Sie rief in den Töpferdörfern der west- 
lichen Nachbarschaft eine bedeutende Pfeifen- und Pfeifenkopfindustrie 
ins Leben, in Köln und den Bleidörfern der Eifel die Herstellung von 
bleiernen Tabaksdosen, und im Bergischen Lande die von starken 
Tabakspapieren. In Köln entstand ein besonderes Pfeifenschlauch- 
gewerbe, das sich auch im Wuppertal ansiedelte. Wenn es sich hier 
teilweise auch nur um relativ kleinere volkswirtschaftliche Erschei- 
nungen handelt, so ist es doch immerhin instruktiv, den ganzen Bereich 
eines Industriezweiges bloßzulegen. 

Das alles ist aber kein Hindernis, daß man das junge, aufblühende 
rheinisch-westfälische Wirtschaftsarchiv zu seinem Bestreben, nicht nur 
zu sammeln, sondern auch zu verarbeiten, bei diesem Buche nur be- 
glückwünschen kann. 

Köln. Kuske. 


Frahne, Dr. Carl, Das Wirtschaftsleben Schwedens. Ein Ueberblick auf 
statistischer Grundlage, unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-schwe- 
dischen Wirtschaftsbeziehungen. Diss. Berlin, Emil Ebering, 1914. gr. 8. 166 SS. 
mit 1 Kartenskizze. M. 4.—. 

Sander, Aug., Osnabrück und das Wirtschaftsgebiet der Ems. (Soziale 
Studienfahrten. Hrsg. vom Sekretariat sozialer Studentenarbeit, 11. Bd.) M.-Glad- 
bach, Volksvereins-Verlag, 1914. 16. 173 SS. mit Abbildungen. M. 1.—. 


Bahi, Ricc., D'Italia economica nell’anno 1913: annuario della vita 
commerciale, industriale, agraria, bancaria, finanziaria e della politica economica. 
Anno quinto. Città di Castello, casa ed. S. Lapi, 1914. 8. XV—313 pp. 1. 4.—. 


3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung 
und Kolonisation. 

Fornasari Di Verce, Ett., Demologia generale: introduzione allo studio 
della scienza della popolazione. Lucca, tip. Landi, 1913. 8. 96 pp. 

Montesarchio, Alf., Emigrazione e analfabetismo. Sulmona, tip. Sociale, 
1914. 16. 55 pp. 

Pagnone, Car., L’emigrazione, l'organizzazione e la condotta degli emi- 
granti. Tirano, tip. Fiorentini e ©., 1914. 16. 40 pp. 

Spada, Fr., La colonizzazione della Libia. Bologna, N. Zanichelli, 1914. 
16. 110 pp. 1. 1,50. 


694 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen. 


Benetsch (Ober-Ing.), Dr. A., Die volkswirtschaftliche Bedeutung der 
Torfmoore und Wasserkräfte, unter besonderer Berücksichtigung der Luftstickstoff- 
frage. Berlin, Franz Siemenroth, 1914. gr. 8. V—229 SS. mit 10 Abbildungen 
(auf 5 Tafeln), 2 weiteren Tafeln, 17 Fig. und 35 (eingedr.) Tab. M. 5,50. 

Dern, Aug., Weinbau und Weinbehandlung. (Thaer-Bibliothek, Bd. 87.) 
Berliu, Paul Parey, 1914. 8. VIl—146 SS. mit 69 Abbildungen. M. 2,50. 

Seelhorst (Geh. Reg.-Rat), Prof. Dr. Conr. v., Handbuch der Moor- 
kultur. 2. gänzlich neubearb. Auflage von „Acker- und Wiesenbau auf Moor- 
boden“. Berlin, Paul Parey, 1914. 8. VIII—336 SS. mit 33 Abbildungen und 
4 Tafeln. M. 9.—. 

Winckel, Dr. Max, Krieg und Volksernährung. München, Carl Gerber, 
1914. gr. 8. 28 SS. M. 0,80. 


Siotto (avv.) Pelopida, Agricoltura e credito agrario In Sardegna. 
Sassari, tip. della Livertä, 1914. 8. 23 pp. 


5. Gewerbe und Industrie. 


Bock, Otto, Die Ziegelei als landwirtschaftliches und selbständiges Ge- 
werbe. 4. neubearb. Auflage, hrsg. von (Ziegelei-Ingen.) A. Nawrath (Thaer- 
Bibliothek, Bd. 7). Berlin, Paul Parey, 1914. 8. 1V—147 SS. mit 118 Abbildungen. 
M. 2,50. 

Hoemer, Hans, Die Baumwollspinnerei in Schlesien bis zum preußischen 
Zollgesetz von 1818. (Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte. 
Bd. 19.) Breslau, Ferdinand Hirt, 1914. 8. VI—83 SS. M. 2,25. 


6. Handel und Verkehr. 

Hennig, Richard, Die Hauptwege des Weltverkehrs. Jena 
(Gustav Fischer) 1913. 301 SS. 

Die Arbeit von Hennig schließt sich an seine früheren Veröffent- 
lichungen unmittelbar an, zum Teil in so hohem Grade, daß längere 
inhaltliche Wiederholungen vorliegen. Sie ist der Vereinigung für staats- 
wissenschaftliche Fortbildung zu Berlin gewidmet, sie ist aber nicht, 
was sich aus dem Vorwort folgern ließe, auf Veranlassung der Ver- 
einigung in den Druck gegeben worden. Die Darstellung der Hauptwege 
des Weltverkehrs, die Verf. in dem vorliegenden Buch geben will, gliedert 
sich in „die Hauptwege des Seeverkehrs und die Seekanäle‘, „die Haupt- 
wege der Binnenschiffahrt‘‘ und „die Hauptwege des Landverkehrs‘“. 
Die Unterteilung in den Abschnitten erfolgt nach dem äußer- 
lichen Merkmal der örtlichen Gegebenheit jedes Verkehrsweges. Die 
geographische Betrachtungsweise ist vorherrschend, wie sie auch ent- 
scheidend ist für die Berücksichtigung (ef. S. 54, Anm. 1; S. 143). Was 
Hennig an Einzelheiten bringt, ist unter diesem Gesichtswinkel gesehen 
regelmäßig richtig erfaßt und gut wiedergegeben; kleine Unstimmig- 
keiten kommen indessen vor. Würde Verf. sich streng auf die Orientie- 
rung der geographischen Probleme beschränken, so wäre kein Anlaß 
gegeben, genauer auf den Inhalt, die Darstellung und die Methode ein- 
zugehen, indem man es den Verkehrsgeographen überlassen könnte, sich 
mit dem Buch abzufinden. 

Verf. will jedoch mehr. Die Abhandlung soll einer noch zu 
schaffenden „Wissenschaft vom Weltverkehr“ dienen. Die neue 
Wissenschaft, für welche die alte, schlechthin „Verkehrswesen“ genannte 
Disziplin naturgemäß nicht mehr genügt, müsse zusammengesetzt sein 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 695 


aus „sehr verschiedenen Elementen mehrerer anderer Wissenschaften“. 
Dazu hat sich der Autor bemüht, „geographische, wirtschaftliche, tech- 
nische, historische, historische, politische und auch militärische Gesichts- 
punkte in gleicher Weise zu berücksichtigen“ (S. V). Den Zweck der 
wahllosen Vermengung vermag man schwer einzusehen und er wird selbst 
nach der Lektüre wenig klarer erkennbar. Zudem wird man fragen 
müssen: was sind Gesichtspunkte ? Beispielsweise in der Statistik. Viel- 
leicht die gelegentliche Beibringung einiger Zahlen oder Zahlenreihen ? 
Jene sind die positiven Elemente der Weltverkehrswissenschaft. Was sie 
nicht zu bringen hat, was mithin „Aufgabe der Spezialwissenschaften“ 
bleibt, wird dann mitgeteilt. „Das juristische, verwaltungstechnische und 
tarifarische Moment‘ sei „hingegen auszuschalten“ (S. V). Die Ab- 
trennung der beiden ersten „Momente“ läßt sich vielleicht begründen. 
Daß aber die Tarifpolitik in der neuen Disziplin unberücksichtigt bleiben 
soll, ist kaum glaublich. Nach bisherigen Erfahrungen sind sämtliche 
Verkehrswege gebaut worden, damit sie benutzt werden; daß für den 
Umfang der Ausnutzung die Festsetzung der Tarife ausschlaggebende 
Bedeutung hätte, war bisher gleichfalls allgemeine Erfahrungstatsache. 
Schaltet man das Tarifwesen aus, so hat man es mit einer bloßen Auf- 
zählung der einzelnen Kanäle und Bahnlinien, ihrer Länge und Bau- 
geschichte und allenfalls noch ihrer geographischen Umgebung zu tun. 
Das ist denn auch schließlich das, was Hennig in seinem Buche bringt. 
Die schärfsto Kritik hat er selbst geschrieben, er habe sich bemüht, „ein 
Werk zu liefern, das jedem Beruf etwas bietet“ (S. V). Damit könnte 
man die Veröffentlichung auf sich beruhen lassen. Aber Verf. schmeichelt 
sich (am Schluß des Vorworts), einige Bausteine zu dem neuen Gebäude 
geliefert zu haben. 

Inwiefern hat die Arbeit der noch zu schaffenden Wissenschaft die 
Wege geebnet? Im Abschnitt über die Hauptwege des Seeverkehrs und 
die Seekanäle wird im wesentlichen nichts anderes als die Geschichte und 
der Bau der Seekanäle erzählt. Sehr ausführlich gelangen die Wege der 
Binnenschiffahrt zur Darstellung. Dies wird damit begründet, daß die 
größten Zuträger des überseeischen Güterverkehrs aus dem Inlande 
„allenthalben, wo nicht die natürlichen Verhältnisse es von selbst ver- 
bieten, die Wasserstraßen“ (S. 54) sind. In Deutschland habe sich in 
10 Jahren die Zahl der Tonnenkilometer auf den Binnenwasserstraßen 
prozentual ungleich schneller vermehrt als die Zahl der Eisenbahntonnen- 
kilometer. Verf. geht allerdings auf die Zusammensetzung des Fracht- 
gutes mit keinem Worte ein. Immerhin ist die Einordnung der Binnen- 
schiffahrtswege in die Weltverkehrswissenschaft gelungen; und nun wird 
jeder kleine und kleinste Kanal besprochen. Wer dächte z. B. an den 
Plauer- oder den Stecknitzkanal als Hauptweg des Weltverkehrs. In- 
direkt haben sie natürlich auf internationale Wirtschaftsbeziehungen in 
beschränktem Umfange gewirkt. Aber will man den Rahmen so weit 
spannen, dann könnte jeder schiffbare Graben zu einem Weltverkehrsweg 
werden, denn schließlich ist der Güteraustausch über die Erde derart 
intensiv verflochten, daß sich auch eine solche Einordnung mit einigem 
guten Willen begründen läßt. Dasselbe gilt von der Auswahl’ der 


696 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Eisenbahnen, die unter dem Titel: Hauptwege des Landverkehrs abge- 
handelt werden. Einerseits werden die Anschlußbahnen Griechenlands 
und des Balkan, über welche die belanglosesten Einzelheiten mitgeteilt 
werden, die kolonialen Stichbahnen in Afrika usw. ausführlich geschil- 
dert, während andererseits die großen pazifischen Eisenbahnsysteme der 
Vereinigten Staaten und Kanadas mit wenigen Sätzen abgetan werden 
und das britisch-indische Bahnsystem überhaupt nicht berücksichtigt 
wird. „Dennoch ist, eben wegen der fehlenden Verbindung mit den 
übrigen Bahnen des Erdteils, eigentlich keine einzige seiner Linien als 
eine Weltverkehrsstraße großen Stiles zu bezeichnen“ (S. 230). Solcher 
Widersprüche gibt es noch viele. 

Sie alla erklären sich daraus, daß dem Verf., trotzdem er fast auf 
jeder Seite von Weltwirtschaft und Weltverkehr spricht, das Verständnis 
für eine wirtschaftswissenschaftliche Problemstellung, jede begrifflich 
logische Schulung fehlt. Welches denn eigentlich die Wesensmerkmale 
einer Weltverkehrslinie sind, wird nirgends gesagt. Lediglich an zwei 
Stellen läßt sich das ahnen. Einmal bei der Ausscheidung der indischen 
Bahnen (S. 230); es sei eine Verbindung mit den übrigen Bahnen des 
Erdteils nötig.. Man fragt sich freilich, zu welchem Zweck die vielen 
rein nationalen Bahnlinien und sogar Bahnsysteme in das Buch aufge- 
nommen sind. Sodann bei der Besprechung der Ugandabahn (S. 255); 
es sei eine Bahn, deren Wirkungsbereich erheblich über die Grenze 
lokaler Bedeutung hinausgehe. Man stellt unwillkürlich die Frage: 
was ist erheblich? Sind es 5000 t Beförderung oder 50000 t? Darüber 
hinaus findet sich eine Begründung für die Aufnahme und mithin für 
die Kennzeichnung als Hauptweg des Weltverkehrs nicht, es sei denn, 
daß sie in Ausrufungszeichen zu suchen ist und in schmückenden Bei- 
wörtern wie wichtig, hochwichtig, bedeutend, hochbedeutsam, hoch- 
interessant, modern, die gelegentlich bis zu zwei- und dreimal auf einer 
Seite sich häufen und noch durch die Charakterisierung als zweifellos 
eine weitere Steigerung erfahren. Es wird niemand behaupten wollen, 
daß auf solche Weise ein einwandfreies wissenschaftliches Einteilungs- 
prinzip gewonnen wird. 

Gehen wir auf die Durchführung im einzelnen ein. Die Quellen, 
auf die Verf. sich stützt, sind vorwiegend Zeitschriftenaufsätze. Voran 
stehen verkehrsgeographische und verkehrstechnische Abhandlungen und 
in ganz ungewöhnlichem Maße Aufsätze seiner eigenen Zeitschrift. Die 
wirtschaftswissenschaftliche Literatur hat sehr selten Erwähnung ge- 
funden. Das, was in dieser Hinsicht z. B. angegeben wird für die 
Schweiz, Frankreich, die Vereinigten Staaten und Kanada, ist äußerst 
dürftig. Zudem sind die zitierten Stellen zum Teil sehr alt; z. B. wird 
für den Stand der Binnenschiffahrt in Spanien und Portugal ein Bericht 
aus dem Jahre 1890 genannt. Das reichsstatistische Jahrbuch wird in 
einer Anmerkung herangezogen, im übrigen hat noch das australische 
Jahrbuch und das westaustralische an je einer Stelle Dienste geleistet. 
Es ist deshalb nicht unberechtigt, zu behaupten, daß das Urmaterial dem 
Verf. unbekannt blieb. Sollten jedoch „wirtschaftliche und statistische 
Gesichtspunkte“ die angekündigte Berücksichtigung finden, so war eıne 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 697 


genaue Bekanntschaft gerade mit diesem Urmaterial unbedingte Voraus- 
setzung. 

Die Darstellung ist oft recht lebendig. An anderen Stellen sinkt 
sie allerdings zu einer monotonen Aufzählung vieler Namen herab. Nicht 
selten ist sie weitschweifig und zwar trotz der im Vorwort angekündigten 
Selbstbeschränkung historisch weitschweifig. Wiederholungen finden sich 
häufig (z. B. S. 180, 199/200, 225, 244, 262, 271). Dem Verf. ist es 
nicht gegeben, streng im Rahmen der Gesamtdisposition zu bleiben! 
Zu einem Teil führt ihn seine Freude an technischen Errungenschaften 
auf Abwege. Es werden z. B. alle Rekorde mitgeteilt, ohne daß der 
Zusammenhang mit dem Weltverkehr verständlich wird. Zum andern 
Teile ist es seine Freude, Material zu haben zu einem Exkurs. Als 
Beweise genügen die Betrachtungen über die Trustbestrebungen in Süd- 
amerika (S. 272) und als ganz besonders charakteristisch, die im An- 
schluß an das Jahrbuch des Norddeutschen Lloyd wiedergegebenen 
Tabellen über die Zahl der Segler und Dainpfer, über die Größe der 
einzelnen Schiffahrtsgesellschaften, über den Anteil der Flaggen usw. 
(S. 46ff.), ferner die Erörterungen über die Bedeutung der Reichspost- 
dampferlinien (S. 50). Alles dies berührt die Hauptwege des Welt- 
verkehrs, wie sie Hennig versteht, nicht und sein Versuch der Be- 
gründung (S. 52) macht das noch deutlicher. Wenn indessen jene Zahlen 
gebracht werden, warum lediglich bei dem Seeverkehr, warum nicht bei 
der Binnenschiffahrt und dem Eisenbahnverkehr ? Allerdings sind die 
Angaben schwerer zu beschaffen, aber sie sind zu erlangen. Es kann 
nicht als üblich bezeichnet werden, zufällig vorliegendes Material aus- 
zubeuten. 

Allo gerügten Mängel der Darstellung und des Aufbaues ver- 
schwinden indessen noch vor den Mängeln der Schlußfolgerungen. Verf. 
bezeichnet im Vorworte (S. VI) als „wichtigste Aufgabe der Verkehrs- 
forschung‘, die er zu seinem Teil lösen will, die „Ergründung der 
bisher noch sehr unvollkommen bekannten festen Gesetze, nach denen 
jegliche Verkehrsabwicklung sich regelt (Harms ‚regelndes Prinzip‘).“ 
Hennig ist so bar der elementarsten wirtschaftswissenschaftlichen 
Kenntnisse, daß er das „regelnde Prinzip“ mit dem Namen von Harms 
(„Volkswirtschaft und Weltwirtschaft‘, III, 1) verknüpft und gar nicht 
weiß, daß jenes „Prinzip“ zum eisernen Bestand der Lehrbücher gehört, 
ganz abgesehen davon, daß über die Bedeutung, die Harms ihm zumißt, 
und über die Schwierigkeit des Erkundens sich sehr streiten läßt. Dabei 
vermag Verf. in der Harmsschen „Weltverkehrsgesellschaft“, deren 
„regelndes Prinzip“ es zu erforschen gelten soll, nicht zu scheiden 
zwischen Verkehr gleich Güteraustausch, worum es sich ausschließlich 
handelt, und Verkehr gleich Verkehrswege und Verkehrsmittel. Von 
nicht tieferer Einsicht zeugt die Aufstellung seiner Verkehrs,‚gesetze“. 
Da sie überwiegend als verkehrsgeographische Gesetze (S. 1) bezeichnet 
werden, darf die Beurteilung der Fachwissenschaft überlassen bleiben. 
Zu ihrer Charakterisierung sei allein das „Grundgesetz“ in der Ausge- 
staltung der Binnenschiffahrtsstraßen (S. 62) angeführt; es „lautet 
dahin, den Landesteilen möglichst kurze und gute Verbindungen zum 


698 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


nächstgelegenen, gut brauchbarem See- oder Ozeanhafen zu bieten“. In 
das Gebiet der Verkehrslehre fällt jedoch das „Gesetz des Seeverkehrs- 
lebens“, zu dem Hennig am Schluß gelangt (S. 283): „Die Bedeutung 
einer zwischen zwei getrennten Schiffahrts- und Kulturgebieten ver- 
laufendeu Verbindungsbahn wächst im Personen- und Postverkehr direkt 
proportional, im Güterverkehr umgekehrt proportional der Länge der 
Bahn.“ Vergebens sucht man nach dem Material, auf Grund dessen der 
Autor sich glaubt berechtigt zu sehen, das Gesetz aufzustellen. Es wird 
unmöglich nur in den vorangeschickten Worten zu suchen sein, wonach 
. das Gesetz „den durehschnittlichen Verhältnissen beim Fehlen 
paralleler Schiffahrtswege jedenfalls gut (sic!) entsprechen wird“. 
Kommen wir zum Schluß. Die Arbeit ist als Nachschlagewerk 
über einzelne Verkehrswege im ganzen brauchbar. Soweit sie mehr sein, 
insbesondere soweit sie einer „Wissenschaft vom Weltverkehr‘‘ die Grund- 
lage verschaffen will, ist sie ein untauglicher Versuch mit untauglichen 
Mitteln. Die Beurteilung mag hart klingen. Sie ist es aber nicht. Und 
es ist um so notwendiger, die Dinge bei ihrem wahren Namen zu nennen, 
je mehr neuerdings „Weltwirtschaft“ und „Weltverkehr“ zu unklaren 


Schlagwörtern werden. 
Kiel. Friedrich Hoffmann. 


Außenhandel, Der, der Vereinigten Staaten von Amerika. Hrsg. von 
der Geschäftsführung des Zentralverbandes deutscher Industrieller. Berlin, Her- 
mann Bahr, 1914. gr. 8. 121 SS. M. 3,50. 

Encyklopädie des Eisenbahnwesens. Hrsg. von Dr. Frhr. v. Röll. 2. voll- 
ständig neubearb. Auflage, Bd. 6. Wien, Urban u. Schwarzenberg, 1914. Lex.-8. 
VIll—484 SS. mit 281 Abbildungen, 3 farb. Eisenbahnkarten und 6 Tafeln. 
M. 18,50. 

Klaas, Friedr., Das Einkaufswesen und seine Organisation in der Groß- 
Industrie. Aus der Praxis. (Bibliothek der gesamten Technik, Bd. 232.) Mit be- 
währten Formularen, Abbildungen und Tabellen. Leipzig, Dr. Max Jänecke, 19)4. 
gr. 8. IV—41 SS. M. 2.—. 

Zollkompaß. Red. und hrsg. vom k. k. Handelsministerium. 6. Bd. 
Zoll- und handelsrechtliche Bestimmungen. Wien, Manz, 1914. Lex.-8. X— 
322 SS. M. 8,50. 


Cessi, Benvenuto, Storia del commercio. Livorno, R. Giusti, 1914. 
16. IX—128 SS. l. 1.—. 

Cessi, Rob., Le relazioni commerciali tra Venezia e le Fiandre nel 
secolo XIV. Venezia, tip. ©. Ferrari, 1914. 8. 116 pp. 

Testo unico del repertorio per l’applicazione della tariffa dei dazi 
doganali del regno d'Italia. (Ministero delle finanze: direzione generale delle 
gabelle.) Roma, tip. Nazionale, di G. Bertero e C., 1914. 8. 812 pp. 

Bijdragen tot de geschiedenis van den Nederlandschen boekhandel. Uit- 
gegeven door de Vereeniging ter bevordering van de belangen des boekhandels. 
X. M. M. Kleerkooper, De boekhandel te Amsterdam voonamelijk in de 
l7e eeuw. Biographische en geschiedkundige aantekeningen verzameld. Aangevald 
en uitgegeven door W. P. van Stockum. Ze gedeelte. ’s-Gravenhage, Mart. Nijhoff. 
gr. 8. 321—640 blz. fl. 6.—. 

7. Finanzwesen. 

Budde (Geh. Staatsrat a. D.), Grundsätze unserer Bodenbesteuerung. Vor- 
träge auf der parlamentarischen Konferenz am 22. 5. 1914. (Schriften des Schutz- 
verbandes für deutschen Grundbesitz. Hrsg. vom Verbandsdirektor Präs. a. D. Dr. 
R. van der Borght, Heft No. 21.) Berlin, Schutzverband für deutschen Grund- 
besitz, 1914. 8. 39 SS. M. 0,40. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 699 


Hartung (Geh. Ob.-Finanzrat), Hugo, Die finanzielle Rüstung der 
kriegführenden Staaten. Berlin, F. Fontane u. Co., 1914. 8. 30 SS.” M. 0,50. 

llliger (Reg.-Rat), Friedr., Schankerlaubnis und Schankerlaubnissteuer, 
zum Gebrauche für Behörden und Private. Berlin, Carl Heymann, 1914. gr. 8. 
XVI—228 SS. M. 6.—. 

Kosten- und Stempelgesetzgebung, Die bayerische, in der Fassung 
des Gesetzes vom 21. 8. 1914. Textausgabe mit Einleitung und Sachregister und 
einem Anhang, das Reichs-Gerichtskostengesetz enthaltend. München, C. H. 
Beck, 1914 8. XV—222 SS. M. 2,25. 

Kramer (Stadt-Rechnungsdirektor), G., Moderne Revisions- und Kontroll- 
einrichtungen im kommunalen Rechnungs- und Kassenwesen. Berlin, Franz Vahlen, 
1914. gr. 8. 45 SS. M. 1.—. 

Peters, Dr. Fritz, Lehrbuch der Staatsverrechnung. 1. Teil: Allgemeine 
Verrechnungskunde. Prag, K. Andresche Buchhandlung, Max Berwald, 1914. 
gr. 8. 287 SS. M. 8,50. 

Reichsabgaben-Stundungsordnung für Preußen. Hrsg. vom Kgl. 
Preuß. Finanzministerium. Berlin, Trowitzsch u. Sohn, 1914. gr. 8. 90 SS. M. 1,80. 


Behar, dott. Yakir, Le finanze turche: le contribuzioni dirette nel’- 
l'impero ottomano. Bologna, N. Zanichelli, 1914. 8. XVI—202 pp. 1. 6.—. 

Cassa, (La) di risparmio in Bologna, nel settantacinquesimo anno della 
sua fondazione, 1837—1912. Bologna, Regia tip. fratelli Merlani, 1914. 4. 111 pp. 
con tavola. 

Seassaro, Ces M., L’imposta militare in Italia. Milano, Societä editrice 
libraria, 1914. 8. 27 pp. 

Strazzulla, Gius., Scritti di diritto finanziario. Messina, tip. P. Trin- 
chera, 1913. 8. 199 pp. 1. 5.—. 


8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen. 


Arnold, Ernst Günther, Untersuchungen über die Diskontie- 
rung von Buchforderungen und ihre volkswirtschaftliche Bedeutung in 
Deutschland. München 1913. 

Verf. ist zweifellos von dem Wunsch erfüllt, der Diskontierung 
von Buchforderungen die Wege zu ebnen, ihr Freunde zu gewinnen. Wo 
er auf die angeblichen Vorteile zu sprechen kommt, legt er diese in aller 
Ausführlichkeit dar, während er die geltend gemachten Zweifel und 
Bedenken kurz erledigt, indem er sie für unbegründet und unbewiesen 
erklärt und von der Entwicklung des Geschäftszweiges sich das Beste 
verspricht. Und der von ihm aus den Untersuchungen selbst gezogene 
Schluß: „Fassen wir nun abschließend — schreibt er — alle volkswirt- 
schaftlichen Gesichtspunkte für die Beurteilung der Diskontierung von 
Buchforderungen nochmals zusammen, so wäre es Uebertreibung, die 
neue Kreditform als außerordentlich bedeutsame Errungenschaft zu 
preisen. ... Jedenfalls erscheint uns die Gruppe der Detaillisten, 
Kleingewerbetreibenden und Handwerker, die direkt mit dem Konsu- 
menten arbeiten, der neuen Kreditform bedürftiger als Fabrikanten und 
Großhändler. Die Schwierigkeiten der Durchführung des Buchdiskonts 
sind jedoch gerade bei den ersteren größer.“ Das dürfte eigentlich — zur 
Ablehnung der Diskontierung von Buchforderungen als Geschäftszweig 
bei Kreditinstituten doch genügen. Jedenfalls ist das Ergebnis nicht 
gerade verheißungsvoll und paßt schlecht zu den warmen Worten der 
Befürwortung in den früheren Kapiteln. 

Die geschichtliche Darstellung der Diskontierung von Buchforde- 
rungen ist vielleicht sehr stark beeinflußt durch die Hochachtung, die 


700 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


einen Frankfurter Kaufmann Benario entgegengebracht wird, der in 
der Frankfurter Zeitung im August 1907 die Diskontierung der Buch- 
außenstände behandelte. Es geht viel zu weit, ihn gewissermaßen als 
den Erfinder zu bezeichnen. 

Arnold behandelt eingehend „Begriff und rechtliche Qualität der 
Buchforderungen“. Dabei stößt er gleich auf ein Hindernis für die 
Ausbreitung dieses Geschäftszweiges, nämlich auf den Mangel einer 
ordnungsmäßigen Buchführung gerade bei den Kreisen, die nach dieser 
Kreditquelle am lautesten rufen. Es scheint, daß die Diskontierung von 
Buchforderungen beschränkt werden soll auf eingetragene Kaufleute, weil 
„für diese eine gesetzliche Buchführungspflicht besteht“. Es wird heute 
vielfach die Erweiterung der Buchführungspflicht angeregt — vielleicht 
nicht mit Unrecht. Und wenn die Erörterungen über die Diskontierung 
von Buchforderungen den Erfolg haben, daß die Gewerbetreibenden der 
Buchführung größere Aufmerksamkeit zuwenden, so ist das ‚vielleicht 
wertvoller für sie als die Erweiterung des Kredits. 

Der Geschäftsgang bei der Diskontierung von Buchforderungen 
wird von Arnold anschaulich geschildert. Auch hier kann Verf. schließ- 
lich seino Bedenken nicht unterdrücken, wenn er schreibt: „Kleine 
momentane Vorteile durch Vereinfachung des Geschäftsganges könnten 
große Schäden und Verluste in ihrer Entstehung begünstigen“ (S. 21). 
An anderer Stelle wünscht Arnold eine Sicherung für die rationelle 
Verwendung der einbezogenen Gelder. Da wird der Kreis der „Diskon- 
Daten" nicht groß sein. Verf. erkennt auch an, daß die Diskontierung 
von Buchforderungen die Liquidität des Kreditinstituts nachteilig be- 
einflußt. Es ist eine bedenkliche Hilfe, auf die er verweist, wenn er 
empfiehlt, für die Diskontierung von Buchforderungen Tochterinstitute 
zu gründen, die die Wechsel an das Mutterinstitut weiter girieren 
können, um so die erforderlichen Unterschriften zu gewinnen. 

Das dem Buch beigegebene Material über die bisherigen Erfahrungen 
der Diskontierung von Buchforderungen ist schwerlich als Empfehlung 
zu betrachten. Auch selbst die von Arnold angezogenen angeblich er: 
freulichen“ Erfahrungen sind nicht geeignet, große Hoffnungen zu 
wecken. Auffallend ist, daß Verf. sein im Jahre 1913 erschienenes 
Buch mit Material aus 1909 und 1910 abschließt. Wir möchten ver- 
muten, daß neueres Material die Ergebnisse noch ungünstiger gestaltet 
hätte. Zu denken gibt es, wenn die Deutsche Bank auf das Ersuchen 
des Verf., ihm Material zur Verfügung zu stellen, „die dahingehende 
Bitte abschlägig beschied‘“. 

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Diskontierung von Buch- 
forderungen wird hier einseitig von dem Anhänger der Diskontierung 
von Buchforderungen dargestellt. Die Ausführungen stehen in dem 
Zeichen: Erweiterung des Kredits. Hier wäre vielleicht aber gerade ein 
Abschnitt am Platz gewesen, in dem gezeigt worden wäre, daß doch 
schließlich die Befriedigung des Kredits auch im Interesse der Allge- 
meinheit ihre Grenzen hat. Die pessimistischen Gesichtspunkte der 
Gegner stellt Arnold in zwei Gedankenreihen zusammen, wie folgt: 

1) Krediterleichterung, Spekulation, Ueberproduktion, Zusammen- 
brüche, heftigere Wirtschaftskrisen. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 701 


2) Kreditüberspannung, Kreditverdoppelung, Kreditschwindel, Schä- 
digung der Warengläubiger, Erschütterung des Vertrauens und der Ethik 
im Wirtschafts- und Verkehrsleben. f 

Verf. glaubt einfach nicht an diese Gefahren und fertigt die Be- 
denken summarisch ab. Es ist hier nicht der Ort, über alle Einzel- 
heiten zu sprechen. Nur eins soll hervorgehoben werden. Verf. rühmt 
S. 54 die Vorteile der Barzahlung — mit Recht. Wenn er aber annimmt, 
daß die Diskontierung von Buchforderungen die Barzahlung fördern 
würde, so dürfte er sich im Irrtum befinden. Eher könnte das Gegenteil 
der Fall sein. 

Wenn auch Verf. die wesentlichen Unterschiede zwischen der Dis- 
kontierung von Buchforderungen nicht verkennt, die in dem Geschäfts- 
verkehr zwischen Kaufleuten entstehen und denen, die ihren Ursprung 
in dem Verkehr zwischen dem Kaufmann und dem Konsumenten haben, 
so wird er doch nicht genügend der Verschiedenartigkeit gerecht, die 
sich für die Praxis ergeben. Dies ist um so auffallender, als er selbst 
annimmt, daß die Gruppe der Detailisten, Kleingewerbetreibenden und 
Handwerker, die direkt mit den Konsumenten arbeiten, der neuen Kredit- 
form bedürftiger seien als Fabrikanten und Großhändler. Bekanntlich 
wird Oesterreich gern als Vorbild für die Diskontierung von Buchforde- 
rungen hingestellt. Da dürfte es doch weitere Kreise interessieren, wie 
sich die Diskontierung der Detaillisten, Kleingewerbetreibenden und 
Handwerker in Oesterreich gestaltet hat. Wie ich von authentischer 
Seite erfahren habe, werden tatsächlich in der Regel nur Forderungen an 
Handels- und Gewerbetreibende belehnt; ausnahmsweise nur, wenn die 
Bonität des Schuldners außer Zweifel steht, werden auch Forderungen. 
an Private eskomptiert. 


Charlottenburg. Hans Crüger. 


Zur Kritik des Buchforderungseskomptes. Ein Vortrag, 
gehalten im Wiener kaufmännischen Verein am 21. April 1914 von 
Dr. Max Sokal, Sekretär der Evidenzzentrale für den Eskompte offener 
Buchforderungen in Wien. Leipzig und Wien (Franz Deuticke) 1914. 

Die Kosten des Buchforderungseskomptes. Herausge- 
geben von der Evidenzzentrale für den Eskompte offener Buchforde- 
rungen in Wien. Leipzig und Wien (Franz Deuticke) 1914. 

In Oesterreich hat bekanntlich die Diskontierung von Buchforde- 
rungen oder, wie sie dort genannt wird, der Buchforderungseskompte 
verhältnismäßig weite Verbreitung gefunden. Zum erheblichen Teil 
hängt dies damit zusammen, daß der Wechselverkehr in Oesterreich bei 
weitem nicht die Ausdehnung genommen hat wie in Deutschland. Dabei 
sei ausdrücklich bemerkt, daß auch in Oesterreich die Diskontierung 
von Buchforderungen sich nicht etwa auf die Diskontierung von Forde- 
rungen der Kleingewerbetreibenden an die Konsumenten bezieht, son- 
dern auf die Forderungen, die im Geschäftsverkehr zwischen Gewerbe- 
treibenden entstanden sind. 

Die Verff. der beiden oben erwähnten Schriften beschäftigen sich 
mit der Widerlegung der gegen die Diskontierung von Buchforderungen 
geltend gemachten Einwendungen. Dr. Max Sokal nimmt Stellung zu 


702 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


der an dem Buchforderungsdiskont allgemein geübten Kritik und sucht 
die gegen den Buchforderungseskompte geltend gemachten Bedenken zu 
zerstreuen. Die von der Evidenzzentrale, für den Eskompte offener 
Buchforderungen in Wien, die bekanntlich geschaffen ist, um nach Mög- 
lichkeit der Doppelverwertung der Forderungen zu begegnen, heraus- 
gegebene Broschüre sucht die Behauptung, daß die Kosten des Buch- 
forderungseskomptes hoch seien, zu widerlegen. Sie wendet sich vor 
allem gegen eine in der „Allgemeinen österreichischen Gerichtszeitung“ 
erschienene Aufsatzfolge von Dr. Leo Hamburger: „Das Recht auf 
die Deckung bei der nicht akzeptablen Tratte.“ Hans Crüger. 


Eickemeyer, W., Zur Frage der zweiten Hypothek beim privaten 
großstädtischen Wohnhausbau und -besitz in Deutschland. Tübinger 
Staatswissenschaftliche Abhandlungen. Neue Folge Heft 2. Stuttgart 
(W. Kohlhammer) 1913. 181 SS. 

Die Beschaffung zweiter Hypotheken ist neuerdings eine der 
aktuellen Fragen unserer Wirtschaftspolitik. Sie wird von interessierter 
und uninteressierter Seite nach allen Richtungen hin theoretisch erörtert 
und in fast allen größeren Städten sucht man praktisch nach zahl- 
reichen Vorschlägen und gegenseitigem Muster der Hypothekennot ab- 
zuhelfen. Bei dieser Sachlage wird man das Erscheinen eines Buches 
begrüßen, das erstmals eine objektive Zusammenfassung aller wesent- 
lichen Punkte zur Frage der zweiten Hypothek bringt, das sich nicht 
nur mit der gegebenen Tatsache des Hypothekenbedürfnisses und seiner 
Befriedigung beschäftigt, sondern auch die Grundlage und Entstehungs- 
ursache des Problems ausführlich behandelt. Eine Zusammenfas- 
sung, die deshalb nicht immer Neues bringt und dem bekannten Pro- 
blem nicht irgendeine originelle Wendung oder Fassung gibt, die aber 
den hinreichenden Vorzug der Vollständigkeit und Uebersichtlichkeit be- 
sitzt und damit gleichzeitig den ersten wichtigen Schritt zur Lösung 
der ganzen Frage vollführt. Verf. versieht die einzelnen Erörterungen 
mit einer knappen Kritik, wobei anscheinend die theoretische Durch- 
dringung vorteilhaft von praktischer Erfahrung und Sachkenntnis unter- 
stützt worden ist. 

Wir geben kurz die einzelnen Etappen des Inhalts. Eickemeyer 
geht aus von einer Besprechung des modernen kapitalschwachen speku- 
lativen Bauunternehmertums und im Zusammenhang damit der in 
Deutschland vorherrschenden und im Gegensatz zum Bauunternehmertum 
großkapitalistischen Bodenspekulation. Er erörtert als Folgen des speku- 
lativ gesteigerten Bodenpreises die wesentliche Erhöhung des Risikos für 
das Baugewerbe bei geringerer Aussicht auf Gewinn, was gleichbedeutend 
ist mit einem Zurückdrängen „der selbständigen und leistungsfähigen 
produktiven Unternehmung auf diesem Gebiet“. Daher Kredit im Ueber- 
maß bei der Mietwohnungsproduktion mit einer besonderen Finanzie- 
rungstechnik und den bekannten und teilweise unerfreulichen Begleit- 
erscheinungen des Spekulationsbaus: Belastung der nackten Baustelle, 
Beschaffung möglichst hoher Baugelder, Hand in Hand damit die Ab- 
hängigkeit des schwachen Bauunternehmers vom Bodenspekulanten, be- 
sonders wenn dieser auch Geldgeber ist, endlich sogar Bauschwindel. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 703 


Die unzureichende erste Hypothek wird durch möglichst hohe Taxen 
hinaufgetrieben, so daß der weitere Kredit auf zweite Hypothek ein 
erhebliches Risiko birgt, und deshalb von vornherein eine gewisse Be- 
schränkung im Kapitalangebot und relativ hohe Darlehensbedingungen 
für solche Hypotheken erklärlich werden. Diesen Erörterungen sind 
weitere angefügt über die Verschuldung des Miethausbesitzes, die be- 
kanntlich noch stets die Tendenz zur weiteren Steigerung zeigt, und 
über die Veränderungen im Kapitalangebot für Hypotheken, nament- 
lich auch die letzte starke Versteifung des Marktes für zweite Hypo- 
theken, die als unmittelbarer Anstoß für die gegenwärtige Abhilfe- 
bewegung zu betrachten ist. Zur näheren Erläuterung dieser für ganz 
Deutschland typischen Verhältnisse gibt Verf. Belege aus dem Münchener 
Bauleben. 

In dem kürzeren nächsten Abschnitt bespricht Eickemeyer allgemein 
das Bedürfnis nach Abhilfe, d. h. einer Erweiterung unserer jetzigen 
Grundkreditorganisation. Diese Bedürfnisfrage ist nur im Kompromiß 
zu bejahen. Denn da die gegenwärtigen Formen der Wohnungsproduk- 
tion und Wohnungshaltung nicht gerade ideal, ja als indirekte Ursache 
des Kapitalmangels anzusehen sind, könnte man zuerst grundlegende 
Reformen verlangen und eine weitere Krediterleichterung ablehnen. 
Dies läßt aber die dann zu erwartende Wohnungsnot nicht ratsam er- 
scheinen. Immerhin ergeben sich bestimmte Aufgaben bei der Kredit- 
gewährung, die als einleitende Reformen zur Besserung der heutigen 
Bau- und Wohnungsverhältnisse aufzufassen sind. Sie werden von 
Eickemeyer in Leitsätze zusammengefaßt, die allerdings etwas allgemein 
gehalten und leichter formuliert als realisiert sind. Diese beiden Ab- 
schnitte geben im ganzen ein gutes Bild von der Sachlage des deutschen 
Bau- und Hypothekenwesens, auch ist die Entstehung der Frage nach 
den zweiten Hypotheken und deren Notwendigkeit deutlich heraus- 
gearbeitet. Andererseits ist aber die Durchführung und Weiterführung 
der Gedanken nicht immer so klar gelungen, wie dies die Disposition 
vermuten läßt. 

Der dritte Abschnitt befaßt sich mit den Vorschlägen und Maß- 
nahmen, die zur Lösung der Hypothekenfrage gegeben und ergriffen 
worden sind. Zunächst erörtert Verf. die nur als indirekte Abhilfemittel 
anzusprechenden Mietverlustversicherung und Hypothekenversicherung, 
ebenso die angestrebte Reform der rechtlichen Grundlage der Mietver- 
fügung und Zwangsvollstreckung. Weit bedeutungsvoller ist schon die 
Reform des Schätzungswesens, die nach der Ansicht des Verf. durch 
kollegiala Taxämter in den einzelnen Städten nach süddeutschem Vor- 
bild zu erreichen ist. Eickemeyer bezeichnet eine unabhängige und zu- 
verlässige Schätzung als Voraussetzung für geordnete Verhältnisse im 
Grundkredit, was wir unterstreichen wollen. Als wichtigstes Mittel zur 
Lösung der Hypothekenfrage ist aber schließlich die organisierte Dar- 
lehensgewährung zu betrachten, entweder als Selbsthilfe oder durch 
kommunale Maßnahmen. Genossenschaftliche Kreditinstitute oder Ge- 
nossenschaftsbanken lassen nur geringeren Erfolg erwarten, da die Ab- 
satzfähigkeit der Pfandbriefe in Frage steht und andererseits Genossen- 
schaften für langfristigen Hypothekenkredit ungeeignet sind. Eher wäre 


704 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


noch der Vorschlag geeignet, unter Voraussetzung der staatlichen Tax- 
ämter die Beleihungsgrenze für die bestehenden Hypothekeninstitute 
zu erweitern. Dabei müßte aber, wie Biermer vorschlug, um den 
gesamten Bedarf decken zu können, für die zweite Stelle öffentliche 
Garantie übernommen werden. Die kommunalen Maßnahmen haben 
demgegenüber den Vorzug, daß sie zunächst als Notstandshilfen zur 
Unterstützung des Kleinwohnungsbaues gedacht, sich mehr und mehr 
zu dauernden kommunalen Krediteinrichtungen entwickelt haben und 
damit tatsächlich schon praktische Wirkung ausüben. Eickemeyer be- 
handelt ausführlich die Beleihungsversuche, sowie die Bestrebungen und 
Erfolge in der Errichtung kommunaler Hypothekenämter. Allerdings 
ist die Entwicklung in dieser Richtung in der neuesten Zeit so rasch 
fortgeschritten, dal die Eickemeyersche Darstellung ihr schon nicht 
mehr gerecht wird. Doch betont sie die Bedeutung der seinerzeit vor- 
handen gewesenen Ansätze für die Kapitalbeschaffung durchaus. In 
einem Schlußwort zieht Verf. die Bilanz seiner Untersuchung dahin, 
dal) eine befriedigende Abhilfe ohne Eingreifen der öffentlich-rechtlichen 
Verbände nicht erreicht werden kann, was ja die gegenwärtige Ent- 
wicklung bestätigt. Entweder ist dazu notwendig die Errichtung von 
Kreditinstituten für zweite Hypotheken oder die Garantieleistung für 
solche Hypotheken oder Schuldverschreibungen anderer Kreditinstitute 
zur Darlehensgewährung auf zweite Hypotheken. Dabei kann auch an 
eine Vereinigung verschiedener kommunaler Hypothekenbanken oder 
Kommunen zur Errichtung einer Städteverbandshypothekenbank gedacht 
werden. Wir weisen nochmals darauf hin, daß namentlich diese Aus- 
führungen des letzten Abschnitts alles Wesentliche der Maßnahmen zu- 
sammenfassen und eine gute Orientierung geben. Den Wert der Arbeit 
vermögen einige Schwächen, wie sie jede Anfängerarbeit aufweist, 
nicht zu beeinträchtigen. 
Mannheim. H. Meltzer. 


Franz, Rob., Die deutschen Banken im Jahre 1913. (Aus: ‚Der deutsche 
Oekonomist‘“.) Berlin, Wilhelm Christians, 1914. 35,5X 26,5 cm. 48 SS. M. 2.—. 

Leiske, Dr. Walter, Die Finanzierung der Hypothekenanstalten deutscher 
Großstädte für den bestehenden Hausbesitz. Berlin, Franz Siemenroth, 1914. gr. 8. 
VI11I—188 SS. M. 4,50. 

Linsmayer, Dr. Walter, Die Kriegsgefahr in der Lebensversicherung. 
(Mit besonderer Berücksichtigung schweizerischer Verhältnisse. Diss.) (Abhand- 
lungen zum schweizerischen Recht, hrsg. von Prof. Dr. Max Gmür, Heft 57.) Bern, 
Stämpfli u. Cie., 1914. gr. 8. III—111 SS. M. 2,20. 

Nissen, Dr. Oskar, Ein Beitrag zur Lehre von der Feuerversicherung von 
Sachen, die zum Gesamtgut einer fortgesetzten Gütergemeinschaft gehören. Berge- 
dorf, Hans Köster, 1914. 8. VII—66 SS. M. 1,50. 


Bonelli (avv.), Gustavo, La teoria dello check. Milano, F. Vallardi, 
1914. 8. 18 pp. 


9. Soziale Frage. 
Mamroth, Karl, Gewerblicher Konstitutionalismus. Die Arbeits- 
tarifverträge in ihrer volkswirtschaftlichen und sozialen Bedeutung. Jena 
(Gustav Fischer) 1911. 80. 126 SS. y 


Die Entwicklung des Arbeitsverhältnisses aus einem überwiegen- 
den Herrschafts- zu einem wirklichen Vertragsverhältnis vollzieht sich in 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 705 


den Wegen und Formen der Ausbildung kollektiver Regelung der 
Arbeitsbedingungen, also des Arbeitstarifvertrages. Er bringt auf dem 
Wege der organisierten Koalition zu der bloß formalrechtlichen die wahr- 
hafte und volle Gleichberechtigung beider Parteien des Arbeitsvertrages 
hinzu und schafft daher ein System der Lohnarbeit, das große Aehnlich- 
keit mit dem verfassungspolitischen System des Konstitutionalismus auf- 
weist, der den mehr oder weniger aufgeklärten Absolutismus ablöste. 
Die Bezeichnung als „gewerblicher Konstitutionalismus‘ für die neue, 
auf zunächst beschränktem, aber sich stetig erweiterndem Gebiete wirk- 
same Ordnung des Arbeitsverhältnisses ist unter diesem Gesichtspunkte 
naheliegend und auch für dieses Buch als Titel gewählt worden, unter 
dem ein Ueberblick über das Wesen, die Entwicklung und die wichtig- 
sten Einzelheiten des neuen Systems gegeben wird. Die Bezeichnung 
leidet freilich an dem Mangel, nicht zum Ausdruck zu bringen, daß 
der Unternehmerabsolutismus nur auf dem Gebiete der Festsetzung der 
Bedingungen für die Lohnarbeit durch das neue System gebrochen wird 
und gebrochen werden soll. Sie kann also den irrigen Anschein er- 
wecken, als gehe die Tendenz des letzteren auf grundsätzliche Einschrän- 
kung der Unternehmerrechte auch auf anderen oder gar auf allen Ge- 
bieten ihrer Betätigung, insbesondere auf denen der Auswahl der 
Arbeitskräfte und der Kontrollierung ihrer Leistungen sowie der orga- 
nisatorischen, technischen und kaufmännischen Betriebsleitung. Von 
Gegnern des Arbeitstarifvertrags kann sie daher leicht gemißbraucht 
werden und wird sie auch gemißbraucht zu dessen Verdächtigung als 
eines Mittels, um die Form der privaten Unternehmung allmählich ihres 
Inhalts zu berauben und damit die Grundlage unserer individualistischen 
Wirtschaftsverfassung zu zerstören und durch kollektivistische Orga- 
nisationen zu ersetzen. Man tut daher besser, dieses Bild trotz aller ver- 
lockenden Aehnlichkeit nicht zur Bezeichnung des Systems kollektiver 
Regelung der Arbeitsbedingungen zu verwenden, auch nicht mit dem 
üblichen Vorbehalte der damit gemeinten Beschränkung, der jenen 
Mißbrauch doch nicht verhindert. 

Ein Ueberblick über das Tarifvertragswesen wird hier freilich 
nur in großen Zügen gegeben. Nach einer näheren Bestimmung des Be- 
griffes und des Charakters dieses Vertrages wird seine Entwicklung 
von der Zeit der verfallenden Zunft an überschaut und sodann von 
seinen reichen Inhalte eine in 5 Gruppen geordnete Auslese der Haupt- 
bestandteile vorgeführt. Die Gewerkvereine und die Unternehmer- 
verbände werden als die Stützen der Tarifverträge auf ihre Stellung zu 
diesen: hin geprüft. Die Anwendbarkeit des Tarifvertrags auf die ge- 
werblichen Betriebsformen bildet den Gegenstand weiterer Untersuchung. 
An der Hand dieses Tatsachenmateriales werden dann die Vorteile und 
Nachteile des Tarifvertrages ermittelt und abgewogen. Ein Ausblick 
auf die Zukunft bildet den Schluß. Die Vorführung wie die Kritik des 
Tatsachenmaterials geschieht durchgängig unter ausgiebiger Nutzbar- 
machung der reichhaltigen Tarifvertragsliteratur. 

Auffallend erscheint die der gewöhnlichen Anschauung entgegen- 
gesetzte Meinung des Verf., daß die organisierten Arbeiter innerlich 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 45 


706 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


nicht Gegner, sondern Anhänger der Akkordlöhnung seien. Es ist 
nicht oder doch mindestens nicht mehr richtig, daß, worauf er sich be- 
ruft, in der Tarifvertragsstatistik die Zeitlohntarife überwiegen. Nach 
der zum ersten Male den Gesamtbestand aller Tarifverträge umfassen- 
den amtlichen Statistik von Ende 1912 waren für 75,5 Proz. aller 
tarifgebundenen Arbeiter sowohl Akkord- als Zeitlöhne und für 3,4 Proz. 
derselben nur Akkordlöhne tariflich vereinbart. Als Hindernisse der 
Ausbreitung des Tarifvertrags sieht M. namentlich an die Absorbierung 
der Kräfte der organisierten Arbeiter durch die politische Bewegung, so- 
wie das System der gemischten Industrieverbände ohne die feinere fach- 
liche Gliederung der trade unions, durch das die Verhandlungsfähigkeit 
herabgesetzt werde. Auch werde die moralische Position der Gewerk- 
schaften gegenüber den Arbeitgeberverbänden herabgesetzt durch die 
Bevormundung der „freien“ seitens der sozialdemokratischen Presse und 
durch die Belastung ihres Kontos mit Gewalttaten gegen Unorganisierte 
und Arbeitswillige. Er fordert von den Arbeitern größere Selbstzucht, 
stärkeres, veredeltes Pflichtbewußtsein, und von ihren Organisationen, 
daß sie sich um die fachliche Tüchtigkeit ihrer Mitglieder kümmern, 
von den Arbeitgebern Vertiefung des sozialen Verständnisses für die 
Rechte und den Gemeinschaftsgeist der heutigen Arbeiterschaft. 

Im ganzen bekennt sich M. als überzeugten Freund des Tarif- 
vertrages, in dem er, vor Uebertreibungen und Ueberschätzungen dabei 
mit Recht warnend, einen großen sozialen Fortschritt erblickt. Er er- 
wartet auch seine allmähliche Ausdehnung auf die Großindustrie und 
hält ihn für diese sogar besonders geeignet, weil die Natur des Groß- 
betriebs zu möglichst einheitlicher Festsetzung der Arbeitsbedingungen 
für die Gesamtheit.der Arbeiter zwinge. Der Feinindustrie, in der der 
Lohn der bedeutendste Faktor im Produktionsprozeß sei, biete der 
Tarifvertrag wegen der Ausschaltung der Lohnunterbietung einen Ersatz 
für die ihr durch die Spezialisierung ihrer Produktion erschwerte Kar- 
tellierung. Irreführend muß jedoch M.s Eingehen auf das Tarifver- 
tragswerk des Kaiserlichen Statistischen Amtes von 1908 wirken, da 
dieses Amt seinen damaligen Standpunkt zur Frage des großindustriellen 
Tarifvertrages seither völlig verändert hat. Auch das statistische Material, 
das M. hier bringt, war schon beim Erscheinen seines Buches veraltet. 
Die Frage der Eignung der Großindustrie für Tarifverträge wird durch 
spezielle Betrachtung der fünf bedeutendsten deutschen Großindustrien 
näher beleuchtet. Das Ergebnis lautet überwiegend günstig für ihre 
Bejahung. Auch die wandelbare gewerbliche Technik „tariflich zu 
bändigen“ scheint M. ausführbar, sofern die Form des Tarifvertrages 
sich der technischen Eigenart der einzelnen Großgewerbe anpasse. Seine 
Entfaltung werde dabei den umgekehrten Weg wie im Handwerk 
nehmen, nämlich mit dem weitesten räumlichen Rahmen beginnen. 

Wenn M. den Tarifverträgen mehrfach eine günstige Wirkung auf 
Verminderung der Arbeitslosigkeit nachrühmt (S. 86 und 90), so wider- 
spricht dem seine eigene Ausführung an anderer Stelle (S. 87), daß sie 
„keine Einwirkung auf die Zahl der Beschäftigen üben“. Eine solche 
ist in der Tat nicht erkennbar. Daß sie einen Ausleseprozeß unter den 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 707 


Arbeitern nach deren Tüchtigkeit einleiten, trifft zu. Aber auch ohne 
Tarifvertrag wird das Fortkommen den unterdurchschnittlich Befähigten 
— Selbständigen wie Unselbständigen — auf allen Arbeitsgebieten heute 
immer schwerer. Die vielfache Abwälzung der tariflichen Lohn- 
erhöhungen auf die Konsumenten, die M. annimmt, ist nicht zu be- 
zweifeln, aber doch nur ein Preissteigerungsfaktor unter vielen, dem 
überdies die damit verbundene Steigerung der Kaufkraft der Massen 
gegenübersteht. Die Staatsgewalt soll nach M. das gefährdete Konsu- 
menteninteresse wahren. Wie sie das aber ohne Eingriffe in die Grund- 
lagen der heutigen Volkswirtschaft wirksam tun kann, wird nicht gesagt. 

Die Rechtslage und die Frage der gesetzlichen Regelung des 
Tarifvertrages kommen bei M. im Verhältnis zu ihrer Wichtigkeit recht 
kurz weg. Wie sie trotz der Kompliziertheit dieser heikelsten Seite des 
Problems knapp und doch unter Herausholung des wesentlichen Kerns 
behandelt werden können, hat Sinzheimer kürzlich vortrefflich gezeigt 1). 
Entschiedene Verwahrung muß gegen den Vorschlag M.s eingelegt wer- 
den, daß die Rechtswirksamkeit eines jedes Tarifvertrags von behörd- 
licher Genehmigung abhängig gemacht und dazu vorher amtlich unter- 
sucht werden soll, ob sein Inhalt nicht unklar ist und nicht gegen das 
„öffentliche Interesse‘ verstößt. Solche bürokratische Behandlung würde 
den gesunden Rechtstrieb, der im Tarifvertrage Ausdruck sucht, lähmen 
und ersticken. Schon durch ihren kautschukartigen Charakter würde 
eine solche Vorschrift den Möglichkeiten übelster Mißgriffe das Tor 
weit öffnen. Wenn die Behörde ferner prüfen soll, ob der Fortbestand 
des Tarifvertrages noch von Bedeutung ist, und die verneinendenfalls von 
ihr auszusprechende Versagung der Wiederholung seiner Genehmigung 
seine Lösung zur Folge haben soll, so wäre damit das ganze Tarifver- 
tragssystem einer polizeistaatlichen Reglementierung unterworfen, die 
seiner völligen Knebelung gleichkäüme und alle heilsamen Wirkungen, 
die von ihr erwartet werden dürfen, im Keime ersticken würde. Es ist 
schwer verständlich, wie ein Freund des Tarifvertrags ihm das antun 
will, gänzlich damit unvereinbar aber, daß gleich darauf der viel ein- 
geschränktere und jedenfalls diskutierbare Vorschlag Rosenthals, einem 
Tarifamte die Befugnis vorzeitiger Abänderung oder Aufhebung des 
Tarifvertrags im Falle wesentlich veränderter Wirtschaftskonjunkturen 
zu übertragen, „als ein gewagtes Experiment, einer Behörde so gewaltige 
Befugnisse in die Hand zu geben“, bezeichnet wird. Denn ein paritä- 
tisches Tarifamt ist keine „Behörde“, sondern ein schiedsrichterliches 
Organ der Vertragsparteien selbst, das für den Austrag dieser Frage 
gegebenenfalls gerade die rechte Schmiede wäre. Nicht gleich gefährlich, 
aber immerhin recht bedenklich erscheint der fernere Vorschlag, den 
Arbeitskammern, auf deren Zusatndekommen sich M. übertriebene Hoff- 
nung macht, das Recht der Ausübung eines nützlichen (?) Zwangs in 
bezug auf die Ausdehnung des Tarifvertrags zu verleihen. Der Staat, der 
sich mit peinlicher Gewissenhaftigkeit von Eingriffen in die Lohnfest- 


1) „Brauchen wir ein Arbeitstarifgesetz?“, von Dr. Hugo Sinzheimer, Heft 44 
der Schriften der Gesellschaft für soziale Reform, von mir besprochen im Jahr- 
gang 1914, S. 120f. dieser Jahrbücher. 


45> 


708 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


setzungen fernhält, sollte Interessentenvertretungen gesetzgeberische 
Zwangsrechte über das gesamte Gebiet des Arbeitsverhältnisses gleichsam 
in blanco zu übertragen sich bereit finden ? 

Erscheint so manches in M.s kritischen Ausführungen und posi- 
tiven Anregungen recht anfechtbar, so erschließt er immerhin einen 
zwar nicht erschöpfenden, aber informierenden Ueberblick über das 
weite Gebiet des Tarifvertragproblems und namentlich über seine lite- 
rarische Durcharbeitung. In dieser letzteren Hinsicht hätte, sich Verf. 
jedoch einer sorgfältigen Auseinanderhaltung der von ihm wieder- 
gegebenen zahlreichen Auslassungen und Urteile anderer Arbeiter auf 
demselben Gebiete von seinen eigenen befleißigen müssen. So entstammt 
z. B. der ganze zweite Absatz auf Seite 103, der im Zusammenhang als 
Kundgebung einer noch dazu stark pointierten Auffassung des Verfassers 
erscheint, wörtlich meiner Abhandlung „Der kollektive Arbeitsvertrag 
als Gegenstand der Gesetzgebung‘ in Bd. 30, S. 289ff. dieser Jahr- 
bücher (S. 303 daselbst), ohne daß diese Quelle genannt, ja ohne daß 
die Stelle überhaupt als Zitat gekennzeichnet wäre. Wie vergleichende 
Stichproben ergeben, ist es mit vielen anderen und zumeist recht umfang- 
reichen Stellen des Buches ebenso bestellt, deren rein kompilatorischer 
Charakter durch die gelegentlichen verweisenden Anmerkungen eher 
verschleiert als klargestellt wird. Denn diese erwecken den unrichtigen 
Eindruck einer Bezugnahme auf andere Autoren, deren Auslassungen zu- 
gunsten einer bestimmten selbständigen Meinung des Verf. sprechen 
sollen, während in Wirklichkeit nur eine Anleihe vorliegt. Zum mindesten 
hätte in einem Vorwort oder einer Einleitung über diese ungewöhnliche 
Art von Materialverwertung Klarheit gegeben werden müssen, und auch 
dann noch wäre es korrekt gewesen, allerwenigstens diejenigen Zitate, 
die ganze Sätze umfassen, auch als solche unzweideutig im Text hervor- 
treten zu lassen. Einen so billigen Zins wäre eine solche beträchtliche 
Anleihe wohl wert gewesen. 


Marburg a. d. Lahn. H. Köppe. 


Kuczynski, R., Arbeitslohn und Arbeitszeit in Europa und 
Amerika 1870—1901. Berlin (J. Springer) 1913. VI u. 817 SS. 
24 M. 

Das Werk zerfällt in zwei verschiedene, nach Art der Quellen und 
Verarbeitungsmethoden scharf unterschiedene Teile. Der erste (S. 1—377) 
bringt der Hauptsache nach die Ergebnisse der internationalen Er- 
hebungen über Arbeitszeit und Arbeitslohn, die das Arbeitsamt der Ver- 
einigten Staaten erstmals 1898 unternommen, anläßlich der Weltaus- 
stellung von St. Louis fortgesetzt und erheblich erweitert hat. Soweit es 
dabei auf die Sammlung von Daten für das europäische Festland, d. h. 
Deutschland, Frankreich und Belgien, ankam, war die Leitung der Unter- 
suchung dem Verf. übertragen worden. Insofern konnte er dann bei der 
Ausarbeitung des vorliegenden Werkes auch sein damals gewonnenes 
handschriftliches Material verwerten. Obwohl die Erhebungen bereits in 
den Bulletins des Arbeitsamtes veröffentlicht worden sind, kann doch auch 
dieser Teil des Kuczynskischen Werkes dankbar aufgenommen werden, 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 709 


da er eine den Bedürfnissen des deutschen Lesers besser entsprechende 
Bearbeitung aufweist. Die Geldbeträge sind durchweg in Reichswährung 
ausgedrückt worden. Zur Darstellung kommen überhaupt nur Gewerbe, 
für die mindestens Angaben aus Deutschland und den Vereinigten 
Staaten vorhanden sind, und innerhalb dieser Gewerbe wieder nur Berufe, 
die mindestens in einem europäischen Lande und in den Vereinigten 
Staaten in die Erhebung einbezogen werden konnten. 

Die Schwächen der Arbeit liegen darin, daß der Zusammenhang 
zwischen Lohnhöhe und Alter vollkommen unberücksichtigt geblieben 
ist, daß nur männliche Arbeiter in Betracht kommen und auch bei ihnen 
im allgemeinen nur die Zeitlohnverhältnisse. Sodann sind namentlich 
die Materialien aus Frankreich und Belgien doch sehr beschränkter 
Art. Ganz besonders aber muß betont werden, daß nur drei Gewerbe- 
gruppen (Baugewerbe, Maschinenbau und Buchdruckerei) vertreten sind. 
Nahezu die Hälfte des Raumes wird von den verschiedenen Berufen des 
Baugewerbes in Anspruch genommen, 100 Seiten entfallen auf die Ma- 
schinenindustrie und 50 auf die Buchdruckerei. Insofern versprechen 
der stolze Titel und das Vorwort („Dieses Buch bildet den ersten Ver- 
such, die Entwicklung der gewerblichen Löhne in den wichtigsten In- 
dustrieländern auf breiter Grundlage darzustellen‘) weit mehr, als der 
Inhalt rechtfertigt. Was will eine Darstellung besagen, in der Berg- 
bau, Großeisenindustrie und Textilindustrie gänzlich fehlen! Auch der 
Ausdruck „Europa“ ist sehr cum grano salis zu verstehen. Vom Fest- 
lande kommen nur Deutschland und dieses wieder nur mit Berlin, 
Nürnberg und Elberfeld, ferner Frankreich mit Paris und Lyon und 
endlich Belgien allein mit Lüttich in Betracht. Ueber die Lückenhaftig- 
keit der Erhebung braucht also kein Wort weiter verloren zu werden. 

Der zweite Teil (S. 375—790) enthält nach dem Titel: „Arbeits 
lohn und Arbeitszeit in Europa und Amerika auf Grund von Tarif- 
verträgen 1870—1909.“ Eigentlich müßte es heißen: Die Bestim- 
mungen über Minimallohn und Maximalarbeitszeit in den deutschen und 
amerikanischen Tarifverträgen der Baugewerbe und der Buchdruckerei. 
„Europa“ wird hier ausschließlich durch das Deutsche Reich vertreten. 
Von 415 Seiten nehmen die Baugewerbe 352 in Anspruch. Der Rest 
des Raumes entfällt auf die Darlegung der allgemeinen Grundlagen der 
Untersuchung (26 Seiten) und die Verhältnisse der Buchdruckereien. 
Ungeachtet dieser weitgehenden Beschränkungen scheint mir der wissen- 
schaftliche Wert des zweiten Teiles größer zu sein. Volle Anerkennung 
verdient die Sammlung des uns bis jetzt unbekannt gebliebenen Mate- 
riales amerikanischer Tarifverträge. Verf. hat für diesen Zweck eine 
besondere Studienreise nach Amerika unternommen. Aber auch die 
textliche Darstellung ist hier insofern brauchbarer, als sie nicht nur, 
wie im ersten Teil, eine Umschreibung der Zahlen der Tabellen enthält, 
sondern auch einen gewissen Einblick in die äußere Entwicklung der 
Arbeitstarife eröffnet und manchen Hinweis auf wichtige und noch 
weniger bekannte Materialien zum Studium der gewerkschaftlichen Be- 
tätigung enthält. Im übrigen sieht Verf. freilich auch hier von jeder 
Aufklärung über kausale Zusammenhänge ab. Er will lediglich eine 


710 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


sorgfältige tabellarische Darstellung der Angaben der Tarifverträge 
vorführen. Er steht auf dem Standpunkte, daß eine lohnstatistische 
Untersuchung weder darüber Aufschluß zu geben habe, wie hoch die 
Produktionskosten des Arbeitgebers seien oder welche Lebenshaltung der 
Arbeiter führen könne; sie habe lediglich die Aufgabe, an dem objek- 
tivsten Maßstabe, d. h. der Geldeinheit, die Gegenleistung, die der 
Arbeitgeber dem Arbeiter für seine Arbeit biete, zu messen. Man wird 
dem Verf. eınwenden können, daß glücklicherweise selbst viele statistische 
Aenıter ihre Aufgaben doch erheblich weiter fassen und sich mit Erfolg 
bemüht haben, auch Kausalforschung zu betreiben. Leider hat Ku- 
ezynski sein wertvolles Material nicht einmal so weit gruppiert, daß 
der Kausalforscher ohne weiteres ınit seiner Arbeit einsetzen könnte. So 
wird uns der Inhalt der Tarifverträge nur in der Weise vorgeführt, 
daß die mehr als 2000 Einwohner zählenden Orte des Deutschen 
Reiches, für welche sie gelten, in alphabetischer Reihenfolge zu- 
grunde gelegt werden; sodann erfolgt die Darstellung nach Provinzen 
und Einzelstaaten. Aber auch innerhalb dieser Anordnung tritt wieder 
die alphabetische Reihenfolge ein, also Provinz Brandenburg, Adlers- 
hof, Alt-Glienicke, Alt-Landsberg, Arnswalde, Bärwalde, Berlin, Bernau, 
Borsigwalde usw. Warum wird uns keinerlei kartographische Dar- 
stellung geboten, welche, gewissermaßen mit einem Blicke, die Lohn- 
geographie eines Berufes zu erfassen gestatten würde ? 

Gewiß, Verf. hat bereits eine Unsumme bienenfleißiger Arbeit ge- 
leistet und leisten lassen, wofür ilm Dank und Anerkennung gebühren. 
Es bleibt aber noch unendlich viel Arbeit zu tun übrig, wenn aus dem 
Material alles zur Aufklärung der Lohnprobleme herangezogen werden 
soll, was es latent enthält. H. Herkner. 


Biel (Reg.-Baumstr.), F., Wirtschaftliche und technische Gesichtspunkte 
zur Gartenstadtbewegung. (Mit einem Anhang von Lageplänen, Grundrissen und 
Ansichten.) Leipzig, H. A. Ludwig Degener, 1914. gr. 8. 128 SS. M. 2,50. 

Goldscheid, Rud., Frauenfrage und Menscheuökonomie. 2. Aufl. Wien, 
Anzengruber-Verlag, 1914. 8. 32 SS. M. 0,50. 

Kriegsfürsorge. Hrsg. von der Gemeinde Wien. Wien, Gerlach u. Wied- 
ling, 1914. 8. 64 SS. mæ: 1 Tab. M. 0,50. 

Roßnick, Fr., Deutsche Nüchternheitsbewegung. In Skizzen bearb. und 
dem Andenken P. Anno Joseph Neumanns gewidmet. Hamm (Westf.), Breer u. 
Thiemann, 1914. 8. VII—371 SS. M. 3,20. 

Schriften des Verbandes deutscher Handlungsgehilfen zu Leipzig, Be- 
rufsvereinigung der kaufmännischen Angestellten in Handel und Industrie. No. 34: 
Die soziale Arbeitsgemeinschaft und die Stellung des Leipziger Verbandes in der 
Standesbewegung. Rede. 16 SS. M. 0,30. No. 35: Achtuhr-Ladenschluß. ($ 139 f 
der R.G.O.) Bearb. von der Abteilung kommunaler Sozialpolitik auf Grund be- 
hördlicher Auskünfte nach dem Stande vom 15. 7. 1914. 45 SS. M. 0,50. — 
No. 36: Werktags-Ausnahmetage. ($$ 139d u. e der R.G.O.) Bearb. von der Ab- 
teilung kommunaler Sozialpolitik auf Grund behördlicher Auskünfte nach dem 
Stande vom 15. 7. 1914. 37 SS. Leipzig, Buchhandlung des Verbandes deutscher 
Handlungsgehilfen, 1914. gr. 8. 

Weitpert (Berufsvormund), Dr. Konr., Die Münchener Säuglingsfür- 
sorgeeinrichtungen. München, Ernst Reinhardt, 1914. gr. 8. 30 SS. M. 0,50. 


Norel Izn, O., Adolf Stoecker en zijn sociaal-ethisch streven. Utrecht, 
Kemink en Zoon. gr. 8. 4en 219 blz. mit 1 Portr. fl. 1,90. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 711 


Packer, Max, Handleiding by de invoering van het taylor-system. 
(Wetenschappelijke werkwijze.) Deventer, E. E. Keuwer. gr. 8. 16 blz. fl. 0,15. 


10. Genossenschaftswesen. 

Vandervelde, Emil, Neutrale und sozialistische Genossenschafts- 
bewegung. Uebers. von H. Gernsheimer-Hertz. Stuttgart (Dietz) 
1914. V u. 154 SS. Geh. 1 M. 

Div gute Uebersetzung, die das neue Buch Vanderveldes (es ist 
1913 in Paris bei Alcan erschienen) zu billigem Preise der deutschen 
Arbeiterwelt zugänglich machen soll, wird vielleicht einige Unruhe in 
das Heer der deutschen Konsumvereinler bringen. Denn es vertritt einen 
Standpunkt, der sich mit den Grundsätzen der deutschen und deutsch- 
schweizer Genossenschaftsführer gar nicht verträgt. Während diese be- 
kanntlich die politische Neutralität der Konsumvereine — die übrigen 
Genossenschaftsarten haben ja schon längst alles theoretische Interesse 
eingebüßt — verteidigen und sich damit begnügen, ihnen eine natür- 
liche Tendenz zur Sozialisierung der Gesellschaft zuzuschreiben (Hans 
Müller, ähnlich R. Wilbrandt), oder aber ihre Neutralität auch 
im Klassenkampf dadurch zu behaupten suchen, daß sie eine neue 
Theorie des Sozialismus versuchen (H. Kaufmann), erklärt Vandervelde 
entschieden, daß die Genossenschaft an und für sich überhaupt nicht 
geeignet sei, eine nicht-kapitalistische Wirtschaftsverfassung heraufzu- 
führen, und daß sie unbedingt in den Dienst der sozialistischen Arbeiter- 
bewegung gestellt werden müssen. Eine ähnliche Ansicht findet sich 
übrigens bereits in Göhres Buch über die Arbeiterkonsumvereine. 

Es ist jedenfalls sehr verdienstvoll, daß Vandervelde durch seine 
klare und kenntnisreiche Darstellung, die sich in der Hauptsache auf 
die Geschichte des Konsumvereinsgedankens bezieht, energisch die Vor- 
stellung bekämpft, daß die Genossenschaft ihrem Wesen nach etwas 
Sozialistisches und Antikapitalistisches sei. Der Wissenschaft ist das 
ja nichts Neues, aber die breitere Oeffentlichkeit sieht gerade infolge 
der Stellungnahme der Konsumgenossenschafter, die meist das Zeug zum 
Ueberwinden des Kapitalismus in sich spüren, die ganze Konsum- 
vereinsbewegung fast immer nur als eine Vorstufe des Zukunftsstaates an. 
Mit Recht weist Vandervelde auch darauf hin, daß natürlich alles davon 
abhänge, was man unter Sozialismus verstehe. Er hätte nur noch die 
Frage aufwerfen sollen, wie weit das Genossenschaftswesen denn über- 
haupt der herrschenden Wirtschaftsordnung zu widersprechen vermöge. 
Die Antwort wäre freilich für ihn weniger wichtig als für die deutschen 
„Nurgenossenschaftler“, und das Buch war ja zunächst für Franzosen 
bzw. Belgier geschrieben. Es kann aber nicht ausbleiben, daß die deut- 
schen Leser die aufgeworfenen Fragen selbst beantworten und den ver- 
waschenen Theorien der Nurgenossenschaftler und damit entweder der 
unaufrichtigen Neutralität oder dem utopistischen Sozialismus den Ab- 
schied geben. Das Genossenschaftswesen verträgt sich durchaus mit den 
gegenwärtig herrschenden Grundsätzen der Wirtschaftsordnung, wenn 
aber die großen Mittel der Konsumvereine offen in den Dienst der 
sozialistischen Bewegung gestellt würden, können sich daraus bedeut- 
same praktische Folgen ergeben. 


712 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


D 


Es ist ferner interessant, daß die übrigen Arten des Genossen- 
schaftswesens neben den Konsumvereinen für Vandervelde so sehr zurück- 
treten, daß er ihrer nicht einmal Erwähnung tut. Auch geht er der 
Frage aus dem Wege, ob denn eine Arbeiterbewegung unbedingt sozia- 
listisch sein muß? Und doch beruht auf deren Bejahung seine ganze 
Schlußfolgerung, daß durch das Eindringen der Arbeiter in die Konsum- 
vereine diese ganz von selbst auf die Bahn des Sozialismus gedrängt 
werden. 

Jedenfalls ist Vanderveldes Buch klar und offen geschrieben, ohne des 
Verf. parteiliche Voreingenommenheit verheimlichen zu wollen, bedeutet 
aber gerade wegen der Frische, mit der es den grundsätzlichen Fragen 
gegenübertritt, einen Fortschritt in der Literatur über die Konsumvereine 
und steht weit über den analogen Schriften, mit denen uns die meisten 
der genannten deutschen Konsumvereinler beschenkt haben. 


Halle a. S. Ernst Grünfeld. 


11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde. 

Wassermann, L. u. R., Das Branntweinsteuergesetz vom 15. Juli 
1909, in der Fassung des Gesetzes vom 14. Juni 1912. München, 
J. Schweitzer. 

Die beiden Verf. haben in der Literatur über die deutsche Spiritus- 
industrie und vor allem auch über die deutsche Branntweingesetzgebung 
einen guten Namen. Mit der vorliegenden Publikation haben sie sich 
ein besonderes Verdienst erworben: für den Juristen wie den Praktiker 
bietet das Werkchen eine gute sachliche Orientierung, die derjenige be- 
sonders zu schätzen weiß, der die Wirrnisse der deutschen Branntwein- 
gesetzgebung kennt und sich in ihnen zurechtzufinden hat. An den 
Text des Gesetzes sind die speziellen Ausführungsbestimmungen gleich 
angeschlossen. Eine systematische Uebersicht leitet ein in die Motive; 
eine Uebersicht, die in guter knapper Weise die leitenden Gesichtspunkte 
der deutschen Branntweinbesteuerung, insbesondere die finanziellen und 
wirtschaftlichen Grundideen der Gesetzgebung von 1909 und 1912 dar- 
legt. Den Anhang bilden die Vereinbarungen des Reichs mit einigen 
fremden Staaten betr. Regelung des Verkehrs in Alkohol. Erwähnen 
möchte ich noch die sehr gute technische Uebersichtlichkeit der Materie, 
die besonders dem Praktiker eine schnelle Orientierung über das Gesetz 
und seine Ausführungsbestimmungen gestattet. 


Reydon-Hall (England). C. Briefs. 


Adolph (Geh. Hofr.), Dr. P., Vereinsgesetz vom 19. 4. 1908, nebst den 
Ausführungsbestimmungen der deutschen Bundesstaaten vom 12. 5. 1908. Unter 
Benutzung der amtlichen Quellen sowie unter Berücksichtigung ergangener Ent- 
scheidungen, und der Erfahrungen der Praxis erläutert. 2. Aufl. (Juristische 
Handhibliothek. Hrsg.: Oberlandesger.-Sen.-Präs. Max Hallbauer und Minist.-Dir., 
Geh. Rat: Dr. W. Schelcher, 279. Bd.) Leipzig, Roßbergsche Verlagsbuchhandlung, 
1914. kl. 8. XII—450 SS. M. 7,80. 

Appelius (Landesr.), Fr., (Geh. Reg.-Rat) A. Düttmann, (Landes- 
versicherungs-Assessor) Seelmann, Das Verfahren vor den Versicherungsbehörden. 
Kommentar zu den kaiserlichen Verordnungen über den Geschäftsgang und das 
Verfahren vor den Versicherungsämtern, Oberversicherungsämtern und dem Reichs- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 713 


Reichsversicherungsamt vom 24. 12. 1911. 4. völlig umgearb. Aufl., von Appelius- 
Düttmann. Kommentar zur Schiedsgerichtsordnung. Oldenburg i. Gr., Ad. Litt- 
mann, 1914. gr. 8. XI—313 SS. M. 7,50. 

Burckhardt, Prof. Dr. W., Kommentar der schweizerischen Bundes- 
verfassung vom 29. 5. 1874. 2. vollständig durchgesehene Auflage. Bern, Stämpfli 
u. Cie., 1914. Lex.-8. VIII—845 SS. M. 22.—. 

Dunkhase (Geh. Reg.-Rat, Dir.), W., Beiträge zum Patentrecht. V. Das 
Patenterteilungsverfahren und das Patentamt. 152 S5. M. 5.—. — VI. Nichtig- 
keitsverfahren, Zwangslizsenz und Zurücknahme des Patents. 51 SS. M. 2,40. 
Berlin, G. J. Göschen, 1914. gr. 8. 

Fideikommißgesetzentwurf, Der, in den Beratungen des Königl. 
Landes-Oekonomie-Kollegiums. Nebst Abdruck des Entwurfs zum Fideikommiß- 
gesetz. (Aus: „Verhandlungen der 1. Tagung der XIII. Sitzungsperiode des Königl. 
Laudes-Oekonomie-Kollegiums 1914.) Veröffentlichungen des Königl. Preuß. Landes- 
Ockonomie-Kollegiums. Hrsg. vom Gen.-Sekr. Dr. v. Altrock, Heft 16.) Berlin, 
Paul Parey, 1914. VII—116 SS. M. 2,50. 

Handwörterbuch der Kommunal-Wissenschaften. Hrsg. von (Gch. Reg.- 
Rat, Stadtbaurat a. D.) Prof. Jos. Brix, Drs. Hugo Lindemann, (Beigeordn.) Otto 
Most, (Stadtrat, Handelshochschul-Prof.) Hugo Preuß, Alb. Südekum. Jena, Gustav 
Fischer, 1914. Lex.-8. 3. Lieferung. 2. Bd. S. 1—160. M. 3,50. 

Hoffmann (Geh. Ob.-Reg.-Rat, vortr. Rat), Dr. F., Die Gewerbeordnung 
mit allen Ausführungsbestimmungen für das Deutsche Reich und Preußen. Er- 
läutert. (Taschengesetzsammlung No. 36.) Berlin, Carl Heymann, 1914. kl. 8. 
XX1V—1316 SS. M. 5.—. 

Ingelmann, Dr. Alfons, Ständische Elemente in der Volksvertretung 
nach den deutschen Verfassungsurkunden vom Jahre 1806—1819. (Abhandlungen 
aus dem Staats- und Verwaltungsrecht mit Einschluß des Kolonialrechts und des 
Völkerrechts, hrsg. von Proff. Drs. D. theol. Siegfr. Brie, Max Fleischmann, 
Heft 35.) Breslau, M. u. H. Marcus, 1914. gr. 8. XII—176 SS. M. 5.—. 

Kriegsgesetze, Die, verwaltungs- und öÖffentlich-rechtlichen Inhalts, vom 
4. 8. 1914. Textausgabe mit Anmerkungen, Wiedergabe der angeführten Gesetzes- 
stellen und alphabetischem Sachregister. (Deutsche Reichsgesetze in Einzelab- 
drücken. Hrsg. von [Geh. Justizrat] Prof. Dr. Karl Gareis, No. 534/35.) Gießen, 
Emil Roth, 1914. 8. M. 0,40. 

Lehmann, Prof. K., und (Sen.-Präs.) V. Ring, Das Handelsgesetzbuch 
für das Deutsche Reich. Erläutert. 2. Auflage, bearb. von Prof. K. Lehmann. 
1. Bd. (Kommentar zum bürgerlichen Gesetzbuch und seinen Nebengesetzen (II). 
Kommentar zu den Nebengesetzen. Berlin, Carl Heymann, 1914. Lex.-8. XXIV— 
542 SS. M. 14.—. 

Lenhard (Landrichter), A., und (Amtsrichter) Dr. W. Reichau, Preußi- 
sches Wassergesetz vom 7. 4. 1913. Mit Kommentar und den Ausführungs- 
verordnungen. Berlin, Franz Siemenroth, 1914. Lex.-8. 2. Lieferung. S. 161—336. 
M. 4,40. 

Pannier, Karl, Die Verfassungsurkunde für den preußischen Staat 
vom 31. 1. 1850, nebst den gesetzlichen Bestimmungen über die Bildung der beiden 
Kammern und dem Gesetz über den Belagerungszustand. Textausgabe mit kurzen 
Anmerkungen und Sachregister. (Universal-Bibliothek, No. 3870.) Leipzig, Philipp 
Reclam jun., 1914. 16. 87SS. M. 0,60. 

Reichs-Gesetzbuch, Deutsches, für Industrie, Handel und Gewerbe, 
einschließlich Handwerk und Landwirtschaft. Reichsgesetze, Verordnungen, Aus- 
führungsbestimmungen usw. mit erläuternden Anmerkungen, orientierenden Hin- 
weisen usw. Bearb. und hrsg. von der Red. des Reichs-Gesetzbuches für Industrie, 
Handel und Gewerbe: (Rechtsanw.) Lipke, (Landger.-Sekr.) E. Petermann unter 
Mitarbeit von (Amtsrichter a. D.) H. Klentzau, (Geh. Justizrat) G. Grünewald, 
(Ob.-Zollinsp.) O. Schumpelick u. a. Mit einem einleitenden Wort von Prof. 
Dr. Conr. Bornhak. Nachtrag 1913/14. Berlin, Verlag Deutsches Reichsgesetzbuch 
für Industrie, Handel und Gewerbe (Otto Drewitz), 1914. gr. 8. VI—262 SS., 
12, 5, VI, 89 u. 8 SS. M. 5.— 

Sintenis (Synd.), Dr. Gust., Die finanz- und wirtschaftspolitischen 
Kriegsgesetze 1914. Textausgabe mit einer Einführung, Anmerkungen und Sach- 


714 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und .des Auslandes. 


register. (Sammlung deutscher Gesetze. Hrsg. von Rechtsanw. Dr. Heinr. Wimpf- 
heimer, Bd. 38.) Mannheim, J. Bensheimer, 1914. kl. 8. 174 SS. M. 2.—. 

Stengel, Karl Frhr. v., Wörterbuch des deutschen Staats- und Ver- 
waltuugsrechts. Begründet von St. 2. völlig neu gearb. und erweit. Auflage, 
hrsg. von Max Fleischmann. 34.—36. Lieferung. 3. Bd. XII u. S. 801—1034. 
Tübingen, J. C. B. Mohr, 1914. Lex.-8. Je M. 2.—. (3. Bd. vollständig M. 26.—.) 

Ischarner, Dr. L. S. v., Volk und Regierung beim Abschluß von Staats- 
verträgen und sonstigen Fragen äußerer Politik in der alten Eidgenossenschaft. 
Bern, Stämpfli u. Cie., 1914. gr. 8. IV—111 SS. M. 2,50. 

Zalman (Hof- und Ger.-Adv.), Dr. Mor., Kommentar zur Moratoriums- 
verordnung. Unter Berücksichtigung des deutschen und ungarischen Moratoriums. 
Wien, Manz, 1914. kl. 8. V—140 SS. M. 2,10. 


Falchi, Ant, I fini dello stato e la funzione del potere. Sassari, tip. 
ditta G. Dessì, 1914. 8. VI—167 pp. l. 4.—. 

Grassi, prof. Gius., Sulla posizione scientifica di una dottrina generale 
dello stato. Milano, Società editrice libraria, 1914. 8. 17 pp. 

Gualtieri (Di), D'un nuovo concetto dello stato. Napoli, tip. F. Giannini 
e figli, 1914. 8. VIII—103 pp. L 2.—. 

Rogari, dott. Vinc., Nozioni di contabilità generale dello stato. Città 
di Castello, soc. tip. Leonardo da Vinci, 1913. 8. 50 pp. 

Trattato generale teorico pratico di diritto commerciale, del prof. Ed- 
mondo Thaller, col concorso e la collaborazione di altri specialisti, tradotto 
ed arricchito di note e raffronti da Gustavo Bonelli, dal prof. Arnaldo 
Bruschettini e da Mario D'Amelio. Fasc. 44—45 (principio del vol. I, 
Del diritto marittimo, di G. Ripert. Traduzione del prof. A. Bruschettini). 
Milano, Società editrice libraria, 1914. 8. 1—96 pp. 1l. 1. il fascicolo. 

Houten, S. van, Onze internationale stelling. Haarlem, H. D. Tjeenk 
Willink en Zn., 1914. gr. 8. 16 blz. fl. 0,20. 

Wet op den staat van oorlog en beleg met uitvoeringsvoorschriften en aantee- 
keningen. Alphen, N. Samsom. gr. 8. 8 en 105 blz. fl. 1,50. 


12. Statistik. 


Deutsches Reich. 

Arbeitsverhältnisse, Die, in der Stuhlindustrie. Ergebnisse einer sta- 
tistischen Erhebung vom November 1913. Hrsg. vom Vorstand des deutschen 
Holzarbeiter-Verbandes. Berlin, Verlagsanstalt des deutschen Holzarbeiter-Ver- 
bandes, 1914. gr. 8. 44 SS. M. 1.—. 

Bericht, Statistischer, über den Betrieb der unter Königl. sächsischer 
Staatsverwaltung stehenden Staats- und Privat-Eisenbahnen mit Nachrichten über 
Eisenbahn-Neubau im Jahre 1913. Hierzu 1 (farb.) Uebersichtskarte vom Bahn- 
netz. Dresden, H. Burdach, 1914. Lex.-8. IV—183 SS. M. 12,40. 

Ehrler (Vorst.), Dr. Jos., Die Wohnungsverhältnisse in der Stadt Frei- 
burg nach der Wohnungszählung vom 1. 12. 1910. (Beiträge zur Statistik der 
Stadt Freiburg im Breisgau. Im Auftrage des Stadtrats hrsg. vom städt. Statist. 
Amt, No 5.) Freiburg i. Br., Statist. Amt, 1914. Lex.-8. III—35 SS. M. 2.—. 

Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom Kaiserl. Statist. Amte. 
262. Bd. Die deutsche Flagge in den außerdeutschen Häfen im Jahre 1912. Berlin. 
Puttkammer und Müblbrecht, 1914. 33,5xX26 cm. V—38 und 76 SS. M. 2—. 


Oesterreich-Ungarn. 

Ungarische Statistische Mitteilungen, Bd. 31: Entwick- 
lung des Volksunterrichtswesens der Länder der ungarischen heiligen 
Krone. Budapest 1913. 499 SS. 

Ungarische Statistische Mitteilungen, Bd. 41: Viehbe- 
stand in den Ländern der ungarischen heiligen Krone. Nach dem Stand 
vom 28. Februar 1911. Budapest 1913. 1011 SS. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 715 


Ungarische Statistische Mitteilungen, Bd.45: Die Schiff- 
fahrt und Warenbewegung im Hafen von Fiume. Budapest 1913. 
219 SS. 


Die drei oben angegebenen Bände legen Zeugnis ab von der außer- 
ordentlich rührigen Tätigkeit des ungarisch-statistischen Zentralamtes, 
unter Leitung des Ministerialrates Dr. Julius von Vargha, und besonders 
dankbar müssen wir hervorheben, daß überall das Vorwort, wie der 
zusammenfassende Bericht auch in deutscher Sprache wiedergegeben ist, 
so daß es auch uns ermöglicht ist, die wertvollen Ergebnisse zu ver- 
werten. Außerordentlich detailliert und übersichtlich ist das ganze Volks- 
schulwesen behandelt, unter Zuziehung‘ der Kinderbewahranstalten, des 
Lehrlingsunterrichts, der Volksschullehrerausbildung, der Bibliotheken 
ete., während in dem ungarischen statistischen Jahrbuche kürzere Ueber- 
sichten über das gesamte Unterrichtswesen regelmäßig gegeben werden. 

Der Viehstand ist für 1895 und 1911 detailliert geboten und auch 
für die einzelnen Distrikte auf 100 qkm und auf 1000 Seelen berechnet. 

Der dritte Band bietet eine detaillierte Nachweisung nicht nur 
über den Schiffsverkehr, sondern auch die aus- und eingeführte Ware 
für den Hafen von Fiume. 


Wir behalten uns vor, an anderer Stelle auch das gebotene Zahlen- 
material zu verwerten. J. Conrad. 


Sanitätsbericht, Statistischer, der k. und k. Kriegsmarine für die Jahre 
1912 und 1913. Zusammengestellt von der IX. Abteilung des k. u. k. Reichs- 
kriegsministerinms, Marinesektion in Wien. Wien, Wilhelm Braumüller, 1914. 
Lex.-8. 171 SS. M. 7.—. 

Statistik, Oesterreichische. Hrsg. von der k. k. statistischen Zentral- 
kommission. 1. Bd. Ergebnisse, Die, der Volkszählung vom 31. 12. 1910 in 
den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern. 2. Heft. Die Be- 
völkerung nach der Gebürtigkeit, Religion und Umgangssprache, in Verbindung 
mit dem Geschlechte, nach dem Bildungsgrade und Familienstande; die körper- 
lichen Gebrechen, die soziale Gliederung der Haushaltungen. 53 und 103 SS. mit 
4 farb. Karten. M. 6.—. — 11. Bd. 1. Heft. Statistik des Sanitätswesens in den 
im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern für das Jahr 1911. 3—118 SS. 
M. 3,30. — 9. Heft. 1. Heft. Tafelwerk zur österreichischen Justizstatistik. Fin 
Quellenwerk für justizstatistische Forschungen. 2. Jahrg. 1911. 13—528 SS. 
M. 16,40. Wien, Carl Gerolds Sohn, 1914. 32,5X 25 cm. 


Schweiz. 
Bericht betr. Hauptergebnisse der vom kantonalen statistischen Bureau 
im Auftiage der Landwirtschaftsdirektion vorgenommenen Ermittelungen über die 
Schlachtvieh- und Fleischpreise in 24 größeren Ortschaften und Städten der 
Schweiz und speziell in der Stadt Bern pro 1913. Bern, A. Francke, 1914. 8. 
13 SS. mit 4 Tabellen. M. 0,50. 


Italien. 

Censimento della popolazione del regno d’Italia al 10 giugno 1911. 
Vol. III: L’alfabetismo della popolazione presente. (Ministero di agricoltura, in- 
dustria e commercio: direzione generale della statistica e del lavoro, ufficio del 
censimento Roma, tip. Nazionale, di G. Bertero ʻe C., 1914. 4. 230 pp. l. 2,50. 

Statistica delle organizzazioni di lavoratori al 10 gennaio 1913. (Ministero 
di agricoltura, industria e commercio.) Roma, tip. Nazionale, di G. Bertero e C., 
1914. 8. 201 pp. con nove tavole. 


716 Die periodische Presse des Auslandes. 


13. Verschiedenes. 


Blau (Ob.-Stabsarzt) u. Frau Lehr, Drs., Unser Sanitätswesen und das 
Rote Kreuz im Weltkrieg 1914. Leipzig, J. J. Arnd, 1914. 8. 68 SS. M. 0,40. 

Boas, Prof. Dr. Franz, Kultur und Rasse. Leipzig, Veit u. Comp., 1914. 
gr. 8. VILI—256 SS. mit 1 eingedr. Kurve. M. 5.—. 

Haeckel, Ernst, Englands Blutschuld am Weltkriege. Eisenach, H. Ja- 
cobis Buchhandlung (W. Neuenhahn), 1914. 8. 13 SS. M. 0,20. 

Naumann (Reichstags-Abg.), Dr. Friedr., Deutschland und Frankreich. 
(Der deutsche Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst Jäckh. 2. Heft.) 
Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt vorm. Eduard Halberger, 1914. gr. 8. 27 SS. 
M. 0,50. 

Wagner (Oberstleutn. a. D.), Reinhold, Der größte Verbrecher an der 
Menschheit im 20. Jahrhundert, König Eduard VI. von England. Eine Flug- 
schrift. 2. Aufl. Berlin, Carl Curtius, 1914. 8. 31 SS. M. 0,50. 


Bülow (Di), Bern., Germania imperiale. Traduzione dal tedesco, autoriz- 
zata e riveduta dall’autore. Milano, fratelli Treves, 1914. 8. 351 pp., con 
ritratto. 1. 10.—. 


Die periodische Presse des Auslandes. 


C. Oesterreich-Ungarn. 


Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österr. 
Handelsmuseums. Bd. 29, 1914, No. 36: Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen. 
— Der Außenhandel Rußlands. — etc. — No.37: Unsere Feldpost, von (Ministerial- 
vizesekretär im Handelsministerium) Dr. Adolf Großmann. — etc. — No. 38: Die 
Gründungstätigkeit in Oesterreich im 1. Semester 1914. — etc. — No. 40: Die 
wirtschaftliche Bedeutung des Kriegsverkehrs auf den Eisenbahnen, von Dr. Victor 
Krakauer — Hamburgs wirtschaftliche Lage nach dem ersten Kriegsmonate. — etc. 

Mitteilungen, Volkswirtschaftliche, aus Ungarn. Jahrg. IX, Juni 1914, 
Heft 6: Eine Gesetzesvorlage betr. Abänderungen einiger Bestimmungen über die 
Branntweinbesteuerung. — Der Komitatssteuerzuschlag in Ungarn. — Die Komitats- 
fonds in Ungarn im Jahre 1909. — Das Post-, Telegraphen- und Telephonwesen 
im Jahre 1912. — etc. 

Monatsschrift, Statistische. Hrsg. von der k. k. Statist. Zentral- 
Kommission. Jahrg. 19, 1914, Juli-August-Heft: Oesterreichs städtische Wohn- 
plätze mit mehr als 25000 Einwohnern Ende 1910, ihr Wachstum seit 1869 und 
die konfessionelle und sprachliche Zusammensetzung ihrer Bevölkerung 1880 bis 
1910, von Dr. Richard Engelmann. — Der auswärtige Warenverkehr Bosniens 
und der Herzegowina im Jahre 1912 im Vergleiche mit den Jahren 1911 und 
1908. — etc. 

Rundschau, Soziale. Hrsg. vom k. k. arbeitsstatistischen Amt im 
Handelsministerium. Jahrg. 15, August 1914, Heft 7: Wettbewerbverbot (Deutsches 
Reich, Ges.). — Revision des norwegischen Fabrikgesetzes (Regierungsvorlage). — 
Fabrikgesetz (Schweiz). — Errichtung von Fachausschüssen für die Hausarbeit 
(Deutsches Reich). — Regelung des Arbeitsverhältnisses der Bergarbeiter (Italien). 
— Pensionsversicherung von Privatangestellten (Ocsterreich). — Sozialversicherung 
(Oesterreich). — Die Arbeitslosigkeit bei den Gewerkschaften in Oesterreich 
in den Monaten März, April und Mai 1914. — Zählung der Arbeitslosen und 
Arbeiter mit verkürzter Arbeitszeit in Nürnberg. — Durchführung der Altersver- 
sicherung der Arbeiter und Landwirte in Frankreich. — Ergebnisse der Arbeits- 
vermittlung in Oesterreich im Juni 1914. — etc. 


F. Italien. 


Giornale degli Economisti e Rivista di Statistica. Vol. XLIX, Luglio 
1914, No. 1: Il dazio sul grano alla luce delle esperienze fatte in Austrias 
Ungheria, di Mario Alberti. — Associazione e cooperazione agricola nei vari 


Die periodische Presse Deutschlands, 717 


stati, di Giuseppe Bruccoleri. — Finanze turche, di Federico Flora. — Le 
retribuzioni dei ferrovieri, di Giuseppe di Miceli. — etc. — Agosto 1914, No. 2: 
Sintomi statistici dello sviluppo economico dell’ Austria, di Richard Sorer. — 
Studio sull’industria laniera, di Carlo di Nola. — etc. — Supplemento: 
Teoria dello sconto, di Gustavo del Vecchio. — 

Rivista della Beneficenza pubblica. Anno XLII, Giugno 1914, No. 6: 
La cassa di maternitä e l’organizzazione della previdenza materna, di Fanny 
Norsa Pisa. — La assicurazione per le malattie degli operai (Continuazione e 
fine), di dott. Vincenzo Magaldi. — etc. — Luglio 1914, No. 7: La cooperazione 
di consumo quale mezzo per reprimere il pauperismo e risvegliare l’energia del 
povero, di Elisa Boschetti. — La delinquenza giovanile ed i patronati dei minorenni, 
di (avv.) Vincenzo Tazzari. — etc. — Agosto 1914, No. 8: I giusti rapporti tra 
le autorita pubbliche e la beneficenza privata nel prevenire e soccorrere la 
miseria, di dottoressa Sidney Webb. — Le questioni della pubblica assistenza in 
parlamento (Continuazione), di (avv.) G. Della Favera. — etc. 


G. Holland. 


Economist, De, opgericht door Mr. J. L. de Bruyn Kops. 63. jaarg., 
September 1914, No. 9: De economische beteekenis van den oorlog, door C. A. 


Verrijn Stuart. — Uit de geschiedenis van de banken van Leening in Nederland, 
door H. J. Westerling. — Eugen von Böhm-Bawerk, 12 Februari 1851 — 28. 
Augustus 1914, door C. A. Verrijn Stuart. — etc. 

H. Schweiz. 


Monatsschrift für christliche Sozialreform. Jahrg. 36, Mai-Juni-Juli- 
August 1914, Heft 5—8: Zum Abschluß der Fabrikgesetz-Revision, von Prof. Dr. 


J. Beck. — Soziale Rundschau, von Pertinax. — Ein nationalökonomisches System 
auf katholischer Grundlage, von Prof. J. Beck. — Die christliche Gewerk- 
schaftsbewegung 1913, von Dr. Emil van den Boom. — Der Ausbruch des euro- 


päischen Krieges. Nachtrag zur Sozialen Rundschau, von Pertinax. — etc. 


Die periodische Presse Deutschlands. 


Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volks- 
wirtschaft. Jahrg. 47, 1914, No. 8: Die Stadt Nürnberg und ihre Arbeiter 
(II. Teil), von (Rechtsrat) Dr. Christian Weiß. — Gedanken über die Möglich- 
keit von Modernisierungen der Staatsverwaltungstechnik (Schluß), von (Bezirks- 
amtsassessor) Max Zwiebel. — Die Organisation der auswärtigen Verwaltung nach 
deutschem Recht, von (Priv.-Doz.) Dr. Franz Dochow. — etc. 

Archiv, Allgemeines Statistisches. Bd. 8, 1914, 2. Vierteljahrsschrift: 
Ortsanwesende Bevölkerung und Wohnbevölkerung, von (Direktor des Stat. Amts) 
Dr. Wilhelm Böhmert. — Lebendes und totes Voiksvermögen, von (Oberfinanzrat,) 
Prof. Dr. Hermann J. Losch. — Ueber die Berechnung von Korrelationskoef- 
fizienten zwischen den Symptomen der wirtschaftlichen Entwicklung in Oester- 
reich, von Dr. Richard Sorer. — Landwirtschaftliche Bodenpreisstatistik in 
Deutschland, von Dr. Michael Horlacher. — Konfessionsstatistik und kirchliche 
Statistik im Deutschen Reich, von H. A. Krose. — Zur Methodik der Inter- 
polation des Bevölkerungsstandes, von E. J. Gumbel. — Die Statistik im Ver- 
fassungsleben und in der Verwaltung Bayerns, von Dr. jur. et rer. pol. J. F. 
Kleindienst. — Organisation einer Statistik von Groß-Berlin, von Prof. Dr. 
Heinrich Silbergleit. — Die Deutsche Statistische Gesellschaft, von (Geheimrat) 
Dr. Eugen Würzburger. — Getreidevorratsstatistik, von (Reg.-Ass.) Georg Däsch- 
lein. — Internationale Statistik der Bevölkerungsbewegung, mit besonderer Be- 
rücksichtigung des Geburtenrückgangs. — Die Frau in der Berufsstatistik Frank- 
reichs, der Schweiz, Schottlands und Neu-Seelands. — Die gewerbliche Pro- 
ER in den Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Zensus von 

. — ete. 


718 Die periodische Presse Deutschlands. 


Archiv für Eisenbahnwesen. Hrsg. im Kgl. Preußischen Ministerium der 
öffentlichen Arbeiten. Jahrg. 1914: Gesamtinhaltsverzeichnis der Jahrgänge 1 bis 
36 (1878—1913)., zusammengestellt von (Geh. Rechnungsrat) H. Auerswald. 

Archiv für innere Kolonisation. Bd. 6, September 1914, Heft 12: Häusler 
und Einlieger in anderer Wertung des Ehrenberg- v. Oertzenschen Materials, 
von (Reg.- und Landes-Oekonomierat) Dr. Stumpfe. — Innere Kolonisation in 
Ungarn. — etc. 

Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahr- 
gang 14, September 1914, No. 15/16: Zolltarife und Handelsverträge. — Der 
englische Handelskrieg. — ete. 

Bank, Die. September 1914, Heft 9: Wirtschaftliche Kriegsbereitschaft, 
von Alfred Lansburgh. — Napoleons I. Krieg gegen das britische Kreditsystem, 
von Dr. Peter Aretz. — Der internationale Zahlungsausgleich im Kriege, von 
A. L. — Die Nationalwirtschaft im Lichte des Weltkriegs, von Ludwig Eschwege. 
— Die deutschen Kriegsanleihen. — Die Leistungsfähigkeit der deutschen Privat- 
notenbanken. — Börsenmoratorium und Ultimogeld. — etc. 


Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 5, August-September 1914, No.8/9: 
Die Gemeinden und der Krieg: Aufgaben der Gemeinden während des Kriegszu- 
standes. — Kommunale und private Fürsorgearbeit in der Kriegszeit, zentralisiert 
in einem Hilfsamte. — Lebensmittelversorgung und Maßnahmen zur Sicherung 
der Volksernährung während des Krieges. — Zur Bekämpfung der Arbeitslosig- 
keit. — Krieg und Volksversicherung. Ein Beitrag zu den Aufgaben der Ge- 
meinde im Kriegsfalle, von (Amtmann) v. Borries. — Das preußische Kommunal- 
abgabengesetz, Kreis- und Provinzialabgabengesetz, sowie Ausführungsgesetz zum 
Zuwachssteuergesetz nach den Ergebnissen der Kommissionsberatungen (1. Lesung), 
von C. Brandhuber. — Die Finanzgebarung und Bilanzierung werbender Kom- 
munalbetriebe, unter besonderer Berücksichtigung der badischen Städte, von 
(Stadtvrerordneten) Julius Neuhaus. — Kommunale Sparkassen und öffentlich- 
rechtliche Lebensversicherung. — Der kommunale Aufstieg Kölns. — etc. 

Concordia, Zeitschrift der Zentralstelle für Volkswohlfahrt. Jahrg. 21. 
1914, No 16—18: Soziale Fürsorge in der Kriegszeit, von Dr. jur. J. Altenrath. — 
Der nationale Frauendienst. — Jugendpflege im Kriege und militärische Jugend- 
vorbereitung, von Dr. Hertha Siemering. — Unfallverhütung durch Mitwirkung 
der Arbeiter, von Dr. A. Bender. — Die Berufsvormundschaft in Bayern, von 
Dr. Mich. Horlacher. — etc. 

Export. Jahrg. 36, 1914, No. 38—41: Weshalb die Deutschen im Aus- 


lande unbeliebt sind?, von Dr. R. Jannasch. — Zur Weltwirtschaft hinauf! 
(Forts.). von Dr. R. Jannasch. — Unsere wirtschaftliche Kriegsbereitschaft. — 
Die deutsche Kriegsanleihe. — Zur Lage der deutschen Industrie Anfang Ok- 
tober d. J. — Skandinavische Wirtschaftsverhältnisse und der Krieg. — Chile 
und der europäische Krieg. — etc. 

Finanz-Archiv. Zeitschrift für das gesamte Finanzwesen. Jahrg. 31, 
1914, Bd. 2: Der Begriff der Steuer, von G. N. Leon. — Die direkten Steuern 


Frankreichs und ihre Reform, von (Priv.-Doz.) Dr. Emanuel Vogel. — Höhe 
und Verteilung der Steuern ‚Japans, sowie Vorschläge zu ihren Reformen, von 
Prof. Masao Kambe. — Wahrheit und Fiskalismus bei der Veranlagung der mo- 
dernen Einkommensteuer, von (Hofrat) Dr. Franz Meisel. — Studie zur Ent- 
wicklung des Berliner Etats, von Dr. phil. et jur. Erich Marx. — Das neue 
TEinkommensteuergesetz in den Vereinigten Staaten von Amerika, von Dr. Paul 
Marcuse. — etc. 


Gegenwart, Die. Jahrg. 43, 1914, No. 38: Die Forderung des Tages, von 


Friedrich Sievers. — etc. — No. 39: Die Aufhebung der Kapitulationen in der 
Türkei, von E. Lehmann. — etc. — No. 40: Braucht Deutschland ein Sitten- 
zeugnis?, von Heinrich Ilgenstein. — etc. — No. 41: Grey contra Grey. Kost- 


pröbchen aus dem englischen Weißbuch. — etc. 

Jahrbücher, Landwirtschaftliche. Bd. 46. Ergänzungsband. Berichte 
der Kgl. Gärtnerlehranstalt zu Dahlem, der Kgl. Lehranstalt für Wein-, Obst- 
und Gartenbau zu Geisenheim a. Rh. und der Kgl. Lehranstalt für Obst- und 
Gartenbau zu Proskau für das Etatsjahr 1913. Erstattet von den Anstaltsdirektoren. 


Die periodische Presse Deutschlands. 719 


Jahrbücher, Preußische. Bd. 158, Oktober 1914, Heft 1: Das Ethos des 
politischen Gleichgewichtsgedankens, von Prof. Dr. Ferd. Jac. Schmidt. — 
Moltke als Politiker, von Dr. Rudolf Peschke. — Ucber den kriegerischen Charakter 
des deutschen Volkes, von Hans Delbrück. — Ist ein Winterfeldzug nach Ruß- 
land möglich? — Herrscht in Rußland Einigkeit?, von (ord. Honorarprof.) Dr. 
Carl Ballod. — etc. 

Kartell-Rundschau. Jahrg. 12, August-September 1914, Heft 8/9: 
Die Kartelle und der Krieg (I), von Dr. S. Tschierschky. — ete. 

Kultur, Soziale. Jahrg. 34, Oktober 1914, Heft 10: Der soziale Charakter 
des großen Krieges, von Prof. Dr. Adolph Mayer. — Die Stufen der wirt- 
schaftlichen Entwicklung, von (Hofrat) Prof. Dr. E. Schwiedland. — etc. 

Monatshefte, Sozialistische. 1914, Heft 18: Der Krieg und die sozial- 
demokratische Presse, von Hugo Poetzsch. — England, von Max Schippel. — 
Sozialistische Landesverteidigung, von Wolfgang Heine. — Nationale Solidarität, 
von Walter Öehme. — Der Sozialismus während des Krieges, von Edmund 
Fischer. — etc. 

Monatsschrift, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 13, Oktober 1914, 
No. 7: Weltenwende, vom Herausgeber. — Die Schande der weißen Rasse, von 
Dr. Arminius. — Der Weltfeind, von Dr. G. Eichhorn. — Psychologie des mo- 
dernen ‚‚Kulturfortschrittes‘‘, besonders des Kapitalismus und der Sozialdemokratie 
(Schluß), von Gregor v. Glasenapp. — Die Gefahren der oberen Volksschichten 
in rassenhygienischer Beziehung und Vorschläge zur Abhilfe (Forts.), von Erich 
Weißenborn. — etc. 


Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 32, 1914, No. 1655: Der Kampf für 
Wahrheit und Recht gegen Lüge und gemeine Niedertracht. — Die deutschen 
Banken im Jahre 1913 (IX), von Robert Franz. — Aufsichtsamt und Kriegs- 
versicherung. — etc. — No. 1656: Die Kriegsanleihe, von W. Christians. — Die 
deutschen Banken im Jahre 1913 (X), von Robert Franz. — Ueberschätzung 
des Goldes? — Der kleingewerbliche Kredit in Deutschland. — ete. — No. 1057: 
Deutschlands Lebensmittelversorgung im Kriege. — Die deutschen Banken im 
Jahre 1913 (XI), von Robert Franz. — ete. — No. 1658: Das politische Ziel 
des Krieges. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (XII), von Robert Franz. 
— etc. 

Plutus. Jahrg. 11, 1914, Heft 38: Kriegsanleihe. — Staatsschulden und 
Kriege in England, von Dr. Ernst Schultze-Großborstel. — etc. — Heft 39/40: 
Milliarden — Kriegsbilanzen, von (Diplomkaufmann) Walter le Coutre. — etc. 
— Heft 41/42: Harakiri. — Krieg und Lieferungsverträge, von Dr. jur. Albert 
Herzog. — etc. 

Recht und Wirtschaft. Jahrg. 3, 1914, August-Sept. Der Krieg, von 
(Reichsgerichtsrat) Dr. Düringer. — Non silent leges inter arma, von Prof. 
Dr. Theodor Kipp. — Völkerrecht und Stantsinteresse, von (Amtsgerichtsrat) 
Riß. — Ueber den Einfluß des Krieges auf die Lage der großstädtischen Hypo- 
thekenschuldner, von (Rechtsanw. und Priv.-Doz.) Dr. Arthur Nußbaum. — Der 
Weltkrieg 1914, Rechtsbetrieb und Federfuchserei, von Richard Deinhardt. — etc. 


Revue, Deutsche. Jahrg. 39, Oktober 1914: Abrechnung, von Dr. Frhr. 
v. Jette. — Die Entwicklung Rumäniens unter König Carol und der Balkan- 
krieg (Forts.), von (Königl. rumän. Ministerpräs. a. D.) Demeter A. Sturdza. — 
Von Krieg und Politik, von Prof. Dr. Schiemann. — Rußlands Volks- und Ver- 
kehrswirtschaft und der Krieg, von (Ministerialrat) v. Völcker. — Die Haltung 
Italiens, von Philipp Hiltebrandt. — Die Moral in der Politik und die englische 
Flotte. — etc. 


Revue, Soziale. Jahrg. 14, 1914, Heft 5: Der Krieg, von Dr. Flügler. 
— Lohnbeschlagnahme, von Dr. W. Stein. — Geburtenfrage und Rassenhygiene, 
von G. v. Hoffmann. — Das Reichsgesetz über den privaten Versicherungsvertrag 


vom 30. Mai 1908, von Dr. Purpus. — Zur Frage der staatlichen Beschäftigung 
Brotloser, von William Pember Reeves und L. Katscher. — etc. 

Rundschau, Deutsche. Jahrg. 41, Oktober 1914: Die geschichtlichen 
Voraussetzungen des modernen Krieges, von Friedrich Lenz. — Paris, von Jacob 


Schaffner. — etc. 


720 Die periodische Presse Deutschlands, 


Sozial-Technik. Jahrg. 13, Oktober 1914, Heft 18 und 19: Soziale 
Praxis im Kriege, von Dr. jur. Arthur Fischer. — Wohlfahrtseinrichtungen bei 
den Wiener Straßenbahnen, von Wernecke. — Taylor und die Gewinnbeteiligung. 


m etc. 

Verwaltung und Statistik. (Monatsschrift für Deutsche Beamte.) Jahr- 
gang 4, Oktober 1914, Heft 10: Von unserer Seefischerei (Schluß). — Das 
Einkommen der deutschen Rechtsanwälte. — etc. 


Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Bearb. im 
Kaiserl. Statist. Amte. Ergänzungsheft zu 1914. Die Viehhaltung im Deutschen 
Reich nach der Zählung vom 2. 12. 1912. 

Weltverkehr und Weltwirtschaft. 4. Jahrg., 1914/15, August-September, 
No. 5/6: Die deutschen Diamanten, von Dr. Paul Rohrbach. — Die Eisenbahnen 
der südafrikanischen Union, von Dr. H. Kleinkemm. — Die Kriegsmoratorien, von 
Wilhelm Bürklin. — etc. 

Wirtschafts- Zeitung, Deutsche. Jahrg. 10, 1914, No. 18: Aufklärung 
des Auslandes, von Prof. Dr. Max Apt. — Deutschlands Ausfuhrhandel während 


des Krieges — und nachher, von E. Fitger. — Die deutsche Finanzwirtschaft 
im Kriege. — etc. — No. 19: Die deutsche Kriegsanleihe, von Prof. Dr. W. Lotz. 
— Zur Lage auf dem wirtschaftlichen Kriegsschauplatz. — etc. — Beilage: 


Die Akademie für Sozial- und Handelswissenschaften in Frankfurt a. M., von 
(Diplom-Kaufmann) Johannes Kähler. — etc. 

Zeit, Die Neue. Jahrg. 32, 1914, No. 22: Wirkungen des Krieges, von 
Karl Kautsky. — Der Krieg und die Gewerkschaften, von Adolf Braun. — etc. 
— No. 23: Wirkungen des Krieges (Schluß), von Karl Kautsky. — Vom Wirt- 
schaftsmarkt Kriegsanleihe und Produktionseinschränkung, von Heinrich Cunow. 
— etc. — Jahrg. 33, 1914, No. 1: Die Sozialdemokratie im Kriege, von Karl 


Kautsky. — Die Internationale und der Burgfrieden, von Karl Kautsky. — 
Einige ungedruckte Briefe Lassalles an Marx, von Eduard Bernstein. — Krieg 
und Presse, von Ernst Däumig. — etc. 


Zeitschrift des Kgl. Preuß. Statist. Landesamts. Jahrg. 54, 1914, 3. Ab- 
teilung: Die Bevölkerungsbewegung der letzten Jahrzehnte in Preußen und in 
einigen anderen wichtigen Staaten Europas, von Prof. Dr. Carl Ballod. — Die 
preußischen Sparkassen im Rechnungsjahre 1912, von (Reg.-Rat) Dr. jur. H. 
Höpker. — etc. 

Zeitschrift des Kgl. Sächsischen Statistischen Landesamts. Jahrg. 60, 
1914, Heft 1: Die Einschätzungen zur Einkommensteuer und zur Ergänzungs- 
steuer auf die Jahre 1910 und 1912. — Die Einschätzungen zur Einkommensteuer 
für 1912 mit Unterscheidung der Eingeschätzten nach ihren persönlichen Ver- 
hältnissen — ZEhestatistik nach den Volkszählungen von 1905 und 1910, von 
(Reg-Rat) Dr. Georg Lommatzsch. — Die Arbeitslosenzählung vom 12. Ok- 
tober 1913, von (Reg.-Ass.) Dr. M. Busch, — Die Wohnungszählung vom 1. De- 
zember 1910, von Dr. phil. O. Kürten. — Das Verhältnis zwischen Einkommen 
und Wohnungsmietspreis, von Dr. phil. O. Kürten. — Die Finanzen der größeren 
und mittleren Gemeinden in den Jahren 1906, 1908 und 1910, von Dr. phil. 
Kurt Bormann. — Die Viehzählungen vom 2. Dezember 1912 und 1. Dezember 
1913, von (Oekonomierat) Robert Georgi. — etc. 

Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 7, Sep- 
tember 1914, Heft 6: Deutsches Wirtschaftsleben im Kriege, von Dr. Georg 
Obst. — etc. — Beiblatt: Der Krieg und das Deutschtum im Wirtschafts- 
leben, von Prof. Dr. A. Schröter. — etc. 

Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. 5, 1914, Heft 10: Die Preis- 
kurve und das Teuerungsproblem (2. Teil, V. Schluß), von Dr. Lorenz Glier. — 
Die inneren jahreszeitlichen Wanderungen der Landarbeiter und die landwirt- 
schaftlichen Stellenvermittlungsämter in Italien (II, Schluß), von Dr. Livio 
Marchetti. — Vogelschutzbewegung und Schmuckfederindustrie (III), von W. 
Th. Linnenkohl. — Ueber die Entwicklung der Essener Wohnungsverhältnisse 
seit 1900. — Verschiebungen in der Seidenproduktion. — Die Errichtung von 
soziologischen Lehrstühlen an den deutschen Hochschulen. — etc. 


Frommannsche Buchdruckerei ‘Hermann Pohle) in Jena. 


Joachim Tiburtius, Der Begriff des Bedürfnisses. 721 


VI. 


Der Begriff des Bedürfnisses. Seine psy- 
chologische Grundlage und seine Bedeutung 
für die Wirtschaftswissenschaft. 


Von 
Joachim Tiburtius, 


Kammergerichtsreferendar. 


Einleitung. 

a) Wissenschaft und Sprachgebrauch. b) Das Bedürfnisproblem in der bis- 
herigen ökonomischen Forschung. c) Die Terminologie: Bedürfnis, Bedarf und 
Befriedigungszustand. d) Unsere Aufgabe: Feststellung 1) des Begriffes des 
Bedürfnisses, insbesondere des „wirtschaftlichen“ Bedürfnisses, 2) der wirtschaft- 
lichen Bedeutung der Bedürfnisse. 

Der Gegenstand der Untersuchung. Im Zeitalter des 
volkswirtschaftlichen Historismus, der es sich zur Aufgabe gesetzt 
hat, alle unser Wirtschaftsleben bestimmenden äußeren Tatsachen 
in allen Gründen und Stufen ihrer Entwicklung zu erforschen, 
scheint eine Klärung vonnöten, wie man dazu kommt, einem so 
allgemeinen Begriffe, wie dem des Bedürfnisses, eingehenderes Nach- 
denken zu widmen und ihn gar zum Gegenstande einer selbständigen 
Darstellung zu machen. Die bisherigen Bemühungen um diese Auf- 
gabe, wie die Franz Cuhels („Zur Lehre von den Bedürfnissen“), 
haben bei der ökonomischen Kritik im ganzen nur geringes Interesse 
(so trotz’ gewisser Anerkennung bei Philoppovich, Grundriß, Bd. 1, 
S. 33) und zumeist den Ruf philologischer Haarspaltereien geerntet, 
denen die Erkenntnis wirklich fördernde Ergebnisse nicht verdanke. 
Nicht unberechtigt scheint es, diese Haltung aus dem Glauben abzu- 
leiten, man dürfe bei der Verwendung eines so volkstümlichen Be- 
griffes wie dem des Bedürfnisses getrost dem Sprachgebrauche 
folgen, der von sicherem Instinkte geleitet, hierin das Richtige 
treffe. Wir werden sicherlich keiner wissenschaftlichen Termino- 
logie das Recht geben, an den vom Sprachgebrauche geschaffenen 
Formen achtlos vorüberzugehen. Seine schöpferische Tätigkeit kann 
jedoch die Forschung niemals von der Prüfung befreien, ob ein ihr 
wesentlicher Begriff bereits mit unzweideutiger Bestimmtheit in 
Bewußtsein und Sprache der Allgemeinheit Eingang gefunden habe. 
Gerade die deutsche Sprache hat in einer Fülle von Formen für jede 
Erscheinung den bezeichnenden Sonderausdruck gefunden. Nur 
liegen die vorhandenen synthetischen Schätze vielfach verschüttet 
und können nur von behutsamen Händen gehoben werden, welche 
die klaren Linien der Sprachgebilde zu wahren und einen ver- 
worrenen Mißbrauch dieses empfindlichen Instrumentes in einen 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 46 


722 Joachim Tiburtius, 


sinngerechten Sprachgebrauch umzuwandeln vermögen. Mittels die- 
ser Philologie, im edelsten Sinne, hat Rudolf v. Ihering die Rechts- 
philosophie um ein ganz neues Bild der menschlichen Gemeinschaft 
in ihren Zusammenhängen bereichert, das den Unterscheidungsreich- 
tum unserer Sprache in zwingendster Klarheit wiedergibt. 

Um zu erkennen, daß die Wirtschaftswissenschaft zu einer 
solchen Sicherheit in den Grundbegriffen noch nicht gelangt ist, 
genügt es festzustellen, wie vieldeutig der Ausdruck „Bedürfnis“ 
nicht allein in der Umgangssprache des Alltages, sondern mit be- 
sonderem Mangel an Unterscheidungsschärfe in der fachwissen- 
schaftlichen Literatur verwendet wird. Die nationalökonomische 
Begriffsbildung hat den „populären Sprachgebrauch“ noch nicht 
von der „Vieldeutigkeit und Verschwommenheit gesäubert‘, wie es 
Schmoller von ihr verlangt!). Inwiefern die Wirtschaftswissenschaft 
an dem uns beschäftigenden Begriffe ein besonderes Interesse habe, 
wird am Schlusse der Darstellung an der Hand des gewonnenen 
Materiales zu beantworten sein, hier fragen wir nur nach der Be- 
rechtigung terminologischer Kritik. Unter den volkswirtschaftlichen 
Forschern, die sich eingehender mit dem Begriffe beschäftigten, 
haben die meisten ihn als eine innere Bewußtseinstatsache gedeutet, 
als ein bestimmtes Verhältnis des Menschen zu den ihm nötigen 
Gütern, seinem Bedarfe. So finden wir das Bedürfnis erklärt bei 
v. Hermann, Wagner, Brentano, Schäffle, Cuhel, Gurewitsch und 
Oppenheimer. Daneben verwenden andere Schriftsteller die Aus- 
drücke „Bedürfnis“ und „Bedarf“ ganz unterschiedslos. So er- 
blickt Philoppovich?) im ersten Bande seines Grundrisses den Aus- 
gangspunkt der menschlichen Wirtschaft zutreffend in dem Ver- 
langen nach den erforderlichen Sachgütern. Die wirtschaftliche 
Aufgabe besteht für ihn in der Beschaffung des erforderlichen Vor- 
rates an Gütern; diesen nennt er „Bedarf“, das ihm geltende Ver- 
langen „Bedürfnis“, ganz im Sinne unserer Vorschläge. Bald darauf 
aber spricht er von einer „Bedarfsbefriedigung‘, während es nach 
dem eben Gesagten doch unbestreitbar Bedürfnisbefriedigung heißen 
müßte, da ein Sachvorrat nicht das Subjekt eines inneren Erlebnisses 
sein kann. 

Anders zu bewerten als diese sprachliche Ungenauigkeit ist 
die grundsätzliche Gegnerschaft, die der Philosoph Döring zu den 
an erster Stelle genannten Gelehrten einnimmt. Er versteht unter 
Bedürfnissen gewisse objektive Erfordernisse?) unseres Daseins, 
wie die Gesundheit, die Sättigung und das Wohlgefühl. 

Uns erscheint es das Wesen des Begriffes mehr zu erschöpfen, 
wenn wir in Richtung der v. Hermann-Oppenheimerschen Auffas- 
sung das Bedürfnis als eine subjektive Gleichgewichtsstörung im 
menschlichen Organismus ansehen. Wir wollen demnach unter- 
scheiden: Bedürfnis, Bedarf und Befriedigungszustand. 


1) Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Bd. 8, S. 466. 
2) Siehe § 31, 32. 
3) Philos. Güterlehre, $ 5 ff. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 723 


1) Das Bedürfnis, als seelisches Gebilde. 

2) Den Bedarf, als ein objektives Phänomen der Güterwelt. 

3) Den durch Beschaffung und Verwendung des Bedarfs herbei- 
geführten Zustand der Befriedigung des Bedürfnisses. 

Diese Trennung ermöglicht uns unser Wortschatz, im Gegen- 
satze zum französischen, der für Bedürfnis und Bedarf nur das Wort 
besoin kennt. Sie ist der Döringschen Fassung um deswillen vor- 
zuziehen, weil diese in den Bedürfnisbegriff die im Interesse klarer 
Unterscheidung entfernten objektiven Merkmale wieder hereinbringt 
und so das Bedürfnis mit den Zuständen vermengt, deren Verwirk- 
lichung es erstrebt. 

Davon ausgehend, müssen wir es ablehnen, von einem „Be- 
dürfnisse“ nach einem Zustande zu sprechen, der in der Vorstellung 
des Subjektes gar nicht vorhanden ist, oder doch keine Begehrens- 
regungen in ihm auslöst. So hört man z. B. manchmal sagen, X sei 
ein Verschwender, für ihn sei Sparsamkeit ein dringendes ‚„Be- 
dürfnis“. Wäre dies der Fall, so würde die Berechtigung entfallen, 
X einen Verschwender zu nennen. Richtig wäre es, von der Not- 
wendigkeit sparsamer Wirtschaft für X zu sprechen, oder, um seine 
eigene Stellung zu bezeichnen, zu sagen: Es ist mir ein Bedürfnis, 
daß X sich zur Sparsamkeit entschließe. 

Damit ist Klarheit über den Gegenstand unserer Untersuchung 
geschaffen, sein Wesen wollen wir aus seiner Entstehungsgeschichte 
kennen lernen. 

Es soll im folgenden der Versuch gemacht werden, aus einer 
vergleichenden Darstellung ökonomischer, allgemein philosophischer 
und, soweit vorhanden, auch psychologischer Forschungsergebnisse 
den Begriff des Bedürfnisses zunächst in seiner gemeingültigen 
Grundform festzustellen, um dann zu prüfen, in welchem Sinne wir 
von einem wirtschaftlichen Bedürfnisse zu sprechen haben. Dabei 
wollen wir unsere Aufmerksamkeit nicht auf diejenigen Bedürfnisse 
beschränken, deren Befriedigung unmittelbar zu wirtschaftlichen 
Handlungen führt, sondern der gesamte Umkreis der gesellschaft- 
lich-erheblichen Bedürfnisse soll uns beschäftigen. 


I. Teil. 
Der Begriff des Bedürfnisses. 
Erstes Kapitel. 


Die Entstehung der Bedürfnisse. 


A. Entwicklung des eigenen Standpunktes. Quelle, Formen, mittelbares und 
unmittelbares Ziel des Bedürfnisses. Unsere Definition. B. Der Stand der Mei- 
nungen in der Literatur. I. Die Ableitung der Bedürfnisse aus Lust- und Un- 
lustgefühlen. 1) Das Bedürfnis als Gefühl eines Mangels: v. Hermann, Wagner, 
Brentano. 2) Psychologisch-genetische Darstellungen: Wahle, Gurewitsch, Münster- 
berg. 3) Das Bedürfnis als Gefühl einer Gleichgewichtsstörung: Oppenheimer. 
II. Lust und Unlust als Ziele, nicht als Ursachen der Bedürfnisse: Schmoller. 


46* 


724 Joachim Tiburtius, 


IIl. Die Ausschaltung der Lust- und Unlustgefühle als notwendiger Bedingungen 
der Bedürfnisse. a) Psychologische Versuche einer anderen Abteilung: Cuhel, Das 
Bedürfnis als Streben nach objektiven Wohlfahrtszuständen. Döring, Das Be- 
dürfnis als objektive Daseinsbedingung. Meinong, Das Bedürfnis als Verlangen nach 
fehlenden Mitteln. Kraus, die Unterscheidung hedonistischer und gewohnheits- 
mäßiger Bedürfnisse. Suabedissen, Naturtriebe und äußere Eindrücke als Erzeuger 
der Bedürfnisse. b) Ethisierende Ableitungen der Bedürfnisse. Paulsen, Der ri- 
goristische Willensbegriff. Schäffle, Die Läuterung des Bedürfnisses vom „‚Drange“ 
zur „sittlich geregelten Bedarfsgewöhnung“. Sax, Die Beschränkung des Be- 
dürfnisbegriffes auf die Erreichung vernüftiger Zwecke. IV. Psychologie und 
Oekonomik. Uebersicht über die Ergebnisse dieses Teils unserer Darstellung. 


A. Entwicklung des eigenen Standpunktes. 


Der Idealzustand eines stabilen Gleichgewichts aller den Orga- 
nismus erhaltenden und bewegenden Kräfte wird sich in der 
Dynamik des Lebens niemals einstellen. Der unaufhörlich aus- 
schaltende und erneuernde Wechsel aller Kräfte des Körpers und 
Geistes muß ständige Schwankungen zwischen Mangel und Ueberfluß 
erzeugen. Diese Gleichgewichtsstörungen teilen sich der mensch- 
lichen Nervenzentrale mit; soweit die Erfahrung reicht, gesellt sich 
ihnen die Erinnerung an einen in der Vergangenheit bereits er- 
reichten Lustzustand. Doch liegt auch schon vor aller Erfahrung im 
Menschen die Ahnung einer Verbesserungsfähigkeit seiner Lage, sie 
treibt den Neugeborenen zum Schreien. 

Eine Trübung des gegenwärtigen Lustgefühles tritt bereits ein, 
wenn eine Störung der objektiv in der Zukunft vorhandenen Har- 
monie durch das Dazwischentreten eines bereits erlebten Ereignisses 
befürchtet wird. Auch fernerliegende Ereignisse können somit Be- 
dürfnisse wecken und fürsorgliche Maßnahmen über längere Zeit- 
räume hinaus hervorrufen. Hierin liegt die Wurzel der wirtschaft- 
lich erheblichen Bedürfnisse. Dieses subjektive Bild der gegen- 
wärtigen Lage wächst mit dem vorgestellten Bilde einer besseren 
Zukunft zu einem Gefühle zusammen, dem ein Verlangen nach Aus- 
gleich der seelischen Disharmonie entspringt. Dieses Verlangen 
wollen wir ein Bedürfnis nennen. 

Sein Ziel ist die Bewahrung der noch vorhandenen, oder die 
Wiederherstellung der verlorenen objektiven Harmonie. 

Von seinen Elementen ist die Empfindung aktueller Unlust 
das persönlichste, das nur aus der Eigenart seines Subjektes heraus 
entstehen kann. Den begleitenden Vorstellungen kann mittels der 
Erfahrung auch aus fremdem Erlebniskreise Inhalt zugeführt wer- 
den. Eine Lustvorstellung kann auch aus der Erinnerung an Vor- 
teile auftauchen, die wir andere aus dem Besitze eines Gutes haben 
ziehen sehen, ohne daß wir für uns den gleichen Genuß zu erwarten 
brauchen. Ein Bettler, der sein Wärmebedürfnis mit einer Wolldecke 
ganz ausreichend stillt, wird angesichts eines Zobelpelzes nicht so 
sehr an den Schutz gegen Kälte, als an den äußeren Glanz denken, 
den dieser seinem Träger verleiht. Nicht ein Wärme-, sondern ein 
Auszeichnungsbedürfnis wird er mit ihm befriedigen wollen. Die 
Klarheit, mit der das Bewußtsein des Bedürfenden die Entstehungs- 


Der Begriff des Bedürfnisses. 725 


gründe des Bedürfnisses umfaßt; erstreckt sich nicht immer sofort 
auf das äußere Ziel als Mittel seiner Erfüllung. Zu ihm führt der 
Weg häufig durch Ahnung und Phantasie. 

In der Stärke, mit der Ziel und Mittel begehrt werden, wollen 
wir die Stufen des Wunsches und des Willens unterscheiden. In 
jeder dieser beiden Begehrensformen mischen sich ein Streben und 
eine Vorstellung, sie unterscheiden sich durch die Stärke des einen 
und die Klarheit des anderen Elementes. Diese letztere mangelt der 
‚untersten Begehrensstufe, dem Triebe. 

In ihm herrscht das blinde Besitzverlangen, das sich weder 
über die Bedeutung des erstrebten Gutes im Gesamtdaseinszu- 
sammenhange des Subjektes, noch über den zu seiner Erlangung 
führenden Weg, Rechenschaft zu geben vermag. Der Urform des 
Triebes mangelt es an der Richtungsbestimmtheit, es fehlt ihr an 
einem körperlich bestimmten äußeren Ziele. 

Der unberührte Jüngling, der seiner Kraft bewußt wird, emp- 
findet ein Sehnen nach dem weiblichen Geschlechte in seiner All- 
gemeinheit, ein Verlangen nach lustvoller Befreiung von einem 
Drucke. Die Richtung auf ein konkretes Ziel erhält der Trieb erst 
durch die Berührung mit dem anderen Geschlecht. Die erlebte Be- 
friedigung schafft einen Erfahrungsinhalt und wandelt so das un- 
bewußte in ein bewußtes Bedürfnis. 

Die Strebenskraft ist im Triebe mächtiger als in den 
anderen Begehrensarten, am stärksten im konkreten Triebe, der sich 
einem Ziele gegenübersieht. 

Der höheren Form des konkreten Triebes, dem Instinkte, 
mangelt gleichermaßen die Einsicht in die Angemessenheit des zu 
erreichenden Zweckes, indessen treibt ihn sein Wesen in der Regel 
auf solche Ziele. So verlangt schon der Neugeborene nach Be- 
freiung von der ihm schädlichen Nässe, ohne ein Bewußtsein dieser 
Schädlichkeit, noch eines besseren Zustandes zu haben. 

Vom Triebe in jeder Gestalt unterscheidet sich der Wunsch 
durch das Bewußtsein der vorgesetzten Aufgabe, das ihn als leitende 
Macht erfüllt. Ihre Lösung wird jedoch nur als angenehm vor- 
gestellt und erhofft, ohne daß der Entschluß entsteht, selber dafür 
tätig zu werden. 

Der Wille endlich zeigt das Begehren im Stande höchster Be- 
wußtheit und stärkster Kraft. In ihm klärt die Besonnenheit des 
Wunsches die Macht des Triebes. Das Begehren steigert sich im 
Willen zu einer Selbstüberwindungs- und -erziehungsarbeit ım 
Kampfe um die Lebensgüter. Im Bedürfnis regt sich das Begehren 
zumeist als Trieb oder Wille; die Stärke des Impulses schwankt 
indes je nach Erreichbarkeit und Art des Zieles wie auch der 
Eigenart des Bedürfenden. Der Energische strebt die Beseitigung 
eines als drückend empfundenen Mangels mit größerer Dringlich- 
keit an, als der Gleichgültige, der einen mühsam zu erlangenden 
Genuß zwar herbeiwünscht, durch fremde Hilfe aber bequemer zu 


726 Joachim Tiburtius, 


ihm zu gelangen hofft. Andererseits wird die Klugheit auch den 
Tatkräftigen von einem Gebrauch eigener Mittel zurückhalten, 
wenn er überzeugt sein darf, daß seınem Verlangen auf andere 
Weise, z. B. durch eine Unternehmung der Allgemeinheit, Genüge 
geschehen werde. Der gewissenhafte Kaufmann verhält sich nicht 
jedem Vorteil verheißenden Geschäfte gegenüber mit der gleichen 
Begehrlichkeit, wie der bedenkenfreie Jobber. Einen Gewinn, zu 
dem er keinen ihm sittlich genügenden Weg sieht, wird er sich 
vielleicht wünschen, aber nicht den eigenen Willen für ihn ein- 
setzen. 

Das Bedürfnis erscheint demnach als eine Begehrenskategorie. 
Aus dem Begehren im allgemeinen hebt es sich durch die Besonder- 
heiten seiner Ursachen und seines Zieles hervor: 

Nur ein aus dem Gefühle oder der Vorstellung einer Gleich- 
gewichtsstörung erwachsenes, auf Bewahrung oder Wiederherstellung 
des Gleichgewichts zielendes Begehren wollen wir ein Bedürfnis 
nennen. 

Diesem Oberbegriffe wollen wir Trieb und Instinkt als „un- 
bewußte“, Wunsch und Willen als „bewußte“ Bedürfnisse unter- 
ordnen. Im Triebe wollen wir weiter eine „ungerichtete Urstufe“ 
und eine „gerichtete konkrete Stufe“ unterscheiden. 


Wir erhalten somit folgenden Stufenbau: 


Oberbegriff: Bedürfnis. 
Unterbegriffe: 
a. nach Richtung und b. nach Strebensstärke 


Bewußtsein geordnet: geordnet: 
a Trieb. a Wunsch. Strebensschwach. 
vela Urtrieb, ungerichtet. B Wille. 
wußt.)ß, Konkreter Trieb. y Instinkt. 
B Instinkt. ò Trieb. Strebens- 
Be- fy Wunsch. richtet. è Urtrieb. stark. 
wußt.]d Wille. ò Konkreter Trieb. 


Alle diese Begehrensformen haben den gleichen unmittelbaren 
Gegenstand: das Gefühlsgleichgewicht. Eine Beeinflussung des ob- 
geraro Zustandes der Körperwelt, der das zugrunde liegende Un- 
ustgefühl reflektierend ausgewirkt hat, wird nur als Mittel zu 
diesem Hauptzwecke erstrebt. Das Verlangen nach innerer Harmonie 
erzeugt die Nebenbedürfnisse nach einem äußeren Zustande, mit dem 
der innerliche Wert als verbunden vorgestellt wird, und nach den 
zu seiner Herstellung dienlichen Gütern. 

In die weitere Untersuchung wollen wir vom Boden folgender 
Fassung aus eintreten: 

Ein Bedürfnis ist das Verlangen, eine Gleichgewichtsstörung im 
Organismus zu beseitigen und einen als angenehm bekannten oder 
vorgestellten Zustand zu erreichen. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 727 


B. Der Stand der Meinungen in der Literatur. 


I. Die Ableitung der Bedürfnisse aus Lust- und Unlust- 
gefühlen. 


Der Streit der Meinungen in der Literatur gilt in der Haupt- 
sache der Frage, welchen Anteil die Gefühle der Lust und Unlust 
am Entstehen eines Bedürfnisses haben. Die stärkste Anerkennung 
findet ihre Bedeutung in der Hermannschen*) Definition des Be- 
dürfnisses als des „Gefühles eines Mangels, verbunden mit dem 
Streben, ihn zu beseitigen“. Die Kritik dieser Lehre hat bisher fast 
ausschließlich der Einseitigkeit ihre Beachtung geschenkt, mit der 
hier der Mangel als letzte Ursache des Bedürfnisses gewürdigt 
werde. Man hat demgegenüber oft betont, wie viele erhebliche Re- 
dürfnisse gerade dem Ueberflusse entsprängen. Dabei ist aber ein- 
mal übersehen worden, daß v. Hermann seinen Leitsatz nicht auf- 
gestellt hat, ohne vor einem zu eng gefaßten Begriffe des „Mangels“ 
zu warnen. Er hat dann weiterhin das Bedürfnis als Aeußerung 
des Triebes nach Selbsterhaltung und Fortdauer dargestellt. Er hat 
den Mangel keineswegs mit materieller Not gleichgesteilt, sondern 
mit diesem Worte die Tatsache eines Fehlens im weitesten Sinne 
ausdrücken wollen. Auch’ dem Nabob kann zur inneren und äußeren 
Harmonie viel fehlen, z. B. eine würdige Gelegenheit zur Verwen- 
dung seines Reichtumes, wie es Bernhard Shaw) in seinem Essay 
über die Not dieser Klasse am Beispiele unserer Tage schildert. Ihm 
fehlt in der Arbeitsmöglichkeit ein Gut, dessen er zum vollendeten 
Gleichgewichte bedarf. Diese Lücke wird zur Quelle von Bedürf- 
nissen und heißt mit demselben Rechte ein Mangel, wie eine Leere 
im Geldbeutel. Die Gegner v. Hermanns, wie z. B. Cuhel®), ver- 
kennen die Relativität des Mangelbegriffes und sind vielleicht un- 
bewußt in den Maßstäben volkstümlichen Denkens befangen. Der 
Verfasser hätte sich diese Angriffe allerdings durch Wahl eines 
geeigneteren Ausdruckes ersparen oder ihnen mindestens durch 
einige, seine vom allgemeinen Sprachgefühle abweichende Auffassung 
erläuternde, Beispiele vorbeugen können. 

Wenn v. Hermann als Ziel des Bedürfnisses nicht die Be- 
seitigung des „Gefühles“, sondern die des „Mangels“ selber hinstellt, 
so übersieht er, daß damit nur der äußere Anlaß, nicht aber die 
innere Ursache des Begehrens hinweggeräumt würde. Zum Aus- 
gleiche der inneren Störung ist ferner die Behebung des sie hervor- 
rufenden äußeren Zustandes oft weder erforderlich noch möglich. 
Es muß vielmehr manchmal bei einer objektiven Abschwächung des 
Schadens oder subjektiven Betäubung des Gefühles sein Bewenden 
haben, wodurch dann das Bedürfnis ausgelöscht oder abgeschwächt. 
wird, ohne daß der es verursachende Mangel aufgehört habe, zu 


4) Staatswirtschaftl. Unters., 8. 43 ff. 
5) Sozialismus für Millionäre, Berlin 1907. Deutsch von G. Landauer. 
6) a. a. O. 8. 90. 


728 Joachim Tiburtius, 


existieren. Es kann z. B. neben ihn ein gänzlich anders gearteter 
Wohlfahrtszustand treten, der ablenkend wirkt. 


Zu diesem Irrtume über das Ziel des Bedürfnisses gesellt sich 
die Nichtachtung der Erinnerungs- und Erfahrungsvorstellungen, 
die den Gedanken ins Bewußtsein einführen, daß ein in der Ver- 
gangenheit vom Subjekte selber oder einem seiner Beobachtung zu- 
gänglichen Menschen erreichter Wohlfahrtszustand auch für die 
Gegenwart oder Zukunft zu verwirklichen sei. 


Die Fähigkeit dieser Vorstellungen, dem Bedürfnisse Inhalt 
und Richtung zu geben, wird voll von Adolf Wagner?) erkannt, 
der im übrigen auf dem Boden v. Hermanns steht. Er schildert 
den Ablauf, in dem aus einem unbefriedigten Bedürfnisse Unlust, 
und aus dieser wieder ein Bedürfnis entstehe. Der Gedanke an 
früher genossene Lust ist dabei Sporn und Steuer des Begehrens. 


Wagner gedenkt dabei auch der tierischen Bedürfnisse, die 
Analogie zwischen dem Werdegange menschlicher und dem tierischer 
Bedürfnisse wird von Wagner nur streifend berücksichtigt, sie 
muß jedenfalls verteidigt werden gegen Kraus8), der den Tieren 
schlechthin die Gabe abstrahierenden Denkens abspricht. Der 
hungrige Hund eilt stets zu der Stelle, an der er bereits öfters ge- 
füttert worden ist, oder zeigt die Künste, für die er Leckerbissen zu 
erhalten gewohnt ist. Die Zuckerdose, den Hut seines Herrn und 
die Peitsche vermag der kluge Hund durchaus in ihrer unterschied- 
lichen Bedeutung für sein Wohl zu erfassen und offenbart in seinem 
Verhalten diesen Gegenständen gegenüber die entsprechenden Be- 
dürfnisse. Er wartet vor der Zuckerdose, bringt den Hut im Maule 
herbei, um den Herrn zum Ausgehen zu ermuntern, oder äußert 
Zeichen der Freude, wenn dieser ihn zur Hand nimmt, während er 
die Peitsche flieht, sobald der Herr nur nach ihr greift. Hierin sind 
deutlich die Stufen des Unbehagens über einen gegenwärtigen 
Mangel, die Erinnerung an eine bereits erlebte bessere Lage und das 
Verlangen nach ihrer Wiederherstellung erkennbar. Die Erinnerungs- 
vorstellungen, die das Begehren auf einen bestimmten Gegenstand 
hinlenken, sind keineswegs von dessen gegenwärtigem sinnlichen 
Eindrucke abhängig. Der Hund sucht seinen Maulkorb in der 
ganzen Wohnung, wenn er mitgenommen werden möchte. Die Vor- 
stellung entsteht hier abstrakt ohne unmittelbare sinnliche Ver- 
mittlung. 

Dem Menschen weisen die tierischen Bedürfnisse die Wege zu 
ihrer Erziehung und Beherrschung und werden so zur Grundlage 
eigener Bedürfnisse. 

Eine ähnliche Ungenauigkeit, wie wir sie bei v. Hermann an- 
treffen, kennzeichnet die Brentanosche Definition des Bedürfnisses 
als einer Unlustempfindung, verbunden mit dem Streben, den sie 


7) Grundlegung der polit. Oekonomie I, 1, 1, S. 73 ff. 
8) Das Bedürfnis, S. 19 ff. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 729 


hervorrufenden Mangel zu beseitigen. Die Beziehung des Strebens 
auf den objektiven Mangel, statt auf das ihn subjektiv wider- 
spiegelnde Unlustgefühl verkennt das Ziel des Bedürfnisses. Für 
Brentano wäre es leicht gewesen, dem Worte „Mangel“ einen über 
die landläufige Bedeutung des Ausdruckes hinausgehenden, klärenden 
Zusatz zu geben. Er schildert den Seelenzustand des Menschen als 
ein Verhältnis von Lust- und Unlustempfindungen, in dem der 
Abzug der letzteren von den ersteren den Ueberschuß eines Wohl- 
gefühles ergebe. Trotz der Schiefheit dieses der Mechanik entlehnten 
Bildes hätte sich doch aus ihm die Ueberlegung entwickeln können, 
daß auch diesem positiven Saldo ein Bedürfnis nach Erhaltung oder 
Verwendung der vorhandenen Kraft entstammen könne. Es hätte 
sich dann leicht ein Ausdruck gefunden, der diese Bedürfnisquelle 
mitberücksichtigt hätte, sei es daß er den subjektiven Zustand ge- 
kennzeichnet hätte, wie etwa „Entbehren‘“, oder den objektiven, wie 
„Fehlen“. 

Eine eingehendere genetische Behandlung des Bedürfnisses hat 
Wahle unternommen. Er unterscheidet die Abschnitte der Störung 
eines „gewohnheitsmäßigen Ablaufes“, eines daraus entstehenden 
Unlustgefühles, der Vorstellung eines davon befreienden Mittels und 
dessen Verwendung, die zur Wiederherstellung des gewohnten Zu- 
standes führt. Dieser Begriff der „Gewohnheit“ erscheint einerseits 
zu enge, gleichsam stilisiert, als einzige Voraussetzung eines Be- 
dürfnisses, entbehrt anderseits der festen Begrenzung hinsichtlich 
seines Inhaltes. Er läßt keinen Raum für die Ableitung von Be- 
dürfnissen, die in ungewohnten Lagen entstehen, in denen sich 
ebensowenig eine feste Gewohnheit des Verlaufes bilden kann, wie 
im Leben eines Menschen, in dem wechselnde Eindrücke von Be- 
hagen und Unbehagen einander die Wage halten. Unterbrechungen 
eines gewöhnlichen Schicksales sind häufig gerade das Ziel eines 
Begehrens. Das Großstadtkind, das aus Lärm und Häuserenge her- 
aus in den Frieden ländlichen Lebens gerät, der von Jugend auf 
Kranke, dem Gesundheit geschenkt wird, sie werden in ganz neue 
Zustände versetzt, ohne Unlustgefühle und Verlangen nach dem 
gewohnten Gange der Dinge zu empfinden. Vielmehr wird das 
Bedürfnis rege werden, den gewohnten Zustand fernzuhalten, sobald 
er nur in der Erinnerung auftaucht. 

Abweichend von der gemeinen Meinung ist die von Wahle ge- 
gebene Analyse des Willens, als dessen Bestandteile der Verfasser 
die Vorstellung der Ausführungshandlung und ihren Versuch ansieht. 
Da der Versuch einer Handlung stets den Anfang ihrer Ausführung 
darstellt, mithin bereits ein Teil ihres Verlaufes ist, würde der 
Wille damit aus einer Seelentatsache zu einer äußeren Realität 
werden. 

Die Gefahren allzu knapper synthetischer Sprache bei der 
Wiedergabe verwickelter innerer Vorgänge, werden am klarsten, 
wenn man ihr die Arbeit eines Forschers gegenüberstellt, der sich 
bemüht, für jedes Glied der Kette den sein Wesen verdeutlichenden 


730 Joachim Tiburtius, 


Sonderausdruck zu finden, jedem in der genetischen Darstellung 
den ihm zukommenden Platz der Staffel anzuweisen. Diese pein- 
liche Sorgfalt der Analyse findet sich bei Gurewitsch?). Er nennt 
die zur Entstehung eines Bedürfnisses führenden Tatsachen in der 
Reihenfolge ihres Wirksamwerdens. Er unterscheidet in jedem Be- 
dürfnisse sieben Wurzeln: 

1) den objektiven Zustand des Subjektes, er erzeugt ein Gefühl 
des Unbehagens, das 

2) ein Streben nach seiner Beseitigung hervorruft. Zu diesem 
Streben gesellt sich als Wegweiser auf dem Wege zur Lust 

3) das in der Erinnerung aufleuchtende Wohlgefühl, das durch 
die letzte Bedürfnisbefriedigung hervorgerufen war. Es weist dem 
Streben die innere Richtung und wandelt es in 

4) das bestimmte Verlangen nach Wiederherstellung des er- 
lebten Wohlfahrtszustandes. Zu diesem inneren muß 

5) ein äußeres Ziel des Strebens treten, ein Gegenstand der 

6) als taugliches Mittel zur Herbeiführung des ersehnten Zu- 
standes vorgestellt wird. Das Zusammenwirken verschiedener Muskel- 
und Bewegungsempfindungen führt dann endlich 

7) zu der das Bedürfnis befriedigenden Handlung. Ohne eine 
Vereinigung aller dieser Bestandteile kann der Verfasser ein Be- 
gehren nur als zusammenhanglose Seelenbewegung ansehen, die zu 
keiner zweckmäßigen menschlichen Tätigkeit führen, also auch nicht 
unter den Begriff des Bedürfnisses fallen können. 

In der Reihe der Elemente scheint uns der Schlußstein ent- 
schieden ein Fremdkörper zu sein. In den der Befriedigungshandlung 
vorangehenden Muskel- und Bewegungsempfindungen lebt nicht mehr 
das Begehren nach einem Wohlfahrtszustande, sondern nur die Vor- 
stellung von Teilen, des, zu seiner Verwirklichung führenden Tuns, 
die wir von dem nebenher bestehenden Bedürfnisse trennen möchten. 
Auch möchten wir bestreiten, daß stets ein gegenständliches 
äußeres Ziel des Bedürfnisses vorhanden sei, es gibt Bedürfnisse 
nach Handlungen und Zuständen, so nach einem Spaziergange oder 
einer religiösen Andacht. Scharf betont ist der dem Bedürfnisse 
wesentliche Erkenntnisinhalt, durch den es sich von den rein körper- 
lich-organischen und den instinktiven Bewegungen und Regungen 
trennt. Aus den Spuren, die letztere im Zentralorgane hinterlassen, 
können dann in der nächsten Lage gleichen Charakters vermittels 
Assoziationen der „Bewegungs- und Befreiungserinnerungen‘“1P) 
Vorstellungen und von diesen erfüllte Begehren entstehen. Ohne 
die Erinnerung an einen vergangenen Lustzustand kann Gurewitsch 
sich ebensowenig ein Bedürfnis entstehend denken, wie ohne diese 
Grundlage weiterhin eine zweckmäßige menschliche Handlung. Da- 
bei legt er den Ton mit einer nicht verständlichen Einseitigkeit nur 


9) Die Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse und die soziale Gliederung 
der Gesellschaft, 8. 1ff. 

10) Gemeint sind damit offenbar Erinnerungen an den befreienden Erfolg 
gewisser Bewegungen. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 731 


auf das letzte Befriedigungserlebnis. Die Vorstellungskraft der Er- 
innerung reicht auch in weiter zurückliegende Zeiträume, und er- 
möglicht es dem Begehren, unter vielen Zuständen den für die je- 
weilige Gegenwart am günstigsten erscheinenden zu wählen, ohne 
daß die zeitliche Entfernung in der Vergangenheit darauf Einfluß 
haben könne. Die Klarheit über den zu erreichenden Wohlfahrts- 
zustand, welche die meisten Bedürfnisse beherrschen wird, im selben 
Maße auch für das Mittel zu seiner Herstellung zu verlangen, geht 
wohl etwas zu weit. Es kann jemand sehr wohl ein starkes und 
deutliches Bedürfnis nach einer sättigenden Mahlzeit verspüren, 
ohne im Augenblicke zu wissen, welches Nahrungsmittel ihm zu 
diesem Genusse am wirksamsten und mühelosesten verhelfen könne. 

Münsterberg!!) sieht in Unlust und Lust gleichfalls Trieb- 
federn des Willens, die aus seinen Zielen heraus wirkten und Hand- 
lungen zwecks Beseitigung der einen und „Fortdauer‘ der anderen 
erzeugten. Dabei ist freilich die Lust nicht berücksichtigt, die erst 
durch Beseitigung der Unlust gewonnen werden soll. Der Meinung 
des Gelehrten, daß wir diese unmittelbar ursächlich wirkende Lust 
nicht selber, sondern den ihr zugrunde liegenden Zustand herstellen 
wollten, kann beigestimmt werden, wenn dabei an den inneren Zu- 
stand der Kräfteharmonie zu denken ist. Diesen begehren wir aller- 
dings um seines eigentlichen Wesens willen, weil er nämlich not- 
wendigerweise Lust in sich schließt, mit Lust schlechthin iden- 
tisch ist. 

Mit der Definition, die Franz Oppenheimer in seiner „Theorie 
der reinen und politischen Oekonomie‘‘12) gibt, hat unser Versuch 
den Ausgangspunkt gemein. Auch er geht von dem Vorhandensein 
einer „Störung im Gleichgewichte der Substanz und Energie des 
Organismus“ aus, die im Bewußtsein reflektiere und sich in einem 
Streben nach ihrer Beseitigung auswirke. Oppenheimer stellt die 
Bedürfnisse, in denen ein Bewußtseinsgehalt wirkt, als solche ‚im 
engeren Sinne“ den „Trieben“ gegenüber, für die er indes den Namen 
eines Bedürfnisses im weiteren Sinne in Anspruch nimmt. Je 
nachdem die eine oder andere Unterart vorherrscht, nennt er die 
Phasen der Befriedigung, die sich aus dem „Bedürfnisse im 
engeren Sinne“ entwickeln, eine „Handlung“ zur Wieder- 
herstellung des Gleichgewichtes und dieses Ergebnis einen „er- 
reichten Zweck“, während dem „Triebe“ eine energetische 
„Reaktion im engeren Sinne“ und ein „Erfolg“ im Kräftever- 
hältnisse entsprechen. 

Allen bisher genannten Forschern ist die Ueberzeugung gemein- 
sam, daß nur ein Unlustgefühl unmittelbare Quelle eines Bedürf- 
nisses sein könne, mag es aus einem Ueberflusse oder einem Mangel 
an Kräften im Organismus entspringen. Bei einigen anderen Schrift- 
stellern ist eine so klare Stellungnahme zu dieser Grundfrage nicht 
zu finden. 


"sg 11) Philosophie der Werte, S. 61. 
12) Siebe 8. 13 ff. 


732 Joachim Tiburtius, 


II. Lust und Unlust als Ziele, nicht als notwendige 
innere Ursachen der Bedürfnisse. 


Einen neutralen Standpunkt zeigt Schmoller!3). Er erklärt 
„jede mit einer gewissen Regelmäßigkeit aus dem Leben des Or- 
ganismus auftretende, gewohnheitsmäßige Notwendigkeit, durch 
irgendeine Berührung mit der Außenwelt unsere Unlust zu bannen, 
unsere Lust zu mehren“, für ein Bedürfnis. Es bleibt die Frage, 
mit welchem Maßstabe die „Notwendigkeit“ zu messen sei, um ihr 
Auftreten als „regelmäßig“ festzustellen. Der hier eingeführte 
objektive Begriff der Notwendigkeit verwischt den Begehrens- 
charakter des Bedürfnisses. Die Notwendigkeit, einëm Uebergewichte 
von Lust oder Unlust zu steuern, kann vorhanden sein, ohne ein 
Streben des davon Betroffenen zu erzeugen, so z. B. bei Zuständen 
krankhafter Erregung oder Niedergeschlagenheit. Auch diese De- 
finition verhindert es, wie die Wahlesche, außergewöhnliche Be- 
gehrensregungen unter den Begriff des Bedürfnisses zu bringen. 

Da seine Befriedigung nur durch Berührung mit der Außen- 
welt möglich sein soll, so ist die Einordnung jedes Verlangens un- 
möglich, dem nur durch innerlich-organische Vorgänge geholfen wer- 
den kann. Wir denken dabei an die aus seelischer Not oder zum 
Teile auch aus wirtschaftlicher Bedrängnis entstammenden Be- 
“gehren, die häufig nur durch einen Willensvorgang, einen rettenden 
Entschluß zu stillen sind. Die erzieherische Kräftigung und Läute- 
rung des Willens, die das Individuum aus dem Erleben dieser in 
ihrem Ziele streng innerlichen Bedürfnisse davonträgt, sichern 
ihnen einen Platz in jeder soziologischen Betrachtung, die sich mit 
den subjektiven Voraussetzungen der menschlichen Gemeinschaft- 
lichkeit beschäftigt. Der Rahmen des Schmollerschen Werkes, in 
dem sich diese Auslassungen finden, setzt der Behandlung unseres 
Begriffes natürliche Grenzen hinsichtlich ihrer Ausdehnung und Ein- 
dringlichkeit. 


III. Die Ausschaltung der Lust- und Unlustgefühle als 
notwendige Bedingungen der Bedürfnisse. 

Mit anderem Maße muß unter den Gegnern unserer Motivlehre, 
Franz Cühel, gemessen werden, der in einer Riesenmosaikarbeit wohl 
das geschlossenste Bild der Bedürfnisentstehung bietet1#). Jedes 
Wort seiner Darstellung legt Zeugnis ab von dem Bestreben, zu 
einem reinlich klärenden Sprachgebrauche zu gelangen. 

Das menschliche Leben stellt sich ihm als eine Kette von Zu- 
ständen dar, die den Organismus in seinen Funktionen fördern oder 
hemmen. In ihrer Gesamtheit ergeben diese partiellen Wohlfahrts- 
zustände den „Totalwohlfahrtszustand‘“. Die Skala ihrer Verände- 
rungsmöglichkeit führt von einem „absoluten Nullpunkte“, dem 
Tode, über einen „relativen“, den Indifferenzpunkt zwischen lebens- 


13) Grundriß, Bd. 1, 8. 23. 
14) a. a. O. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 7133 


hemmenden und -fördernden Zuständen, hinaus bis zu einem positiven 
Wohlfahrtsgegenpole von schwankender Höhe. Die Wohlfahrts- 
zustände gelangen zu unserem Bewußtsein durch Empfindungen, die 
freilich häufig die Wirklichkeit nur umgebildet wiedergeben. Ein 
negativer Wohlfahrtszustand kann ein Lustgefühl, ein positiver ein 
Unlustgefühl erwecken. Dann gilt es, das gefühlsmäßig gefällte 
Urteil ınit den Maßstäben des Denkens und der Erfahrung zu be- 
richtigen. Oft bleibt eine unmittelbare Wirkung eines Zustandes auf 
das Gefühlslebens aus, und erst eine seiner Folgeerscheinungen 
spiegelt sich in einer Gefühlsbewegung. 

So entstehen neben den körperlichen die gleichermaßen zu be- 
wertenden geistigen Wohlfahrtszustände. Das Gefühl vermittelt uns 
nicht allein das Erleben unserer persönlichen Wohlfahrtszustände, 
sondern auch die Teilnahme an denen uns nahestehender Menschen. 
Diese Verbindung pflegt besonders innerhalb der durch die Ge- 
meinschaft des Blutes, der Nationalität und ähnlicher Bande ge- 
bildeten Gruppen zu einem hohen Grade von Empfindlichkeit und 
Stärke zu gelangen. Cühel unterscheidet die auf diesem Wege im 
mitempfindenden Individuum entstehenden Wohlfahrtszustände als 
„induzierte‘“, von den aus dem eigenen Organismus des Subjektes 
hervorgehenden, als den „originären“. Als Erkenntniszentrum für 
den Charakter der Zustände läßt er „vorderhand‘“ das Gefühl gelten, 
dessen Ergebnisse dann der verstandsmäßigen Nachprüfung unter- 
liegen sollen. 


Der Verfasser unterscheidet im menschlichen Organismus psy- 
chische Bewegungen mit Anteilnahme des Bewußtseins und phy- 
sische, die dieses Einschlages entbehren. Die hier allein inter- 
essierenden ersteren werden von den sogenannten Strebungen aus- 
gelöst, Reaktionen der seelischen Energie auf einen siebeeinflussenden 
Reiz. Sie erfolgen willkürlich oder unwillkürlich, wie z. B. die 
psychischen Reflexe und die Gewohnheitsbewegungen, die lediglich 
unter dem Eindruck einer Empfindung oder Wahrnehmung ohne 
Mitwirkung eines Gefühles und eines mit ihm verbundenen Strebens 
entstehen. „Der Instinkt dagegen ist ein durch Gefühl ausge- 
löstes Streben nach objektiv zweckmäßigen (der Arterhaltung!5) 
dienenden) Bewegungen ohne Bewußtsein ihres Zweckes.“ (S. 12.) 

Begehren heißt nach einem vorgestellten Wohlfahrtszustande 
streben, dessen Eintritt weder unmöglich noch notwendig im natür- 
lichen Verlaufe der Ereignisse begründet erscheint. Zum Willen 
wird nach Cühel ein Begehren dann, wenn es sich trotz entgegen- 
stehender Bewußtseinsinhalte hemmungslos in eine Bewegung der 
Organe oder in eine Veränderung des Bewußtseins umsetzen kann, 
der Wunsch ist dagegen eine impulslose oder impulsschwache 
Glücksvorstellung. Die Begehren entstehen aus Gefühlen, Ge: 


15) Die Bedeutung der Instinkte für die Selbsterhaltung ist hier von Cühel 
übersehen worden, obwohl sie näherliegt. 


734 Joachim Tiburtius, 


fühlsvorstellungen‘16), oder der Ueberlegung, daß bei ungestörtem 
Fortgange ohne Eingreifen des Subjektes eine Erhöhung oder Ab- 
schwächung des derzeitigen Wohlfahrtszustandes eintreten könne. 
Diese Ueberzeugung äußert sich als Vorfreude beziehungsweise 
Furcht; kommt es nur zu einer Vermutung, so entstehen Hoffnungen 
oder Sorgen. Die Intensität der Hauptgefühle scheint dem Verfasser 
die der Vorgefühle um deswegen stets überragen zu müssen, weil 
anderenfalls mangels eines noch zu verwirklichenden Zieles kein 
Begehren mehr bestehen bleiben könne. Andererseits erzeuge die 
Vorstellung erheblicher Steigerungsfähigkeit der aktuellen Lust ein 
das Begehren anspornendes Gefühl der Unzufriedenheit, während 
umgekehrt die Vorfreude es abschwäche. 

Eine unentbehrliche Bedingung des Begehrens erblickt Cühel in 
dem Unlustgefühle nicht. Folgerichtig sieht er das wahre Ziel des 
menschlichen Strebens nicht in der Glückseligkeit, sondern ‚in dem 
mit einem objektiven Wohlfahrtszustande verbundenen Gefühle, dem 
subjektiven Wohlfahrtszustande, der wiederum positiv oder negativ 
ausfallen kann“. Die mit einem solchen Zustande etwa verbundene 
Glückseligkeit diene nur dem Mechanismus der Arterhaltung. 


In dieser beabsichtigten Verneinung liegt aber doch ein starkes 
Zugeständnis; denn die subjektiven Wohlfahrtszustände, deren Vor- 
stellung als Beweggrund der menschlichen Handlungen gelten soll, 
werden doch der Lustseite näher liegen, als der entgegengesetzten, 
da nur um dieser Bewegung willen, die Entstehung eines Begehrens 
begriffen werden kann. „Glückseligkeit“ ist freilich wohl eine etwas 
zu starke Gefühlsbetonung, es muß nur das erstrebte Ziel dem 
positiven Wohlfahrtspole um einen Grad näherlıegen, als der gegen- 
wärtige Zustand. 

Für die subjektiven Wohlfahrtszustände hat Cühel eine Skala, 
die sich von der für die objektiven aufgestellten nur durch das 
Fehlen eines dem Tode entsprechenden absoluten Nullpunktes unter- 
scheidet, da dessen subjektive Wirkung für viele Menschen in der 
Erlösung von größerer Unlust liegt. In der Gesamtheit dieser Einzel- 
zustände erblickt der Verfasser zwar einen Totalwohlfahrtszustand, 
warnt aber davor, mit diesem Namen eine trügerische mathematische 
Genauigkeit zu verbinden, da nicht die Zustände selber, sondern die 
aus ihnen erwachsenden, schwankenden Begehren in Wechselwirkung 
ständen, einander aufheben oder stärken könnten. Uns scheint die 
Unmöglichkeit rechnerischer Bestimmungen der Gefühle als einer 
Einheit minder in ihrer gegenseitigen Unabhängigkeit, als in ihrem 
Veränderlichkeitskoeffizienten begründet zu sein. Als eines besonderen 
Umstandes im Verhältnis von Gefühl und Begehren gedenkt Cuhel 
der Abschwächung, die von einem Schmerzgefühle auf ein Lust- 
begehren ausgehen kann, wenn der Schmerz selber lustbringend 


4 16) Im Gegensatz zu seiner Lehre behauptet die gemeine Meinung, daß nur 
eine Vereinigung von Vorstellung und Gefühl zu einem „Vorstellungsgefühl“, nicht 
aber eine „Gefühlsvorstellung“ als Willensquelle anzusehen sei. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 735 


wirkt, es sei denn, daß er nur als Vorgefühl empfunden, und eine 
Steigerung durch den weiteren Begehrensverlauf erwartet wird. 

Gar nicht einzuleuchten vermag es indes, daß die Intensität 
der Vorgefühle, wie der Vorfreude und Sorge stets der Stärke des 
nachfolgenden Hauptgefühles unterlegen sein solle. Die alltägliche 
Erfahrung lehrt eher das Gegenteil. Wie oft werden beseligende 
Vorstellungen kommender Freuden durch das wirkliche Erlebnis 
zerstört oder doch durch eine an Lustgehalt wesentlich schwächere 
Empfindung der Realität abgelöst. Auch bei Erreichung eines 
positiven Wohlfahrtsgewinnes kann allzu lebhafte Vorfreude die 
Empfindungskraft verbraucht und dem Hauptgefühle nur eine weit 
geringere Stärke übrig gelassen haben. Dasselbe gilt von vielen 
Fällen der Erwartung drohender Wohlfahrtsabnahme, für das Ver- 
hältnis von Furcht im voraus und späterem Eindruck der Wirklich- 
keit. Der Cühelsche Beweisversuch, ‚es könne bei einem das Haupt- 
gefühl an Stärke überragenden Vorgefühle mangels eines zu ver- 
wirklichenden Zieles kein Begehren mehr übrig bleiben“, vermag 
vollends nicht durchzuschlagen, da in dieser Rechnung der Irrtum 
als Wegweiser menschlichen Denkens und Strebens vergessen ist. 
Die Wirkung eines starken Vorgefühles liegt gerade in der Er- 
wartung eines noch höheren Grades von Genuß oder Unbehagen 
in der Zukunft. Falls kein stärkerer Beweggrund aus dem Ver- 
standesbilde des zu erwartenden Ereignisses hemmend eingreift, 
wird diese Gefühlsbestimmung zur Triebfeder des Begehrens, das 
nun je nach der Art des Erlebnisses auf seinen Eintritt oder seine 
Abwehr gerichtet ist. Dem Gefühle selbst ist die etwa mangelnde 
Uebereinstimmung des von ihm entworfenen Zukunftsbildes mit der 
späteren Wirklichkeit in der Regel nicht erkennbar, sie kann daher 
ohne eine besondere Denkarbeit nicht, wie Cuhel annimmt, das Be- 
gehren ausschalten oder lähmen. 

Gerade in der Freude, die ein erwartetes Ereignis voraus- 
wirft, äußert sich die Tätigkeit der Lustvorstellung, durch Er- 
weckung der Hoffnung auf eine die Gegenwart noch übersteigende 
Zukunft den Menschen zu weiterem Kraftaufwande anzuspornen. 
Diese Reizwirkung kann einem starken Vorgefühle jedenfalls zu 
höherer Nützlichkeit im Mechanismus der Selbst- und Arterhaltung 
verhelfen, als einem schwachen. Wir möchten bezweifeln, daß bei 
korrespondierender Stärke oder gar einem nach Cühel orientierten 
Verhältnisse der Vor- und Hauptgefühle die wichtigsten Erhaltungs- 
leistungen zugunsten der beiden großen Weltgrundlagen noch ständig 
auf ihrer gegenwärtigen Höhe stehen würden. Ohne einen Zusatz 
heilsamen Irrtumes aus dem Vorrate des Optimismus wären die- 
jenigen Lustvorstellungen nicht dauernd denkbar, die das Streben 
nach den Gütern erwecken und rege halten. 

Wir sehen, daß der Verfasser im Verlaufe seiner Arbeit der Be- 
deutung der Glücksgefühle für das menschliche Wollen doch einen 
weit höheren Grad von Aufmerksamkeit widmet, als man nach der 
oben geschilderten programmatischen Stellungnahme wohl erwarten 


736 Joachim Tiburtius, 


durfte. Ihre Unentbehrlichkeit im „Mechanismus der Arterhaltung“ 
erkennt er wohl an, es fehlt nur das Zugeständnis, daß sie im Be- 
wußtsein zu Willensmotiven werden. Ihre fortdauernde Wirksam- 
keit in diesem Zusammenhange ist aber doch nicht ein jedes Mal 
wieder überraschender zufälliger Nebenumstand, sondern lebt im 
. Bewußtsein jedes Einzelnen als tiefgewurzeltes Erbteil der Urge- 
schlechtserfahrung und erweckt das Streben nach Erhaltung der Art. 
Weil Lust und Schmerz die wirksamsten Reizmittel des Willens 
sind, deshalb ist ihre Verbindung mit Vorgängen zweckmäßig und 
wirksam, die für den Bestand und die Fortentwicklung des Welt- 
alles und seiner Bewohner in förderlichem, wie verderblichem Sinne 
erheblich sind. Wie die Lust daran, Kinder zu erzeugen und in 
ihnen fortzudauern, die Menschen paart, so treibt die Unlust des 
Krankseins oder der Gefährdung durch Wassers- und Feuersmacht 
zur Abwehr gegen diese Schädigungen. Diese Gefühle könnten nicht 
motivierend wirksam werden, wenn die Erfahrung sie nicht dem 
Bewußtsein reproduzierte und so das Streben erweckte, aus der 
Gegenwart heraus in den Genuß des einen zu gelangen, das andere 
zu fliehen. Ob wir in diesem Vorgange ein „Vorstellungsgefühl“ 
mit der gemeinen Meinung, oder eine „Gefühlsvorstellung‘“ mit Cühel 
erblicken wollen, ist unerheblich. Wichtig ist nur, daß Gefühle sich 
auf die Strebungen der Seele übertragen und ein Begehren nach dem 
äußeren Mittel wachrufen, das zur Herstellung des Gleichgewichtes 
dienlich ist. 

Wer mit Cühel für die Lust eine wesentliche Rolle im Me- 
chanismus der Arterhaltung in Anspruch nehmen, aber leugnen 
will, daß sie der Grund und Gegenstand des Strebens sei, der bleibt 
die Erklärung schuldig, wie sie dieser Aufgabe gerecht werden solle. 

Zutreffend in unserm Sinne würdigt Döring!?) die Bedürfnisse 
als die „innere Möglichkeit“ der zu ihrer Befriedigung nötigen 
Güter. Die Bedürfnisse erst prägen den Dingen der Außenwelt den 
Stempel von Gütern und Uebeln auf, sind ihre Wertursache und 
ihr Wertmesser zugleich. Nur bleibt bei Döring, ähnlich wie bei 
Schmoller, der Bedürfnisbegriff überwiegend im Objektiven stecken, 
die Bedürfnisse sind für ihn „Erfordernisse unserer Existenz‘, die, 
soweit ihnen Genüge geschieht, als Lust, anderenfalls als Unlust im 
Bewußtsein zu reflektieren vermögen. Nicht das Verlangen nach 
einer Daseinsbedingung, sondern diese selber soll ein Bedürfnis 
heißen. In diesem ist ein Streben nicht enthalten, sondern erst in 
seinem gefühlsbetonten seelischen Widerscheine. Das Streben ist 
demnach bei Döring nicht der beherrschende Grundtrieb der Seele, 
sondern erst ein sekundäres Erzeugnis unserer Unlust oder mangel- 
haften Lust. Diese Auffassung scheidet sich von der unsrigen in 
den Benennungen der Glieder des Herganges, hat aber in seiner Ab- 
leitung wesentliche Punkte mit ihr gemein. Das verbindende 


17) a. a. O. 8. 6ff. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 737 


Merkmal ist die Ordnung des zum Streben führenden ursächlichen 
Zusammenhanges, dessen Teile eine Störung im Gleichgewichte des 
Organismus und ihr als Unlust empfundener Widerschein im Be- 
wußtsein sind. Eine unvollkommene Lust wollen wir dabei der 
Unlust gleichachten. Es fehlt bei Döring allerdings das Glied der 
das Streben leitenden Erfahrungsvorstellung. Indes darf man wohl 
annehmen, daß der Gelehrte die objektiven ‚Erfordernisse‘, die er 
Bedürfnisse nennt, für ständig dem Bewußtsein innewohnende Be- 
standteile hält, die im Vorstellungskreise sofort die ‚Schwelle‘ 
überschreiten, um mit Herbart zu reden, sobald ihnen nicht Genüge 
geschieht. Zu denken ist dabei an die wichtigsten „Erfordernisse“, 
wie Gesundheit, Sättigung, Liebe, Eintracht mit dem göttlichen 
Willen, Bildung, wirtschaftliches Vermögen und andere individuell 
verschiedene Wertdinge. Da der Verfasser selber den Begriff nicht 
abgegrenzt hat, so können wir ihn nur aus einer weiterhin ge- 
gebenen Einteilung entnehmen. Da läßt der Gelehrte freilich seıne 
objektive Fassung des Begriffes im Stich und spricht von Bedürf- 
nissen nach Existenzerfordernissen, so daß es nur mehr Bedürfnisse 
nach Bedürfnissen gäbe. Der Widerspruch ist in seinem Buche 
zwar ungelöst geblieben, kann aber wohl als unerheblich gelten. 

Eine ähnliche Schwierigkeit entsteht aus Dörings Unterschei- 
dung bei der Frage des Verhältnisses von Bedürfnis und Wert. Er 
betrachtet wie wir die Bedürfnisse als die Wertursache der Güter. 
Diese Beziehung ist aber nur dann möglich, wenn sie selbst nicht 
gleichfalls innere Güter, sondern nur Verlangen nach solchen sind. 

Auf demselben Standpunkte in der Wertfrage steht Meinong18). 
Seine Erörterungen über die Priorität von Begehren oder Wert sollen 
uns weiter unten beschäftigen, hier müssen wir uns zuvor gegen seine 
mißverständliche Psychologie wenden. Er erklärt das Bedürfnis 
als ein Verlangen nach Dingen, ‚die mir abgehen, wenn sie mir 
nicht zur Verfügung stehen“. Ein anderes Mal leitet er die Be- 
dürfnisse nach Gütern aus der Annahme des Bedürfenden ab, die 
Güter hätten Wert für ihn, d.h. sie seien fähig, seine Bedürfnisse 
zu befriedigen. Diese einfache und natürliche Ueberlegung wird in 
ein etwas umständliches Gewand gekleidet durch den Zusatz, der 
Bedürfnisbegriff sei niemals auszudenken ohne wesentliche Bezug- 
nahme auf „Psychisches“. Eine erfreuliche Betätigung dieses Ge- 
dankens ist es, wenn Meinong Wert darauf legt, festzustellen, daß 
zu einem Bedürfnisse die Verknüpfung des Strebens mit dem Ziele 
und, wenn auch in minderer Klarheit, den Mitteln der Befriedigungs- 
handlung gehöre. Meinong betont, daß man nicht nach allen objektiv 
wertvollen Gegenständen ein Bedürfnis habe, da man viele dieser 
Gegenstände nicht einmal kenne. Hier ist deutlich die Grenze ge- 
wahrt zwischen der im Bedürfnisse lebendig gewordenen, empfun- 
denen und der unbewußt vorhandenen Notwendigkeit einer Güter- 
verwendung. 


18) Psychol.-ethische Untersuchungen zur Werttheorie. 
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 47 


738 Joachim Tiburtius, 


Leider vergißt der Verfasser die rechte Anwendung der als so 
notwendig gewürdigten Psychologie bei der Frage, ob ein Bedürfnis 
ein Unlustgefühl zur Voraussetzung habe. Die Verneinung, zu der 
er gelangt, müßte sich jedenfalls auf andere Gründe stützen, als 
die Verweisung auf Kleidungs- und. Obdachsbedürfnisse, die sich 
auch ohne Unlustempfindungen einstellten. Die Unterschiede an 
Art und Stärke, die diese Bedürfnisse zu verschiedenen Zeiten und 
an verschiedenen Orten aufweisen, sollten die Bedeutung der Unlust 
für ihr Zustandekommen besonders verdeutlichen. Gewiß hat auch 
derjenige Bedürfnisse nach Kleidung und Wohnung, der über beide 
gebietet, aber nur bei dem Gedanken, daß er sie in absehbarer Zeit 
verlieren könne oder müsse. Eine solche Vorstellung muß aber, 
wenigstens in unserem Klima und in geordneten Lebensverhältnissen, 
notwendig Unlust und damit ein Bedürfnis nach Erhaltung des ge- 
fährdeten Besitzes hervorrufen, das bei ungestörtem Verlaufe nie- 
mals entstehen könnte. Nach der Wohnung, die ich inne habe, und 
dem Rocke auf meinem Körper, habe ich keine Bedürfnisse, solange 
mir nicht der Wirt wider meinen Wunsch mit einer Kündigung, oder 
der Rock aus der Mode zu kommen droht. In diesen Fällen werden 
häufig die Bedürfnisse nach den alten und neuen Spezies des Be- 
sitztumes, ein Erhaltungs- und ein Beschaffungsbedürfnis, mitein- 
ander streiten. In südlichen Gegenden werden Kleidungsstücke in 
weit geringerer Zahl und von ganz anderer Art begehrt, als bei uns, 
da die Witterungsverhältnisse dort den Verzicht auf wärmende 
Kleidungsstücke gestatten und zum Teil verlangen. In den Aequa- 
torialgegenden würden wir vielleicht den Begriff der Bekleidung 
überhaupt nicht antreffen, wenn sie nicht als gesellschaftliches Unter- 
scheidungsmittel in Ansehen stände. Der von diesen besonderen 
Stammesanschauungen unberührte Europäer wird sich dort in seinem 
Anzuge nur den klimatischen Bedingungen durch Verwendung 
leichterer Stoffe anpassen. In beiden Fällen entsteht das Bedürfnis 
nach Kleidung aus der Vorstellung, ohne ihren Besitz einem Mangel 
ausgesetzt zu sein; diese Vorstellung hat nur in ihrem Unlustgehalte 
einen Willenssporn. Dieser Zusammenhang offenbart sich natur- 
gemäß ebenso in feiner verzweigten Begehrensabstufungen. In jedem 
Lebenskreise bilden sich Sondermerkmale heraus, bei deren auch 
nur vorgestelltem Fehlen in jedem seiner Glieder Unlust aufsteigt 
und zur Quelle eines Beschaffungs: oder Erhaltungsbedürfnisses 
wird. Dieser Ursächlichkeit gedenkt Meinong in einem Falle, dessen 
Voraussetzungen er nicht ganz verständlich macht. Von der Regel, 
daß Bedürfnisse nach unbekannten Gegenständen logisch un- 
möglich seien, läßt er die Ausnahme zu, daß die „aus mühsamer 
Arbeit stammende Unlust“ ein Verlangen nach dem „nützlicheren 
Gegenstande“ erzeuge!?). Es ist nicht klar, ob mit diesem Gegen- 
stande ein die Arbeit erleichterndes und verbesserndes Werkzeug, 
oder ihr Ziel zu verstehen ist. In beiden Fällen würde aber das 
Bedürfnisziel im Bewußtsein bereits seinen Platz haben, wenn 


19) a. a. O. 8. 727. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 739 


auch der Gestalt nach nicht bestimmt, sondern einstweilen nur als 
Begriff. Die Besonderheiten dieser Bedürfnisart, die hier ausnahms- 
weise ein Wirksamwerden der Unlust begründen sollen, werden 
nicht erkennbar??). An anderer Stelle gibt der Verfasser diesen 
Fall selber preis und meint, man könne hier auch von einem bloßen 
„Fehlen“ des „nützlicheren Gegenstandes“ sprechen. Dazu gehört 
freilich weder eine Bewußtseinstätigkeit des betroffenen Subjektes, 
noch ist dies objektive Fehlen ein Bedürfnis in ihm. 

Einen ähnlichen Weg wie Meinong hat Kraus?!) zu gehen 
unternommen. Als höchste Aufgabe für die Wirtschaftslehre schwebt 
es ihm vor, zu einer angewandten Psychologie zu werden. Aus einer 
sehr klaren und scharf trennenden Unterscheidung des Wunsches 
vom Willen gelangt er zur Einordnung des Bedürfnisses in die Be- 
gehrenskategorien, in die „Phänomene des Interesses“. In der An- 
nahme, daß zum Vorhandensein eines Bedürfnisses das Bewußtsein 
des bedurften Zustandes, wenn nicht auch das des seinen Eintritt 
vermittelnden Gutes gehöre, lehnt er es ab, kindliche Instinkt- 
regungen unter den Begriff zu bringen. Es fehlt bei ihm somit der 
Begriff des „unbewußten Bedürfnisses“. Von da ab läßt den Ver- 
fasser die psychologische Strenge leider im Stich. 

Die Bedeutung der Lust- und Unlustgefühle finden wir in der 
Gegenüberstellung der „hedonistischen‘“ Schmerz und Lust betreffen- 
den und der „gewohnheitsmäßigen“ Bedürfnisse zwar anerkannt. 
Die Aufklärung darüber, welche Umstände bei den an zweiter Stelle 
genannten Bedürfnissen die Rolle dieser Gefühle übernehmen sollen, 
bleibt uns Kraus indes schuldig. Er rechnet unter diese Gruppe 
die Geldgier der Geizigen, sowie die aus dem Klassen- und 
Rassenhaß entstehenden Bedürfnisse. Gerade bei diesen leitet eine 
Lustvorstellung den Willen mit besonderer Maßgeblichkeit, da hier 
weniger sachliche Vorteile, als Gefühlswerte im Vordergrunde des 
Begehrens stehen. Der Genuß eines Geizhalses an der Vermehrung 
seines Schatzes schwindet nicht mit der Häufigkeit seiner Bereitung, 
sondern wurzelt fest in seiner krankhaft monomanischen Lebens- 
beurteilung und wirkt als dauernder Ansporn zu seinen Vermögens- 
verfügungen. 

Die Bedürfnisse der Klassen, Völker und Rassen beruhen in 
ererbten Vorstellungen über materielle und immaterielle Werte, die 
jeder dieser Gemeinschaften ihre Eigenart verleihen. Auch hier 
überdauert die Lust an den Besonderheiten die Häufigkeit ihrer 
Erlebnisse. Dauer und Sicherheit der Befriedigungsmöglichkeit ist 
bei den aus diesen Vorstellungen erwachsenden Bedürfnissen sogar 
eine wesentliche Voraussetzung des Behagens. Der Genuß an der 


20) Ein Bedürfnis nach unbekannten Gegenständen ist der Trieb, wie wir 
ihn 8. 725 und S. 726 als unbewußtes Bedürfnis verstehen wollten. Man denke 
z. B. an Siegfried, der sich nach dem Fürchten sehnt und die „schlafende Frau“ 
sucht, ohne einen Begriff vom Weibe oder von der Furcht zu haben. (R. Wagner, 
Siegfried, I. Akt, Szene 3, II. Akt, Szene 3 und Schlußszene.) 

21) a. a. O. 


47* 


740 Joachim Tiburtius, 


Behauptung der zeitgemäßen Standes- und Kulturhöhe, am unge- 
störten Gebrauche der Muttersprache, oder am Bewußtsein des Blut- 
unterschiedes von einer als niedriger eingeschätzten Rasse leidet mit 
zunehmendem Lebensalter keine Einbuße. Die Empfindung einer 
gegenwärtigen, wie die Vorstellung einer zukünftigen Zerstörung 
oder Gefährdung dieser Besitztümer wird auf jeder Stufe bewußten 
Lebens Unlust und ein Bedürfnis nach Wiedererlangung oder Er- 
haltung hervorrufen, dessen Befriedigung stets lustvoll wirken 
wird. Ebenso gewiß umfaßt das Bewußtsein des bedürfenden Sub- 
jektes die Aussicht auf diesen Lustgewinn und schöpft aus ihr 
“einen erheblichen Anreiz zum Streben. Unerheblich ist es dabei. 
ob man unter Klassen-, Volks- und Rassenbedürfnissen solche dieser 
Gemeinschaften in ihrer Gesamtheit, oder aus der Zugehörigkeit. 
zu ihnen erwachsene Bedürfnisse einzelner verstehen will. Auch 
bei den Klassenbedürfnissen setzt die Hebung der hier teilweise 
laut gewordenen Zweifel nur Klarheit über das jeweilige Subjekt 
voraus. Soweit es die Klasse selber ist, sind die Voraussetzungen 
der Begehrensbildung im gemeinsamen Interesse gegeben und leicht 
verständlich. Man denke z.B. an die Verschiedenheiten des Pro- 
duzenten- und des Konsumentenstandpunktes in der Frage des Zoll- 
schutzes für Getreide u.a. Die verschiedenen Bedürfnisse, für 
oder wider, erwachsen hier deutlich aus den Lustvorstellungen der 
Klassen, den ‚„inhärenten Gruppeninteressen“, wie Oppenheimer???) 
sie nennt. Indessen gibt es für jede Gemeinschaft Fragen, deren Be- 
urteilung Zwiespalt unter die Mitglieder bringt, um schließlich 
durch einen Mehrheitsbeschluß oder die Macht einer Gewohnheits- 
bildung entschieden zu werden. Namentlich bei der Wahrung von 
Standessitten im äußeren Lebenszuschnitte finden sich Abweichungen 
Einzelner in ihren Wünschen vom Gesamtwillen. Wer sich bei seiner 
Eheschließung lediglich von Rücksicht auf Staat oder Familie leiten 
läßt, oder sich zu einer ihm wirtschaftlich unbequemen Aufwendung 
zur Feier eines Vereinsfestes entschließt, wird dazu gewiß nicht 
durch die Erwartung eines unmittelbaren Genusses aus diesen Er- 
lebnissen getrieben. Nach ihnen aber empfindet er auch keine 
Bedürfnisse, sondern nur die Gruppe, deren Bedürfnissen er die 
Befriedigung eines eigenen zum Opfer gebracht hat. Mit dieser 
Leistung dient er dem Klassenwohle, befriedigt sein eigenes Be- 
dürfnis nach Uebereinstimmung mit dem Klassenwillen und sorgt 
so gleichzeitig für die Bedürfnisse der Zukunft, soweit ihr Schicksal 
ihm von der Klasse verbürgt, von seiner Zugehörigkeit zu ihr, ab- 
hängig ist. Das Individuum würde, wenn es der ursprünglichsten 
Regung seines Wohlfahrtsstrebens folgte, seine Geltung in Familie 
oder Gesellschaft und damit eine beträchtliche Summe von Gütern 
aufs Spiel setzen, deren Besitz auf dieser Grundlage ruht. Die 
Preisgabe persönlichen Behagens dient nicht nur dem Gruppen- 
nutzen, sondern stillt zugleich auch das Bedürfnis des Einzelnen 


22) Verhandlungen des zweiten deutschen Soziologentages, S. 134. 


Der Begriff des Bedürfnisscs. 741 


nach Anteil an der Gruppenmacht. Die Lust an der vom Gefühle 
ersehnten Verbindung oder an dem ersparten Vereinsbeitrage wäre 
vielleicht minder erheblich und mit der Einbuße an sozialer Macht 
teurer bezahlt, als es der Genuß der gesicherten Fortdauer dieses 
Besitzes durch die Hingabe aller persönlichster Neigungen ist. Er- 
langt so auf der Wagschale des Interesses die Summe der sozial 
bedingten Werte das Uebergewicht über die vom rein persönlichen 
Glücksverlangen ausgezeichneten Ziele, so werden die ersteren die 
Entscheidung bestimmen. Das Bedürfnis nach ihnen wäre nicht 
denkbar, ohne daß eine mit ihrem Genusse verknüpfte Lust vor- 
gestellt und gegenüber der für sie aufgegebenen als höher bewertet 
würde. Auch diejenigen Gemeinschaftsbedürfnisse, bei denen ein 
höher entwickelter Gemeinsinn den egoistischen Gehalt abschwächt, 
lassen keineswegs eine Lustbetonung vermissen, wie Kraus annimmt, 
wir glauben nicht, daß die Träger nationaler Haß- und Sühne- 
gedanken bei Gravelotte oder Ttschataldscha ihr Dasein in freudloser 
Pflichterfüllung geopfert haben?3). Irrtümlich spricht der Verfasser 
diese gesamte Gruppe von Bedürfnissen als Erzeugnisse „unmoti- 
vierter‘‘?*) Gemütstätigkeiten an, und nennt als ihre Quelle im 
Gegensatze zum sonst üblichen Geschehen eine „erworbene Dis- 
position‘. In der Redeweise des Alltages mag die Schiefe der Vor- 
stellung, die in der Bezeichnung einer „Gemütstätigkeit‘“ als einer 
„unmotivierten“ zum Ausdruck gelangt, wohl hingenommen werden 
können, in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung dürfte sie 
keinen Platz haben, am wenigstens in dem von Kraus gewollten 
Sinne Er will für die Gattung der sogenannten „gewohnheits- 
mäßigen‘ Bedürfnisse nicht etwa eine Befreiung vom Kausalitäts- 
gesetze feststellen, sondern nur erklären, daß die sie erfüllenden 
Bewußtseinsinhalte nicht in jedem Falle ihres Auftretens ursprüng- 
lich entstehende Reaktionen der Seele auf ein neu erlebtes Weltbild 
seien, sondern daß ein äußerer Eindruck nur den alten sie erzeugen- 
den Mechanismus in Tätigkeit bringe. Die Berührung einer einge- 
wurzelten Anlage zu einer bestimmten Art von Reaktion ist nun 
aber mindestens im selben Maße ein wirksames „Motiv“ einer 
Willensbildung, wie die Reizung eines noch ganz unbeeinflußten 
Energiezentrums. Häufig wird sie sogar das stärkere sein, wie in 
der besonderen Glut und Hartnäckigkeit der Nationalitätsbedürfnisse 
unterdrückter oder besiegter Stämme nach Befreiung oder Ver- 
geltung erkennbar wird. Die aus ererbtem Unlustgefühle und er- 
erbter Glücksvorstellung hervorgehende Motivation der Bedürfnisse 
ist jedenfalls zu ihrem "Verständnisse durchaus hinreichend und im 
Rahmen strengster Kausalität, mag dabei nun auch aus einer ver- 
zerrenden Betrachtung der Tatsachen ein objektiv irriger Eindruck 
entstehen und ein Bedürfnis auslösen. Ob das mittelalterliche 
Deutschland in seinem schönheitsuchenden „Zuge nach dem Süden“ 


23) Siehe 5. 57, 58. Anmerkung vom November 1914: Das Beispiel 
ist im Sommer 1913 gewählt worden. 
24) a. a. O. S. 41, 42. 


742 Joachim Tiburtius, 


auf einem kulturell glücklichen oder fehlgehenden Wege war, ist 
belanglos für die Tatsache, daß aus diesem Vorstellungskreise das 
Bedürfnis nach der „Renaissance“ und deren Herrschaftszeit auf 
deutschem Boden entstanden ist. Entscheidend ist nur, daß eine 
Wirklichkeitsempfindung, verbunden mit einer aus der Erfahrung 
gewonnenen Zukunftsvorstellung, ein Begehren wachrufen. Hatte 
die Empfindung der gegenwärtigen Lage ein durch Störung oder 
Bedrohung des organischen Gleichgewichtes begründetes Unlust- 
gefühl zum Inhalte, so ist das entstehende Begehren ein Bedürfnis 
in unserem Sinne, das auf denselben Gründen ruht, wie alle nicht 
„gewohnheitsmäßigen“ Begehren. Eine nach wie immer geartetem 
objektiven Maßstabe als falsch zu bewertende Wirkung einer 
äußeren Tatsache auf die Willensbildung ist wohl zu unterscheiden 
von einer Nichtwirkung, eine irrig motivierte Gefühls- oder 
Willenstätigkeit nicht „unmotiviert“. 

Gleichfalls an der Motivation setzt Suabedissen?5) ein, um aus 
ihr seltsame Unterscheidungen herzuleiten. Ein durch Naturtrieb 
von innen her gewecktes Bedürfnis soll den Willen, ein äußerlich 
angeregter Wille ein Bedürfnis erzeugen. Wunsch und Wille werden 
nach der Stärke des in ihnen wirkenden Strebens voll unterschieden, 
aber als besondere Kategorien vom Bedürfnisse unterschieden, dieses 
wird nicht als ihr Sonderfall angesehen, wie wir es tun wollten. 
Zwischen ihnen soll nicht das Beiordnungsverhältnis verschiedener 
Seelenfunktionen, sondern ein Kausalitätsverhältnis herrschen. Die 
besonderen Voraussetzungen des Bedürfnisses sind dabei ebenso ver- 
kannt, wie die Zusammengehörigkeit aller drei Gattungen unter dem 
Oberbegriffe des Begehrens. 

Die bisher gewürdigte Gruppe von Gegnern unserer Motivlehre 
stützt ihre Meinung, die Lust- und Unlustgefühle seien keine not- 
wendigen Glieder der Bedürfnisentstehung auf psychologische Er- 
wägungen. Paulsen, Schäffle und Sax führen für den gleichen Ge- 
danken Gründe ins Feld, die vorwiegend der Ethik entnommen sind. 


Paulsen sieht in Lust und Schmerz nicht Wurzeln des Willens, 
sondern nur „Lock- und Warnrufe‘“ der Natur. — Diese Stimmen 
werden aber durch die Erfahrung allmählich dem seelischen Apparate 
eingefügt, der dann mit ihnen die Willensleitung zu vollbringen ver- 
mag. Und vor der Erfahrung liegt doch hier die Phantasie, die in 
ererbtem Geleise dem Streben die Ziele weist und in einem Ge- 
fühle gegenwärtiger Unlust mit einem Gemälde von Lustmöglich- 
keit ein Begehren nach Befreiung weckt. Wenn Paulsen diesen 
Zusammenhang übersieht und von „ursprünglichen Kräften“ unserer 
Seele spricht, aus denen unser Streben ohne mitwirkende Ge- 
fühlseindrücke entstehe, so lehnt sich dagegen wohl schon die 
alltägliche Selbstbeobachtung auf: diese ursprünglichsten Kräfte 
der Seele sind eben Glücksverlangen und Glückserwartung. Nicht 
Schmerz und Lust, sondern die objektiven Erfolge sollen die Lebens- 


25) Grundzüge der Lehre vom Menschen. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 743 


zwecke sein, die durch das Mittel jener „ursprünglichen Kräfte“ 
unser Streben leiten. Warum aber jene Kräfte gerade zum Auf- 
suchen bestimmter Ziele und zur Abwendung von anderen führen, 
kann schlechterdings nur daraus erklärt werden, daß die Vorstel- 
lungen dieser objektiven Erfolge lust- oder unlustbetont sind. Wenn 
Paulsen als das höchste Ziel des Lebens die Vollendung der eigenen 
Persönlichkeit, „die volle Betätigung der eigenen Kräfte in der 
Selbstbehauptung und Selbstdurchsetzung und zugleich in der Arbeit 
an den objektiven Zwecken des Lebens" einschätzt, so ist doch der 
lustvolle Charakter der beiden erstgenannten Aufgaben zumindest 
nicht bestreitbar. Ein reges Persönlichkeitsgefühl ist untrennbar 
von der Freude an seiner Betätigung. Und sich einen Willen zu 
denken, der um diese Ziele kämpft, ohne von ihrer stärksten Ligen- 
schaft, ihrer ihm günstigsten Eigenart bestimmt zu werden, kann 
man nur als eine am Kerne menschlichen Wesens allzu scharf- 
sinnig vorbeidenkende Ideologie bezeichnen. Auch ein noch so „ob- 
jektiv“ dem allgemeinen Wohle zugekehrtes Streben wird jeder Ehr- 
liche nur aus der Befriedigung erklären können, die ihm diese Art 
von Leben eben ausschließlich gewähren könne. Eine Antwort, die 
eine dem Grunde solchen Tuns geltende Frage, etwa mit einem 
Hinweise auf vaterländische oder allgemein-gesellschaftliche Rück- 
sichten abspeisen wollte, würde das entscheidende Glied der Kausal- 
kette unterschlagen. Diese Erwägungen können nur indemjenigen 
einen Willen auslösen, dessen Glücksvorstellungen sie beherrschen. 
Nicht ein Wunsch der Allgemeinheit ist das Willensmotiv, sondern 
es mußte die Vorstellung der für das Subjekt mit seiner Erfüllung 
verbundenen Lustgewinnung hinzutreten, die das Allgemeinbedürfnis 
zum Sonderinteresse des Subjektes machte und so zur Wurzel eines 
in ihm entstehenden Bedürfnisses werden mußte. Die psychologische 
Feststellung dieses „egoistischen“ Ursprunges enthält durchaus keine 
ethische Bewertung des Willensvorganges. Zu ihr kann erst eine 
Würdigung derjenigen Güter führen, denen menschliche Bedürfnisse 
sich zuwenden. In deren Auswahl scheiden sich die Geister. Der 
hier dargestellte Willensvorgang ist ein lediglich formales Grerippe, 
das erst durch die Willensziele Fleisch und Blüt erhält. Paulsens 
Willens- und Pflichtbegriff ist aus dem Geiste des Kantschen Ri- 
gorismus?6) geboren. In seinem Kampfe wider den Hedonismus?”?) 
hat er die formale Lust am seelischen Gleichgewichte der Genuß- 
sucht gleichgesetzt und sich durch diesen Trugschluß verleiten 
lassen, den ethischen Gegner mit nicht zureichenden psychologischen 
Waffen überwinden zu wollen. In der Auffassung des teleologischen 
Sinnes der „Glückseligkeit“ steht er Cühel nahe. 

In der Unterscheidung der Grade können wir Schäffle*8) bei- 


26) Kant, Grundlegung der Metaphysik der Sitten. 

27) Paulsen wendet sich z. B. (a. a. O.) gegen Bentham (Introduction into 
the principals of morals and legislation 1789) und James Mill (Analysis of the 
phenomena of human mind, 2 Bde., 1829). 

28) Das gesellschaftliche System der menschlichen Wirtschaft, S. 4, 5. Bau 
und Leben des sozialen Körpers. 


744 Joachim Tiburtius, 


stimmen, der zwei Stufen der Bedürfnisentwicklung annimmt: 
1) den „Drang zur bestimmungsgemäßen sinnlich-sittlichen Entfal- 
tung“ mit Hilfe der Güter der Außenwelt in Verbindung mit einem 
„freien auf die Bildung innerer Güter gerichteten Streben“ und 
2) eine allmähliche Verwandlung dieser „Triebe“ in sittlich geregelte 
Bedarfsgewöhnung. 

Die zweite Hälfte der ersten Staffel seines Systemes ist durch 
die nähere Erläuterung als eines „freien Strebens der klaren Um- 
risse und durch die Beschränkung auf lediglich innere Güter der 
wünschenswerten Weite beraubt worden. Aus der Aufzählung der 
Stufen erfahren wir leider nichts über ihre inneren Beziehungen, 
und die Art ihrer Entstehung als konkreter Begehren gegenüber 
den verschiedenen äußeren und inneren Gütern. Die gesonderte 
Aufzählung der „bestimmungsgemäßen sinnlich-sittlichen Entfaltung“ 
und des „freien auf die Bildung innerer Güter gerichteten Stre- 
bens“ legt übrigens die Paradoxe nahe, daß Schäffle den Erwerb 
dieser Güter als außerhalb der menschlichen Bestimmung liegend an- 
sehe. Leider hat Schäffle nichts über den Einfluß gesagt, der von 
jeder dieser beiden Strebensrichtungen auf die andere ausgeht. In- 
wieweit beherrscht ein auf zunehmenden ethischen Besitz gegrün- 
detes inneres Gleichgewicht die Entstehung von Bedürfnissen nach 
äußeren Gütern? Wie lähmt umgekehrt äußerer Besitz das 
Streben nach inneren Erkenntnissen, die ihm vielleicht gefährlich 
werden könnten? Als endliches Ergebnis dieser beiden Komponenten 
im Kräfteparalleloegramm des Charakters wird nur die Erziehung 
des Menschen zu einer „sinnlich-sittlichen Bedarfsgewöhnung‘ ge- 
nannt. Das Wort „Gewöhnung‘“ erscheint in seiner Allgemeinheit 
etwas euphemistisch, man spricht wohl richtiger von einer Neigung 
und Fähigkeit, den Bedarf im Rahmen des Sittengesetzes zu decken. 

Je mehr diese läuternde Wirkung der inneren Güter betont 
wird, um so weniger verständlich wird ihre, in der Schäffleschen 
Definition erfolgte Ausschließung von der „bestimmungsgemäßen 
Entfaltung“ des Menschen. Mit dem Maßstabe der „Bestimmungs- 
mäßigkeit‘“ wird übrigens der Kreis der Bedürfnisse ungebührlich 
eingeengt. Ein Begriff, nur der Form eines seelischen Vorganges, 
wird ethisch abgestempelt und bereits seinem Inhalte nach festgelegt. 
Für die Begehren von Narren oder Anarchisten, die sich bewußt 
oder unbewußt außerhalb der Weltordnung stellen, müßte demnach 
erst ein Ausdruck gefunden werden. Vernunftwidrige und schädliche 
Bedürfnisse sind von Nichtbedürfnissen zu unterscheiden. 

Auch bei Sax??) ist diese Trennung zu vermissen. Er nennt 
das Bedürfnis ein Bewußtsein der Abhängigkeit von der Außen- 
welt bei Erreichung vernünftiger Zwecke. Aus einer Abhängig- 
keit des Subjektes von innerpersönlichem Vermögen oder Un- 
vermögen kann danach ein Bedürfnis nicht entstehen. Das Verlangen 
des Stummen nach einer, Ausdrucksmöglichkeit, das Begehren des 


29) Grundlegung der theoretischen Staatswirtschaft, 8. 172. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 745 


betrügerischen Kassenboten nach den ihm anvertrauten Geldern, sie 
würden nicht in den Kreis der Bedürfnisse fallen, dagegen der Ge- 
danke des zufriedenen Spießbürgers, daß ihm zur Würde eines 
Bürgermeisters, nach der er nicht im entferntesten geizt, die Gunst 
seiner Mitbürger unentbehrlich sei. Die Nichtachtung des dem Be- 
dürfnisse innewohnenden energetischen Dranges zeigt sich bei Sax 
in ausgeprägtester Schärfe; das Bedürfnis ist nicht mehr selber 
ein Begehren, sondern nur noch eine seinen Verlauf begleitende 
Geistesstimmung. Gerade die genannten Beispiele beweisen, daß 
der von Sax vertretene Standpunkt weder in seinem subjektiven, 
noch in seinem objektiven Betrachte durch ein besonderes Interesse 
der Wirtschaftswissenschaft an den von seinem Schema vmfaßten 
Erscheinungen begründet werden könne. Denn aus einem Bewußt- 
sein allein entsteht keine wirtschaftlich erhebliche Handlung, wenn 
kein auf Bildung oder Erwerb von Gütern gerichtetes oder wenig- 
stens mittelbar hierzu führendes Streben sich ihm gesellt. Anderer- 
seits sind gerade von vernunftwidrigen Zwecksetzungen besonders 
fühlbare Beeinflussungen der Wirtschaft ausgegangen. Verbrechen 
und Krankheit in ihren Abweichungen vom Vernunftgebote erzeugen 
Gegenwehr und Arbeit. Auch die Not um innere Güter kann die 
Außenwelt in fruchtbare Bewegung bringen. Den Leiden der seelisch 
Erkrankten dienen produktivere Ansammlungen wirtschaftlich rele- 
vanter Arbeitskraft, als etwa den latenten Gedanken eines Philan- 
thropen, der sich „seiner Abhängigkeit von der Außenwelt bei 
Erreichung seiner vernünftigen Zwecke bewußt ist“. 


IV. Das Verhältnis von Oekonomik und Psychologie. 


So sehr wir die psychologische Sorgfalt bisher bei vielen 
nationalökonomischen und allgemein-philosophischen Forschern ver- 
missen und ihre Unbekümmertheit um die Grenzen und Eigenarten 
der Erkenntnisdisziplinen beklagen mußten, wir müssen zugeben, 
daß die Haltung der Psychologie einen Fortschritt der Nachbar- 
wissenschaften zu geklärten Begriffen erschwert. Mit Recht findet 
die Psychologie sich in den Einleitungen der meisten wirtschafts- 
wissenschaftlichen Lehrbücher als Hilfswissenschaft der Oekonomik 
bezeichnet, der diese viele ihrer Grundbegriffe entnähme, um siedann 
nach eigener Weise zu verwenden. Die Psychologie selber spürt zu 
diesem Berufe, scheint es, wenig Neigung. Die Mehrheit der Na- 
tionalökonomen hat sich nun damit begnügt, die Bedeutung der 
Psychologie für ihre Forschungen programmatisch im versprechen- 
den Einleitungskapitel des Lehrbuches zu betonen, hat aber in der 
erfüllenden Ausführung die Ergebnisse und die Methode der Psy- 
chologie häufig gerade da zu Hilfe zu rufen verschmäht, wo es nötig 
gewesen wäre. 

Hieraus erklärt sich wohl das Mißtrauen Münsterbergs3®) 
gegen die Berührung beider Wissenschaften. Es ist sicherlich keiner 


30) Psychologie und Wirtschaftsleben, S. 10 ff. 


746 Joachim Tiburtius 


von beiden damit gedient, daß ökonomische Lehrbücher den Kapiteln 
über die Motive der menschlichen Arbeit, oder die Natur der wirt- 
schaftlichen Zwecke die Ueberschrift einer „Psychologischen Ein- 
leitung“ geben. Mit gutem Grunde lehnt Münsterberg es für die 
Psychologie ab, sich mit dem Sinn oder der Absicht, die ein seelischer 
Vorgang habe, befassen zu sollen. Ihre Aufgabe ist es, das seelische 
Geschehen in seiner Entstehung klarzulegen. Zu unrecht aber nimmt 
er an, daß die Nationalökonomie ihrer Aufgabe, die Arbeit der 
Gegenwart in ihrer Leistung und ihrem Verbrauche zu erforschen, 
ohne genaue Kenntnis der seelischen Bedingungen gerecht werden 
könne, unter denen die wirtschaftlich erheblichen Empfindungen 
und Handlungen zustande kommen. Wer unser Wirtschaftsleben 
erfassen will, darf nicht beim äußeren Apparate der Bedürfnis- 
befriedigung stehen bleiben, sondern muß die subjektiven Voraus- 
setzungen der Wirtschaft zu ergründen suchen. Und eine Wissen- 
schaft, die nicht nur erklären, sondern auch anleiten, keine Be- 
schreibung allein, sondern auch eine richtunggebende Kunstlehre sein 
will, muß der Wirtschaft die Wege weisen zum Verständnisse der 
Umstände, die ein Bedürfnis entstehen und wachsen, wie derjenigen, 
die es abnehmen und schwinden lassen. Als Schöpfungen einer in 
diesem Sinne angewandten Psychologie sind z. B. die von Münster- 
berg selber, von Taylor’), Ostwald3?), Bernhard??) und Clemens 
Heiß35) unternommenen Versuche zu begrüßen. 

Am Schlusse dieses Teiles unserer Untersuchungen wollen wir 
uns noch einmal seiner uns wichtigsten Ergebnisse vergewissern: 

1) Wir betrachten das Bedürfnis nicht als Gefühls-, sondern 
als Begehrenskategorie, entstanden aus der Verbindung eines Ge- 
fühles gegenwärtiger Unlust mit einer Vorstellung künftiger Lust. 

2) Sein Endziel ist Herstellung des Gleichgewichts im Be- 
wußtsein. Die Veränderung tatsächlicher Verhältnisse der Körper- 
welt wird nur als Mittel hierzu, nie um ihrer selbst willen erstrebt. 

3) Jedes Bedürfnis enthält ein Vorstellungs- und ein Strebens- 
element, beide müssen mit dem inneren Ziele des Bedürfnisses ver- 
knüpft sein. 

4) Wir unterscheiden Trieb°5) und Instinkt als unbe- 
wußte von Wunsch und Willen als bewußten Bedürfnissen. 
Im Triebe unterscheiden wir eine Urform, die eines körperlich 
bestimmten äußeren Zieles als Mittels zur Erreichung des inneren 
Hauptzieles entbehrt, vom konkreten, auf einen Gegenstand als 
Mittel zum Zweck gerichteten Triebe. 


31) Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung (übersetzt von R. Roesler). 

32) Der energetische Imperativ, Leipzig 1912. 

33) Schloß-Bernhard, Handbuch der Löhnungsmethoden, Leipzig 1909. 

34) Die Entlöhnungsmethoden in der Berliner Feinmechanik, Berlin 1909. 

35) Unseren Erörterungen liegt stets der auf S.724 ff. bestimmte Begriff des 

Triebes zugrunde, wie er im wesentlichen in den meisten unser Problem behandelnden 

Schriften angewandt wird, nicht die von Wundt, Grundriß der Psychologie, 

+ NER ff., gegebene Definition als eines aus ‚einfachem Motive“ entstandenen 
illens. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 747 


5) Das Vorhandensein eines Bedürfnisses ist nicht ausge- 
schlossen bei moralischen oder geistigen Mängeln des ihm inne- 
wohnenden Denkens und Strebens. Die hieraus fließenden Wert- 
a bieten nur Anlaß zu besonderen Einteilungen des Be- 
griffs. 


Zweites Kapitel. 


Der Verlauf des Bedürfnisses im menschlichen Bewußtsein 
und seine Beziehungen zur Außenwelt. 

I. Das Wachstum der Bedürfnisse. 1) Der Begriff der Bedringlichung 
(Cühel). 2) Die Ursachen des Bedürfniswachstums: a) Brentano, Nähe, Gewib- 
heit des Genusses und seine Reinheit von Unlust. b) Das Bedürfnis in seiner 
Abhängigkeit von den im Charakter gegebenen Grundlagen. c) Die Bedeutung 
einer Unmöglichkeit oder Notwendigkeit des erstrebten Erfolges. d) Der Reiz 
der Auszeichnung, Erläuterung am Beispiel seiner Wirksamkeit im Geschäfts- 
leben. e) Zusammenfassender Ueberblick über die Ursachen der Bedringlichung. 
3) Das Krlöschen der Bedürfnisse. a) Seine Ursache. b) Seine Verhinderung durch 
den Wechsel der Befriedigungsart. c) Entdringlichung und Genußabnahme. 4) Be- 
dürfnis und Grenznutzen. 5) Zusammenfassender Ueberblick über die Ursachen der 
Bedürfniszu- und -abnahme. Il. Die Dauer der Bedürfnisbefriedigung. III. Die 
Stärke der Bedürfnisse. Der Cühelsche Versuch einer mathematischen Messungs- 
methode. 


I. Das Wachstum der Bedürfnisse. 


Den Gesamtverlauf eines Bedürfnisses im menschlichen Be- 
wußtsein von der Entstehung bis zur Befriedigung will Cùhel 
mit dem Ausdrucke „Bedürfung‘ 36) bezeichnen, wenn es sich um 
ein sogenanntes „Verwendungsbegehren“ handelt, d.h. um ein 
Streben nach Verwendung von Mitteln, die als geeignet zur Herbei- 
führung eines Wohlfahrtszuwachses angesehen werden. v. Böhm- 
Bawerk, Menger und v. Wieser sprechen statt dessen von , Be- 
dürfniserregungen“ oder „konkreten Bedürfnissen“. 

Diese Bezeichnungen scheinen sämtlich entbehrlich zu sein, da 
sich aus dem Begriffe eines Bedürfnisverlaufes bereits in allgemeiner 
Verständlichkeit ergibt, daß von einem akuten Bedürfnisse die Rede 
sein solle. 

Die Dringlichkeit eines Bedürfnisses durchläuft sehr ver- 
schiedene Stadien zwischen den Polen der Entstehung und Be- 
friedigung, deren Verzögerung oder Gefährdung sie regelmäßig 
steigern wird. Für die Intensitätszunahme hat Cühel den Namen 
der „Bedringlichung‘“ vorgeschlagen. Sie soll im Verhältnisse zu 
der Zeit gemessen werden, innerhalb deren sie im einzelnen Falle 
von einem Grade zum folgenden geführt hat. Wenn me und n. zwei 
aufeinander folgende Stufen eines Bedürfnisverlaufes darstellen, so 
ergibt sich die zwischen ihnen liegende Bedringlichung nach der 
Formel 
EE n°—m® 
B(edringlichung) DEE 


36) a. a. O. 


748 Joachim Tiburtius, 


Die der rechnerischen Genauigkeit hier gesetzten Grenzen würdigt 
Cühel vollkommen, es kann im Zähler des Bruches nie eine echte 
Differenz stehen, da die einzelnen Dringlichkeitsgrade in stetem 
Flusse begriffen und nicht ziffernmäßig streng zu erfassen sind. 

Als Haupttriebfeder des Bedürfniswachstumes würdigt Brentano 
die Nähe des zu erwartenden Genusses3?’). Wir möchten diese Mei- 
nung durch den Hinweis auf den oben bereits angedeuteten Einfluß 
der den erstrebten Genuß verzögernden oder gefährdenden 
Umstände ergänzen. Falls aus einem körperlichen Zustande heraus 
eine Hemmung des Bedürfnisverlaufes eintritt, wird die daraus er- 
wachsende Unlust das Begehren bis zur Grenze der körperlichen 
Leistungsfähigkeit bedringlichen, von wo an eine Abnahme unver- 
meidlich sein wird. Wir kennen den Umschlag eines hochdringlichen, 
die Körperkraft schwächenden Bedürfnissen in Gleichgültigkeit bei 
dem Zustande der Ueberhungerung. Eine rein geistige Unlust wirkt 
bis zur Ermüdungsgrenze gleichfalls bedringlichend. So ist die Un- 
gewißheit eines Genusses ein weit stärkerer Ansporn zu seiner Er- 
kämpfung, als die Gewißheit. 

Brentano rechnet außer Nähe und Gewißheit des Ge- 
nusses seine Reinheit von Unlust unter die Umstände, von 
denen die Stärke und Dauer, der mit einem Bedürfnisse verbundenen 
Empfindung und daher auch das Maß des aus seiner Befriedigung 
stammenden Wohlgefühles abhänge. Hier sind Momente einander 
‚gleichgestellt, die teils vor dem Augenblicke der Befriedi- 
gung liegen müssen, wie Nähe und Gewißheit des Genusses, teils 
erst nach seinem Eintritte zur Geltung gelangen können, 
wie die Abwesenheit von Unlust im Zustande der Erfüllung. Es ist 
nicht recht einzusehen, wie die vor dem Befriedigungsmomente emp- 
fundenen Eigenschaften der Nähe und Gewißheit des Genusses 
das mit seiner Herbeiführung entstehende Wohlgefühl be- 
einflussen sollen. Selbst wenn ihnen eine Erhöhung der Be- 
dringlichung zuzuschreiben ist, bedeutet dies noch nichts für 
die Stärke des Befriedigungserfolges, die vielmehr häufig 
eher zu dem ihr gewidmeten Streben im Verhältnisse des Haupt- 
gefühles zum Vorgefühle steht (s. S. 734/735). Der Befriedigungs- 
zustand ist ein Ausruhen, zu seinem vollen Genusse gehört das Bewußt- 
sein seines gesicherten Bestandes und seine Freiheit von unlustvollen 
Momenten. Insoweit können wir Brentano beistimmen. Doch ist es 
nicht angängig, von der „Gewißheit“ einer bereits eingetretenen Tat- 
sache zu reden, nur die Sicherheit ihrer Dauer kommt nun- 
mehr in Frage. 

Den zur Befriedigung hinstrebenden Bedürfnisverlauf aber ver- 
mag ein wie immer entstehendes Wohlgefühl nicht zu bedringlichen, 
nur an Strebenskraft zu schwächen. Alles Streben ist, wie Döring 
betont, notwendig mit Unlust verbunden, Unlust ist die Seele des 
Bedürfnisses, mit der es wächst und sinkt. Jede die Unlust erhöhende 


37) a. a. O. S. 35 ff. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 749 


Veränderung der Lage des Subjektes wird das Streben steigern, auch 
wenn sich moralische Hindernisse zeigen, die von der Allgemeinheit 
anerkannt und gestützt, vom bedürfenden Subjekte nur in ihrer 
äußeren Macht anerkannt, innerlich aber nicht als Hemmung emp- 
funden werden. 

Brentano, der in jedem rechtlichen oder sittlichen Verbote eine 
Schranke der inneren Bedürfnisentwicklung erblickt, verkennt, daß 
es in jedem einzelnen Falle auf die besondere Stellung des Charakters 
zu der Norm ankommt. Eine ethisch bestimmte Natur würde ihr 
Gleichgewicht bei widerrechtlicher Störung fremder Interessen nicht 
bewahren können; über den Wunsch, zu fremdem Eigentume zu 
gelangen, würde das Bedürfnis nach sittlicher Richtigkeit des Han- 
delns und Seins die Oberhand behalten, und aus dem Wunsche 
mangels der Grundlage einer wahrhaften inneren Gleichgewichts- 
störung gar kein Bedürfnis werden lassen. Anders wird die Wahl 
eines oberbayrischen Gebirgssohnes ausfallen, den es gerade über 
das staatliche Verbot hinweg zu der Jagdbeute drängt. In der Be- 
wertung der rechtlichen Grundlagen des Willens ist Brentano allzu 
optimistisch. Das Gesetz übt seine Herrschaft über die Gemüter 
meist durch Vermittlung der Moral aus, wie sie vom Lebenskreise 
des Einzelnen jeweilig geschaffen ist. Sie ist meist ein dem Be- 
treffenden Erlebniskomplex angepaßter Kodex, dessen Gebote von 
den Gemeinschaftsgenossen als vorteilhaft angesehen werden und 
darum in ihnen meist fest genug wurzeln, um die Entstehung und 
den Verlauf eines ihnen feindlichen Bedürfnisses mindestens zu 
erschweren. 

Tatsachen, die für die Entstehung und Entwicklung eines Be- 
dürfnisses nicht erheblich geworden sind, erzeugen teilweise Gegen- 
bedürfnisse, die dann in der Auslese sich als die stärkeren erweisen. 
Die Achtung vor dem Willen des Gesetzes ist im Verbrecher nicht 
stark genug, um die Entstehung eines unsozialen Bedürfnisses ver- 
hindern zu können, sie löst in ihm aber ein höchstpersönliches 
Bedürfnis aus, der Strenge, der Sühne zu entfliehen, das in der Kon- 
kurrenz mit dem Erstgenannten zuweilen Sieger bleibt. Man darf 
dabei indes weder die Relativität der Moralbegriffe, noch die Unter- 
scheidung vergessen, ob sie den inneren Verlauf des einzelnen Be- 
dürfnisses, den Wettkampf mehrerer oder erst den Wahlakt der 
Durchsetzung eines von ihnen zu entscheiden vermögen. Je tiefer 
ein Gefühl oder eine Vorstellung im Menschen wurzeln, desto näher 
liegt der Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entstehung des Be- 
dürfnisses. Je ferner ein Lebensgesetz dem Willenszentrum des 
Subjektes steht, desto weniger kann es das innere Wachstum seiner 
Bedürfnisse aufhalten. Sein Widerstand wird vielleicht ein eigen- 
williges Begehren nur steigern. 

Auch die Unmöglichkeit einer Leistung ist nicht immer ein 
Hindernis für ein ihr geltendes Bedürfnis, wofern das Subjekt selber 
nur mit 1/100 Wahrscheinlichkeit des Erfolges rechnet. Im Streben 
nach unerreichbar scheinenden Erfolgen haben viele die höchste 


750 Joachim Tiburtius, 


Kraft geopfert und dafür den Namen von Helden geerntet. Wer die 
Möglichkeit einer Leistung für die notwendige Voraussetzung eines 
auf ihre Ausführung gerichteten Bedürfnisses hält, vergißt, daß 
äußere Erfolge nicht das eigentliche Ziel eines Bedürfnisses sind. 
sondern daß eine Gefühlswirkung erstrebt wird, die häufig bereits 
auf dem Wege zu einem äußeren Ziele eintreten kann. Den Ruhm- 
süchtigen wird der Gedanke, etwas, was von allen anderen für un- 
ausführbar gehalten, ist zu unternehmen, nicht abschrecken. Kampf- 
loses Zurücktreten würde ihm nicht nur den neuersehnten Ruhm 
entziehen, sondern auch den alten, wohlerworbenen rauben. Der 
erstrebte Erfolg gewinnt eine erweiterte Bedeutung für sein Gleich- 
gewicht und spornt das Bedürfnis an. 

Auch die Ueberzeugung von der Notwendigkeit eines Erfolgs- 
eintrittes braucht nicht stets das Ende eines ihm geltenden Bedürf- 
nisses zu bedeuten. Die Unlust beruht nicht immer in der Ungewibß- 
heit über das „Ob“? eines Erfolges allein, auch aus der Sorge um 
die näheren Umstände des „Wann“? und „Wie“? schöpft sie ihre 
Nahrung. 

Die Möglichkeit, durch Befriedigung eines Bedürfnisses sich 
vor der Umwelt erkennbar auszuzeichnen, ist einer der wirksamsten 
Gründe für die Entstehung neuer und die Bedringlichung älterer 
Bedürfnisse. Zum Kaufe eines seltenen Gegenstandes lockt diese 
Eigenschaft oft auch bei Mängeln der Substanz. In diesem Zauber 
liegt der Schlüssel zur Psychologie des Kaufes. Der Verkäufer sucht 
in seinen Kunden den Glauben zu erwecken, sie beträten in seinem 
Geschäfte den Weg zur „großen Welt“, der dem einfachen Manne 
über die Gegenstände gewiesen wird, deren Gebrauch die beneideten 
oberen Schichten einzig von ihm trenne. Dem Käufer wird so ein 
beglückendes Gefühl der Erhöhung des eigenen Wertes suggeriert. 
Der Gedanke, durch den Besitz eines Stockes mit dem Prinzen ver- 
bunden zu werden, der einen gleichen zu tragen pflege, bedringlicht. 
sein Bedürfnis nach dem Gegenstande. Diese Erkenntnis beherrscht 
die Reklame der Gegenwart3®). Fabrikanten und Händler wett- 
eifern in der Auswahl glänzender zeitgenössischer Namen für ihre 
Waren, die ihnen die Nachfrage der Käufer zuführen und zu einer 
Stärke steigern sollen, die in der anziehenden Aufmachung einen 
Ausgleich für eine Erhöhung des bisher geforderten Preises zu sehen 
geneigt ist. Schneider und Zigarettenhändler lassen von Künstlern 
Bilder entwerfen, auf denen Stutzer ihre Kleider tragen und ihre 
Zigaretten rauchen. Diese Darstellungen entsprechen nicht lediglich 
dem Erfordernisse, auffällig zu sein, sondern verschaffen dem 
Kunden die angenehme Sicherheit, auf dem von ihnen empfohlenen 
Wege den von ihm bewunderten Vorbildern der Lebenshaltung nahe- 
zukommen. Anschaulich offenbarte diesen Zusammenhang jüngst 
die im „Simplizissimus“ wiedergegebene Anzeige eines Schneider- 
meisters, der seinen Kunden verhieß, sie würden allgemein „für 
Offiziere gehalten“. 


38) Siehe darüber Lipps, Aesthetik, Kultur der Gegenwart, 1907. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 751 


Der geschickte Verkäufer versteht es dabei, der Bedringlichung 
alle Störungen fernzuhalten. Ein durch die Preishöhe vielleicht 
zu erregendes Bedenken vermag er auszuschalten, wenn er deren 
Vereinbarung solange hinausschiebt, bis die Dringlichkeit eine dieser 
zu erwartenden Hemmung überlegene Stärke erreicht hat. Dem 
sich in einer Sparsamkeitserwägung äußernden wirtschaftlichen 
Sinne weiß er durch Hervorhebung bislang verborgen gebliebener 
nützlicher Seiten des Gegenstandes zu begegnen. 

Die Betrachtung dieser alltäglichen Vorgänge führt zu dem 
allgemeinen Schlusse, daß die Bedringlichung eines Bedürfnisses 
wachsen wird, je nach der Stärke des Unlustgefühles, das im Sub- 
jekte durch die Vergleichung seiner gegenwärtigen mit der aus der 
Befriedigung erhofften zukünftigen Lage rege wird, und anderer- 
seits im Verhältnis zu der Sicherheit und Reinheit der Lust, die 
der Bedürfnisträger von der erstrebten Zukunft erwartet. 

In der Vorstellung einer möglichen Fortdauer der aktuellen 
Unlust über den Befriedigungszeitpunkt hinaus liegt der Keim der 
Entdringlichung. Weitere Ursachen ergeben sich aus einer Be- 
seitigung oder Minderung der Gleichgewichtsstörung, die unabhängig 
vom Verhalten des Subjektes eintritt. Leicht führt die über ein ge- 
wisses Maß hinaus wiederholte Bereitung desselben Genusses zur 
Entdringlichung. Der Reiz eines Befriedigungsmittels schwindet, 
wenn sein Gebrauch mit der Zeit aus einer Sensation zu einer Ge- 
wohnheit geworden ist. Jeder zur Mode gewordene Einfall trägt 
seine Vergänglichkeit an der Stirn. „Jeder Genuß nimmt, wenn 
wir mit seiner Bereitung fortfahren, allmählich bis zur Sättigung 
ab“, sagt Gossen 39) im ersten seiner Gesetze über die Genußabnahme. 
Bei einem Bedürfnisse nach mehreren aufeinanderfolgenden Wohl- 
fahrtszuwächsen nimmt das Begehren nach dem einzelnen mit dem 
Hinzukommen jedes weiteren ab, um schließlich auf Null zu sinken. 

Der Grenznutzenlehre, die sich hieraus ihre gewichtigsten 
Gründe geholt hat, sei hier entgegengehalten, daß Gossen in diesem 
seinem „Wertgesetze‘“ die verschiedene Bedeutung der Einheiten 
je nach dem Augenblicke ihrer Verwendung streng geschieden und 
gestaffelt hat. 

Einen positiven Ausdruck seines Grundgedankens über die 
Genußabnahme gibt das Weber-Fechnersche Gesetz von der Genuß- 
zunahme: Arithmetische Progression der Empfindungsreihen ist nur 
EN bei Zunahme der sie veranlassenden Reize in geometrischen 

eihen. 

Die Schwelle, über die hinaus das Begehren nicht mehr in 
gleichem Verhältnisse wie die Gütermenge wächst, nennt Cühel das 
Bedürfnismaximum, während Brentano sie wohl zutreffender als 
ein Optimum bezeichnet. 

Er wird damit der Tatsache besser gerecht, daß ein absolutes 
Wachstum der Empfindung mit der Vermehrung der Reize noch eine 


39) 8. 31ff. a. a. O. 


752 Joachim Tiburtius, 


Weile lang anhalten, daß nur der Erfolg des einzelnen Reizes dem 
seiner Vorgänger nicht ebenbürtig sein kann. Dies gilt indes nur 
für eine fortdauernde Einwirkung von Reizen gleicher Art, nur 
gegenüber den Einheiten desselben Befriedigungsmittels wächst bei 
gleichbleibender Stärke der einzelnen der Genußminderungskoeffi- 
zient im Bedürfnisse. 

Die Sorge unserer Gewerbe gilt daher nie der Herstellung neuer 
Mittel für die alten Bedürfnisse. Auch eine neuartige Verwendung 
eines bereits bekannten Mittels vermag einen neuen Reiz darzu- 
stellen und eine besondere Empfindungsreihe zu begründen. Als Bei- 
spiel diene ein kennzeichnender Abschnitt aus der Geschichte der 
Bernsteinindustrie. Der Bernstein hatte in Ost- und Westpreußen, 
seinen Hauptfundgegenden, in Gestalt von Spangen, Ohrringen und 
ähnlichen Schmuckstücken eine Verbreitung gefunden, die ihn ziem- 
lich rasch um sein Ansehen brachte. Da kam eine Danziger Firma 
auf den Gedanken, ihn als Einlage in Möbel zu verwenden, und 
erzielte damit Wirkungen, die das Bedürfnis nach dem verschmähten 
Materiale schnell wieder in die Höhe trieben. 

Eine beim Erlebnisse der Befriedigung eintretende Genußminde- 
rung überträgt sich auf die Dringlichkeit des nächsten demselben 
Gute geltenden Begehrens. Cühel zieht die Grenze zwischen Genuß- 
abnahme und Entdringlichung scharf, die erstere tritt während der 
Befriedigungshandlung ein, während die Entdringlichung den 
Bedürfnisverlauf noch vor dem Ziele der Befriedigung ergreift. Man 
wird für beide Vorgänge unterscheiden müssen, ob ein Genuß oder 
die Kraft des Begehrens nach ihm nachlassen, weil die Mittel 
seiner Verwirklichung infolge übermäßigen Gebrauches ganz allge- 
mein ihre Reizwirkung eingebüßt haben, oder ob die Abnahme nur 
auf eine Sättigung im einzelnen Falle zurückzuführen ist. Hat sie 
allgemeinere Bedeutung, so wird sie durch die repräsentative Kraft 
der Erinnerungstätigkeit nicht nur in den Verlauf des nächsten dem 
gleichen Ziele geltende Bedürfnisses entdringlichend eingeführt wer- 
den, sondern allmählich die zur Entstehung dieser Bedürfnisgattung 
erforderliche besondere Unlust verdrängen, das Aufkommen dieser 
Bedürfnisse verhindern, und selber zur Quelle entgegengesetzter Be- 
gehren werden. Zu diesem Ergebnisse wird namentlich eine „Ge- 
nußabnahme‘“ im Cühelschen Sinne führen, da sie aus einem tat- 
sächlichen Eindrucke, einem Erleben der erstrebten Zustands- 
veränderung hervorgeht, während die „Entdringlichung‘“ primärer 
Art, der keine Genußabnahme als Veranlassung vorangegangen ist, 
mehr auf einem Nachlassen der Lustvorstellung beruht, das 
durch den Eindruck des wirklich erreichten Wohlfahrtszustandes 
noch behoben werden kann. 

Insofern sind zwischen Genußabnahme und Entdringlichung 
doch Beziehungen im Zusammenhange eines Bedürfnisfalles mit dem 
oder gar den ihm folgenden möglich, welche die Entdringlichung 
des Bedürfnisses b als eine Funktion der bei der Verwirklichung 
des Bedürfnisses a eingetretenen Genußabnahme erscheinen lassen. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 753 


Aus dem sogenannten Wertgesetze Gossens folgt leicht ein 
weiteres Gesetz: „Das Bedürfnis nach der Grenzeinheit eines als 
nötig erkannten Vorrates nimmt ab mit dessen Vermehrung“. 

Bei der Anwendung dieses Gesetzes ist diejenige Einschränkung 
geboten, die sich aus der hier vertretenen Auffassung des Inhaltes 
der vorangegangenen Gesetze ergibt. Das Bedürfnis nach der letzten 
Verwendungseinheit eines „als nötig erkannten Vorrates“ wird nur 
nachlassen, wenn kraft des Gesetzes der Genußabnahme aus dem 
dafür entscheidenden Grunde die während des Bedürfnisverlaufes 
vorgestellte oder bereits empfundene Lust mit dem in der Verwen- 
dung des Befriedigungsmittels wirkenden Reize nicht mehr Schritt. 
hält. Von einem Bedürfnisse nach der Grenzeinheit darf aber erst 
gesprochen werden, wenn deren Verwendung Gegenstand eines 
augenblicklichen Begehrens ist, nicht etwa schon dann, wenn 
sie als später einmal verwendbares Gut nur vorgestellt 
und gewertet wird. Die Vorstellung einer Gleichgewichtsstörung 
und der Art ihres Ausgleiches ist noch nicht das Bedürfnis nach 
diesem Ausgleiche oder seiner Vorbereitung, sondern erst die 
seelische Disposition, aus der ein solches Bedürfnis entstehen kann. 

Hat die Genußzunahme die Proportionalitätsgrenze überschrit- 
ten, so kann die Vermehrung allein des Vorrates auf die Be- 
dürfnisstärke nicht einwirken, nur auf das ihm geltende Wert- 
urteil. Die Bedürfnisintensität kann stets nur durch den Gebrauch 
des einzelnen Gutes betroffen werden, auf den eine Vermehrung der 
vorhandenen Einheiten nur insoweit Einfluß hat, als sie die wieder- 
holte Verwendung gleicher Reize erleichtert. Sowie die Vermehrung 
aber eine Qualitätsveränderung mit sich bringt, wird sie im Gegen- 
teile zu einer neuen Reizquelle, die auch die Begehrenskraft wieder 
erhöht. 

Nicht mit einer Vermehrung eines Gütervorrates nimmt. 
daher das Verlangen nach der Verwendung seiner Grenzeinheit 
zur Wiederherstellung des inneren Gleichgewichtes, als welches 
allein wir ein Bedürfnis nach dieser Grenzeinheit anerkennen 
können, ab, sondern erst mit der übermäßigen Verwendung seiner 
Einheiten, die dann für die Grenzeinheit nur eine geminderte Be- 
gehrenskraft zuläßt, wofern es sich um gleichartige Güter handelt. 

Auch die Verminderung eines Vorrates hat an sich auf das ihm 
oder seinen Teilen geltende Bedürfnis keinen Einfluß. Jemand, der 
zur Erwärmung seiner Wohnung 100 Zentner Kohlen braucht, 
bedarf deren ebenso dringend, wenn auf dem Markte 100000 Zentner, 
wie wenn nur 10000 vorhanden sind, der Durchschnittskäufer pflegt 
über die Marktlage in der Regel wenig unterrichtet zu sein. Nur 
die Schwierigkeit der Bedarfserlangung wächst mit der Verringerung 
und sinkt mit der Vermehrung des insgesamt verfügbaren Vorrates 
und verschiebt im selben Maße die Wichtigkeit seiner Teilmengen, 
die Stärke des Bedürfnisses nach diesen beruht auf einem von ihrer 
Gesamtzahl unabhängigen Verhältnisse zu ihrem speziellen Reize. 
Nur aus dessen Veränderung kann eine Veränderung der Bedürfnis- 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 48 


754 Joachim Tiburtius, 


intensität erfolgen. Führt nun die Verminderung eines Vorrates zu 
einer Gefährdung der vom Subjekte erstrebten Bedürfnisbefriedi- 
gung, so bringt sie seinem inneren Gleichgewichte eine unlustvolle 
Störung, die das Bedürfnis nach dem gefährdeten Gute bedringlichen 
wird. Eine allgemeine Verschiebung in den Mengeverhält- 
nissen des Vorrates kann diese Wirkung nur haben, wenn sie die 
Erlangung der speziell vom Subjekte begehrten Güter 
erschwert, da der Einzelne nur für deren Schicksale Sorge zu tragen 
pflegt. Wenn die Abnahme eines Vorrates zu seinem gänzlichen 
Schwinden auszuarten droht, kann sich das Begehren sogar vor 
Erreichung der Proportionalitätsgrenze von ihm abkehren und einem 
Ersatze zuwenden. 

Gossen hat selber diese Ergänzungen seiner Ansichten über die 
begehrenssteigernde Kraft der Mengenabnahme in zwei weiteren 
Gesetzen gefunden: 

1) Die Gesamtverwendungsegenz nach mehreren Einheiten 
nimmt bei Vermehrung des Vorrates bis zur Grenze des Erforder- 
lichen zu und 

2) bei einer Verminderung unter diese Grenze ab. 

Als Ursachen der Bedürfniszunahme und -abnahme 
haben wir somit kennen gelernt: 


è 1. Die Erhöhung oder Verringerung der 
Ursachen in der Wurzel dem Bedürfnisse zugrunde liegenden 
des Bedürfnisses Unlust. 

Ursachen in der Befrie- | 2. Die wechselvolle oder gleichförmige 
digung des Bedürfnisses Verwendung der Befriedigungsmittel. 
3. Eine Gefährdung der Be- 
dürfnisbefriedigung durch Ver- 
ringerung des Bedarfsvorrates und eine 
Ursache im Bedarf Erleichterung gleichförmiger 
Bedürfnisbefriedigung durch 
Zunahme des Bedarfsvorrates bei 

gleichbleibender Art. 


II. Die Dauer der Bedürfnisbefriedigung. 


Mit der Dauer einer Bedürfnisbefriedigung hat Gossen sich 
nicht beschäftigt. Allgemeine Erkenntnis ihres Wesens kann uns 
nur die Betrachtung der Bedürfnisentstehung vermitteln. Je weniger 
Unlust die Begehrenserfüllung zurückläßt, desto länger vermag sie 
sich zu behaupten. Der Keim zu einer Wiedergeburt des erloschenen 
Bedürfnisses liegt in der auftauchenden Einsicht, daß ein erstrebtes 
Gut nicht in allen seinen Vorzügen ausgenutzt worden sei. Ein Be- 
dürfnis nach einem innerlich mehrteiligen Erfolge kann nach Er- 
reichung des erstrebten äußeren Erfolges noch teilweise in Kraft 
bleiben. So kann der Besitz eines Kleidungsstückes dem Träger 
ausreichenden Schutz gewähren, ohne ihn im erhofften Grade vor 
anderen auszuzeichnen. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 755 


Die Spuren derartiger Komplikationen treten auch in der 
Genußabnahme und Entdringlichung hervor. Trotz starker Inten- 
sitätsminderung in einem Begehrensstrom kann die unberührt ge- 
bliebene oder nach einem Mißerfolge noch gesteigerte Dringlichkeit 
eines Nebenstromes das Gesamtbedürfnis auf der alten Stufe halten. 

Auch ein Mangel in den erhofften Eigenschaften des Wohl- 
fahrtszustandes kann kraft der aus Enttäuschung entstehenden Un- 
lust das Bedürfnis nach anderen äußeren Wegen zu dem erstrebten 
inneren Ziele rasch wieder entstehen lassen. 

Andererseits bleibt ein die Erwartung übersteigender Genuß im 
Gedächtnisse nachdrücklich haften und erzeugt vermittels dessen 
repräsentativen Vermögens schneller ein Begehren nach seiner 
Wiederholung, als ein Eindruck mittlerer Stärke. 

Cühel unterscheidet zwischen kontinuierlichen, nie erlöschenden, 
und intermittierenden Bedürfnissen, die sich nach Ablauf einer Weile 
neu zu regen beginnen. Die Annahme ewig dauernder Bedürfnisse 
beruht wohl auf der bekannten Vermengung von Notwendigkeiten 
und Bedürfnissen. Luft und ähnliche Güter brauchen wir ständig, 
ein Bedürfnis nach einem von ihnen verspüren wir nur, wenn uns 
ihre Entziehung betrifft oder droht. Sonst können kontinuierliche 
Bedürfnisse nur nach besonderen Gütern in besonderen Lagen ent- 
stehen. Ein verfolgter Verbrecher wird ständig das Bedürfnis 
haben, sich zu verbergen. Allgemein aber wird die Kontinuität auch 
EE Begehren durch Bewußtseinsveränderungen unter- 
rochen. 

Ein befremdlicher Ausdruck ist es, wenn Cühel ein nicht voll 
befriedigtes, gegenwärtige Wirkungen äußerndes Bedürfnis ein ver. 
gangenes“ nennt. Dieser offenbare Widerspruch ist um so sonder- 
barer, als der Verfasser ein zeitweilig in den Hintergrund ge- 
drängtes Begehren mit Recht nur unter die latenten rechnet. 


III. Die Stärke der Bedürfnisse. 

Die Frage nach der Stärke eines Bedürfnisses ist in der Lite- 
ratur bisher auf zweierlei Art beantwortet worden. Döring sieht 
in den Gefühlen den Erkenntnisgrund der Bedürfnisse und ihrer 
Stärke, während umgekehrt Cühel aus der im Ablaufe eines Be- 
gehrens geäußerten Kraft den Schluß auf das zugrunde liegende 
Gefühl ziehen will. 

Dabei setzt er jedoch den Erfolg eines Bedürfnisses über kon- 
kurrierende Begehren in eine irrtümliche Beziehung zu seiner 
inneren, im Gefühle wurzelnden Kraft. Ein Bedürfnis, das im 
Streite mit anderen seine Befriedigung durchsetzt, verdankt dies 
nicht durchweg seiner größeren Stärke, sondern ebenso häufig prak- 
tischen Erwägungen der Nützlichkeit seiner Erfüllung. Die Stärke 
eines Bedürfnisses ist eine Gefühlspotenz, die auch nur im Gefühle 
gemessen werden kann. In welchem Grade seine Befriedigung ob- 
jektiv notwendig und möglich ist, kann dagegen nur unter Würdi- 
gung aller inneren und äußeren Umstände begriffen werden. Cühel 

Ap 


756 Joachim Tiburtius, 


hat sich selber zu dieser Trennung entschlossen bei dem Vergleiche 
der Bedürfnisse mehrerer Personen. Er erklärt nur ihre „Egenzen“ 
für kommensurabel, nicht die „Bedürfungen‘“, d.h. in allgemein 
gebräuchlichen Wendungen, nur die wirksam werdenden, also äußer- 
lich hervortretenden Begehren, nicht die vorangehenden Stadien ihres 
innerlichen Werdens #0). 

Der Versuch, die Bedürfnisse in ihrer Stärke nach mathema- 
tischen Graden zu bestimmen und zu ordnen, hat bei Cühel zu 
selbst wohlerkannten Grenzen der Methode geführt, doch ver- 
danken wir ihm eine neue Unterlage für Messungen psychischer Vor- 
gänge, die auch der an diesen Erscheinungen interessierten Wirt- 
schaftswissenschaft dienen würden. Cühel betrachtet die Meßbarkeit 
Person“. Halten wir noch einmal fest, daß die „Egenz‘‘ die Be- 
„der Egenzen gegenwärtiger Bedürfungen einer und derselben 
gehrenskraft eines „positiven“ Bedürfnisses, die Stärke eines auf 
Verwirklichung eines Wohlfahrtszustandes gerichteten Bedürfnisses 
ist, im Wettbewerb mit anderen seine Befriedigung durchzusetzen. 
Wenn es sich um ein „negatives“ Bedürfnis nach Nichtverwirk- 
lichung eines Wohlfahrtszustandes handelt, so spricht Cühel von 
seiner Disegenz. Die Meßbarkeit einer Größe setzt für ihn das 
Vorhandensein einer Maßeinheit voraus, die in so vielen Stücken 
vorhanden ist, daß daraus eine der zu bestimmenden Größegleiche 
zusammengesetzt werden kann. Als Messen im weiteren Sinne will 
der Verfasser auch eine Schätzung anerkennen. Bei den hier in 
Betracht kommenden Gegenständen kann diese freilich nicht einmal 
sinnlich, sondern nur gefühlsmäßig vor sich gehen. Der Meßbarkeit 
des Begehrens nach vielen Gütern steht ihre schwankende An- 
ziehungskraft entgegen. Bei größeren Mengen entsteht die Schwierig- 
keit, den Steigerungskoeffizienten festzustellen, der für die Egenz 
ein anderer ist, als für die Bedarfsmasse. Besteht zwischen zwei 
Gütern das Verhältnis gegenseitiger Vertretbarkeit, so ist die sie 
umfassende Gesamtegenz nicht doppelt so stark, wie das jedem 
Einzelnen geltende Begehren. Auch eine Abschätzung in Geld ist 
nicht geeignet, Klarheit zu schaffen, da der Preis nicht nur ein 
Ausdruck der Bedürfnisse ist, sondern der „ökonomischen Selten- 
heit“ #1) einer Ware, denselben Aenderungen unterworfen, wie das 
ihn bestimmende Verhältnis von Angebot und Nachfrage. 

Ein rechnerisch im höchsten Sinne genaues Messen der Egenzen 


40) Daß die Steuertheorie aus einer Messung der Bedürfnisstärken Richt- 
linien gewinnen könne, wie Cühel ohne nähere Erläuterung behauptet, muß be- 
stritten werden. Die indirekten Steuern, die allein unmittelbar die Befriedigungen 
von Bedürfnissen ergreifen, staffeln ihre Sätze doch nicht nach dem Anteile des 
einzelnen Steuerträgers am Gesamtverbrauche, sondern ergreifen den einzelnen 
Fall der Bedarfsbeschaffung ohne Rücksicht auf Stärke und Zahl der durch ihn 
zu deckenden Bedürfnisse, noch auf die Häufigkeit seiner Wiederholung. Eine ge- 
rechte Steuerpolitik wird ferner nicht danach fragen, welche Stufe ein Bedürfnis 
nach der Zahl seiner Befriedigungen einnimmt, sondern welche ihm nach seiner 
Nützlichkeit zukommt. 

41) Oppenheimer a. a. O. 8. 375. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 757 


wäre erst ihre Benennung mit Grundzahlen, die aber schärfer be- 
grenzte Objekte verlangt. Es fehlt an der eindeutig festliegenden 
Maßeinheit. Wenn auch zwischen den Egenzen nach einem Apfel 
und nach zehn Pflaumen eine Gleichung besteht, so ist doch hieraus 


10 

eine ziffernmäßig nicht auszudrückende stoffliche Verschiedenheit 
der verglichenen Größen andelt. Dahingegen hält Cühel mit Sicher- 
heit eine Abstufung der Egenzen nach Ordnungszahlen für möglich, 
inderesaufderGrundlage der als schwächsten angenommenen Egenz 
le über 2e, Ze u. s. f. bis..... 10. aufwärts geht. Er widerspricht, 
der Fechnerschen Meinung, daß die Zuwächse stets die gleichen 
blieben, diese Meinung will aber wohl im Geiste des oben genannten 
Fechnerschen Gesetzes die Egenzzunahme als eine Funktion der Reiz- 
zuwächse und daneben der Reizänderungen nur im Zusammenhange 
mit diesen begriffen wissen. 

Die Summe der Egenzen N ist = E + E + Eg +.... En 
wobei immer E, kleiner ist, als Ka, E < E, usw. bis ..... 
En-ı < En. Die Egenzzahlen dürfen nicht als feststehende Größen 
angesehen werden, es ist unbestimmt, ein Wievielfaches einer be- 
stimmten Einheit sie sind. Da in der Skala jeder Grad dem Vorher- 
gehenden um einen Zuwachs überlegen ist, so ist wohl die Richtung 
ihrer Zunahme, nicht aber das Quantum zu ersehen, um das sie 
jedesmal erfolgt. Auch die Disegenz 4?) gegen eine zehnstündige 
Arbeitsleistung ist nicht zehnmal so groß, wie die gegen eine ein- 
stündige gerichtete Abneigung. Die Disegenzskala ergibt, daß auch 
D.S Dreist De DN en En-ı < Dna. Die Disegenz gegen 
eine Leistung ist der Maßstab der durch diese zu verwirklichenden 
Egenz. 

Soweit Cühel. Wir haben uns bereits oben als Gegner seines 
Vorhabens bekannt, die Stärke eines Bedürfnisses aus seiner Wirk- 
samkeit anderen Begehren gegenüber ergründen zu wollen. Cühel 
selber scheint Aehnliches empfunden zu haben, als er es ablehnte, 
die positiven und negativen Egenzen verschiedener Personen mit- 
einander zu vergleichen, da niemand die „Bedürfungen‘“ eines anderen 
mitempfinden könne. Sollte es aber auf dem von ihm gewiesenen 
Wege gelingen, die Bedürfnisse in ihrer Stärke mit einiger Korrekt- 
heit zu messen, so zwäre dies für die wirtschaftliche Erkenntnis 
wie Praxis von hohem Werte. Ein Vergleich der Grade dieser 
seelischen Tabelle mit den entsprechenden Posten, die den Bedürf- 
nissen in der nationalen Gesamtbilanz angewiesen sind, gäbe ein 
Bild der Herrschaft, die das Bedürfnis über die Wirtschaft hat, und 
zeigte der letzteren, wo ihre Aufgabe, das „adäquate Gegenstück“ 


nicht die Proportion SE herzuleiten, da es sich eben um 


42) D. h., sie ist mehr als Limal so groß, wird man hier im Gegensatze 
zu C. sagen müssen. Die Disegenz wird in diesem Falle abweichend von der Regel 
mit der Zahl der Zeiteinheiten wachsen. 


758 Joachim Tiburtius, 


der menschlichen Bedürfnisse im Sinne Rudolf v. Iheringst3) zu 
sein, noch der Erfüllung harrt. 


Drittes ‚Kapitel. 
Die Arten des Bedürfnisses. 


I. Versuch eines Stammbaums der Bedürfnisse. II. Kritik 1) des Cühel- 
schen Schemas, 2) der Anordnung Dörings nach Grund und Ziel der Bedürfnisse. 

Die Mannigfaltigkeit der ein Bedürfnis bestimmenden Tatsachen 
führt zu eingehender Zerlegung des Oberbegriffes „Bedürfnis“ in 
ihm untergeordnete Arten, die es im Interesse der Uebersichtlich- 
keit nach verbindenden Merkmalen zusammenzustellen gilt. In der 
Differenzierung geben wir, soweit nichts anderes besonders bemerkt 
wird, die Vorschläge Franz Cühels wieder, die bei ihm zu ver- 
missende Integrierung aber wollen wir selbständig vornehmen. 

Die Kategorien ergeben sich: 

1) Aus den die Entstehung und den Verlauf der Be- 
dürfnisse bestimmenden inneren Tatsachen, 

a) als positive und negative. Entscheidend hierfür ist 
nach Cühel das Ziel“), die Verwirklichung oder Nichtverwirk- 
lichung von Wohlfahrtszuständen, also das Ziel nach Oppenheimer, 
dem wir hier folgen, der Entstehungsgrund des Begehrens. Das 
positive Bedürfnis in diesem Sinne strebt nach Entspannung in der 
Abgabe überschüssiger Kraft, das negative nach Ladung durch 
Kraftaufnahme. 

b) Als objektive (wahre) und subjektive (eingebildete), 
richtige und unrichtige Bedürfnisse, je nach dem Grade der 
den Verlauf leitenden Einsicht in den Wert des Zieles und die 
Zweckdienlichkeit der Mittel. 

c) Als effektive und latente nach ihrer Wirksamkeit im 
Verhältnisse zu anderen Begehrensregungen. 

2) Aus den Eigenschaften der Ziele. Wir unterscheiden 
mit Cühel: 

a) Einfache, zusammengesetzte und komplementäre 
Bedürfnisse. 

, Einem einheitlichen objektiven oder subjektiven Zustande ent- 
spricht ein einfaches Bedürfnis, wenn er unteilbar ist, ein zusammen- 
gesetztes, wenn er die Summe mehrerer Glieder, aber eine Einheit 
ist. Gewinnt eine Vereinigung mehrerer Objekte, wie etwa Braten 
und Sauce, oder die Teile einer Maschine, für mich eine derartige 
Bedeutung, daß das sie umfassende Gesamtbedürfnis die Summe 
der den unverbundenen Teilen geltenden Einzelbedürfnisse an Stärke 
überragt, so führt sie zu einem komplementären Bedürfnisse. Das 
begehrte Objekt ist hier keine Einheit, sondern eine Verbindung 
selbständiger Teile. 


43) Der Zweck im Recht, Bd. I, S. 112. (Volkstümliche Ausgabe.) 
44) Siehe S. 756 der Arbeit. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 759 


b) Innere und äußere Bedürfnisse nach der Notwendigkeit, 
das Ziel mit Mitteln der Außenwelt oder durch innere Vorgänge 
verwirklichen zu müssen. 

c) Intermittierende und kontinuierliche Bedürfnisse 
nach der Dauer des im Begehrensziele erreichten Zustandes. Im 
Gegensatze zu Cühel wollen wir im Einklange mit unserer oben 
gegebenen Darlegung ein kontinuierliches Bedürfnis nur unter be- 
sonderen Umständen annehmen. 

3) Aus der Verschiedenheit der Subjekte nach Zahl 
und Art. 

Cühel unterscheidet: 

a) Die Individualbedürfnisse einzelner von den gemein- 
samen und Kollektivbedürfnissen mehrerer Subjekte. Ge- 
meinsam ist z. B. das Bedürfnis mehrerer Banken nach Errichtung 
eines. Clearinghouse. Ein Kollektivbedürfnis ist das gemeinsame 
Bedürfnis einer organisierten Mehrheit von Subjekten, z. B. einer 
Stadtbevölkerung nach einer Abwässerungsanlage. 

b) Gemeinsame und Kollektivbedürfnisse einerseits von 
den Sonderbedürfnissen weiterhin danach, daß die erstere 
Gruppe dank enger Verbundenheit ihrer Subjekte durch eine Hand- 
lung befriedigt wird, während Sonderbedürfnisse stets einen eigenen 
Befriedigungsakt verlangen, wie im genannten Beispiele das Be- 
dürfnis eines abseits wohnenden Eigentümers nach besonderer Kana- 
lisationsanlage. 

c) Gesellschaftliche und nicht-gesellschaftliche Be- 
dürfnisse nach der sozial oder asozial gerichteten Lebensweise der 
Träger. Ein von der Gesellschaft unabhängiger Eremit z. B. würde 
der Träger „nicht-gesellschaftlicher Bedürfnisse sein“; gesellschaft- 
lich sind die Bedürfnisse nach Versorgung durch den Markt, nach 
Anerkennung durch andere usw. 

d) Die dem Vorteile einzelner geltenden privaten von den 
öffentlichen Bedürfnissen, deren Befriedigung im allgemeinen 
Interesse gelegen ist. Cühel stellt hier nur auf die öffentliche oder 
private Ausführung der Befriedigung ab. 

Die privaten Bedürfnisse sind: 

a) ipsil, wenn sie lediglich den Vorteil des Subjektes er- 
streben, ohne Beziehung auf ein Bedürfnis eines anderen, 

ß) egoistisch, wenn sie die eigene Befriedigung unter ausge- 
sprochener Hintansetzung fremden Wohles bezwecken, 

y) alteril, wenn sie das Beste eines anderen befördern, 

ò) altruistisch, wenn sie dieses Ziel mit Selbstverleugnung 
suchen, 

e) mutuell, wenn ihre Erfüllung von der gleichzeitigen 
Stillung des Bedürfnisses eines anderen Menschen abhängt. 

4. Aus der verschiedenen Bedeutung, welche die Erfüllung der 
Bedürfnisse für das Dasein des Subjektes hat. Wir unterscheiden 
die absoluten Bedürfnisse, deren Berücksichtigung um der Er- 
haltung des Organismus willen geboten ist, von den relativen, 


760 Joachim Tiburtius, 


deren Befriedigung nur in verschiedenem Grade nützlich ist und sich 
bis zu der Stufe luxusartiger Entbehrlichkeit bewegt. Der Unter- 
schied ist häufig nur graduell, auch die absoluten Bedürfnisse, wie 
das Nahrungsbedürfnis, werden nach Erreichung einer gewissen 
Befriedigungsstufe relative. Die Zugehörigkeit zur einen oder ande- 
ren Gruppe wird nach wechselnden Zeitanschauungen verschieden 
beurteilt werden, die ganze Frage ist die eigentlichste Domäne der 
Illusionen. 

Die Cühelsche Arbeit ist in ihrem ersten der Entstehung der 
Bedürfnisse gewidmeten Teile ihrem Untertitel getreu auf dem 
Grenzgebiete der Oekonomik und Psychologie geblieben, in ihrer 
Kenntnis der Methoden vortrefflich dazu legitimiert. In dem der 
Darstellung des Bedürfnisstammbaumes gewidmeten Kapitel kann 
man diesen Vorzug nicht durchweg anerkennen. Den subtilen Unter- 
teilungen der Bedürfnisarten fehlt eine übersichtliche Zusammen- 
fassung zu sinnverbundenen, plastischen Gruppen. Dem Heere der 
Begriffe fehlt zwar im einzelnen nirgends deutliche Form, wohl 
aber häufig ein wesentlicher Inhalt. 

Seine Unterscheidung der positiven und negativen Bedürfnis- 
richtung erscheint neben der Oppenheimerschen reichlich farblos. 
Die Unterscheidung teilbarer und unteilbarer kontinuierlicher Be- 
dürfnisse liegt z. B. wohl ausschließlich in der psychologischen 
Interessensphäre. 

Der ökonomischen weit näher 'steht der Stammbaum, den der 
Philosoph Döring*5) entworfen hat. Er zerlegt das Verhalten des 
Menschen gegenüber den Dingen der Außenwelt, die sein Wert- 
urteil zu Gütern oder Uebeln stempelt, je nachdem, ob sie seinen 
Bedürfnissen dienen oder nicht. Von dieser inneren Stellungnahme 
gehen dann die Handlungen aus, die den Begriff der Wirtschaft 
ausmachen. Döring kennt zwei Grundprinzipien der Einteilung, 
er scheidet die Bedürfnisse hinsichtlich ihrer Grundlage in körper- 
liche und seelische, nach der Wesensbestimmtheit des begehrten 
Zustandes in materiale und formale. Beide Kategorien sind 
in gemischtem Auftreten möglich als materiale und formale Be- 
dürfnisse des Körpers wie der Seele. Inhalt der materialen 
Seelenbedürfnisse ist 

1) das Verlangen, die Welt als unseren Fähigkeiten und Eigen- 
arten entsprechend eingerichtet zu sehen, diesen Eigenschaften 
unseres Wesens daher Wert beimessen zu dürfen, 

2) das Begehren, einen diesem Erkenntnisstreben und seiner 
eventuellen Erfüllung angemessenen Ausdruck zu finden. 

Das formale Seelenbedürfnis strebt nach Eindrücken, die 
zur Beschäftigung anregen. Dies Bedürfnis erzeugt ein Abwehr- 
streben gegen die Vorstellung eines vollständigen Aufhörens alles 
persönlichen Seins vor Erreichung des Höhepunktes der bestim- 
mungsmäßigen Entwicklung und der Unabhängigkeit von materieller 


45) a. a. O. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 761 


Not für die Zurückbleibenden. Diese wirtschaftliche Seite der Todes- 
furcht treibt zu den Schutzmaßnahmen der Spar- und Versicherungs- 
systeme. ' 

Für den Körper werden material Vollständigkeit und Ge- 
sundheit der Organe, sowie Normalität der sie betreffenden Reize, 
formal ein ihrer Kraft gemäßer Gebrauch genötigt. 

Diese Zweige des Döringschen Stammbaumes schienen in den 
Rahmen unserer Untersuchung zu gehören. Jede dieser Kategorien 
enthält einen besonderen Kern von wirtschaftlicher Erheblichkeit, 
deren Untersuchung uns im folgenden obliegt. 


II. Teil. 
Die wirtschaftliche Bedeutung des Bedürfnisses. 


Viertes Kapitel. 


Das wirtschaftliche Bedürfnis. 


1) Die Bedürfniskategorien des Sprachgebrauches, ihre Entstehung und ihre 
Berechtigung. 2) Der Begriff der Wirtschaft und des wirtschaftlichen Prinzipes. 
3) Das „wirtschaftliche“ Bedürfnis, sein Ziel und seine Entwicklung in der 
Wirtschaftsgeschichte. 4) Der Herrschaftskreis der Wirtschaftlichkeit. 

Der im vorhergehenden Kapitel unternommene Versuch eines 
Stammbaumes der Bedürfnisse fand die Kriterien der Unterschei- 
dung und Zusammenfassung in den allgemeinen Geboten der Logik 
und im Erfordernisse der Deutlichkeit. Es ist nur für die Wirt- 
schaftswissenschaft eine Trennung der wirtschaftlich erheb- 
lichen von den wirtschaftlich minder und nicht erheb- 
lichen Bedürfnissen wünschenswert. Allgemein wollen wir unter 
die erstgenannte Gruppe alle diejenigen Bedürfnisse rechnen, deren 
Deckung dem Menschen nicht ohne Verwendung aufgespeicherter 
Kraft gelingen kann, während er für die Befriedigung der übrigen 
der ihm jeweils zur Verfügung stehenden Kraft ohne Vorbereitung 
des Befriedigungsaktes vertrauen darf. Es ist nun für die Wirt- 
schaftswissenschaft weder ausreichend noch überhaupt erforderlich, 
eine Aufzeichnung aller derjenigen Bedürfnisse zu geben, die in 
äußerlich zutage tretendem Zusammenhange mit dem Wirtschafts- 
leben stehen, wie etwa die Nahrungs-, Kleidungs- und Wohnungs- 
bedürfnisse. Von manchem scheinbar rein innerpersönlichen Be- 
dürfnisse geht eine weittragende wirtschaftliche Gestaltungskraft 
aus, wie sie nicht jedem Bedürfnisse innewohnt, das wir uns im ge- 
wöhnlichen Denken allgemein als „wirtschaftlich“ anzusehen gewöhnt 
haben. 

Der Sprachgebrauch des täglichen Lebens nennt alle diejenigen 
Bedürfnisse „wirtschaftlich“, deren Befriedigung der Selbsttätigkeit 
des Einzelnen nicht gelingt, sondern den Apparat der gesellschaft- 
lichen Arbeit verlangt. Wir finden in diesem Rahmen namentlich 
die Bedürfnisse des täglichen Verbrauches, denen das Attribut der 
Wirtschaftlichkeit um deswillen zugesprochen wird, daß sie einer- 


762 Joachim Tiburtius, 


seits von der Gesellschaftswirtschaft abhängig sind, andererseits diese 
dadurch in Tätigkeit setzen #6), 

Es entsteht die Frage, nach welchen Gesichtspunkten allgemein 
die Zerlegung der Bedürfnisse in Unterarten und deren Benennung 
erfolgt. Welche Beziehungen verbinden ein Bedürfnis mit Sitte oder 
Schönheit, um es zu einem moralischen oder ästhetischen zu stem- 
peln? Fast ausnahmslos haftet diesen Bezeichnungen eine leicht ein- 
zusehende Schiefheit an. Das Begehren nach einem von Schönheit 
erfüllten Eindrucke oder einer sittlich richtigen Handlung braucht 
an diesem Charakter seiner Ziele nicht notwendig teilzunehmen, son- 
dern kann durch ganz anders geartete Erwägungen motiviert sein. 
Insbesondere ist es ferner ein logisches Unding, eine sinnlich nicht 
wahrnehmbare innere Tatsache, wie ein Bedürfnis, „ästhetisch“ zu 
nennen. Weit eher kann man von einem „moralischen‘ Bedürfnisse 
sprechen, wenn ein Begehren sich unter Ueberwindung sittlich tiefer- 
stehender, entgegenwirkender Verlangen für ein sittlich gebotenes 
Ziel entscheidet. 

Im allgemeinen waltet jedoch bei diesen Benennungen eine still- 
schweigende Verkürzung ob, deren Sinn dem Bewußtsein des Denken- 
den gegenwärtig ist. Nicht das Bedürfnis, sondern der von ihm er- 
strebte Erfolg löst in der Regel das Urteil über seine ästhetische oder 
moralische Eigenschaft aus, und zwar der äußere Erfolg, von dem 
die Herstellung des inneren Gleichgewichtes erhofft wird. Wesent- 
lich ist dabei, daß die den Namen des Bedürfnisses bestimmende 
Seite seines Zieles sein wesentlicher äußerer Zweck ist und nicht nur 
um anderer Umstände willen mit in den Kauf genommen wird. 

Wenn der Eintritt eines als moralisch zu bewertenden Erfolges 
nur eine, vielleicht gar unerwünschte Nebenwirkung eines Zustandes 
ist, werden wir einem Bedürfnis nach diesem Zustande nicht den 
Titel eines moralischen zuerkennen. Jedermann wird es bei billiger 
Betrachtung als gerechte Folge eines Grundstücksverkaufes ansehen, 
daß der Verkäufer einen Teil des während seiner Besitzzeit einge- 
tretenen Wertzuwachses der Gemeinde oder dem Staate abtreten 
muß, deren Entwicklung und Leistungen er seinen oft fast mühelos 
erworbenen Gewinn verdankt. Niemand aber wird das Gewinn- 
bedürfnis eines solchen Spekulanten unter die moralischen rechnen, 
es ist im günstigsten Falle amoralisch. 

Um zu erfahren, ob die Beziehungen zwischen Begehren und 
Ziel bei der Bestimmung des „wirtschaftlichen“ Bedürfnisbegriffes 
vom Sprachgebrauch mit gleicher Treffsicherheit gewürdigt worden 
sind, wollen wir zunächst das Wesen des „wirtschaftlichen“ zu er- 
kennen suchen. 

In der Literatur, wie der gebräuchlichen Alltagssprache finden 
wir den Ausdruck „Wirtschaft“ in zwei Hauptbedeutungen. Ein- 
mal bezeichnet er den gesellschaftlichen Hergang, der die zur Be- 
dürfnisbefriedigung von der Allgemeinheit gebrauchten Güter her- 


46) Von ben Bedürfnissen“ in diesem Sinne spricht auch z. B. 
Schmoller, Grundriß I, 8. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 763 


stellt, d. h. im Sinne des altrömischen Vertragsschemas anfertigt 
und zu Markte bringt’) und verteilt. Dies ist die gesellschaft- 
liche Arbeit für den Markt und auf dem Markte, die Markt- 
wirtschaft. 

Dann aber umfaßt er weiter den Umkreis der Tätigkeit des 
Einzelnen, durch die er im Verhältnisse zu seinen Bedürfnissen und 
Mitteln aus den Erträgen der Gesellschaftswirtschaft seinen Bedarf 
gewinnt und zur Befriedigung seiner Bedürfnisse verwaltet und 
verwendet. Dies ist die Eigenwirtschaft. 

Die eine gute Wirtschaftsführung leitenden Grundsätze erhalten 
dann den lobenden Namen der Wirtschaftlichkeit; sie ergeben das 
„wirtschaftliche Prinzip“. Man versteht darunter wohl übereinstim- 
mend eine Art der Güterbehandlung, die diesen ihren höchsten 
Nutzen abgewinnt, den sie ohne Schaden für ihren Bestand gegen 
den geringstmöglichen Aufwand von Mühe zu gewähren vermögen. 
Die Wirtschaftlichkeit der Bedürfnisbefriedigung zeigt sich in der 
Sicherstellung der Befriedigung zukünftiger Bedürfnisse dadurch, 
daß alles in der Gegenwart nicht benötigte Maß von Kraft für die 
Bedürfnisse einer noch nicht gedeckten Zukunft verwaltet wird. Aus 
der in Gütern objektivierten und aufgespeicherten Kraft wird ein 
Wertding geschaffen, es wird mit ihr gewirtschaftet. 

Wie weit der Kreis dieser Handlungen zu ziehen sei, wird in 
der Literatur verschieden beantwortet. Nach Oppenheimer ist z. B. 
der Verbrauch niemals eine wirtschaftliche Angelegenheit, er gehöre 
einer außerwirtschaftlichen Kategorie an. Diese Ansicht beruht 
meines Erachtens auf einer zu engen Fassung des Kostenbegriffes in 
der Formel: Wirtschaften heißt Haushalten mit kostenden Mitteln. 
Wir wollen unter Kosten jedes mit Einheiten eines äußeren Gutes 
für ein anderes gebrachte Opfer ansehen. Dieses andere mag ein 
äußeres oder inneres Gut sein. Die für die Produktion und Re- 
produktion der Arbeitskraft gemachten Aufwände sind z. B. die 
Kosten dieses Gutes. Ein zu diesem Zwecke notwendiger Güter- 
verbrauch bedeutet die wirtschaftliche Verwaltung des Gutes Arbeits- 
kraft und eine wirtschaftliche Verwendung der dazu bestimmten 
Mittel. Die teuerste Badereise, ein künstlerischer Genuß, die 
üppigste Sammlung seltener Bücher und Kunstwerke kann daher 
eine im strengsten Betrachte wirtschaftliche Güteranlage sein, wenn 
sie besser als andere Mittel Körper und Geist instandsetzen, gegen- 
wärtig und dauernd ihre Aufgaben zu erfüllen. Diese Bewertung der 
genannten Konsumakte stimmt mit der Oppenheimerschen Auf- 
fassung vom Wesen der Wirtschaftlichkeit überein, sie zeigt nur von 
jener den quantitativen Unterschied, daß wir eine wirtschaftliche 
Seite dieser Art in den meisten Konsumhandlungen erblicken und 
den Konsum daher, insoweit er dazu dient, ein anderes „kostendes 
des Mittel“ zu’ stärken, oder insofern er mit seinem „kostenden,, 


47) Im selben Sinne gebraucht Oppenheimer in besonderer philologischer 
Treue das Wort produzieren, Theorie der reinen und pol. Oekon., 8’ 196/97. 


764 Joachim Tiburtius, 


Gegenstande ha ushält, in den Bereich der ökonomischen For- 
schung ziehen möchten. 

Ein Bedürfnis, das diese wirtschaftliche Seite des Verbrauches 
zum Inhalte hat, wollen wir wirtschaftlich nennen. Wir verkennen 
dabei nicht, daß dem Begehren selber das Wesen der Wirtschaftlich- 
keit nur dann innewohnen kann, wenn es vielleicht ein unnützliches 
und kostspieliges verdrängt und so den Organismus vor einem schäd- 
lichen Vergeuden der Kraft bewahrt. Im allgemeinen wird auch hier 
der Name dem Bedürfniszwecke entnommen. Um genau zu sein, 
müßte man von einem Bedürfnisse nach einer wirtschaftlichen Hand- 
lung sprechen. 

Es ist nun die Frage, in welchem Grade die gemeinhin als 
wirtschaftlich angesehenen Bedürfnisse vom Bewußtsein eines 
solchen Zweckes erfüllt und vom Streben nach ihm geleitet sind. 
Wer sein Vermögen vermehren oder sicher und ertragreich anlegen 
will, handelt bewußt wirtschaftlich, wenn er es so ins rechte Kraft- 
verhältnis zu seinen Lebensbedürfnissen bringen will. Wer dagegen 
den Geldbesitz als Genuß an sich begehrt, muß mit Oppenheimer 
als Typus monomanischer Unwirtschaftlichkeit angesehen werden. 
Nicht bei allen Bedürfnissen des täglichen Lebens ist eine wirt- 
schaftliche Orientierung, wie wir sie verstehen, festzustellen. Die 
Aufsparung der Kräfte für Aufgaben, die an Nutzen mehr als an 
augenblicklichem Genusse versprechen, tritt häufig erst im Zeit- 
punkte der Bedürfnisbefriedigung als Notwendigkeit ein, die im 
besten Falle anerkannt, aber kaum begehrt wird. So entsteht die 
wirtschaftliche Befriedigung des unwirtschaftlichen 
Bedürfnisses. Der Ankauf von Nahrungsmitteln zum augen- 
blicklichen Verzehren dient in der Regel nicht der Befriedigung eines 
Bedürfnisses nach Pflege der Körperkräfte durch ein möglichst ge- 
ringes Kostenopfer, sondern der Sättigung, dem Genusse. Die durch 
die vorhandenen Mittel gebotene Zurückhaltung stellt sich als un- 
erwünschte Hemmung des Bedürfnisverlaufes ein und mag ihm viel- 
leicht ein Sonderbedürfnis entgegenstellen, wird aber nur bei einem 
ungewöhnlichen Grade von Selbstzucht selber zu seinem Elemente 
werden. Die Bedürfnisse nach Essen, Trinken usw. sind also 
auch dann noch nicht „wirtschaftlich“, wenn sie durch die 
Macht der Umstände sparsam befriedigt werden. Ganz anders 
handelt jemand, der einen größeren Vorrat zu allmählichem Ver- 
brauche anschafft und für eine längere Zeitdauer gebrauchsfähig 
zu erhalten strebt, weil er später Güter dieser Art nur zu höherem 
Preise oder in geringerer Güte erhalten kann. Hier ist nicht der 
Verbrauch, sondern die Beschaffung und Verwaltung von Gütern 
nach wirtschaftlichen Grundsätzen Gegenstand des Begehrens, dieses 
ist wirtschaftlich. 

Wollte man jedes Bedürfnis, dessen Befriedigung durch einen 
wirtschaftlichen Akt geschieht, um deswillen wirtschaftlich nennen, 
so würde man von den allgemein für die Bezeichnung der Bedürf- 
nisse geltenden Regeln abweichen. Der Gattungstitel würde dann 


Der Begriff des Bedürfnisses, 765 


einer oft nebensächlichen Wirkung, nicht aber dem vom Bewußtsein 
umfaßten Ziele des Bedürfnisses entnommen sein. Die Bedeutung 
dieser Bedürfnisse für die Einzel- und Gesellschaftswirtschaft ge- 
langt in ihrer Würdigung als „wirtschaftlich wichtiger“ Be- 
dürfnisse hinreichend deutlich zum Ausdruck. Wirtschaftlich 
können wir nur das Bedürfnis nach dem größten Erfolge des klein- 
sten Aufwandes kostender Mittel nennen. f 

Die Besonderheit des wirtschaftlichen Bedürfnisses erschöpft 
sich nicht in seinem Gegenstande, sondern kennzeichnet sich auch in 
seiner besonderen sozialen und geschichtlichen Bedingtheit des Vor- 
kommens. Solange dem Menschen der Lebensbedarf noch in der 
ungemessenen Fülle der Urzeit für eine geringe Zahl von Bedürf- 
nissen unter wenig Konkurrenz zu Gebote stand, galten ihm die un- 
bedeutenden und gewohnten Mühen seiner Beschaffung nicht als 
lästige „Kosten“. Da ein Schwinden der notwendigen Güter unter 
die Stufe der Bedarfsmenge nicht zu befürchten stand, fehlte auch 
das Bedürfnis, mit ihnen hauszuhalten. Ebenso finden wir anderer- 
seits in qualitativer Hinsicht Güter, die uns heute als die wichtig- 
sten Bestandteile unseres Lebensunterhaltes pfleglichster Behandlung 
wert scheinen, auf frühen Entwicklungsstufen noch nicht als Gegen- 
stände wirtschaftlichen Begehrens in unserem Sinne erkannt. Die 
späte Ausbildung des Ackerbaues und der Aufzucht unserer heutigen 
Haustiere legt Gurewitsch 48) als landwirtschaftliche Unerfahrenheit 
der primitiven Völker aus, während Hahn?) wohl in richtigerer 
Würdigung sie auf Kultusvorstellungen zurückführt, die z. B. die 
Aegypter bekanntlich hinderten, den Stier als Zug- und Schlachtvieh 
zu verwenden und diesem die Rolle eines Heiligtumes anwiesen. 

Der Fortschritt der menschlichen Kooperation hat auch im 
Kreise der Subjekte des wirtschaftlichen Bedürfnisses Wandel ein- 
treten lassen. Das Bedürfnis nach Licht und Luft, nach Nahrung 
und Wärme empfindet jedes Lebewesen mit normalen Funktionen, 
ohne daß ihm dies von anderer Seite abgenommen werden könnte. 
Das Verlangen nach planvoller Beschaffung und Verwaltung der zum 
Lebensunterhalte notwendigen Güter wird dagegen nur entstehen, 
wenn mangels anderer Hilfe der Selbsterhaltungstrieb oder eine, sei 
es soziale, sei es wie immer sonst geartete Pflicht es erweckt. In 
einer mehrköpfigen Familie von materiell leidlich gesichertem Da- 
sein beschwert die Sorge um die Bedarfsdeckung, insonderheit für 
die Zukunft, in der Regel nur die Leitung des Hausstandes, Vater 
und Mutter. Nur der auf den unteren Bevölkerungsschichten 
lastende Druck führt auch die anderen Familienglieder in diesen 
Bedürfniskreis hinein, denen man sonst erst die Ausbildung für einen 
Zweig des mannigfaltigen Arbeitsapparates oder andererseits das 
Ausruhen vom Zwang wirtschaftlicher Bedürfnisse gönnen mag. Es 
ist damit nicht gesagt, daß diese Glieder des Hausstandes gemein- 


48) a. a. O. S. 39. 
49) S. 95. (Die Haustiere.) 


766 Joachim Tiburtius, 


hin keine ökonomischen Bedürfnisse hätten, nur entfällt mit der 
Notwendigkeit meist auch die Regelmäßigkeit des Auftretens in 
ihrem Kreise. Der Klassenunterschied tritt darum gerade in der 
Anzahl derjenigen Personen zutage, die in einem Haushalte um des 
Lebensunterhaltes willen wirtschaftliche Bedürfnisse haben. Dem 
seine Kinder in selbständigen Wirtschaftskreisen reichlich versorgen- 
den Millionär steht die Arbeiterfamilie gegenüber, die nur bestehen 
kann, wenn 5—6 Kinder an der Erkämpfung und der Verwendung 
des täglichen Brotes mit sparsamster Sorgfalt teilnehmen. 

Eine Beschränkung des Begriffes der Wirtschaftlichkeit auf 
die Deckung des Bedarfes an Unterhaltsmitteln wäre nun aber 
ebenso verfehlt, wie seine Ausdehnung auf alle Fälle dieser Tätigkeit. 

Ueberall, wo ein kostendes Mittel so eingesetzt 
wird, daß sein Ertrag die Resultante aus größter Scho- 
nung und höchstem Genusse wird, ist eine wirtschaft- 
liche Leistung vorhanden. Das Begehren nach einer 
solchen Kraftausnutzung ist stets wirtschaftlich, es 
sichert die Befriedigung aller anderen Bedürfnisse. 

So sehr nun die Meinung Cühels, nur die objektiven „richtigen“, 
nicht auch die subjektiven Bedürfnisse seien ökonomisch beachtens- 
wert, abzulehnen ist, so wenig darf man verkennen, daß die Oeko- 
nomik nicht nur eine beschreibende, sondern auch eine wertende 
Wissenschaft ist und als solche beide Gruppen verschieden zu be- 
handeln hat. 

Den Maßstab dafür liefert ihr die Entwicklungsgeschichte der 
Bedürfnisse. 


Fünftes Kapitel. 


Die Entwicklung der Bedürfnisse. 


I. Das Bild ihres Herganges in der Forschung. 1. Notwendigkeit und Mög- 
lichkeit der Bedürfnisentwicklung. 2) Der Unterschied körperlicher und seelischer 
Bedürfnisgrundlage. 3) Der Auszeichnungstrieb als Frage des Fortschrittes. 
a) Die Verbindung von Individualitäts- und Sozialitätsstreben (Kant). b) Die 
Förderung und Verbreitung der Kultur durch das Auszeichnungs- und Nach- 
ahmungsstreben. 4) Das Zusammenwirken von Eroberungs- und Nachahmungs- 
streben als gestaltender Faktor der Bodenbesitzformen (Gurewitsch). 5) Ga 
Grundgesetz von der Notwendigkeit, Bedingtheit und Wirkung der Bedürfnis- 
entwicklung II. Kritik. 1) Der Irrtum Gurewitschs über das Verhältnis von 
Bedürfnisentwicklung und Arbeitsteilung. 2) Ergänzung seiner Darlegungen durch 
das Migrationsgesetz Moritz Wagners. 3) G.s Verkennung des Strebens nach Ver- 
feinerung der Bedürfnisse als Wurzel einer Aufwärtsentwicklung. 4) Die Wirk- 
samkeit von Vorstellungen über das Bedürfnisziel bei der Bedürfnisentstehung. 
Ihr Einfluß auf das Auszeichnungsstreben unserer Landbevölkerung als psychische 
Wurzel der Landflucht. III. Der Entwicklungsbegriff in seiner Anwendung auf 
die Bedürfnisse. 


L Das Bild des Entwicklungsherganges in der 
Forschung. 


.. Der Begriff der Entwicklung ist trotz aller naturwissenschaft- 
lichen Erkenntnisfortschritte noch immer umstritten und ins Dunkel 


be . 


Der Begriff des Bedürfnisses, 767 


des Problems gehüllt. In welchem Sinne wir ihn auf die Bedürf- 
nisse anzuwenden haben, ist in der ökonomischen Literatur noch un- 
erörtert geblieben. Sie hat sich bisher nur der Frage zugewandt, ob 
und wie sich die Bedürfnisse entwickelt haben, ohne die Vorfrage zu 
klären, was man unter „Entwicklung“ zu verstehen habe. Wir 
wollen versuchen, aus den Ergebnissen der bisherigen Forschung für 
die Bestimmung dieses Begriffes einige Grundlagen zu gewinnen. 
Die ergiebigste genetische Untersuchung verdanken wir Gure- 
witsch 50), der die Gliederung der Gesellschaft aus der Bedürfnis- 
entwicklung ableitet. Seine Frage gilt dem Maße, in dem die 
Notwendigkeit der Bedürfnisentwicklung, die er als Grundlage 
der Gesellschaftswirtschaft erkannt hat, von der Entwicklungs- 
fähigkeit gesichert werde. Diese wurde früher für unbegrenzt ge- 
halten, später nur für einen geschichtlich begrenzten Zeitraum an- 
genommen 51). Adolf Wagner5?) scheidet zwischen der Entwick- 
lungsfähigkeit, die er allenthalben, und einer Entwicklungstendenz, 
die er auf keiner Kulturstufe feststellen zu können glaubt. Er warnt 
vor einer verallgemeinernden Behandlung der Völker und Volks- 
klassen. Roscher53) würdigt das Prinzip der Trägheit als eine 
Grenze, an der die Bedürfnisentwicklung schon vor den durch das 
Maß der vorhandenen Mittel gezogenen Schranken halt mache. John 
Stuart Mill sieht die Wurzeln der Trägheit in den durch die Umwelt 
gegebenen Bedingungen und meint, daß unter Himmelsstrichen, wo 
die Existenz an sich eine Lust sei, sich das Nichtstun als bevor- 
zugter Luxus finde. Hieraus entsteht die Frage, unter welchen Um- 
ständen der Fortschritt siegreich aus dem Kampfe mit der Be- 
harrung hervorgehen müsse. Vierkandt Mi nennt als Voraussetzungen 
dazu, außer einem Bedürfnisse im weitesten Sinne, als einem be- 
wußten oder unbewußten seelischen Antriebe in Richtung einer 
Neuerung, einen dieser angemessenen Reifezustand der Gesamtheit 
und eine Initiative einzelner Persönlichkeiten. Die Wirksamkeit 
hervorragender Einzelwesen könne ersetzt werden durch Entlehnung 
des Kulturfortschrittes von einer fremden Gemeinschaft, die soge- 
nannte Akkulturation, oder andere Anregungen von besonderer 
Stärke. Ein Fortschritt in den menschlichen Bedürfnissen würde 
danach abhängen von einer Reife der Menschheit für eine Hebung 
des Bedürfnisstandes, einem Bedürfnisse eines einflußreichen Teiles 
der Menschheit nach ihm und einer von hervorragenderen Gliedern 
dieses Kreises oder von außen kommenden Anregung. Der Begriff 
der Reife erscheint etwas zu allgemein und einer weiteren Ab- 
stufung fähig, die zwischen vorübergehenden und dauernden Eigen- 
schaften unterschiede. Die Frage nach der Entwicklungsfähigkeit 


50) a. a. O. 

51) a. a. O. 

52) a. a. OB 75. 

bäi a. a. O. 8.4. 

54) Die Stetigkeit im Kulturwandel, 8. 123. 


768 Joachim Tiburtius, 


muß als schlüssig bejaht gelten, da die Bedürfnisse anders nicht als 
Fortschrittsträger sich bewähren könnten. 

Brentano will sie unbedingt nur für das seelische Begehren be- 
jahen 55), als Einheit aller einzelnen seelischen Begehrensregungen 
genommen. Diesen als Einzeltatsachen wie allen körperlichen Be- 
dürfnissen legten die Gesetze der Ermüdung und Genußabnahme 
Fesseln auf, nur die Begehrenskraft der Seele suche unerschöpflich 
neue Ziele. Die Annahme rein körperlicher oder seelischer Be- 
dürfnisse lehnt Brentano selber ab. Jedes Bedürfnis ist eine geistige 
Tatsache diesseitiger Art, wie alle nur im Körper denkbar und von 
ihm abhängig. Seine Dauer und seine Veränderungen finden in der 
Leistungsfähigkeit der körperlichen Organe ihre Grenze. Die Enge 
der körperlichen Seiten der Begehren erklärt Brentano sich vornehm- 
lich aus ihren Gegenständen. Hunger und Liebe haben in ihren 
stofflichen Zielen eine feste Kontingentierung und empfangen ihre 
Erweiterung aus den sie begleitenden Lustgefühlen. 

Gerade diese Gegenüberstellung Brentanos ermöglicht uns eine 
unterscheidende Erfassung von Körper und Geist in ihrer Wirk- 
samkeit im Bedürfnisverlaufe. 

Die Liebe wird durch ihren seelischen Gehalt vor der Ertötung 
bewahrt, der sie als rein körperlich-sinnliche Macht erliegen müßte. 
Dem Hunger fehlt eine geistig-seelische Grundlage; er beruht in 
einer aus körperlicher Schwäche entstehenden Reizung, die wohl im 
Geiste reflektiert, aber nach ihrer Beseitigung dort kein Weiter- 
leben haben kann. Der einmal gestillte Hunger hinterläßt keine 
Bedürfnisse, während z. B. ein überstandener Schrecken häufig noch 
eine Weile lang Verlangen nach gegenteiligen Eindrücken erweckt. 

Wir müssen die Scheidung in seelisch-geistige und körper- 
liche Bedürfnisse als undurchführbar ablehnen, aber ganz in Bretanos 
Sinne in jedem Falle darauf achten, von welcher dieser beiden 
Quellen ein Bedürfnis zu einem wesentlichen Teile beeinflußt ist. 

Den Gang der Bedürfnisentwicklung leitet Gurewitsch aus zwei 
Wurzeln ab: dem Streben nach Auszeichnung und dem Nach- 
ahmungstriebe. Der ersteren dieser beiden Komponenten läßt er den 
Vorrang in der zeitlichen Reihenfolge des Wirksamwerdens. 

Ihren Ursprung und Verlauf erklärt er aus der menschlichen 
Klassenorganisation heraus. Sie errichtet Scheidungen innerhalb der 
natürlichen Zusammenhänge, wie sie durch Gemeinsamkeit des äuße- 
ren Erlebens gegeben sind. Von allen Lebewesen steht der Mensch 
wohl am stärksten unter dem Eindrucke seiner Umgebung, er lebt 
mit anderen und für andere. 

Simmel sieht im Gemeinschaftsleben einen Kampf des Ver- 
erbungs- und des Anpassungsprinzipes, dessen Verlauf davon ab- 
hänge, ob die Gruppe mehr durch den Einzelnen, oder dieser mehr 
durch die Gruppe bedingt sei. Mit dem Geselligkeitstriebe kämpft 
dabei der Individualitätstrieb. beide existieren in jedem menschlichen 


55) a. a. O. 8. 40. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 769 


Gefühle nebeneinander. Ihre Verknüpfung in gegenseitiger Ab- 
hängigkeit ist wohl nirgends klarer und schöner gezeichnet worden, 
als von Kant in den ‚Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in 
weltbürgerlicher Absicht" bn), Nur aus ihrer Verbindung ist aller 
Fortschritt in der „bestimmungsgemäßen sinnlich-sittlichen Entfal- 
tung“ der Menschheit entstanden, ihr „Antagonism“ in der Gesell- 
schaft ist „die Ursache einer gesetzmäßigen Ordnung derselben“ ge- 
worden. 

„Ich verstehe hier unter dem Antagonism die ungesellige Ge- 
selligkeit der Menschen, d. i. den Hang derselben, in Gesellschaft zu 
treten, der doch mit einem durchgängigen Widerstande, welcher 
diese Gesellschaft beständig zu trennen droht, verbunden ist. Hierzu 
liegt die Anlage offenbar in der menschlichen Natur. Der Mensch 
hat eine Neigung, sich zu vergesellschaften; weil er in 
einem solche Zustande sich mehr als Mensch, d. i. die Entwicklung 
seiner Naturanlagen fühlt. Er hat aber auch einen großen Hang, 
sich zu vereinzeln (isolieren); weil er in sich zugleich die un- 
gesellige Eigenschaft antrifft, alles bloß nach seinem Sinne richten 
zu wollen, und daher allerwärts Widerstand erwartet, so wie er von 
sich selbst weiß, daß er seinerseits zum Widerstande gegen andere 
geneigt ist. Dieser Widerstand ist es nun, welcher alle Kräfte des 
Menschen erweckt, ihn dahin bringt, seinen Hang zur Faulheit 
zu überwinden, und, getrieben durch Ehrsucht, Herrschsucht oder 
Habsucht, sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen, 
die er nicht wohl leiden, von denen er aber auch nicht lassen kann.“ 
Auch der Herrenmensch wird durch seinen Herrschaftswillen in der 
Gemeinschaft der Schwächeren festgehalten, weil er ihrer als Gegen- 
stand der Beherrschung bedarf. Die Gesellschaftlichkeit entwickelt 
das Wollen, Denken und Fühlen des Menschen. Jede Anteilnahme 
an fremdem Schicksale schließt eine Vergleichung mit der eigenen 
Lage ein, die häufig das ursprüngliche Gefühl variiert. So mischt 
sich mit der Trauer um ein Leid des Nächsten die Freude über 
eigenes besseres Schicksal. Im Gehorsam liegt das stolze Gefühl der 
Zugehörigkeit zu einer höheren Macht beschlossen, die man nach 
unten und außen hin zu vertreten habe, um so für seine Person 
an ihrer Größe teilzunehmen. Gehorsam dieser Art bedeutet Streben 
nach sozialer Macht. In der Verbindung sozialer mit selbstischen 
Gefühlen sucht jeder sein persönliches Wohl mit der Förderung 
seiner Gruppe zu vereinigen. 

Das Streben nach Macht erscheint in der Gurewitschschen 
Darstellung als Regulator der gesellschaftlich notwendigen Abhängig- 
keitsverhältnisse. Die herrschenden Klassen bringt die Pflicht, für 
ihre Gewaltunterworfenen zu sorgen, und der Wunsch, von ihnen 
anerkannt zu werden, in Abhängigkeit von ihnen. So gelangen auch 
die unteren Klassen zu Einfluß, der oft die Machthaber zwingt, im 
Interesse der Selbstbehauptung einigen Vertretern der Unterschicht 


56) Ausgabe von Cassirer, Bd. 4, 8. 155. 
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 49 


770 Joachim Tiburtius, 


den Weg zu oberen Stufen der gesellschaftlichen Rangleiter zu 
öffnen. 

Die Stellung, die ein Mensch in der Gesellschaft einnimmt, und 
die Ansprüche, die er in dieser Hinsicht stellt, werden durch die Art 
seiner Bedürfnisbefriedigung gekennzeichnet, mit ihrer Hilfe will 
jedermann seinen Ehrgeiz nach Ansehen und Geltung befriedigen. 

Der Befriedigungsakt wird so zu einem gesellschaftlich an sich 
erheblichen Ereignisse, mag das Bedürfnis selber noch so gering- 
fügig sein. Schon in einem einfachen Lebenszuschnitte begegnet uns 
die Sucht nach Auszeichnung. Bei vielen primitiven Völkern steht 
der Schmuck in höherer Geltung als die Kleidung, selbst wenn er, 
wie das Tätowieren, mit Schmerzen verbunden ist. Aus dem Wett- 
bewerbe mit Existenzbedürfnissen gehen auch bei uns, zumindest in 
unseren oberen Gesellschaftsschichten, die rangscheidenden Luxus- 
bedürfnisse siegreich hervor. 

Den Ursprung des Kleidungsbedürfnisses sieht Gurewitsch in 
Uebereinstimmung mit Brentano und Vierkandt im Begehren nach 
Schmuck und Auszeichnung, das der Erkenntnis und Wertschätzung 
ihrer Nützlichkeit meist vorangegangen sein dürfte. Vierkandt 
nimmt an, die Kleidung habe anfänglich das männliche Werben um 
Frauenneigung unterstützen sollen A7), demnach einen dem Scham- 
gefühle annähernd gegensätzlichen Ausgangspunkt gehabt. Ihre ge- 
sundheitliche Zweckmäßigkeit wurde Gurewitsch zufolge erst bei 
ihrem Eingange in die breiteren Volksschichten erkannt. Gerechter 
erscheint es indessen, zu sagen, daß der Nutzen der Kleidung vom 
Volke mehr in den Vordergrund gestellt wurde und mehr motivierend 
zur Geltung kam. Gurewitsch selber erkennt an, daß allenthalben 
der Anstoß zum Anlegen von Kleidern von oben gegeben worden sei, 
und zwar überwiegend dank höherer Vernunft. Daß die Einsicht sich 
in den Dienst des Auszeichnungsstrebens stellte, beweist nichts gegen 
ihre Ueberlegenheit, diese bewährte sich in der Wahl des objektiv 
nützlichen Mittels. Daß hier der Glanz, den die Kleidung zu ge- 
währen vermag, vor ihrem Schutze begehrt wurde, folgt aus der 
größeren wirtschaftlichen Freiheit, die es dem Reichen eher erlaubt, 
ein Gut zur Deckung eines hochstehenden Bedürfnisses zu ver- 
wenden, als dem Armen. In der Art der Kleidung gelangen auch 
heute die Unterschiede der sozialen und wirtschaftlichen Machtkreise 
und -grade zum Ausdruck. 

Dasselbe gilt von der Verbreitung der wichtigeren Nahrungs- 
mittel und dem Gebrauche der Edelmetalle; wie der Reiche dem 
Armen, so geht der Luxus der praktischen Nützlichkeit in ihrer 
Verwendung voran. So züchtet man Tiere, um seine Macht zu ver- 
anschaulichen. Auch ihre Bestimmung zum religiösen Opferdienste 
sollte unseres Dafürhaltens nicht zum wenigsten eine mystische 
Basis der dem Opferer zu Gebote stehenden Machtfülle ver- 
anschaulichen 58). Der Uebergang zu einer objektiv wirtschaft- 


57) a. a. O. S. 156. 
58) Siehe darüber Eduard Hahn, Die Haustiere, 1896. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 771 


licheren Ausbeutung der Tiere vollzog sich unter lebhaftem Wider- 
stande der Kultusorgane. 

Einen nicht minder aristokratischen Ausgangspunkt hat die 
Bodenverwertung, erst nach hartem Ringen erwarben sich die 
unteren Klassen in ihr einen Platz. Die Weite des Rahmens, in 
dem die Vornehmen ihre Macht zu äußern trachteten, mußte not- 
wendig die Verbreitung vieler Produkte fördern. Sie schoben um 
dieses Prestigezieles willen jeden Gedanken an den gemeinen Nutzen 
allerdings in den Hintergrund. Nicht um möglichste Billigkeit und 
Dauer der Bedürfnisbefriedigungen ging ihr Bemühen, sondern im 
Gegenteil um den Erfolg, durch Steigerung der Preise ein der Menge 
unzugängliches Genußmonopol zu erhalten. Unter dem suggestiven 
Zwange des Nachahmungstriebes gelangten die Aermeren zu den- 
selben Genußbedürfnissen wie ihre reichen Vorbilder und suchten um 
ihrer Ermöglichung willen eine Abwärtsbewegung der Preise zu 
erkämpfen. 

Diese Spannung hat sich in einer Demokratisierung des Fort- 
schrittes in Güterherstellung und verbrauch, in Bildung und Genuß 
gelöst, die nach den materiellen Grundlagen der Kultur auch deren 
Lebensäußerungen höheren Stiles in der Sprache, der bildenden Kunst 
und in der Ehe ergriffen hat. So ist der minder Begüterte auch 
in den Urstätten der Vielweiberei im Oriente zur Einehe zu einem 
beträchtlichen Teile bereits übergegangen, während die Polygamie 
immer mehr zu einem Vorrechte des Reichen wird, dem seine Mittel 
die Erhaltung mehrerer Frauen gestatten. 

Das Annehmlichkeitsbedürfnis der Vornehmen schuf ferner all- 
mählich eine Kaste, der die Kunstwerte schaffende Arbeit für sie 
oblag. Anfänglich war die Kunst eine Sonderbeschäftigung der Vor- 
nehmen, in der sie Ruhe und Erholung suchten. Diese Beschränkung 
auf die Aristokratie war schon durch ihre ursprüngliche Unentgelt- 
lichkeit geboten. Bald fand man es indes bequemer, die mit der 
Kunst verbundenen Arbeiten Sklaven zu übertragen, um selber nur 
den mühelosen Genuß zu haben. Diese von fremdem Geiste ge- 
leitete, fremde Formen nachschaffende Tätigkeit sonderte sich von 
der unter innerem Zwange wirkenden Kunst als Handwerk, das 
seinen Lohn nicht wie jene in der Freude am freien Tun, sondern 
in materiellem Erwerbe suchte. 

Der gleiche Hergang vollzieht sich in der Wissenschaft. An- 
fangs galt das Nachdenken über die Geheimnisse der Natur für eine 
vornehme Mußebeschäftigung. Bei tieferem Eindringen offenbarten 
sich die Schwierigkeiten der spröden Aufgabe, die den ganzen 
Menschen in Anspruch nahm und nur unter Verzicht auf rasche und 
leichte Ergebnisse bewältigt werden konnte. Echt wissenschaftliche 
Denkweise konnte freilich nur in den Kreisen hochstehender und 
unabhängiger Menschen Wurzel schlagen. Die einstigen Jünger 
aus diesen Reihen werden ihr aber mit der zunehmenden Speziali- 
sierung der einzelnen Zweige nicht selten untreu. An die Stelle 
freier Spiele des Geistes voll edler Genüsse tritt eine zähe und 

49* 


772 Joachim Tiburtius, 


trockene Arbeit, die man bald lieber den von unten aufstrebenden 
Kräften überläßt. Diese finden hier eine Betätigungsmöglichkeit, 
die ihnen zu ihrem Lebensunterhalte noch Ehre und Ansehen ein- 
trägt. Das Zusammenwirken aristokratischen und praktischen Sinnes 
fördert die Wissenschaft. 

Gurewitsch sieht also im Streben der Vornehmen den Aus- 
zeichnungs-, in dem des breiteren Volkes den Nachahmungsdrang 
als wirksame Ursache an. Uns scheint es irrig, diese beiden Triebe 
einander als verschieden, oder gar gegensätzlich gegenüberzustellen. 
In der Nachahmung der Höherstehenden suchte eben der Ehrgeiz 
der unteren Schichten seine Auszeichnung vor den „Mitgenossen“ 
zu erlangen, diese Auswirkung des Nachahmungstriebes wird dem- 
nach richtig als Funktion des Auszeichnungstriebes gewürdigt. Zu- 
zugeben ist dem Verfasser, daß dem Zustrom der ärmeren Arbeiter 
auf diese Wirkensfelder der Nutzen der neuen Arbeit für die 
Lebensfürsorge förderlich gewesen und bald auch wohl in den Vorder- 
grund ihres Interesses getreten ist, in dem er vorher nicht hatte 
stehen können, da Kunst und Wissenschaft dem Aristokraten keine 
Erwerbsquellen waren, wenigstens keine unmittelbaren. 

Im geschichtlichen Verlaufe äußert sich der Auszeichnungstrieb 
als differenzierende und wieder nivellierende Kraft, die mittels des 
Sonderstrebens Einzelner und des Nachahmungstriebes der Masse 
den Gesamtfortschritt in labilem Gleichgewichte erhält. Durch ihre 
Vermittlung werden die Bedürfnisse der Mächtigen unter die Menge 
gebracht, wo ihre bisherigen Nebenzwecke nützlicher Natur be- 
herrschenden Einfluß gewinnen und sie aus Klassen- zu Allgemein- 
bedürfnissen werden. Wenn Gurewitsch daraus das Urteil herleitet, 
daß die Bedürfnisse erst in den unteren Schichten wirtschaftlichen 
Charakter gewännen, so verkennt er die Relativität des Angemessen- 
heitsbegriffes.. Die Aufrechterhaltung ständischer Macht ist eine 
Aufgabe, die einen anderen Maßstab für die Vermögensverfügungen 
ergibt, als ein kleinbürgerlicher Haushalt ihn zu liefern vermag. 
Der Gedanke an die Bedeutung repräsentiver Ausgaben hätte Gure- 
witsch zu der Prüfung anregen können, ob eine dabei beobachtete 
scheinbare Verschwendung nicht vielleicht zum mindesten einem 
subjektiv-wirtschaftlichen Bedürfnisse gedient habe. Ein großes ein- 
maliges Geldopfer hat oft durch die Mehrung des Ansehens dem, der 
es hergab, eine Grundlage für künftigen Gewinn geschaffen, wie das 
Verhältnis des Hauses Fugger zu Karl V. lehrt. 

Eingehende Sorgfalt hat Gurewitsch der Entwicklung der 
Bodenbesitzformen gewidmet. Er wendet sich gegen die Annahme, 
die kollektivistische sei die einzige Urform der Landverteilung ge- 
wesen. Diese hauptsächlich von Olufsen, Hanssen und Bücher ver- 
tretene Meinung ermögliche es nicht, die Entstehung des Indi- 
vidualeigentumes am Grund und Boden zu verstehen. Gurewitsch 
weist hier auf das Institut der Bifänge hin, das in der Tat aus 
einer streng kommunistischen Eigentumsordnung nicht er- 
klärt werden kann. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 773 


Zwischen den beiden Polen der reich gegliederten Nomaden- 
gemeinschaft und der einfach organisierten Dorfgemeinde fehlen bei 
den oben genannten Gelehrten die Bindeglieder der bäuerlichen und 
der grundherrlichen Individualwirtschaft. Gurewitsch leitet sie ab 
aus der Unterordnung der mit primitiven Mitteln wirtschaftenden 
Jäger- und Hackbauvölker unter die Nomaden, denen bereits fort- 
geschrittene Methoden der Landarbeit geläufig waren. Die Unter- ` 
ordnung erfolgt entweder als friedliche Anpassung und Beherrschung, 
oder bei einem Versagen dieses Mittels durch Waffengewalt. Das 
siegreiche Nomadenvolk stürzt die Sippenverfassung und die Ge- 
walt des Dorfvaters um und überträgt das Eigentum am Lande auf 
die Markgenossenschaft. Einzelnen Familienhäuptern gelingt es, 
ihre Hufe der Kommunisierung zu entziehen und ihre Stellung zu 
wahren. Die Nomaden selber werden teils im unterworfenen Lande 
seßhaft und bilden um sich her einen Kreis tributpflichtiger Ge- 
meinden aus ihren Sklaven, zum Teile bleiben sie auch ihrer Lebens- 
weise treu und ziehen weiter. 

So ergeben sich für Gurewitsch die Besitzformen: 

1) der grundherrschaftlichen durch Sklaven bestellten Lati- 
fundien, 

2) des freien Bauerngutes und 

3) der halbfreien Dorfgenossenschaften. 

All diese Betrachtungen führen Gurewitsch zu seinem sozial- 
ökonomischen Grundgesetze von der Notwendigkeit, Bedingtheit und 
Wirkung der Bedürfnisentwicklung. Die Bedürfnisbefriedigung 
nähert sich mit zunehmender Intensität ihrem Höhepunkte und da- 
mit ihrem Ende. Schließlich bleibt nur noch das Bedürfnis übrig, 
möglichst viel Arbeit zu verbrauchen, da die stofflichen Reize er- 
schöpft sind. Die auf ihrem höchsten Punkte angelangte Arbeits- 
teilung läßt vielen Händen nichts mehr zu tun übrig, der Ueberfluß 
der Reichen ist von Not und relativer Uebervölkerung in den 
arbeitenden Klassen begleitet. Um einer Revolution vorzubeugen, 
muß die genießende Klasse neue Bedürfnisse entwickeln und damit 
neue Erwerbsmöglichkeiten erschließen. Die von oben abfallenden 
und von unten aufsteigenden Elemente vereinigen sich in einer 
Mittelschicht. 

Der Bedürfnisvermehrung sind nun aber bestimmte Grenzen 
gesetzt. Die dem Menschen durch Nahrungsaufnahme zuzuführende 
potentielle Energie hat wie die kinetische, in die sie sich umsetzt, 
ihre Schranken im Organismus. Die Gossenschen Gesetze hält der 
Verfasser zwar kraft mangelhafter Anschauung nur auf Ideal- 
verhältnisse für anwendbar, aber für richtig in ihren Grundge- 
danken. Aehnlich urteilt Lexis5°), der freilich eine obere Grenze 
der Bedürfnissättigung nur für das Individuum gelten läßt, während 
es für die Allgemeinheit nur eine untere gebe, die mit der nur von 
wenigen erreichten oberen in engem Zusammenhange stehe. Falls 


59) a. a. O. 8. 404. 


774 Joachim Tiburtius, 


nun einmal eine größere Zahl von Bedürfnissen der Oberklassen an 
dieser nach oben hin gezogenen Schranke angelangt sei, so sei die 
Daseinsmöglichkeit der arbeitenden Klassen gefährdet. Gurewitsch 
fürchtet, nach dem Weber-Fechnerschen Grundgesetze sei eine all- 
mähliche Bedürfnissättigung allgemein unabwendbar, da ihm zufolge 
die Empfindungen nicht im gleichen Schritte mit den sie veranlassen- 
den Reizen wüchsen. Diese erlägen einer fortschreitenden Ab- 
stumpfung und bedürften daher ständiger Steigerung, um den Genuß- 
minderungskoöffizienten noch überwinden zu können. 

Dabei verkennt Gurewitsch aber offenbar, daß die relative 
Genußabnahme nach dem genannten Gesetze nur eine Folge gleich- 
bleibender Reizqualität ist und daher nicht durch Steigerung der 
alten, sondern durch Einführung neuer Reize behoben werden muß. 
Dieser Irrtum betrifft allerdings seine Folgerung nicht, daß infolge 
des ständig wachsenden Aufwandes von Streben sich die gesellschaft. 
liche Macht allmählich in den Händen der wenigen strebenskräftigen 
Bewerber sammle. Die Herrschenden häufen Güter bis zur Grenze 
der Verbrauchsfähigkeit an. Auch der Luxus könne diese Be- 
wegung nicht aufhalten, denn er erzeuge keine wirklich neuen Be- 
dürfnisse, die im Volke heilsam verbreitet werden könnten, sondern 
kenne nur die Arbeitvergeudung als Selbstzweck, wie in der letzten 
Epoche des römischen Kaiserreiches 60). 

Während die Befriedigung des Gesamtbedürfnisses einer ganzen 
Zeit zur Stagnation führe, könne die Befriedigung konkreter Einzel- 
bedürfnisse nur anregend auf die Leistungen und bessernd auf die 
Lage der Arbeiter einwirken, da aus dem Zustande der Sättigung 
neue Bedürfnisse entständen. 

Die mannigfachsten Veränderungen, die das gesellschaftliche 
Gleichgewicht in diesem Prozesse unter dem Drucke so vieler 
Willensäußerungen erleiden muß, ergeben die Fülle der Unterschiede, 
die dem Verfasser als das nötige Element für das Gedeihen jedes 
menschlichen Fortschrittes erscheinen. 


II. Kritik. 

Gurewitsch hat seine Darstellung an reichem geschichtlichen 
Tatsachenmaterial orientiert. Sie würde an Ueberzeugungskraft ge- 
winnen, wenn sie statt allgemein gehaltener Andeutungen stets das 
gemeinte Beispiel selber nennen wollte. Gelegentlich mutet seine 
Soziologie wohl etwas vormärzlich an, wenn er z. B. die „genießen- 
den“ den „arbeitenden“ Klassen gegenüberstellt, dagegen eine Unter- 
scheidung von Hand- und Kopfarbeit vermissen läßt. 

Die „Notwendigkeit“ der Bedürfnisentwicklung ist unleugbar, 
nur wäre der Darstellung eine unzweideutige Betonung des „ex post“ 
als Standpunkt dieser Wertung zu empfehlen. Wohl war und ist die 
Bedürfnisvermehrung und -differenzierung eine wohltätige Ursache 
des Fortschrittes, gewiß aber kann dieser Umstand nicht teleologisch 


60) Vgl. S. 785 der Arbeit. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 775 


als Beweggrund für die Bedürfnisentwicklung angesprochen werden. 
Mehr noch muß es zum Widerspruche herausfordern, wenn Gure- 
witsch hierüber die Wirkung vergißt, welche die Arbeit der Be- 
dürfnisentwicklung verdankt. Eine Hebung der Bedürfnisse kann’ 
zwar dauernd nicht gedacht werden ohne ein anregendes Maß des 
zeitigen gesellschaftlichen Könnens, viel schwerer aber fällt die 
Kraft der Bedürfnisse ins Gewicht, die der Arbeit neue Ziele setzt 
und sie zu alten auf neuen Wegen führt. Mit der Feststellung, daß 
die Bedürfnisentwicklung die Quelle der Arbeitsmöglichkeit sei, 
ist es nicht getan. Die Nichtbeachtung der feingegliederten Einzel- 
heiten dieses Kausalzusammenhanges, der vielen Qualitätswerte, die 
der Arbeit durch neue Bedürfnisse zugefügt werden, ist um so auf- 
fälliger, als der weit bedeutungsloseren Abhängigkeit der Bedürfnis- 
entwicklung von einem gewissen unentbehrlichen Mindestmaße der 
Kooperation und dessen Steigerung eine verhältnismäßig eingehende 
Aufmerksamkeit geschenkt wird. 

Ganz anders würdigt Oppenheimer in seinem Gesetze von der 
Beschaffung die Bedürfnisentwicklung in ihrer Beziehung zur 
Kooperation®!). Die Vermehrung der Bedürfnisträger und die damit, 
verbundene Steigerung des Bedarfes führt zur Ausbildung der 
technischen und ökonomischen Mittel für Gewinnung der Rohstoffe, 
Herstellung und Beförderung der Waren. Je geringer deren Trans- 
portwiderstand wird, desto weiter dehnt sich der Gesamtkreis der 
Gesellschaftswirtschaft. Die Erkenntnis der gegenseitigen Ergänzung 
durch komplementäre Fähigkeiten schließt die wachsende Menschen- 
zahl zu Wirtschaftsgesellschaften zusammen und entwickelt unter 
diesen Voraussetzungen den Kollektivbedarf. Um ihn decken zu 
können, muß sich die Kooperation heben und nicht nur die Menge, 
sondern auch die Güte der Erzeugnisse fördern. Mit dem Werte der 
Einzelleistung steigt der Gesamtarbeitsertrag, und mit ihm der 
Reichtum der Wirtschaftsgesellschaft. 

Wenn Gurewitsch gegen diese Theorie des Wesens der Arbeits- 
teilung die Tatsache ins Feld führt, daß gerade in wohlhabenden 
Gegenden, in denen von dringenden Bedürfnissen nichts zu spüren 
sei, die Arbeitsteilung am weitesten fortschreite, so verwechselt 
er Bedürfnis und Not. Der unfruchtbare Zustand dringender und 
mangels geeigneter Mittel dauernd unerfüllbarer Bedürfnisse be- 
drückt eine wohlversorgte Bevölkerung allerdings nicht, ihre Kauf- 
kraft und -lust lassen indes eine Fülle von Bedürfnissen entstehen, 
zu deren Stillung neue Differenzierungen und Integrierungen der 
Arbeitskräfte erforderlich sind. Diese wechselseitige Befruchtung 
von Kooperationssteigerung und Bedürfnisentwicklung wirkt einem 
Stillstande der Gesamtentwicklung entgegen. 

Die Darstellung, die Gurewitsch von der Entstehung der Boden- 
besitzformen gibt, leidet an einer gewissen Enge der Stilisierung, in 
die sich nicht alle von der Agrargeschichte im einzelnen ge- 


61) Theorie der reinen u. pol. Oekonomie, S. 137/38. 


776 Joachim Tiburtius, 


wonnenen Ergebnisse hineinfügen. Die Erklärung hätte an dieser 
Stelle vielleicht des Migrationsgesetzes von Moritz Wagner®?) ge- 
denken können. Auch diesem liegen die von Gurewitsch verwerteten 
Faktoren wirtschaftlicher und kriegerischer Macht zugrunde, nur 
betrachtet es deren verbundenen Einfluß auf ein Volk, dem seine 
natürlichen Grenzen keinen genügenden Erhaltungs- und Betäti- 
gungsspielraum mehr gewähren. 


Die Abwanderung gerade der Stärkeren führt diese zu einem 
noch nicht ausgebeuteten Lande, dessen Bewohner sie mit äußerer 
Gewalt wie mit überlegenen Arbeitsweisen überwinden, und schafft 
den zurückbleibenden Volksgenossen Bewegungsfreiheit. Dies Gesetz 
stellt, solange die Erde nicht vollständig angebaut ist, den besten 
Ausgleich des Malthusianismus dar. 

Gurewitsch lehnt es ab, die Bedürfnisentwicklung auf ein 
Streben nach Verfeinerung der Bedürfnisse zurückzuführen, weil 
dies ein Streben nach einem unbekannten Zustande und damit ein 
Unding sei. Dabei vergisst der Verfasser zunächst, daß wir nahezu 
allen Fortschritt dem Streben nach unbekannten Erfolgen verdanken. 
Wohin wir blicken, umgeben uns verwirklichte Utopien früherer 
Zeiten, wir haben Dampfkraft und Elektrizität unserer Fortbewegung 
nutzbar gemacht, wir beginnen, die Luft zu beherrschen, und stellen 
den größten Teil der Erdbewohner unter den gleichzeitigen Ein- 
druck von Nachrichten. Diese Leistungen sind aus dem Bemühen 
um unbekannte, nur geahnte Ziele entstanden, das andauernd fort- 
wirkt und ständig neue Ergebnisse zeitigt, bald der Art nach, wie 
neue Maschinen, bald nur dem Grade nach, wie gesteigerte Fahrt- 
geschwindigkeiten, besseres Licht usw. 

Das Verlangen nach einer Bedürfnisveredlung hat alle großen 
Erzieher und Erneuerer der Menschheit geleitet, ohne daß naher 
oder ferner Ruhm dabei immer ihr Ziel gewesen wäre. Ein Jo- 
hannes der Täufer oder Luther wollten ihre Zeiten auf reinere Wege 
geistiger und sittlicher Erkenntnis führen, sie gehorchten einer 
inneren Notwendigkeit, deren Gebot sie in der Gegenwart und ab- 
sehbaren Zukunft dem Haß und der Verfolgung preisgeben mußte. 
Will man auch im Handeln dieser Männer ein Streben nach Aus- 
zeichnung, etwa vor dem Gotte in der eigenen Brust oder im Himmel 
finden, so darf man nicht verkennen, welche Welt diese Wege von 
dem Auszeichnungsstreben im Gurewitschschen Sinne trennt. Die 
Orientierung ist eine geradezu gegensätzliche: hier das bewußte Um- 
werben der bewundernden Menge im Schlagen äußerer „Rekorde“, 
dort die ebenso bewußte Zertrümmerung der Zeitgötzen und der 
Kampf gegen das gewohnte zeitgenössische Behagen. Auf Pflege 
des Strebens nach veredelten und verfeinerten Bedürfnissen hin 
wirkt alle erzieherische Arbeit, ihre Hauptaufgabe ist es, dem wer- 


62) Das Migrationsgesetz. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 777 


denden Willen immer höhere Ziele zu setzen, an die er sich gewöhne, 
bestimmte Bedürfnisse zu wecken, andere auszuschalten. Wo eigene 
Erinnerung noch keine Begehrensziele zu bieten vermag, da tritt die 
Erfahrung des Erziehers ergänzend hinzu und sucht die vorstellende 
Phantasie des Zöglings auf würdige Gegenstände hinzulenken. Der 
Erfolg aller erzieherischen Arbeit ist der Vollkommenheit am näch- 
sten, wenn im Zögling Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen 
Mangelhaftigkeit seines Wollens und Tuns und ein Streben nach 
Willensläuterung erweckt ist. Auch in der Sphäre des Trivialen 
begegnet uns das Verfeinerungsstreben in erzieherischen Versuchen; 
die dem Bedürfnis meist voraneilenden Ideen der Mode wollen in 
den Kreisen ihrer Untertanen eine immer wachsende Empfänglich- 
keit für Neues und Absonderliches erzeugen, sie gönnen dem Ge- 
schmack keine Ruhe, sondern suchen ständig neue und feinere Ver- 
ästelungen der Bedürfnisse zu erzielen. 

Diese Bemühungen um Veredlung und Verfeinerung der Be- 
dürfnisse greifen mit ihren guten wie gefährlichen Seiten in das 
Leben der Allgemeinheit ein. In allen reifen und starken Naturen 
wird der Wunsch lebendig, sich im Denken und Handeln von der 
Gebundenheit an Massenideale und Massenbeifall zu lösen und ein 
Dasein nach eigenen Gesetzen zu führen. Wenn dabei die Maßstäbe 
des Urteils dem Wissen und Denken der Besten der Zeit entnommen 
werden und ihr Lob begehrt wird, so steht dieses Auszeichnungs- 
streben doch unter dem Richtung gebenden Einflusse eines Ver- 
edlungsstrebens. So findet es seinen Ausdruck in der Gestaltung 
des Lebenszuschnittes, in Sprache, Haltung, Tracht, Wohnung und 
allen Geschmacksäußerungen. In einem so gearteten Streben liegt 
die Gegenwehr gegen die Auswüchse und Verzerrungen des Dranges 
nach Auszeichnung um jeden Preis. Das protzenhafte Kraftmeier- 
tum der Gründerjahre wird zunehmend von einem Stile der Ehr- 
lichkeit und Einfachheit verdrängt, der in den Lebensformen des 
Menschen, namentlich in seinem Heime, nicht ein Prunkstück zur 
Uebertrumpfung anderer, sondern einen der Persönlichkeit wahr- 
haft angemessenen Ausdruck schaffen will. Die Nichtbeachtung der 
Veredlungskomponente in der Bedürfnisentwicklung führt Gurewitsch 
zu einer gewissen Einseitigkeit, die dem Auszeichnungs- und dem ihm 
sinnverbundenen Nachahmungstriebe die Alleinherrschaft zuerkennen 
will. Wir wollen den Fortschritt in der Bedürfnisentwicklung als Re- 
sultante dieser beiden Kräfte und als deren gemeinsame Quelle eine 
höhere Einheit ansehen: den in dem Menschen gelegten Drang nach 
‘Vollendung der eigenen Möglichkeiten im Erschaffen und Erleben, den 
kategorischen Imperativ Goethes: „Werde, was du bist.“ 

Wer wie Gurewitsch im Nachahmungsbemühen eine wesentliche 
Triebkraft für die Bedürfnisentwicklung erblickt, darf nicht, wie er, 
verkennen, wie häufig Vorstellungen und Einbildungen die repräsen- 
tive Mitwirkung der Erinnerung bei. der Bedürfnisentstehung ersetzen. 
Namentlich zeigt sich dies dort, wo die Nachahmung sich nicht auf 


778 Joachim Tiburtius, 


den eigenen Lebenskreis beschränkt, sondern an einen äußeren Erfolg 
ohne Kenntnis seiner Bedingungen anknüpft, der auf ein fremdes 
Feld lockt. So sehen wir in unserer Landarbeiterschaft eine Be- 
dürfnisentwicklung sich vollziehen, die das Gegenteil von einem 
Streben nach der Lebensweise der unmittelbar über ihnen stehenden 
Klassen darstellt. Sie wandert in steigendem Maße in die Industrie- 
zentren ab und wählt sich zum Vorbilde nicht den ländlichen Be- 
sitzer, sondern den Stadtbürger, von dessen Leben sie meist nur die 
Möglichkeit gewisser Genüsse kennt, ohne über die anderen Seiten 
unterrichtet zu sein. Die Versuche, sie selber zu Besitzern zu 
machen, sind z. B. in Westpreußen vielfach fehlgeschlagen, dahin- 
gegen haben solche Gutsherrschaften bessere und dauernde Erfolge 
erreicht, die den Arbeitern Unterhaltung durch belehrende und unter- 
haltende Vorträge, Konzerte und kinematographische Vorstellungen 
boten 6%). Lohnerhöhungen sind in diesen Betrieben lange nicht in 
demselben Maße nötig gewesen, wie anderswo, wo sie nicht immer 
ein gleich günstiges Ergebnis zeitigten. Der Zug in die großen 
Städte gilt nicht allein dem höheren Lohne des Industriearbeiters, 
sondern insbesondere seinen Verwendungsmöglichkeiten, einem Ge- 
biete, über dessen Vorzüge nicht Erfahrungen, sondern meist reine 
Vorstellungen, Meinungen unter den Landarbeitern verbreiten. 
Denn keineswegs vererbt sich dieser Wandertrieb in der Generation 
regelmäßig fort. In vielen Fällen vermögen selbst Warnungen 
Zurückgekehrter neue Versuche nicht zu hemmen, die dann einer 
oft sehr unbestimmten Vorstellung von kommendem Glücke nach- 
gehen. Ein äußeres Moment unterstützt dabei die Hoffnung, in der 
Stadt ein gehobeneres Dasein zu finden. Der ländliche Lohn wird 
in vielen Gegenden zum großen Teile in Naturalform gewährt, als 
sogenanntes Deputat. Auch sein in Geld bestehender Teil kann in 
den ländlichen Verhältnissen meist nur in Gegenständen des not- 
wendigen Bedarfes umgesetzt oder gespart werden, die Gelegen- 
heiten, sich mit ihm Zerstreuungen oder Luxusgegenstände zu ver- 
schaffen, werden nur selten bei einer Berührung mit städtischen Ein- 
richtungen wahrgenommen, sei es gelegentlich eines Besuches in der 
Stadt oder eines Auftauchens fahrender Künstler. Mit dem Begriffe 
der Stadt verbindet sich von da ab ein Zauber, der sich auf alle 
auch unbekannten Gebiete städtischen Lebens überträgt und durch 


63) Die folgenden Ausführungen stützen sich auf eigene Beobachtungen, die 
ich langjährigem Aufenthalte auf westpreußischen und pommerschen Gütern ver- 
danke. 

Hasbach nennt in seinem Werke über die englischen „Landarbeiter in den 
letzten 100 Jahren“ als Ursachen der Abwanderung den Dreng nach wirtschaftlicher 
Selbständigkeit und höherer Lebensweise. Namentlich gedenkt er der Unbeliebtheit 
des Naturallohnes (S. 363). Die Anziehungskraft der. städtischen Vergnügungen sei 
besonders in .Northumberland fühlbar, während er andererseits betont, daß Hoff- 
nung auf Landbesitz den englischen Arbeiter vielfach auf dem Lande festhalte 
(S. 368). Daß dieses Motiv in England wirksamer ist als bei unserer polnischen 
Landarbeiterschaft, erklärt sich wohl aus dem höheren Grade der Einsicht, 
der den englischen Arbeiter auszeichnet. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 779 


dessen aktuelle Gestaltung begünstigt wird. Die Demokratisierung 
der Bedürfnisbefriedigung hat eine Reihe von Genüssen verbilligt 
und zu einer Massenerzeugung von Surrogaten geführt, die es auch 
dem ärmeren Konsumenten gestatten, den Schein einer gewissen 
Kulturhöhe zu wahren. Der Besuch des gleichen Theaters, die Ein- 
käufe in den gleichen Läden gewähren die Befriedigung, hierdurch 
die Stufe des Reichen zu betreten. Diese Illusion vermag der auf 
dem Lande zu gewinnende Lohn nicht zu erwecken. Mit der un- 
mittelbaren Gewährung von Lebensmitteln und Wohngelegenheiten 
greift der Herr tief in die Bedürfnisbefriedigung seiner Arbeiter 
ein und zieht so scharf die Grenzlinie zwischen seinem und ihrem 
Lebenszuschnitte. Das Auszeichnungsstreben des Arbeiters zieht 
ihn zu derselben Selbstbestimmungsfreiheit in der Befriedigung 
seiner Bedürfnisse, die seinem Herren vergönnt ist. Er erhofft sie 
sich von dem unpersönlichen Geldlohn, den der städtische Arbeiter 
empfängt, dieser ist sein Vorbild, nicht der kleine Bauer, auf den 
er vielmehr als Glied eines Großbetriebes auch in abhängiger Stel- 
lung vielfach herabsieht. Zielsetzend für dieses Bedürfnis ist selten 
eine Erfahrung, meist eine Vorstellung. 


Ill. Der Begriff der Entwicklung in seiner Anwendung 
auf die Bedürfnisse. 


Wir haben bisher im Rahmen der Gurewitschschen Unter- 
suchung den Verlauf und die Wichtigkeit der Bedürfnisentwicklung 
betrachtet, ohne uns darüber Rechenschaft gegeben zu haben, in 
welchem Sinne wir den Begriff verstehen wollen. Ist die Bedürfnis- 
„entwicklung“ lediglich eine Vermehrung, oder auch eine Bewegung 
in bestimmter Richtung? Und wenn wir die zweite Möglichkeit 
bejahen, ist diese Bewegung eine Entwicklung biologischer Art, 
eine Fortbildung von Keimen, oder der Eintritt neuer Phasen des 
Begehrens, vermittelt durch Einflüsse aus anderer Quelle? 

Für die erste Seite der Alternative hat uns Gurewitsch reichen 
Stoff geliefert. Die Bedeutung der Bedürfnisentwicklung erschöpft 
sich ihm hinsichtlich ihres Zweckes in ihrer ständigen Zunahme. 
Es bleibt nun die Frage nach dem Grunde dieser Erscheinung 
offen. G. Tarde6*) nennt als solchen die Erfindungen, die dem 
Begehren neue Ziele bieten und nur um dieser Eigenschaft willen 
Wirkung und Bestand haben können. Wenn ein Mittel gefunden 
wird, das der Lebensfürsorge nützlich zu dienen imstande ist, so ist 
damit wohl der Anlaß für ein neues Bedürfnis gegeben. Damit aber 
dessen Dasein zu wirtschaftlicher Erheblichkeit gelangen und von 
Dauer sein könne, muß die Kraft zur Befriedigung entsprechend 
wachsen. Dies hängt ab von der Zunahme des Wohlstandes. Eine 
wirksame Nachfrage nach Verfeinerungen ist nur denkbar, wenn 
genügende Gütervorräte zur Deckung des Lebensbedarfes hergestellt 
und angemessen verteilt worden sind. So können die beiden Seiten 


64) Les lois de l'imitation, Paris 1895, S. 101/102. 


780 Joachim Tiburtius, 


des Haushaltes, Bedürfnisse und Leistungsfähigkeit, miteinander 
Schritt halten. Die Grundbedürfnisse bleiben dabei dieselben, sie 
betreffen stets Gesundheit, Sättigung, Sicherheit, Behagen, Liebe 
und ähnliches. Die Bedürfniszunahme unter dem Sporn der 
Erfindungen gilt den Mitteln der Befriedigung, hinsichtlich der 
erstrebten Wohlfahrtszustände tritt nur eine. Wandlung der 
alten Bedürfnisse ein. Daß in diesen Aenderungen Fortschritte zu 
finden seien, daß Ziele und Formein der Bedürfnisse wie ihrer Be- 
friedigung an vielen Stellen und in manchem Betrachte auf höherer 
Stufe stehen, als vorher, ist ebenso unbestreitbar, wie daß wir an 
vielen anderen Punkten die Vergangenheit nicht überholen können, 
an einigen sogar hinter ihr zurückbleiben. Wir wollen keine Kultur- 
geschichte schreiben, sondern ihren Ergebnissen nur das eine ent- 
nehmen, daß die viel umstrittene Frage, ob zwei aufeinanderfolgende 
Geschichtsphasen als Stufen einer fortlaufenden Entwicklung an- 
zusehen seien, in der Geschichte der Bedürfnisse einiges Licht 
empfängt. Wir haben in ihr zwei scharf zu trennende Beispiele für 
beide Fälle der Alternative. Wenn wir die Mannigfaltigkeit und 
Feinheit betrachten, mit der z.B. das Nahrungsbedürfnis in all 
seinen Verzweigungen, bedingt durch Geschmack, Gesundheit und 
Reichtum des Genießenden und die Jahreszeit des Genusses, heute 
befriedigt werden kann, so werden wir das als eine Fortbildung des 
Urzustandes ansehen, in dem Früchte und Fleisch in geringer Ab- 
wechslung begehrt und durch harte eigene Arbeit des Bedürftigen 
gewonnen wurden. Hier liegt ein Fortschritt des Begehrens inner- 
halb seines durch den Zweck und die Ursache gezogenen Rahmens 
vor, Hunger zu bannen und Kräfte zu stärken. Das Begehren ist 
durch Pflege der ihm innewohnenden Triebe in Berührung mit ver- 
feinerten Mitteln der Befriedigung an eine zweckmäßigere und 
edlere Form gewöhnt worden. Wenn wir dagegen erwägen, wie das- 
selbe Nahrungsbedürfnis in steigendem Grade nicht mehr nur die 
Erhaltung, sondern zugleich durch Verwendung seltener und hoch- 
wertiger Befriedigungsmittel auch die Auszeichnung seines Sub- 
jektes sucht, so ist dies wohl eine Erweiterung, aber keine Ent 
wicklung im erstgeschilderten Sinne. Das Begehren wird hier um 
äußere, ihm wesensfremde Bestandteile bereichert und durch sie 
variiert. Im selben Bedürfnisse kreuzen sich zwei Begehren mit. 
gänzlich verschiedenen Zielen; das Nahrungsbedürfnis ist nur das 
Substrat der Erweiterung. 

Diese Betrachtung galt den Bedürfnissen der Menschheit im 
allgemeinen. Der Einzelne kommt erst mit den Jahren zur Kenntnis 
und Erkenntnis der mannigfachen Wohlfahrtszustände und erweitert 
dementsprechend auch seine Grundbedürfnisse mit zunehmendem 
Alter um neu hinzutretende Formen. Je mehr Stützen sein Gleich- 
gewicht erhält, um so leichter kann es an einem Punkte erschüttert 
werden. Ob in dieser formalen Entwicklung ein Fortschritt ge- 
funden werden kann, richtet sich nach der Stärke, mit der Bewußt- 
sein und Selbstzucht die Bewegung beherrschen. Wir wenden ihn 


Age RE BE 
— 


Der Begriff des Bedürfnisses. 781 


immer dort finden, wo Individuum und Allgemeinheit ihre Bedürf- 
nisse auf die Höhe gesellschaftlicher Wirtschaftlichkeit geführt 
haben und bestrebt sind, allenthalben die nach zeitgenössischem 
Wissen und Können größten Erfolge der geringsten Aufwände zu 
erreichen. 


Viertes Kapitel. 
Das Bedürfnis als Steuer der Wirtschaft. 


I. Die wirtschaftliche Erheblichkeit der Bedürfniskategorien. 1) Das Bren- 
tanosche Schema, die charakterologische und wirtschaftliche Bedeutung des Ent- 
spannungsbedürfnisses. 2) Der Altruismus als Motiv der Wirtschaft. II. Die 
Maßstäbe des ökonomischen Urteils. 1) Die Berechtigung außerwirtschaftlicher 
Kriterien in der Oekonomik. 2) Die wirtschaftliche Rationalität. 

Die menschliche Wirtschaft ist die Befriedigung menschlicher 
Bedürfnisse, durch deren Inhalt und Stärke sie bestimmt wird. 
Jede Untersuchung über die Gesetze der Wirtschaft setzt daher eine 
richtige Würdigung der Bedürfnisse voraus. 

Mit diesem Interesse treten wir an die von Brentano, v. Her- 
mann u. a. aufgestellten Systeme heran, in denen die ökonomische 
Erheblichkeit der Bedürfnisse nach der Reihenfolge ihres Dring- 
lichwerdens veranschaulicht wird. 

Brentano®65) entwirft unter Anerkennung subjektiver Ab- 
weichungen folgendes Schema: An erster Stelle stehen alle Be- 
dürfnisse der baren Notdurft und Lebenshaltung, unter denen er 
die Bedürfnisse nach Nahrung, Wohnung, Kleidung und richtig 
geregeltem Stoffwechsel versteht. Die dann folgenden geschlecht- 
lichen Bedürfnisse hätten im Urzustande der Menschheit gleichfalls 
an erster Stelle gestanden und „absoluten“ Charakter gehabt, seien 
aber durch Läuterung der Triebe und Beförderung geistiger Ent- 
spannung im allgemeinen zurückgedrängt worden. Allerdings habe 
gerade die erhöhte Gehirnarbeit einige Individuen zu stärkerer 
sexualer Reizbarkeit getrieben. Es folgen ihnen die Bedürfnisse 
der Auszeichnung, die in sachlichem Schmucke wie in der An- 
erkennung seitens anderer gefunden werden könne. Brentano gelangt 
hier zu derselben Auffassung, wie wir sie bei Gurewitsch trafen. 
Auch für ihn geht das Kleidungsbedürfnis nicht aus einem Ver- 
langen nach physischem oder moralischem Schutze hervor, sondern 
aus einem Auszeichnungsbegehren, das andererseits auch Bedürfnisse 
eigenen Ursprunges ergreift, und umgestaltet, wie das Nahrungs- 
bedürfnis. In dieser Einwirkung sieht Brentano ein allmählich 
wachsendes Hinzutreten seelischer Regungen, die den von Hause 
aus physischen Nahrungstrieb wandeln. Diesen menschlichsten aller 
Bedürfnisgattungen folgen in der Aufzählung überraschend die Be- 
dürfnisse nach jenseitigem Wohlbefinden, die als einzige aus dem 
Gebiete religiöser Vorstellungen herausgelöst sind. Nicht ohne 
Zweifel reiht Brentano ihnen die Bedürfnisse nach Erheiterung an. 


65) a. a. O. B. 24ff. 


782 Joachim Tiburtius, 


Er gedenkt der Mannigfaltigkeit ihrer Ausdrucksformen, die viel- 
fach noch ihre Entstehung aus anderen Kategorien, wie den Be- 
dürfnissen der Lebenshaltung erkennen lassen. Einschränkend auf 
alle anderen Bedürfnisse wirkt die Fürsorge für die Zukunft, der 
einzige Anklang an das wirtschaftliche Bedürfnis in unserem 
Sinne, der bei Brentano sich mit einem recht bescheidenen Platze 
begnügen muß. Ihm schließen sich die Bedürfnisse nach Heilung 
von Krankheiten und Reinlichkeit an. Die Theorie, die Brentano 
über die Entstehung der Reinlichkeitspflege vertritt, steht in 
schwer lösbarem Widerspruche zu seiner Schilderung des gegen- 
wärtigen Zustandes. Er gedenkt ihrer spät einsetzenden und 
zögernd fortschreitenden Entwicklung, die nicht einmal am Hofe 
Ludwigs XIV. billigen Ansprüchen genügt habe, und rühmt das 
Verdienst Englands um die Ausbreitung und Pflege der Reinlich- 
keit. Aus diesem Bilde zieht der Verfasser nun aber den Schluß, 
daß die Reinlichkeit in südlichen Klimaten auf der höchsten Stufe 
stehe. Ein Vergleich Norwegens oder auch Pommerns mit Süd- 
italien oder Kamerun führt zu anderem Ergebnisse. 

An letzter Stelle stehen die Bedürfnisse nach Bildung und 
Schaffen, die nur bei hohem Grade geistigen Vermögens anzutreffen 
seien. 

Der Verfasser gelangt zusammenfassend zu dem Urteile, daß in 
der Konkurrenz dieser Bedürfnisse die altruistischen nur selten über 
die egoistischen obsiegen würden. Zum Beweise stützt er sich auf 
die Abnahme des Stillens der Säuglinge durch die Mütter und auf 
die Widerstände, die den Klassenorganisationen aus Eigenwilligkeit 
und Faulheit ihrer Mitglieder erwüchsen. 

Auf die von uns gestellte Frage gibt Brentano eine nur wenig 
befriedigende Antwort, Die wechselseitige Bedingtheit der Bedürf- 
nisse, insonderheit die aller anderen durch das wirtschaftliche Be- 
dürfnis, wird nur flüchtig gestreift. Die Aufzählung der Bedürfnisse 
ist in ihrer Aufeinanderfolge anfechtbar und entbehrt der Syste- 
matik. Kann eine wahrhaft nach Bildung und ihrer Ausgabe in 
Schaffen strebende Natur diese Regungen dem Wunsche nach Er- 
heiterung hintanstellen? Wird für sie nicht häufig Erholung mit 
Schaffen und geistigem Genusse zusammenfallen? Den Zusammen- 
hang des Geschlechtstriebes mit der Arbeit deutet Brentano wohl 
an, eine schärfere, vor Mißdeutungen indes nicht hinlänglich ge- 
schützte Fassung hat Oppenheimer diesem Gedanken gegeben, wenn 
er im Geschlechtstriebe, wie im Verlangen nach wissenschaftlicher 
oder künstlerischer Tätigkeit das Wirken des positiven Bedürf- 
nisses nach Kraftabgabe sieht, das den Menschen zum Schöpfen und 
Schaffen treibt, seiner Bestimmung gemäß auf die Höhe edlen 
Kräftegebrauches, in der Entartung zu Verkehrtheit und Verfall. 
Es wäre denkbar, in dieser Lehre eine materialistische Ableitung 
der geistigen Arbeit zu erblicken, während man, um ihr gerecht zu 
werden, wohl gerade auf den gegenteiligen Gehalt den Ton legen 
muß, daß nämlich im Geschlechtstriebe bestimmungsgemäß nicht 


Der Begriff des Bedürfnisses. 783 


ein Verlangen nach körperlichem Genuß allein, sondern ein schöpferi- 
scher Drang in den Menschen gelegt ist, wie er auch in den anderen 
von Oppenheimer genannten Ausstrahlungen seines Wesens Ausdruck 
findet. So ferner in aller körperlichen Bewegung, in der gleichfalls 
eine Entspannungssehnsucht steckt, ein Verlangen nach Erleichte- 
rung und Beruhigung, die von außen her sich dem Inneren mitteilen 
soll. Die gleiche Grundlage hat auch die Geselligkeit, wie die Er- 
heiterung überhaupt; auch wo sie in verflachter Gestalt diesen 
Ausgang zu verleugnen scheint, kann sie genetisch nur in diesem 
Zusammenhange begriffen werden. Das Verlangen nach Entspan- 
nungen höherer Art muß durch den Geschlechtstrieb gelähmt wer- 
den, wenn dieser mangels rechtzeitiger Ablenkung durch Tätigkeit 
und edlen Genuß überhand nimmt. Andererseits muß angreifende 
Arbeit ohne den nötigen Pausenwechsel, ebenso wie übermäßiger 
Genuß von Zerstreuungen und Betäubungen ohne die erforderliche 
Ruhe die Geschlechtskraft schwächen und damit der Arbeit die heil- 
same Kraftquelle der aus edlem Selbstgefühle fließenden Freudig- 
keit entziehen. 

Die gedeihlichste Kraftverwendung ist diejenige Entspannung, 
in der Arbeit und Liebe so walten, daß keine von beiden die andere 
unterdrückt, noch auch tyrannisch werden läßt. 

Eine Befriedigung positiven Begehrens darf nie die anderen 
dem Individuum segensreichen und der Allgemeinheit unentbehr- 
lichen Wege der Kraftausgabe gefährden. Die Läuterung des Ent- 
spannungstriebes zur „sinnlich-sittlichen Bedarfsgewöhnung“ im 
Sinne Schäffles zeigt uns die Entstehung der Familie. Der Ge- 
schlechtstrieb führt zur Ehe, die dem Egoismus seines Ursprunges 
in der Pflicht, für seine Ergebnisse einzustehen, ein neues Element 
gesellt und ihn so in die wirtschaftlich beschränkte Betätigungsform 
bringt, in der wir ihn sittlich nennen. Er schafft in der Familie 
einen größeren Kreis Bedürfender, der sich durch Kooperation zu 
helfen sucht und so zur Keimzelle und zum Vorbilde aller Gesamt- 
wirtschaft wird. Wie die Liebe sieht Döring‘) auch die Freund- 
schaft in soziologischem Lichte. Ein Urverlangen der Menschheit 
gilt der Erkenntnis der Normalität des Daseins in Vergangenheit 
und Gegenwart, der Sicherheit für die Zukunft. Hieraus entstehen 
die menschlichen Freundschaften und Kameradschaften als An- 
hänglichkeit an Personen und die Vaterlands- und Heimatsliebe als 
Treue gegen Zustände und Einrichtungen, die uns diese Eigen- 
schaften unseres Seins zu verbürgen scheinen. Diese Kräfte stärken 
die zentripetalen Regungen, die zur Entstehung unserer großen 
Wirtschaftsgemeinschaften geführt haben und sie noch erhalten. 

Brentano und Döring würdigen beide die wirtschaftliche Be- 
deutung altruistischer Bedürfnisse, Mutterliebe, Geschlechtsliebe und 
Freundschaft haben ihre Rolle auch im Wirtschaftsorganismus. 
Ebensowenig wie man Egoismus und Wirtschaftlichkeit einander 


66) a. a. O. 


184 Joachim Tiburtius. 


gleichstellen darf, ist es berechtigt, den Altruismus schlechthin als 
außerwirtschaftlich anzusehen, wie wir es z. B. bei Philippovich 67) 
finden. Die Erzielung des größten Erfolges mittels des kleinsten 
Aufwandes kostender Mittel ist auch im außerpersönlichen Interesse 
vorgenommen eine wirtschaftliche Handlung. 

Der Altruismus ist der Träger bedeutender Wirtschaftssysteme. 
Man denke z.B. an die wirtschaftlichen Maßnahmen der Wohl- 
tätigkeitsorganisationen, an die Bazare und Lotterien dieser Gattung. 
Die karitativen Veranstaltungen der katholischen Kirche ruhen im 
letzten Grunde auf dem religiösen Pflichtgebote, die irdische Macht- 
basis Gottes durch die Versorgung und Unterstützung seiner Be- 
kenner zu erweitern. Eine stattliche Zahl landwirtschaftlicher und 
industrieller Großbetriebe ist aus dieser transzendenten Wurzel er- 
wachsen. In ihrem konfessionellen Widerparte, der reformierten 
Kirche, hat der dogmatische Grundsatz strenger irdischer Pflicht- 
erfüllung, Einfachheit und Sparsamkeit gleichfalls einen hervor- 
ragend wirtschaftlichen Sinn groß werden lassen, in dem Troeltsch 
und Max Weber bekanntlich eine Wurzel des Kapitalismus er- 
blicken. 

Ueberall, wo jemand einen Wirtschaftskreis um einer einem 
anderen gegenüber übernommenen Pflicht willen versorgt, in der 
Tätigkeit des Familienvaters, des Guts- oder Vermögensverwalters 
wirken egoistische und altruistische Motive nebeneinander. Die Be- 
darfsbeschaffung geht gleich wirtschaftlich vor sich, der 
egoistisch, wie der altruistisch arbeitende Wirt wird bestrebt sein, 
mit geringstem Aufwande höchsten Nutzen zu erzielen. Die Ver- 
schiedenheit der Motive zeigt sich in der Verwaltung und 
Verteilung des Bedarfes unter die Berechtigten: Den Ange- 
stellten leitet dabei die Resultante aus seinem durch den Vertrag 
beschränkten Eigennutz und seinem Pflichtgefühle. Der Familien- 
vater wahrt normalerweise unter geringerem Konflikte je nach dem 
Maße seiner Selbstlosigkeit den Vorteil des von ihm zu erhaltenden 
Familienkreises. Die wirtschaftliche Sparsamkeit, die er bei der 
Versorgung seiner Nächsten häufig deren Wünschen zuwider 
walten läßt, ist dann nur eine Ausstrahlung des leitenden altruisti- 
schen Grundmotives. Der Wirtschaftsverlauf wird unmittelbar erst 
berührt, wenn eine äußere Handlung erfolgt. Die Arten und Folgen 
dieser Berührungen werden indes wesentlich durch die vorangegan- 
genen egoistischen oder altruistischen Willenshandlungen bestimmt. 

Die Betrachtung des verschieden gearteten Einflusses, den die 
einzelnen Bedürfnisse auf die Gestaltung der Lebensfürsorge gehabt 
haben, führt zu der Frage, mit welchem Maße die Oekonomik sie 
zu messen habe. Der Kampf um die Berechtigung der sogenannten 
außerökonomischen Maßstäbe, der ethischen, hygienischen und ähn- 
lichen in der Oekonomik ist nahezu so alt, wie sie selber. Oppen- 
heimer will nun die Wirtschaftswissenschaft von allen ihr wesens- 


67) a. a. O. B. 127. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 785 


fremden Bestandteilen reinigen, und nur diejenigen Tatsachen als 
ihr Forschungsgebiet bestehen lassen, die den Gang der Wirtschaft 
unmittelbar beeinflussen. Mag das Opium z. B., hygienisch und 
moralisch betrachtet, ein Uebel sein, wirtschaftlich ist es ein Gut, 
das seinem Verkäufer die Anschaffungskosten mit angemessenen 
Nutzen wiederzuerstatten und dem Käufer ein Genußbedürfnis zu 
befriedigen vermag. Für die Zugehörigkeit eines Bedürfnisses zur 
Oekonomik ist es somit unerheblich, ob es auf der ethischen oder 
geistigen Stufenleiter einen höheren oder niederen Platz einnimmt, 
entscheidend ist nur, daß es zu einer wirtschaftlichen Handlung 
führt. Wir kommen darauf unten zurück und wollen uns diese 
Lehre einstweilen zur Warnung dienen lassen, uns vor einer Ueber- 
tragung allgemeiner Urteile aus anderen Gebieten in die Wirtschafts- 
wissenschaft hüten, in der sie nicht am Orte sind. 

Ein solcher Mißbrauch der Ethik entlehnter Maßstäbe hat die 
ältere Theorie des Luxus als einer schlechthin wirtschaftsfeind- 
lichen Erscheinung in einer Einseitigkeit gedrängt, deren Begrün- 
dung dann nur durch grobe Verzerrung des wirklichen Bildes ge- 
lingen konnte. Der Luxus, so hieß es, entziehe der Herstellung nütz- 
licher Massengüter erhebliche Kapitalien, deren Teile durch ihn 
statt zur Sammlung zum überflüssigen und zersplitterten Ver- 
brauche geführt würden. Seine Beschränkung müsse zu einer Ver- 
mehrung des Kapitales führen, die eine erhöhte Produktion nütz- 
licher Güter und damit die Ernährung einer größeren Anzahl von 
Arbeitskräften ermöglichen würde. 

Die Irrigkeit dieser Lehre hat schlagend Philippovich 68) nach- 
gewiesen. Das dem Luxusverbrauch und der ihm dienenden Pro- 
duktion entzogene Kapital würde zwar die Herstellung von Massen- 
gütern steigern, gleichzeitig würden aber in diese Produktion die 
bislang im Dienste des Luxus beschäftigt gewesenen Arbeitskräfte 
hineingedrängt werden, dort die Löhne herabdrücken und eine die 
Nachfrage übersteigende Produktion zeitigen. Das Ergebnis wäre 
eine Ueberherstellung und eine den Absatz lähmende Krisis. Ein 
gewisses Maß von Luxus ist, so sehr man ihn moralisch tadeln 
mag, wirtschaftlich erforderlich, um Arbeiter zu beschäftigen, deren 
Gaben in der ihm dienenden Gewerbstätigkeit mit dem größten 
Nutzen verwendet werden können. So allein kann die Einkommens- 
verwendung der Reichen den Fehler der Verteilung aus- 
gleichen, der darin begründet ist, daß Millionenbeträge als arbeits- 
loses Einkommen in Verschwenderhände fließen, während in den 
arbeitenden Klassen entsprechender Mangel herrscht. Sparsame Ver- 
waltung dieser Einkommen würde die Folgen der falschen Ver- 
teilung zu verlängerter Dauer bringen. Jede Sparstrumpfpolitik ist 
im Gegensatz zum Luxus, wenn es gestattet ist, ein medizinisches 
Bild zu gebrauchen, eine Verkalkungserscheinung im Wirtschafts- 
körper. Die Rentensucht des französischen Mittelstandes entzieht 


68) a. a. O. S. 412. 
Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 60 


786 Joachim Tiburtius, 


der Wirtschaft Kräfte an Geld und Arbeit und letzten Endes, im 
Verein mit weiblicher Entartung, auch dem Lande die nötige Auf- 
frischung durch Geburtenzunahme. Die ersteren werden thesauriert, 
das Arbeitsvermögen aus bequemer Genügsamkeit vorzeitig geschont. 

Den richtigen Ausgleich zwischen dem Zuviel und Zuwenig 
im Gebrauche der Kräfte kann nur eine Leitung der Bedürfnisse zu 
denjenigen Zielen schaffen, die dem Einzelnen Nutzen und Gewinn 
bringen, ohne die Sicherheit seines Daseins in Frage zu stellen und 
seine Mitwirkung der Gesamtheit der Wirtschaftsgenossen zu 
nehmen: Dies ist die wirtschaftliche Forderung der Gesellschaft an 
ihre Glieder. Welche Ziele es sind, darüber unterrichten die prak- 
tische Volkswirtschaftslehre, die eng mit der Geschichte des Volks- 
und Völkerlebens überhaupt verbunden ist, die Naturwissenschaften 
im weitesten Sinne und die Ethik an der Hand äußerer Beob- 
achtung und innerer Wertung der Dinge. 

Oppenheimer fordert für die Bewertung der wirtschaftlichen 
Handlungen einen eigenen Richtigkeitsmaßstab69). Jede Handlung, 
die mit dem kleinsten Aufwande kostender Mittel den größten Erfolg 
zu erreichen strebe, sei wirtschaftlich richtig, unbeschadet aller 
abweichenden Beurteilung, die sie um der Eigenart ihres Zieles 
oder ihrer Mittel willen vielleicht vor anderen Richterstühlen finden 
möge. ' a5, 
Wer z.B. in seiner Umgebung den aufs höchste ersehnten 
Ruhm eines arbiter elegantiarum nur dadurch erringen könne, 
daß er zum Anzünden seiner Zigaretten Tausendmarkscheine oder 
Originalradierungen verwende, handele wirtschaftlich angemessen. 
so sehr man ihn vom Standpunkte allgemeiner Vernunft aus einen 
Verschwender schelten möge. Diese Handlung wäre nur unwirt- 
schaftlich, wenn sie die Möglichkeit fernerer Bedürfnisbefriedigung 
im Rahmen des vom Subjekte sich gesetzten Planes in Frage stellen 
würde. Es soll also gewissermaßen der juristische Verschwendungs- 
begriff auch für die Oekonomik gelten, denn eine Entmündigung 
muß immer das Verhältnis des Vermögens zu den Ausgaben berück- 
sichtigen und trifft nur den, der seinen Vermögensstamm angreift, 
nicht z. B. den Millionär, der jährlich 30000 M. unsinnigen Launen 
opfert. Diese Begriffsbestimmung ist durch die Unterscheidung 
zu ergänzen, daß die Begriffe des „größten Erfolges“ und des 
„kleinsten Mittels“ subjektiv vom Standpunkte des Handelnden 
aus und objektiv von dem der Gesellschaft nach dem Stande ihrer 
jeweiligen Erkenntnis erfaßt werden können. Je nach Anwendung 
des einen oder anderen dieser Maßstäbe ist eine Handlung dann 
objektiv-gesellschaftlich oder subjektiv-individualwirtschaftlich zu 
nennen. Der Einzelne, der in materiellem Genuß, z. B. im Opium- 
rausche den größten durch die Verwendung seiner Mittel erreich- 


69) Die folgenden Angaben verdanke ich gütiger- persönlicher Mitteilung 
Herrn Dr. Oppenheimers. Literarischen Ausdruck haben sie noch nicht gefunden, 
doch ist eine Umarbeitung des entsprechenden Teiles der „Reinen und Politischen 
Oekonomie“ im Sinne dieser Anschauungen zu erwarten. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 787 


baren Erfolg erblickt, handelt zwar unhygienisch, unmoralisch und 
unvernünftig, wenn er diesem Ziele seine Güter opfert, bleibt aber 
vollkommen in den Grenzen subjektiv-wirtschaftlicher Angemessen- 
heit, wenn er seine Einkommensverwendung nur so einrichtet, daß 
sein Vermögen ihm diese Lebensweise für einen Zeitraum von nor- 
maler Länge ermöglicht. Seine Handlungsweise verstößt aber wider 
das ökonomische Interesse der Gesellschaft. Diese ist nicht wie 
das Individuum auf eine begrenzte Daseinsspanne, sondern auf die 
Dauer gegründet. Ihre Ziele unterliegen nicht der Individualwillkür, 
sondern ergeben sich unwandelbar aus ihrer ewigen Bestimmung als 
Herrin der Erde: die höchste Fruktifizierung aller ihr gehörigen 
Güter persönlicher und sachlicher Art als Glieder ihres Arbeits- 
und Verbrauchsorganismus. Im Schutze und auf Kosten der Ge- 
sellschaft entwickeln sich die Kräfte der Einzelnen, diese werden 
so selber zu kostenden Mitteln der Gesellschaft. Den höchsten Ertrag 
vermögen sie der Gesellschaft nur zu leisten, wenn sie ihr Leben 
unter die Herrschaft der Gesellschaftszwecke stellen -und nach den 
Lehren ihrer moralischen, hygienischen und intellektuellen Erkennt- 
nis einrichten. Jedeindividualistische Vorenthaltung oder Verschleude- 
rung eines Gutes schädigt das Interesse der Gesellschaft, ver- 
ringert den Ertrag ihrer kostenden Mittel und ist daher nicht nur 
unmoralisch und unvernünftig, sondern gesellschaftlich gemessen 
auch unökonomisch. Während also die subjektiv-ökonomische Ra- 
tionalität mit den Anforderungen der Moral, Hygiene und Vernunft 
als Auswirkungen der allgemeinen Rationalität in Widerspruch 
geraten kann, ist die gesellschaftlich-ökonomische Rationalität mit 
ihnen identisch, sie ist die Rationalität der Gesellschaft schlechthin. 
Die Inhaber von Bordellen und Destillen, die von geringem Kapital- 
aufwande ungewöhnliche Verzinsungen erleben, handeln subjektiv 
durchaus ökonomisch, verletzen aber die Gebote der Moral und der 
Volkshygiene und darum auch die der gesellschaftlichen Oekonomik, 
da sie die Volksgesundheit gefährden und schädigen und damit die 

Gesellschaft um persönliche Güter berauben. 
So weit wollen wir mit Oppenheimer gehen. Die Harmonie der 
gesellschaftlich-ökonomischen mit den sittlichen Werten ist stets 
erst auf höheren Stufen der Entwicklung erkannt worden. Den 
deutschen Arbeiterschutzgesetzen mußte erst die individualistische 
Schrankenlosigkeit der Gründerjahre vorangehen, ehe der Sozialis- 
' mus die Schäden offenbarte. Jede gesellschaftsfeindliche Wirtschafts- 
gebarung trägt aber in ihrer lediglich im Sonderinteresse ruhenden 
Verankerung den Keim der Vergänglichkeit. Führt die Richtung 
des Bedürfnisses zu einem wirklichen Zusammenstoße zwischen In- 
dividual- und Allgemeininteresse, so muß es dabei nach uraltem 
Stärkegesetze einmal erliegen. Der sittlich Wollende dagegen handelt 
im Einklange mit den „frei wollenden“ Gliedern seiner Gemeinschaft, 
wie Kant sie nennt. Seine von der Gesamtheit gebilligten, mit 
ihrem Wohle verknüpften Ziele ruhen im Schutze des „richtigen 
Rechtes“ und die historischen Rechtsordnungen bemühen sich um 

50* 


188 Joachim Tiburtius, 


ihre Sicherstellung. Nur die sittliche Handlung liefert also auf 
die Dauer den höchsten Ertrag, ist demnach allein gesellschaftlich 
wirtschaftlich. 

Wir gewinnen somit eine doppelte Wertung der Wirtschaftlich- 
keit menschlicher Bedürfnisse und Handlungen: 

1. Eine relativ-subjektive, deren Kriterium die gewisser- 
maßen technische Fähigkeit einer Handlung ist, innerhalb der vom 
Willen des Subjektes gewählen Bedürfnisbahn die größten Erfolge 
mit geringstem Kostenaufwande zu erreichen. 

2. Eine absolut-objektive, welche die Bedeutung der mit 
einem Kostenaufwande erstrebten Ziele für die Gesellschaft zu- 
grunde legt. 


Schlußwort. 


1) Die Stellung der Wirtschaftswissenschaft zur Lehre von den Motiven 
der Wirtschaft. 2) Die Stellung der Bedürfnislehre innerhalb der Wirtschafts- 
wissenschaft. 

Unsere Untersuchung galt der subjektiven Seite der mensch- 
lichen Wirtschaft. Die Auswahl dieses Gebietes bedarf einer Recht- 
fertigung wohl nur gegenüber der Gegenmeinung Schumpeters "01, 
der es für die Oekonomik ablehnt, sich mit der Erklärung des wirt- 
schaftlichen Handelns abgeben zu sollen, hierin Aufgaben für Bio- 
logie und Metaphysik erblickt. Die Volkswirtschaftslehre könne nur 
den gegenwärtigen Stand der Güterverteilung und die etwa erkenn- 
baren Tendenzen zu einer Verschiebung darstellen. Die Frage bleibt 
offen, worin diese Tendenzen anders gefunden werden könnten, als ' 
in einer Veränderung der Bedürfnisse und Leistungen. Die Beob- 
achtung selbsttätiger Güterbewegungen müßte gerade als eine Ueber- 
tragung biologischer Methoden in die Oekonomik anmuten. Die 
Begründung dieses Hylozoismus ist wenig überzeugend. Schumpeter 
behauptet, die Befriedigung der Bedürfnisse sei ein Problem der 
Technik, der Physiologie und der Kulturgeschichte. Das soll gewiß 
nicht bestritten werden. Es ist kein ökonomisches Problem, zu 
ergründen, warum und woher ein Bedürfnis bestimmter Art auf- 
tauche, welcher mechanische Hergang es am besten befriedige. 
Die Wirtschaftswissenschaft wird auch nicht über jedes Bedürfnis 
ein Aktenstück anlegen, aber sie soll den Einfluß der einzelnen Be- 
dürfnisse auf die Wirtschaft darstellen und die Entwicklung der 
Bedürfniskurve zu schildern versuchen. Schumpeter möchte den 
Effekt in der Wirtschaftsentwicklung feststellen, verkennt aber, 
daß dies ein Studium des Bedürfnisstandes voraussetzt. Er meint, 
mit der Ableitung des wirtschaftlichen Handelns aus den Wert- 
urteilen begäben wir uns auf fremdes Gebiet. Vorgänge, deren zeit- 
liche Aufeinanderfolge wir wahrnähmen, ohne ihre Natur beurteilen 
zu können, setzten wir in ursächliche Beziehung zueinander. Nur 
die Selbstbeobachtung ermögliche dabei einen sicheren Schluß, gelte 


70) Das Wesen und der Hauptinhalt der Nationalökonomie. 


Der Begriff des Bedürfnisses. 789 


indes nur für ein Individuum. Mit dieser Feststellung Schumpeters 
ist der Weg zur Erforschung des Individualbedürfnisses gegeben. 
Die durch Statistik und Enquete vermittelte Sammlung von Selbst- 
beobachtungen gibt ein erweitertes Bild. Soweit die Wirksamkeit 
der Bedürfnisse in der Nachfrage erforscht werden soll, bietet ja 
auch die Preisbewegung einen zuverlässigen Maßstab, der nur die 
objektiven Bedingungen auf der Angebotsseite in Abzug zu bringen 
nötigt. 

Die Bedürfnislehre zu einer selbständigen Disziplin unter dem 
Namen einer Chreonomie zu erheben, ist ein Vorschlag Cùhels, der 
ihr Wesen im polaren Gegensatze zu Schumpeter ebensosehr ver- 
kennt. Das Gebiet der Bedürfnisse gehört vielen Wissenszweigen 
an, die weder seine einseitige Inanspruchnahme für die Wirtschafts- 
lehre, noch eine eklektische Zusammenfassung zu einer neuen Diszi- 
plin zulassen. Das Reich der Bedürfnisse ist das Leben in seinem 
Gesamtumfange; Leben heißt Bedürfnisse haben und befriedigen, 
die Anpassung innerer an äußere Relationen nach Spencer. Diese 
Erkenntnis sollte den alten Streit verstummen lassen, ob die Na- 
tionalökonomie ihrer Motivlehre den Menschen in allen Seiten seines 
Wesens oder nur seinen „Eigennutz“ zugrunde zu legen habe. Denn 
was ist die Eigennützigkeit eines Menschen anderes, als die Summe 
seiner Bedürfnisse? Die Geschichte und Theorie der menschlichen 
Bedürfnisse ist eine Darstellung der menschlichen Wertvorstellungen 
und ihres Ausdruckes im Verhalten ihrer Subjekte. Wert haben 
heißt nach v. Wieser wichtig sein für die Befriedigung eines Be- 
dürfnisses?1). Das Bewußtsein dieser Abhängigkeit führt zu einem 
Bedürfnisse nach dem Wertdinge’??). Allein die Bedürfnislehre 
berichtet darüber, was bisher als wertvoll gegolten hat. Soweit sie 
über die wirtschaftlichen Ergebnisse der Wertvorstellungen Aus- 
kunft gibt, gehört sie der Oekonomik an. Dieser verhilft die Be- 
dürfnislehre zu einem eigenen Wertbegriffe, durch dessen Ab- 
grenzung von den Wertgesetzen anderer Wissenschaften sie zu 
einer Förderung aller menschlichen Erkenntnis noch berufen scheint. 


Verzeichnis der für die Arbeit benutzten Schriften. 


Lujo Brentano, Versuch einer Theorie der Bedürfnisse. Sitzungsberichte 
der Königl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 1908. 

Franz Cühel, Zur Lehre von den Bedürfnissen. Theoretische Unter- 
suchungen über das Grenzgebiet der Oekonomik und Psychologie, Innsbruck 1907. 

August Döring, Philosophische Güterlehre, Berlin 1888. 

Gossen, Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehres und der 
daraus fließenden Regeln für das menschliche Handeln. 1889. 

Jacob Grimm, Wörterbuch der deutschen Sprache. 

B. Gurewitsch, Die Entwicklung der menschlichen Bedürfnisse und die 
soziale Gliederung der Gesellschaft. Schmollers Foschungen, Bd. XIX, 4, Leipzig 1901. 


71) 72) So auch Meinong a. a. O. S. 6/9. 


790 Joachim Tiburtius, Der Begriff des Bedürfnisses. 


v. Hermann, Staatswirtschaftliche Untersuchungen, München 1870. 

E. v. Ihering, Der Zweck im Recht, 4. Aufl., Leipzig 1904. 

Kraus, Das Bedürfnis. Ein Beitrag zur beschreibenden Psychologie, Leip- 
zig 1889. 

Lexis, Artikel „Bedürfnis“ im Wörterbuche der Volkswirtschaftslehre I, 1, 

Jena 1911. 

Meinong, Psychol.-ethische Untersuchungen zur Wertlehre, Graz 189. 

Münsterberg, Philosophie der Werte, Leipzig 1908. Psychologie und 
Wirtschaftsleben, Leipzig 1912. 

Oppenheimer, Theorie der reinen und polit. Oekonomie, Berlin 1910. 
Schriften der deutschen Gesellschaft für Soziologie, Bd. 2, Tübingen 1913. 

Paulsen, System der Ethik, Bd. 1. 

v. Philippovich, Grundriß der polit. Oekonomie, Bd. 1, 9. Aufl., Tü- 
bingen 1911. 

Roscher, Grundlagen der Nationalökonomie, 24. Aufl., 1906. 

Sax, Wesen und Aufgaben der Nationalökonomie, Wien 1884. Grundlegung 
der theoretischen Staatswirtschaft, Wien 1887. 

Schäffle, Das gesellschaftliche System der menschlichen Wirtschaft, BL 
3. Aufl., 1873. Bau und Leben des sozialen Körpers, Bd. 3, 2. Aufl., 1896. 

v. Schmoller, Grundriß der Volkswirtschaftslehre, Bd. 1, 4. Aufl., 1901. 

Schumpeter, Das Wesen und der Hauptinhalt der Nationalökonomie, 1908. 

Suabedissen, Grundzüge der Lehre vom Menschen, (Marburg und 
Cassel) 1829. 

Vierkandt, Die Stetigkeit im Kulturwandel, Leipzig 1908. 

Wagner, Grundlegung der polit. Oekonomie, Bd. 1, 3. Aufl., Leipzig 189. 

Wahle, Das Ganze der Philosophie und ihr Ende. Wien und Leipzig 18%. 

v. Wieser, Ursprung und Hauptgesetze des wirtschaftlichen Wertes (ab- 
gekürzt als Ursprung“), Wien 1884. 

Wundt, Grundriß der Psychologie, 10. Aufl., Leipzig 1911. 


Miszellen. 791 


Miszellen. 
XXII. 
Ueber die Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich 
Bayern. 


Ein Beitrag zur Berechnung der spezifischen Bevölkerung überhaupt. 
Von Dr. oec. publ. Ernst Müller, München. 


Der Geburtenrückgang steht gegenwärtig so sehr im Vordergrunde 
der literarisch-demographischen Tätigkeit, daß manches andere demo- 
graphische Kapitel, welches gar nicht nebensächlich ist, leider nur 
wenig gefördert wird. Oder ist etwa zur Bevölkerungsdichtig- 
keit wieder ein ähnlich wertvoller Beitrag geliefert worden, wie 
v. Mayrs Abhandlung über die Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich 
Bayern 1), eine Studie, welche auf das Jahr 1868 (!) zurückgeht? Und 
einen wissenschaftlich befriedigenden Aufschluß über die Bevölke- 
rungsdichtigkeit zu geben, ist doch gar keine so leichte Aufgabe, wie 
mancher vielleicht glaubt. Wer nämlich meint, es handle sich dabei 
bloß um zahllose, viel Zeit erfordernde, Be- und Umrechnungen, der 
irrt sich doch etwas. Man steht hier auch Problemen gegenüber, deren 
Lösungsversuche sogar „Kopfzerbrechen“ verursachen. Das war wohl 
letzten Endes der Grund, warum der ‚Altmeister‘ deutscher Bevölke- 
rungsstatistik, Georg v. Mayr, vor fast schon 50 Jahren sich so liebe- 
voll mit der Lösung dieses demographischen Problems befaßte, welches 
durch die inzwischen vor sich gegangene ökonomisch-demologische Ent- 
wicklung nur noch problemhafter wurde. 

Unter Bevölkerungsdichtigkeit oder Bevölkerungsdichte versteht man 
das Zahlenverhältnis zwischen Flächen- und Bevölkerungsgröße eines 
gegebenen Gebietes. Durch dieses Verhältnis wird die relative oder 
spezifische Bevölkerung zahlenmäßig fixiert. Dies gewöhnlich so, 
daß man feststellt, wie viele Einwohner z. B. in Bayern auf 1 qkm 
Areal dieses Königreichs treffen. Dabei entfällt jede weitere Dif- 
ferenzierung der Menschen- und Flächenmassen. Diese kommen hier 
nur in ihrer allgemeinsten Erscheinungsform in Betracht. Die Be- 
ziehungen zwischen Bevölkerung und Fläche werden untersucht in 
summarischer Weise für bestimmt abgegrenzte Flächenteile und die 
dazu gehörige Bevölkerungsbestandsmasse. Es wird dabei keine Rück- 


1) Diese Abhandlung ist erschienen im 20. Hefte der Beiträge zur Statistik 
des Königreichs Bayern, München 1868, Seite XXV ff. 


792 Miszellen. 


sicht genommen auf die Unterschiede in der Verteilung der Bevölkerung 
innerhalb der Flächenteile. 

Wenn der Demograph von Bevölkerungsdichtigkeit spricht, so liegt 
diesem Begriff die Annahme der gleichen Streuung der einzelnen Men- 
schen über das Beobachtungsgebiet zugrunde. Diese Annahme ent- 
spricht nun wohl zwar nirgends der Wirklichkeit, ist aber doch un- 
erläßlich, wenn eine Vergleichung der Bevölkerungsintensität verschie- 
dener Bezirke nach gleichem Maßstab versucht werden soll. Eine solche 
Vergleichung ist aber nur möglich, wenn die in Raum und Zeit so viel- 
fältigen Verschiedenheiten der Wirklichkeit innerhalb gewisser räum- 
licher Begrenzungen in einem ermittelten Durchschnitt ausgeglichen 
werden. Wenn also, mit anderen Worten, die Wirklichkeit vereinfacht 
umgebildet zur Darstellung gebracht wird an Stelle der auch in der 
Demographie nicht möglichen unmittelbaren Abbildung. Die räum- 
lichen Abgrenzungen sind dabei so vorzunehmen, daß nicht Ungleiches 
in einen unrichtigen Durchschnitt zusammengeworfen wird. Welcher 
ist nun aber der richtige Durchschnitt? Offenbar wohl jener, welcher 
den unendlich vielfachen wirklichen Ergebnissen weder so ferne steht, 
daß die ganze Vielgestaltigkeit derselben verloren geht, noch ihnen so 
nahe steht, daß die übergroße Zahl der Einzeltatsachen das Gesamt- 
ergebnis gar nicht oder nur undeutlich erkennen läßt. 

Was ergibt sich nun aus diesen theoretischen Erörterungen für die 
Klarlegung der Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich Bayern? Wir 
dürfen und können uns nicht begnügen mit der Vergleichung der 
Dichtigkeitszahlen des Königreichs im ganzen und seiner 8 Regierungs- 
bezirke, sondern wir müssen solche Zahlen bringen auch für die nächst 
untere Stufe der administrativen Einteilung. Das sind die Bezirksämter. 
Diese Aemter sind in ihren Grundzahlen, Areal und Bevölkerungsgröße, 
hinreichend klein, um die wesentlichen Verschiedenheiten in der Be- 
völkerungsdichtigkeit nicht zu sehr zu verwischen. Diese Aemter sind 
dann aber auch in ihren Grundzahlen doch wieder hinreichend groß, 
um überhaupt einer Vergleichung von Areal und Bevölkerung einen 
Wert zu verleihen. Das Areal der 163 bayerischen Bezirksämter (ohne 
Städte) liegt zwischen 82 (Speyer) und 1172 qkm (Traunstein). Ueber 
weitere Einzelheiten orientiert folgende Uebersicht: Von den Bezirks- 
ämtern hatten ein Areal von 


82— 100 qkm ı der Aemter 


10I— 200 „ 4 » HI 
20I— 300 en 20 ,„ nm 
301— 400 „ 40 o D 
401— 500 „ 40 y nm 
501— 600 n 3I y nm 
601— 700 y» 15 » nm 
701— 800 nm 8 ” H 
801— 90 5, 2 » H 
901—1000 , KT HI 
I00I—IIOO , Lë „ 
1101—1172 ,„ In ep 
zus. 163 


Miszellen. 793 


Wie steht es nun aber mit einer Vergleichung von Areal und Be- 
völkerung in Form von Dichtigkeitszahlen bei den bayerischen Städten ? 
Das Areal derselben ist überall im Königreiche so wenig ausgedehnt 
— das Areal der Städte beträgt 1400 qkm oder 1,9 Proz. der Gesamt- 
fläche Bayerns von 75870 qkm —, daß Dichtigkeitszahlen der Städte 
im Rahmen dieser Studie eigentlich sinn- und wertlos sind. So würde 
z. B. die Stadt Lindau bei einem Areal von 0,59 qkm 11200 Einwohner 
auf 1 qkm am 1. Dezember 1910 gehabt haben, München am gleichen 
Tage 6702, Nürnberg 5017 Einwohner pro 1 qkm seiner Fläche, welche 
im ersteren Falle 89, im letzteren Falle 66 qkm betrug. Bei einer 
statistischen Klarlegung der Bevölkerungsdichtigkeit schaltet man darum 
die städtischen Gebiete zweckmäßig aus der Darstellung aus und stellt 
ihre absolute Bevölkerung der spezifischen der bezirksamtlichen „länd- 
lichen“ Umgebung gegenüber. So hat es schon seinerzeit v. Mayr ge- 
macht, weil er es als methodisch richtig erkannte. Und dem „Meister“ 
glauben wir hier doch wohl folgen zu dürfen? Ausgeschaltet wurden 
nun die 44 sogenannten „unmittelbaren“ Städte des Königreichs. Außer- 
dem aber aus Gründen exakter Vergleichbarkeit der Daten noch 15 Ge- 
meinden in der Rheinpfalz, die ihrer Einwohnerzahl nach de facto ebenso 
gut als Städte auftreten können, wie z. B. die „unmittelbare Stadt“ Neu- 
markt in der Oberpfalz mit 6375 Einwohnern (absolut) bei der letzten 
Volkszählung. Die 15 linksrheinischen Gemeinden sind: Dürkheim, 
Edenkoben, Frankenthal, Germersheim, Haßloch, Homburg, St. Ingbert, 
Kaiserslautern, Ludwigshafen a. Rh., Neustadt a. H., Oggersheim, Pir- 
masens, Schifferstadt, Speyer und Zweibrücken. Wegen ihrer ver- 
gleichsweise hohen Einwohnerzahl haben wir dann im rechtsrheinischen 
Bayern, um möglichst exakt zu sein, noch ausgeschaltet aus den zuge- 
hörigen Aemtern: Bad Reichenhall, Lechhausen, Passing, Schwandorf, 
Selb und Weiden. Würden wir diese 21 Städte nicht ausgeschieden 
haben, so bekämen wir eine vergleichsweise viel zu hohe Dichtigkeit. 
Was das praktisch bedeutet, möge man sich an folgendem Beispiel klar 
machen. Im oberpfälzischen Bezirksamt Regensburg kamen am 1. De- 
zember 1910 nach unserer Methode auf jeden seiner 618 qkm Areal 
49 Einwohner. Ziehen wir nun aber die 20 qkm umfassende Fläche 
und die 56624 Einwohner der Stadt Regensburg in die Berechnung der 
spezifischer Bevölkerung mit ein, so kommen wir zu einer Bevölkerungs- 
dichte dieses Bezirksamtes von 137 Einwohnern pro 1 qkm Areal. 
88 Einwohner mehr pro Quadratkilometer wäre aber doch eine (ver- 
gleichsweise) viel zu hohe relative Bevölkerung, weil sie dem tatsäch- 
lichen Dichtegrad des Bezirksamtes geradezu widerspricht. Ueber einen 
solchen Widerspruch kann sich kritiklos eigentlich nur hinwegsetzen, 
wer fest und steif glaubt, daß von 1000 Menschen, von welchen nur 
einer 1 Mill. M. Vermögen besitzt, die restlichen 999 aber nur je 
1000 M., ein jeder tatsächlich doch 1999 M. besäße, weil das ein 
kritiklos hingenommener, Respekt einflößender Durchschnitt aussagt. 

Die 44 + 21 = 65 ausgeschiedenen Städte beanspruchten, wie ge- 
sagt, nur 1,9 Proz. der Gesamtfläche, hatten aber am 1. Dezember 1910 


794 Miszellen. 


doch 2,236 Mill. Einwohner oder 32,4 Proz. der Bevölkerung des 
ganzen Königreichs. 

Auf die für einwandfreie zeitliche Vergleiche der Dichtigkeits- 
zahlen vorzunehmenden umfangreichen Umrechnungen, welche durch 
die in neuerer Zeit erfolgte Vermehrung der Bezirksämter — im Jahre 
1871 waren es nur 151, jetzt sind es 163 — sowie der unmittelbaren 
Städte — jetzt 44, im Jahre 1871 36 — und durch die inzwischen 
erfolgten zahlreichen Eingemeindungen (zu München, Nürnberg etc.) 
verursacht wurden, soll hier nicht näher eingegangen werden. Es dürfte 
über diese, viel Zeit beanspruchende Angelegenheit folgende methodische 
Bemerkung genügen: Wenn man z. B. die Bevölkerungsdichtigkeit 
des Bezirksamtes München zu verschiedenen Zeitpunkten miteinander 
vergleichen will, so wird man zu exakten Vergleichen ohne die räum- 
liche Identität dieses Amtes, welche erst zu fixieren ist, natürlich nicht 
gelangen können. Der Inhalt des „Gefäßes‘“ für die je nach der Zeit 
dünnere oder dichtere Bevölkerung muß, mit anderen Worten, stets der- 
selbe sein, wenn die Dichtigkeitsvergleiche exakt sein sollen. 

Mit wenigen Ausnahmen haben wir alle folgenden Dichtigkeits- 
zahlen erst berechnen müssen, indem wir immer die fragliche Fläche 
in die zugehörige Bevölkerungsgröße dividierten. Das Material zu 
diesen Divisionen entnahmen wir den sogenannten Gemeindeverzeich- 
nissen, in denen bekanntlich das geographische Detail der Volkszählungs- 
ergebnisse mitgeteilt wird. Die bayerischen amtlichen Publikationen 
dieser Ergebnisse enthalten seit dem Jahre 1890 im einleitenden Bericht 
über die Ergebnisse der Volkszählungen auch Dichtigkeitszahlen für 
das Königreich und die einzelnen 8 Regierungsbezirke. Der Bericht für 
das genannte Volkszählungsjahr bringt solche Zahlen auch für die ein- 
zelnen Bezirksämter, Zahlen, welche wir aber jetzt nicht mehr ver- 
werten können, da das heutige Areal der Aemter mit jenem des Jahres 
1890 nicht mehr identisch ist. Im neuesten Gemeindeverzeichnis vom 
Jahre 1910 fehlt nun der einleitende Bericht, also auch die sonst ge- 
brachten Dichtigkeitszahlen. Aber auch in der eingehenden textlichen 
Würdigung der Ergebnisse der letzten Volkszählung in der Zeitschrift 
des bayerischen statistischen Landesamtes (Jahrgang 1911, S. 541 ff.) 
finden sich merkwürdigerweise keine Dichtigkeitszahlen. „Offizielle“ 
Zahlen dieser Art, aus neuestem Material berechnet, begegnen einem 
zuerst im bayerischen statistischen Jahrbuch 1911 in Spalte 6 der 
Tabelle über die ortsanwesende Bevölkerung nach dem Geschlecht. Wie 
stiefmütterlich wird neuerdings doch die Bevölkerungsdichtigkeit von 
dem gleichen Amt behandelt, welches diesem demologischen Gegenstand 
einst, da v. Mayr dort so erfolgreich wirkte, so großes wissenschaftliches 
Interesse entgegenbrachte. Tempora mutantur ! 1). 


1) Dazu ist aber doch zu bemerken, daß nicht alle statistischen Aemter die Be- 
völkerungsdichtigkeit gleich stiefmütterlich behandeln. So wurden beispielsweise vom 
Großh. badischen statist. Landesamte auch für das Jahr 1910 wieder Dichtigkeitszahlen 
für alle einzelnen Bezirksämter, aber nur mit Einschließung der Städte, berechet. Das 
Ergebnis davon ist abgedruckt in Sondernummer II der „Statistischen Mitteilungen für 
das Großherzogtum Baden“, Jahrg. 1911, S. 28 u. 27. 


Miszellen. 795 


Wenn wir nun von diesen spärlichen amtlichen Berechnungen über 
die Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich Bayern ausgehen, so kamen 
(das Königreich als Ganzes genommen) !) 

im Jahre 1910 or Einwohner auf I qkm Areal 

» » 1905 86 ”» nii» o 

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DA LU 1875 66 HI ” 
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Stellt man die Dichtigkeitszahlen der Jahre 1871 und 1910 ein- 
ander gegenüber, so ergibt sich eine Zunahme von 21 Einwohnern auf 
1 qkm Fläche. Fast die Hälfte dieser Zunahme fällt in das abge- 
laufene Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts, ein Zeichen für die ver- 
gleichsweise günstigere Entwicklung der bayerischen Bevölkerungs- 
bewegung. 

Wie sah nun vollends die Bevölkerungsdichtigkeit im Königreich 
Bayern vor der Reichsgründung aus? Die Antwort auf diese sicher nicht 
unberechtigte „historisch‘-statistische Frage erteilen folgende Zahlen 7: 
Es kamen im ganzen Königreich (einschließlich der Städte) 

im Jahre 1861 6r Einwohner auf ı qkm Areal 

LA » 1849 59 HI D 
» » 1840 57 D D 
» » 1834 55 » » 


» » 1830 54 v 3 
s o 1816 47 D D 


Im Zeitraum 1816/1871, also in 55 Jahren, nimmt die Dichtigkeit 
zu nur um 15 Einwohner, was nicht mehr ist als die Zunahme im 
Zeitraum 1895/1910. Zeiträume ungeheuer verschiedener ökonomisch- 
demologischer Entwicklung stehen sich eben hier gegenüber! Fast ein 
Jahrhundert einer solchen großen Entwicklung spricht nicht zuletzt auch 
aus der Tatsache, daß im Zeitraum 1816/1910 die Bevölkerungs- 
dichtigkeit sich um 44 Einwohner oder 93,6 Proz. erhöhte. 

Steigen wir nun nach diesem ersten allgemeinen, orientierenden 
Ueberblick über die Dichtigkeit der bayerischen Bevölkerung zur Dar- 
stellung derselben in die nächst unteren Verwaltungsverbände, die Re- 
gierungsbezirke3) herab. Schon bei dieser Operation zeigt sich, wie 
sehr die Durchschnittszahlen des ganzen Landes große tatsächliche 
Unterschiede in der Bevölkerungsdichtigkeit verwischen. Es kommen 
nämlich auf 1 qkm Areal Einwohner 


za ra o ro rn ra ra 


en en ra Fa ra 
X 


1) Die Städte sind nicht ausgeschieden. 

2) Weil diese Zablen letzten Endes auf eine etwas andere Erhebungsmethode 
zurückgehen, können die obigen Vergleiche der Jahre vor und nach 1871 nicht 
ganz exakt genannt werden. In Ermangelung eines Besseren wird aber der Demo- 
graph, der bekanntlich kein umfangreiches „historisches“ Material besitzt, diesen 
kleinen Schönheitsfehler wohl oder übel mit in Kauf nehmen müssen. 

3) Die Städte sind noch nicht ausgeschieden. 


796 Miszellen. 

1910 1900 1890 1880 1871 1910 mehr 

gegen 1871 
im Königreich!) als Ganzes 91 81 73 69 64 27 
dagegen in 

Oberbayern 92 79 66 57 50 42! 
Niederbayern 67 63 62 60 56 1 
Rheinpfalz 158 140 121 114 104 54! 
Oberfalz 62 57 56 54 50 12 
Oberfranken 95 87 82 82 77 18 
Mittelfranken 123 108 93 84 77 46! 
Unterfranken 85 77 73 74 69 16 
Schwaben 80 72 67 64 59 2I 


Verglichen mit dem Durchschnitt des ganzen Landes, bleiben im 
Jahre 1910 zurück hinter ihm die Oberpfalz um 29, Niederbayern um 
25, Schwaben um 11 und Unterfranken um 6 Einwohner. Die ober- 
bayerische Zahl übertrifft die des ganzen Landes um 1, die obər- 
fränkische sie um 4, die mittelfränkische sie um 32 und die der Rhein- 
pfalz endlich sie um 47 Einwohner pro Quadratkilometer Fläche. 
Weitere Einzelheiten möge man aus der Uebersicht selbst entnehmen. 

Hat nun das Königreich Bayern eine hohe oder niedrige Bevölke- 
rungsdichte? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir die baye- 
rischen Zahlen einmal mit den entsprechenden Zahlen der an das 
Königreich bzw. seine Teile angrenzenden Staaten bzw. Staatsteile 
vergleichen. Dazu bringen wir in folgender Uebersicht ?) eine Anzahl 
von uns eigens für diesen Zweck berechneter Zahlen. Es kamen Ein- 
wohner auf 1 qkm Fläche in 


; Bayern |y-, IS - | Ober 

Jahr rechts D DEU") Baden ser ie Böhmen | öster eg Tirol 
a. Rheins erg assau ac Sai f | reich ER x 

1910 85 | 125 142 141 | 320 130 Mi 30 | 3 
1871 Do |] 93 97 89 280 _ er BE = 
1869 = 4 = — — — 9 | 61 21 30 

im | Bayern | Regierungsbezirk i Landesbezirke 
Jahı links des|Unterelsaß| Lothringen = „= | Rhein- Se 

a. Rheins | Trier | Koblenz hessen Mannheim| Karlsruhe 
1910 158 146 | 105 141 121 | 279 | 179 | 237 
1871 104 | 125 | 79 82 88 181 | 107 | 1% 


Hinter den Relativzahlen des rechtsrheinischen Bayern bleibt zurück 
für das Jahr 1910 die analoge oberösterreichische um 14, die von Tirol 
um 50, die salzburgische um 55 Einwohner. Die böhmische Zahl da- 
gegen übertrifft die bayerische um 45 Einwohner. Von deutschen an- 
grenzenden Ländern hat Württemberg 40, Hessen-Nassau 56, Baden 57, 
das Königreich Sachsen gar 235 Einwohner pro Quadratkilometer Areal 
mehr als der Nachbar Bayern. Hinter der spezifischen Bevölkerung des 
linksrheinischen Bayern mit 158 Einwohnern im Jahre 1910 bleibt 
zurück die lothringische um 53, die vom Regierungsbezirk Koblenz um 


1) Die Städte sind noch nicht ausgeschieden. 
2) Die Städte sind nicht ausgeschieden. 


Miszellen. 797 


37, die von Tier um 17 und die unterelsässische um 12 Einwohner. 
Die relative Bevölkerung der badischen Landesbezirke Mannheim und 
Karlsruhe übertrifft die rheinpfälzische, und zwar die eine um 21, die 
andere um 79 Einwohner pro Quadratkilometer Fläche. Rheinhessen 
übersteigt die rheinbayerische gar um 121 Einwohner. Im übrigen 
mögen die obigen Uebersichten für sich selbst sprechen. 

Det allen bis jetzt vorgeführten Zahlen waren die Städte nicht aus- 
geschieden. Scheidet man sie nun aus, so treffen auf 1 qkm ‚Areal 
des Königreichs Einwohner: 

im Jahre 1910 1900 1890 1880 1871 

62 58 55 55 53 

gegen 9I 81 73 69 64 
wenn die Städte nicht ausgeschieden werden. Während in letzterem 
Falle die relative Bevölkerung im Zeitraum 1871/1910 um 27 Ein- 
wohner pro 1 qkm Areal zunimmt, läßt sich im ersteren Falle nur 
eine Zunahme von 9 Einwohnern feststellen. Aus der Uebersicht ist 
weiter auch zu entnehmen, daß die Differenzen zwischen beiden Dichtig- 
keitszahlen desselben Jahres im Laufe der Zeit immer größer werden. 
Die Differenz von 11 Einwohnern für das Jahr 1871 erhöht sich näm- 
lich bei den späteren Volkszählungen auf 14:18:23 und 26. Die Er- 
klärung dafür gibt folgende Zusammenstellung: Die Bevölkerungsgröße 

der 65 ausgeschiedenen Städte betrug 
im Jahre 1910 2,236 Mill. Einwohner oder 32,4 Proz. der Gesamtbevölkerung 


DI DI 1900 1,868 n » » 30,0 DI n Hi 
HI DI 1890 1,420 31 n » 25,4 n » » 
n n 1880 1,1 22 HI HI DI 2 I ‚2 UI n » 
nm ah 18710,8956" „ » vw 88 u» » 


Dio Bevölkerungsgröße der Städte hat sich demnach im Zeitraum 
1871/1910 vermehrt um 1,341 Mill. Einwohner oder um 150,8 Proz. 
des Bevölkerungsstandes vom Jahre 1871. Eine derartig große Be- 
völkerungszunahme ist aber bei der Bevölkerungsgröße des Königreichs 
ohne Städte nicht erfolgt. Denn in diesem Falle betrug die Bevölke- 


rungsgröße 
im Jahre 1910 4,551 Mill. Einwohner oder 67,6 Proz. der Gesamtbevölkerung 
Ui DI 1900 4,337 » n Hi 70,0 UI Hi n 
n Hi 1890 4,175 UI Hi DI 74,6 HI n D 
DI nm 1880 4,163 „, » nm 78,8 » n DI 
Hi » 1871 3,968 UI n Di 81,7 Hi 31 n 


Die Bevölkerungsgröße des Landes ohne Städte nahm also im 
Zeitraum 1871/1910 zu nur um 0,683 Mill. Einwohner oder um nur 
17,2 Proz. des Bevölkerungsstandes vom Jahre 1871. Die Bevölkerung 
des Königreichs ohne Städte nimmt zwar von Volkszählung zu Volks- 
zählung noch absolut zu, aber relativ doch ab, da ihr Prozentanteil am 
gesamten Bevölkerungsstand fortwährend abnimmt. 

Die zunehmende Verstadtlichung der bayerischen, wie überhaupt 
einer jeden Bevölkerung, wird übrigens von der so überaus wichtigen 
detailgeographischen Ausgliederung der spezifischen Bevölkerung, worauf 
wir alsbald zu sprechen kommen, in allen jenen Fällen nicht besonders 
wohlwollend begrüßt, in denen prozentual immer weniger Menschen des 


798 Miszellen. 


Gesamtbestandes mit der Zeit für diese ins einzelne gehende Dar- 
stellung übrig bleiben. Das ist ein in der demologischen Entwicklung 
liegender Nachteil, den der Demologe darum nolens volens auch mit in 
Kauf nehmen muß. Wo jedoch, wie z. B. in Niederbayern, der Ver- 
stadtlichungsprozeß der Bevölkerung noch lange nicht so weit vorge- 
schritten ist wie beispielsweise in Mittelfranken, da ist die detail- 
geographische Darstellung der relativen Bevölkerung dann aber auch 
sozusagen doppelt am Platze. 

Was nun die Unterschiede zwischen den Dichtigkeitszahlen mit 
oder ohne Städte in den einzelnen bayerischen Regierungsbezirken an- 
langt, so sind sie natürlich um so größer, je größer jeweils der Prozent- 
anteil der Bevölkerungsgröße der Städte am gesamten Bevölkerungsstand 
des untersuchten Bezirkes ist. In Mittelfranken z. B., wo im Jahre 
1910 bereits schon 51,8 Proz. der Bevölkerung in Städten wohnten. 
stehen sich für genanntes Jahr deshalb auch Relativzahlen gegenüber 
von 123 und 60 Einwohnern pro 1 qkm Areal, je nachdem man die 
„volkreichen“ Städte aus der Berechnung ausscheidet oder nicht. Der- 
artig große Differenzen wie hier mit 63 Einwohnern treffen wir natür- 
lich nicht in jenen Regierungsbezirken, welche, wie z. B. Niederbayern, 
im Jahre 1910 erst 10,2 Proz. städtische Bevölkerung aufwiesen. In 
diesem „agrarischen‘“ Landesteil stehen sich für jenes Jahr daher auch 
nur Dichtigkeitszahlen gegenüber von 60 und 67 Einwohnern pro 1 qkm 
Areal, sei es daß man die Städte aus der Berechnung fortläßt, sei es 
daß man dies nicht tut. Beträgt im „kornreichen“ Niederbayern der 
Unterschied der beiden Zahlen neuerdings erst 7 Einwohner, so betrug 
er im Jahre 1871 gar nur 4 Einwohner. Im industriereichen Mittel- 
franken indes belief er sich auch damals schon auf 23 Einwohner. In 
diesem Bezirke wohnten eben zu jener Zeit bereits 31 Proz. der mittel- 
fränkischen Bevölkerung in Städten, während dies in Niederbayern 
damals nur bei 7,3 Proz. der Einwohnerschaft zutraf. Wie es sich 
in den anderen bayerischen Regierungsbezirken mit den Dichtigkeits- 
zahlen bei Einrechnung oder Ausschaltung der Städte verhält, möge man 
aus folgender Uebersicht entnehmen. Es stehen sich gegenüber auf 1 qkm 
Areal, je nachdem man die Städte miteinrechnet oder nicht 


im Jahre Zunahme von 1871 
auf 1910 

ES Einwohner ne mii ohne 

Gegen, — Sëtz, ` SELLER 
in Oberbayern 92 und 50 66 und 4I 50 und 37 42 13 
» Niederbayern 67 „ 6o 62 „ 56 s6 „ 52 II 8 
„ Rheinpfalz 158 ,„ 109 121 „ 94 104 Bo 54 20 
„» Oberpfalz 62 SI 56 „ 48 50 „ 46 12 5 
„» Oberfranken OS: Ae "53 82 „ 64 77» 68 18 5 
„ Mittelfranken 123 „ Do OS, ei "BS IT -p "St 46 6 
» Unterfranken 85 „ 68 E e 72 69 „ 62 16 6 
„ Schwaben 80 „ 58 67- a Sa 59 „ 48 2I 10 


Eine Menge Dichtigkeitszahlen haben wir bis jetzt schon an uns 
vorbeiziehen lassen. Zu einem einigermaßen befriedigenden wissenschaft- 
lichen Aufschluß über die Bevölkerungsdichtigkeit genügen sie indes 
noch nicht. Von einem solchen Aufschluß kann erst dann die Rede 


Miszellen. 799 


sein, wenn wir unsere Darstellung der spezifischen Bevölkerung aus- 
dehnen auch auf die Durchschnittsergebnisse der kleinstmöglichen staat- 
lichen Verwaltungsbezirke. Bei unserer Untersuchung müssen wir also 
weiter hinabsteigen zu den Dichtigkeitszahlen der einzelnen bayerischen 
Bezirksämter, wobei die Städte natürlich aus den oben bereits ange- 
gebenen Gründen ausgeschieden werden müssen. Bei diesem Hinab- 
steigen in die detailreiche demologische Tiefe erweitert sich, wie wir 
alsbald sehen werden, der Rahmen der tatsächlich vertretenen Dichte- 
grade erheblich. Nur aus einer detailgeographischen Ausgliederung 
unseres Untersuchungsgegenstandes kann daher überhaupt die der Wirk- 
lichkeit noch am nächsten kommende Klarlegung der relativen Bevölke- 
rung resultieren, eine Klarlegung, welche in den großen Durchschnitten 
des ganzen Landes wie auch seiner größeren Teile, in vorliegender Studie 
die Regierungsbezirke, stark verwischt wird. Der Weg, der den Demo- 
graphen zum wissenschaftlich befriedigenden Aufschluß führt, steht 
nunmehr offen. 

Die Dichtigkeitszahlen für sämtliche 163 Bezirksämter mit zeit- 
lichen Rückblicken hier vorzuführen, verbietet natürlich der uns zur 
Verfügung gestellte Raum. Was wir hier bringen können, sei folgende, 
für den Regierungsbezirk Mittelfranken aus unseren Berechnungen zu- 
sammengestellte Uebersicht 1): Es kamen Einwohner auf 1 qkm Fläche 


absolute Zunahme (+) 


des Bezirksamtes 1910 1871 bzw. Abnahme (—) 
im Zeitraum 1871/1910 
Ansbach 54 51 3 
Dinkelsbühl 62 63 —ı 
Eichstätt 39 36 3 
Erlangen 61 55 6 
Freuchtwangen 58 57 H 
Fürth i. B. 93 (82) zı 22 
Gunzenhausen 63 59 4 
Hersbruck 81 62 19 
Hilpoltstein 45 47 —2 
Lauf 136 (97) 89 47 
Neustadt a. A. 62 66 —4 
Nürnberg 73 69 4 
Rothenburg o. T. 44 42 2 
Scheinfeld 46 Di —5 
Schwabach 67 (62) 52 15 
Uffenheim 53 57 4 
Weissenburg i. B. 59 50 9 


Wenn das Amt Fürth i. B. seine Zahl um 22 erhöhte, so geschah 
das vornehmlich durch das Wachstum der Gemeinde Zirndorf. Hätte 
diese sich im Zeitraum 1871/1910 nicht um 3500 Einwohner vermehrt, 
so hätte Fürth seine Zahl von 71 nur auf 82 statt auf 93 erhöhen 
können. Das Bezirksamt Lauf hätte es auch nur von 89 auf 97 ge- 


1) Die neun ausgeschiedenen mittelfränkischen Städte: Ansbach, Dünkelsbühl 
Eichstädt. Erlangen, Fürth i. B., Nürnberg, Rothenburg o. T., Schwabach und Weißen- 
burg i. B. hatten zusammen 

im Jahre 1910: 482 392 Einwohner 
” » 1871: 178 655 nm 


800 Miszellen. 


bracht statt auf 136, wenn die zwei Gemeinden Lauf und Röthenbach 
nicht um zusammen 6800 Einwohner sich vermehrt hätten. Aehnlich 
liegen die Dinge im Amt Schwabach, wo die Zunahme durch das rasch 
gewachsene Roth eine vergleichsweise zu hohe war. Um unsere Ueber- 
sicht von diesen Schlacken zu befreien, haben wir die berichtigten 
Zahlen in Klammern neben die zu Bedenken Anlaß gebenden gestellt. 

Der mittelfränkischen „ländlichen‘ Dichtigkeitszahl von 60 Ein- 
wohnern auf 1 qkm Areal im Jahre 1910 stehen gegenüber ein 
Minimum von 39 und ein Maximum von 136 oder besser 97 Ein- 
wohnern. Für das Jahr 1871 lauten die gleichen Zahlen 54, 35 und 89. 
Man sieht also, daß man die „wirkliche“ relative Bevölkerung um so 
besser erkennt, je mehr man sich detailgeographisch betätigt. Denn es 
gibt, wie wir sahen, tatsächlich noch sehr viel mehr Dichtegrade, als 
der große Durchschnitt vermuten läßt. 

Die detailgeographische Ausgliederung der spezifischen Bevölkerung 
ist aber auch sonst noch sehr lehrreich. Denn sie eröffnet einen Einblick 
in sogenannte statistische Dichteprovinzen, wie man die eigentümliche 
Erscheinung in der relativen Bevölkerung sich gleich oder ähnlich ver- 
haltender, aneinander grenzender Bezirksämter kurz und prägnant ge- 
nannt hat. Eine solche statistische Dichteprovinz bilden z. B. nach dem 
Volkszählungsergebnis des Jahres 1910 folgende unmittelbar aneinander 
grenzende bayerischen Bezirksämter: 


Rosenheim mit 52 Einwohner pro Quadratkilometer 


Oberbayerisch | Wasserburg „ 59 D D DI 


Erding „ 56 nm zu n 
Freising „ 50 n D n 
Mainburg » 58 n n Di 
Kelheim » 53 D D Di 


Rottenburg vw 52 ap D D 
Landshut „ 52 E n n 


Niederbayerisch { Dingolfing „ 56 ”» D » 
Mallersdorf „ DI i gr D 

Landau a. J. „ Di An D nm 

Eggenfelden ,„ 60 Se n D 

Vilsbiburg „ 60 A D » 

PE Mühldorf sp, 61 op n n 
Oberbayerisch etnis Er S S ES 


Dank der detailgeographischen Ausgliederung kann man dann 
auch schlagend beweisen, daß die Bevölkerungsdichtigkeit vom Hoch- 
gebirgo bis zur Donau tatsächlich zunimmt. Das zeigen z. B. diə 
folgenden sozusagen eine Kette bildenden Bezirksämter des bayerischen 
Regierungsbezirkes Schwaben : 


Füssen mit 47 Einwohner pro Quadratkilometer 
Oberdorf an 49 n H DI 
Memmingen D 57 Hi n mn 
Illertissen aw 70 PR ý H 
Krumbach aw 77 ab Se Pr 
Günzburg n 78 = mA ge 


Studien dieser Art wie auch solche zur Auffindung statistischer 
Dichteprovinzen führen uns schließlich auch sozusagen von selbst an jenen 
Punkt, der bei einer Untersuchung über die spezifische Bevölkerung un- 


Miszellen. 801 


bedingt berührt werden muß. Dieser Punkt betrifft die statistische 
Karte der Bevölkerungsdichtigkeit. Wenn, wie v. Mayr (auf S .48 
seiner Bevölkerungsstatistik) bemerkt, das Entscheidende bei der spezi- 
fischen Bevölkerung in den Flächenbeziehungen der Menschen liegt, 
so kann man zu einem völlig befriedigenden Aufschluß dieses demo- 
logischen Problems das Kartogramm wohl nicht entbehren. Die tabella- 
rische Anordnung der Bezirksämter, selbst wenn sie nach geographischen 
Gesichtspunkten erfolgt, kann ja auch niemals einen ausreichenden Ein- 
blick gewähren in die tatsächliche geographische Lage des Areals und 
in die Gestaltung seiner Berührungslinien. Das vermag nur die über- 
sichtliche, lehrhafte, farbige statistische Karte. Von der Wiedergabe 
einer solchen instruktiven Karte kann aber hier natürlich nicht die Rede 
sein, wo zudem ja auch nur ein kleiner Beitrag zur spezifischen Be- 
völkerung, nicht aber eine große, mit allem ‚wissenschaftlichen Rüst- 
zeug operierende Abhandlung beabsichtigt ist. 

Wir möchten hier beim Abschluß unserer kleinen Studie die demo- 
graphische Feder nicht aus der Hand legen, ohne an die amtlichen und 
privaten Bevölkerungsstatistiker den gewiß nicht anberechtigten Ruf 
ergehen zu lassen, auch der Bevölkerungsdichtigkeit endlich wieder die 
ihr gebührende Aufmerksamkeit in Zahl, Maß und Wort zu schenken. 
Die Demographie wird dann aber nicht zuletzt auch der Geographie, 
insbesondere der Wirtschaftsgeographie, eine vielliebe Hilfswissenschaft 
sein, wenn ihr nämlich über die Bevölkerungsausstattung ihres For- 
schungsobjektes, die Erdfläche, wertvolleres Material als bisher ser- 
viert wird. Dadurch kann, um Würzburgers treffende Worte zu ge- 
brauchen, „der fast abgerissene Draht zwischen den Vertretern der beiden 
Disziplinen“ noch am schnellsten und bequemsten erneuert werden. 

Wer sich, nebenbei bemerkt, mit der in wirtschaftspolitischer Hin- 
sicht überaus wichtigen Frage der Ueber- oder Untervölkerung beschäf- 
tigt, dem werden nicht zuletzt solche statistische Dichteprovinzen auf 
Karten dabei sehr gute und brauchbare Dienste leisten können. 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 51 


802 Miszellen. 


XXIII. 


Die geschichtliche Entwicklung des Depositen- 
kassenwesens in Deutschland. 
Von Dr. Walter Hoffmann- Berlin. 


Die Wirkung der großen Geldsummen, die als französische Kriegs- 
entschädigung in überraschend kurzer Zeit nach Deutschland flossen, 
war für das wirtschaftliche Leben nicht ohne Bedenken. Das Geld 
sank im Werte, die Preise für Lebensbedürfnisse und die Arbeitslöhne 
stiegen. Dazu kam ein außerordentlicher Aufschwung der Industrie, 
ja des ganzen geschäftlichen Lebens, ein Aufschwung, der aber in 
kurzen zu einer gefährlichen Ueberproduktion führte. Die Banken 
sahen ihre Tätigkeit vorzugsweise in der Neugründung und Finanzierung 
von Industrieunternehmen; sie fühlten sich in erster Linie dazu be- 
rufen, der Industrie Kapital zur Verfügung zu stellen. Die Aus- 
schaltung des regulären Bankgeschäftes war eine notwendige Folge, 
vielleicht auch eine erwünschte, ja erforderliche Voraussetzung. 

Ein völlig anderes Geschäftsprogramm und damit eine ganz andere 
Politik entwickelte die 1870 in Berlin gegründete Deutsche Bank. 
Zum erstenmal wurde in Deutschland von ihr die Pflege des Depositen- 
geschäfts und des regulären Bankgeschäfts zum Geschäftsprinzip ge- 
macht. Der Grund für eine derartige Geschäftspolitik mag vielleicht 
darin zu suchen sein, daß die Gründer der Ansicht waren, daß die In- 
dustrie reichlich mit Kapital versorgt sei, daß dagegen unser Handel 
einer kapitalkräftigen Unterstützung bedürfe. 

Die Deutsche Bank wollte das große Problem unserer Unabhängig- 
keit vom Londoner Geldmarkt lösen. Dazu bedurfte es in erster Linie 
einer Festigung der deutschen Währung und der Schaffung eines kon- 
stanten deutschen Wechselkurses.. In zwei Teile gliederte sie von An- 
fang an ihr Geschäftsgebiet: in Ausland- und Inlandgeschäft. Die 
Pflege des Uebersee- und Auslandgeschäftes brachte mit sich die Er- 
richtung von Filialen, Tochtergesellschaften, Beteiligungen, Verbindungen 
und Beziehungen zu ausländischen Banken. Diese weitverzweigten Ge- 
schäftsverbindungen im Ausland ermöglichten es der Deutschen Bank, 
die deutsche Kundschaft billiger zu bedienen als die ausländischen Bank- 
firmen. Damit aber war für die Deutsche Bank gleichzeitig ein 
weiterer Grund für die Pflege des Depositen- und Kontokorrentgeschäftes 
gegeben, für das Inlandgeschäft. Denn es war als sicher anzunehmen, 
daß der deutsche Kaufmann, der der Deutschen Bank seine aus- 
ländischen Bankgeschäfte übertragen hatte, sich auch ihrer bei der 


Miszellen. 803 


Erledigung seiner gesamten inländischen Bankgeschäfte bedienen würde. 
Sie erreichte so, daß sich die meisten Geschäfte ihrer Kundschaft bei 
ihr konzentrierten und erhielt damit auch einen mitbestimmenden Ein- 
fluß auf den in- und ausländischen Geldmarkt. 

Das Geschäftskapital betrug zur Zeit der Gründung 15 Mill. M. 
Zur Erfüllung der vorgesteckten Ziele reichte dieses jedoch nicht aus. 
Nicht durch Kapitalserhöhungen allein, wie die anderen Banken es 
taten, sondern vor allem durch Annahme fremder Gelder suchte die 
Deutsche Bank ihren Betriebsfonds zu verstärken. Sie bemühte sich 
daher, in möglichst enge Berührung mit dem Publikum zu kommen; 
dies geschah teils durch Eröffnung von Filialen wie 1871 Bremen, 
1872 Hamburg, 1886 Frankfurt a. M., teils durch Errichtung von 
Depositenkassen. 

Während bisher (schon seit dem Altertum) die Annahme müßig 
liegender Gelder durch Banken in relativ mäßigem Umfange stattfand, 
begann man nunmehr durth Ausbreitung eines immer enger werdenden 
Netzes von Filialen und Depositenkassen in systematischer und impo- 
nierender Weise die nicht zu dauernder Anlage bestimmten und nur 
vorübergehend verfügbaren Gelder in die Banken zu leiten und volks- 
wirtschaftlich nutzbar zu machen. Damit griffen die Banken aber 
nicht auf das Tätigkeitsgebiet der Sparkassen über, denn sie wandten 
sich an ganz andere Volkskreise, an solche, die ihre Ersparnisse in 
Grundbesitz und Wertpapieren anzulegen pflegen, also an die ver- 
mögenden Volksschichten. Sie wollten das bei diesen nutzlos im Hause, 
in Kasten und Schränken ruhende, zur Konsumtion bestimmte Geld an 
sich ziehen und der Volkswirtschaft zuführen, es also produktiv ver- 
wertem, solange es zur Konsumtion noch entbehrlich ist. 

Zuerst begann, wie schon gesagt, die Deutsche Bank mit der Ein- 
richtung von Depositenkassen in Berlin. Besonders für Berlin schien 
die Einrichtung von Depositenkassen sehr zweckmäßig zu sein, da 
einerseits die Einrichtungskosten verhältnismäßig niedrige waren, 
andererseits aber die Wahrscheinlichkeit des Ansaugens von Privat- 
kapital sehr groß war. Die erste deutsche Depositenkasse wurde im 
Anfang der 70er Jahre in Berlin in der Burgstraße von der Deutschen 
Bank errichtet. In kurzer Zeit hatte sie sich „zu einer bei den Be- 
wohnern der Umgegend beliebten und von denselben fleißig benutzten 
Einrichtung herausentwickelt‘“. Bei der Verlegung des Hauptgeschäftes 
der Deutschen Bank in die Behrenstraße blieb daher die Depositenkasse 
in der Burgstraße weiter bestehen, eine „gleiche Einrichtung sollte auch 
in den neuen Geschäftsräumen getroffen werden“. „Wie langsam diese 
Entwicklung auch vor sich gehe, so bliebe die Verwaltung doch von der 
Ueberzeugung durchdrungen, daß in Anbetracht der großen damit ver- 
bundenen Bequemlichkeiten, namentlich für unseren kleinen Handels- 
stand, dieser Geschäftszweig noch eine bedeutende Zukunft habe“ (Be- 
richt 1876). 

Die Verwaltung der Deutschen Bank sollte mit dieser Ansicht recht 
behalten. Im nächsten Jahre gab sie dem Depositengeschäft eine selb- 
ständige Organisation. „In der Weise der englischen Banken suche 

51* 


` 804 Miszellen. 


sie das Depositengeschäft weiter zu entwickeln, indem sie mit der An- 
nahme der Gelder für die Depositenkunden zugleich ein Diskont- und 
Lombardgeschäft verbinde“ (Geschäftsbericht 1877). Trotz der gün- 
stigen Resultate, die die Deutsche Bank mit dem Depositengeschäft er- 
zielte, blieben die übrigen Banken bei ihrer alten Geschäftspolitik. 
Eine Ausnahme machte die 1881 gegründete Nationalbank für Deutsch- 
land-Berlin. Der Geschäftsbericht dieser Bank für das Jahr 1882 
erwähnt die Eröffnung von drei Depositenkassen, die einer vierten wird 
in Aussicht gestellt. Schon im nächsten Jahre konnte die Verwaltung 
der Nationalbank für Deutschland ein befriedigendes Resultat der De- 
positenkassen melden. „Wir wenden diesem Zweige“, sagte sie 1883 im 
Geschäftsbericht, „fortgesetzt besondere Aufmerksamkeit zu.“ Auch die 
Deutsche Bank gibt wiederholt ihrer Befriedigung über die guten Re- 
sultate, die sie aus dem Depositengeschäft erzielt, Ausdruck. Nach 
wie vor „habe sie auf ihren alten Gebieten, Pflege des Kontokorrent- 
geschäftes im In- und Auslande sowie des Depositengeschäfts verbunden 
mit Uebernahme von festverzinslichen Anleihen, eine genügende Gewinn- 
quelle gefunden“ (Geschäftsbericht 1889). Gleichzeitig gibt sie die 
Errichtung je einer Depositenkasse in Berlin und Dresden bekannt. Im 
Jahre 1891 eröffnete sie „behufs weiterer Ausdehnung des Depositen- 
verkehrs“ eine neue Depositenkasse in Charlottenburg, im nächsten 
Jahre „befand sie es für nützlich, neue Depositenkassen in Moabit und 
in der Chausseestraße zu eröffnen“ (Geschäftsbericht 1893); im Jahre 
1893 errichtete sie eine weitere Kasse in der Kurfürstenstraße, von der 
sich „die Verwaltung eine gute Zukunft verspricht“ (Geschäftsbericht 
1894). Jetzt begannen auch die Mitteldeutsche Kreditbank und die 
Dresdner Bank mit dem Bau eines Depositenkassennetzes; am 1. März 
1895 eröffnete erstere bereits die fünfte Depositenkasse in Berlin; 
in den Geschäftsberichten für 1895 und 1896 spricht sich die Ver- 
waltung der Mitteldeutschen Kreditbank recht günstig über die Ge- 
schäftsergebnisse der Depositenkassen aus. Die Dresdener Bank er- 
richtete zum Jahresschluß 1896 ihre ersten beiden Depositenkassen; 
um in Zukunft die Weiterentwicklung ihrer Geschäfte zu fördern und 
„namentlich den direkten Verkehr des Publikums mit der Bank zu er- 
leichtern, beabsichtigte sie weitere Depositenkassen in Berlin einzu- 
richten“ (Geschäftsbericht 1896). Immer weiter bauten diese Banken 
ihr Depositenkassennetz aus. Am 31. Dezember 1899 besaßen sie in 
Berlin und Vororten bereits 44 Depositenkassen, davon entfallen auf 
die Deutsche Bank 16, die Dresdener Bank 10, die Nationalbank für 
Deutschland 10, die Mitteldeutsche Kreditbank 8. Die Diskontogesell- 
schaft sowie die Darmstädter Bank besaßen allerdings auch je eine 
Wechselstube in den Räumen der Hauptbank. Es wäre jedoch falsch, 
diese als eine Einrichtung zu bezeichnen, die der planmäßigen An- 
sammlung von Depositen dienen sollte. Beide Banken, der A. Schaaff- 
hausensche Bankverein sowie die Berliner Handelsgesellschaft hielten 
streng an der alten Geschäftspolitik fest, ihre Betriebsmittel nicht durch 
Annahme von Depositen, sondern in erster Linie durch Erhöhung der 
eigenen Mittel, durch Kapitalserhöhungen usw. zu vergrößern. 


Miszellen. 805 


Die moderne Depositenpolitik suchte im Gegensatz dazu durch An- 
saugen fremder Mittel sich neue Betriebsmittel zu schaffen, um damit 
die Geschäfte auf dem Geld- und Kreditmarkt zu tätigen; sie ist eben 
hervorgegangen aus einer Verbindung der Emissions- und Spekulations- 
tätigkeit mit dem regulären Bankgeschäft. Weber urteilt über diese 
Verbindung, wie folgt: „Die Pflege des regulären Bankgeschäftes ist 
wohl geeignet, in Haussezeiten die Spekulation der Bankleitung in 
angemessenen Grenzen zu halten, sie ermöglicht aber auch in Zeiten, 
in welchen das Börsengeschäft danieder liegt, eine anständige Dividende 
zu verteilen, wodurch die Spekulations- und Depositenbank eine Soli- 
dität und Stabilität erreicht, die dem Bankgeschäft, das sich ausschließ- 
lich mit den irregulären Geschäften abgibt, selbst unter der umsichtig- 
sten Leitung zu erreichen kaum möglich ist‘“1). Mit diesen Ausführungen 
decken sich die Worte, mit denen die Verwaltung der Darmstädter 
Bank das ungünstige Erträgnis für das Geschäftsjahr 1901 im Ge- 
schäftsbericht zu erklären sucht. „Das ungünstige Erträgnis — die 
Darmstädter Bank hatte 1898 8 Proz., 1899 7 Proz., 1900 6 Proz., 
1901 4 Proz. Dividende verteilt; der Kurs der Aktien sank von 157 
auf 125 Proz. — findet seine Erklärung im wesentlichen in der Ver- 
teilung der Einnahmequellen unserer Bank, welche, ihrer früheren Tra- 
dition folgend, bisher dem Effekten- und Emissionsgeschäft größere 
Aufmerksamkeit zugewandt und verhältnismäßig hohe Kapitalien zur 
Verfügung gestellt hatte, während das Kontokorrentgeschäft zum großen 
Teil seine Pflege durch ein Netz von Kommanditen fand, deren Zahl 
sich aus verschiedenen Gründen inzwischen stark vermindert hat, wo- 
durch jener Geschäftszweig an die zweite Stelle trat. Wir haben schon 
seit mehreren Jahren diesem Mangel durch die allmählich zur Aus- 
führung gekommene Gründung verschiedener Filialen und Depositen- 
kassen zu steuern gesucht und fahren in diesem Bestreben fort, der 
Bank neue Saugwurzeln zu schaffen. Es ist aber selbstverständlich, 
daß ein organisches System dieser Art sich nur in vorsichtiger Weise 
Schritt für Schritt aufbauen läßt. Wir hoffen hierdurch für die Zu- 
kunft die Erträgnisse unseres Provisions- und Zinsenkontos weiter zu 
erhöhen und die Dividende unserer Aktien von dem mehr oder weniger 
zufälligen Erträgnis des Effekten- und Konsortialkontos unabhängiger 
zu gestalten.“ So die Verwaltung der Darmstädter Bank. Damit aber 
gab sie die alte Geschäftspolitik auf und widmete sich neuen Auf- 
gaben; 1902 verfügte sie bereits über 5 Depositenkassen, über deren 
Geschäftsergebnisse sie sich im Geschäftsbericht für 1902 recht zu- 
frieden äußerte. Um dieselbe Zeit begann auch in der Politik der 
Diskontogesellschaft eine Aenderung einzutreten. Mit Billigung des 
Aufsichtsrates errichtete sie 1902 an verkehrsreichen Stellen Berlins 
3 Depositenkassen und Wechselstuben (Geschäftsbericht 1902). Die 
Kommerz- und Diskontobank hatte schon vorher mit der Errichtung 
von Depositenkassen begonnen; 1903 besaß sie in Berlin und Vororten 
10 Kassen. Dieser allgemeinen Bewegung schloß sich 1903 auch der 


1) Weber, Depositenbanken und Spekulationsbanken, Leipzig 1902. 


806 Miszellen. 


A. Schaaffhausensche Bankverein an; in seinem Geschäftsbericht für 
1903 betonte er ausdrücklich, daß er der Pflege des Depositengeschäfts 
im abgelaufenen Jahr größere Aufmerksamkeit zugewendet habe und 
dies auch in Zukunft zu tun beabsichtige. 

Von 1903 an machte die Entwicklung der Depositenkassen große 
Fortschritte. Mit einer einzigen Ausnahme bauten alle Berliner Aktien- 
banken ihr Depositenkassennetz weiter aus. Nur die Berliner Handels- 
gesellschaft verschloß sich der modernen Depositenpolitik. Zwar er- 
richtete sie im Jahre 1912 in Berlin in der Charlottenstraße ein be- 
sonderes Stadtbüro — ein Umstand, der als eine Schwenkung in der 
Politik von manchen Praktikern und Theoretikern angesehen wurde — 
aber sie selbst erklärte ausdrücklich, daß dies nur zur Erleichterung 
des Verkehrs mit der Berliner Kundschaft geschehen sei. Daß sie sich 
nicht mit der Annahme von Depositen befasse, hatte sie einige Jahre 
vorher gesagt, als man an sie wegen der Veröffentlichung von Zwei- 
monatsausweisen herantrat. Sie hat sich dieser Aufforderung daher 
widersetzt und ist auch bis heute nicht zu der Veröffentlichung von 
Zweimonatsausweisen übergegangen. Mit dieser einzigen Ausnahme 
aber gingen sonst die andern Banken mit allen Mitteln an die Erweite- 
rung ihres Betriebes heran. 1903 betrug die Zahl der Berliner De- 
positenkassen noch 85, 1904 bereits 96, 1905 118, 1906 155; das 
bedeutet aber in 4 Jahren eine Vermehrung von 82 Proz. Sieht man 
die Geschäftsberichte dieser Jahre durch, so klingt aus ihnen deutlich 
heraus, daß die Depositenkassen zur Zufriedenheit gearbeitet haben. 
Größere Provinzbanken folgten dem Berliner Beispiel, so die Allgemeine 
Deutsche Kreditanstalt, Leipzig, die Ostbank für Handel und Gewerbe, 
Posen; auch die Berliner Banken erstreckten ihr Depositenkassennetz 
auf das Reich. In Berlin selbst und Vororten wurde schon 1909 das 
zweite Hundert überschritten; 1910 betrug die Zahl der Depositen- 
kassen 234, 1911 243, 1912 251, 1913 255. Die Entwicklung des 
Depositenkassennetzes der einzelnen Banken in Berlin veranschaulicht 
folgende Tabelle: 


Entwicklung des Depositenkassennetzes in Berlin und 
Vororten 1900/1913. 


oo | Jain | Uwe | 2 | 2a |S | leie 

Name der Bank Saiglgiggäsigels zll 

Ka “|| ls KKK VE - Ka - Be: - 

| | 

Deutsche Bank 17 | 19 | 21 | 25 | 27 | 29 34 | 41 | 43 | 44 45 46 |48 48 
Dir. der Diskontogesellschaft 1| 1| 5| 6| 8| 8/ı0|sı/ı5 |18 |23 |23 |2525 
Dresdner Bank 10/12/13 | 14 |15|19)29 | 32|36|40 42)46|46|49 
Darmstädter Bank IK 9/13|ı8|2ı,21|25|29|30|30 | 30 
A. Schaaffh. Bankverein —|—|—| 1| 2| 2| 3| 3| z|ı1)ıg)|ıg/ıg| 20 
Commerz- u. Diskonto-Bank I| 2| 2)10/15,24/34|39|40143/44|44 |44 |44 
Nationalbank f. Deutschland 10 | 10 | 10 | 12 | 12 | 12 | 15 | 16 | 16 | 18 | 18 | 19 | 22 | 22 
Mitteldeutsche Kreditbank 8| 8| 8| 8| 8|11|12|12|14|14|15|16{17|17 


Daß auch in der Provinz sowohl Berliner Banken als auch größere 
Provinzbanken mit der Errichtung von Depositenkassen begonnen haben, 


Miszellen. 807 


wurde schon angedeutet. Die Deutsche Bank besaß im Januar 1914 
außer ihren Hauptniederlassungen in Berlin und ihren 48 Berliner 
Depositenkassen in Deutschland 7 Filialen und 50 Depositenkassen ; 
die Diskontogesellschaft neben 12 Filialen 28 Depositenkassen, davon 
25 in Berlin; die Dresdner Bank 51 Niederlassungen und 89 De- 
positenkassen, davon 49 in Berlin und Vororten; die Darmstädter Bank 
25 Filialen und 58 Depositenkassen (28 außerhalb Berlins); der 
A. Schaaffhausensche Bankverein neben seinen Hauptsitzen in Berlin 
und Köln 20 Niederlassungen und 27 Depositenkassen (20 in Berlin 
und Vororten); die Kommerz- und Diskontobank 7 Niederlassungen 
und 58 Depositenkassen, davon 44 in Berlin und Vororten; die Mittel» 
deutsche Kreditbank neben ihren Hauptstellen in Berlin und Frank- 
furt a. M. 19 Niederlassungen und 23 Depositenkassen (17 in Berlin 
und Vororten). Die acht Berliner Banken verfügen also insgesamt 
über 403 Depositenkassen in Deutschland. 

Nach dem deutschen Banken- und Bankieradreßbuch für 1914 
betrug die Zahl der Depositenkassen in Deutschland überhaupt gegen 
700. Wenn man berücksichtigt, daß die Provinzbanken mit den Ber- 
liner Banken mitunter in derartig engen Beziehungen stehen, daß ledig- 
lich die Namen der Banken verschieden sind, so kann man sich bei 
der Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung des Depositenkassen- 
wesens auf diese acht Berliner Banken, die ja die unbedingte Führer- 
rolle haben, beschränken bzw. mit der Betrachtung dieser Banken die 
Geschichte erschöpfend behandeln. Und daß dies durchaus zutrifft, daß 
die Berliner Banken die Politik der Provinzbanken bestimmen, ver- 
anschaulichen folgende Zahlen. 

Die der Deutschen Bank nahestehenden Banken — von ihnen ging 
Anfang 1914 die Bergisch-Märkische Bank in die Deutsche Bank auf — 
verfügten im Januar 1914 außer ihren Hauptsitzen über 297 Filialen 
und 103 Depositenkassen; der Deutsche Bank-Konzern war ins- 
gesamt (Hauptsitze, Niederlassungen, Filialen, Wechselstuben und De- 
positenkassen, Agenturen, Kommanditen) durch 550 Geschäftsstellen 
in Deutschland, im Ausland durch 32 Geschäftsstellen vertreten. Dieser 
Konzern verfügt demnach über mehr Geschäftsstellen als die Deutsche 
Reichsbank, die am 31. Dezember 1913 durch 487 Geschäftsstellen 
vertreten war. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Ge- 
schäftsstellen des Deutschen Bank-Konzerns nicht alle auf verschiedene 
Plätze kommen; so weist Groß-Berlin allein 50 Geschäftsstellen auf. 
Immerhin verdient diese Ausdehnung des Deutschen Bank-Konzerns die 
nötige Beachtung. Der Dresdner Bank-Konzern war durch 99 Nieder- 
lassungen ohne Depositenkassen vertreten; im Ausland unterhielt die 
Dresdner Bank an 22 Plätzen Vertretungen. 

Diese große Entwicklung, die sich mehr und mehr entfaltende 
Macht dieser Banken über den Geld- und Effektenmarkt brachte es 
mit sich, daß man sich in der Wissenschaft und in der Oeffentlichkeit 
mit der Depositenfrage zu befassen begann. Die neue Politik der 
Banken, einerseits als Annahmestellen zu fungieren und andererseits 
Gründungsgeschäfte zu machen, rief in volkswirtschaftlichen Kreisen, 


808 Miszellen. 


wie zum Teil auch heute noch, Opposition hervor. Deshalb tritt eine 
Reihe von Schriftstellern für das englische Prinzip, für Trennung der 
Depositenbanken von den Spekulationsbanken, ein, weil sie der Ansicht 
sind, daß die Frage der bankmäßigen Verwaltung und Verwendung der 
den deutschen Banken übergebenen Summen nur durch Trennung der 
Spekulationstätigkeit und des regulären Bankgeschäfts gelöst werden 
kann. Es kann nicht im Rahmen dieses geschichtlichen Abrisses liegen, 
diese Frage eingehend zu behandeln. So viel nur möge noch gesagt sein: 
Man hat gefürchtet, daß unser Banksystem im Falle eines Krieges ver- 
sagen wird, daß unsere Banken die Zahlungen einstellen müssen. 
Deutschland ist jetzt in einen schweren Krieg verwickelt, und es wird 
sich zeigen, inwieweit diese Befürchtungen zutreffen; jetzt muß es sich 
entscheiden, ob unsere Banken zahlungsbereit sind, ob das gemischte 
System sich bewährt. 


Miszellen. 809 


XXIV. 
Die Industriebezirke und Industriegemeinden. 


Von Dr. phil. et rer. pol. Strehlow, Oberhausen. 


Wenn ich von Industriebezirken im allgemeinen spreche, so habe 
ich dabei als typischen Vertreter in erster Linie den rheinisch-west- 
fälischen Industriebezirk im Auge, und zwar im engeren Sinne das 
sogenannte Kohlenrevier, wie es etwa begrenzt wird im Westen vom 
Rhein, im Süden von der Ruhr und durchgeht im Osten bis Dort- 
mund, im Norden bis zur Lippe und darüber hinaus in werdender Ent- 
wicklung. 

Die Industriebezirke verdanken ihre Entstehung den letzten vier 
Jahrzehnten. Als Deutschland in den 70er Jahren mit einem ge- 
waltigen Schritt den Uebergang vom Agrar- zum Industriestaat nahm, 
setzte hier eine gewaltige Entwicklung ein. Das Vorhandensein von 
Kohle gab hierzu den ersten Anlaß und zog die Eisenindustrie aus wirt- 
schaftlichen Gründen nach sich. Bergbau und Eisenindustrie sind so 
die Gründer der Industriebezirke. 

Es konnte nicht ausbleiben, daß das Eigenartige dieser Entwick- 
lung und seiner wirtschaftlichen Grundlagen auch dem Ganzen ein 
eigenartiges Gepräge gab. Ueberall tritt die Zweckbestimmung meist 
in nüchternster Kahlheit ins Auge. Das Ueberhastete des Werdens hat 
jede organische Entwicklung unterbunden und dem Ganzen ein un- 
fertiges, zerrissenes Gepräge gegeben. 

Die Industrie beherrscht überall das Bild; ihr mußte die Natur 
auf der ganzen Linie weichen. Der Kern des rheinisch-westfälischen 
Industriebezirkes enthält kaum mehr 2 Proz. Wald, und die wald- 
reichen Grenzgebiete im Norden gehen mit dem Fortschreiten ihrer 
Industrialisierung einem ähnlichen Schicksale entgegen. 2—3 Millionen 
und fortschreitend immer mehr Menschen sind dadurch dauernd der 
Berührung mit der Natur entzogen, deren Bedeutung für die Entwick- 
lung des inneren Menschen, besonders unserer Jugend, im letzten Jahr- 
zehnt immer klarer erkannt wurde. Das hat zum Denken Anlaß ge- 

geben und manche erfreuliche Maßnahme seitens der kommunalen 
Behörden zur Folge gehabt. Selbst wirtschaftlich sehr schwer belastete 
Gemeinden haben erhebliche Summen für Parks und öffentliche An- 
lagen aufgewendet. Auf Anregung der Regierung in Düsseldorf hat 
sich außerdem ein Ausschuß zur Erhaltung von Grünflächen im 


810 Miszellen. 


rheinisch-westfälischen Industriebezirk gebildet, der zurzeit eifrig am 
Werk ist. 

Aber man darf sich dabei nicht verhehlen, daß die Erfolge solcher 
Maßnahmen immer nur sehr gering sein können, weil Industrie und 
Natur einmal unvereinbare Gegensätze sind. Wo die erstere herrscht, 
bleibt die letztere künstlich erhalten immer ein Surrogat. Darum 
scheint mir die Lösung der Frage mehr in einer Verbesserung der 
. Verkehrsverhältnisse zu suchen zu sein, die es dem Arbeiter ermöglicht, 
ohne große Opfer an Zeit und Geld die angrenzenden Waldgebiete 
zu erreichen. Gerade auf diesem Gebiet ist aber im rheinisch-west- 
fälischen Industriegebiet noch recht viel zu tun. 


Auf dem westlichsten, am dichtesten besiedelten Teil in Größe von 
rund 43000 ha wohnen hier rund 1,5 Millionen Menschen, während 
Groß-Berlin auf derselben Fläche rund 3,6 Millionen Einwohner umfaßt. 
Die Verkehrsbedürfnisse sind also dort zurzeit nicht so groß wie hier. 
Wenn man aber die starke Bevölkerungszunahme im Industriebezirk ins 
Auge faßt, und andererseits dessen Verkehrseinrichtungen mit denen 
Groß-Berlins auch unter Berücksichtigung dieses Bevölkerungsverhält- 
nisses vergleicht, so muß man zugeben, daß der Industriebezirk auf 
diesem Gebiete noch sehr rückständig ist. 


Das erklärt sich aus der typischen Siedelungsform desselben, der 
das ausgesprochen Zentrale der Berliner Entwicklung fehlt. Die Ver- 
kehrsbedürfnisse verteilen sich deshalb auch mehr oder minder auf das 
ganze Gebiet und verlieren dadurch an gebietender Richtung und 
zwingender Dringlichkeit für die einzelne Linie. So kommt es, daß 
sich der Industriebezirk auch heute noch lediglich mit einem aller- 
dings engmaschischen Straßenbahnnetz begnügen kann, das nur die 
Aufgabe erfüllt, die benachbarten Massen in der erforderlichen Ver- 
bindung zu erhalten. 

Die typische Siedelungsform der Industriebezirke ist eine Folge 
ihrer eigenartigen Entwicklung, die den Bedürfnissen der Industrie, wo 
und wie sie zutage treten, gerecht werden muß. Die Industrie braucht 
große Flächen für sich und ihre Nebenanlagen, für Schlackenhalten, 
Bahnen und Verschiebebahnhöfe, die aus der Bebauung ausscheiden. Der 
Bergbau kauft große Flächen an, um dieselben der Bebauung zu ent- 
ziehen, weil sie starker Bodensenkung unterliegen, für die der Unter- 
nehmer die Schadenersatzpflicht hat. Das macht schon eine geschlossene, 
zentrale Entwicklung am eigenen Orte unmöglich. 


Die Industrie ist aber auch bei der Wahl ihres Niederlassungsortes 
an eine ganze Reihe zwingender Vorbedingungen, z. B. die Möglichkeit 
günstigen Bahnanschlusses, gebunden, die nur selten an der für die 
Allgemeinentwicklung günstigsten Stelle gegeben sind. Sie muß endlich 
ihren Arbeiterstamm in unmittelbarer Nähe des Werkes ansiedeln, un- 
bekümmert darum, wie dies in die übrige Bebauung hineinpaßt. 

Das alles hat jenes zerrissene, unorganische Gesamtbild, jene zer- 
streute Bebauung zur Folge, wie sie den Industriebezirken eigen ist- 
Vereinzelte geschlossene Stadtbilder dehnen sich meist mehr oder minder 


E geen EE 


Miszellen. 811 


weit nur um die Bahnhöfe aus, daran schließen sich in freier Siedelung 
vereinzelte Hausgruppen, unterbrochen von freiem Feld und industriellen 
Anlagen, bis wieder an einer anderen Stelle ein geschlossenes Stadtbild 
erscheint. So bilden die Industriebezirke gleichsam eine einzige Stadt, 
bestehend aus mehreren Groß-, Mittel- und Kleinstädten, die ineinander 
übergehen vermittels seiner typischen industriellen Siedelung. 

Diese Art der Siedelung ist für die Industriebezirke außerordentlich 
segensreich. Die freie Entwicklung auf breitem Raume hat im rheinisch- 
westfälischen Bezirke trotz seiner gewaltigen Massenansammlung die 
Bodenpreise in immerhin noch erträglichen Grenzen zu halten vermocht, 
die auch heute noch das Kleinhaus auf weiten Flächen ermöglichen. 
Die durchschnittliche Wohndichte pro Haus beträgt hier 15,5 Personen. 
Und selbst: die mehr oder minder geschlossenen Städte vermochten sich 
der Einwirkung dieser Siedelungsart nicht zu entziehen. Essen, eine 
nach ihrer Entwicklung typische industrielle Großstadt, hat nur eine 
Wohndichte von 14,1 pro Haus, während Dortmund, eine historisch ent- 
standene Großstadt mit hochgebautem inneren Kern, eine solche von 
20,2 Personen aufweist. 

Gerade diese Ausbreitung der Bevölkerung auf breiter Fläche ist es 
auch, die den Mangel an Wald und jungfräulicher Natur einigermaßen 
verschmerzen läßt. Der Arbeiter wohnt verhältnismäßig gut und hat 
dabei meist ein Stück Land, dem er seine freie Zeit in gesunder Luft 
widmen kann. 

Die industrielle Siedelungsart steht im direkten Gegensatz zu der 
Entwicklung unserer modernen Großstädte. Die Bedürfnisse der In- 
dustrie haben dieselben erzwungen; es war den Industriegemeinden 
aus ihrem eigenen Interesse heraus unmöglich, das Bauverbot nach dem 
Fluchtliniengesetz von 1875 zur Erlangung einer zentralen Ausdehnung 
zu handhaben. 

Unsere modernen Großstädte dagegen beschränken an Hand dieses 
Gesetzes den Siedelungsvorgang auf einen schmalen Rand um den ge- 
schlossenen Kern und sichern sich so eine zentrale Entwicklung. Hier 
muß sich dieselbe natürlich dem Stadtbild in hoher enger Bauart an- 
schließen. Die Stadt wird als solche erweitert; es fehlt der natürliche 
Uebergang zum Lande. Im Inneren schmachten die Massen unter der 
Enge der Verhältnisse, während draußen die Fluten Landes unbenutzt 
liegen bleiben. Das ist die Folge der auf engen Raum beschränkten 
Siedelung. An den Industriebezirken können die Großstädte hier lernen. 

Zum Teil haben sie es bereits getan. Die Bauordnungen schreiben 
vielfach auf breiten Flächen niedrige und offene Bebauung vor, und 
man hat erkannt, daß dies nur dann ohne Schaden für die Allgemein- 
heit möglich ist, wenn dem Siedelungsvorgang am Rande ein weiterer 
Raum gewährt wird. Auch hat sich um die Großstädte herum das 
Bedürfnis nach einer industriellen Ansiedelung fühlbar gemacht. Das 
Streben nach Eingemeindung, der Landhunger der Großstädte, ist hierfür 
ein beredtes Zeugnis. Es bleibt so zu hoffen, daß sich die freie Siede- 
lung immer mehr das Feld erobert, und daß sie endlich — unterstützt 


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812 Miszellen. 


durch das neue Wohnungsgesetz — von allen unnatürlichen Fesseln 
befreit wird. 

Die Industriebezirke haben nicht nur äußerlich eine ausgesprochene 
Eigenart, sondern auch eine nicht weniger tiefgreifende innere, die teils 
eine Folge der ersteren, teils eine Folge ihrer inneren wirtschaftlichen 
Grundlager. ist. 

Das Netz der kommunalpolitischen Grenzen stimmt meist schon bald 
nach dem Einsetzen der industriellen Entwicklung nicht mehr mit den 
natürlichen Verhältnissen überein, weil die Industrie bei ihrer Nieder- 
lassung und Ausdehnung keine Rücksicht auf diese Grenzen nehmen 
kann. Ansprüche der Wohngemeinden an die Betriebsgemeinden auf 
Grund des Kommunalabgabengesetzes sind daher hier an der Tages- 
ordnung und haben schon zu vielen Unzuträglichkeiten geführt. Es 
ist deshalb zu verstehen, daß die größeren Städte ihrem Ausdehnungs- 
bedürfnis infolge stärkeren Massenzuzuges durch Erweiterung ihrer 
Grenzen und Anpassung an die natürlichen Verhältnisse gerecht zu 
werden suchen. 

Das letzte Jahrzehnt hat uns aus diesem Bedürfnis heraus in den 
Industriebezirken schon manche Eingemeindung gebracht, aber der Vor- 
gang ist z. B. im rheinisch-westfälischen Bezirk und vor allem im west- 
fälischen Teil desselben noch lange nicht abgeschlossen. Nur eine groß- 
zügige Eingemeindungspolitik kann hier den Städten Raum schaffen 
für eine gesunde Boden- und Wohnungspolitik, für eine Siedelungs- 
politik im Sinne ihrer Eigenart, denn man kann von den Städten nicht 
verlangen, daß sie ihre Entwicklung über die eigenen Grenzen hinaus- 
treiben. 

Wenn dieser Vorgang einmal im rheinisch-westfälischen Bezirk in 
großzügiger Weise abgeschlossen sein wird, dann bietet er die Grund- 
lage zur endgültigen Lösung der Organisationsfrage desselben. Denn 
bei dem engen Zusammenliegen großer Gemeinden bildet der Bezirk hier 
ein zusammenhängendes Ganzes, dessen organische Zusammenfassung 
zur Lösung einer ganzen Reihe gemeinsamer Aufgaben wie der Ausbau 
durchgehender Hauptverkehrsstraßen, Anlage von Parks in den Grenz- 
gebieten, Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung, Straßenbahnen usw. 
unumgänglich nötig ist. Durch die Schaffung nur großer, leistungs- 
fähiger Gemeinden wird dieser Zusammenschluß, für den das Zwecks- 
verbandsgesetz eine geeignete Grundlage abgeben kann, vorbereitet und 
erleichtert. i | 

Die industrielle Siedelungsform belastet den Haushalt der Industrie- 
gemeinden in außerordentlich hohem Maße. Das Straßennetz erfordert 
sehr viel Straßenbau- und Unterhaltungskosten. Der Straßenbau ist 
deshalb dem äußeren Charakter der Gegend entsprechend auch meist 
sehr bescheiden. Die leicht befestigte oder chaussierte Straße bildet 
die Regel, nur in den geschlossenen Ortsteilen findet man, mehr oder 
minder ausgedehnt, gepflasterte Straßen. 

Auch die Schullasten sind bei der ausgebreiteten Bebauung größere. 
Die Aufwendungen für Schulbauten, die sich auf ein weites Gebiet 
verteilen, sind höhere, und auch der Schulbetrieb verteuert sich durch 


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Miszellen. 813 


diese Verteilung erheblich. Die Kosten der Lehrkräfte sind außerdem 
im Industriebezirk höhere, weil nur durch erhöhte Ortszulagen der vor- 
handene Bedarf an Lehrkräften gedeckt werden kann. Dazu kommt, 
daß gerade im Anfang der industriellen Entwicklung, in der die An- 
forderungen an die Gemeinden von allen Seiten am stärksten heran- 
treten, die Schullasten sich besonders fühlbar machen, weil durch die 
immer wieder zuziehenden Massen die Schulverhältnisse nicht zur Ruhe 
kommen. 

Ueberhaupt sind bei der ausgebreiteten Bebauung alle kommunalen 
Aufwendungen unwirtschaftlicher als bei der geschlossenen. Bei der 
Kanalisation, der Gäs-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung und den 
Straßenbahnen steht infolge der Ausbreitung auf ein größeres Gebiet 
erhöhten Anlagekosten eine relativ geringere Inanspruchnahme seitens 
der Interessenten gegenüber. Der Nutzungspreis muß deshalb natur- 
gemäß höher sein und die Gewinne, wenn solche überhaupt erzielt 
werden, sind entsprechend geringer. 

So steht die Industriegemeinde nach allen Seiten schwer belastet 
da, und diese Lasten müssen von einer Bevölkerung mit verhältnis- 
mäßig geringer wirtschaftlicher Kraft getragen werden. Denn hier 
herrscht die Arbeiterbevölkerung vor; die wohlhabenderen Kreise sind 
eng begrenzt. Wer es nicht nötig hat, wohnt nicht im Industriebezirk. 
Die reich Gewordenen ziehen ab nach Orten, die ihnen mehr bieten. Die 
Industriegemeinden sind Orte des arbeitenden, nicht des genießenden 
Kapitals. Auch der Mittelstand ist meist nur schwach vertreten und 
nicht besonders wohlhabend. Er will möglichst schnell erwerben, um 
dem Industriebezirk möglichst bald den Rücken kehren zu können. 
Alles ist auf den materiellen Erwerb gestellt. Die meisten fühlen sich 
als Fremdlinge; es fehlt das mit allem versöhnende Heimatsgefühl. 

Auf der einen Seite außerordentlich große Belastung des kom- 
munalen Haushaltes, auf der anderen Seite geringe Leistungsfähigkeit 
der Bevölkerung, das ist die materielle Grundlage der Industriegemein- 
den. Dies Mißverhältnis kann natürlich nur durch hohe Zuschläge 
ausgeglichen werden. Man braucht sich deshalb nicht darüber zu 
wundern, daß sich trotz starker Heranziehung der Ertragssteuern die 
Einkommensteuerzuschläge der Industriegemeinden meist zwischen 200 
und 300 Proz. bewegen. 

Und dabei müssen dieselben noch die größte Sparsamkeit walten 
lassen. Alle jene Aufwendungen, die die Zugkraft der Großstädte 
unterstützen, Aufwendungen für besonders reiche Ausstattung der öffent- 
lichen Gebäude, für Kunst, Wissenschaft usw., sind ihnen versagt. Wenn 
man endlich noch bedenkt, daß die Lebenshaltung in den Industrie- 
bezirken besonders teuer ist, so wird man sich nicht darüber wundern, 
daß nur materielle Gründe den Einzelnen veranlassen können, dort festen 
Fuß zu fassen. 

Man hat schon die verschiedensten Vorschläge gemacht, diesem 
Mißverhältnis abzuhelfen. Die einen wollen die Belastung der Ge- 
meinden ermäßigen durch Uebernahme der Schullasten oder wenigstens 
eines Teiles derselben auf den Staat, andere wollen ihre Einnahmen 


814 Miszellen, 


stärken durch die Ermöglichung, das persönliche Einkommen aus dem 
in ihrer Industrie arbeitenden Kapital unabhängig vom Wohnsitze des 
Kapitalisten vermittels einer Dividendensteuer zu erfassen. Ich muß 
es mir versagen, auf diese Vorschläge im Rahmen dieser Erörterungen 
näher einzugehen. 

Die wirtschaftliche Schwäche der Industriegemeinden ist in letzter 
Linie eine Folge ihrer einseitigen Abhängigkeit von einem einzigen 
Entwicklungsfaktor, der Industrie, und zwar am einzelnen Orte einer 
ganz bestimmten Industrie. Sie ist die Ursache der Belastung und der 
einseitigen Zusammensetzung der Bevölkerung, von ihrem Wohl und 
Wehe hängt das der Gemeinde ab. Selbst die uhvermeidlichen Kon- 
junkturgänge spiegeln sich im Gemeindehaushalt wider. Bei tiefstehen- 
der Konjunktur nimmt die Einnahme der Industrie ab, Lohnkürzungen 
treten ein und Feierschichten werden eingelegt. Damit sinken die Er- 
trägnisse aus der Gewerbe- und Einkommensteuer. 

Es ist verständlich, daß die Gemeinden ihre wirtschaftliche Grund- 
lage zu erweitern suchen, vor allem durch Heranziehung neuer Industrie- 
zweige. Aber dem steht entgegen, daß die Verhältnisse des einzelnen 
Ortes immer nur mehr oder minder einer bestimmten Industriegruppe 
günstig sind, wobei die historische Entwicklung noch eine große Rolle 
spielt. Beim rheinisch-westfälischen Industriebezirk ist es der Bergbau 
und Hüttenbetrieb, in Solingen und Remscheid die Kleineisenindustrie, 
in Krefeld die Textilindustrie usw. Wo z. B. die Schwerindustrie 
herrscht, kann die Kleineisenindustrie wegen der hohen kommunalen 
Lasten und wegen der hohen Arbeitslöhne meist nicht aufkommen. 
Dazu kommt, daß der Wettbewerb der Städte bei der Heranziehung der 
Industrie sehr scharfe, nachgerade eigentümliche Formen angenommen 
hat. Man begnügt sich heute nicht mehr damit, ihre Niederlassung 
durch Vermittelung des Grunderwerbes, den Bau von Kanälen, Häfen 
und Anschlußbahnen zu erleichtern, sondern man überläßt den Grund 
und Boden vielfach unter Preis, wirkt mit bei der Finanzierung der Unter- 
nehmen und gewährt selbst Steuererleichterungen auf viele Jahre. In 
diesen Wettbewerb entscheidet natürlich die wirtschaftliche Leistungs- 
fähigkeit; die schwache Industriegemeinde vermag ihn mit Aussicht auf 
Erfolg nicht mitzumachen. 

Wesentlich günstiger steht sie da, wenn ihr Kabwicklungiläkter 
stark genug ist, sie über die kleineren Gemeinden und Städte hinaus 
in dio Reihe der größeren Städte und Großstädte zu tragen. Auch aus 
den Bedürfnissen eines Ortes mit denkbar einseitiger Arbeiterbevölke- 
rung entwickelt sich mit zunehmender Masse ein breiterer Mittelstand 
an Geschäftsleuten und Beamten, der mit der Zeit auch an Boden- 
ständigkeit gewinnt. Die Stadt nimmt an Leistungsfähigkeit zu und 
kann mehr bieten. Der Haus- und Grundbesitz verteilt sich auf 
breiterer Grundlage und fesselt an den Ort. Auch für vereinzelte 
Kleinunternehmungen sind die Verhältnisse nun günstiger geworden. 
So treibt ein Keil den anderen. Mit zunehmender Masse hebt sich die 
Kraft des Ganzen, die wieder neue Massen erzeugt. Das ist der Massen- 
kapitalismus unserer modernen Großstädte. 


Miszellen, 815 


Die Gemeinden, die es so weit gebracht haben, daß sie teilnehmen 
können an diesem Kapitalismus, werden damit naturgemäß auch un- 
abhängiger von ihrer typischen Ortsindustrie. Sie haben innere Kraft 
genug erlangt, um sich, wenn auch langsam, aus sich selbst heraus 
weiterzuentwickeln. Und dadurch werden sie auch unabhängiger von 
den Fährnissen ihrer Industrie. 

Diese Fährnisse sind heute im Zeitalter des ständigen Wechsels 
der Wirtschaftsbedingungen, der Transport- und Produktionsverhält- 
nisse, im Zeitalter gewaltiger technischer Fortschritte nicht gering 
anzuschlagen. Die Entwicklung von Krefeld ist unter den völlig ver- 
änderten Produktionsbedingungen der Textilindustrie fast zum Still- 
stand gekommen, Solingen und Remscheid leiden unter der immer zu- 
nehmenden Konkurrenz in der Kleineisenindustrie und über dem 
rheinisch-westfälischen Industriebezirk hängt das Damoklesschwert der 
Moselkanalisation. 

Dieser hat überhaupt für die Zukunft mit gänzlich veränderten 
Wirtschaftsverhältnissen zu rechnen. Den Kohlenbergbau kann ihm 
niemand nehmen, aber die Hüttenbetriebe sind heute nicht mehr so 
sehr wie früher an das Vorhandensein von Kohle in unmittelbarer Nähe 
gebunden, weil es fast ebenso wirtschaftlich geworden ist, die Kohle 
zum Erze zu tragen als umgekehrt. Die örtlichen Transportbedingungen 
entscheiden jetzt; deshalb die Furcht vor der Moselkanalisation. 

Wirft man nun noch einen Prospekt in die Zukunft und denkt an 
einen Fortschritt der Verhüttung auf elektrischem Wege, der sicher ein- 
mal kommen wird, so wächst die Konkurrenz der Orte für diese In- 
dustrie noch weiter. Dann wird das Vorhandensein billiger elektrischer 
Kraft stark in die Wagschale fallen und für den Auslandsexport wird, 
wie zum Teil auch heute schon, die Lage an der Küste bedeutsam 
werden. 

Wie das noch alles kommen mag, weiß man nicht. Jedenfalls ist 
man sich im rheinisch-westfälischen Industriebezirk heute schon darüber 
klar, daß derselbe von der Eisenindustrie nicht mehr viel zu erwarten 
hat. Die Entwicklung, die gerade der mittlere Strich desselben, unter- 
stützt durch diese Industrie, durchgemacht hat, gehört der Vergangen- 
heit an. Auch der Kohlenbergbau hat in diesem Teile seinen Höhe, 
punkt erreicht. 

Die weitere Entwicklung liegt hauptsächlich im Norden und Westen 
auf der linken Rheinseite und beruht fast ausschließlich auf dem Vor- 
handensein von Kohle, die zum Teil noch des Aufschlusses harrt. Hier 
nimmt die Bevölkerung der Gemeinden noch immer gewaltig zu. Der 
Bergbau ist heute fast noch ebenso sehr wie früher von der menschlichen 
Arbeitskraft abhängig, während sich die Eisenindustrie durch den Fort- 
schritt der Technik in sehr weitem Maße von derselben zu emanzipieren 
wußte. Daher auch die gewaltige Bevölkerungszunahme, die mit dem 
Aufschluß verbunden ist. 

Aber auch diese Entwicklung erreicht ihren Höhepunkt. In welchem 
Stadium ihn die einzelne Gemeinde erreicht, das wird für ihre weitere 
Zukunft entscheidend sein, ob sie eine für immer schwache, einseitige 


816 Miszellen. 


Industriegemeinde bleiben wird, oder ob sie bis dahin genug innere 
Kraft erlangt hat, und in die Reihe der unabhängigen, größeren Städte 
eintreten kann. 

Im Gegensatz zu dem nördlichen Teil bietet der südliche an der 
Ruhr das Bild eines Industriebezirkes auf dem absteigenden Aste. Hier 
ist auch der Bergbau zurückgegangen. Aber er ist hier eigentlich nie 
aus einer Versuchsperiode herausgekommen. Seine inneren Verhält- 
nisse waren zu schwach; man hat ihn deshalb schon bald aufgegeben. 

Wenn so der rheinisch-westfälische Industriebezirk ein außerordent- 
lich lehrreiches Beispiel bietet für die Abhängigkeit der Ortsentwick- 
lung von dem Gang der Industrie, im Süden der Rückgang, in der 
Mitte der Höhepunkt, im Norden das Ansteigen, das Ganze durchsetzt 
von kraftvollen, unabhängigeren Großstädten, so muß man sich über 
die Tatsache freuen, daß sich bis jetzt der Gang dieser Abhängigkeit 
auch im ungünstigen Falle mehr als ein Stehenbleiben, weniger als 
Rückgang, der aus den gegebenen Verhältnissen im Süden erklärlich 
war, und jedenfalls nicht als ein plötzlicher Rückgang erwiesen hat. 

Das ist sehr erfreulich, denn die volkswirtschaftlichen Werte, die 
hier auf dem Spiele stehen, sind außerordentlich hohe. Daß es auch in 
der Zukunft der Fall sein möge, können wir nur wünschen. Dies zu 
erreichen, wird aber auch zum Teil Aufgabe der Staatspolitik sein 
können und müssen. 


Miszellen. 817 


XXV. 


Jahresbericht des Kgl. Württembergischen Landes- 
wohnungsinspektors für die Jahre 1911 und 1912. 
Stuttgart, Druck von W. Kohlhammer, 1913. 104 SS. 

Von Dr. Else Kesten-Conrad. 


Seit sich die Erkenntnis Bahn gebrochen hat, daß die Beschaffenheit 
der Wohnung das Fundament für das gesundheitliche und moralische 
Gedeihen unserer Bevölkerung darstellt, hat man auch der Wohnungs- 
aufsicht immer mehr Interesse entgegengebracht. Gerade in den kleinen 
deutschen Staaten wie Hessen, Sachsen, Württemberg ist man darin 
vorangegangen, für das ganze Land eine Wohnungsinspektion in die 
Wego zu leiten und gesetzliche Grundlagen für die Wohnungsaufsicht 
zu schaffen, während wir in Preußen bisher auf eine solche einheit- 
liche Regelung vergebens gewartet haben 1). 

In Württemberg ist es eine Verfügung des Ministeriums des Innern 
über die Wohnungsaufsicht vom 21. Mai 1901, die für „sämtliche Ober- 
amtsstädte, sowie für diejenigen sonstigen Gemeinden, welche mehr als 
3000 Einwohner haben“, eine ortspolizeiliche Wohnungsaufsicht an- 
ordnet und die notwendigen Grundlagen dafür schafft, sie wurde ergänzt 
durch die ministerielle Verfügung vom 18. Mai 1907, nach welcher die 
ortspclizeiliche Wohnungsaufsicht auf „alle Gemeinden des Landes“ 
ausgedehnt wurde. 

Gegenwärtig liegt der zweite Jahresbericht des Landeswohnungs- 
inspektors vor, der die Jahre 1911 und 12 umfaßt. Außer den Ergeb- 
nissen der Wohnungsinspektion enthält dieser Bericht auch Mitteilungen 
über die Wohnungsfürsorge, mit Ausnahme der des Staates und des 
Reichs, denn der Landeswohnungsinspektor soll sein „ein Berater des 
Ministeriums, der Oberämter und der Gemeinden, sowie der gemein- 
nützigen Baugenossenschaften in den Fragen der Wohnungsaufsicht und 
der Wohnungsfürsorge“. 

Um die ehrenamtlichen Aufsichtsbeamten möglichst auszuschalten, 
da ihre Vorbildung meist nicht genügt und sie sich vor allem von den 


1) Es ist jedoch zu erwarten, daß der Entwurf zu einem preußischen Wohnungs 
gesetz bald Gesetz wird. 


Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 52 


818 Miszellen. 


Ortseinwohnern nicht unabhängig genug gezeigt, wurden im letzten 
Jahre häufig mehrere kleine Aufsichtsbezirke zu großen vereinigt, so daß 
seit Juni 1913 nur noch 244 Bezirke bestehen, die fast alle einen 
technisch vorgebildeten Beamten haben. Meist ist die Feuerschau bzw. 
Oberfeuerschau mit diesem Posten verbunden. Trotzdem dies der Fall 
und die zweijährige Besichtigung sämtlicher in Betracht kommender 
Wohnungen vorgeschrieben ist, wird doch die Wohnungsaufsicht keines- 
wegs rein polizeilich gehandhabt, sondern die aufklärende und beratende 
Tätigkeit spielt dabei eine große und wichtige Rolle. Der Aufsichts- 
beamte ist zwar angewiesen, sämtliche Beanstandungen aufzuschreiben, 
doch soll die Ortspolizeibehörde bei den Auflagen zur Beseitigung der 
Mißstände individualisieren, um Härten durchaus zu vermeiden. Dieser 
Auffassung ist in der Praxis stets Rechnung getragen worden, was 
meines Erachtens von grundlegender Wichtigkeit ist. 

Sehr interessant ist es, daß auch in Württemberg die Beobachtung 
gemacht worden ist, daß „die städtischen Wohnungen den Anforde- 
rungen der Ministerialverfügung weit mehr entsprechen als die länd- 
lichen“, was durch Gegenüberstellung der Prozentsätze beanstandeter 
Wohnungen in der Oberamtsstadt und in den zugehörigen Land- 
gemeinden des gleichen Aufsichtsbezirks seine ausnahmslose Be- 
stätigung gefunden hat. Damit wird die Unvollkommenheit des preußi- 
schen Wohnungsgesetzentwurfs dargetan, der nur für Gemeinden und 
Gutsbezirke mit mehr als 10000 Einwohnern eine Wohnungsordnung 
obligatorisch macht und nur für diese bestimmte Vorschriften für die 
Durchführung der Wohnungsaufsicht gibt; ja nur für Gemeinden von 
über 100000 Einwohner die Organe, welche mit der Durchführung 
der Wohnungsaufsicht betraut werden sollen, grundsätzlich festlegt. 
Wir sahen, daß Württemberg von seiner ursprünglichen Beschränkung 
der Wohnungsaufsicht auf Gemeinden über 3000 Einwohner schon 
nach sechsjähriger Praxis abgegangen ist. Die Wohnungsinspektion 
ist dort der Frage, wo die größten Mißstände zu finden sind, noch weiter 
nachgegangen, indem sie „die ländlichen Gemeinden einzelner und zu- 
sammengesetzter Aufsichtsbezirke nach Größenklassen zusammengefaßt, 
die Prozente der ‚Beanstandungen festgestellt und miteinander verglichen“ 
hat; dabei ergab sich, daß „der Prozentsatz der die Gemeinden unter 
500 Einwohner umfassenden Gruppe überall mindestens doppelt so hoch 
war als bei der Gruppe mit den Gemeinden von 2000—3000 Ein- 
wohnern“, so daß der schon im Württemberger Jahresbericht für 1910 
S. 48 aufgestellte Satz Bestätigung fand: Je kleiner die Gemeinde, um 
so größer der Prozentsatz der beanstandeten Wohnungen und umgekehrt. 
Selbst in bezug auf Ueberfüllung der Schlafräume fanden sich die stärk- 
sten Mißstände in den kleinen Gemeinden, während z. B. Stuttgart in 
der Beziehung recht günstig dasteht. Hält sich auch die ländliche Be- 
völkerung viel im Freien auf, so kommt das doch nur für die wärmeren 
Monate in Betracht, außerdem ist ein Mindestmaß an hygienischer Be- 
-schaffenheit der Wohnung und vor allem an eine Benutzung, die vom 
moralischen Standpunkt aus zu billigen ist, auch für jene dringend not- 
wendig. 


Miszellen. 819 


Der Bericht kann entschieden von erfolgreicher Tätigkeit der Woh- 
nungsinspektion sprechen, da von den 7,5 Proz. beanstandeter Woh- 
nungen 3,7 Proz., also fast die Hälfte, in ordnungsmäßigen Zustand 
versetzt worden sind. 

Aus der Besprechung der Beanstandungen selbst geht hervor, daß 
die Abortverhältnisse in Württemberg, und zwar besonders in der Stadt, 
häufig ganz bedenkliche sind und aufs dringendste des behördlichen 
Eingreifens bedürfen. 

Im zweiten Teil wird auf die Wohnungsfürsorge eingegangen und 
festgestellt, daß „das Rückgrat der Wohnungsfürsorge der Gemeinden 
und der Bauvereinigungen die Versicherungsanstalt Württemberg ist“. 
Mit Recht wird beklagt, daß nur 11 Gemeinden in den letzten zwei 
Jahren Erhebungen über leerstehende Wohnungen angestellt haben, die 
alle konstatieren mußten, daß ein geringerer Prozentsatz leer stand, als 
der als notwendig erkannte von 3 Proz. Dieser Grundlage der Woh- 
nungsfürsorge sollte mehr Beachtung geschenkt werden. 


52* 


820 Miszellen, 


XXVI. 


Nachtrag. 


In der Abhandlung: Bemerkungen zum Problem Lorenz Stein— 
Karl Marx (Jahrbücher, Bd. 47, März 1914) habe ich gesagt, daß in dem 
Briefwechsel zwischen Marx und Engels Steins Name nicht vorkommt. 
Ich habe mich auf das Namensregister verlassen, das aber, wie ich sehe, 
mangelhaft ist. Jetzt, wo ich mich eingehender mit dem vierbändigen 
Werke befasse, finde ich im vierten Band auf S. 5 folgendes: 


Dear Fred! 8. Januar 1868. 

- Die Sache von Dühring (er ist Privatdozent an der Berliner Univer- 
sität) ist sehr anständig, um so mehr, als ich seinen Meister „Carey“ so 
hart angelassen habe. Verschiedenes hat Dühring offenbar mißver- 
standen. Das Drolligste aber, daß er mich mit Stein zusammenstellt, 
weil ich Dialektik treibe und Stein in hölzernen Trichotomien, mit 
einigen Hegelschen Kategorieumschlägen, das Allertrivialste gedanken- 
los zusammenreiht. 

Dies sei vorläufig zur Ergänzung der obigen Abhandlung der Auf- 
merksamkeit der Leser empfohlen. Béla Földes. 


Literatur. 821 


Literatur, 


VI. 
Kinoliteratur. 


Ein Sammelreferat von Alexander Elster (Berlin). 


1. Lichtbühnen-Bibliothek. Herausgegeben von der Lichtbilderei, 
G. m. b. H., M.-Gladbach. (M.-Gladbach, Volksvereinsverlag.) 
a) Liesegang, F. Paul, Lichtbild- und Kinotechnik. 73 SS. 
1913. 1 M. 

b) Häfker, H., Kino und Kunst. 71 SS. 1913. 1 M. 

c) Warstrat, Willi, und Bergmann, Franz, Kino und Ge- 
meinde. 112 SS. 1913. 1,50 M. 

d) Rath, Willy, Kino und Bühne. 52 SS. 1913. 1 M. 

e) Hellwig, Albert, Rechtsquellen des öffentlichen Kinemato- 
graphenrechts. 256 SS. 1913. 5 M. 

f) Sellmann, Adolf, Kino und Schule. 72 SS. 1913. 1 M. 

2. Bild und Film. Zeitschrift für Lichtbilderei und Kinemato- 
graphie. (M.-Gladbach, Lichtbilderei, G. m. b. H.) Redaktion Dr. Lorenz 
Pieper, M.-Gladbach. Halbjährlich 2,40 M. 

3. Altenloh, Emilie, Zur Soziologie des Kino. Die Kinounter- 
nehmung und die sozialen Schichten ihrer Besucher. (Schriften zur 
Soziologie der Kultur. Herausgegeben von Alfred Weber, Heidelberg. 
3. Bd.) Jena (Eugen Diederichs) 1914. 2,50 M. Geb. 3,50 M. 

4. Hellwig, Albert, Schundfilms. Ihr Wesen, ihre Gefahren 
und ihre Bekämpfung. Halle a. S. (Buchhandlung des Waisenhauses) 
1911. 

5. Tannenbaum, Herbert, Kino und Theater. München (Max 
Steinebach) 1912. 75 Pf. 

6. Lemke, Die Kinematographie der Vergangenheit, Gegenwart 
und Zukunft. Leipzig (Edmund Demme). 1 M. 

7. Schultze, Ernst, Der Kinematograph als Bildungsmittel. 
Halle a. S. (Buchhandlung des Waisenhauses) 1911. 3 M. 


Die wissenschaftlich ernst zu nehmende Literatur über das Kino, 
soweit sie uns hier in den „Jahrbüchern für Nationalökonomie‘ etwas 
angeht, ist jungen Datums. Die ersten Verfasser, die unsere Frage ge- 
fördert haben, waren Ernst Schultze und Albert Hellwig, die über 
den Kinematographen als Volksbildungsmittel und über die Gefahren 
der Schundfilms wertvolle Bücher veröffentlicht haben. Stärkeres Leben 
begann mit dem Augenblick, als sich der Volksvereins-Verlag in M.- 
Gladbach der Kinoliteratur annahm und nicht nur die einzige Kino- 


822 Literatur. 


reformzeitschrift „Bild und Film‘; die jetzt im 4. Jahrgang erscheint, 
ins Leben rief, sondern auch in der Lichtbühnen-Bibliothek außerordent- 
lich beachtenswerte Monographien über die einzelnen Fragen des Kinos 
veröffentlichte. Diese Serie, von der jetzt 6 Hefte vorliegen, bildet 
außer den genannten Büchern und dem soeben erschienenen Buch von 
Emilie Altenloh „Zur Soziologie des Kino“ das Rückgrat der gesamten 
neuen Literatur, soweit sie in Buchform und nicht nur in einzelnen Auf- 
sätzen vorliegt. Wir besprechen diese Bücher im folgenden nur soweit, 
als sie volkswirtschaftlich und sozialpolitisch von Interesse sind. 

la) Liesegang gibt einen mit vieler Sachkenntnis geschriebenen, 
aber auch für jeden Laien, der sich für Kinematographie interessiert, 
verständlichen Ueberblick über Herstellung der Filme und Technik 
ihrer Aufführung. Diese Schrift bildet also die technische Grund- 
lage für die Beurteilung der wirtschaftlichen und sozialen Fragen. 

1b) Hermann Häfkers Büchlein über Kino und Kunst 
behandelt nicht die dramatische Kunst der Kinematographie, sondern 
die Kunst im Bild selbst, also die künstlerische Darbietung der Auf- 
nahmen und die künstlerisch vollkommenen Kinovorführungen. Er 
stellt Idealprogramme auf, die vom Standpunkt der Volksbildung aus 
wichtig sind und die von jedem, der sich mit der Kinematographie als 
einem Volksbildungsmittel beschäftigt, beachtet werden sollten. Es sind 
hier aus der Psychologie und aus der bildenden Kunst Sätze abgeleitet, 
die für die Reformierung der Kinovorstellungen wichtig sind. 

Lei Bedeutungsvoller für den Leser der „Jahrbücher“ ist das 3. Heft 
der Sammlung, in welchem Willi Warstrat und Franz Bergmann 
die Beziehungen zwischen Kino und Gemeinde behandeln. Dabei 
handelt es sich im wesentlichen um die Forderung, Gemeindekinos als 
Musterinstitute einzuführen, die, wie die in städtischer Regie befind- 
lichen Theater, der Kunst dienen sollen und nicht dem geschäftlichen 
Erfolg allein. Dieser Gedanke wird übrigens auch in den Mittelpunkt 
der Schrift von Rath über Kino und Bühne (siehe unten 1d) gestellt, 
der auch von der „Entgeschäftlichung‘“ des Theaters die Hebung der 
Kunst als Volksbildungsmittel erwartet. Der Weg, der zur Schaffung 
eines mustergültigen Gemeindekinos beschritten werden muß, ist in der 
Schrift von Warstrat und Bergmann klar und überzeugend gezeichnet. 
Auch die Möglichkeit der Durchführung wird nach diesen Ausführungen 
kaum bezweifelt werden können. Die Verfasser wünschen, daß sowohl 
bei der Zensur wie bei der Leitung der kinematographischen Muster- 
institute das künstlerisch und ethisch gebildete Laienelement heran- 
gezogen wird, und zwar sollen dies nicht nur Lehrer, sondern auch 
andere geeignete Personen sein. Weiter wird hier die Forderung, die 
schon Ernst Schultze und Albert Hellwig (siehe unten Nr.4 u. 7) stellten, 
nämlich Verbände oder Syndikate zum Zweck der Herstellung von 
Musterkinos zu gründen, aufgenommen. Für kleinere Gemeinden schlägt 
man eine Art Zweckverband von Vereinen und Interessenten für Wander- 
kinos vor. Der zweite Teil der Schrift, der von Bergmann verfaßt ist 
und das Kinowesen vom verwaltungsrechtlichen und wirtschaftlichen 
Standpunkt behandelt, wird noch besonderes Interesse beanspruchen. 
Er behandelt die polizeilichen Mittel gegen den Kinoschund, die Kon- 


Literatur. 823 


zessionspflicht der Kinos und das Kinderschutzgesetz, die Handhabung 
der Zensur und der baupolizeilichen Vorschriften und enthält nament- 
lich einen größeren wertvollen Abschnitt über die Besteuerung der Kine- 
matographentheater, ihre Erträge, die Wirkung der Steuer unter Bei- 
bringung von gemeindlichen Steuerordnungen, Vertragsentwürfen, Film- 
lieferungsverträgen u. dgl. Die rechtliche Zulässigkeit der Gemeinde- 
lichtspielhäuser, die wirtschaftlichen Fragen der Kinokonzession und 
die Art der Beteiligung der Gemeinde am Kino werden eingehend dar- 
gelegt. Für wirtschaftliche Kinofragen bildet also gerade dieses Buch 
besonders .viel. 

1d) Willy Raths feinsinnige Schrift über Kino und Bühne 
verdient insofern Erwähnung, als sie die künstlerischen Gesichtspunkte 
bei der Beurteilung der ganzen Kinofrage mit wundervoller Klarheit 
und souveräner Beherrschung der ästhetischen Gesichtspunkte darlegt. 
Der wirtschaftliche Kampf zwischen Kino und Theater findet eine 
interessante Beurteilung, namentlich durch die Forderung, daß die 
Theater nicht so sehr über die neue Konkurrenz wehklagen als viel- 
mehr am eigenen Leibe reformieren sollten. Der Verfasser steht auf 
dem Standpunkt, daß sich beide Unterhaltungsarten ergänzen müssen 
und daß man dem Kino durchaus nicht alle sozialen Schädigungen in 
die Schuhe schieben darf. Die kurze Schrift ist inhaltlich sehr reich 
und liest sich vorzüglich, so daß sie auch dem Fernerstehenden als 
gute Einführung in diese aktuellen Fragen empfohlen werden darf. 

le) Ein Quellenwerk für das öffentliche Kinematographen- 
recht ist Hellwigs Zusammenstellung der Rechtsquellen, also ein juri- 
stisches Auskunftsbuch. Mit unendlichem Fleiße ist alles Vorhandene 
an Reichs- und Landesgesetzen, an Ministerialerlassen und Polizeiverord- 
nungen aus ganz Deutschland, ja eine Reihe wichtiger Gesetze aus 
dem Ausland hier zusammengestellt. Besonders wichtige Gesetzentwürfe, 
vornehmlich der württembergische, sind abgedruckt. Der ganze Stoff 
ist übersichtlich geordnet und mit sachkundigen Anmerkungen ver- 
sehen, die aber nur das Notwendigste betreffen. Sehr instruktiv ist die 
17 Seiten umfassende Einleitung, die einen erschöpfenden Ueberblick 
über die Grundzüge des öffentlichen Kinematographenrechts und über 
die kinematographischen Rechtsreformfragen gibt. Hier werden die 
Fragen der Schundfilme, der Konzessionspflicht, der Filmzensur, des 
Kinderverbots, der Plakatzensur, der Sicherheitsvorschriften, des Schank- 
betriebes, der Sonntagsheiligung, immer unter vergleichender Berück- 
sichtigung der verschiedenen bundesstaatlichen und zum Teil auch der 
ausländischen Gesetzgebung, dargelegt. Ein hervorragend verdienst- 
liches und nützliches Buch ist also hier entstanden, welches für jeden, 
der sich mit der Kinofrage beschäftigen muß, sei es als Beamter, Parla- 
mentarier, Kinoreformer, besonders als Polizeibeamter, ein ganz unent- 
behrliches Nachschlagebuch darstellt. 

1f) Prof. Dr. Adolf Sellmann behandelt in seiner Schrift über 
Kino und Schule nicht die Tätigkeit der Schule gegenüber den 
Auswüchsen des Kinos, ein Thema, das in anderen Arbeiten (siehe 
unten Nr. 7) erörtert wird, seine Aufgabe sieht er vielmehr darin, daß er 
als Schulmann die Frage beantwortet, in welcher Weise der Kinemato- 


824 Literatur. 


graph der Schule Nutzen bringen und dem Unterricht Hilfe leisten kann. 
Insofern gehört sein Buch in andere Wissensgebiete, als wir sie hier be- 
handeln. Aber auch hier ist aus seiner instruktiven Schrift erwähnens- 
wert, daß er die sozialhygienischen Gefahren des Kinos für Schul- 
kinder maßvoll beurteilt und in dem Kinematographen einen Lehrer 
sieht, wie es keinen zweiten gibt. Für das Gymnasium fordert er 
namentlich Filme, die das antike Leben vorführen, und für das Fort- 
bildungsschulwesen erkennt er dem Film eine bedeutende Aufgabe zu. 
Bei alledem empfiehlt er den gleichzeitigen Gebrauch des stehenden 
Lichtbildes neben dem Film und fordert ein Gemeindekino, das für 
Schul- und allgemeine Volksbildungszwecke jederzeit zur Verfügung 
steht. 

2. Die Zeitschrift „Bild und Film“, die in ihrem ersten 
Jahrgang vierteljährlich erschien, verwandelte sich mit dem zweiten 
Jahrgang in eine Monatsschrift und gewann dadurch noch an Wert und 
Reichhaltigkeit. Von den ersten Autoren auf dem Gebiet der Kinoreform 
wird nicht nur die künstlerische, sondern auch die juristische, rechts- 
und wirtschaftspolitische und besonders auch die technische Seite der 
Filmfrage dauernd behandelt. Dabei ist die Redaktion durchaus nicht 
engherzig auf eine ganz bestimmte Meinung eingeschworen, sondern 
läßt die verschiedensten Ansichten zur Geltung kommen, wenn sie nur 
dem Grundprinzip der vernünftigen Reform entsprechen. Man hat jetzt 
auch eine ständige Rubrik „Kinokritik“ eingeführt, in welcher die 
bedeutendsten Filme systematisch fachmännisch beurteilt werden. 
Namentlich der Frage „Kino und Gemeinde“ widmet sich diese Zeit- 
schrift. In einem sehr dankenswerten Briefkasten hat sie eine Ein- 
richtung, in welcher auf juristische und technische Fragen jedem An- 
fragenden fachmännisch Antwort erteilt wird. Die Zeitschrift verdient 
daher, nicht nur in den direkt beteiligten Kreisen noch mehr als bisher, 
sondern auch in weiteren Kreisen der Gebildeten, die sich überhaupt 
für das Kino interessieren, gelesen zu werden. 

3. Zum ersten Male auf das soziologische Gebiet beschränkt sich 
bewußtermaßen die Schrift von Emilie Altenloh „Zur Soziologie 
des Kino“. Es ist die neueste Erscheinung auf diesem Gebiet und 
beruht auf einer Enquete der Verfasserin. Darin liegt der Wert dieser 
Schrift. Der geschichtliche Ueberblick, mit dem das Buch eingeleitet 
wird, ist dürftig und reicht nicht an die gleichartigen Arbeiten von 
Ernst Schultze, Albert Hellwig und Hermann Lemke (siehe über diese 
drei weiter unten) heran. Auch bei dem Ueberblick über den Anteil der 
einzelnen Länder an der Produktion erfährt man nicht viel Neues, da 
die Verfasserin die neuere deutsche Filmtätigkeit nicht genügend zu 
kennen scheint. Besser schon ist das Kapitel über die wirtschaftliche 
Organisation. Wenn wir hier das Stammkapital der wichtigsten Firmen 
erfahren, und den J ahresumsatz, der z. B. bei Pathé frères 400—500 Mill. 
beträgt, so gibt das einen Anhaltspunkt von der Tätigkeit der Film- 
industrie, was des weiteren durch die interessanten Mitteilungen über 
die Vertrustung ergänzt wird. Kurz werden dann weiter die Verleih- 
geschäfte und die Lichtbildtheater in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung 


Literatur. 825 


skizziert und dann auf den Inhalt der Filme eingegangen. Dieses 
kritische Kapitel über die Filme enthält neben vielem Richtigen auch 
manches Anfechtbare. Wirtschaftlich interessieren daran die Angaben über 
die Gagen der Filmschauspieler. Ganz unzulänglich ist das Kapitel über 
den gesetzlichen Rahmen der kinematographischen Vorführungen. Weit 
wichtiger als dieser erste Teil des Buches ist aber der zweite über das 
Kinopublikum, bei welchem die Ergebnisse der Enquete in soziologische 
Tatsachen umgesetzt werden. Hier werden nacheinander der Geschmack 
der Knaben, der Mädchen, der jugendlichen Arbeiter, der älteren Ar- 
beiter, der Landbewohner, der Arbeiterfrauen, Handwerker, Landhand- 
werker, Handlungsgehilfen und Handlungsgehilfinnen auf Grund der 
Erhebung gekennzeichnet. Im ganzen zeigt sich hier, daß die Arbeiter 
meist aus Interesse an der Sache das Kino besuchen, während die Hand- 
werker weniger Interesse daran bezeugen und die besser bestellten. 
Handlungsgehilfen und Handlungsgehilfinnen mehr durch die ange- 
nehmen äußeren Bedingungen der Kinotheater angelockt werden. Aus 
der häufig wiederkehrenden Antwort, daß die Besucher aus Langeweile 
ins Kino gehen, zieht die Verfasserin den Schluß, daß sich daraus über- 
haupt der große Besuch der Kinos ableiten lasse. „Die Langeweile‘, 
sagt sie, von der das Kino profitiert, ist in der heutigen Zeit, trotz 
des Vielbeschäftigtseins, oder vielleicht gerade deswegen, eine typische 
Erscheinung und ist besonders oft in bestimmten Berufen zu finden.“ 
Weiter kann die Verfasserin nach ihren Untersuchungen bezeugen, daß 
das Kino in erster Linie für die modern empfindenden Menschen da sei, 
die sich treiben lassen und unbewußt nach den Gesetzen leben, die die 
Gegenwart vorschreibt. Was sie schließlich im allgemeinen über den 
Geschmack der Masse gegenüber den klassischen Werken sagt, ist 
richtig, wird aber hier in schiefer Fragestellung gegeben, da sie das 
Nachlassen des Interesses an diesen älteren Werken auf das Konto des 
Kinos setzt, obschon sie es als den Ausdruck unserer Zeit bezeichnet. Im 
ganzen genommen ist dieses Buch der erste Versuch auf dem Gebiet, die 
massenpsychologische Erscheinung eines reinen Unterhaltungsgebietes 
soziologisch zu erfassen. 

4. Etwa gleichzeitig mit dem Buche von Schultze (siehe unten Nr.7) 
erschien das von Albert Hellwig über „Das Wesen, die Ge- 
fahren und die Bekämpfung der Schundfilme“. Hier werden 
gerade die Abwehrmaßregeln gegen die Schädigungen in den Mittel- 
punkt der Erörterung gestellt, indem zunächst diese Schädigungen 
selber überzeugend vor Augen geführt werden. Das Buch hat zweifel- 
los zu der allmählich immer stärker werdenden Gegenbewegung gegen 
den Filmschund Hervorragendes beigetragen, und wer sich über die 
Art der Filme vor 3—6 Jahren ein ungefähres Bild machen will, mag 
dieses Buch lesen. Die Gegenmittel und wünschenswerten Reformen 
werden dann eingehend bezeichnet und ihre Berechtigung nachgewiesen. 
Was der Verfasser unter anderem über Filmzensur, Konzessionspflicht, 
Plakatzensur, Schul- und Kinderverbote, zeitliche Beschränkung des 
Kinderbesuches ausführt, ist so richtig gewesen, daß es den Weg für 
das praktische Vorgehen der letzten Jahre gewiesen hat, und es darf 


826 Literatur. 


wohl behauptet werden, daß man mit diesen Mitteln auf dem richtigen 
Wege ist. Die neueren Verordnungen und Gesetze und die Erfahrungen, 
dio damit gemacht werden, bestätigen das. 

5. Es sei auch die kleine Schrift „Kino und Theater“ von 
Herbert Tannenbaum hier genannt, der in anderer Art, als es Rath 
(siehe oben unter 1d) tut, das Lichtspieltheater und die Sprechbühne 
gegenüberstellt. Der Inhalt seines Buches ist mehr ethisch-kritischer 
Natur und in der Art eines kurzen Essays gehalten, liest sich aber recht 
gefällig wegen des klaren zutreffenden Urteils über diese Fragen. 

6. Hermann Lemkes Buch über „Die Kinematographie 
der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft“ hat gewissen 
dokumentarischen Wert. Der Verfasser, ein Rektor in Storkow i. Mark, 
hat in der ersten Zeit des Aufschwunges der Kinos die Entwicklung 
sorgfältig verfolgt und gibt eine Reihe interessanter Augenblicksbilder 
aus dieser Zeit, die namentlich auch über das deutsche Kino wirt- 
schaftlich bedeutsame Mitteilungen machen. So gibt er wichtige 
Nachrichten über das Auftreten des deutschen Großkapitals in der 
Kinematographie unter Nachweisung von Vorgängen in den einzelnen 
Firmen, berührt auch die Frage des Großkapitals im Filmverleih- 
geschäft, die Bestrebungen, das Filmgeschäft zu monopolisieren, und 
schließt mit dem Satz, daß ein Zusammenarbeiten von Großkapital, 
Industrie und kulturellen Momenten einzig und allein berufen sei, die 
Kinematographie zu fördern. Wegen dieser Einzelheiten ist diese etwas 
aphoristisch verfaßte Schrift, die von wissenschaftlicher Durchdringung 
fern ist, ganz wertvoll. 

7. Das erste wirklich eingehende Buch über die Kinematographie 
ist wohl dasjenige von Ernst Schultze „Die Kinematographie 
als Bildungsmittel‘“ gewesen. Es beschränkt sich absichtlich nicht 
darauf, die Auswüchse festzustellen, die der Kinematograph gezeitigt 
hat, sondern will auch seine guten Seiten hervorheben und gebührend 
würdigen. Freilich überwiegt in den tatsächlichen Angaben die Dar- 
stellung der schädlichen Aeußerungen des Kinos, wie sie vor 3 Jahren 
(das Buch erschien 1911) ja noch vielfach vorherrschten. Eine Fülle 
von Material hat der Verfasser zusammengetragen und dadurch seinem 
Buch, gerade mit Rücksicht auf die rasche Entwicklung des Kino- 
wesens, schon jetzt einen historischen Wert gegeben. Wer sich über 
jene Zeit in der Entwicklung jetzt oder künftig orientieren will, wird 
am besten zu diesem Buche greifen. Hie und da gibt er in der Hitze 
des Gefechtes einige Angaben doppelt an zwei verschiedenen Stellen, 
darüber kann man aber hinwegsehen mit Rücksicht auf die fleißige Zu- 
sammentragung wichtigen, auch statistischen Materials. Einen großen 
Teil des Buches nimmt die Wiedergabe des Inhaltes einzelner Filme 
ein, weiter wird die Stellung der Zensur und der Gesetzgebung mit- 
geteilt und dann das Reformprogramm dargelegt. Aus diesem erscheint 
neben dem Vorschlag, eine „Deutsche Gesellschaft für lebende Bilder“ 
zu gründen, namentlich die Anregung von Wert, daß auf wissenschaft- 
lichem, namentlich auch auf nationalökonomischem und sozialhygieni- 
schem Gebiet der Kinematograph als Unterrichtsmittel benutzt werden 
sollte. „Hier“, meint der Verfasser, „könne der Kinematograph ein 


Lit&ratur. 827 


anschauliches Bild von Vorgängen geben, die der Studierende in der 
Regel noch nicht kennt, und ihm manche Besichtigung an Ort und 
Stelle ersparen. Auch können namentlich alle Einzelzweige des Wirt- 
schaftslebens, die einzelnen Stadien eines Arbeitsprozesses von der Kine- 
matographie dargestellt und zu Unterrichtszwecken immer wiederholt 
werden.“ Zugleich könne der Kinematograph auch dazu dienen, Bevölke- 
rungskreise, die in der Technik noch zurück sind, durch die Vor- 
führung vollendeter Technik zu fördern und, einem weiteren Vorschlag 
von Dr. Moritz Fürst gemäß, durch die Vorführung gesundheitlicher 
Bilderreihen die Volkshygiene zu heben. Den Abschluß des Buches 
bildet der Abdruck wichtiger polizeilicher Verordnungen und Ent- 
scheidungen. 


* * 
* 


Der Gesamteindruck aus der gegenwärtig vorliegenden Kinoliteratur 
ist der, daß die Reformer durchaus wissen, was sie wollen und daß 
sie auch in den letzten 5 Jahren viele Erfolge zum Segen der Volks- 
erziehung aufzuweisen haben. Der Kampf ist hier, ähnlich wie es ja 
auch bei der Alkoholismusbekämpfung der Fall ist, ein ungleicher in- 
sofern, als das soziale Empfinden und die Intelligenz dem Interessen- 
standpunkt und dem Kapital gegenüberstehen. Auch hier also suchen 
die Reformer durch kulturelle Erwägungen und durch einen Appell an 
den guten Geist des Volkes dem skrupellosen materiellen Standpunkt 
der Kinointeressenten Schach zu bieten. Dies ist um deswillen so 
schwer, weil die Kinointeressenten mit dem Geschmack der Menge 
rechnen müssen und um so größeren Gewinn haben, je breiter die 
Masse ist, auf die sie sich stützen können. Die breitere Masse aber 
schließt auch den niederen Standpunkt, die niederen Instinkte in sich. 
Dazu kommt, was in keinem der genannten Bücher hinreichend betont 
wird, das, wenn ich so sagen darf, krampfartige Element in weiteren 
Schichten der Kinoindustrie. Die Angehörigen dieser Industrie setzen 
sich zum Teil aus gescheiterten Existenzen zusammen, die so rasch wie 
möglich die gute Konjunktur ausnutzen und Geld machen wollen, und 
denen es gar nicht darauf ankommt, wie tief oder wie hoch das Pro- 
gramm der Darbietungen steht, ja die zum Teil gar kein Verständnis 
dafür mitbringen. Damit soll natürlich kein Stein auf die führenden 
Firmen geworfen werden, die, wie alle Beurteiler bestätigen, schon recht 
viel Gutes geleistet haben, es soll vielmehr nur die Macht und die 
Menge des Minderwertigen erklären, das immer wieder trotz aller 
Gegenmaßnahmen und trotz alles besseren Wollens das Haupt erhebt. 
Volkserzieherische und Kulturfragen stehen also hier immer noch in 
offenenı Kampfe mit dem Interessentenstandpunkt der meisten Kinoleute. 
Der Krieg hat in dieser Hinsicht zunächst einen Stillstand gebracht. Der 
internationale Wettbewerb, der hier besonders wichtig war, hat so gut 
wie gänzlich aufgehört, das stoffliche Interesse am Kriegsbild über- 
wiegt durchaus den künstlerischen Zug. Vielleicht aber bietet die Kine- 
matographie uns für später einen Einblick in wirkliche Vorgänge des 
Krieges. 


828 Uebersicht über die neuesten Publikatiönen Deutschlands und des Auslandes. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen 
Deutschlands und des Auslandes. 


1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle 
theoretische Untersuchungen. 


Wagemann, Arnold, Wesen und Technik der heutigen Wirt- 
schaftskämpfe. Jena (G. Fischer) 1913. 44 SS. 

Wagemann ist nicht ganz unbekannt geblieben in bodenreforme- 
rischen Kreisen ; und wenn man einigen seiner Rezensenten glauben darf, 
sind seine beiden Publikationen ‚Unser Bodenrecht“ und „Geist des 
deutschen Rechts“ wirklich empfehlenswert. Jedenfalls ist es zu hoffen; 
denn diese vorliegende neueste Broschüre aus seiner Feder vermag in 
der Tat keinen Anspruch auf Weiterempfehlung zu erheben; sie gehört 
in jene Kategorie von Büchern, deren Verfasser es den Leser entgelten 
lassen, daß sie allzusehr mit dem Herzen, aber zu wenig mit der Kühle 
des Denkens bei der Arbeit waren. 

Was Wagemann will, ist, soweit ich sehe, ein Versuch, den 
Kampf der Bodenreform philosophisch zu fundieren und ihn damit 
zugleich zu modifizieren — und womöglich ihm eine größere Schwung- 
kraft zu geben; und er möchte es tun durch den Nachweis der Iden- 
tität ethischer und wirtschaftlicher Ziele; anders ausge- 
drückt: ethische Maxime müssen die Leitung übernehmen in wirt- 
schaftlichen Dingen. Nur so ist es möglich, den „Krankheitserreger“ 
in unserer Gesellschaftsordnung zu finden — und zu beseitigen; denn 
nur von Ethik geleitet, ist man auch der heilkräftigen Liebe fähig, 
der Voraussetzung für jede Bestrebung auf anhaltende Abänderung und 
Besserung korrupter, schädigender Zustände, während der Haß nur 
kämpfen und vernichten, aber nicht heilen und aufbauen kann. 

Der Gesichtspunkt, von dem Verf. also ausgeht, ist der, daß unsere 
Wirtschaftsordnung umfangen und durchzogen ist von ethischen Voraus- 
setzungen — conditiones, sine quibus non — ohne die sie zur völligen 
Anarchie ausarten würde; daß mithin auch die Respektierung dieser 
Grundbedingungen verlangt werden müsse; mehr noch, daß das gesamte 
Wirtschaftsleben unter ethischer Zielsetzung geleitet werde. Diesem 
Gedanken wohnt sicherlich ein gut Teil Wahrheit inne; zweifelsohne 
spielen Treu und Glauben, Rücksichtnahme, Gefälligkeit und manch 
andere moralische Qualitäten auch in unserer Wirtschaftsordnung, auf 
deren „vertragliche“ Regelung wir so stolz sind, eine viel größere, er- 
haltende und fördernde, Rolle, als man auf den ersten Blick anzunehmen 
geneigt sein mag. Ferner: Alles wirtschaften kann nur den einen letzten 
Zielpunkt haben, die Bedürfnisse aller Einzelnen, der Gesamtheit, zu 
befriedigen. So kommt man allerdings dahin, zu verlangen, daß das 
Wirtschaftsleben auch in diesem Sinne und unter diesem Gesichtswinkel 
gehandhabt werde; d. h. daß es als ein Mittel zu einem ethischen Zweck 
gebraucht werde, demgemäß natürlich auch in ethisch anständiger Weise. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 829 


Das ist ja der uralte Kern alles sozialen Denkens und Fühlens, 
daß es nicht auf einzelne exorbitante, verblüffende wirtschaftliche Lei- 
stungen ankomme, die einen hohen Stand (mit Aufbietung aller Kräfte 
gerade noch möglicher) Technik und Organisation verraten, sondern 
darauf, daß unter wirklich rationeller Anwendung aller technischen und 
organisatorischen Errungenschaften, bei gleichzeitiger möglichster Ver- 
meidung irgendwelcher individueller Schädigungen, das Gesamtbedürfnis 
befriedigt werde. Es wäre töricht, wollte man diesen Grundgedanken des 
Sozialisınus, in dem gleichzeitig das höchste Ausmaß wirtschaftlichen 
(rationellen) Verhaltens zum Ausdruck kommt, ablehnen. Im Gegenteil, 
ihn zu propagieren muß Pflicht eines jeden sein, der ihn erfaßt hat. 
Nur wird man gut tun, einmal, die Konsequenzen aus ihm vorsichtig 
abzustecken; zweitens, ihn in faßlicher, verständiger Form vor- 
zutragen’ Das erste ist gerichtet gegen den laut schreiend einher- 
stürmenden Sozialismus, der nur durch Aufstellung extremer Forde- 
rungen etwas erreichen zu können vermeint — mit ihm können wir 
uns hier nicht auseinandersetzen. Das zweite geht auf Bücher, wie 
das von Wagemann, dem guter Wille sicherlich nicht abzusprechen 
ist, der meines Erachtens aber ebenso unpraktisch 'verfährt, wie er in 
wenig verbindlicher Weise argumentiert. 

Um es schroff auszudrücken: man würgt an der Lektüre dieses 
kleinen Büchleins, und besonders am Kapitel I, von dem bislang die 
Rede ist; man droht an dieser Lektüre zu ersticken, und das nicht so- 
wohl, weil cs an allzu komplizierten, tiefgründigen Gedankengängen 
überreich wäre, als vielmehr deswegen, weil es von klar faßlichen Ge- 
dankengängen, oder gar von einem einheitlichen Gedankengang über- 
haupt nichts merken läßt. Sondern es sind nur einzelne Gedanken an- 
einandergereiht — wohl 80—90 Proz. aller Sätze bilden gleichzeitig 
auch Absätze —, und dem Leser bleibt es überlassen, die Beziehungen 
zwischen den einzelnen Gedanken herzustellen — wie er mag. Dabei 
soll nicht geleugnet werden, daß Verf. einzelne feine Gedanken hat, 
denen er auch eine entsprechende Form zu geben vermag; z. B.: „Haß 
und Liebe sind keine Gegensätze, sondern Schattierungen desselben Ge- 
fühls, das dem uns allen innewohnenden Hilfstrieb entspringt“; oder 
„Die Kraft der Philosophie liegt in ihrer allumfassenden Einsicht, die 
der Technik in ihrer Einseitigkeit‘; oder „Ethik ist die Hygiene der 
Wirtschaft“. — Allein, diese mots" vermögen nicht für den Rest zu 
entschädigen. 

Soweit der erste, allgemeine Teil. 

Im zweiten, speziellen Teil illustriert Verf. seine Auffassung davon, 
wie wirtschaftliche Streitfragen ethisch angefaßt werden müssen, um 
sie zu einer opportunen Lösung zu bringen; und zwar dient ihm hierzu 
das Boden- und das Kapitalproblem. Hier ist seine Argumentation 
deutlicher — obwohl sich ein Ueberfluß an völlig nicht’ zur Sache ge- 
hörigen Apostrophen bemerkbar macht —, leider aber absolut unfrucht- 
bar. Sehen wir zu, welche Gestalt das Bodenproblem unter seinen 
Händen annimmt. 

Wagemann beanstandet H. Georges „Waffenstillstand“ mit dem 
Feinde, der bis heute von den Anhängern der Bodenreform immer 


830 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


wieder erneuert ist, nämlich den Kompromiß, die aus dem Bodeneigentum 
sich ergebende ungerechte Einnahme im Wege der Steuer dem unbe- 
rechtigten Empfänger wieder abzunehmen. „Die bisherigen Boden- 
rechtsbewegungen täuschen sich alle darüber, daß ein Recht möglich 
sein soll, das immer noch ein Quantum Unrecht enthält.“ „Der Grund 
dafür, daß eine so intensive und so allgemein als notwendig empfundene 
Bewegung immer noch nicht den Kern der Frage hat herausschälen 
können, liegt einmal darin, daß nicht von dem ethischen Fundament aus 
an sie herangegangen wird, sondern von den wirtschaftlichen Resultaten 
aus, sodann trägt die Mitschuld die Entfremdung, welche zwischen dem 
Volk und dem Recht seit dem traurigen Experiment der Uebernahme 
einer fremden Rechtsordnung eingetreten ist.“ 

Wo liegt nun — nach Wagemann — der Kern der Frage? Er 
liegt nicht in der neuerdings von manchen kritischen Freunden der 
Bodenrefornı vorgeschlagenen Verstaatlichung. 

„Verstaatlichung hilft nicht“, sagt Wagemann, denn „Gesund ist 
das private Bodennutzungsrecht‘ (24). Sondern nach seiner Meinung muß 
ein Zustand herbeigeführt werden, in dem das Eigentum am Boden 
auf die Gesamtheit übertragen, das Nutzungsrecht jedoch den Pri- 
vaten überlassen ist. Wie das machen? Nach Wagemann ist nichts 
leichter als dies; es ist lediglich eine Sache der Definition. Es „ge- 
schieht dadurch, daß die Rechtsordnung das Eigentum am Grund und 
Boden in der Weise definiert, wie das nach deutscher Rechtsauffassung 
stets geschehen ist, als das vererbliche und veräußerliche Nutzungs- 
recht . . . .“ (26/27). Nun kann man nämlich nicht mehr von Ent- 
ziehung bestehender Rechte reden, sondern „Was genommen wird Gm 
Fall einer Enteignung), ist nicht ein gegenwärtiges Recht, sondern eine 
Ausnutzungsmöglichkeit für die Zukunft‘ (27). Selbstverständlich, die 
Frage der Ablösung ist nun viel einfacher geworden: Nicht die Aufgabe 
des Eigentumsrechtes braucht nunmehr entschädigt zu werden, sondern 
nur „die daran bestehenden privaten Nutzungsrechte mit ihren durch 
Privatarbeit geschaffenen Verbesserungen“ (27), d. h. die Entschädigungs- 
summen, um die es sich handeln würde, wären bedeutend geringer, als 
wenn man die Aufgabe des Eigentums selbst entschädigen müßte. 

Die Gestaltung des Problems dank der ethischen Behandlungsweise 
Wagemanns ist wirklich wundervoll: der Schlachtruf für den Boden- 
besitzer, auf die Walstatt zu eilen und seine Rechte" gegen boden- 
reformerische Gelüste zu verteidigen, ertönt nun doppelt laut: droht ihm 
doch nicht bloß Enteignung überhaupt, sondern Enteignung zu viel ge- 
ringeren Sätzen als bislang. Aber dafür gibt es einen Trost: „es bleibt 
keine Falte des Geschehens mehr übrig, welche von dem Strahl des 
Rechtes unberührt bliebe“ (25). Wird man aus wirtschaftspoli- 
tischen Gründen diese Gedanken ablehnen müssen, so auch aus wirt- 
schaftlichen, wie ein Blick auf seine Behandlung des Kapitalproblems 
ersehen läßt: Bezüglich des Mißbrauchs des Kapitals findet nämlich der 
Verf. der Weisheit letzten Schluß darin, daß jeder nur mit eigenem 
Kapital ein wirtschaftliches Unternehmen ins Leben rufen sollte, daß 
also Kreditgewährungen nur auf Grund vorhandenen Vermögens — und 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 831 


in entsprechender Höhe — geschehen dürften, und daß Ansprüche aus 
gewährten Krediten hinfällig werden müßten, wenn das Vermögen unter- 
geht, das zur Sicherheit eines Anspruches diente. Man kann nur staunen 
über diese geforderte Basis weiteren wirtschaftlichen Fortschritts; aber 
es ist nur konsequent, wenn Verf. gleichzeitig fordert, daß von der 
Gemeinde — nachdem sie von ihrem (Zukunfts-)Recht zur Ablösung 
der den Besitzern entstehenden Nutzungen am Boden ausgiebigsten Ge- 
brauch gemacht habe — „einem jeden auf seinen Antrag an geeigneter 
Stelle ein seinen Arbeitsbedürfnissen (!) entsprechendes Stück Bodens 
zur ausschließlichen Nutzung“ überwiesen werden solle. Denn was 
sollen sonst die vielen machen, die kein eigenes Vermögen haben, um 
ein gewerbliches Unternehmen in die Wege zu leiten, die vielmehr 
heute in weitem Umfange in ihrer Existenz davon abhängen, daß 
andere — ohne eigenes Vermögen, aber auf dem Wege des Kredites — 
große gewerbliche Betriebe schaffen und am Leben erhalten! 

Zum Schluß sei dem Rezensenten ein Wort zur Rechtfertigung 
dafür gestattet, daß er auf eine solche — mit Verlaub zu sagen — 
deplorable Broschüre so viel Raum verwendet hat. Er erblickt in ihr 
ein Symptom für die Krankhaftigkeit der „Bodenreformbewegung‘“, 
wie sie heute ist. Ihr Ziel, Bodenverstaatlichung — und das ist doch ihr 
Ziel — ist und bleibt nun einmal recht und schlecht ein sozialistisches. 
Aber weit entfernt, daß die „Bodenreform‘“ den Mut hätte, sich dem- 
gemäß offen als sozialistische Bewegung zu bekennen, glaubt sie viel- 
mehr, um existieren zu können, den Sozialismus in jeder Weise dis- 
kreditieren und verleugnen zu müssen. Diese ’Unwahrhaftigkeit muB 
sie am eigenen Leibe büßen. Sie vermöchte eine ganz andere Zugkraft 
zu gewinnen, wenn sie ihr Ziel als sozialistisches kundgeben würde. 
Es hieße das eine Scheidung der Geister anbahnen, die um so leichter 
sich vollziehen würde, als man den Ideen der „Bodenreformbewegung“ 
nichts Revolutionäres nachsagen kann, womit es unzweideutig zutage 
käme, daß dem Sozialismus an sich und im Prinzip überhaupt nichts 
Umstürzlerisches anhaftet. Es würde einen frisch-freudigen Kampf 
geben, unter dem Anschluß von Tausenden, die sich heute von allem 
Sozialismus fernhalten, weil sie sich von der Partei, die offen den 
Nanıen „Sozialismus“ auf ihre Fahnen geschrieben hat, abgestoßen 
fühlen müssen, da es sich hier um einen einseitigen, proletarischen, 
Sozialismus handelt, der in der Tat wenig geeignet ist, die Ideale eines 
umfassenden Kultursozialismus auch nur annähernd zu verwirklichen. 

Diese Unwahrhaftigkeit, ihre Krankheit zugleich, ist die große 
Kultursünde der „Bodenreform‘“. Sie sterilisiert künstlich ihre an sich 
gesunden Ideen, um sie dann, aus Furcht, die Masse möchte ein für 
gesundo Ideen zu fruchtbarer Boden sein, in den unfruchtbaren Schoß 
weichmütiger, phrasenhafter Philanthropen zu werfen. Was dabei heraus- 
kommt, kann nur ähnliches sein, wie die Broschüre von Wagemann, 
der sich als Kritiker der Bodenreformbewegung und als Verbesserer 
ihrer philosophischen Begründung wahrscheinlich stolz und erhaben 
vorkommt, spricht er doch selbst aus: „Wieviel Unfertiges wird heute 
im "Tono tiefster Gelehrsamkeit dem geduldigen Lesen aufgetischt!“... 

Berlin. K. Marcard t. 


832 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Dietrich, Rud., Betrieb-Wissenschaft. München u. Leipzig, Duncker u. 
Humblot, 1914. gr. 8. XIV—801 SS. M. 20.—. 

Corte-Enna, prof. Gius., Elementi di economia politica. Milano, Società 
editrice libraria (tip. Indipendenza), 1914. 16. 718 pp. 1. 6.—. 


2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur. 

Edgar Salin, Die wirtschaftliche Entwicklung von 
Alaska (und Yukon Territory); ein Beitrag zur Geschichte und Theorie 
der Konzentrationsbewegung. Ergänzungsheft XII zum Archiv für Sozial- 
wissenschaft und Sozialpolitik. Tübingen 1914, VIII u. 226 SS. mit 
einer Karte von Alaska. 

Alaska ging im Jahr 1867 für 7,2 Mill. $ aus dem Besitz Ruß- 
lands in den der Vereinigten Staaten über. Daß die Bezahlung dieser 
Summe genehmigt wurde, konnten die Russen damals nur durch Be- 
stechung der führenden amerikanischen Politiker erreichen. Im Jahr 
1913 kaufte das Land für mehr als 21 Mill. $ Waren von den Ver- 
einigten Staaten und sandte ihnen Mineralien und Produkte der Fischerei 
im Betrage von mehr als 36 Mill. $. Im ganzen hat Alaska seit dem 
Uebergang in amerikanischen Besitz für zirke 1 Milliarde $ (die Amerikaner 
sagen !h Billion) Waren exportiert, darunter etwa die Hälfte Gold, 
Kupfer und Silber. Das Land zeigt die Entwicklung von den primi- 
tivsten Anfängen der Wirtschaft bis zu den modernsten kapitalistischen 
ÖOrganisationsformen, die die Amerikaner dort in Anwendung gebracht 
haben, in einer viel kürzeren Zeitspanne zusammengedrängt, als man sie 
sonst zu beobachten Gelegenheit hat. 

Verf. bespricht zunächst die Verhältnisse des Ackerbaues. 
Er ist wahrscheinlich nur in einem verhältnismäßig kleinen Gebiet 
möglich und kann vielleicht einmal den inländischen Bedarf decken, 
aber an Export in größerem Umfange ist schon wegen der Frachtkosten 
nicht zu denken. Auch die Forsten haben aus diesem Grunde keine 
große Bedeutung. Die modernen Organisationsformen setzen dann aber 
ein in der Fischerei und Fischverarbeitung, die seit der Er- 
werbung des Landes für etwa 163 Mill. $ exportierte Hier hat sich 
die monopolistische Organisation, die Packers Association, als ein Vorteil 
erwiesen, weil sie dem Raubbau der kleinen konkurrierenden Gesellschaften 
entgegenwirkte. Die Hauptprodukte des Landes aber sind Gold und 
Kupfer. Zwar ist heute noch das meist gewonnene Gold Waschgold, 
aber mit dem Erschöpfen der Lager wird derGoldbergbau immer größere 
Bedeutung gewinnen. Dieser begann 1882 mit der berühmten Tread- 
well Mine, die, durch günstige Wasserkräfte unterstützt, ungeheure Ge- 
winne lieferte. Aber wenn auch keine solchen Glücksfunde mehr gemacht 
werden, so sind doch nach des Verf. Meinung noch viel sehr gute Goldlager- 
stätten vorhanden. Daneben spielt der Kupferbergbau eine wachsende 
Rolle, wogegen die reichlich vorhandenen Kohlen einstweilen im Ver- 
hältnis zur Menge nur auf geringen Absatz rechnen können, da sie außen 
für den inländischen Bedarf!) nur für die amerikanische Schiffahrt in 
Betracht kommen. 


1) Zu Alaska ist in wirtschaftlicher Hinsicht aus geographischen Gründen auch das 
Yukon-Territorium zu rechnen, das politisch zu Kanada gehört. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 833 


Der Kupferbergbau ist das Hauptobjekt des mächtigen Alaska 
Syndicate, das in fast allen Zweigen wirtschaftlicher Tätigkeit im 
Lande Einfluß erlangt hat und von dessen Wirksamkeit auf S. 177—187 
eine zusammenfassende Darstellung gegeben wird. Es besteht aus den 
Guggenheims, zu deren Unterbeteiligten auch Kuhn, Loeb & Co. ge- 
hören, und der Firma J. P. Morgan & Co. Diese Firmen, die über- 
haupt den größten Teil der amerikanischen Kupferproduktion kon- 
trollieren, beherrschen auch diejenige Alaskas zu °/,, und sind be- 
strebt, auch die Goldproduktion und vor allem die Transportmittel des 
Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Verf. hält es demgegenüber 
für erforderlich, die Eisenbahnen zu verstaatlichen, und in der 
Tat ist seit Erscheinen seines Buches ein Gesetz (vom 12. März 1914 
erlassen werden, welches den Präsidenten ermächtigt, bis zu 35 Mill. 
auszugeben für die Erwerbung schon bestehender Eisenbahnen oder den 
Bau neuer, welche offene Häfen an der Küste mit den inländischen 
Wasserwegen und Kohlenfeldern verbinden. 

Diese anschaulichen und interessanten Schilderungen über das Wirt- 
schaftsleben und die Entwicklung Alaskas, von denen hier natürlich 
nur einiges Wenige erwähnt werden konnte, verbindet nun Verf. 
mit einer „systematisch-theoretischen Zusammenfassung‘ und einer Er- 
örterung über „Ursachen und Verlauf der modernen Konzentrations- 
bewegung“ im allgemeinen. Dort verneint er (S. 164 ff.) zunächst die 
Frage, ob das Wirtschaftsleben Alaskas als eine „Volkswirtschaft“ 
aufzefaßt werden kann, und untersucht dann den Aufbau der vorhandenen 
Erwerbstätigkeiten an der Hand der Alfred Weberschen Standorts- 
begriffe. 

In dem Abschnitt über die „Konzentrationsbewegung“ 
spielt die Polemik gegen von mir vertretene oder teilweise auch mir 
zugeschobene Ansichten eine sehr große Rolle. Nebensächlicher ist 
vielleicht, daß er mir zunächst den Gebrauch des Wortes „Kom- 
bination“ statt des namentlich von Vogelstein empfohlenen, aus 
der amerikanischen Literatur entnommenen „Integration“ zum Vor- 
wurf macht. Darauf ist zu sagen, daf Kombination eben der all- 
gemeine sprachliche Gegensatz zu Spezialisation ist. Immer muß 
man dabei angeben, worauf sie sich bezieht, ob auf Arbeit, den Betrieb, 
eine Unternehmung, andere Wirtschaftsformen usw. 

Dagegen ist es ganz verkehrt, wenn der Verf. glaubt, mit 
einem so verschwommenen Begriff wie der „kapitalistischen Konzen- 
tration“ etwas Typisches zu bezeichnen, und höchst sonderbar ist, 
daß er mir verschiedentlich vorwirft, meine Benutzung der Begriffe 
„Kapitalismus“ und „kapitalistisch“ sei mißverständlich. Ich vermeide 
sie nämlich möglichst und behaupte, daß sie in der heute üblichen 
weiten Fassung nichts weiter seien als Schlagworte, daß man entweder 
überhaupt nicht klar definiere, was darunter zu verstehen sei, oder 
daß die gegebenen Definitionen, wie insbesondere bei Sombart, auf 
fundamentalen Irrtümern beruhen, der Verwechslung von Sachkapital 
und Geldkapital. Damit setzt sich Salin gar nicht auseinander, sieht 
sich aber veranlaßt, eine eigene Definition zu geben, welche nun die 

Dritte Folge Bd. XLVIII (CIII). 53 


834 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Richtigkeit meiner Behauptung schlagend dokumentiert. Denn seine 
eigene Definition lautet (S. 190), „daß wir unter Kapitalismus diejenigen 
Wirtschaftsperioden verstehen, in denen der Gedanke des Kapital- 
ertrages (der Kapitalansammlung und der Kapitalanlage) — in letzter 
Linie also ‚das Kapital‘ (Geldkapital) —..... über Art und Größe 
der Produktion entscheidet“. Darauf ist zu sagen: Es gibt keine 
Produktionswirtschaft ohne Kapitalertrag und „Kapital“ ist eben nicht 
= Geldkapital. Das Wesen des Kapitalismus besteht auch nicht darin, 
daß ein Geldkapital verwertet wird — das geschieht nur im Handel und 
bei manchen Aktiengesellschaften (reinen Geldgründungen). Sondern es be- 
steht darin, daß jedes Sachkapitalheutein Geld veranschlagt 
wird und daher der Ertrag der Erwerbswirtschaft als eine 
Geldsumme aus der Gegenüberstellung eines in Geld geschätzten 
Vermögens mit einem Bruttoeinkommen in Geld festgestellt werden 
kann. Salin hat offenbar meine Ausführungen in „Beteiligungs- und 
Finanzierungsgesellschaften“ nicht recht verstanden oder nicht recht 
durchdacht!) (s. dazu jetzt auch meinen Aufsatz: Zur Lehre von 
der Unternehmung in der neuen Sammlung: Die private Unter- 
nehmung und ihre Betätigungsformen, Heft 1). 

Kann ich so der Polemik des Verf. hinsichtlich des Begriffs 
Kapitalismus keine Berechtigung zuerkennen, so gilt dies noch mehr 
für seine Einwände gegen meine Auffassung der Trusts. In seiner 
in der Anmerkung genannten Kritik erklärte er kategorisch und ohne 
jede Begründung, daß die Abgrenzung der Beteiligungs- und Finanzierungs- 
gesellschaften von den Trusts mir nicht gelungen sei. Das kann nur 
auf einem völligen Mißverstehen meiner Gedanken beruhen. Denn diese 
Abgrenzung ist doch die einfachste Sache von der Welt. Ein „Trust“ 
in seiner heute üblichen Form ist eben nichts weiter als eine Kontroll- 
gesellschaft mit monopolistischem Zwecke. Er kann aber, 
wie ich schon seit Jahren in „Kartelle und Trusts“ ausefnandersetze, 
auch eine monopolistische Fusion sein. Nach jener Kritik war 
ich nun sehr gespannt, wie der Verf. die Trusts definieren würde. Da lesen 
wir S. 197.... das Phänomen, „das wir (!) gemäß unseren bisherigen Aus- 
führungen folgendermaßen definieren können: Ein Trust ist die kapital- 
mäßige Zusammenfassung bisher selbständiger Unternehmungen zwecks 
monopolistischer Beeinflussung des Marktes.“ Ich frage mich vergeblich, 
was an dieser seiner Definition neu sein soll. Genau so haben 
Tschierschky und ich immer die Trusts definiert, nur daß ich das Wort 
„Kapitalmäßig“, das auch hier nichts weiter als ein Schlagwort ist, vermeide, 
und betone, daß der Trust die Zusammenfassung mehrerer Unternehmungen 
zu einer einzigen ist, also, wie Tschierschky es zuerst ausdrückte: 
auf der Basis einer Besitzgemeinschaft beruht, was viel besser und 
klarer ist als der Ausdruck: kapitalmäßige Zusammenfassung. Die 
ganze Polemik des Verf. muß als sehr an den Haaren herbeige- 
zogen bezeichnet werden. Irgendein neuer Gedanke zur Theorie der 


1) Das gilt auch für manche Punkte seiner Kritik der 2. Auflage meines Buches 
im Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, Bd. 37, S. 967 ff., wo er dieselbe 
Definition des Kapitalismus gibt. Ich kann darauf im Rahmen dieser Besprechung 
nicht näher eingehen. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 835 


„Konzentrationsbewegung“ findet sich in dem Abschnitt nicht, und es 
kann überhaupt die Frage aufgeworfen werden, ob es angezeigt er- 
scheint, an solche spezielle Zustandsschilderungen, wie sie diese Arbeit 
liefert, allgemeine theoretische Erörterungen anzuknüpfen. Davon soll 
in der unten folgenden Besprechung des Buches von Weissbarth noch 
die Rede sein. 

Bei der Behandlung seines Hauptthemas aber hat der Verf, 
eine sehr nützliche Arbeit geleistet, und es sei ausdrücklich hervorge- 
hoben, daß er die Gesichtspunkte, die sein Objekt wissenschaftlich inter- 
essant machen, gut herausgearbeitet hat. Robert Liefmann. 


Calmon, Dr. Curt, Volkswirtschaftliche Betrachtungen über Belgien. 
Berlin, Verlag f. Fachliteratur, 1915. gr. 8. 86 SS. M. 1,80. 


3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung 
und Kolonisation. 


Gruber (Geh. Rat), Prof. Dr. Max v., Ursachen und Bekämpfung des 
Geburtenrückgangs im Deutschen Reich. 3. gekürzte Ausgabe. München, J. F. Leh- 
mann, 1914. gr. 8. 72 SS. mit 2 eingedr. Kurven. M. 1,20. 

Moll (Primararzt, Priv.-Doz.), Dr. Leop., Säuglingssterblichkeit in Oester- 
reich. Ursachen und Bekämpfung. (Aus: „Das österreichische Sanitätswesen‘“ und 
„Säuglingsschutz und Jugendhygiene“.) Wien, Alfred Hölder, 1914. gr. 8. 66 SS. 
M. 1,70. 


Grossi, prof. Vinc., Storia della colonizzazione europea al Brasile e della 
emigrazione italiana nello stato di S. Paulo. 2a edizione, riveduta dall’autore, 
con prefazione del prof. G. Sanarelli. Milano-Roma-Napoli, soc. ed. Dante 
Alighieri, di Albrighi, Segati e C. (Roma, tip. Nazionale, di G. Bertero e C.), 
1914. 16. 558 pp., con ritratto. 1. 10.—. 

Murri, Romolo, L’emigrazione italiana e il dovere nazionale (Istituto 
coloniale italiano). Roma, tip. Unione editrice, 1914. 8. 53 pp. 

Pavesio, dott. Giov., Disoccupazione ed emigrazione; studio presentato 
per laurea in giurisprudenza nella r. università di Torino. Torino, lit. A. Viretto, 
1913. 8. 197 pp. f 

Ratto, Mario, L'emigrazione italiana e la Libia. Roma, tip. Unione ed., 
1914. 8. 29 pp. 


&. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen. 


Bericht über das österreichische Veterinärwesen für die Jahre 1908 bis 
inklusive 1910. Bearb. im Veterinärdepartement des k. k. Ackerbauministeriums 
nach amtlichen, aus den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern 
eingelangteu Berichten. Mit 12 Uebersichts-Tableaus.. Wien, Alfred Hölder, 
1914. Lex.-8 V—1ö2 SS. M. 10. 

Deeken (Leutn. a. D., bish. Plantagendir.), Rich., Die Landwirtschaft 
in deutschen Kolonien, nach den neuesten amtlichen Berichten bearbeitet. (Süsse- 
zotts Kolonialbibliothek, Bd. 31.) Berlin, Wilhelm Süsserott, 1914. 8. VI—106 SS. 
mit Abbildungen. M. 3.—. 

Feldt (Mooramts-Dir.), Dr., Ackerbau auf ostpreußischen Niederungs- 
mooren, einschließend 1. Bericht über das Versuchsfeld auf beschicktem Moor 
auf dem Majorate Bledau bei Cranz. Gemeinverständlich beschrieben. (Veröffent- 
lichungenr der preußischen Landwirtschaftskammern, Heft 1.) Berlin, Paul Parey, 
1914. Lex.-8. 91 SS. mit 12 Abbildungen. M. 1,20. 

Köbrich (Bergrat), C., Der Bergbau des Großherzogtums Hessen. Kurze 
Uebersicht über geschichtliche Entwicklung und gegenwärtigen Stand des Berg-, 
Hütten- und Salinenwesens, vornehmlich in der Provinz Oberhessen. Unter Be- 
nutzung amtlichen Materials zusammengestellt. Darmstadt, Buchhandlung des groß- 
herzoglich-hessischen Staatsverlags, 1914. kl. 8. 101 88. mit 29 Abbildungen und 
2 (l eingedn, 1 farb.) Karten. M. 1.—. 8 


53% 


836 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Protokoll der 72. Sitzung der Zentral-Moor-Kommission vom 15. bis 
17. Dezember 1913. Nebst ‚Anhang: Beckert (Moor-Versuchsstat.-Abteilungs- 
Vorsteher, Oekon.-Rat), R., Zur Geschichte der Moorurbarmachung und Besied- 
lung in Ostfriesland. Berlin, Paul Parey, 1914. Lex.-8. IV—350 55. mit 23 Ab- 
bildungen, 1 farb. Karte und 1 Tafel. M. 18.—. 

Verhältnisse, Die forstlichen, der Schweiz. Hrsg. vom schweizer. Forst- 
verein. Mit 5 (farb.) Karten, 6 Kunstdruckbeilagen und 17 Abbildungen im Text. 
Nebst Anhang: Eidgenössisches Forstgesetz vom 11. 10. 1902. Vollziehungsver- 
ordnung zum eidgenössischen Forstgesetz vom 13. 3. 1903. Zürich, Beer & Cie., 
1914. gr. 8. X, 220 und 20 SS. M. 5.—. 


Perona, prof. Vit., Economia forestale, ossia dendrometria, estimo e 
assestamento. Milano, F. Vallardi, 1914. 16. XVI—312 pp. con tavola. l. 13.—. 


5. Gewerbe und Industrie. 


Weissbarth, Alfred, Das Dekaturgewerbe und seine Kar- 
tellierungsbestrebungen. Zur Frage der Monopolfähigkeit von Indu- 
strien. Berlin 1914. VIII u. 72 SS. 

Dekatur bedeutet, Tüchern den durch Färben und Appretur er- 
zeugten Preßglanz nehmen. Diese Tätigkeit ist Gegenstand eines kleinen 
Gewerbes, einer großenteils noch handwerksmäßig betriebenen Lohn- 
industrie, in der im ganzen nur ca. 1000 Personen, Arbeiter und Arbeit- 
geber zusammengerechnet, in Deutschland ihren Lebensunterhalt finden. 
Die rein lokalen Kartelle in diesem Gewerbe waren trotz der kleinen 
Zahl der Beteiligten nur von geringer Stärke, da leicht neue Konkurrenz 
aufkommen kann, die Webereien die zu dekatierende Ware nach aus- 
wärts schicken oder selbst die Dekatur vornehmen können u. dgl. So 
gibt es in diesem Gewerbe eine ganze Reihe von kartellhemmenden und 
kartellfördernden Momenten. Das alles wird vom Verf. sehr nett aus- 
einandergesetzt. Da das aber für eine Doktorarbeit hergebrachten Um- 
fangs nicht genügt, begibt sich Verf. ins Gebiet der Theorie und sucht 
an der Hand des Dekaturgewerbes die allgemein-theoretischen Gesichts- 
punkte für die Monopolfähigkeit der Industrien festzustellen. Leider 
bestehen nun über die dabei anzuwendenden Grundbegriffe beim Verf. 
die größten Unklarheiten. Er schließt sich der Oppenheimerschen 
Monopoltheorie an. Erst auf Grund einer Kenntnis derselben wird 
einem wenigstens klar, was darunter verstanden ist, wenn W. an ver- 
schiedenen Stellen (im Vorwort, S. 43, 45, 47 u. a.) von den Kartellen 
als „rechtlichen Monopolen“ spricht! Er kennt nämlich, wie übrigens 
viele Nationalökonomen, die Konkurrenz nur als ein Produkt der Rechts- 
ordnung, und da die Kartelle durch privatrechtlichen Vertrag entstehen, 
sind sie nach Oppenheimer ein rechtliches Monopol. Aber die Monopol- 
lehre Oppenheimers ist überhaupt eine der bedenklichsten Seiten seines 
Werkes und zeigt auf das deutlichste, wohin man mit einer derartigen 
Tendenztheorie oder politisch orientierten Oekonomie, wenn man will, 
gelangt. Denn Oppenheimer definiert (Theorie der reinen und poli- 
tischen Oekonomie S. 235) nicht das Monopol, sondern den Monopolisten 
und diesen durch den Monopolgewinn, d. h. sein Einkommen ist 
um einen gewissen Betrag höher, als das Einkommen anderer Wirt- 
schaftspersonen, die sich nicht der Verfügung über eine solche Macht- 
position erfreuen, unter sonst gleichen Umständen ist.“ Er verkennt, 
daß Monopol ein Relationgbegriff, ein besonderes Verhältnis zwischen 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 837 


Angebot und Nachfrage ist, dessen Vorhandensein aus subjektiven und 
objektiven Momenten verschiedener Art erklärt werden muß und bei 
dem nicht das Resultat, der Monopolgewinn, schon in die Definition 
hineingenommen werden darf. 

Auf Grund der Oppenheimerschen Monopollehre will W. die 
„Monopole nicht als Form der Betriebsvereinigung (das sind 
die Kartelle ja auch überhaupt nicht!), sondern als Monopoleigen- 
schaft des betreffenden Objektes“ untersuchen. Das ist nun 
wieder ein fundamentaler Irrtum, eine Konsequenz der objektiven Wert- 
lehre, die auch Oppenheimer vertritt, letzten Endes aber heute noch 
allgemein üblichen quantitativ-materialistischen Auffassung der Wirt- 
schaft. Selbst ein Gegenstand, der nur in einem Exemplar existiert, hat 
deshalb noch keine objektive Monopoleigenschaft, nämlich dann nicht, 
wenn ihn, was sehr häufig vorkommt, nur der Besitzer schätzt. Mit 
anderen Worten: hier kann die Theorie niemals von der grundlegenden, 
aber heute auch von den sogenannten subjektiven Theorien noch zumeist 
verkannten Tatsache abstrahieren, daß alle wirtschaftlichen 
Grundbegriffe subjektive Schätzungsbegrife sind. Sicher 
wird einmal eine Monopoltheorie aufgestellt werden, aber dazu muß erst 
eine völlige Umgestaltung der Grundlagen der heutigen ökonomischen 
Theorie eingetreten sein. Dann wird die Monopoltheorie selbstver- 
ständlich im engsten Anschluß an die Preistheorie zu entwickeln 
sein und sie wird den Uebergang von dieser zur Einkommenslehre 
zu bilden haben. 

Das eigentliche Problem des Verf. war aber auch nicht, allgemeine 
Grundsätze über die „objektive Monopolfähigkeit“ zu finden, son- 
dern über die Kartellfähigkeit der verschiedenen Industriezweige. 
Doch hat er auch darüber nichts Neues beigebracht, seine Formulie- 
rungen kommen über schon Bekanntes nicht hinaus, und wenn Verf., 
statt vom Dekaturgewerbe auszugehen, versucht hätte, sich einen Gesamt- 
überblick über die kartellierten und nicht kartellierten Industrien zu 
verschaffen, so würde er gefunden haben, daß sich in der Tat allge- 
meines darüber, d. h. etwas, was wirklich immer ohne Ausnahme gilt, 
so gut wie gar nicht sagen läßt. Aus dem einfachen Grunde, weil die 
Kartellfähigkeit durch so viele verschiedenartige Momente im einzelnen 
Falle bestimmt sein kann, daß ein stark hemmendes Moment nach der 
einen Seite durch zufällige und ganz spezielle fördernde auf der andern 
Seite wieder aufgehoben werden kann. Ich bin gewiß der letzte, das 
Streben nach allgemeiner theoretischer Formulierung nicht zu würdigen, 
aber sie muß sich immer an die Tatsachen anschließen und darf auch 
nicht, wie das in der vorliegenden Schrift zum Teil geschieht, so all- 
gemein gefaßt sein, daß sie ihre Banalität nur hinter einer gekünstelten 
wissenschaftlich klingenden Formulierung verbirgt. 

Im Anschluß daran sei einmal auf Grund mannigfacher Beobach- 
tungen ausgesprochen, daß das offenbar neu erwachte Interesse des 
wissenschaftlichen Nachwuchses an ökonomischer Theorie nicht dazu 
führen darf, nun an jede historisch-deskriptive Arbeit eine „Theorie“ 
anzuhängen. Es ist eine wichtige Aufgabe der Seminarleiter, derartigen 
weitverbreiteten Tendenzen entgegenzutreten. Es war vielfach ein Fehler 


838 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


der historischen Schule, jede kleine Einzelbeschreibung schon als wissen- 
schaftliche Leistung anzusehen. Aber man geht heute bereits nach der 
andern Seite wieder zu weit, wenn man den Wert einer guten entwick- 
lungsgeschichtlichen Darstellung, sei es auch eines kleinen Objektes, 
verkennt, und man irrt, wenn man glaubt, eine solche Einzeldarstellung 
durch künstlich daran angeklebte allgemein theoretische Erörterungen 
wissenschaftlicher zu machen. Robert Liefmann. 


Grundlagen und Ursachen der industriellen Entwick- 
lung Ungarns. Nebst einem Anhange über die wirtschaftswissen- 
schaftliche Literatur Ungarns, von Dr. iur. et phil. Wilhelm Offer- 
geld. (Probleme des Instituts für Seeverkehr und Weltwirtschaft an der 
Universität Kiel, hrsg. von Prof. Dr. Bernhard Harms.) Jena (Gustav 
Fischer) 1914. 

Die breit genug angelegte Arbeit befaßt sich mit der Unter- 
suchung der Industrialisierung Ungarns. Richtig wird gleich eingehend 
bemerkt, daß darunter keineswegs die Umgestaltung Ungarns zu einem 
Industriestaate zu verstehen ist, da Ungarns Hauptkraft in seiner 
Landwirtschaft liegt. Nur soweit die Fortentwicklung der wirtschaft- 
lichen Verhältnisse und die intensivere Verwendung der produktiven 
Kräfte sowie die Verwertung von Stoffen und Verhältnissen im allge- 
meinen oder in gewissen Teilen des Staates einerseits, der Reichtum 
an die industrielle Bearbeitung erfordernden Stoffen des Mineral-, 
Pflanzen- und Tierreiches, ferner die vorteilhaftere Befriedigung des 
Konsums, die Hebung der Steuerkraft, die möglichste Unabhängigkeit 
des Staatshaushaltes von unbereehenbaren meteorologischen Einflüssen 
andererseits, die Kompaßnadel der nationalen Arbeit in die Richtung 
der Industrie stellt, soll Ungarn zum Agrikultur- — Industrie- — Kom- 
merzstaat umgestaltet werden. Der Autor der Schrift hat sich bemüht, 
durch Autopsie, Reisen und Berührung mit einigen Persönlichkeiten, 
vor allem durch Studium des statistischen Materiales und der ein- 
schlägigen Literatur, sich über seinen Gegenstand zu orientieren. So ent- 
stand die vorliegende lesenswerte Schrift, die jedenfalls eine Lücke aus- 
füllt. Wenn wir an die Schrift einige Bemerkungen knüpfen, so tun 
wir dies hauptsächlich deshalb, weil dem Autor jedenfalls vorschwebt, 
mit seiner Schrift auch dem praktischen Wirtschafter Winke zu geben. 
Während der Theoretiker mit einem gewissen Quantum von Material sich 
befriedigen kann, ist für den praktisch Handelnden — und gewiß soll 
die ganze Sammlung „Probleme der Weltwirtschaft“ auch diesem dienen 
— ein genau abgewägtes, im Detail streng kontrolliertes Material nötig. 

Es ist wohl fraglich, ob es möglich ist, ein richtiges Bild von den 
Verhältnissen eines Landes zu geben, wenn die betreffende Literatur 
gänzlich außer acht gelassen wird. Verf. obiger Schrift erklärt aus- 
drücklich, daß er nur die nicht-ungarische Literatur benützt hat. Nun 
ist es wohl wahr, daß namentlich offizielle Publikationen aus dem 
Gebiete der Statistik, der wirtschaftlichen Staatsverwaltung ete. von 
seiten der ungarischen Regierung und anderen Körperschaften auch in 
fremder Sprache ediert werden, daß auch Schriften der wissenschaft- 
lichen Literatur zum Teile in fremder Sprache publiziert werden, trotz- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 839 


dem entgeht jedem Forscher unbedingt viel wissenswertes Material 
und namentlich die Kenntnis wissenschaftlicher und volkswirtschafts- 
politischer Auffassungen, der über ein Land schreibt, in dessen Lite- 
ratur er einzudringen nicht vermag. Verf. gibt ein reichliches Register 
von volkswirtschaftlichen Schriften, die sich mit der ungarischen Volks- 
wirtschaftspolitik befassen, darunter aber recht viel gänzlich veraltetes 
oder zum Gegenstand nur ganz locker gehöriges, was wohl in der Ham- 
burger Kommerzbibliothek recht gut am Platze ist, aber eigentlich doch 
nur den Antiquar interessiert. Dagegen fehlt z. B. der Hinweis auf 
die Verhandlung der Frage auf dem Budapester internationalen stati- 
stischen Kongreß und manches andere. 

Ferner ist es fraglich, ob es möglich ist, ein richtiges Bild einer 
wirtschaftlichen Periode zu geben, wenn wir die historische Entwick- 
lung beiseite lassen. Die Bestrebungen zur Schaffung einer ungarischen 
Industrie, die Hemmnisse, die dieses Bestreben namentlich von seiten 
Oesterreichs und dessen Staatsmännern begegnete, muß derjenige kennen, 
der die Natur, namentlich wie es der Titel der Arbeit sagt, „Grund- 
lagen und Ursachen der industriellen Entwicklung Ungarns“ erforschen 
will. Bei einer historischen Betrachtung hätte z. B. die Charakterisierung 
der ungarischen Mühlenindustrie eine viel kräftigere Farbe erhalten und 
wäre hier der interessante Hinweis auf Friedrich List und dessen 
Auffassung über die Industrieentwicklung Ungarns gewiß erwünscht 
gewesen. (Daß Lists Name auch im Literaturverzeichnis fehlt, ist 
jæ auch auffallend.) 

Die Auffassung des Verf. macht beinahe den Eindruck, als ob die 
Bestrebungen zur Entwicklung einer ungarischen Industrie ein Unrecht 
an Oesterreich wären, und wenn Oesterreichs Schwäche (S. 174) nicht 
wäre, dann würden die Dinge einen andern Gang nehmen. Die zoll- 
politische Trennung bezeichnet er als „absurd“ (S.175). Diese Auffassung 
zeigt gleichfalls eine Voreingenommenheit. Es soll hier nicht über die 
Frage der Zolltrennung abgehandelt werden, ich halte die Zolltrennung 
auch nicht für eine conditio sine qua non. Aber wenn vielleicht vom poli- 
tischen Standpunkt, vom Standpunkte der Aktualität, die Zolltrennung 
nach Belieben als absurd bezeichnet wird, gerade wissenschaftlich, logisch 
läßt sich dies nicht verteidigen. Lassen ja — um .nur. auf eines 
hinzuweisen — die wirtschaftlichen Gegensätze eine logische Durch- 
führung der Handelspolitik nicht zu. Wenn ein Staat, dessen Bevölke- 
rung Agrikultur und Industrie betreibt, die Agrikultur auf Kosten 
der Industrie begünstigt, so kommt dies doch einem wichtigen Teile 
seiner Bevölkerung zugute und umgekehrt. Wenn aber der eine Staat 
ein Industriestaat ist, der andere ein Agrikulturstaat ist, so wird eine 
die Industrie begünstigende Handelspolitik dem einen Staate Vorteil, 
dem andern Nachteil bringen und umgekehrt. Es muß also eine laue 
Politik befolgt werden, die nach keiner Richtung befriedigt, weil 
sie nach keiner Richtung durchschlagende Erfolge aufweisen kann. 
Man darf nicht übersehen, das geben wir gerne zu, daß in letzter Reihe 
in Ungarn politische Momente zur Geltung kommen und in Hinsicht 
dieser Momente ist Tezner freilich nicht der richtige Führer. Darum 
dürfen uns auch manche Irrtümer nicht auffallen. So ist Verf. der 


840 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Meinung, daß die äußere Handelspolitik seit 1867 eine gemeinsame 
Angelegenheit Oesterreich-Ungarns bildet. Das ist aber nicht der Fall. 
Staatsrechtlich ist nur die Verteidigung, also das Heerwesen, gemeinsam, 
dann die Politik des Aeußeren und das hiermit zusammenhängende 
Finanzwesen, die Kostendeckung der Heeres- und auswärtigen An- 
gelegenheiten. Die Handelspolitik ist rechtlich nicht gemeinsam. Sie 
gehört zu den Angelegenheiten „gemeinsamer Interessen“, wo beider- 
seits danach getrachtet werden muß, daß gemeinsame Prinzipien zur 
Geltung kommen, wenn dies jedoch nicht möglich wäre, so geht jeder 
Staat für sich. Dies gilt im allgemeinen für gewisse Fragen der 
volkswirtschaftlichen Politik, welche Fragen in von zehn zu zehn 
Jahren zu erneuernden Verträgen erledigt werden. Auch die Dar- 
stellung der ungarischen Gewerbegesetzgebung ist lückenhaft (S. 217). 
Es geschieht nur des Gesetzes VIII vom Jahre 1872 Erwähnung, wäh- 
rend ein neueres Gesetz (1884. XVII) von der im vorigen Gesetz ge- 
wahrten Gewerbefreiheit wesentlich abweicht und dem Befähigungs- 
nachweis weiten Spielraum öffnet. Auch ist es dies letztere Gesetz, 
welches die Gewerbekorporation einführt, der beizutreten jeder Gewerbe- 
treibende verpflichtet ist und welche in erster Instanz mit gewissen 
administrativen Agenden betraut ist. Unrichtig ist auch die auf die 
Quote bezügliche Darstellung. Die Quote bedeutet den Schlüssel, wo- 
nach die jährlichen Kosten des gemeinsamen Staatshaushaltes zwischen 
Oesterreich und Ungarn verteilt werden. Bezüglich der bis 1867 ent- 
standenen Staatsschuld verpflichtete sich Ungarn zu einem unveränder- 
lichen, fixen Beitrag aus Billigkeit gegen Oesterreich, obwohl Ungarn 
diese Staatsschuld nicht anerkannte. 

Sehen wir von diesen mehr den Geist, die Auffassung — wir wollen 
nicht sagen Tendenz — berührenden Punkten ab, so haben wir es mit 
einer fleißigen, umfassenden systematischen Darstellung zu tun, die viel 
Detail zur Beantwortung der vorliegenden Frage bietet. Ausführliches 
statistisches Material setzt den Leser in die Lage, die Verhältnisse der 
ungarischen Industrie, ihre Grundlagen und ihre Leistungen kennen zu 
lernen. Auch dem kritischen Teil, namentlich der Frage der Industrie- 
förderungsaktion, liegt ein Urteil zugrunde, das nicht ganz abgewiesen 
werden kann. Es versteht sich von selbst, nicht alles vermag die Kunst, 
— hier die Staatskunst —, nicht alles vermag die Natur. Auch auf 
diesem Gebiete gilt, was Lessing von der Bühne sagt: 

Kunst und Natur 
Sind auf der Bühne eines nur: 
Wenn Kunst sich in Natur verwandelt, 
Dann hat Natur mit Kunst gehandelt. 

Einwendung müssen wir erheben gegen die Behauptung, daß es 
namentlich der Textilindustrie in Ungarn völlig an den natürlichen Grund- 
lagen fehle, worunter Verf. den Mangel eines der Rohstoffe (Baumwolle) 
versteht. Wenn Verf. allen jenen Ländern die Fähigkeit zur Industrie 
abspricht, in denen der betreffende Rohstoff fehlt, so kommt er mit den 
Tatsachen in Widerspruch. Es bedarf hier kaum der Beispiele, sie 
bieten sich in Menge. Dies wird ja auch später zugegeben (S. 259). 
Ungarn hatte sogar eine bedeutende Textilindustrie, die nur nach Er- 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 841 


richtung des gemeinsamen Zollgebietes infolge der gänzlichen Umgestal- 
tung der Technik und dem Vordringen der Großindustrie verschwinden 
mußte. Gewiß ist der leichte Bezug des Rohstoffes für die Industrie von 
großer Bedeutung. Doch kann eventuell dieses Moment gegen andere 
zurücktreten. So der Umstand der Größe des Kapitalbedarfes. Industrien, 
die große Kapitalien erfordern, also solche, die Massenartikel produzieren, 
sind natürlich schwer einzuführen. Dies gilt eben für die ungarische 
Textilindustrie. Ungarn führt jährlich für mehr denn eine halbe Milliarde 
an Textilwaren ein; für diese durch die inländische Industrie Ersatz zu 
schaffen, wäre natürlich nur durch immense Kapitalanlagen möglich. 
Ein weiteres wichtiges Moment ist das Alter der betreffenden Industrien. 
Gegen alte Industrien, die zum großen Teil ihr Kapital schon amorti- 
siert haben, ist schwer aufzukommen. Dies bestätigt die Tatsache, daß 
Ungarn in solchen Industrien, wo auch das Ausland auf ganz jungfräu- 
lichem Boden steht wie Ungarn, z. B. Elektrizitätsindustrie, tüchlige 
Erfolge aufzuweisen hat. Auch die Besteuerung spielt eine große Rolle, 
wie dies die Geschichte der ungarischen Zuckerindustrie zeigt. 

Mit dem, was Verf. im „Schluß‘ zusammenfassend uns sagt, können 
wir uns im ganzen einverstanden erklären. Gewiß liegen die stärksten 
Produktivkräfte des Landes in der Landwirtschaft und Viehzucht, und 
beide Produktionszweige lassen noch eine bedeutende Entfaltung zu. 
Gewiß ist, daß am sichersten jene Industriezweige zur Blüte kommen 
können, welche mit den genannten Zweigen der nationalen Produktion 
in engerem Zusammenhang stehen. Gewiß ist, daß nicht alle Faktoren 
vollgültig zur Verfügung stehen, die schon in der Gegenwart oder der 
unmittelbaren Zukunft die vollständige Industrialisierung des Landes 
sichern. Wenn da und dort im Widerspruch hiermit Industrien forciert 
werden, so ist dies doch weniger „Ueberentwicklung‘ als vielleicht ver- 
meidlicher, vielleicht nicht vermeidlicher Fehler. Ebensowenig ist 
„Ueberentwicklung‘ zu konstatieren auf Grund des Umstandes, daß an 
der ungarischen Industrie ausländisches Kapital beteiligt ist. Daß die 
ungarische Industriepolitik die Industrialisierung nur mit den „über- 
schießenden“ Kräften erstreben soll, kann in dem Sinne, wie Verf. dies 
meint, akzeptiert werden. 

Wir wollen des weiteren auf die einzelnen Kapitel des Werkes 
nicht eingehen, unter welchen manche wegen des reichlichen Materiales 
und dessen sorgfältiger Bearbeitung Lob verdienen. So die Abhandlung 
über die relative Uebervölkerung, wo namentlich die landwirtschaft- 
lichen Arbeits- und Besitzverhältnisse eine eingehendere Darstellung er- 
halten. Auch hier unterläuft wohl mancher Irrtum. Daß „mit Er- 
richtung von Fideikommissen nicht zurückgehalten worden ist“ (S. 196), 
ist unrichtig, da in Ungarn seit mehr denn 25 ‘Jahren nur ganz aus- 
nahmsweise neue Fideikommisse errichtet wurden. 

Wir haben uns mit dem vorliegenden Werke nur deshalb eingehen- 
der befaßt und unsere Einwendungen dargelegt, weil ja über ungarische 
volkswirtschaftliche Verhältnisse in der ausländischen, nicht-ungarischen 
Literatur, nur selten gesprochen wird und häufig Irrtümer unterlaufen, 
während es gerade im gegenwärtigen Zeitpunkte erwünscht sein darf, 
daß der deutsche Leser, namentlich der deutsche Volkswirt, der deutsche 


842 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Unternehmer über die ungarische Volkswirtschaft und ihre Zukunfts- 
möglichkeiten möglichst genau unterrichtet sei. Sonst hätten wir dem 
Werke mit wenigen Worten das Lob gezollt, das dem Fleiße und der 
Untersuchung eines weniger bekannten Gebietes gebührt. B. F. 


Bericht der k. k. Gewerbe-Inspektoren über ihre Amtstätigkeit im Jahre 
1913. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1914. Lex.-8. CXCVII—793 85. mit 
12 Abbildungen und 15 Tafeln. M. 4.—. 

Braunkohlenindustrie, Die deutsche. 1. Bd. Handbuch für den 
deutschen Braunkohlenbergbau, hrsg. von G. Klein. 2. neu bearb. Aufl Hallea.S., 
Wilhelm Knapp, 1914. Lex.-8. 18. Lieferung. S. 721—768 mit Abbildungen und 
2 (1 farb.) Tafel. M. 2.—. 

Lebensmittelgewerbe, Das. Ein Handbuch für Nahrungsmittelche- 
miker, Vertreter von Gewerbe und Handel, Apotheker, Aerzte, Tierärzte, Ver- 
waltungsbeamte und Richter. Unter Mitwirkung von Drs. (Nahrungsmittelunter- 
suchungsamt-Dir.) Prof. E. Baier, (Untersuchungsamts-Vorst.) W. Bremer, (Ge- 
sundheitsamts-Hilfsarb.) Fiehl u. a., hrsg. von (Geh. Ob.-Reg.-Rat) Prof. Dr. 
K. v. Buchka. Mit zahlreichen Tafeln und Abbildungen. 1. Bd., 18. und 19. Liefe- 
rung. Leipzig, Akademische Verlagsgesellschaft, 1914. Lex.-8. II, XV und S. 817 
—891. Je M. 2.—. (1. Bd. vollständig M. 38.—.) 


Lombardi, prof. Lu., Principi scientifici di elettrotecnica. Napoli, 
R. Pironti, 1914. 8. XVI—466 pp. 1. 16.—. 

Mimolo, G. Mario, Produzione e industria della piuma di struzzo in 
Libia ed in Italia. Torino, lit. A. Viretto, 1914. 8. 191 pp. 

Vinelli, prof. Marcello, Note sull industria, la mano d’opera e la 
legislazione nelle miniere di Sardegna. Cagliari, soc. tip. Sarda, 1914. 8. 109 pp. 
L 2,50. 


6. Handel und Verkehr. 

Timpe, Die Organisation des Magdeburger Zuckerhandels. Magde- 
burg 1913. 

Dissertationsarbeiten — und zu diesen zählt die vorliegende Schrift 
— begegnen stets gewissen Schwierigkeiten, sobald sie Gebiete der reinen 
Praxis betreffen, denn es ist den Verfassern meistens unmöglich, alle 
Einzelheiten genügend kennen zu lernen, und zwischen verschiedenen, 
oft entgegengesetzten, oft auch sämtlich nicht ganz richtigen Auf- 
fassungen entsprechend zu vermitteln; hierbei ist jedoch zu berück- 
sichtigen, daß sie nicht schreiben, um die Praktiker zu belehren, 
vielmehr nur beabsichtigen, eine möglichst übersichtliche Darstellung 
und Erklärung besonderer, nicht selten recht verwickelter Verhältnisse 
zu geben. Diese Umstände wird man billigerweise auch der vor- 
liegenden Schrift zugute halten müssen ; unzweifelhaft sind verschiedene 
Mißverständnisse untergelaufen und Irrtümer stehen geblieben, die sich 
hätten vermeiden lassen, und dem Kenner auffallen werden, doch wird 
dieser auch ohne weiteres den Kern der Sache herausfinden, und über 
das Unzutreffende mit Leichtigkeit hinwegzusehen vermögen; dies wird 
ihm um so leichter fallen, als Verf. eine sehr ausgedehnte Literatur 
herangezogen und seinen Zielen mit großer Gewissenhaftigkeit und 
Genauigkeit dienstbar gemacht hat, so daß die Quellenangaben jederzeit 
gestatten, auf die ursprünglichen Unterlagen zurückzugehen, sobald sich 
Zweifel an der Art ihrer Auffassung erheben sollten. Trotz der ange- 
deuteten vereinzelten Mängel reiht sich daher die Timpesche Schrift den 
schon in größerer Zahl vorhandenen über den nämlichen Gegenstand als 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 843 


gleichwertig an, und wird von denen, die sich mit ihrem schwierigen 
Probleme beschäftigen, sicherlich nicht ohne Nutzen mit eingesehen 
werden. 


Englands Konkurrenzkampf. Von ‚Made in Germany‘ bis zum „Kon- 
junkturkrieg“. Ein Rückblick von E. B. Frankfurt a. M., Eugen Bonn, 1914. 
8. 20 SS. M. 0,50. 

Lederer (Adv., Handelsakad.-Lehrer), Prof. Dr. Paul, Lehrbuch des 
Handels- und Gewerberechtes für höhere Handelsschulen (Handelsakademien). 
2. verb. und erg. Auflage. Wien, Alfred Holder, 1914. 8. IV—230 SS. mit 
3 Formularen. M. 3,10. 

Mantel, Fritz, Die Bedeutung und Feststellung der Ortsgebräuche und 
Handelsverkehrssitten vor den Gewerbe- und Kaufmannsgerichten Deutschlands 
mit den Gutachten der Handelskammern. Nach der Umfrage des Verbandes der 
Gewerbe- und Kaufmannsgerichte. (Schriften des Verbandes deutscher Gewerbe- 
und Kaufmannsgerichte, Heft2.) Berlin, Franz Vahlen, 1914. gr. 8. 35 SS. M.0,80. 

Rajnik (Rechtsanw.), Dr. Béla, Die wirtschaftspolitischen Beziehungen 
zwischen Oesterreich und Ungarn und die internationalen Interessen. München u. 
Leipzig, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. III—88 SS. M. 2,50. 

Kosenthal, Dr. Curt Arnold, Die Gütertarifpolitik der Eisenbahnen 
im Deutschen Reiche und in der Schweiz. 1. Teil. (Abhandlungen des staatswissen- 
schaftlicheu Seminars zu Jena, hrsg. von Prof. Dr. J. Pierstorff, 13. Bd., Heft 1.) 
Jena, Gustav Fischer, 1914. gr. 8. XV, 264 u. 83 SS. M. 9.—. 

Schwiedland, Eugen, Der Handel. Vorlesung. Ergänzte Neuaufl. Wien, 
Manz, 1915. gr. 8. 40 SS. M. 1.—. 


Berruti, Lu., La regione del Reno, navigazione interna e sviluppo com- 
merciale: tesi di laurea. (r. Istituto superiore di studi commerciali in Torino.) 
Torino, lit. A. Viretto, 1914. 8. 131 p. 

Franchi, Stanislav, Il regime doganale della Libia: tesi di laurea, 
(r. Istituto superiore di studi commerciali in Torino.) Torino, lit. A. Viretto, 
1914. 8. 175 pp. 

Manfredi, V., Voti sulla rinnovazione dei trattati di commercio e re- 
visione del regime economico doganale (Camera di commercio e industria della 
provincia di Alessandria.) Alessandria, tip. suce. Gazzotti e C., 1914. 8. 49 pp. 

Viti (De), De Marco A., Il problema doganale e l'attuale momento 
politico. Firenze, stab. tip. Aldino, 1914. 16. 65 pp. 


7. Finanzwesen. 


Erzberger, M., Die Rüstungsausgaben des Deutschen Reichs. (Finanz- 
wirtschaftliche Zeitfragen. Hrsg. von Proff. Drs. Reichsr. Georg v. Schanz und 
Geh. Reg.-Rat Jul. Wolf. Heft 14.) Stuttgart, Ferd. Enke, 1914. Lex.-8. 73 SS, 
M. 3.—. 

Mann (Finanzrat), Dr. Osk., Die Personalsteuernovelle vom 23. 1. 1914, 
samt Vollzugsvorschriften. Systematisch bearb. Wien, Alfred Hölder, 1914. gr. 8. 
VIII—77 SS. M. 1,40. 

Ott (Rechtsanw.), Fritz, Die Vermögens- und Einkommensteuer in der 
Schweiz. Orientierung für Steuerpflichtige. Zürich, Orell Füßli, 1914. gr. 8. 
279 SS. M. 4,80. 

Schreiber, Dr. Gust., Prämienanleihen. (Diss.) Berlin, Emil Ebering, 
1914. gr. 8. 78 SS. M. 1,50. 

Zedlitz u. Neukirch (Seehandlgs.-Präs. a. D., Landtags-Abg.) Frei- 
herr v., Die Reichs- und Staatsfinanzen während des Krieges und nach dem 
Kriege. (Zwischen Krieg und Frieden. Hrsg. von Georg Irmer, Karl Lamprecht, 
Franz v. Liszt, Heft 5.) Leipzig, S. Hirzel, 1914. 8. III—27 SS. M. 0,80. 

Carano-Donvito, prof. G., L’imposizione indirette nella scienza delle 
finanze e nel diritto finanziario. In appendice, Il regime doganale delle colonie: 
saggio sugli effetti dei dazi doganali. Caserta, F. Abussi (Napoli, S. Morano), 
1914. 16 255 pp. 1l. 4.—. 


844 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Geisser, Alb., L'imposta prussiana sull’entrata (Einkommensteuer): 
esempio tipico di imposta globale. Torino, soc. tip. ed. Nazionale, 1914. 8. 
102 pp. 1. 2.—. 


8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen. 

Jacobs, Paul, Die Zulassung von Wertpapieren zum Börsen- 
handel. Berlin (Julius Springer) 1914. 

Das Buch gibt eine gute Uebersicht über die Tätigkeit der Zu- 
lassungsstelle und enthält im einzelnen manche beachtenswerte Kritik 
der gesetzlichen Bestimmungen. 

Die Verantwortlichkeit der Zulassungsstelle für den Prospekt will 
Verf. auch auf die Richtigkeit der Angaben ausgedehnt wissen. Es ist 
wohl zuzugeben, daß die Zusammensetzung der Zulassungsstelle bis zu 
einem gewissen Grade diesbezügliche Garantien bietet. Trotzdem ist 
unseres Erachtens zu betonen, daß diese von hervorragenden Männern 
freiwillig übernommene Leistung durch die Forderung dieser Verant- 
wortlichkeit nur beeinträchtigt werden kann. Nicht voll befriedigend 
sind die prinzipiellen Ausführungen über das Verhältnis der Regierung 
zur Zulassung ausländischer Wertpapiere. So ist z. B. ein Buch wie 
Dernburgs „Kapital und Staatsaufsicht“ leider nur im Literaturver- 
zeichnis berücksichtigt. 

Berlin. Walter Pinner. 


Iränyi, Bernh., Die Geschäftsresultate der österreichisch-ungarischen 
Lebensversicherungs-Gesellschaften und der ausländischen Lebensversicherungs-Ge- 
sellschaften in Oesterreich-Ungarn im Jahre 1913. 36. Jahrg. (Aus „Der National- 
Oekonom“.) Lex.-8. 24 SS. M. 1,25. — Die deutschen Lebens- und Unfallver- 
sicherungsgesellschaften. Uebersichtliche Darstellung der Geschäftsergebnisse in 
den Jahren 1909—1913. 23. Jahrg. 24,5X11,5 cm. 40 SS. M. 1,35. — Die 
deutschen Privatversicherungsgesellschaften im Jahre 1913. 20. Jahrg. Lex.-3 
32 SS. M. 1,35. Wien, J. Eisenstein u. Co., 1914. 

Mahlberg (Priv.-Doz.), Walter, Ueber asiatische Wechselkurse. Mit 
28 Diagranımen. (Kölner Studien zum Staats- und Wirtschaftsleben. Schrift- 
leitung: Bruno Kuske.) Bonn, A. Marcus u. E. Weber, 1914. gr. 8. VII—137 SS 
M. 8,40. 

Martin (fr. Reg.-Rat), Rud., Jahrbuch des Vermögens und Einkommens 
der Millionäre in Württemberg und Hohenzollern. Berlin, Rud. Martin, 1914. 8. 
VI—132 SS. M. 10.—. 

Moratorien und andere Sonderregelungen des Zahlungsverkehrs im Aus- 
lande. Zusammengestellt von der Handelskammer zu Berlin nach dem bis zum 
28. 9. ermittelten Stande. 2. vervollständigte Auflage. Berlin, Handelskammer, 
1914. 8. 147 SS. M. 1,20. : 


Prinzivalli, Gino, La banca moderna e la diplomazia del denaro. 

Milano, fratelli Treves, 1914. 16. 201 pp. 1. 3,50. 
9. Soziale Frage. 

Kleemann, Kurt, Die Sozialpolitik der Reichs-Post- und Tele- 
graphenverwaltung gegenüber ihren Beamten, Unterbeamten und Ar- 
beitern. (Abhandlungen des staatswissenschaftlichen Seminars zu Jena, 
hrsg. von Prof. Dr. Pierstorff, Bd. 14, Heft 1.) Jena (G. Fischer) 
1914. 8. XVI u. 253 SS. 6 M. 

Inmitten des Widerstreits der Meinungen, ob die deutsche Sozialpolitik 
weitere Ausdehnung erheischt oder ob die im Rahmen der Steuerkraft des 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 845 


Volkes erwünschten Grenzen nicht bereits überschritten sind, ist es für den 
Theoretiker wie für den Praktiker von Interesse, die Wirkung unserer 
heutigen Sozialpolitik auf einen Personenkreis von etwa 700000 Reichs- 
angehörigen kennen zu lernen, die, in ihrer Gesamtheit Lien aller Be- 
wohner des Reichspostgebiets darstellend, entweder selbst oder durch ihre 
Ernährer ihren Unterhalt wesentlich aus den Etatsmitteln der Reichs- 
Post- und Telegraphenverwaltung bestreiten. 

Verf. holt weit aus, indem er in drei, die erste Hälfte der Arbeit 
umfassenden Abschnitten den Leser eingehend mit der Verfassung des 
Arbeitsverhältnisses, mit den Arbeitsbedingungen und mit den Ein- 
kommensverhältnissen der Beamten, Unterbeamten und im Arbeiter- 
verhältnis zur Postverwaltung stehenden Personen bekannt macht und 
diese Verhältnisse in ihrer geschichtlichen Entwicklung unter Abgabe von 
Verbesserungsvorschlägen kritisch beleuchtet. Besonders beachtenswert 
sind hier für den Sozialpolitiker die Ausführungen über die Hygiene 
der Arbeitsbedingungen, d. h. über das von den Angestellten in An- 
spruch genommene Leistungsmaß, über die Sorge für die Arbeitsstätten 
und über den Schutz des Personals gegen die besonderen Betriebs- 
gefahren des Post- und Telegraphendienstes. Die drei folgenden Ab- 
schnitte befassen sich mit der Durchführung der sozialen Fürsorge- 
gesetze, getrennt nach den vier Zweigen der Unfall-, Kranken-, In- 
validen- und Angestelltenversicherung, mit den Maßnahmen zur Besse- 
rung der wirtschaftlichen Lage des Personals durch unmittelbares Ein- 
greifen der Verwaltung auf der einen und Begünstigung der wirtschaft- 
lichen Selbsthilfe auf der andern Seite, endlich mit den Förderungs- 
mitteln der geistigen Fortbildung des Personals. Der Leser gewinnt hier, 
unterstützt durch übersichtliche Tabellen, einen sehr interessanten Ein- 
blick in die größtenteils zahlenmäßig belegten Folgeerscheinungen der 
neuzeitlichen Sozialgesetzgebung. Der folgende Abschnitt endlich schil- 
dert die Stellung der Verwaltung zu den Beamten- und Arbeiterorgani- 
sationen unter besonderer Berücksichtigung der Koalitionsfrage. 

In seinem „Rückblick und Ausblick“ betitelten Schlußwort kommt 
Verf. zu dem Ergebnis, daß die Sozialpolitik der Reichs-Post- und Tele- 
graphenverwaltung sichtlich von Erfolg begleitet gewesen ist und 
anderen Arbeitgebern als mustergültiges Beispiel dienen kann, nicht 
nur hinsichtlich der durchaus wohlwollenden Auslegung bündiger Ge- 
setzesbestimmungen, sondern auch auf den Gebieten, wo es gilt, die 
wirtschaftliche Selbsthilfe der Angestellten nachhaltig anzuregen und 
zu fördern. Trotz der verschiedentlich in seinen Verbesserungs- 
vorschlägen dargelegten Ueberzeugung, daß bei dem großen Umfang 
des Arbeitsfeldes von einem Stillstand in der Sozialpolitik der Ver- 
waltung keine Rede sein darf, spricht sich Verf. dennoch abschließend 
dafür aus, daß ihr weiterer Ausbau mit einer gewissen Zurückhaltung 
erfolgen möge, damit das Selbstverantwortlichkeitsgefühl der beteiligten 
Kreise und der gesunde Trieb, aus eigener Kraft auch widrigen Ver- 
hältnissen zu begegnen, nicht durch wohlgemeinte Bevormundung er- 
tötet werden. 

Berlin-Wilmersdorf. Erwin Günther. 


846 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Elsas, Dr. Fritz, Die studentische Wohnungsfrage in Vergangenheit und 
Gegenwart. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1914. gr. 8. V—53 SS. M. 1,50. 

Kalle (Geh. Reg.-Rat), Prof. Dr. Fritz, und (Beigeordn.) Hanns Borg- 
mann, Die Wohlfahrtseinrichtungen Wiesbadens. 2. Aufl, im Auftrage des 
Magistrats zusammengestellt. Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1914. gr. 8. X—234 SS. 
M. 2,60. 

Lönne, Dr. Friedr., Die Bedeutung der Wohnungsinspektion für die 
moderne Wohnungsfrage, erläutert an den in Hessen gemachten Erfahrungen. 
Wiesbaden, J. F. Bergmann, 1914. Lex.-8. V—52 SS. M. 2.—. 

Löwe, Adolf, Arbeitslosigkeit und Kriminalität. Eine kriminologische Unter- 
suchung. (Abhandlungen des kriminalistischen Instituts an der Universität Berlin. 
Hrsg. von Proff. Drs. Franz v. Liszt und Ernst Delaquis, 1. Bd., Heft 4.) Berlin, 
J. Guttentag, 1914. gr. 8. 47 SS. M. 1,50. 

Petersen f, Dr. Joh.,. Jugendfürsorge. Unter Mitwirkung von E. Cruse- 
mann, E. Jaques (Reg.-Räthen), Prof. Ch. J. Klunker, Drs. (Oberinsp.) E. Schal- 
lehn, Frl. M. Schirmer, Dr. E. Schultze bearbeitet. Hrsg. von der deutschen 
Zentrale für Jugendfürsorge. Berlin, Carl Heymann, 1915. gr. 8. VIII—250 SS. 
M. 6.—. 

Schellenberg, Anna, Die wirtschaftlichen Tatsachen und die Ziele 
der Frauenbewegung. München, J. F. Lehmann, 1914. gr. 8. 30 SS. M. 0,75. 


11. Gesetzgebung, Staats- und Verwaltungsrecht. Staatsbürgerkunde. 


Die Praxis der kommunalen und sozialen Verwaltung. 
II. Kursus: Die neuen Aufgaben der Sozialversicherung in der Praxis. 
Tübingen 1913. 337 SS. 


Der vorliegende Band enthält 15 Vorträge, welche auf Veranlassung 
der Hochschule für kommunale und soziale Verwaltung in Köln in einem 
besonderen Kursus gehalten sind, und die sich in sehr geschickter Weise 
ergänzen. Zunächst ist die gegenwärtige Organisation der verschiedenen 
Kassen vom juristischen Standpunkte aus dargestellt. Eine wesentliche 
Ergänzung dazu bilden die Vorträge, welche die bisherige Wirkung der 
Versicherung für die Industrie, für die Arbeiter und die ganze Volks- 
wirtschaft gehabt haben, wobei die verschiedenen Auffassungen zur 
Geltung gebracht sind, um die weiteren Aufgaben in dieser Hinsicht 
klarzulegen. Diese kritische Behandlung ist von Dr. Marie Baum: 
Ueber die Stellung der Frau in der Reichs'ersicherungsordnung; von 
Dr. Sanitätsrat Mugdan und Justizrat Wandel: Die Arztfrage; von Re- 
gierungsrat Schweighoffer: Die Belastung der Industrie durch die Sozial- 
versicherung; vom Abgeordneten Giesberts: Die Bedeutung der Sozial- 
gesetzgebung für die Volkswirtschaft, und Geheimrat Rose: Die Volks- 
versicherung als Ergänzung der Sozialversicherung geschehen. Diese 
Vorträge sind in hohem Maße geeignet, die Anschauungen über unser 
Versicherungswesen zu klären und eine objektive Beurteilung derselben 
zu verbreiten. J. Conrad. 


Appelius (Landesr.) Fr., (Geh. Reg.-Rat) A. Düttmann, (Landesversich.- 
Assess.) Beelmann: Das Verfahren vor den Versicherungsbehörden. Kommentar 
zu den kaiserl. Verordnungen über den Geschäftsgang und das Verfahren vor den 
Versicherungsämtern, Oberversicherungsämtern und dem Reichsversicherungsamt vom 
24. 12. 1914. 4. völlig umgearbeitete Auflage von Appelius — Düttmann, Kommentar 
zur Schiedsgerichtsordnung. Oldenburg, A. Littmann, 1914. XI, 313 SS. M. 7,50. 

Bollmann (Richter), Dr. Johannes, Das Staatsrecht der Freien Hanse- 
städte Bremen und Lübeck. (Das öffentliche Recht der Gegenwart. In Verbindung 
mit einer großen Anzahl hervorragender Schriftsteller des In- und Auslandes 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 847 


hrsg. von Proff. Drs. Max Huber, weil. Georg Jellinek, Paul Laband, Rob. Piloty, 
27. Bd.) Tübingen, J. ©. B. Mohr, 1914. Lex.-8. VIII—219 SS. M. 7.—. 

Braßloff (Handelsakademie-Doz.), Prof. Dr. Steph., Leitfaden der öster- 
reichischen Verfassungskunde. 2. verb. Aufl. Wien, Carl Fromme, 1914. gr. 8. 
V—115 SS. M. 2,50. 

Forchheimer, Dr. Karl, Gesetze und Verordnungen für die Zeit des 
Krieges 1914, nebst den älteren und auf den Krieg bezüglichen gesetzlichen Be- 
stimmungen und den Anordnungen, betr. den Zahlungsaufschub in Ungarn und 
im Deutschen Reich. (Oesterreichische Gesetze mit Erläuterungen aus den Ma- 
terialien.) Wien, Moritz Perles, 1914. kl. 8. 212 u. X SS. M. 2,80. 

Fribolin, Dr. Herm., Die Frage der deutschen Beamten. (Volkswirt- 
schaftliche Abhandlungen der badischen Hochschulen, hrsg. von Karl Diehl, 
Eberh. Gothein, Gerh. v. Schulze-Gävernitz, Alfr. Weber, Otto v. Zwiedineck- 
Südenhorst, Heft 27.) Karlsruhe, G. Braun, 1914. gr. 8. IV—111 SS. M. 2,40. 


Haberland, Georg, Das Mietsverhältnis im Kriege. Vorschläge zur wirt- 
schaftlichen Erhaltung des Hausbesitzes. Veröffentlicht mit Einverständnis und 
Billigung des Schutzverbandes für deutschen Grundbesitz. Berlin, Alfred Unger, 
1914. gr. 8. 24 SS. M. 0,60. 

Handwörterbuch der Kommunal-Wissenschaften. Hrsg. von J. Brix, 
H. Lindemann, O. Most, H. Preuß, A. Südekum. 4. Lieferung. Jena, Gustav 
Fischer, 1914. Lex.-8. 1. Bd. S. 241—400. M. 3,50. 

Hinterbliebenenfürsorge, Die, in Kriegs- und Friedenszeiten. (Fech- 
ners Gesetzgebungs-Bibliothek.) Berlin-Wilmersdorf, Fechners Gesetzgebungs-Biblio- 
thek, 1914. kl. 8. VIII—268 SS. M. 4.—. 

Kracht, Dr. Ernst, Das Streikpostenverbot. München u. Leipzig, 
Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. V—427 SS. M. 11.—. 

Licht (Rechtsanwalt, Justizrat), Ernst, Die Kriegsgesetze des bürger- 
lichen Rechts für Laien und Juristen. Stuttgart, W. Kohlhammer, 1914. kl. 8. 
VI—71 SS. M. 1.—. 

Lins (Oberlehrer), Jos., Rußland. Verfassung, Verwaltung, Volkswirt- 
schaft. (Staatsbürger-Bibliothek, Heft 53.) M.-Gladbach, Volksvereins-Verlag, 
1914. 8. 79 SS. M. 0,40. 

Liszt (Geh. Justizrat, Reichstags-Abg.), Franz v., Ein mitteleuropäischer 
Staatenverband als nächstes Ziel der deutschen auswärtigen Politik. (Zwischen 
Krieg und Frieden. Hrsg. von Georg Irmer, Karl Lamprecht, Franz v. Liszt, 
Heft 2.) Leipzig, S. Hirzel, 1914. 8. III—45 SS. M. 0,80. 

Löwenthal, Dr. Fritz, Der preußische Verfassungsstreit 1862—1866. 
München u. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. XI—342 SS. M. 8,50. 

Lüders, Ewald, Die Anwendung des deutschen Urheber- und Erfinder- 
rechts in den Schutzgebieten. (Abhandlungen und Mitteilungen aus dem Seminar 
für öffentliches Recht und Kolonialrecht, Heft 4.) Hamburg, Lucas Gräfe u. 
Sillem, 1914. Lex.-8. IV—43 SS. M. 1,50. 

Meyer’s, weil. Prof. Georg, Lehrbuch des deutschen Staatsrechtes. Nach 
dem Tode des Verf. in 7. Aufl. bearb. von (Geh. Justizrat) Prof. Gerh. An- 
schütz. 1. Teil. München u. Leipzig, Duncker u. Humblot, 1914. gr. 8. XII— 
380 SS. M. 10.—. 

Monographien deutscher Städte. Darstellung deutscher Städte und 
ihrer Arbeit in Wirtschaft, Finanzwesen, Hygiene, Sozialpolitik und Technik. 
Hrsg. von (Gen.-Sekr.) Erwin Stein. 8. Bd. Berlin. Hrsg. von (Gen.-Sekr.) Erwin 
Stein in Verbindung mit (Gartenbaudir.) A. Brodersen, (Magistrats-Assess.) Max 
Conrad, (Magistrats-Baurat) Eggert u. a. VIII—329 SS. M. 7,50. — 9. Bd. 
Dessau. Hrsg. von (Geh. Reg.-Rat, Ober-Bürgermstr.) Dr. Ebeling und (Gen.-Sekr.) 
Erwin Stein, in Verbindung mit (Schuldir.) Haase, (Red.) Max Hasse, (Stadtrat) 
Jahn u. a. VII—179 SS. mit 70 Abbildungen. M. 5.—. Oldenburg i. Gr., Gerhard 
Stalling, 1914. Lex.-8. 


Oertel (Ob.-Bürgermstr., Geh. Reg.-Rat), O., Die Städteordnung für die 
sechs östlichen Provinzen der preußischen Monarchie vom 30. 5. 1853. Mit Er- 
gänzungen und Erläuterungen. 6. Aufl. Liegnitz, H. Krumbhaar, 1914. gr. 8. 
XX—703 SS M. 14.—. 


848 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 


Schmidt, Dr. Franz, Dänemark, Schweden und Norwegen. Verfassung, 
Verwaltung, Volkswirtschaft. (Staatsbürger-Bibliothek, Heft 52.) M.-Gladbach, 
Volksvereins-Verlag, 1914. 8. 64 SS. M. 0,40. 

Schumm, Dr. Felix, Bürgerkunde für Preußen. Auf der Grundlage 
der von (Rechtsanw.) Dr. Alb. Müller verfaßten gemeinverständlichen württem- 
bergischen Bürgerkunde für Preußen bearbeitet. Stuttgart, Carl Grüninger, 1914. 
8. VIII—235 SS. M. 1,60. 

Sintenis, Dr. Gust., Finanz- uud wirtschaftspolitische Kriegsgesetze 
1914. Nachtrag. Die Bekanntmachungen des Bundesrats aus der Zeit vom 8. 9. 
bis 22. 10. 1914. Mannheim, J. Bensheimer, 1914. kl. 8. 50 SS. mit 1 Tab. M.0,50. 

Strupp, Dr. Karl, Das internationale Landkriegsrecht. Erläutert. Frank- 
furt a. M., Joseph Baer u. Co., 1914. gr. 8. XII—252 SS. M. 5.—. 

Tesar (Privatdoz.), Dr. Ottok., Staatsidee und Strafrecht. Eine historische 
Untersuchung. 1. Teil: Das griechische Recht und die griechische Lehre bis 
Aristoteles. (Abhandlungen des kriminalistischen Instituts an der Universität 
Berlin. Hrsg. von Proff. Drs. Franz v. Liszt und Ernst Delaquis. 3. Folge, 
1. Bd., Heft 3.) Berlin, J. Guttentag, 1914. gr. 8 XV—256 SS. M.7.—. 

Trimborn (Rechtsanw.), Dr. Max. Postscheckgesetz vom 26. 3. 1914, 
nebst der Postscheckordnung vom 22. 5. 1914, den hierzu erlassenen Ausführungs- 
bestimmungen und anderen einschlägigen Vorschriften. Erläutert. (Taschen-Gesetz- 
sammlung No. 81.) Berlin, Carl Heymann, 1914. kl. 8 XVI—276 SS. M. 3.—. 

Wehrordnung, Deutsche, vom 22. 11. 1888, unter Berücksichtigung aller 
bisher eingetretenen Aenderungen. Berlin, Max Galle, 1914. 8. 435 SS. M. 4.—. 

Wollenburg (Rechnungsrat), E., Fürsorgegesetzgebung für das Heer, die 
Marine und die Schutztruppen. Berlin, Carl Heymann, 1915. 8. VI—162 SS. 
M. 3.—. — Das Kriegsleistungsgesetz vom 13. 6. 1873 nebst Ausführungsverord- 
nungen, unter Berücksichtigung der bis September 1914 erfolgten Aenderungen 
und Ergänzungen. Berlin, Carl Heymann, 1914. 8. III—47 SS. M. 1.—. 


Palumbo (avv.), Fr., La convenzione internazionale e la legge uniforme 
cambiaria fissata dalla conferenza dell’Aja de 1912: lineamenti storico-esegitico- 
critici, con cenni di legislazione cambiaria comparata. Napoli, libr. Detken e 
Rocholl, di B. Johannowsky, 1914. 8. XXII—414 pp. 1. 10.—. 

Parlement en kiezer. Jaarboekje, samengesteld door J. A. Jungmann en 
a Ee Iterson 1914—15. ’s-Gravenhage, Mart. Nijhoff. 8. 8 en 340 blz. 

. 1,26. 
12. Statistik. 
Deutsches Reich. 

Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Jahr- 
gang 34, 1913. Berlin 1913. 464 u. 100* SS. 

Der 34. Jahrgang des vorliegenden Jahrbuchs, das sich im Laufe 
der Zeit mehr und mehr eingebürgert und der Statistik viele Freunde 
gewonnen hat, zeigt wiederum wesentliche Ergänzungen, namentlich auf 
Grund der Volkszählung von 1910, der Berufszählung von 1907 und 
der landwirtschaftlichen Betriebszählung desselben Jahres. Außerdem 
machen wir aufmerksam auf die allgemeine deutsche Sterbetafel von 
1901—1910, die Ergebnisse der schulstatistischen Erhebungen, der Ar- 
beitsnachweise, der Todesursachen etc. 

Besonders erwähnenswert sind wiederum die internationalen Ueber- 
sichten im Anhang, so über die Erwerbstätigen, die Arbeiterorgani- 
sationen, die Ergebnisse der verschiedenen Produktionszweige, des Ver- 
kehrs, des Genossenschaftswesens und der Banken ete., die überall mit 
besonderem Danke aufgenommen werden dürften. J. Conrad. 


Ergebnisse, Die, der Schlachtvieh- und Fleischbeschau im Deutschen 
Reiche im Jahre 1912. Bearb. im Kaiserl. Gesundheitsamte. Berlin, Julius 
Springer, 1914. 33,5X26,5 cm. IV—58 und 139 SS. M. 8—. 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 849 


Jahrbuch, Statistisches, der höheren Schulen Deutschlands, Luxemburgs 
und der Schweiz und der höheren deutschen Schulen im Ausland. Nach amtlichen 
Quellen bearb. 35. Jahrg. (In 2 Tln.) 1. Teil. Leipzig, B. G. Teubner, 1914. 
kl. 8. XXXII—648 SS. M. 4,50. 

Tabellen über die Bevölkerungsvorgänge Berlins im Jahre 1912. Hrsg. 
vom Statist. Amt der Stadt Berlin. Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. 
33,5 X 26 cm. VIII—130 SS. M. 3,50. 

Uebersichten aus der Berliner Statistik für die Jahre 1908—1912 (zum 
Teil auch 1913). Hrsg. vom Statist. Amt der Stadt Berlin. Berlin, P. Stankiecz, 
1914. 16. VI—112 SS. M. 0,75. 


Oesterreich-Ungarn. 

Denkschrift der Arbeiter-Unfall-Versicherungsanstalt für Niederöster- 
reich in Wien über das 1. Vierteljahrhundert 1889—1914. Wien, Alfred Holder, 
1914. Lex.-8. IV—125 SS. mit 8 (4 farb.) Tafeln. M. 5,20. 

Jahrbuch, Statistisches, des k. k. Ackerbau-Ministeriums für das Jahr 
1913. Statistik der Ernte in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und 
Länderr im Jahre 1913. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1914. gr. 8. 
VI—360 SS. M. 3.—. 

Statistik des Bergbaues in Oesterreich für das Jahr 1913. 1. Lieferung: 
Die Bergwerksproduktion (mit Ausschluß der Naphthagewinnung). Hrsg. vom 
k. k. Ministerium für öffentliche Arbeiten. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 
1914. Lex.-8 231 SS. M. 3.—. 

Statistik, Oesterreichische. Hrsg. von der k. k. statist. Zentralkommission. 
8. Bd. 2. Heft. Statistik der Unterrichtsanstalten in den im Reichsrate ver- 
tretenen Königreichen und Ländern für die Jahre 1910/11. 29—306 SS. M. 10,20. 
— 9. Bd 2. Heft. Kriminalstatistik, Oesterreichische. 2. Jahrg. 1911. 7—339 SS. 
M. 10,50. — 10. Bd. 2. Heft. Statistik der Banken in den im Reichsrate ver- 
tretenen Königreichen und Ländern für die Jahre 1907—1911. 35—97 SS. M.4.—. 
Wien, Carl Gerolds Sohn, 1914. 32,5 X25 cm. 

Uebersichten, Statistische, betr. den auswärtigen Handel der wich- 
tigsten Staaten in den Jahren 1907—1911. Hrsg. vom handelsstatistischen Dienste 
des k. k. Handelsministeriums. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1914. Lex.-8. 
VIII—22i SS. M. 3.—. 


H. Schweiz. 

Statistik, Schweizerische. Hrsg. vom statist. Bureau des eidgen. De- 
partements des Innern. 189. Lieferung. Die Bewegung der Bevölkerung in der 
Schweiz im Jahre 1912. 53 SS. M. 2.—. 192. Lieferung. Pädagogische Prüfung 
bei der Rekrutierung im Herbste 1913. 17 SS. mit 2 farb. Karten. M. 1,50. 
Bern, A. Francke, 1914. Lex.-8. 


13. Verschiedenes. 


Fischer, Alfons, Ein sozialhygienischer Gesetzentwurf aus dem 
Jahre 1800, ein Vorbild für die Gegenwart. Berlin (Julius Springer) 
1913. 41 SS. 1 M. 

Vor mehr als 100 Jahren hat der pfälzische Arzt Franz Anton 
Mai, geboren am 16. Dezember 1742 zu Mannheim, das damals noch 
zur Pfalz gehörte, und gestorben als Professor und Geheimrat 1814 in 
Heidelberg, einen förmlichen Gesetzentwurf ausgearbeitet, der als Muster 
eines Hygienegesetzes noch heute vorbildlich ist. Manche seiner Forde- 
rungen sind heute verwirklicht, der größere Teil aber ist heute noch ein 
unerfülltter Wunsch der Sozialhygieniker. Und dabei ist das, was Mai 
forderte, weit entfernt davon, ein utopistisches Nichts-als-Wünschen zu 
sein, es ist vielmehr ausführbar und erfüllbar. Daß wir heute nicht 
weiter sind, obwohl diese Forderungen schon vor 100 Jahren klar und 

Dritte Folge Bd. XLVIII CID, 54 


850 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes, 


wohlgegründet fixiert waren, wirft ein schlechtes Licht auf die seither 
dazwischenliegenden Jahre rückschrittlicher Nichterkenntnis auf hygiene- 
gesetzlichem Gebiet. Mai fordert in seinem Gesetzentwurf unter ande- 
rem: Gesundheitslehre auf der Schule, sexuelle Aufklärung, Wochenbett- 
fürsorge und Wöchnerinnenschonzeit, Selbststillen, zweckmäßige psy- 
chische Erziehung der Kinder, spezielle Gewerbehygiene, Verbot der 
Mietskaserne und der Kellerwohnungen, Fleisch- und Fischbeschau, 
polizeiliche Ueberwachung des Butter- und Milchverkaufs. Gegen den 
Alkoholmißbrauch geht er an und hält es für ein Unrecht, daß Be- 
rauschtheit Strafmilderungsgrund ist. Gegen das Korsett und für gym- 
nastische Spiele tritt sein Gesetzentwurf ein und namentlich für die 
gesundheitliche Untersuchung der Brautleute vor dem Eintritt in die 
Ehe, ein Gebot, das heute erst von ganz fortschrittlichen amerikanischen 
Staaten festgelegt ist. Ja sogar eine Alleinstehendensteuer (für Hage- 
stolze und junge Witwen) zum Besten einer Notkasse für rassedienliche 
Betätigungen schlägt er vor. Besonders aber einen organisierten (für 
Minderbemittelte unentgeltlichen) Hebammendienst sieht er vor und will 
namentlich auch die uneheliche Mutter geschützt sehen. 

Alfons Fischer, der diesen Gesetzentwurf ans Tageslicht gezogen 
hat, begleitet seine einzelnen Positionen mit lebhaftem Beifall, dem wir 
uns durchaus anschließen dürfen. Einzelne der Forderungen bedürfen 
ja freilich heute der Modifikation, aber im ganzen ist jener Gesetz- 
entwurf, dem die Heidelberger Professoren und das Mannheimer Aerzte- 
kollegium ihre Zustimmung gaben und den der Kurfürst Max Josef 
selbst zur Durchführung bestimmte, auch heute noch vorbildlich für 
eine Hygienegesetzgebung, die auch wir noch als geschlossene Kodi- 
fikation entbehren. 

Die Gründe, die Fischer für eine Sondergesetzgebung für Gesund- 
heitspflege entgegen den Stimmen von Laband und anderen aufführt, 
verdienen Beachtung. Interessant ist die bei der Betrachtung dieser Tat- 
sachen uns auftauchende Frage, wie es denn kommen kann, daß ver- 
nünftige Forderungen, wie diese, die so wichtig für das Gedeihen der 
Nation sind, ein Jahrhundert lang keine Förderung fanden, daß wir 
heute noch fast so weit zurück sind wie damals, obwohl wir uns ein- 
bilden, es so herrlich weit gebracht zu haben. Das kann nur daran 
liegen, daß unsere Parteipolitik stets die engsten Interessenstandpunkte 
vertritt und daß die Klassenrücksichten den Blick aufs Ganze und 
Große lähmen. Dazu ein Versteckenspielen mit körperlich-gesundheit- 
lichen Dingen, eine Scheu vor der obrigkeitlich-öffentlichen Behandlung 
von Fragen der Rassebiologie, der gesundheitlichen Rechte und Pflichten 
des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit. 

Diese Schrift Fischers verdient daher in weiten Kreisen gelesen zu 
werden. 


Berlin-Friedenau. Alexander Elster. 
Becker, Prof. Dr. C. H., Deutschland und der Islam. (Der deutsche 


Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst Jäckh, Heft 3.) Stuttgart, 
Deutsche Verlagsanstalt vorm. Eduard Hallberger, 1914. gr. 8. 31 SS. M. 0,50. 


nn 


Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 851 


Braun (Minist.-Rat), Friedr. Edler v., Kann Deutschland durch Hunger 
besiegt werden? Eine Kriegsbetrachtung. München, Carl Gerber, 1914. Lex.-8. 
79 SS. M. 3.—. 

Dix, Arthur, Der Weltwirtschaftskrieg. Seine Waffen und seine Ziele. 
(Zwischen Krieg und Frieden. Hrsg. von Georg Irmer, Karl Lamprecht, Franz v. 
Liszt, Heft 3.) Leipzig, S. Hirzel, 1914. 8. III—46 SS. M. 0,80. 

E lsenhaus, Prof. Dr. Theodor, Der Krieg als Erzieher. Vortrag. 
Dresden, A. Dressel, 1914. 8. 31 SS. M. 0,60. 

Eucken, Prof. Dr. Rud., Die weltgeschichtliche Bedeutung des deutschen 
Geistes. (Der deutsche Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst Jäckh, 
Heft 8.) Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt vorm. Eduard Hallberger, 1914. gr. 8. 
23 SS. M. 0,50. 

Gierke, Prof. Dr. Otto v., Krieg und Kultur. Rede, am 18. 9. 1914 ge- 
halten. (Deutsche Reden in schwerer Zeit. Hrsg. von der Zentralstelle für Volks- 
wohlfahrt und dem Verein für volkstümliche Kurse von Berliner Hochschullehrern. 
No. 2.) Berlin, Carl Heymann, 1914. 8. 27 SS. M. 0,50. 

Grothe, Dr. Hugo, Deutschland, die Türkei und der Islam. Ein Beitrag 
zu den Grundlinien der deutschen Weltpolitik im islamitischen Orient. (Zwischen 
Krieg und Frieden. Hrsg. von Georg Irmer, Karl Lamprecht, Franz v. Liszt, 
Heft 4.) Leipzig, S. Hirzel, 1914. 8. III—44 SS. M. 0,80. 

Lasson, Prof. D. Dr. Adolf, Deutsche Art und deutsche Bildung. Rede, 
am 25. 9. 1914 gehalten. (Deutsche Reden in schwerer Zeit. Hrsg. von der Zentral- 
stelle für Volkswohlfahrt und dem Verein für volkstümliche Kurse von Berliner 
Hochschullehrern, No. 4.) Berlin, Carl Heymann, 1914. 8. 44 SS. B. 0,50. 

Losch (Ob.-Finanzrat), Prof. Dr. Herm., Englands Schwäche und Deutsch- 
lands Stärke. (Der deutsche Krieg. Politische Flugschriften, Heft 10.) Stutt- 
gart, Deutsche Verlagsanstalt vorm. Eduard Hallberger, 1914. gr. 8. 28 S6. 
M. 0,50. 

Mühlestein, Hans, Deutschlands Sendung. Ein neuer mitteleuropäischer 
Völkerbund. Weimar, Gust, Kiepenheuer, 1914. 8. 55 SS. M. 1.—. 

Oncken, Prof. Dr. Herm., Deutschlands Weltkrieg und die Deutsch- 
Amerikaner. Ein Gruß des Vaterlandes über den Ozean. (Der deutsche Krieg. 
Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst Jäckh, Heft 6.) Stuttgart, Deutsche 
Verlagsanstalt vorm. Eduard Hallberger, 1914. gr. 8. 23 SS. M. 0,50. — Unsere 
Abrechnung mit England. (Unterm eisernen Kreuz 1914. Kriegsschriften des 
Kaiser-Wilhelm-Dank, Verein der ‚Soldatenfreunde, Heft 8.) Berlin, Kamerad- 
schaft, 1914. 8. 30 SS. M. 0,30. 

Osterrieth, Alb., Die Ursachen und Ziele des europäischen Krieges. 
Berlin, Puttkammer u. Mühlbrecht, 1914. 8. 55 SS. M. 1.—. 

Quadflieg, Dr. Franz, Russische Expansionspolitik von 1774—1914. 
Berlin, Ferd. Dümmler, 1914. 8. 259 SS. M. 4.—. 

Rathgen, Karl, Deutschland, die Weltmächte und der Krieg. (Deutsche 
Vorträge hamburgischer Professoren, No. 1.) Hamburg, L. Friederichsen u. Co., 
1914. gr. 8. 19 SS. M. 0,50. 

Reiniger, Max, Der Völkerkrieg 1914. Der Kampf um Sein oder Nicht- 
sein des Deutschen Reiches, deutscher Macht und deutschen Wesens. Langen- 
salza, Julius Beltz, 1915. gr. 8. 76 SS. M. 2.—. 

Rohrbach, Paul, Der Krieg und die große Politik. Dresden, Verlag 
„Das größere Deutschland“, 1914. 8. VIII—100 SS. M. 1,80. 

Roloff, Prof. Dr. Gust., Deutschland und Rußland im Widerstreit seit 
200 Jahren. (Der deutsche Krieg. Politische Flugschriften. Hrsg. von Ernst 
Jäckh, Heft 9.) Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt vorm Eduard Hallberger, 
1914. gr. 8. 31 SS. M. 0,50. 

Schäfer (Geh. Rat), Prof. Dr. Dietrich, Sein oder Nichtsein? Des 
Deutschen Reiches Schicksalsstunde. (Unterm eisernen Kreuz 1914. Kriegsschriften 
des Kaiser-Wilhelm-Dank, Verein der Soldatenfreunde, Heft 1.) Berlin, Kamerad- 
schaft, 1914. 8. 32 SS. M. 0,30. 

Schiemann, Theodor, Die Achillesferse Englands. Aus dem englischen 
übersetzt und eingeleitet. Berlin, Georg Reimer, 1914. 8. 49 SS. M. 0,80. 


54* 


852 Die periodische Presse des Auslandes, 


Schubert (Hauptm. a. D.), Hartwig, Der Krieg 19l4 — Englands 
wirtschaftlicher Ruin. (Gegenwartsfragen 1913/14, No. 5.) Berlin, „Politik“, 
1914. gr. 8. 2788. M. 1.—. 

Sosnosky, Theodor v., Die Balkanpolitik Oesterreich-Ungarns seit 1866. 
2. Bd. Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt vorm. Ed. Hallberger, 1914. Les 3 
X—405 SS. mit 1 Karte. M. 7,50. 

Wagner (Wirkl. Geh. Rat, Herrenh.-Mitgl.), Prof. Dr. Adolph, Gegen 
England! Warum England den französisch-russischen Krieg gegen das Deutsche 
Reich geschürt hat und ihm beigetreten ist. 4. verb. und veränd. Auflage eines 
Aufsatzes aus „‚Illustr. Zeitschrift Ueberall für Armee und Marine“, Märzheft 
1912. Berlin, Boll u. Pickardt, 1914. gr. 8. 48 SS. M. 0,75. 

Wildgrube, M., Englands Verrat an Deutschland in historisch-politischer 
Beleuchtung. Dresden-A., Emil Weise, 1914. gr. 8. 29 SS. M. 0,60. 


Die periodische Presse des Auslandes. 


C. Oesterreich-Ungarn. 


Handelsmuseum, Das. Hrsg. von der Direktion des k. k. österr. Handels- 
museums. Bd 29, 1914, No. 41: Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Oester- 
reichisches Moratorium). — Die Erhöhung der türkischen Zölle. — etc. — No.42: 
Die Aufhebung der Kapitulationen und die Zollerhöhung in der Türkei, von Gustav 
Herlt.— Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen (Deutschland, Oesterreich, Griechen- 
land, Schweden, Norwegen). — etc. — No. 43: Kriegsmaßnahmen und Kriegswirkungen 
(Oesterreich, Bosnien, Deutschland, Schweiz, Großbritannien und Irland, Nieder- 
lande, Rumänien, Serbien, Türkei, Portugal, Schweden, Norwegen). — etc. — 
No. 44: Die Weiterbildung der Moratoriengesetzgebung in den kriegführenden 
Staaten, von Dr. Friedrich Deri. — etc. 

Monatsschrift, Statistische. Hrsg. von der k. k. Statist. Zentral- 
Kommission. Jahrg. 19, September 1914, No. 9: Bemerkungen über die Auf- 
gaben der Hypothekarstatistik, von Dr. Hermann v. Schullern-Schrattenhofer. — 
Die Arbeitseinstellungen und Aussperrungen in Oesterreich während des Jahres 
1912, von (k. k. Oberinspektor) J. J. Goldhann. — 

Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ 
der Gesellschaft österreichischer Volkswirte. Bd. 23, 1914, Heft 3 und 4: Macht 
oder ökonomisches Gesetz?, von Eugen v. Böhm-Bawerk. — Der Weg zur ratio- 
nellen Elektrizitätsversorgung und Wasserkraftverwertung Oesterreichs, von (Dipl.- 
Ingenieur) A. Buchleitner. — Zum österreichischen Auswanderungsgesetzentwurf, 
von Otto Neurath. — Die Gewerbeförderung der bosnisch-herzegowinischen Ver- 
waltung, von Dr. Adolf Hadwiger. — Die deutsche Fleischenquete, von Dr. Ernst 
Gibian. — etc. 

F. Italien. 

Giornale degli Economisti e Rivista di Statistica. Vol. XLIX, Settembre 
1914, No. 3: Sulla ripartizione territoriale del risparmio in Italia, di Alfredo 
Vita. — Un episodio di storia delle finanze papali, di Fernando Gentili. — etc. 
— Ottobre 1914, No. 4: Sulla teoria economica della capitalizzazione, di Felice 
Vinci. — Alcune osservazioni al proposito della teorica dei costi comparati, di 
Roberto A. Murray. — Baggio di una determinazione del fabbisogno e della 
disponibilità di capitale agricolo circolante per una regione: La Calabria, di 
Giovanni Nicotra. — etc. — Supplemento: Contributo alla teoria dell’ offerta 
a costi congiunti, di Marco Fanno. 


H. Schweiz. 

Blätter, Schweizerische, für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. 2l, 
1913/14, Heft 19: Die Zollpolitik der Vereinigten Staaten und die Bedeutung des 
Zollgesetzes von 1913, von Max Louis. — Ursachen und Bekämpfung der Lebens- 
mittelteuerung (Schluß), von Dr. Ed. Lauterburg. — etc. 


Die periodische Presse Deutschlands. 853 


Die periodische Presse Deutschlands. 


Archiv für Bürgerliches Recht. Bd. 40, 1914, Heft 3: Die Fusion der 
Aktiengesellschaft, von Josef Kohler. — Pfandrechte und Hypotheken bei Ge- 
samtschulden, Gesamtforderungen und gemeinschaftlichen Forderungen, von (Geh. 
Justizrat) Prof. Dr. Johannes Biermann. — Der Verlagsvertrag mit Gewinn- 
beteiligung, von (Rechtsanw.) Dr. v. Dadelsen. — Handelsrechtliche Rundschau, 
von (Landgerichtsdirektor) Dr. Ritter. — etc. 

Archiv für EisenBahnwesen. Hrsg. im Kgl. Preuß. Ministerium der öffent- 
lichen Arbeiten. Jahrg. 1914, November und Dezember, Heft 6: Die wirtschaft- 
liche Entwicklung der preußischen Staatseisenbahnen, von (Kgl. Eisenbahn-Bau- 
und Betriebsinspektor a. D.) Ernst Biedermann. — Die Eisenbahnen der asiatischen 
Türkei (Schluß), von (Dipl.-Ing.) M. Hecker. — Die Eisenbahnen der Schweiz 
im Jahre 1912.— Die Eisenbahnen Ungarns im Jahre 1912, von (Eisenbahnoberinsp.) 
Rudolf Nagel. — Die belgischen Eisenbahnen in den Jahren 1911 und 1912. — 
Die Betriebsergebnisse der Staatsbahnen und der fünf großen Eisenbahngesell- 
schaften in Frankreich im Jahre 1912. — Die Eisenbahnen in Schweden im 
Jahre 1910. — Die schwedischen Staatsbahnen in den Jahren 1911 und 1912. — 
Die Eisenbahnen in Norwegen im Jahre 1912/13. — Die Staatseisenbahnen in 
Australier und Neuseeland 1911/12 und 1912/13. — etc. 

Archiv für exakte Wirtschaftsforschung (Thünen-Archiv). Ergänzungs- 
heft. Heft 17: Zur lorstarbeiterfrage in Mecklenburg. Bcarb. im Auftrage der 
Studienkommission für Erhaltung des Bauernstandes, für Kleinsiedlung und Land- 
arbeit, von (Oberiorstmstr.) v. Oertzen. 

Archiv für innere Kolonisation. Bd. 7, Oktober 1914, Heft 1: Zur Fort- 
setzung der inneren Kolonisation, besonders in Ostpreußen, von (Präs.) Dr. Mctz. 
— Die ‚Nederiandsche Heidemaatschappy‘“ (Niederländische Heidekulturgesell- 
schaft). — etc. 

Archiv für Rassen- und Gesellschaftsbiologie. Jahrg. 11, 1914, Heft 2: Die 
Herrschaft der Schwachen und der Schutz der Starken in Deutschland. Kritische 
Betrachtungen eines Arztes über soziale Fürsorge (Forts. und Schluß), von Dr. 
J. Paulsen. — Rassenhygienische Gedanken bei Platon, von Géza v. Hoffmann. — 
Zur Frage der Häufigkeit der Syphilis in der Großstadt, von (Sanitätsrat) Dr. med. 
W. Weinberg. — etc. 

Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie. Bd. 8, Oktober 1914, 
Heft 1: Die Grenzen der Rechtsphilosophie, von (Geh. Justizrat) Prof. Dr. Josef 
Kohler. — Charakter der Hegelschen ltechtsphilosophie, von (Univ.-Prof.) Dr. 
Theobald Ziegler. — Rechtsstaat und Wohlfahrtsstaat, von Prof. Dr. Ferdinand 
Tönnies. — Soziale Entwicklung der Neuzeit (Forts.), von Prof. Dr. Julius 
Markarewicz. — Philosophie und politische Oekonomie bei den Merkantilisten 
des 16.—18. Jahrhunderts (Schluß), von (Wirkl. Staatsrat und ordentl. Prof.) 
Dr. Wladislaw Francowi® Zaleskij. — Die Organisation der Großgemeinden in 
Deutschland, von (Magistratsrat) P. Wölbling. — Weltmarkenrecht, von (Justiz- 
rat) Dr. Edwin Katz. — Ansiedlungsform und Kriminalität. Eine Studie, von 
(Landgerichtsdirektor) Rotering. — etc. 

Archiv für soziale Hygiene und Demographie. Bd. 10, 1914, Heft 1 und 2: 
Organisation und Hauptergebnisse der amtlichen Bevölkerungs- und Medizinal- 
statistik in Rußland, von Dr. S. Nowosselsky. — Militärdiensttauglichkeit und 
Berufstätigkeit, soziale Stellung ‚und Wohnweise in Oesterreich-Ungarn, insbe- 
sondere in Wien, von Victor Noack. — Zur Schwankung der Geburtenziffer, 
von Dr. P. Hermberg. — Die Entwicklung der Bevölkerung in den Kulturstaaten 
in dem 1. Jahrzehnt dieses Jahrhunderts (Forts.), von Dr. med. E. Roesle. — etc. 

Archiv, Weltwirtschaftliches. Zeitschrift für allgemeine und spezielle 
Weltwirtschaftslehre. Bd. 4, Oktober 1914, Heft 2: Weltwirtschaftsstatistik, von 
Dr. V. Furlan. — Weltmarkenrecht und der vorläufige Entwurf eines neuen 
deutschen Warenbezeichnungsgesetzes, von (Landgerichtsrat) Dr. Daffis. — Der 
Panamakanal in seiner Bedeutung für den Wettbewerb zwischen europäischer 
und amerikanischer Schiffahrt, von Dr. R. Hennig. — Der Londoner internationale 
Vertrag zum Schutze des menschlichen Lebens auf Sce vom 20. Januar 1914, 
von Max Deckinger. — Der Zollkrieg zwischen Frankreich und der Schweiz in 


854 Die periodische Presse Deutschlands. 


den Jahren 1893—1895, von Dr. Grete Eysoldt. — Die Mosel- und Saarkanali- 
sierung in ihrer Bedeutung für das westeuropäische Wirtschaftsleben, von Dr. 
Kreuzkam. — etc. 

Außenhandel, Deutscher. Zeitschrift des Handelsvertragsvereins. Jahr- 
gang 14, Oktober 1914, No. 17: Geltendmachung von Entschädigungsforderungen 


für Kriegsverluste. — Zum französischen Handelskrieg. — Die Aufhebung der 
Kapitulationen in der Türkei. — etc. 

Bank, Die. Oktober 1914, Heft 10: Die Ausschaltung Londons als Clearing- 
haus der Welt, von Alfred Lansburgh. — Grundgedanken einer genossenschaft- 


lichen Hilfsaktion, von (Justizrat) Prof. Dr. Hans Crüger. — Die Mobilmachung 
der Worte, von Dr. Felix Pinner. — Gedanken über die Milliardenanleihe, von 
Alfred Lansburgh. — Kriegsschutz der Hypothekenforderungen, von Ludwig Esch- 
wege. — Die Deutsche Reichsbank als Kriegsbank. — Der Krieg und die Banken. 
— etc. 

Blätter, Kommunalpolitische. Jahrg. 5, 1914, No. 10: Die Gemeinden und 
der Krieg: In welchem Geiste sollen wir in der Kriegszeit die Kommunalwahleu 
tätigen?, von (Stadtverordneten, Landesrat) Clemens Adams. — Leistungen der 
Städte aus Anlaß des Krieges: Unterstützung der Kriegerfamilien, Unterstützung 
städtischer Angestellter und Arbeiter, Fürsorge für Arbeitslose und sonstige 
Erwerbslose, Kreditfürsorge, sonstige Maßregeln aus Anlaß des Krieges. — Kriegs- 
fürsorge für minderbemittelte Mieter und Hausbesitzer. — etc. 

Blätter, Volkswirtschaftliche. Jahrg. 13, 1914, No. 17—20: Die Mobil- 
machung der Vereine und Kammern. (Merktafel für vaterländische Mitarbeit.) 
— etc. 

Export. Jahrg. 36, 1914, No. 42—46: Weshalb die Deutschen im Auslande 
unbeliebt sind? (Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Zur Weltwirtschaft hinauf! 
(Forts.), von Dr. R. Jannasch. — Der skandinavische Norden und der Krieg. 
— Die Verlängerung des Wechselprotestes. — Das asiatische Problem und der 
Weltkrieg, von Dr. Freiherr v. Mackay. — Englisch-amerikanischer Handelskrieg, 
von O. Sperber. — Die Behinderung der Schiffahrt zwischen Deutschland und 
Amerika — etc. 

Gegenwart, Die. Jahrg. 43, 1914, No. 42: Amerika rührt sich, von Hugh 
P. Hugh. — Patentkrieg, von Arved Jürgensohn. — etc. — No. 43: Marokko — 
der Pfahl im Fleische Frankreichs, von Dr. J. v. Bülow. — etc. — No. #: 
Barbarenpresse. — etc. — No. 45: Türke, wehre dich!, von Spectator. — Des 
englischen Schatzkanzlers Lüge, von H. F. Crohn. — etc. — No. 46: Englands 
Seele, von Spectator. — etc. 

Jahrbücher, Preußische. Bd. 158, November 1914, Heft 2: Koalitions- 
und Gewerkschaftsprobleme, von Prof. Dr. Heinrich Herkner. — Kriegsverschollen- 
heit, von (Amtsgerichtsrat a. D.) Dr. Felix Freudenthal. — Vom künftigen Staats- 
anwalt, von Julius Dankwerth. — Das englische Weltreich, von H. Delbrück. 
— etc. 

Kultur, Soziale. Jahrg. 34, November 1914, Heft 11: Caritashilfe in der 
Seelsorge, von Prof. Dr. Wilh. Liese. — Urstoffgewinnung (Jagd, Fischerei und 
Bergbau), von (Hofrat) Prof. Dr. E. Schwiedland. — Die internationalen Be- 
strebungen der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiete der sozialen Hygiene, von 
Marg. Weinberg. — Landreform in Norwegen, von Pudor. — etc. 

Monatshefte, Sozialistische. Jahrg. 20, 1914, Heft 19: Die Kriegstagung 
des preußischen Landtags, von Paul Hirsch. — Der Krieg und das britische Welt- 
reich, von Dr. Ludwig Quessel. — Englands wirtschaftliche Kriegführung, von 
Max Schippel. — Deutsche Kulturarbeit, von Robert Schmidt. — Der Krieg 
und die Frau, von Wally Zepler. — etc. 

Monatsschrift, Politisch-Anthropologische. Jahrg. 13, November 1914, 
No. 8: Der Siegespreis und seine Gefahren, vom Herausgeber. — Die Zukunft 
Belgiens, von Kurd v. Strantz. — Die Gefahren der oberen Volksschichten in 
rassenhygienischer Beziehung und Vorschläge zur Abhilfe (Forts.), von Erich 
Weißenborn — etc. 

Oekonomist, Der Deutsche. Jahrg. 32, 1914, No. 1659: Mäßigung, von 
W. Christians. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (XIII), von Robert 
Franz. — Hausbesitzer und Hypothekenbanken während des Krieges. — etc- 
— No. 1660: Ueberschuldete städtische Mietshäuser. — Die deutschen Banken 


Die periodische Presse Deutschlands. 855 


im Jahre 1913 (XIV), von Robert Franz. — etc. — No. 1661: Die deutsche 
Kulturaufgabe, von W. Christians. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (XV), 
von Robert Franz. — Die Geschäftslage der Hypothekenbanken. — etc. — 
No. 1662: Unser Verhalten gegenüber unseren Feinden, von W. Christians. — 
Die deutschen Banken im Jahre 1913 (XVI), von Robert Franz. — etc. — 
No. 1663: Im Kriege. — Die deutschen Banken im Jahre 1913 (XVII), von 
Robert Franz. — etc. 

Plutus. Jahrg. 11, 1914, Heft 43/44: Devisenangst. — Mietsnöte, von Hans 
Goslar. — etc. — Heft 45/46: Truggold. — Das moderne Aegypten, von Friedrich 
Frauenstein. — Abbau des Kursniveaus, von OG B. — etc. 

Recht und Wirtschaft. Jahrg. 3, Oktober 1914, No. 10: Staats- und 
völkerrechtliche Stellung besetzter und eroberter Gebiete, von (Geh. Rat) Prof. 
Dr. Adolf Arndt. — Die deutschen Aktiengesellschaften in den letzten Friedens- 
jahren, von (Reg.-Rat) Dr. Ewald Moll. — Der gewerbliche Rechtsschutz in 
Deutschland während des Krieges, von (Reg.-Rat) Dr. Rathenau. — Der Krieg 
und der Schutz der deutschen Arbeitskraft, von Dr. Roland Behrend. — etc. 
— No. 11: Politische Ideale der deutschen Zukunft, von Prof. Dr. Hermann 
Oncken. — Unser Kriegsgeld, von (Geh. Finanzrat) Dr. Ernst Springer. — Ueber 
Moratorien, von (Kommerzienrat) Max Richter. — Wie bewährt sich die Ge- 
schäftsaufsicht?, von (Justizrat) Dr. Hugo Cahn. — Die finanzielle Kriegs- 
rüstung Deutschlands und seiner Gegner, von Dr. jur. W. Peters. — etc. 

Revue, Deutsche. Jahrg. 39, November 1914: Italien und der Dreibund, 
von Dr. Benedetto Cirmeni. — Von Krieg und Politik, von Prof. Dr. Schiemann. 
— Frankreichs Volks- und Verkehrswirtschaft und der Krieg, von (Ministerialrat) 
v. Völcker. — Ernährung, Nahrungsbedürfnis und Nahrungsversorgung im Frieden 
und im Krieg, von (Geh. Medizinalrat) Prof. Dr. C. A. Ewald. — Italien und 
das europäische Gleichgewicht, von Philipp Hiltebrandt. — Die Wissenschaft und 
der Krieg, von Prof. Dr. Lammasch. — Einige Bemerkungen zur Erneuerung 
unserer Handelsverträge, von (Wirkl. Geh. Rat) Dr. v. Koerner. — Welchen 
Schaden haben die Franzosen von jeher Elsaß-Lothringen zugefügt?, von M. v. 
Köller. — Echtes Völkerrecht, von Prof. Dr. Th. Niemeyer. — Die italienische 
Neutralität, von T. Galimberti. — Die Rumänen in der europäischen Völker- 
gemeinschaft, von (kgl. rumän. Ministerpräs.) Demeter A. Sturdza. — cte. 

Rundschau, Deutsche. November 1914: Die wirtschaftlichen Voraus- 
setzungen des modernen Krieges (I), von Friedrich Lenz. — Körperliche und 
sittliche Kraft im Kriege, von Adolf Strümpell. — Englands Politik und seine 
Streitmacht zu Lande, von Wolfgang Michael. — etc. 

Sozial-Technik. Jahrg. 13, 1914, Heft 20: Die Tätigkeit der technischen 
Aufsichtsbeamten der Berufsgenossenschaften neben der Betriebsüberwachung und 
die besonderen dienstlichen Aufträge. — etc. — Heft 21: Die Tätigkeit der 
technischen Aufsichtsbeamten der Berufsgenossenschaften neben der Betriebsüber- 
wachung und die besonderen dienstlichen Aufträge (Forts.). — Zur Durchführung 
der Unfallverhütungsvorschriften. Vortrag, von (Obering.) Georg Nettebohm. 
— etc. 

Verwaltung und Statistik (Monatsschrift für deutsche Beamte). Jahrg. 4, 
November 1914, Heft 11: Städtische Fleischverkäufe in Straßburg i. Els., Nürn- 
berg und Karlsruhe, von Dr. Ehrler. — Verhältnis zwischen Einkommen und 
Wohnungsmietpreis. — etc. 

Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Hrsg. vom 
Kaiserl. Statist. Amte. Jahrg. 23, 1914, Heft 3: Dampfkesselexplosionen 1913. 
— Schaumwein-Erzeugung und -Besteuerung 1913. — Konkursstatistik für 1913. 
— Zur Statistik der Preise (Viehpreise, Fleischpreise in vier englischen Städten). 
— Die Bestands- und Kapitalsänderungen der deutschen Aktiengesellschaften und 
Gesellschaften m. b. H., 2. Vierteljahr 1914. — Halbjahrsausweise der deutschen 
Hypothekenbanken (1. Halbjahr 1914). — Herstellung und Besteuerung von Zünd- 
waren und Leuchtmitteln 1913. — Streiks und Aussperrungen. (Vorläufige Ueber- 
sicht. 2. Vierteljahr 1914.) — Anbauflächen der hauptsächlichsten Fruchtarten 
im Juni 1914. — Schlachtvieh- und Fleischbeschau, 2. Vierteljahr 1914. — 
Herstellung und Besteuerung von Zigaretten, Zigarettentabak und Zigaretten- 
hüllen 1913. — Tabakbau und Tabakernte 1913. — Die Ergebnisse der deutschen 
Produktionserhebungen. — Produktion der bergbaulichen Betriebe im Jahre 1913. 


856 Die periodische Presse Deutschlands. 


— Die Eheschließungen, Geborenen, Gestorbenen und der Geburtenüberschuß im 
1. Vierteljahr 1914. (Vorläufige Ergebnisse.) — etc 

Wirtschafts-Zeitung, Deutsche. Jahrg. 10, 1914, No. 20: Die Steuer- 
reserven in Deutschland und England, von (Unterstaatssekretär z. D.) Prof. Dr. 
Georg v. Mayr. — Kriegsbilder vom Geld- und Kapitalmarkt. — Deutsches 
Zahlungsverbot gegen Großbritannien. — etc. — No. 21: Krieg und Wirtschaft. 
etc. — Beilage: Handelshochschule und Universität in Frankfurt a M., von 


Prof. Dr. L. Pohle. — etc. 
Zeit, Die Neue. Jahrg. 33, 1914, No. 2: Der Krieg und die Arbeiterver- 


sicherung, von Gustav Hoch. — Einige ungedruckte Briefe Lassalles an Marx 
(Schluß), von Ed. Bernstein. — Vom Wirtschaftsmarkt. Brot- und Fleisch- 
versorgung während der Kriegszeit, von Heinrich Cunow. — ete. — No. 3: 
Kriegssitten, von K. Kautsky. — Karl Marx und Friedrich Engels in der zweiten 
Phase des Krieges 1870/71, von Ed. Bernstein. — Die internationalen Beziehungen 
der Gewerkschaften, von Adolf Braun. — Die deutsche Zuckerindustrie und die 
Volksernährung, von Emanuel Wurm. — etc. — Ergänzungsheft No. 20: 
Rasse und Judentum, von K. Kautsky. — No. 4: Kriegssitten (Schluß), von 
K. Kautsky. — Die finanzielle Kriegsrüstung Rußlands, von Spectator. — Die 


internationalen Beziehungen der Gewerkschaften (Schluß), von Adolf Braun. 
— Aus Amerikas Arbeiterbewegung, von G. Eckstein. — ete. — No. 5: Militärische 
und wirtschaftliche Kraft, von Gustav Eckstein. — Der Krieg und die Kranken- 
versicherung, von Eduard Gräf. — Die wirtschaftlichen Wirkungen des Krieges 
auf die Schweiz, von Dionys Zinner. — Vom Wirtschaftsmarkt. Der Krieg und 
die Wirtschaftslage in den Vereinigten Staaten von Amerika, von Heinrich Cunow. 
— etc. — No. 6: Der englische Radikalismus und der Krieg, von Eduard Bern- 
stein. — Die kapitalistische Entwicklung Ungarns und ihre Hemmungen, von 
Eugen Varga. — Arbeitslosigkeit, Notstandsarbeiten und Arbeitslosenunterstützung, 
von Paul Umbreit. — Krankenkassen und Krieg, von Dr. med. Otto Stolz — 
Die Gemeindewahlen in Bayern, von M. Blumtritt. — etc. 

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Bd. 36, 1914. 
Heft 1: Entwurf eines Gesetzes über das Verfahren gegen Jugendliche, von Prof. 


Dr. Karl v. Lilienthal. — Die Merkmale des Verbrechens, von Prof. Dr. A. 
Hegler. — Reichsaufsicht im künftigen Strafvollzuge?, von Dr. Gennat. — Die 
Rückgabe der in staatlicher Verwahrung befindlichen Gegenstände an den Ver- 
letzten, von (Gerichtsassessor) Dr. Max Dreyfus. — etc. 


Zeitschrift für die gesamte Versicherungs-Wissenschaft. Bd. 14, No- 
vember 1914, Heft 6: Anthropometrie und Lebensversicherung, von Prof. Dr. phil. 
Georg Bohlmann. — Gesichtspunkte für die Grenzziehung zwischen Angestellten 
und Selbständigen in der Angestelltenversicherung, von (gepr. Rechtspraktikant) 
A. Schneider. — Die Gefahrenbeurteilung im Zusammenhang mit der Statistik 
bei industriellen Risiken, von Prof. Heinrich Henne. — etc. 

Zeitschrift für Handelswissenschaft und Handelspraxis. Jahrg. 7, Ok- 
tober 1914, Heft 7: Der Krieg und die privatrechtlichen Verhältnisse, von (ord. 
Prof.) Dr. H. Rehm. — Der Zuckerhandel in Oesterreich, von Prof. Julius Brabec. 
— Kriegsbilanzen und Kriegsdividenden, von (Dozent) Dr. Georg Obst. — 
Der Plan eines internationalen Goldclearings (Schluß), von Dr. Walther Conrad. 
— etc. — Beiblatt: Die kaufmännischen Angestellten und der Krieg, von 
Prof. Dr. Arthur Schröter. — Das Kredit- und Bankwesen in den deutschen 
Kolonien (Schluß), von Eduard Ladenburg. — Der stumme Handel und seine 
kulturhistorische Bedeutung, von Dr. Richard Hennig. — ete. 

Zeitschrift für Sozialwissenschaft. Jahrg. ö, 1914, Heft 11: Das System 
der ökonomischen Wissenschaften (I), von Andreas Voigt. — Assignaten und 
Wechselkurse, von Dr. B. Moll. — Vogelschutzbewegung und Schmuckfeder- 
industrie (IV, Schluß), von W. Th. Linnenkohl. — Aus Deutschlands Gasver- 
sorgungsindustrie, von Dr. Ernst Müller. — Die nördlichste Bergwerksstadt der 
ee De E. 8. — Staatsschulden und Krieg in Frankreich und England. 
— etc. 


Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena — 472 


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